Bürgerrat Demokratie S. 9 - Vormerken: Demokratie-Kunst-Aktion vor dem Reichstag - Mehr Demokratie eV
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ausgabe 3.2019 | www.mehr-demokratie.de Bürgerrat Demokratie S. 9 Vormerken: Demokratie-Kunst- Aktion vor dem Reichstag S. 18 Einladung zur Mitgliederversammlung S. 41
INHALT GRUNDLAGEN Bürgerrat Demokratie 4 WAHLRECHT FÜR JUGENDLICHE Ein Rückblick auf die Regionalkonferen- 6 EIN RECHT AUF DATENEIGENTUM? zen und alles zum Bürgerrat. 9 BÜRGERRAT DEMOKRATIE TITELBILD REGIONALKONFERENZ GÜTERSLOH, LINKS OBEN REGIONALKONFERENZ GÜTERSLOH, LINKS MITTE AERIAL ART, JOHN QUIGLEY LINKS UNTEN CC-BY-4 .0 : © EUROPEAN UNION 2019 – SOURCE: EP 14 BÜRGERRAT IN LEIPZIG – ERSTE EINDRÜCKE ab Seite 9 18 5 FRAGEN AN JOHN QUIGLEY REZENSION 20 ABKÜRZUNG ZUR DIREKTEN DEMOKRATIE Mit tausenden Menschen ein Zeichen setzen EUROPA & INTERNATIONAL Der Künstler John Quigley zur Demokratie-Kunst- Aktion am 15.11.2019. 22 DIE ZUKUNFT DER EU LIEGT IN IHRER REFORMFÄHIGKEIT ab Seite 18 AKTION 26 ZUSTIFTEN IN DEN STIFTUNGSFONDS BUNDESLÄNDER 28 SACHSENS VOLKSEINWAND 30 DAS NEUE WAHLRECHT IN BREMEN UND BREMERHAVEN 32 VOLKSABSTIMMUNG SELBER MACHEN 34 NEUES AUS DEN LANDESVERBÄNDEN OMNIBUS 36 ECONOMY FOR FUTURE – SOZIALE UND ÖKO- NOMISCHE WIRTSCHAFTSWENDE JETZT! 38 MUT UND LUST – EIN INTERVIEW MIT JOHANNES STÜTTGEN MD INTERN 41 EINLADUNG ZUR BUNDESMITGLIEDER- VERSAMMLUNG Die EU nach den Wahlen Die Zukunft der EU liegt in ihrer Reformfähigkeit ab Seite 22 3 www.mehr-demokratie.de | Nr. 121 | 3/2019
EDITORIAL Liebe Leser*innen, bingo! Es ist soweit! 160 Menschen sind ausgelost und warten mit uns gespannt auf ihren Einsatz. Wo? Beim Bürgerrat Demokratie, der in Leipzig an zwei Wochenenden im September zusammenkommt. Er berät, empfiehlt und diskutiert, was unserer De- mokratie fehlt, was sie besser und wirkungsvoller macht. Vorab haben sich schon vie- le Menschen und aus ganz Deutschland und aus der Politik Gedanken gemacht und sind auf sechs Regionalkonferenzen zu einigen Ergebnissen gekommen. „Es geht doch darum, dass wir die Parlamente durch Bürgerbeteiligung demokratisieren“ fasste es Ministerpräsident Bodo Ramelow treffend in Erfurt zusammen, nachdem er drei Stunden mit Bürger*innen am Tisch zusammengearbeitet hatte. Und in München brachte es ein CSU-Abgeordneter so auf den Punkt: „Ein Bürgerrat liefert mir im Grunde Antworten auf Fragen, die ich der Wählerschaft zwischen den Wahlen sonst nicht stellen kann.“ Claudine Nierth, Bundesvorstandssprecherin von Mehr Demokratie. Und jetzt kommen Sie! – hoffentlich zu unserem Tag für die Demokratie am 15. No- vember 2019 auf die Wiese vor den Reichstag. Wir werden mit Ihnen ein riesiges, le- bendiges Mosaik bauen, das seine volle Wirkung aus der Vogelperspektive entfaltet und anschließend die Ergebnisse des Bürgerrates dem Bundestag und seinem Präsi- denten mit einer großen Veranstaltung übergeben. Dort erfahren Sie auch, was die ausgelosten Bürger*innen im Rat alles erlebt haben... Bis dahin, herzlich Willkommen! Claudine Nierth Bundesvorstandssprecherin 3
GRUNDLAGEN GRUNDLAGEN WAHLRECHT FÜR JUGENDLICHE Landeszentralen für politische Bildung im Münchner Manifest derheit. Je eher junge Menschen wählen dürfen, umso besser Ziele für die politische Bildung festgeschrieben, seit 2004 gibt können sie ihre Interessen in einer alternden Gesellschaft be- Aktionsbündnis geplant. es Standards hierfür im Unterricht. Jugendliche sind heute eher haupten. Auf Initiative von Mehr Demokratie haben sich Mitte in der Lage, eine politische Situation zu analysieren, sich eine September 14 Organisationen getroffen, die sich für ein Wahl- VON NICOLA QUARZ UND RALF-UWE-BECK Meinung zu bilden und hieraus Konsequenzen zu ziehen, als recht unter 18 stark machen und die Kräfte bündeln wollen. Ge- das noch in den 70er Jahren der Fall war. Die Fridays For Fu- dacht ist an ein Aktionsbündnis. Für Ende Ende November ist ture-Bewegung hat das eindrücklich bewiesen. Auch, dass die das nächste Treffen angesetzt. Die politische Forderung nach Jugendlichen sich über die Social Media gut vernetzen, sich in- einer Wahlalterabsenkung dürfte damit ebenso Rückenwind „Jeder Mensch hat das Recht, an der Gestaltung der öffentli- len ermöglicht werden – zumal das Grundgesetz für die EU- formieren und austauschen. Heute werden zudem digitale Hil- bekommen wie der Gang nach Karlsruhe. / chen Angelegenheiten seines Landes unmittelbar oder durch Wahl kein Wahlalter festlegt. fen wie der Wahl-O-Mat angeboten, die Jugendliche ganz frei gewählte Vertreter mitzuwirken“, so lautet Artikel 21 der Das sehen auch etwa 25 Jugendliche so, die Einspruch gegen selbstverständlich nutzen. Liegt die Erstwahl noch in der Schul- Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Dem hat das die EU-Wahl beim Bundestag eingelegt haben und sich dabei auf zeit, hätte schulische Demokratie-Bildung einen konkreten, in REFORM DER EUROPÄISCHEN BÜRGERINITIA- Bundesverfassungsgericht entsprochen, indem es den Aus- das Gutachten stützen. Weist der Bundestag die Einsprüche zu- der Lebenswelt der Jugendlichen verankerten Anlass, das De- TIVE: EBI AB 16 schluss „vollständig betreuter Menschen“ vom Wahlrecht noch rück, können sie eine Wahlprüfungsbeschwerde beim Bundes- mokratiesystem zu vermitteln und die Auswirkungen von Be- Um ein angemessenes Alter für politische Beteili- rechtzeitig vor der EU-Wahl endlich für nichtig erklärte. Der verfassungsgericht einreichen. Dann muss sich das höchste Ge- teiligung zu reflektieren und zu diskutieren. Dies wäre mit Si- gung wird auch im Zuge der Reform der Europäi- Wahlrechtsausschluss sei nur dann verfassungsgemäß, wenn richt damit befassen, ob der pauschale Ausschluss von 16- und cherheit ein nachhaltigeres Lernen als reine Paukerei. Auch schen Bürgerinitiative (EBI) gerungen. Die den Betroffenen die notwendige Einsichts- und Urteilsfähig- 17-Jährigen rechtens ist. könnte so das Verständnis, was es für eine Demokratie bedeu- reformierte EU-Verordnung erlaubt den Mitglied- keit fehle. Das aber könne für die 83.000 Menschen, die für die Politisch geboten ist eine Wahlalterabsenkung auf 16 Jahre tet, wenn Menschen ihr Wahlrecht verkümmern lassen, ausge- staaten explizit, das Mindestalter für die Unterstüt- Bewältigung ihres Alltags eine Betreuung brauchen, pauschal allemal. Das jedenfalls ist die von der Mehr Demokratie-Mit- prägt werden. Schließlich kann Demokratie am ehesten gelernt zung einer EBI von der Kopplung an das Mindestal- nicht geltend gemacht gliederversammlung be- werden, wenn sie selbst erfahren, eingeübt und gelebt wird. Je ter für das aktive Wahlrecht bei den Wahlen zum werden. Wie ist in diesem schlossene Position. Rea- eher Menschen eine Selbstwirksamkeitserfahrung mit dem Ge- Europäischen Parlament zu lösen und auf 16 Jahre abzusenken. In der Begründung zur reformierten Licht zu beurteilen, dass lisiert ist dies bereits für wicht ihrer eigenen Stimme machen, umso nachhaltiger wirkt Besonders im Bezug auf Umweltthemen politisiert sich ein großer Teil der Jugendlichen heute Verordnung heißt es ausdrücklich: „Den Mitglied- Kindern und Jugendli- Kommunalwahlen in der diese. Eine frühere Beteiligung könnte also eine offene Einstel- staaten wird nahegelegt, gemäß ihren einzelstaatli- chen das Recht, sich an Mehrheit der Bundeslän- lung zum demokratischen System und dem Gewicht der eige- chen Rechtsvorschriften die Festlegung des Wahlen zu beteiligen, der, und in Brandenburg, nen Stimme befördern helfen. Dies gilt umso mehr, als junge Mindestalters auf 16 Jahre in Betracht zu ziehen.“ verweigert wird? Kann Bremen, Hamburg und Menschen das angebotene Wahlrecht auch nutzen. So haben Das deutsche Innenministerium hat im Frühjahr 16- oder 17-Jährigen pau- Schleswig-Holstein kön- sich knapp die Hälfte der unter 18-Jährigen an der Hamburger einen Vorschlag zur Umsetzung der Reform auf schal die Einsichts- und nen sich 16-Jährige be- Kommunalwahl beteiligt, die zeitgleich mit der EU-Wahl am europäischer Ebene auf den Weg gebracht. Das Gesetz soll im Herbst beschlossen werden. Urteilsfähigkeit abge- reits an Landtagswahlen 26. Mai stattfand, mehr als bei der Wahl zuvor. Ohne die Mög- Bedauerlicherweise ist im Entwurf von der sprochen werden? Ver- beteiligen. Jugendliche zu lichkeit, Wünschen und Forderungen auch durch eigene Beteili- Absenkung des Beteiligungsalters nichts zu lesen. mutlich nicht. Das Urteil Kommunal- und Land- gung Nachdruck zu verleihen, sind junge Menschen auf den Mehr Demokratie hat auf Bitte des Ministeriums des Verfassungsgerichts tagswahlen einzuladen, guten Willen erwachsener Entscheidungsträger angewiesen. eine Stellungnahme hierzu abgegeben (abrufbar hilft, die Blickrichtung zu aber von Bundestags- und Das kann schnell frustrieren. Bleiben Jugendliche, die sich be- unter www.mehr-demokratie.de). Unsere Forde- zunehmend. Foto: © Fridays For Future Deutschland ändern: Es kann nicht al- EU-Wahlen auszusper- fähigt fühlen, sich in die Angelegenheiten der Gesellschaft und rung: Die EBI muss auch für 16- und 17-Jährige lein darum gehen, zu ren, vermittelt das Bild, damit in ihre eigenen einzumischen, zu Beginn ihres politi- zugänglich sein! überlegen, ab welchem die Wahl auf der „höhe- schen Lebens als Zaungäste politischer Entscheidungen zurück, Alter jemand mit Sicherheit reif genug ist, um sich seine Volks- ren“ politischen Ebene sei die wichtigere, die auch nach größe- besteht die Gefahr, dass sie schon frühzeitig das demokratische vertreter zu wählen. Sondern: Bis zu welchem Alter darf Kin- rer politischer Reife verlangt. Dieser Gedanke ist in einer De- System insgesamt in Frage stellen. Das ist nur schwer wieder Nicola Quarz dern und Jugendlichen das Wahlrecht vorenthalten werden? mokratie jedoch abwegig, in der das Recht garantiert sein muss, aufzuholen. So zeigen Analysen, dass Erstwählerinnen und Juristin bei Mehr Demokratie. Eine Frage, mit der sich die Gesellschaft immer wieder befas- dass wir jede politische Entscheidung, die uns betrifft, mittelbar Erstwähler, die ihr Wahlrecht nicht nutzen, es auf Dauer brach sen sollte, will sie nicht fahrlässig das Recht auf Mitgestaltung oder unmittelbar beeinflussen können müssen – unabhängig liegen lassen. Auch die demografische Entwicklung verlangt der öffentlichen Angelegenheiten beschneiden. Die Professo- davon, auf welcher politischen Ebene sie getroffen wird. nach einem Wahlrecht für junge Menschen: Der Anteil der un- Ralf-Uwe-Beck ren Hermann Heußner und Arne Pautsch, Mitglieder im Kura- Der Forderung nach einer Absenkung des Wahlalters ter 20-Jährigen wird in Deutschland weiter zurückgehen. Laut Bundesvorstandssprecher von Mehr torium von Mehr Demokratie, sind der Frage nachgegangen kommt die Entwicklung der politischen Bildung entgegen. Seit Statistischem Bundesamt wird ihr Anteil von derzeit 18 bis Demokratie. und kommen in einem Gutachten zu dem Ergebnis: Mindes- der Absenkung des Wahlalters von 21 auf 18 Jahre 1970 sind 2060 auf 16 Prozent an der Gesamtbevölkerung sinken. Jugend- tens den 16- und 17-Jährigen muss die Beteiligung an EU-Wah- fast 50 Jahre vergangen. 1997 haben die Bundeszentrale und die liche werden also zunehmend zu einer gesellschaftlichen Min- 4 www.mehr-demokratie.de | Nr. 121 | 3/2019 5
GRUNDLAGEN GRUNDLAGEN sich der Schutz personenbezogener Daten in dem der Gedanke der Autonomie des lungsfreiheit (a.) sowie die Souveränität – auch und gerade in informationstechni- Einzelnen übertragen wird auf das Prin- des demokratischen Gemeinwesens (b.)? schen Systemen – aus den Maßstäben der zip der freien Selbstbestimmung der Zu a: Erstens ist es vor dem Hinter- Menschenwürde (Art. 1 I GG) und der all- Bürger*innen als Gemeinwesen (Rous- grund der Norm des Schutzes der Privats- gemeinen Handlungsfreiheit und Intimssphäre illegitim Da- (Art. 2 I GG) her. Diese kann ten ohne Einwilligung des man so zusammenfassen, dass „Im Netz wird [...] durch Intermediäre wie Nutzers aufzuzeichnen und jeder Mensch um seiner selbst Facebook oder Reddit in hohem Maße weiterzuverarbeiten. Hinzu willen in gleicher Weise ach- kommt, dass selbst bei erfolg- individualisierte Informationsweitergabe tenswert ist und deshalb nicht ter Einwilligung der einzelnen zum Objekt für die Zwecke betrieben. Dies hat eine Zersplitterung Bürger*innen die aufgezeich- anderer herabgewürdigt wer- eines gemeinsam geteilten Raums der neten „Datenabgase“ häufig so den darf (= Menschenwürde) Öffentlichkeit zur Folge. unscheinbar vorkommen, dass EIN RECHT AUF sowie in Freiheit und eigener Verantwortung sein Leben in ihnen nicht bewusst ist, wel- che reichhaltigen Schlüsse DATEN-EIGENTUM? dem größtmöglichen Spielraum selbst seau) – diesem Grundgedanken der Ver- ihre Re-Kombination mit den Daten ande- gestalten kann, sofern er dadurch nicht bindung von individueller und kollektiver rer Nutzer auf ihr Verhalten ermöglicht. die Freiheitsrechte anderer Menschen Autonomie folgt das Bundesverfassungs- Eine Einschränkung von Handlungsfrei- einschränkt (= allgemeine Handlungs- gericht im Kern bis heute. heit kann dies insofern bedeuten als durch Was das Bundesverfassungsgericht zu Big Data zu sagen hat. freiheit). Dieses Argumentationsmuster Inwiefern unterminieren nun die als Verhaltensberechnungen subtile Manipu- liberaler Rechtsstaatlichkeit (Kant) wur- „kommerzielle Überwachung“ bezeichne- lationen der Nutzer möglich werden, die VON DR. CHRISTIAN ZELLER de durch das Demokratieprinzip ergänzt, ten Phänomene die individuelle Hand- den Einzelnen nicht ins Bewusstsein tre- Unternehmen und Staaten sind zunehmend daran interessiert, Datensätze miteinander zu verknüpfen und so Einblick über Verhaltensmuster ganzer Bevölkerungen zu bekommen. Foto: pixabay | pexels Im Alltag der Internetnutzung sind die wird dies wesentlich von der Autoindus- Freiheitseinschränkungen zur Folge, da Bürger*innen zunehmend mit der Über- trie und dem Bundesverkehrsministerium der Einzelne nicht mehr wissen könne, wachung ihrer persönlichen Konsum-, vorangetrieben, die sich dadurch Rechts- was andere private sowie staatliche Ins- Such-, und Verhaltensmuster konfron- sicherheit im Umgang mit Fahrgastdaten tanzen über ihn wissen. Subtile Verhal- tiert. Diese mit Tracking-Technologien in Kontext des autonomen Fahrens erhof- tensanpassungen bis hin zum Verzicht auf betriebene „kommerzielle Überwachung“ fen. Auch der bekannte Internet-Vorden- Grundrechte wie die Inanspruchnahme des durch Suchmaschinen, E-Mail-Dienste, ker Jaron Lanier tritt für ein Recht auf Da- Rechts auf Versammlungsfreiheit könnten Online-Textverarbeitungsprogramme teneigentum und ein darauf auffußendes die Folge sein. Insofern betrifft die infor- oder Cloud-Speicherdienste ist allge- System von „Mikrozahlungen“ ein. So mationelle Selbstbestimmung nicht nur genwärtig geworden. Durch die Zusam- soll die technikgetriebene Akkumulation individuelle Freiheitsspielräume, sondern menführung von Daten in persönlichen wirtschaftlicher Macht und Profite von ist eine Vorbedingung für ein demokra- Profilen, die von global agierenden Da- Datenverarbeitern und –verwertern ab- tisch organisiertes Gemeinwesens. Im Ur- tenhändlern fortwährend aktualisiert wer- gemildert und mehr Gerechtigkeit in der teil zur sog. Online-Durchsuchung erwei- den, sowie durch ihre Korrelation mit den Daten-Ökonomie sichergestellt werden. terte das BVG 2008 dieses Recht durch Daten anderer Nutzer, sind weitreichende Werfen wir zur Einordnung dieser Ent- ein Grundrecht auf „Gewährleistung der Schlüsse zu menschlichen Verhaltens- wicklung einen Blick auf Urteile des Bun- Vertraulichkeit und Integrität informa- weisen und Denkmustern sowie entspre- desverfassungsgerichts zum Datenschutz. tionstechnischer Systeme“. Technische chende Manipulationsstrategien möglich. Bereits im Jahr 1983 leitete das BVG im Entwicklungen machten es notwendig, die Ergänzend zu EU-Datenschutzinitiati- Rahmen des Volkszählungsurteils ein speziellen Freiheitsrechte des Telekom- ven wie der DSGVO und der geplanten Recht auf informationelle Selbstbestim- munikationsgeheimnisses (Art. 10 Abs. 1 ePrivacy-Verordnung gibt es innerhalb mung ab. Dieses Grundrecht umfasst „die GG), der Unverletzlichkeit der Wohnung der Bundesregierung Bestrebungen ein aus dem Gedanken der Selbstbestimmung (Art. 13 Abs. 1 GG) sowie des Rechts auf Eigentumsrecht an Daten zu begründen. folgende Befugnis des Einzelnen, grund- informationelle Selbstbestimmung durch Dadurch soll – Stichwort Datensou- sätzlich selbst zu entscheiden, wann und ein neues Grundrecht zu ergänzen. Die veränität – die Selbstbestimmung der innerhalb welcher Grenzen persönliche Maßstäbe für diese beiden neu begründe- Bürger*innen bei der Nutzung digitaler Lebenssachverhalte offenbar werden“. ten Rechte legt das Bundesverfassungs- Dienste gestärkt werden. In Deutschland Das Fehlen eines solchen Rechts hätte gericht dabei fundamental an. So leitet 6 www.mehr-demokratie.de | Nr. 121 | 3/2019 7
GRUNDLAGEN GRUNDLAGEN ten – und zwar weder die Art der Manipu- wird. Drittens werden die bei privaten lation noch die bloße Tatsache der Verhal- Konzernen angehäuften Daten Gegen- ARBEITSKREIS tensbeeinflussung. Die Nutzer werden so stand von Begehrlichkeiten staatlicher DIGITALISIERUNG zum unbedarften Objekt der manipulati- Instanzen wie Geheimdiensten, die – Der Arbeitskreis Digitalisierung ven Handlungen Dritter. Freiheitsbe- dies hat die Affäre um Edward Snow- arbeitet derzeit an einem Informa- schränkungen können schließlich dadurch den deutlich gemacht – eigene Agenden tions- und Positionspapier zum bedingt sein, dass wirtschaftliche Akteure verfolgen und auf nichts weniger als auf Thema „kommerzielle Überwa- digitale Daten nutzen, um unter dem Vor- die Echtzeit-Überwachung der gesamten chung“ und wird die Arbeitsergeb- wand formeller Vertragsfreiheit Verhal- Weltbevölkerung abzielen. nisse in Kürze innerhalb des Vereins tenskorsette im Sinne des mächtigeren Kann diesen Gefährdungen aus dem zur Diskussion stellen. Wer sich für und informierteren Vertragspartners zu Reich des Digitalen durch ein Recht auf die Arbeit des Aks interessiert, ist herzlich willkommen, mitzumachen. formen (z. B. Telematik-Tarife bei Versi- Dateneigentum begegnet werden? Der Informationen bei Alexandra cherungen). Arbeitskreis Digitalisierung meint: Nein! Arweiler unter alexandra.arweiler@ Zu b: Im Netz wird, erstens, durch Und folgt dabei der Begründungslinie mehr-demokratie.de Intermediäre wie Facebook oder Reddit des Bundesverfassungsgerichts zum Da- in hohem Maße individualisierte Infor- tenschutz. Abgesehen von den Proble- mationsweitergabe betrieben. Dies hat men, die sich bei der wertzumessenden Gut gleichstellt und könnten demzufolge eine Zersplitterung eines gemeinsam ge- Berechnung eines ökonomischen Aus- verkauft werden. Aus einer Perspektive, teilten Raums der Öffentlichkeit zur Fol- tausches von eigentumsfähigen Daten die Demokratieprinzip und individuelle ge. Die Unterminierung demokratischer stellen, ist zu erwarten, dass sich die ge- Autonomie aus der Menschenwürde her- Willensbildungsprozesse als Legitimati- nannten Gefährdungen durch ein Recht leitet, muss der Schutz von Privatsphäre onsressource für politische Entscheidun- gen ist die Folge. Hinzu kommt zweitens, dass auch politische Einstellungen und auf Dateneigentum verschärfen. Denn schließlich verlagerte sich die bislang vorherrschende verfassungsrechtliche und informationeller Selbstbestimmung jedoch zwingend ein Recht bleiben, das den Verkauf von Daten nicht ermöglicht. BÜRGERRAT DEMOKRATIE Verhaltensmuster durch intransparente Begründung des Datenschutzes als Aus- Ebenso wie der einzelne Bürger seine Algorithmen gesteuert werden können, fluss von Menschenwürde und allgemei- Menschenwürde nicht verkaufen kann, „Unfassbar! Ich bin dabei!“ etwa durch geheime Gruppierungen im ner Handlungsfreiheit auf das spezielle dürfen auch persönliche Daten, deren In- und Ausland oder eine subkutane Freiheitsrecht des Rechts auf Eigentum Schutz sich aus der Menschenwürde- VON THORSTEN STERK politische Agenda großer Internetkon- (GG Art 14 I). Die Debatte zum Schutz- garantie ergibt, nicht zur Ware gemacht zerne. So kann der politische Diskurs auf status persönlicher Daten entfaltet sich werden. Diese verfassungsrechtlich ge- eine Weise vorformatiert werden, dass dann nicht länger in den ursprünglichen botene Freiheitsbeschränkung ist dadurch „So großes Medieninteresse mung in der Bevölkerung – und bestimmte Entscheidungen wahrschein- Termini der Menschenwürdegarantie; Da- zu rechtfertigen, dass die Möglichkeit habe ich noch nie erlebt.“ auch in der Politik – bekommen. licher werden, ohne dass dies bei der ten zur eigenen Persönlichkeit wären mit des Verkaufs persönlicher Daten die Be- Dieses Resümee zog Anne Wie steht es um unsere Demo- kollektiven Willensbildung thematisch jedem anderen beliebigen handelbaren dingungen untergraben würde, die für Dänner, Pressesprecherin kratie? Braucht sie ein Update? die freie Lebensgestaltung des Einzelnen von Mehr Demokratie, nach Was läuft gut? Was könnte bes- und unsere Gesellschaftsordnung im Ge- dem Start des Bürgerrates ser laufen? Was muss unbedingt samten konstitutiv sind. Menschenwür- Demokratie. Anfang Juni geändert werden? Ganz konkret Heute sind Daten mehr Wert als Öl. Foto: CC BY-SA 2.0: Gerd Leonhard | flickr de, individuelle Handlungsfreiheit und hatte Mehr Demokratie das ging es auch darum, welche demokratische Souveränität können im neue Projekt zusammen mit Themenaspekte der durch Los Zeitalter des Digitalen nur dann dauerhaft Vertretern vom Bund der Steuerzahler, DGB und der Schöpflin zusammengestellte Bürgerrat auf Bundesebene dann bespre- gesichert werden, wenn Datenschutz un- Stiftung in der Bundespressekonferenz vorgestellt. Sie stehen chen soll. Zwei große Themenfelder, direkte Demokratie und veräußerliches Grundrecht bleibt. / zusammen mit weiteren Organisationen hinter dem Bürgerrat. Bürgerbeteiligung, sind bereits abgesteckt. Denn beides wird Die Pressekonferenz wurde im Live-Stream des Senders auch die Expertenkommission des Bundestages besprechen, auf Phoenix übertragen. In der Tagesschau gab es ein langes Inter- die der Bürgerrat Bezug nimmt. Aber worüber genau soll der view mit Mehr Demokratie-Sprecherin Claudine Nierth. Auch in Bürgerrat reden? Zeitungen und im Radio fand der Bürgerrats-Auftakt Widerhall. Bürgerbeteiligung und direkte Demokratie haben viele Fa- Bei den sechs Regionalkonferenzen griff auch die jeweilige Lo- cetten – es kann um die Frage der sozialen Voraussetzungen für kalpresse das Thema auf. demokratische Beteiligung gehen, um die Einbindung von Min- derheiten, um Hürden und Vorschriften und vieles mehr. Je nach- Dr. Christian Zeller Mitglied bei Mehr Demokratie Wozu die Regionalkonferenzen? dem, was man bespricht, müssen auch unterschiedliche Exper- Bayern und im Arbeitskreis Mit den Regionalkonferenzen wollten wir, die Organisator*innen, tinnen und Experten eingeladen werden. Die Regionalkonferenzen Digitalisierung. den Bürgerrat vorbereiten. Wir wollten ein Gefühl für die Stim- helfen, die Frage zu klären: Worüber genau müssen wir reden, 8 www.mehr-demokratie.de | Nr. 121 | 3/2019 9
GRUNDLAGEN GRUNDLAGEN Der „Bürgerrat Demokratie“ hat Mitte 2019 mit Regional- konferenzen an sechs Orten in Deutschland begonnen. Da- bei saßen einen Abend lang Interessierte und Abgeordnete gemeinsam am runden Tisch, um über Herausforderungen und Zukunft der Demokratie zu diskutieren: v.l.n.r.: Koblenz, München,, Schewrin, Erfurt, Gütersloh und Mannheim. 10 www.mehr-demokratie.de | Nr. 121 | 3/2019 11
GRUNDLAGEN GRUNDLAGEN wenn es um direkte Demokratie und Bürgerbeteiligung geht und te die Stadt Frankfurt aus Datenschutzgründen die Herausgabe Schwerpunkt in Großbritannien großen Zuspruch. Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler welche weiteren Demokratie-Themen spielen eine Rolle? von Einwohnerdaten ebenso wie die Stadt Kassel. Die Frankfur- In Großbritannien schießen Bürgerräte derweil wie Pilze aus (SPD) zeigte sich über die von den teilnehmenden Bürger*innen Für diese Veranstaltungen konnte sich jeder und jede bewer- ter Verwaltung schlug stattdessen vor, „einen breiteren Perso- dem Boden. Infolge der guten Erfahrungen in Irland sind auf für die Zukunft des Stadtbezirks gemachten Vorschläge begeis- ben. Die Teilnehmenden wurden von den Prozessbegleitenden nenkreis in Frankfurt am Main auf Ihre Veranstaltung aufmerk- der britischen Insel derzeit national und lokal ähnliche Bürger- tert. Die Bezirksversammlung sucht nun Wege, die Anregun- so zusammengestellt, dass sie die Bevölkerung möglichst gut sam (zu) machen und unter den Interessierten das Losverfahren versammlungen geplant oder laufen bereits. gen umzusetzen. abbilden, z.B. was die Geschlechterverteilung, die regionale Ver- anzuwenden“. Nur wären die Menschen, die sich beworben hät- Ein erster nationaler Bürgerrat soll sich in Kürze mit mögli- „Nur Mut“-Mitstreiterin Uta Claus gefällt der Bürgerrat De- teilung und den Bildungsgrad angeht. Ein Viertel der Teilneh- ten, dann eben keine zufällig ausgewählten Menschen mehr ge- chen Maßnahmen gegen die Klimakatastrophe befassen. Lokale mokratie sehr gut, „schon weil auf diese Weise relativ viele menden in der ersten Phase waren zudem Abgeordnete und Ver- wesen, weshalb diesem Vorschlag nicht gefolgt wurde. Bürgerversammlungen zum Thema gibt es in Camden, Devon, Bürger*innen angesprochen und dazu angeregt werden, sich Ge- treterinnen und Vertreter der Politik. Denn sie sind täglich mit Lambeth, Oxford und Sheffield. Im Londoner Stadtteil Camden danken zum Thema Demokratie und zu ihrer eigenen Mitwir- den Entscheidungsverfahren unserer Demokratie befasst und Bundespräsident für Bürgerräte hat der erste Klima-Bürgerrat seiner Art in Großbritannien im kung daran zu machen. Ich bin sehr gespannt, welche Vorschläge wissen, welche Instrumente bereits diskutiert werden. Sie haben Derweil findet der Bürgerrat Demokratie auch prominente Juli 2017 Empfehlungen für lokale Maßnahmen gegen den Kli- erarbeitet werden“. eingebracht, zu welchen Fragen und Themen Ideen und Vor- Freunde. „Die Demokratie braucht solche Impulse der Erneu- mawandel abgegeben. In Schottland und Wales wurden Bürger- Die in Leipzig erarbeiteten Vorschläge zur Zukunft unserer schläge der Bürgerinnen und Bürger benötigt werden. So kamen erung“, sagte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier beim räte zu Beratungen über die Zukunft der beiden Bestandteile Demokratie werden am 15. November in Berlin als Bürgergut- auf sechs Abendveranstaltungen je rund 45 Bürger*innen sowie Staatsbankett zu Ehren des irischen Präsidenten Michael D. Hig- Großbritanniens ins Leben gerufen. achten an Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble übergeben. rund 15 zusammen gins am 3. Juli in Berlin. „Mit großem Interesse habe ich die Ar- Interessierte sind herzlich zur Teilnahme an der dazugehörigen Mit am Tisch saßen beit der irischen Citizens‘ Beispiel Belgien Veranstaltung und einer damit verbundenen Aktion am Reichs- immer Abgeordnete aller Assembly verfolgt, zum Bürgerräte gibt es aber nicht nur auf der anderen Seite des Är- tag eingeladen. Mehr Demokratie wird darauf drängen, dass die „In einer Demokratie zu leben ist leider keine im Bundestag vertretenen Beispiel in Vorbereitung melkanals. In Frankreich wird im Oktober ein nationaler Bür- ausgearbeiteten Empfehlungen im Bundestag debattiert und Parteien. Ihre Aufgabe Selbstverständlichkeit, auch wenn wir uns in des Referendums über das gerrat zum Klimawandel stattfinden. In Belgien hat das Parla- möglichst unverändert umgesetzt werden. / war es, sich die Anlie- Deutschland mittlerweile sehr daran gewöhnt Recht auf den Schwanger- ment der deutschsprachigen Gemeinschaft Eupen mit ihren gen der Teilnehmenden haben. Daher ist es unerlässlich, dass wir schaftsabbruch. rund 77.000 Einwohnern die Einrichtung einer gelosten Bürger- anzuhören, zu erklären, Neunundneunzig Ir*- versammlung beschlossen. Der dortige Bürgerrat soll dauerhaft den Kern der Demokratie – den offenen und EINLADUNG ZUR AERIAL-ART-KUNSTAKTION was an Beteiligung schon innen, die sich vorher existieren und eine Art zweite Parlamentskammer bilden. möglich ist und worüber transparenten Prozess der Meinungsbildung – überhaupt nicht kannten Der ständige Bürgerrat, bestehend aus 24 per Los ermittel- Am Tag der Demokratie überreichen wir die erarbeiteten Ergebnisse aus dem Bürgerrat an der Bundestag bereits de- immer wieder verteidigen und hochhalten“ – Studierende, LKW- ten Männern und Frauen, wurde am 16. September eingesetzt. unseren Bundestagspräsidenten Wolfgang battiert hat. Geht es um Fahrer*innen, Lehrkräfte Er bleibt 18 Monate im Amt, danach wird alle sechs Monate ein Schäuble. Vorher kreiert der Künstler John Quigley die spätere Umsetzung der RALPH BRINKHAUS Ingenieur*innen, Men- Drittel der Mitglieder durch neu ausgeloste Bürger*innen er- mit uns eine Luftbild-Aktion. Wir brauchen ca. 1000 Empfehlungen des Bür- schen aus der Kranken- setzt. Diese kommen aus Bürgerversammlungen von 25 bis 50 Demokratie-Begeisterte, die zusammenkommen und mit ihren Körpern ein Zeichen der Demokratie gerrates, sind Abgeordne- pflege – ein Querschnitt Mitgliedern, die ebenfalls per Los ermittelt werden. Pro Jahr sol- formen, das aus der Luft fotografiert und aufge- te als Beteiligte am Bürgerrat Bindeglieder in das Parlament. der Gesellschaft – hatten sich dafür in einem Dubliner Hotel ver- len die gelosten Bürgerrat-Teilnehmenden ein bis drei Themen zeichnet wird. „In einer Demokratie zu leben ist leider keine Selbstver- sammelt. Befürwortende sowie Gegner der Verfassungsänderung. behandeln, die von der Regierung, dem Parlament, zwei seiner ständlichkeit, auch wenn wir uns in Deutschland mittlerweile Sie haben miteinander geredet, Argumente ausgetauscht, das Für Mitglieder oder normalen Bürger*inn vorgeschlagen werden WANN? sehr daran gewöhnt haben. Daher ist es unerlässlich, dass wir und Wider abgewogen. „Not exactly the stuff of political revolu- können und die dafür hundert Unterschriften sammeln müssen. 15.11.2019, 9:30 Uhr den Kern der Demokratie – den offenen und transparenten Pro- tion“, wie eine Tageszeitung kommentierte. Und doch gelang es Das Mindestalter der Auszulosenden ist auf 16 Jahre festgelegt, WO? zess der Meinungsbildung – immer wieder verteidigen und diesen Bürger*innen, eine der politisch und ethisch schwierigsten die Teilnahme ist freiwillig. Beschlüsse sollen i.d.R. im Konsens Reichstagswiese, Platz der Republik hochhalten“, sagte Ralph Brinkhaus, CDU/CSU-Fraktionschef Fragen von Konfrontation in Richtung Konsens zu drehen. Ich gefasst werden, mindestens aber mit einer Vierfünftel-Mehrheit, So sieht eine Aerial-Art-Aktion von oben aus. im Bundestag, bei der Regionalkonferenz in Gütersloh. finde, dieses Beispiel kann uns Mut in die Gestaltungskraft unse- und vom übergeordneten Bürgerrat an das Parlament und die Re- (John Quigley, Rio de Janeiro) rer Demokratien machen“, so der Bundespräsident. gierung weitergeleitet werden. Die Bürgerrat-Empfehlungen sind Jubel auf Facebook nicht bindend, allerdings müssen sich Regierung und Parlament Nach den Regionalkonferenzen begann das Losverfahren Geloste Gremien sind repräsentativer öffentlich rechtfertigen, wenn sie die Bürger*innen-Empfehlun- für den bundesweiten Bürgerrat. 75 Kommunen vom Dorf „Wenn es darum geht, die sozialen Merkmale und Weltanschau- gen ablehnen. bis zur Großstadt hatten Adressen von per Zufall ausgewähl- ungen der Gesamtbevölkerung möglichst gut widerzuspiegeln, ten Einwohner*innen zur Verfügung gestellt, die die deutsche sind geloste Gremien repräsentativer“, sagte der Politikwissen- Unterstützung vor Ort Staatsangehörigkeit besitzen und mindestens 16 Jahre alt sind. schaftler Prof. Dr. Hubertus Buchstein jüngst in einem Beitrag Unterstützung findet unser Projekt Bürgerrat Demokratie bei Die Adressinhaber*innen wurden angeschrieben und eingeladen, der FAZ zum Thema. Auf kommunaler Ebene sei die Wahr- Bürgerinitiativen vor Ort. „Die Leute bekommen bei einem am Bürgerrat in Leipzig teilzunehmen. Aus den Bewerber*innen scheinlichkeit sehr hoch, im Laufe seines Lebens ausgelost zu Bürgerrat wieder das Gefühl, dass ihre Meinungen und Ideen ist eine Gruppe von Menschen entstanden, die von Geschlecht, werden. Wenn die Bürger*innen dann die Arbeit im Gremium und auch Anliegen wieder gehört und auch wirksam werden.“ Alter, Bildung, Wohnort, Gemeindegröße und Migrationshinter- aufnähmen, würden sie ein nachhaltiges politisches Interesse So beschreibt Johanna Weber eine der wichtigsten Funktionen grund her ein sehr gutes Abbild der tatsächlichen Bevölkerung über die Zeit im Bürgerrat hinaus entwickeln. Dies sei durch Stu- von gelosten Bürgerversammlungen. Weber von der Gruppe darstellt. Die Benachrichtigung der Teilnehmenden löste Freude dien belegt. Zur Beratung in Bürgerräten bieten sich für Buch- „Nur Mut!“ hatte zusammen mit anderen Frauen den ersten Thorsten Sterk aus. „Unfassbar!!!!! Bürgerrat der Demokratie … und ich bin stein Zukunftsthemen an, die eine hohe Relevanz für viele Gene- Bürgerrat in Berlin angestoßen. Sie hatte es geschafft, dass Campaigner beim Bürgerrat dabei“, jubelte eine der Ausgelosten auf Facebook. rationen hätten, wie etwa der Klimaschutz. Zudem böten sich Stadt und Bezirk die von der Gruppe entwickelte Idee aufgrei- Demokratie. Einige Kommunen enthielten ihren Bürger*innen jedoch gerade auf kommunaler Ebene geloste Gremien an, wenn die fen und die Durchführung eines Bürgerrates auch finanzieren. auch eine mögliche Teilnahme am Bürgerrat vor. So verweiger- Konfliktlagen komplex seien, wie oft bei der Verkehrsplanung. Im Stadtbezirk Tempelhof-Schöneberg stieß die Initiative auf 12 www.mehr-demokratie.de | Nr. 121 | 3/2019 13
GRUNDLAGEN GRUNDLAGEN Aus ganz Deutschland kamen insgesamt 160 Menschen für das erste Bürgerrats-Wochenende nach Leipzig um darüber zu beraten, wie die Zukunft der Demokratie gestaltet wer- den kann. Die Ergebnisse werden Am 15. November – am Tag für die Demokratie – an den Bundestagspräsidenten Wolfgang Schäuble überreicht. 14 www.mehr-demokratie.de | Nr. 121 | 3/2019 15
GRUNDLAGEN GRUNDLAGEN Ich bin heute morgen, nein eigentlich schon seit Wochen sehr gespannt auf die Organisation und das ganze Thema und ich muss sagen, es hat sich Ich bin hier, weil ich ausgelost wurde, worüber ich ganz eigentlich jetzt schon gelohnt hierher zu kommen. stolz bin. Ich möchte zudem gern Gleichgesinnte treffen Ich erhoffe mir natürlich, dass das was wir hier beziehungsweise andere Meinungen hören, was Demo- besprechen auch Anklang findet und nicht in kratie für Andere ausmacht. Und bin sehr gespannt, was einer Schublade verschwindet. Ich bin da guter am Ende bei dem Prozess herauskommt.“ Dinge, so wie das hier organisiert ist, wird das eine gute Sache. Nein ist eine gute Sache.“ GERD LAUTENSCHLÄGER AUS LUCKENWALDE VERONIKA SCHNEIDER AUS RHEINLAND-PFALZ Ich bin ganz gespannt, was mich hier bei der Ver- anstaltung Bürgerrat Demokratie erwartet. Ich bin Ich sehe es als Verpflichtung, nicht nur in einer Demokratie fasziniert davon, wie viele Menschen hier zusam- zu leben und zu fordern und zu nehmen, sondern auch zu mengekommen sind und wirklich über das Thema, geben. Das war eine Motivation, warum ich beschlossen wie kann ich die Demokratie auch selber mitgestal- habe hier teilzunehmen und mitzuwirken. Ich bin anfangs ten, auch für die Zukunft, mitbestimmen. Ja, ich bin sehr skeptisch gewesen, was das Ganze hier bewirken kann. ganz begeistert. Das ist ein tolles Thema.“ Ist das nur Augenwischerei nach dem Motto: Wir beteiligen die Bürgerinnen und Bürger am demokratischen Prozess. Als ich den Brief bekommen habe, war ich sehr KATHARINA ADAM AUS LUCKENWALDE Dieses Vorurteil habe ich jetzt schon revidiert. Ich finde es überrascht, also im guten Sinn. Das scheint mir sehr spannend und sehr gut organisiert und moderiert.“ eine Möglichkeit, die man ganz selten hat. Diese Möglichkeit wollte ich nutzen. Jetzt kommt es ANGELIKA PREUSS AUS NÜRNBERG darauf an, welche Ideen wir entwickeln. Ich glaube, am Ende ergeben sie ein gutes Ergebnis.“ NIKOLAS MÜLLER AUS ULLSTADT Das ist das Schönste, was ich beruflich Ich finde es sehr interessant hier und freue mich, dass ich je gemacht habe.“ für die Veranstaltung ausgewählt wurde. Ich finde, dass sich Bürger mehr an der Politik beteiligen sollten, denn DR. CHRISTINE V. BLANCKENBURG, HAUPTMODERATORIN Meckern kann man, aber man muss auch was machen.“ BEIM BÜRGERRAT DEMOKRATIE KATRIN LINKE AUS MONZELFELD 16 www.mehr-demokratie.de | Nr. 121 | 3/2019 17
GRUNDLAGEN GRUNDLAGEN 5 FRAGEN AN JOHN QUIGLEY Der für das Aerial Art zuständige Aktionskünstler erläutert, wieso er mit Mehr Demokratie zusammenarbeitet und was ihn an dem Thema reizt. FRAGEN: SEBASTIAN LÜKE 1. Warum kommst du diesen November nach Berlin? schaft, die sich für mehr politische Beteiligung einsetzen. Wir 3. Hast du Ratschläge für Menschen, die sich gerne Meine Arbeit umfasst die Kreation großformatiger Botschaften müssen uns selbst und die Welt erinnern, dass wir bereit sind, anschließen möchten? auf Landschaften. Damit möchte ich gemeinsam geschaffene für die Demokratie aufzustehen – und dass viel mehr dazuge- Sei bereit, Spaß zu haben und gemeinsam mit vielen anderen Kunst im Interesse des Gemeinwohls und mit Bezug zu wichti- hört als nur Parteien und Parlamente. Die Bewegung für direkte inspiriert zu werden. Du teilst den Wunsch nach einer fairen, gen Themen ermöglichen. Als Claudine und Roman von Mehr Demokratie ist in Deutschland besonders einflussreich. Ich offenen und gerechten Demokratie? Dies ist eine Gelegenheit, Demokratie anfingen, den Bürgerrat Demokratie mit mir zu sehe die Gelegenheit mit dem Bürgerrat von Mehr Demokratie die eigene Identität durch das gemeinsame Schaffen einer gi- diskutieren, hatte ich sofort ein Bild im Kopf: Berlin als perfek- zusammenzuarbeiten als Chance, eine stärkende und ermuti- gantischen Form und Botschaft zu erweitern, die nur aus der ter ikonischer Ort, um eine Bild-Botschaft zur Stärkung der gende Botschaft in die Welt zu senden: Mehr Demokratie ist Vogelperspektive sichtbar wird. Finde heraus, wie es sich an- Demokratie zu versenden. Mit seiner beeindruckenden politi- möglich ist und jetzt ist genau der Zeitpunkt dafür, die Demo- fühlt, Teil von etwas zu sein, dass so viel größer ist, als jeder*r schen Geschichte und weltweiten Vorreiterrolle in der Kunst- kratie weiterzuentwickeln Einzelne. Vergiss für einen Moment Smartphone und Computer welt ist Berlin in dieser kritischen Zeit weit ausstrahlende Pro- und erlebe die Verbindung einer Gemeinschaft. jektionsfläche. Die De-mokratie ist derzeit weltweit durch den 2. Was versuchst du mit deinen Aerial-Art-Skulpturen Aufstieg rechtsextremer faschistischer Ideologien und Bewe- auszudrücken – insbesondere in dieser? 4. Warum hast du dich mit Mehr Demokratie gungen bedroht. Glücklicherweise erstarken aber zugleich Bür- Jede Aerial-Art-Skulptur hat zwei Ziele: Erstens die Menschen zusammengeschlossen, um das zu realisieren? gerbeteiligung und soziale Bewegungen in der Zivilgesell- zusammenzubringen, um eine Botschaft zu einem wichtigen Ich war beeindruckt von Romans und Claudines Arbeit für Der Aktionskünstler John Quigley Thema zu senden. Zweitens die Idee auszudrücken, dass jede*r Mehr Demokratie. Ihre Vision ist, dass die Arbeit an der Demo- zählt und jedes Leben ein Kunstwerk ist. Die Aerial-Art-Skulp- kratie täglich und in ständiger Weiterentwicklung stattfinden erarbeitet mit Mehr Demokratie für turen sind ein Weg uns zu erinnern, dass wir alle als Menschen muss. Es braucht konstante Sorgfalt und Aufmerksamkeit, da- den 15. November 2019 – dem Tag der verbunden sind. Es gibt tatsächlich keinen anderen Weg, diese mit sie gedeiht und nicht korrumpiert wird. Jede*r von uns hat Demokratie – eine Aerial-Art-Skulptur. Art von Bild zu schaffen als die Beteiligung der einzelnen Men- die Verantwortung, eine Rolle in unserer Gesellschaft zu über- Seine bisherige Arbeit führte ihn von schen. Es ist das perfekte Medium, um die Idee von Demokratie nehmen. Wenn alle Stimmen gehört werden, funktionieren un- als Zusammenklang von vielen einzelnen Stimmen auszudrü- sere Familien, unsere Gemeinschaften und unsere Welt einfach der Antarktis über Paris und nach Rio cken. In diesem Fall drücken Menschen ihre Stimme durch ihre besser. Mehr Demokratie hat weltweit eine Vorreiterrolle für de Janeiro. Anwesen-heit und ihren Körper aus. Ein Hauptziel dieser direkte Demokratie. Von dieser Arbeit können Gruppen in an- Skulpturen ist es, Menschen dazu zu inspirieren, ihre Kreativi- deren Ländern viel lernen, auch in den USA, wo die Demokra- tät auszudrücken. Die meisten Menschen entscheiden in jungen tie von der gegenwärtigen Regierung bedroht wird. Ich möchte Jahren, wenn sie nicht hervorragend singen, tanzen, musizieren meinen kreativen Beitrag leisten, um die großartige Arbeit von oder malen können, bewusst oder unbewusst, dass sie einfach Mehr Demokratie aufzuwerten. Wir brauchen diese Art von nicht kreativ sind. Bei Aerial-Art-Veranstaltungen erleben die Demokratie-Stärkung in jedem Land. Teilnehmer*innen, wie sie ihre eigene kreative Energie wieder erwecken können. Ich glaube, dass der größte unerschlossene 5. Kannst du uns schon verraten, wie dieses natürliche Rohstoff der Menschheit unsere kollektive Kreati- Kunstwerk aussehen wird? vität ist. Diese Veranstaltungen können ein Anfang sein, um Das Kunstwerk entwickle ich derzeit mit meiner Mitarbeiterin diese Kreativität freizusetzen. Viele Menschen aller Alters- Jessica Klampe und dem Team von Mehr Demokratie. Was ich gruppen, die sich niemals einer Demonstration oder einem Pro- verraten kann, ist das wir etwas Schönes, Inspirierendes und zum test anschließen würden, werden von solchen Aktionen angezo- Denken Anregendes schaffen werden. Alle sind eingeladen, sich gen. Die Teilnahme an einer Aerial-Art-Skulptur kann der an der gemeinsamen Kreation zu beteiligen. Diese Erfahrung Anfang eines neuen Lebensabschnittes sein, sowohl kreativ, als übersteigt die Sichtweisen der einzelnen Menschen. Aerial Art ist auch was politische und soziale Aktivität betrifft. eine lebendige Kunstform. Seid offen. Lasst euch überraschen! / 18 www.mehr-demokratie.de | Nr. 121 | 3/2019 19
REZENSION REZENSION 6,7-fache erfahren. Und zwar unter öffentlicher Kontrolle. Die Für das Vorgehen einer neuen Partei macht er jedoch interes- Fraktionsgelder – nicht unter öffentlicher Kontrolle – seien im sante Vorschläge: Das Vertrauen der Wähler*innen solle die gleichen Zeitraum auf das 35-fache angehoben worden (s. Kapi- Proxy-Partei durch handfeste Sicherheiten gewinnen: Erstens tel 6.1). Das hebe die Eintrittshürden für neue Parteien: „Neben in Form von garantierten direkten Mitbestimmungsrechten der ABKÜRZUNG den drei Gründungsparteien (CDU/ CSU, SPD, FDP) haben es in den 68 Jahren der Bundesrepublik Deutschland nur drei neue Parteien erreicht, in den Bundestag gewählt zu werden“. Mitglieder per Liquid Democracy. Zweitens durch sichere Transparenz mittels eines „Blockchain-Protokolls“ über alle wichtigen demokratierelevanten Prozesse der Partei – wie etwa ZUR DIREKTEN Auf Basis einer gründlichen Auswertung der Piratenpartei schlägt Monien eine Proxy-Partei mit den Kernthemen Demo- gleiches Stimmgewicht, Einhaltung der Prozessschritte und Fristen, verwendete Entscheidungsgrundlagen inklusive Fak- DEMOKRATIE kratie und Transparenz vor. Auf diesen Feldern sieht er bereits genug Handlungsbedarf: zum Beispiel die Einführung der di- rekten Demokratie auf Bundesebene nach dem Vorschlag von tenchecks. Ein solches Blockchain-Protokoll sei robust gegen Manipulation, weil alle Mitglieder immer eine aktuelle Kopie davon hätten. Wer es beeinflussen wolle, müsste mehr als die Mehr Demokratie e.V., unterstützt von gelosten Gremien, De- Hälfte der Mitglieder von seiner Version überzeugen. Damit Über ein neues Parteienmodell, bei dem Ab- mokratisierung der EU, Amtszeitbegrenzung, Lobbyregister, nicht nur die Risiken des Internets sich verwirklichen, sondern geordnete die Abstimmungsergebnisse ihrer ein Wahlrecht, bei dem man auch seine zweite und dritte Wahl auch dessen Chancen für die Demokratie, ist ein beherzter, neu- ausdrücken kann. er Versuch, eine Proxy-Partei zu gründen, durchaus zu befür- Mitglieder mit Pro, Contra und Enthaltung Wesentliche Motivation sind für ihn zudem die vielen auf- worten. Durch die Erfahrungen der Piraten läge der Start be- eins zu eins ins Parlament übertragen. Eine gestauten Herausforderungen und ungenutzten Lösungsansät- reits ein Level höher. Einzig einen Ethik-Kodex und einen Rezension. ze. Er listet dabei unter anderem das Fair-Handelsmodell von Grundwerte-Konsens, wie etwa „Demokratie in Bewegung“ Karl-Martin Hentschel auf (Zölle nur bei Nichterfüllung von sie hat, sollte die Partei nach Ansicht des Rezensenten zusätz- VON DANIEL WITTIG Menschenrechts- und Umweltstandards), das Vollgeld, das be- lich vereinbaren. Vor allem sollte zu Anfang der Proxy-Partei dingungslose Grundeinkommen im Zusammenhang mit Ratio- entschieden werden, dass in deren Liquid Democracy nament- nalisierung und Automatisierung, den derzeitigen Zwang zu lich abgestimmt wird. Hier braucht es digitalen Mut. Wenn das „Du wirst die Dinge niemals ändern, indem du das Beste- Peter Monien: einem Wirtschaftswachstum, das die Ressourcen der Erde Programm einer (potentiell) im Bundestag abstimmenden Par- hende bekämpfst. Um etwas zu verändern, baue ein neues Mo- „Abkürzung zur direkten Demokratie – Das übersteigt, sowie die Herausforderungen des abnehmenden tei individuell mitgestaltet werden soll, sollten die Einzelnen dell, welches das alte überflüssig macht.“ - Buckminster Fuller Unmögliche im jetzigen System erreichen“, Qualitätsjournalismus und der digitalen Überwachung, für die auch namentlich zu den Entscheidungen stehen. Diese würden unabhängig publiziert über Amazon, ebenfalls Lösungsideen bestehen. im Regelfall im internen Bereich verbleiben und insbesondere Stellen Sie sich vor, Sie stimmen als Mitglied Ihrer Partei ISBN: 9781790684632, 7,99 Euro. Als wesentlichen Aspekt der vorgeschlagenen Proxy-Partei erlauben, Abstimmungsergebnisse zu verifizieren und Vertrau- direkt über eine CO2-Steuer ab. Dabei sind 70 Prozent dafür, 20 kann man die „Liquid Democracy“ sehen: Jeder Vorschlag en zu anderen Mitgliedern aufzubauen. Prozent dagegen und zehn Prozent enthalten sich. Am nächsten müsse zwecks Priorisierung gewisse Hürden nehmen, um zur Die Vision eines neuen Parteienmodells von Peter Monien Tag votieren Ihre zehn Abgeordneten im Parlament ebenfalls Abstimmung zu gelangen. Das Neue dabei sei die Arbeitstei- ist durchdacht und bietet viele Anknüpfungspunkte, Demokra- mit sieben Stimmen dafür, zwei Stimmen dagegen und einer lung durch Delegieren: Vertraut man beispielsweise jemandem tie direkter zu gestalten und dabei den technologischen Fort- Enthaltung zur CO2-Steuer. Das Modell macht Schule. Bald ha- in puncto Familienpolitik, könnte man ihm*ihr für diesen Be- schritt zu nutzen. Das Buch stellt hierbei die richtigen Fragen ben nur noch solche Parteien Zulauf, deren Mitglieder derart aus Karrieregründen. Außerdem seien kleine Ausschuss-Gre- reich die eigene Stimme delegieren und sich auf die eigenen und nähert sich auf pragmatische und umsichtige Weise der Fra- direkt ins Parlement „hinein-votieren“ und bei wenig Zeit auch mien sehr mächtig, weil den Abgeordneten Zeit fehle, sich Kern-Themen konzentrieren. Die Delegation könnte man jeder- ge nach mehr Bürgerbeteiligung auf Bundesebene. Das entwor- flexibel an Parteimitglieder delegieren können – das alte Mo- tiefergehend mit der Flut der Vorlagen zu befassen. Diese Gre- zeit ändern oder selbst abstimmen – man bleibt also ‘liquide’ fene Modell hat das Potential, die bestehenden Parteien über- dell mit Fraktionszwang und Langzeit-Delegierten-Parteitagen mien seien leicht und intransparent von Lobbyist*innen zu be- Einen ersten Anlauf zu Liquid Democracy habe die Piraten- flüssig zu machen. - Projizieren wir unsere Präferenzen wird überflüssig. Diese Vision entwirft Peter Monien in seinem einflussen. partei unternommen – ohne jedoch die unverbindliche Testpha- prozentgenau ins Parlament! Per Proxy-Partei. / Ende 2018 erschienenen Buch „Abkürzung zur direkten Demo- Peter Monien konstatiert mit Verweis auf den Verfassungs- se zu verlassen. Der Grund sei eine erbitterte Datenschutz-De- kratie“. rechtler Herbert von Arnim „versteinernde“ Effekte durch die batte: „Wir wollen keine Gesinnungsdatenbank durch Der Autor mit Erfahrungshintergrund in der Marktent- derzeitige Parteien-Finanzierung, welche die bestehenden Bun- namentliche Abstimmung“, sagten sinngemäß die einen. Die Daniel Wittig wicklung technologischer Produkte stellt zu Anfang dar, war- destagsparteien massiv bevorzuge: Nachdem 1967 die Parteien- anderen erwiderten: „Namentliche Abstimmung ist unerläss- Mitarbeiter von Mehr Demokratie in um wir einen neuen Typ von Partei – die „Proxy-Partei“ – brau- finanzierung aus öffentlichen Geldern eingeführt wurde, zur lich, um elektronische Abstimmungen überprüfbar zu halten Fundraising und IT, Mitglied des AK chen: Meist legten heute basis-ferne Parteiführungen fest, wie Deckung der „notwendigen Kosten eines angemessenen Wahl- und außerdem um geeignete Delegations-Empfänger*innen zu Digitalisierung. abgestimmt werden soll. Abgeordnete folgten der Vorgabe oft kampfes“, habe sie von 1968 bis 2015 eine Erhöhung auf das finden“. In dieser Frage gibt Monien keine klare Empfehlung. 20 www.mehr-demokratie.de | Nr. 121 | 3/2019 21
EUROPA & INTERNATIONAL EUROPA & INTERNATIONAL DIE ZUKUNFT DER EU LIEGT IN IHRER REFORMFÄHIGKEIT Die Wahlen zum EU-Parlament sind vorbei und offenbarten, dass die Bürger*innen dieser Institution großes Vertrauen entgegenbringen. Jetzt ist es an der Zeit, den nächsten Schritt zu gehen, und die EU einer demokratischen Generalrevision zu unterziehen, um sie stark zu machen angesichts der vielfältigen Herausforderungen, die auf uns zukommen. VON STEFAN PADBERG Was wurde nicht gejammert und geklagt: Schicksalswahlen, richterstattung im Vorfeld der Wahl schien mir ausführlicher zu das Ende der EU drohe, die Nationalisten würden nach der sein als bei früheren Gelegenheiten. Über bestimmte markante Wahl die EU blockieren usw. Ich konnte mich diesen Dramati- Ereignisse wie z.B. Macrons Initiative „Pour une Renaissance sierungen nie recht anschließen und finde, dass die Bürger*innen européenne“ wurde in allen 28 Mitgliedsstaaten berichtet und sich letzten Endes sehr klug und verantwortungsvoll gezeigt diskutiert, ebenso über Viktor Orbáns Erwiderung. Beide Poli- haben. Es gab keinen Durchmarsch der Anti-EU-Kräfte, und tiker führten einen Wahlkampf, der nicht nur auf das eigene die „große Koalition“ aus Christ- und Sozialdemokraten hat Land zugeschnitten war, sondern deutlich auf die europäische ihre Mehrheit verloren, was die Debattenqualität im Parlament Bühne abzielte. verbessern wird. Aber noch andere Phänomene sind mir aufge- Mein Eindruck ist, dass wir mit diesem Wahlkampf einer eu- fallen, die mich optimistisch stimmen. ropäischen Medienöffentlichkeit einen großen Schritt näherge- kommen sind. Dieser Eindruck wird auch nicht getrübt durch die Passive wie aktive Wahlbeteiligung nahm zu (im Übrigen voraussehbare) Abwicklung des Spitzenkandidaten- Die Wahl zum Europäischen Parlament hat vor allem eines ge- verfahrens nach der Wahl. Ich kann mich jedenfalls nicht erinnern, zeigt: die Bürger*innen der EU wollen dieses Parlament. Die dass jemals so ausführlich über die Beratungen des Europäischen Wahlbeteiligung war deutlich höher als bei den letzten Wahlen. Rates berichtet worden wäre wie dieses Mal. Es gab minütlich Seit 1999 lag sie immer unter 50 Prozent, während sie bei der aktualisierte Ticker mit allen im Umlauf befindlichen Gerüchten, Wahl dieses Jahr im europäischen Durchschnitt auf über 50 Halbwahrheiten, Meinungen und Statements aus dem Rat und Prozent gestiegen ist. seinem Umfeld. Als Bürger*in konnte man ohne viel Mühe ein In vielen Ländern – vor allem in den großen Mitgliedsstaaten relativ klares Bild des Meinungsbildungs-prozesses und der ver- Deutschland, Frankreich, Spanien und Italien – wurde aber nicht schiedenen Interessen bekommen, die zusammengeführt werden nur vom passiven Wahlrecht verstärkt Gebrauch gemacht, sondern mussten. Der Ausdruck „Hinterzimmerpolitik“ passt hier folglich Foto: Christian Wiediger | Unsplash auch vom aktiven. Viele kleine Gruppierungen traten voller En- überhaupt nicht mehr. gagement und Enthusiasmus zu den Wahlen an. Wer würde sich Am Ende war es doch spannend, wie Frau von der Leyen der Mühe eines Wahlkampfes unterziehen, wenn das Parlament ihre politischen Absichten im Parlament erklären musste. In als Ort der Auseinandersetzung für die eigenen Ziele nicht eine dieser intensiven Weise hätte Manfred Weber dies sicherlich Wertschätzung erfahren hätte? nicht gemusst. Wenn sich alle an das Spitzenkandidatenverfah- ren gehalten hätten, wäre seine Wahl ja eine ausgemachte Sache Die europäische Medienöffentlichkeit kommt voran gewesen. Aber Frau von der Leyen musste kämpfen, musste sich Vielleicht ist es nur ein subjektiver Eindruck, noch dazu aus erklären und musste zumindest den Eindruck von verbindlichen dem relativ europafreundlichen Deutschland, aber auch die Be- Zusagen erwecken. Ich kann mich nicht erinnern, dass vor der 22 www.mehr-demokratie.de | Nr. 121 | 3/2019 23
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