Stadtpunkte THEMA - Hamburgische Arbeitsgemeinschaft für ...

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Stadtpunkte THEMA                                                Hamburgische Arbeitsgemeinschaft
Informationen zur Gesundheitsförderung | Ausgabe 01 | Mai 2021   für Gesundheitsförderung e.V.

»
„Die Jugend von heute“
Chancen und Herausforderungen
für gesundes Aufwachsen,
Beteiligung und gerechte Teilhabe
Stadtpunkte THEMA - Hamburgische Arbeitsgemeinschaft für ...
2              | INHALT

     » 3 		               Editorial

     »         		Thema                                                                                     20
               4          Die JUCO-Studien
               		 Lea Heyer, Severine Thomas

               6          Die COPSY-Studie
               		 Anne Kaman, Teresa Seum,
               		 Christiane Otto, Ulrike Ravens-Sieberer

               8          Die Sinus-Jugendstudie
               		 Heide Möller-Slawinski

               10         Peerbeziehungen im Jugendalter
               		 Kien Tran
                                                                      10
               12         Der Wegeweiser
               		 Anna Lena Rademaker

               16         Beziehungsfähig bleiben
               		 Beate Proll

               18 Jugendliche und digitale                    30 Leaving Care
               		 Gesundheitskommunikation
                                                              		 Lea Heyer, Severine Thomas

               		 Claudia Lampert
                                                              32      Das Projekt STREETWORK+
               20 Rücksichtslos und feierwütig oder           		 Claudia Kornetzki, Tanja Minck, Miriam Lossau

                          vulnerabel und hoch belastet?
               		 Christiane Lieb
                                                              34 10 Jahre Jugend Aktiv Plus
                                                              		 Katrin Triebl, Sieglinde Ritz

               22         Von Pokémon Go & Co lernen
                                                              36 Autonome Öffnungen
               		 Verena Krah, Demian Frank,
               		 Kevin Dadaczynski                           		 Jan Fischer, Alexandra Schüssler, Lukas Schütt

               24         Schulgarten                         38 Den eigenen Weg finden
                          stärkt Selbstwirksamkeit            		 Juliane Tausch
               		 Svenja Rostosky

               27         Akzeptanz von Schulverpflegung
               		 Mia Jaensch, Silke Bornhöft               » 28      Impressum

HAG Stadtpunkte THEMA | 01 | Mai 2021
Stadtpunkte THEMA - Hamburgische Arbeitsgemeinschaft für ...
3

                                           Editorial

                                           Liebe Leser*innen,
                                           wir freuen uns, Ihnen unsere Zeitung „StadtpunkteTHEMA“ in neuem
                                           Gewand zu präsentieren – ein luftiges Design mit anregender Bildsprache
                                           und lesefreundlicher Gestaltung.
                                           Die Zeitung ist – neben dem neuen Logo, dem neuen Webauftritt und anderen

18
                                           Produkten – ein weiterer Umsetzungsschritt in der Neuausrichtung des
                                           Corporate Design der HAG. Wir freuen uns auf Ihr Feedback.

                                           Jugendliche und junge Erwachsene waren zu Beginn der Pandemie wenig gefragt.
                                           In der Öffentlichkeit häufig auf ihre Rollen als Schüler*innen, Auszubildende
                                           oder Studierende reduziert, wurden ihnen eher stereotype Problem-Rollen
                                           zugeschrieben und zu wenig ihre Ressourcen und ihre Bedarfe in den Blick
                                           genommen. In bewundernswerter Weise haben junge Menschen Solidarität
                                           mit älteren Menschen geübt, und schützen mit ihrem Verhalten (Groß-)Eltern,
                                           Geschwister, Freund*innen. Und sie engagieren sich – unter anderem in
                                           NGOs oder in Impf- und Testzentren.

                                           Es gibt Studienberichte und Stellungnahmen, in denen die besonderen Heraus-
                                           forderungen und Problemlagen von Jugendlichen aufgezeigt werden. Offensicht-
                                           lich ist, dass es DIE JUGEND nicht gibt – sondern Jugend vielfältig ist, auch in
                                           der Corona-Pandemie. Dennoch mehren sich verstärkt Hinweise zunehmender
                                           psychosozialer Belastung bis hin zu Erkrankungen aufgrund von sozialer Distanz,
                                           eingeschränktem oder unregelmäßigem Kontakt zu Gleichaltrigen, familiären
                                           Konflikten, verringerten Freizeitaktivitäten, unsicherer (Aus-)Bildungsperspek­
  Bestellen Sie unseren Newsletter         tiven, Zukunftsängsten und weiteres mehr. Jugendliche fühlen sich von der Politik
                                           nicht gehört. Die ersten Beiträge in dieser Ausgabe zeichnen in den Analyse­
                 Stadtpunkte AKTUELL“:     ergebnissen diesbezüglich ein übereinstimmendes Bild.
         newsletter@hag-gesundheit.de
    oder unter www.hag-gesundheit.de.      Die hier vorgestellten Beispiele für Angebote zur Unterstützung gesunden
          Er informiert Sie sechs Mal im   Aufwachsens reichen von digitaler Gesundheitskommunikation über die spiele-
               Jahr über Aktivitäten und   rische Vermittlung von Gesundheitskompetenz bis zur praktischen Stärkung von
   Veranstaltungen der HAG sowie über      Ressourcen durch partizipative Gestaltungsprojekte. Autonomie lernen, eigene
                   gesundheitspolitische   Wege finden, Selbstwirksamkeit erleben – Identitätsfindung scheint schwieriger
 Themen und Termine in Hamburg und         zu sein als in vormaligen „normalen“ Zeiten.
                       auf Bundesebene.
                                           Weitere Artikel wenden sich den schwierigen Lebenslagen von jungen Menschen
                                           zu, die beispielsweise den Übergang aus Jugendwohngruppen oder Pflegefamilien
                                           bzw. die gesundheitlichen Risiken von Wohnungslosigkeit zu bewältigen haben.
                                           Die Summe der Beiträge betont die Notwendigkeit, die jungen Menschen stärker
                                           in den Fokus von Gesundheitsförderung und Prävention zu nehmen. Multiple
                                           Beeinträchtigungen bedürfen dazu mehr als niedrigschwellige Angebote einzelner
                                           Projekte. Die strategischen Eckpunkte des gemeinsamen Verständnisses sollten
                                           in umsetzungsfähigen integrierten Angeboten münden.

                                           Wir danken allen Autor*innen für die Beteiligung an dieser Ausgabe und
                                           wünschen Ihnen eine anregende Lektüre.

                                           Das Redaktionsteam

                                                                                            HAG Stadtpunkte THEMA | 01 | Mai 2021
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4              | DIE JUCO-STUDIEN

               Wie geht es Jugendlichen
               in der Pandemie?
               Ergebnisse der JuCo-Studien zum Wohlbefinden
               junger Menschen in der Corona-Zeit
               Lea Heyer, Severine Thomas

               Seit mehr als einem Jahr hat sich das Leben der            Lebens- und Gefährdungslagen junger Menschen
               Menschen durch die Corona-Pandemie deutlich                Der Fragebogen lehnt sich an erprobte Fragen aus der
               verändert. Besonders zu Beginn der Pandemie                Studie „Children’s Worlds+“ (Andresen et al. 2019)“ an.
               wurde wenig darüber gesprochen, wie es jungen              Diese wurden um pandemiespezifische Fragen ergänzt.
               Menschen in der Corona-Pandemie geht. Sie waren            Leitend war dabei die Überzeugung, dass das Einbezie-
               aus der öffentlichen Wahrnehmung beinahe ver-              hen der Perspektive junger Menschen auf die Pandemie
               schwunden, allenfalls standen ein kritischer Blick         essenziell ist, um Lebens- und Gefährdungslagen sichtbar
               auf Schulabschlüsse oder die Einhaltung von                zu machen (vgl. Deutsches Institut für Menschenrechte
               Regeln im Fokus. Ihr Wohlbefinden, ihre Erfahrun-          2020). Entsprechend sollen die JuCo-Studien auch dazu
               gen und ihre Belastungen waren selten Thema.               beitragen, (Hilfe-)Bedarfe junger Menschen aus deren
                                                                          Sicht zu erfassen.
               Vor diesem Hintergrund beschlossen Jugendforscher*in­
               nen der Universitäten Frankfurt am Main und Hildesheim     Die Studien erzielten einen beeindruckend hohen
               im Frühjahr 2020 die Durchführung einer Studie zu          Rücklauf (n = 5.520 bei JuCo I und n = 7.038 bei JuCo II).
               den Erfahrungen und Perspektiven Jugendlicher in der       Aufschlussreich ist zudem der riesige Schatz an persönli-
               Corona-Zeit, kurz JuCo.                                    chen Rückmeldungen der Befragten in einem Freitextfeld
                                                                          am Ende der Erhebung. Davon machten 10 % (JuCo I)
               Die Studien JuCo I und JuCo II orientieren sich am Kon-    bzw. 20 % (JuCo II) der Befragten Gebrauch. Die Befunde
               zept des Wohlbefindens. Die internationale Forschung       der Studien beziehen sich u.a. auf die Bereiche Beteili-
               zeigt, wie wichtig u.a. die Wohnsituation, Sicherheit,     gung, Zukunftssorgen, soziale und materielle Ressourcen,
               Schulleistungen und soziale Beziehungen für das Well-      gesundheitliche Belastungen. Mit Blick auf das gesund-
               Being junger Menschen sind (Rees et al. 2020). Auch        heitliche und psychische Wohlbefinden junger Menschen
               die Möglichkeit zur Selbstbestimmung (Agency) hat eine     in der Corona-Zeit kommen die Studien zu folgenden
               hohe Bedeutung für das Wohlbefinden (Fattore 2009).        Ergebnissen:
               Daher wurde in den JuCo-Studien z.B. nach dem häusli-
               chen und sozialen Umfeld der jungen Menschen, ihrem        Insgesamt fühlen sich 64,1 % der befragten 15- bis
               Gefühl, gehört zu werden, und ihren Beteiligungsmöglich-   30-Jährigen teilweise bis deutlich psychisch belastet.
               keiten gefragt. Zudem interessierten uns Erfahrungen und   60,7 % stimmen zum Teil bis voll zu, sich einsam zu
               Perspektiven in Schule, Ausbildung, Beruf oder Studium.    fühlen, und für 68,7 % sind Zukunftsängste ein belas-
               Breiter als beispielsweise die COPSY-Längsschnittstudie    tendes Thema. Dagegen stimmen aber auch 34,8 %
               (Schlack et al. 2020) mit ihrem Fokus auf die psychische   (voll) zu, sich derzeit wohlzufühlen, und für 37 % trifft
               Gesundheit von jungen Menschen während der Corona-         dies immerhin teilweise zu. Durch die Maßnahmen zur
               Pandemie erlauben die Ergebnisse der JuCo-Studien          Pandemie­bekämpfung wurde fast das gesamte Leben auf
               daher einen umfassenden Einblick in den Lebensalltag       den Bereich zu Hause verlagert. Hier entstehen entspre-
               junger Menschen.                                           chend auch mehr Konflikte und mehr Druck, z.B. durch
                                                                          mehr Stress in der Schule und wenig Ausgleich: kaum
                                                                          abwechslungsreiche Freizeit, kein Chillen und Abhängen
                                                                          im öffent­lichen Raum. Das ist aber in der Jugendphase
                                                                          besonders wichtig u.a. für Selbstpositionierung und
                                                                          Entfaltung der Per­sönlichkeit. Fehlende offene Räume
                                                                          sind eine psychische Belastung für junge Menschen:

HAG Stadtpunkte THEMA | 01 | Mai 2021
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»   Ich habe mich
    noch nie
    so ohnmächtig
                                                               häufiger psychisch belastet fühlen als Jungen und junge
                                                               Männer. Unter den jungen Männern zeigen sich insbe-
                                                               sondere diejenigen mit weniger materiellen Ressourcen

    gefühlt.                                                   psychisch stärker beeinträchtigt. So bestätigt dies die
                                                               These, die Auswirkungen der Corona-Pandemie ver-
                                                               schärfen soziale Ungleichheiten. Auch fühlen sich junge
                                                               Menschen in dieser Zeit gesellschaftlich wenig gehört
                                                               und ernst genommen:
    „Mein gesamter Wochenablauf findet jetzt zuhause statt,
    wenn man von Arbeit und Lebensmitteleinkäufen absieht
    und das ist absolutes Gift für eine bereits angeknackste
                                                               Die Sorgen junger Menschen
    Psyche. Und das schlimmste ist, dass es gerade ‚allen‘
                                                               werden in der Politik gehört.
    so geht und man sich deswegen nicht beschweren darf.“
                                                                        stimme gar nicht zu
    Wenig gehört und ernst genommen                            23,8
    Die Befunde zeigen aber auch deutlich die Belastungen               stimme eher nicht zu
    mit Blick auf die Zukunft und die eigenen Bildungsper-     41,1
    spektiven sowie die finanzielle Sicherheit. Gesonderte              teils/teils
    Berechnungen zeigen, dass die psychische Belastung         27,5
                                                                        stimme eher zu
    insbesondere von denjenigen stark empfunden wird,
                                                               6,5
    denen z.B. „Orte zum Abhängen“ fehlen. Sie fühlen sich
                                                                        stimme voll zu
    in der Tendenz unwohler, einsamer, psychisch besonders
                                                               1,2
    belastet. Es zeigt sich außerdem, dass insbesondere        Angaben in Prozent / Quelle: JuCoII
    Mädchen, junge Frauen und nicht binäre Personen sich

                                                               Wie es jungen Menschen mit den geringen Möglichkeiten
                                                               der Gestaltung ihres sozialen Lebens, der Begegnungen
                                                               mit Peers, dem dichten Zusammenleben in ihren Fami-
                                                               lien, aber auch mit den gesellschaftlichen Aussichten
                                                               auf eine nicht mehr so freiheitliche Zukunft geht, welche
                                                               Sorgen sie um ihre eigene Gesundheit und die von engen
                                                               Vertrauten haben und wie sie sich auch in der Bewäl-
                                                               tigung der Krise beteiligt sehen, spielt bei politischen
                                                               und auch organisationalen Entscheidungen, z.B. in den
                                                               Schulen selbst, eine untergeordnete Rolle. Die Gefühle
                                                               von Belastung entstehen auch aus dem Eindruck einer
                                                               fehlenden Einflussmöglichkeit. So heißt es in einem
                                                               Freitext: „Ich habe mich noch nie so ohnmächtig gefühlt.“

                                                               Autorinnen und Literatur: Lea Heyer, heyer@uni-hildesheim.de,
                                                               Dr. Severine Thomas, thomass@uni-hildesheim.de, Universität
                                                               Hildesheim, Institut für Sozial- und Organisationspädagogik
                                                               Der vollständige Artikel kann abgerufen werden unter:
                                                               https://t1p.de/JuCo-Psychische-Belastungen

                                                                                                     HAG Stadtpunkte THEMA | 01 | Mai 2021
Stadtpunkte THEMA - Hamburgische Arbeitsgemeinschaft für ...
6              | DIE COPSY-STUDIE

               Die psychische Gesundheit und Lebensqualität
               von Hamburger Kindern und Jugendlichen
               Herausforderungen und Chancen
               Anne Kaman, Teresa Seum, Christiane Otto, Ulrike Ravens-Sieberer  

               Die COVID-19-Pandemie und die damit einher­                    der Pandemie verglichen. Die COPSY-Studie-Hamburg
               gehende Implementierung von Schutzmaßnahmen                    wurde in Kooperation mit der Hamburger Behörde für
               hat zu einschneidenden Veränderungen im Leben                  Arbeit, Gesundheit, Soziales, Familie und Integration
               von Kindern und Jugendlichen geführt. Schulen                  durchgeführt. Nähere Informationen zu den Methoden
               und Freizeiteinrichtungen waren monatelang                     und Ergebnissen der Studie sind bei Kaman et al.
               geschlossen und der Kontakt zu Freund*innen                    (2021) beschrieben.
               und Angehörigen wurde stark eingeschränkt.
                                                                              Lebensqualität und psychische Auffälligkeiten
               Auch wenn Kinder und Jugendliche seltener an COVID-19
                                                                              während der Pandemie
               erkranken und meist einen milden oder asymptoma-               Zwei Drittel der Hamburger Kinder und Jugendlichen
               tischen Krankheitsverlauf haben (Walker & Tolentino            sowie acht von zehn Eltern empfanden die Veränderun-
               2020), ist die seelische Belastung hoch. Bisherige             gen im Zusammenhang mit der Pandemie belastend.
               Studien weisen darauf hin, dass Kinder und Jugendliche         Während vor der Pandemie nur etwa jedes achte Kind
               während der Pandemie vermehrt psychische Probleme,             eine geminderte Lebensqualität angab, war es während
               Ängste und depressive Symptome aufweisen (Loades et            der Pandemie bereits jedes vierte Kind. Geminderte
               al. 2020, Schlack et al. 2020). Darüber hinaus steht die       Lebensqualität bedeutet, die Kinder und Jugendlichen
               Sorge im Raum, dass das Risiko für häusliche Gewalt,           fühlen sich weniger fit und wohl, können sich nicht so
               Vernachlässigung und Kinderarmut steigt (Fegert et al.         gut konzentrieren und haben weniger Energie. Darüber
               2020, Green 2020). Vor diesem Hintergrund untersucht           hinaus berichteten die Eltern während der Pandemie
               die COPSY-Studie („Corona und Psyche“-Studie) die              für jedes sechste Kind psychische Auffälligkeiten wie
               Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Lebens-             emotionale Probleme, Hyperaktivität und Verhaltenspro-
               qualität und psychische Gesundheit von Kindern und             bleme. Dabei ist das Risiko für psychische Auffälligkeiten
               Jugendlichen in Deutschland. Bisherige Ergebnisse              im Vergleich zu der Zeit vor der Pandemie jedoch nicht
               der bundesweiten COPSY-Studie zeigen, dass sich die            signifikant angestiegen. Depressive Symptome wie
               Lebensqualität der Kinder und Jugendlichen im Vergleich        Niedergeschlagenheit und Hoffnungslosigkeit wurden
               zu der Zeit vor der Pandemie verschlechtert hat und            während der Pandemie von jedem sechsten Kind berich-
               dass sie häufiger unter Ängsten und psychosomatischen          tet. Zusätzlich gab ein Viertel der Kinder und Jugendli-
               Beschwerden leiden (Ravens-Sieberer et al. 2020,               chen Symptome einer Angststörung an. Vor der Pandemie
               Ravens-Sieberer et al. 2021). In diesem Beitrag werden         war dies nur bei etwa jedem achten Kind der Fall. Die
               die Ergebnisse einer für das Bundesland Hamburg                Kinder und Jugendlichen machten sich z.B. Sorgen darü-
               äquivalenten Substudie der COPSY-Studie vorgestellt.           ber, was in der Zukunft geschehen wird oder ob sie mit
                                                                              den schu­lischen Anforderungen zurechtkommen. Auch
               Die COPSY-Studie-Hamburg                                       psychosomatische Beschwerden wie Gereiztheit, Ein-
               Im Zeitraum vom 12. Juni bis zum 31. Juli 2020 wurden          schlafprobleme, Kopfschmerzen und Niedergeschlagen-
               n = 1.037 Hamburger Kinder und Jugendliche im Alter von        heit traten bei den Hamburger Kindern und Jugendlichen
               11 bis 17 Jahren (M = 13,77 Jahre, 48 % weiblich) sowie        während der Pandemie häufiger auf.
               deren Eltern mittels standardisierter und etablierter
               Fragebögen zu COVID-19-bedingten Belastungen sowie
               zu ihrer Lebensqualität und psychischen Gesundheit
               befragt. Die Ergebnisse wurden mit repräsentativen
               Referenzstichproben der BELLA-Studie (Ravens-Sieberer
               et al. 2015) und der HBSC-Studie (Moor et al. 2020) vor

HAG Stadtpunkte THEMA | 01 | Mai 2021
Stadtpunkte THEMA - Hamburgische Arbeitsgemeinschaft für ...
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                                                             Schließungen von Bildungseinrichtungen belastet fühlen.
                                                             Sie weisen psychische und psychosomatische Belastun-
                                                             gen auf und berichten eine geminderte Lebensqualität.
                                                             Verglichen mit den Resultaten der bundesweiten COPSY-
                                                             Studie zeigen die Hamburger Kinder und Jugendlichen
                                                             jedoch etwas geringere seelische Belastungen während
                                                             der Pandemie. Ein Grund dafür könnte sein, dass der
                                                             Befragungszeitraum der COPSY-Studie-Hamburg teilweise
                                                             in die Zeit der Sommerferien fiel und die Belastung auf-
                                                             grund zunehmender Lockerungen nicht mehr so hoch war.
Wenn Jugendliche sich in ihrer Familie
wohl- und unterstützt fühlen, gelingt es ihnen               Um belastete Familien in der herausfordernden Zeit
besser, mit den Belastungen der Pandemie                     der Pandemie zu unterstützen, werden dringend niedrig-
umzugehen                                                    schwellige, zielgruppenspezifische und flächendeckende
                                                             Angebote der Gesundheitsförderung und Prävention
                                                             benötigt. Dabei sollten vor allem die Bedürfnisse sozial
                                                             benachteiligter und vulnerabler Gruppen von Kindern
                                                             und Jugendlichen berücksichtigt werden. Für die Planung
                                                             von Unterstützungsangeboten ist das Wissen um Risiko-
                                                             faktoren und Ressourcen von Kindern und Jugendlichen
Risiken und Ressourcen für die psychische                    daher von großer Bedeutung. Darüber hinaus appellieren
Gesundheit                                                   wir an politische Entscheidungsträger sowie Verant­
Sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche sowie           wort­liche im Bereich der Bildung und Versorgung, die
Kinder und Jugendliche, deren Eltern selbst psychisch        seelischen Belastungen von Kindern und Jugendlichen bei
belastet sind, erlebten die mit der Pandemie einher­         zukünftigen Entscheidungen stärker zu berücksichtigen,
gehenden Veränderungen als besonders belastend und           um ihre psychische Gesundheit während der Pandemie
litten häufiger unter psychischen Problemen. Es zeigte       zu schützen.
sich jedoch auch, dass viele Familien über Ressourcen
verfügen, die ihre psychische Gesundheit schützen und
die Belastungen der Pandemie auffangen können. Als
besonders bedeutsame Ressource hat sich der familiäre
Zusammenhalt erwiesen. Wenn Kinder und Jugendliche
sich in ihrer Familie wohl- und unterstützt fühlen,
dann gelingt es ihnen besser, mit den Belastungen der
Pandemie umzugehen. Sie zeigen dann deutlich seltener
psychische Auffälligkeiten und eine höhere Lebensqualität.

Implikationen und Ausblick
                                                             Autorinnen und Literatur: Anne Kaman, Teresa Seum,
Zusammenfassend zeigen die Ergebnisse der COPSY-
                                                             PD Dr. Christiane Otto, Prof. Dr. Ulrike Ravens-Sieberer,
Studie-Hamburg, dass sich viele Hamburger Kinder             Zentrum für Psychosoziale Medizin, Klinik für Kinder- und
und Jugendliche durch die COVID-19-Pandemie und die          Jugendpsychiatrie, -psychotherapie und -psychosomatik,
damit einhergehenden Kontaktbeschränkungen und               Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf

                                                                                         HAG Stadtpunkte THEMA | 01 | Mai 2021
Stadtpunkte THEMA - Hamburgische Arbeitsgemeinschaft für ...
8              | DIE SINUS-JUGENDSTUDIE

               „Vor Corona war Gesundheit
               eigentlich nicht so ein Thema“
               Zentrale Befunde aus der SINUS-Jugendstudie 2020
               Heide Möller-Slawinski

               Die COVID-19-Pandemie hat der Einstellung zu               Gesundheit mit leicht unterschiedlichen Akzentuierungen
               und dem Umgang mit Gesundheit öffentliche                  in den verschiedenen Lebenswelten als Voraussetzung
               Bedeutung verliehen. Der vorliegende Beitrag wirft         dafür gesehen, glücklich zu sein, nicht eingeschränkt
               einen kurzen Blick auf die Veränderungen und               und leistungsfähig zu sein, etwas erreichen zu können,
               Konstanten in den Einstellungen 14- bis 17-jähriger        gut auszusehen, Spaß im Leben zu haben und sich wohl­
               Jugendlicher zu Gesundheit und Prävention vor              zufühlen. Die meisten Jugendlichen nahmen in Bezug
               und während der Corona-Krise.                              auf Gesundheit dabei eine hohe Eigenverantwortung
                                                                          und Selbstwirksamkeit wahr: Auch wenn genetische
               Auch wenn Gesundheit für Jugendliche über alle Lebens-     Dispositionen und Krankheiten, die sich der persönlichen
               welten hinweg schon vor Corona als fundamental wich-       Kontrolle entziehen, Bemühungen konterkarieren können
               tiges Gut („die Basis für alles“) betrachtet wurde, flog   (Krankheit wird nicht mit Schuld oder persönlichem
               das Thema im Alltag meist „unter dem Radar“, solange       Versagen gleichgesetzt!), sahen die Jugendlichen vor
               man sich einigermaßen fit fühlte und nicht allzu viel am   allem in gesunder Ernährung und ausreichend sport-
               eigenen äußeren Erscheinungsbild auszusetzen hatte.        licher Betätigung und Bewegung an der frischen Luft
               Wenn explizit nach der Bedeutung gefragt wurde, wurde      Möglichkeiten, positiven Einfluss auf die eigene Gesund-
                                                                          heit zu nehmen. Auch der Verzicht auf den Konsum
                                                                          von Suchtmitteln wie Alkohol, Zigaretten oder (Party-)
                                                                          Drogen wurde als gesundheitsfördernd und der eige-
                                                                          nen Entscheidung unterliegend wahrgenommen. Wenn
                                                                          Anspruch und Wirklichkeit dann auseinanderklafften,
                                                                          bezeichneten die meisten Jugendlichen selbstkritisch den
                                                                          „inneren Schweinehund“ (zu hoch gesteckte Ziele und
                                                                          mangelnde Motivation / geringes Durchhaltevermögen)
                                                                          als Hauptgrund dafür, aber auch fehlende Unterstützung
                                                                          im persönlichen Umfeld. Die psychische Gesundheit und
                                                                          die persönlichen Einflussmöglichkeiten darauf wurden
                                                                          dagegen meist nur von Jugendlichen aus bildungsnahen
                                                                          Lebenswelten thematisiert.

                                                                          Unter Corona rückt die mentale Gesundheit
                                                                          verstärkt in den Fokus
                                                                          Im Rahmen der Corona-Krise hat sich die Einstellung
                                                                          der Jugendlichen zu Gesundheit und Prävention einer-
                                                                          seits verändert und erweitert, andererseits hat sich
                                                                          Bestehendes (noch) verstärkt. Die früher bereits nur

                                                                          Einfluss auf die eigene
                                                                          Gesundheit nehmen:
                                                                          Sport und Bewegung draußen

HAG Stadtpunkte THEMA | 01 | Mai 2021
Stadtpunkte THEMA - Hamburgische Arbeitsgemeinschaft für ...
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eine Minderheitenmeinung darstellende Haltung, Gesund­­
                                                                »                Jugendliche
                                                                                 verdienen
                                                                                 Anerkennung
heit sei reines Schicksal, das man nicht beeinflussen

                                                                                 für ihre
könne, findet sich nicht mehr. Schon allein die geltenden
Schutzmaßnahmen gegen COVID-19 (Hygienemaßnahmen
und Kontakteinschränkungen) sind für die Jugendlichen
ein Beispiel für persönliche Einflussmöglichkeiten. Die
bereits vor Corona als gesundheitsfördernd wahrgenom-
                                                                                 Ausdauer,
menen Aspekte gesunde Ernährung, sportliche Betäti-
gung und Bewegung an der frischen Luft sind auch in der                          kein Bashing.
Corona-Krise für die Jugendlichen zentral und werden
noch um Erholung durch ausreichend Schlaf erweitert.
Aber obwohl viele den derzeitigen Zustand als unbefrie-
digend empfinden, führt dies meist nicht zu dramatischen
Verhaltensänderungen. Wer sich vor der Pandemie nicht
sonderlich sportlich betätigt hat, tut dies auch jetzt nicht.
Wer hingegen schon vorher aktiv war, sucht auch trotz           Forschung, um Ansatzpunkte für Prävention und mögliche
geschlossener Fitnessstudios und ausfallender Aktivitäten       lebensweltspezifische Strategien unter den Jugendlichen
in Vereinen nach Möglichkeiten, sich zu bewegen. Aber           zu identifizieren.
es fehlt den Jugendlichen zunehmend das soziale Element
des Sportes. Auch bei den Ernährungsgewohnheiten hat
                                                                Trotz geringerer Gefährdung Empathie und
sich durch die Krise insgesamt (noch) nicht sehr viel
                                                                hohes Verantwortungsbewusstsein
verändert. Etwa die Hälfte meint, weder in der Menge            Besonders hervorzuheben ist schlussendlich das hohe
noch in der Qualität des Essens Unterschiede festzustel-        gesundheitliche Verantwortungsbewusstsein der meisten
len (gleich gesund oder ungesund wie vorher). Hier tritt        Jugendlichen anderen gegenüber in der Pandemie.
wieder der starke Einfluss des Elternhauses und der dort        Obwohl Jugendliche bislang vergleichsweise seltener
praktizierten Essensroutinen zutage. Bei den anderen            von schweren oder tödlichen Verläufen betroffen zu sein
hält sich der Anteil derer, die sich inzwischen gesünder        scheinen, sind sehr viele immer noch bereit, die zuvor
oder ungesünder ernähren, die Waage, wobei die                  unvorstellbaren Einschränkungen in Kauf zu nehmen,
Jugend­lichen selbstkritisch anmerken, dass gesundheit-         um Familienmitglieder, ältere Mitbürger*innen und
lich problematisches Essverhalten meist Langeweile und          Risikogruppen zu schützen. Dabei fällt das Masketragen
mangelnder Selbstdisziplin geschuldet ist. In Bezug auf         Jugendlichen anscheinend weniger schwer als man-
das Schlafverhalten lässt sich unter dem Strich festhalten,     chem Erwachsenen; es sind insbesondere die Kontakt­
dass der Wechsel von Schulschließungen und -öffnungen,          beschränkungen, die den Jugendlichen psychisch
Präsenz- und Online-Unterricht bei vielen Jugendlichen          zusetzen, und die großen Unsicherheiten hinsichtlich
nach eigener Aussage zu einem „kaputten“ Schlafrhyth-           ihrer (Aus-)Bildungsperspektiven. Von einer Minderheit,
mus geführt hat, die Selbstwirksamkeit hier aber eher als       die sich demonstrativ über Ge- und Verbote hinweg-
begrenzt eingestuft wird. Der im Vergleich zu früher noch       setzt, darf dabei nicht auf die Mehrheit der Jugendlichen
weiter erhöhte Medienkonsum fühlt sich für die meisten          geschlossen werden. Diese verfallen trotz verständlicher
ebenfalls gesundheitlich nicht gut an, kann aber aus ihrer      Ermüdungserscheinungen, hoher Belastung und gelegent­
Sicht wegen eingeschränkter Freizeitmöglichkeiten und           lichen „Fünf-gerade-sein-Lassens“ nicht in egoistische
fehlender Alternativen nur schwer reduziert werden –            Verhaltens­weisen und verdienen Anerkennung für ihre
und momentan ist digitale Teilhabe soziale Teilhabe. Als        Ausdauer, kein Bashing.
neues Phänomen ist das Bewusstsein um die psychische
Belastung in der Corona-Krise und die resultierenden
gesundheitlichen Implikationen ins Blickfeld getreten.
Mentale Gesundheit wird inzwischen nicht mehr nur von
den bildungsnahen Jugendlichen thematisiert. Hinsicht-          Autorin: Heide Möller-Slawinski, SINUS-Institut,
lich des Umgangs mit der Belastung sowie des Emp-               heide.moeller-slawinski@sinus-institut.de,
findens von Selbstwirksamkeit bedarf es aber weiterer           www.sinus-institut.de

                                                                                            HAG Stadtpunkte THEMA | 01 | Mai 2021
Stadtpunkte THEMA - Hamburgische Arbeitsgemeinschaft für ...
10             | DEUTSCHES JUGENDINSTITUT

               Peerbeziehungen
               als Ressource im Jugendalter
               Orte und Praxen während der Corona-Pandemie
               Kien Tran

               Einen besonders relevanten Aspekt von Lebens-               Personen des sozialen Nahumfeldes für Jugendliche
               welten Jugendlicher nehmen Sozialbeziehungen                direkt hinter der Mutter die guten Freundinnen und
               zu Gleichaltrigen ein. Speziell Freundinnen und             Freunde sind. Ebenso rangieren sie sehr weit oben, wenn
               Freunde üben als Bezugs- und Orientierungspunkt             es darum geht, bei jemandem Rat und Unterstützung
               einen wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung             zu suchen. Solche Befunde verdeutlichen die Relevanz
               und Sozialisation junger Menschen aus.                      von Freundinnen und Freunden als bedeutsames Bezugs-
                                                                           und Orientierungssystem.
               Im Folgenden behandelt der Beitrag mithilfe von Daten
               des DJI-Surveys „Aufwachsen in Deutschland: Alltags-
                                                                           Orte und Praxen im Rahmen von Freundschaften
               welten“ (AID:A) die Bedeutung von Freundinnen und           Digitale Medien und das Internet sind für Jugendliche
               Freunden, die mit ihnen verbundenen Orte und Praxen         omnipräsent und begleiten sie in allen Bereichen des
               sowie veränderte Aspekte im Rahmen der Corona-              Alltags. Speziell soziale Medien (Facebook, Instagram,
               Pandemie. Die Befunde beziehen sich sowohl auf die          Twitter) bestimmen die Kommunikations- und Inter-
               Erhebung vor Corona (AID:A 2019) als auch auf erhobene      aktionsmöglichkeiten. Für Freundschaftsbeziehungen
               Daten während Corona (AID:A Corona ADD-on 2020). Der        bedeutet das konkret, dass räumliche Distanzen eine
               DJI-Survey „Aufwachsen in Deutschland: Alltagswelten“       weniger wichtige Rolle spielen und physische Präsenz
               erfasst Informationen zur Lebenssituation von Kindern,      weder für die Aufnahme von Freundschaften noch für die
               Jugendlichen und Erwachsenen im Rahmen alltäglicher         Beziehungspflege zwingend erforderlich ist. In diesem
               Entwicklungs- und Handlungskontexte.                        Zusammenhang stellt sich daher die Frage, welche Rele-
                                                                           vanz die analoge und die digital vermittelte Begegnung
               Die Bedeutung von Peerbeziehungen im                        für Freundschaften junger Menschen aufweist. Die in
               Jugendalter                                                 AID:A (2019) zur Freundschaftsthematik erfassten Orte
               In der Jugendforschung ist bekannt, dass den sozialen       und Praxen geben Aufschluss darüber, wie sich das Ver-
               Beziehungen mit Gleichaltrigen (den „Peers“) eine           hältnis zwischen offline und online gestaltet. Es lässt sich
               zentrale Rolle zukommt, dies gilt insbesondere für          zusammenfassen, dass der analoge Ort der Schule nach
               Freundschaften. Peers fungieren entsprechend als            wie vor der zentrale Raum für Jugendliche ist, um enge
               Sozialisationskontext, unterstützen die Identitätsbildung   Freundschaften einzugehen. Rund 84 % der Jugendlichen
               und dienen als wichtige Stütze bei der Bewältigung von      zwischen 12 und 17 geben an, „viele“ oder „alle“ ihrer
               Entwicklungsaufgaben (z.B. Ablösung vom Elternhaus,         guten Freundinnen und Freunde in der Schule kennenge-
               Aneignung sozialer Kompetenzen etc.). Für das physische     lernt zu haben. In der Alltagspraxis nehmen allerdings
               und psychische Wohlbefinden nehmen Peers ebenfalls          sowohl gemeinsame Offline-Aktivitäten (z.B. „nichts tun,
               einen hohen Stellenwert ein. Im Sinne von sozialem/         rumhängen, chillen“, „gemeinsame Freizeitaktivitäten:
               emotionalem Kapital geben etwa Freundinnen und Freunde      Sport, Musik etc.“) als auch Online-Aktivitäten (z.B.
               in schwierigen Zeiten emotionalen Rückhalt und stärken      „chatten“, „Musik, Bilder, Videos teilen“) einen wichtigen
               den Selbstwert. Gleichzeitig erhöht sich der Anreiz         Platz ein. Die Ergebnisse demonstrieren, dass Jugend-
               sportlicher Betätigung, wenn damit ein gemeinsamer          liche ihre Freundschaften primär offline knüpfen, diese
               Austausch sowie ein Zugehörigkeitsgefühl verbunden ist.     dann aber ebenso online wie offline ausgestalten.

               Empirisch zeigt sich: Freundinnen und Freunde tragen bei
                                                                           Peerbeziehungen und Corona
               Jugendlichen sowohl positiv zur Lebenszufriedenheit bei     Wie bereits deutlich wurde, sind analoge Begegnungen
               als auch positiv zur subjektiv eingeschätzten Gesundheit.   essenziell sowohl für das Eingehen als auch für die
               Die AID:A-Daten belegen weiterhin, dass die wichtigsten     Ausgestaltung von Peerbeziehungen. Gerade für junge

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                                                              Wichtig für die Entwicklung und
                                                              Sozialisation junger Menschen sind
                                                              Freundschaften mit Gleichaltrigen

Menschen findet in diesem Zusammenhang das Alltags-             Fazit
leben vor allem in öffentlichen Räumen und in institu­          Nach wie vor nehmen Beziehungen zu Gleichaltrigen einen
tionellen Settings statt. Diese sind allerdings durch           bedeutsamen Aspekt von Lebenswelten Jugendlicher ein.
die Corona-Situation aktuell sehr stark eingeschränkt.          Allerdings sind typische Orte des Zusammenseins mit
Gleichermaßen sollen persönliche Treffen im Öffentlichen        Peers (wie Schule, Freizeiteinrichtungen, Angebote der
sowie im Privaten auf ein Minimum reduziert werden.             Jugendarbeit) immer noch weitestgehend nicht oder nur
Soziale Kontakte beschränken sich damit weitestgehend           begrenzt zugänglich. Kontakte mit Gleichaltrigen sind
auf das Digitale und Virtuelle. Auswirkungen lassen sich        eingeschränkt oder zumindest verkompliziert. Unter der
bereits empirisch feststellen. Ein Punkt, welcher offen-        Prämisse von Peers als wesentliche Sozialisationsins-
sichtlich auf der Hand liegt, ist, dass sich Jugendliche in     tanz im Jugendalter besteht die Gefahr, dass wichtige
Zeiten von Corona seltener mit ihren Freundinnen und            jugendtypische Erfahrungen (wie z.B. der gemeinsame
Freunden treffen. Während vor Corona 82 % der Jugend­           Aufenthalt im öffentlichen Raum, gemeinsame sportliche
lichen zwischen 12 und 17 Jahren angeben, „mind. 1- bis         oder kulturelle Aktivitäten) nicht in gewohnter Weise und
2-mal pro Woche“ ihre Freundinnen und Freunde zu tref-          nicht im notwendigen Maß möglich sind. Wichtige Heraus-
fen, liegt dieser Anteil während der Pandemie bei 69 %.         forderungen des Jugendalters wie Selbstpositio­nierung
Angesprochen auf die Zufriedenheit mit verschiedenen            und Verselbstständigung erfolgen so unter „erschwerten
Lebensbereichen hat sich der Anteil der Jugendlichen, der       Bedingungen“. Auch hier wird sich erst im Rückblick
„zufrieden“ oder „sehr zufrieden“ mit dem Freundeskreis         zeigen, welche Bedeutung die Corona-Pandemie für die
ist, von 94 % auf 76 % reduziert. Darüber hinaus führen         Entwicklung junger Menschen insgesamt haben wird.
junge Menschen in der Corona-Pandemie nach dem
Aspekt „Schule/Uni/Ausbildung“ den Aspekt der sozialen
Beziehungen als ihre aktuell größte Herausforderung auf.
                                                                Autor und Literatur: Kien Tran, Deutsches Jugendinstitut,
                                                                tran@dji.de, www.dji.de/ueber-uns/projekte/projekte/
                                                                aida.html

                                                                                             HAG Stadtpunkte THEMA | 01 | Mai 2021
12             | WEGEWEISER DES BMG

               Der Wegeweiser
               Gesundheit von Jugendlichen nachhaltig stärken
               und gesundheitliche Chancengleichheit fördern
               Anna Lena Rademaker

               Der „Wegeweiser zum gemeinsamen Verständnis                 und „Gesundheit rund um die Geburt“, der Kinder- und
               von Gesundheitsförderung und Prävention bei                 Jugendbericht sowie die einschlägigen Regelungen in
               Kindern und Jugendlichen in Deutschland“ ist                nationalen Gesetzen und Richtlinien, insbesondere die
               im Rahmen eines Vernetzungsprozesses unter                  Sozialgesetzbücher sowie die Bundesrahmenempfeh­
               Moderation des BMG in einem Fachdialog von                  lungen der Nationalen Präventionskonferenz und die mit
               2017 bis 2019 zwischen über 45 Institutionen,               den Bundesländern abgeschlossenen Landesrahmen­
               Gremien sowie Vertreter*innen wissenschaftlicher            vereinbarungen. Im Folgenden sollen die EPs vorgestellt
               Einrichtungen entstanden. Ziel des Fachdialogs              und konkrete Handlungsstrategien bei der Zielgruppe
               war es, die Beteiligten zu vernetzen, um ein                Jugendlicher in und nach der Pandemie skizziert werden.
               „gemeinsames Verständnis“ von Gesundheits­
               förderung (GF) und Prävention (P) zu entwickeln,            Handlungsstrategien bei der Zielgruppe
               damit nachhaltig zu stärken und gesundheitliche             Jugendlicher in und nach der Pandemie
               Chancengleichheit zu fördern (BMG 2019).                    Wie kaum zuvor wurde in der Pandemie deutlich, dass
                                                                           Gesundheit ein Thema des Alltags Jugendlicher ist. Die
               Gesundheit ist ein konstitutiver Bestandteil des Alltags.   viel zitierte „Brennglasfunktion“ zeigt, inwieweit die Le-
               Ihre Förderung kann nur vernetzt und sektorenüber­          benswelt Jugendlicher durch die Corona-Krise bestimmt
               greifend gelingen. Gesundheitsförderung bedeutet, junge     und soziale sowie gesundheitliche Ungleichheit schürt.
               Menschen in ihrer Persönlichkeits- und Identitätsbildung    Im EP 2 wird dargelegt, GF und P lebensweltübergreifend
               (Lebenskohärenz) zu stärken, ihnen Selbstwirksamkeits-      und kommunal zu verankern. Diese müssen sich regelmä-
               erfahrung zu ermöglichen und sie bei der Ausbildung von     ßig anpassen und nachhaltig weiterentwickeln und zielen
               Schutzfaktoren und Resilienz (Befähigungsgerechtigkeit)     auf die Befähigungsgerechtigkeit (Empowerment) und
               zu unterstützen (BMFSFJ 2009). Der „Wegeweiser“ ist         gesundheitliche Chancengleichheit ab. Konkret bedeutet
               akteurs-, themen- und lebensweltübergreifend zu ver­        das in der aktuellen Situation niedrigschwellige Hilfen,
               stehen und bietet Akteur*innen aller Bereiche eine          die sozialraumorientiert ansetzen und alle Jugendlichen
               Grundlage, um Synergien zwischen den unterschiedlichen      der Kommune erreichen, wie die Offene Jugendarbeit,
               Trägern der GF und P zu nutzen und Strukturen und           Streetwork oder Schulsozialarbeit zugänglich zu halten.
               Maßnahmen zu verbessern. Hierdurch soll auch die            Hier erfolgten ein niedrigschwelliger Zugang und Hilfe für
               Umsetzung des Präventionsgesetzes gestärkt werden.          Jugendliche. Was hingegen passiert, ist eine Reduktion
                                                                           auf Behelfsangebote, Schulsozialarbeit, die Notbetreu-
               Welche Handlungsstrategien eröffnen die                     ung vornimmt, und Streetworker*innen im Homeoffice.
               „Eckpunkte“ im Wegeweiser?                                  Insbesondere die Kinder- und Jugendhilfe bietet in
               Das Ergebnis des Fachdialogs wurde in zehn „Eckpunk-        ihren offenen und kommunal verorteten Angeboten ein
               ten (EP)“, die sich an nationalen und internationalen       gesundheitsförderndes Potenzial, das es nicht nur in der
               Standards der WHO und der UN zur GF und P orientie-         Pandemie zu stärken gilt (Rademaker 2020). Als konkrete
               ren, gebündelt (BMG 2019, p. 7). Diese sollen zu einer      Handlungsempfehlung lässt sich die Etablierung einer
               grundlegenden Orientierung und interdisziplinären           (EP 3) langfristigen Verankerung von Gesundheitsförde-
               Zusammenarbeit beitragen. Zugrunde liegen (EP 1) der        rung unter Nutzung der Potenziale vorhandener Struk-
               Gesundheitsbegriff der WHO, der die soziale, seelische      turen, Expertisen und Kompetenzen im Sozialraum als
               und körperliche Gesundheit sowie gesellschaftliche Teil-    Voraussetzungen für eine nachhaltige Gesundheitsförde-
               habe umfasst, die Ottawa-Charta zur GF und der Health-      rung und ein Klima des Voneinanderlernens ableiten:
               in-All-Policies-Ansatz, die UN-Kinderrechtskonvention       in der Jugend-, Berufs-, Sozialhilfe u.v.m.
               und UN-Behindertenrechtskonvention, die nationalen
               Gesundheitsziele, insbesondere „Gesund aufwachsen“

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                                                           Jugendliche sind in angemessener Weise
                                                           an der Gestaltung ihrer Lebenswelt zu
                                                           beteiligen, damit sie ein größtmögliches
                                                           Gesundheitspotenzial entfalten können

                                                           Gesundheitsdiversität
                                                           Daran anknüpfend zielen GF und P (EP 5) auf jegliche
                                                           Diversität, auch chronisch kranker, behinderter, belas-
                                                           teter und/oder psychisch auffälliger Jugendlicher, und
                                                           entsprechende Teilhabe ab. Als konkrete Handlungs-
                                                           strategie lässt sich ableiten, die diversen Lebens- und
                                                           Gesundheitswelten Jugendlicher zum Ausgangspunkt zu
                                                           nehmen und aus den partizipativ gewonnenen Erkennt-
                                                           nissen gemeinsam mit ihnen Maßnahmen zu entwickeln,
                                                           die sie in ihren Bedarfen und Bedürfnissen ernst nehmen.
                                                           In der Pandemie wurden Belange Jugendlicher viel zu oft
                                                           unter Fragen des Homeschoolings, von Corona-Partys,
                                                           Medienkonsum oder Bewegungsarmut problematisiert.
                                                           Nicht aber wurde wahrgenommen, wie es sich anfühlt,
Auf- und Ausbau kommunaler Strukturen                      jugendlich in Zeiten von Corona zu sein. Auch hier
Beginn eines GF-Prozesses ist die Einrichtung inter­       sollten Angebote wie die Schul- und Jugendsozialarbeit
disziplinärer Steuerungsgruppen für GF Jugendlicher in     Jugendliche stärker als junge Menschen wahrnehmen,
kommunaler Trägerschaft, die gemeinsam eine Definition     ihnen zuhören und so versuchen, ihren Alltag besser
von Gesundheitszielen und Entwicklung einer kommu-         zu verstehen, statt sie unter einen Generalverdacht zu
nalen Strategie für mehr Jugendgesundheit vornimmt.        stellen. Soziale Isolation, ein Gefangensein im eigenen
Darauf zielt auch der EP 4 ab. GF und P sind als feste     Zimmer, Austausch nur noch über digitale Medien macht
Bestandteile eines kommunalen, integrierten Gesamtkon-     doch etwas mit Jugendlichen. Dies zu thematisieren
zepts zu verankern und an den Potenzialen, den Gesund-     über z.B. Zoom-Konferenzen, Fototagebücher, Treffen im
heitsbedürfnissen und dem Wohlbefinden im Lebenslauf       Freien oder aufsuchende Arbeit zu Hause und im Quartier
zu orientieren (salutogenetischer Ansatz). Die in der      gewinnt in der Pandemie an besonderer Bedeutung und
Corona-Krise virulent gewordenen Probleme sind offensiv    kann wesentlich zur Förderung von Gesundheit im Alltag
und folgen einem sozialen Gradienten: psychosoziale        beitragen. Alleine das Aufrechterhalten von Tagesstruktur
Belastungen, Bildungsungleichheit, erschwerte Zugän-       und damit Rhythmus für die Ernährung und Bewegung
ge zum Ausbildungsmarkt, steigende Armut, häusliche        sowie Vorbeugung sozialer Isolation ist gesundheits-
Gewalt, Bewegungsarmut, steigendes Übergewicht u.v.m.      förderlich. Zudem kann über ein Im-Kontakt-Bleiben
Wie sich diese in den jeweiligen Kommunen und Quartie-     psychosozialer Belastung vorgebeugt und Verwahrlosung,
ren zeigen, ist jedoch lokal spezifisch und bedarf einer   Missbrauch und Gewalt aufgedeckt werden.
kleinräumigen Gesundheitsberichterstattung als Aus-
gangspunkt jeglicher Maßnahmenplanung. Hierfür liegen      Digitalisierung und Bildungsgerechtigkeit
den Kommunen Good-Practice-Tools und Tipps insbe-          Trotz der vielfachen Hinweise auf die Relevanz von
sondere über den Kooperationsverbund Gesundheitliche       Bildungseinrichtungen für junge Menschen kann auch
Chancengleichheit vor. Es empfehlen sich partizipative     nach einem Jahr Leben in der Pandemie nicht von einem
Methoden, die Gesundheitsforschung mit ihrer Förderung     flächendeckend angepassten Bildungssystem gesprochen
verbinden und gemeinsam mit Jugendlichen eng an ihrer      werden. Die seit Jahren viel diskutierte digitale Wende ist
Lebens- und Gesundheitswelt entwickeln, durchführen        im Bildungs- und Sozialsektor schlicht nicht angekommen.
und evaluieren.                                            Konkrete Handlungsstrategie heißt es hier, für die jewei­lige

                                                                                         HAG Stadtpunkte THEMA | 01 | Mai 2021
14             | WEGEWEISER DES BMG

               Zielgruppe adäquate Maßnahmen zu konzipieren, die             Mehrebenenansatz in der Gesundheitsförderung
               auch nach der Pandemie digitale niedrigschwellige             Für eine Ermöglichung eines gesunden Lebensalltages für
               Zugänge zu Angeboten schaffen. Digitalisierung ist nicht      Jugendliche bedarf es neben fachlichen und strukturellen
               parallel zu Präsenzangeboten zu denken, sondern in            Ressourcen auch inter- und transdisziplinär getragener
               hybrid-fluider Übergangsprogrammatik zwischen z.B.            Veränderungen in den Lebenswelten (EP 7). Die Förde-
               Online-Beratung und Beratungsinstitutionen, Apps und          rung der Gesundheit von Jugendlichen in und nach der
               Angeboten vor Ort, wie digitalen Vernetzungs- und             Pandemie ist eine gesamtgesellschaftliche Mehrebenen-
               Begegnungsplattformen im Quartier.                            aufgabe, die sich über alle Sektoren hinweg erstreckt
                                                                             und fortwährend auf die Aktualität und Qualität hin zu
                                                                             überprüfen ist. Empfohlen wird u.a. eine bedarfsorien­
                                                                             tierte Profilerstellung zur GF Jugendlicher sowie Inte­gra­
                                                                             tion gesundheitsförderlicher Maßnahmen in bestehende
                      Der Wegeweiser entstand unter der
                                                                             Angebote.
                      Moderation des Bundesministeriums für
                      Gesundheit (BMG) in einem Fachdialog                   Jugendbeteiligung
                      mit über 45 Institutionen, Gremien
                                                                             Dabei sind Jugendliche in den Mittelpunkt der Planung,
                      und Vertreter*innen wissenschaftlicher                 Implementierung und Evaluierung von Maßnahmen der
                      Einrichtungen.                                         Gesundheitsförderung und Prävention zu stellen (EP 8).
                                                                             Sie sind in angemessener Weise zu beteiligen, mit dem
                                                                             Ziel, ihre Lebenswelt so zu gestalten, um das größtmög-
                                                                             liche Gesundheitspotenzial entfalten zu können. Also
               Familiäre Gesundheitsförderung                                bspw. Zugänge zum Bildungs- und Ausbildungssektor
               Als ein weiteres Feld ist auch bei Jugendlichen die Familie   zu ermöglichen, wie es in Betriebsbesuchen oder durch
               nicht aus dem Auge zu verlieren. EP 6 konstatiert, als        Einladung von Fachkräften lokaler Betriebe in die Schule
               erster zentraler Sozialisationsort im Lebenslauf hat          oder das Jugendzentrum erfolgen kann. GF und P zielen
               Familie einen direkten Einfluss auf die P, weshalb die        immer auf die Ermöglichung und Verbesserung der
               „familiäre Gesundheitsförderung“ als Handlungsfeld der        gesundheitlichen Chancengleichheit an den für Jugend-
               GF und P bedeutsam ist. Eine Stärkung von Familien und        liche relevanten Sozialisationsorten unter Berücksich­
               ihren Ressourcen ist per se gesundheitsfördernd. In der       tigung sensibler Übergangsphasen ab (EP 9).
               Pandemie erleben wir hingegen eine teils völlige Über-
               forderung der Familien zwischen Homeschooling, Home-          Aus- und Weiterbildung der Fachkräfte
               office, Ängsten um den Verlust des Arbeitsplatzes, Leben      Und schlussendlich schließt nachhaltige GF und P in und
               im beengten Raum und dem Wegfall institutio­nalisierter       nach Corona die Kompetenzentwicklung und Professio-
               Fremdbetreuung. Auch hier ist davon auszugehen, dass          nalisierung der Fachkräfte sowie das Systemlernen ein
               sozial benachteiligte und arme Familien deutlich stärker      (EP 10). Konkret lässt sich daraus ableiten, Aus- und
               belastet sind und zudem über weniger Ressourcen zur           Fortbildungen interdisziplinär und mit einem Fokus auf
               Bewältigung verfügen. Niedrigschwellige Hilfsangebote,        Gesundheit in der Lebenswelt Jugendlicher zu etablieren,
               wie z.B. Gruppenangebote für psychisch und sucht­             damit Professionelle ihr Potenzial für GF dieser Ziel-
               erkrankte Eltern, psychosoziale Beratung, MGHs, Tafeln        gruppe in und nach der Pandemie entfalten und zu mehr
               und Arbeitsagenturen hingegen waren nur eingeschränkt         gesundheitlicher Chancengleichheit aller Jugend­licher
               zugänglich. Insbesondere Familien in prekären Lebens-         beitragen können.
               lagen benötigen lokale und leicht zugängliche Unter-
               stützungsangebote, die es ihnen ermöglichen, Hilfe auf
               kurzem Wege zu erfahren, was zum EP 7 führt.

                                                                             Autorin und Literatur: Prof. Dr. Anna Lena Rademaker,
                                                                             Fachhochschule Bielefeld, Fachbereich Sozialwesen,
                                                                             anna-lena.rademaker@fh-bielefeld.de

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 » DieGesundheit
       Förderung der
                 von
   Jugendlichen ist eine
gesamtgesellschaftliche
  Mehrebenenaufgabe.
              Anna Lena Rademaker

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16             | SEXUALITÄT

               Beziehungsfähig bleiben
               Identitätsfindung, Sexualität und Partnerschaft
               auch in Pandemiezeiten
               Beate Proll

               Die Jugendphase ist in Deutschland sehr gut                 Es gibt aber auch Jugendliche, die sich eine stabile Partner­
               untersucht: Sowohl zu Beziehungsvorstellungen,              schaft ohne Ehe und Kinder gut vorstellen können. Andere
               Werteorientierungen und sexuellen Erfahrungen               äußern, dass sie auch alternative Partnerschaftsformen
               als auch zur Mediennutzung und zu sexuellen                 wie polyamouröse Beziehungen ausprobieren wollen.
               Grenzverletzungen gibt es zahlreiche Befunde.
               Durch einen Blick in die jeweils aktuelle Shell-            Sexuelle Erfahrungen – immer früher?
               Jugendstudie, die SINUS-Jugendstudie oder in die            Sehr verantwortungsbewusst gehen Jugendliche mit
               BZgA-Studie zur Jugendsexualität können vor allem           dem „ersten Mal“ um: Insgesamt sind Jugendliche sexuell
               Erwachsene, die beruflich in Kontakt zu Jugend­             später aktiv als gemeinhin angenommen; ab einem
               lichen stehen, ihre persönlichen Vorstellungen von          Alter von 17 Jahren hat mehr als die Hälfte Erfahrungen
               den Lebenswelten Jugendlicher abgleichen.                   mit Geschlechtsverkehr. Hier gibt es einen deutlichen
                                                                           Unterschied zwischen Mädchen mit und ohne Zuwande-
               Was wissen Erwachsene über Jugendliche und                  rungsgeschichte. Eine wichtige Rolle für die Entschei-
               deren Vorstellungen?                                        dung, „Geschlechtsverkehr haben zu wollen“, spielt die
               Viele Erwachsene äußern, dass sie aus Erfahrungen mit       Selbsteinschätzung, „alt genug“ zu sein und die richtige
               eigenen Kindern, ihnen nahestehenden Jugendlichen oder      Person gefunden zu haben. 95 % verhüten beim „ersten
               aufgrund ihres engen beruflichen Kontaktes zu Jugendli-     Mal“, 77 % verwenden ein Kondom und 33 % die Pille,
               chen einschätzen können, was heutzutage für Jugendliche     5 % verhüten nicht. Jede fünfte jugendliche Person mit
               wichtig ist und welchen möglichen Risiken sie ausgesetzt    geringem Bildungshintergrund verhütet nicht oder
               sind. In diesem Zusammenhang werden zum einen der           verhütet mit unsicheren Methoden.
               entspannte Umgang mit Jugendlichen, mit denen man
               vieles offen besprechen kann, und zum anderen schwie­       Die Mehrzahl der Jugendlichen schaut sich Pornos an,
               rige Themen wie „unreflektierte Nutzung digitaler Medien“   die meistens gewaltfrei sind, aber Geschlechterstereo­
               sowie „Sexting und Pornografiekonsum“ genannt.              typen entsprechen. Beim Nutzungsverhalten gibt es einen
                                                                           klassischen Gendergap: Die Mehrzahl der Jungen nutzt
               Zurück zu tradierten Werten?                                Pornos aktiv als Stimulation für die Selbstbefriedigung,
               Zum einen ist für die meisten Jugendlichen die eigene       Mädchen schauen sie meistens nicht gezielt an. Die Mehr-
               Familie zentraler Orientierungspunkt für die Lebens­        zahl der Jugendlichen kann durchaus unterscheiden, was
               planung, zum anderen gibt es Anhaltspunkte, dass Kinder     realistisch ist und was nicht. Unklar ist aber, inwieweit
               und Jugendliche mit getrennt lebenden Eltern manch-         die in vielen Pornos dargestellten sexuellen Skripte einen
               mal sehr idealisierte Vorstellungen von Partnerschaft       Einfluss auf die Selbstwahrnehmung und Selbstinsze-
               entwickeln. Ein Großteil der Jugendlichen wünscht sich      nierung haben können. Von älteren Jugendlichen wird
               stabile soziale Beziehungen im persönlichen Nahbereich.     Sexting als einvernehmlicher Austausch von erotischem
               Die Mehrheit der befragten Jugendlichen orientiert sich     Bildmaterial mit entsprechenden Texten in einer Part-
               hinsichtlich Partnerschaft und Familie an sogenannten       nerschaft genutzt; es kommt jedoch immer wieder zu
               bürgerlichen Normalbiografien. Dazu gehören ein             sexuellen Grenzverletzungen und Cybermobbing, wenn
               harmonisches und glückliches Familienleben, verläss­        Fotos und Clips ohne Berücksichtigung der Altersgrenzen
               liche Freundschaften sowie partnerschaftliche Treue.        und ohne Einverständnis teilweise mit beleidigenden
               Für die Mehrzahl der Jugendlichen steht fest, dass sie      Texten in sozialen Medien verbreitet werden.
               später heiraten und Kinder haben wollen. Die Hälfte der
               befragten Mädchen und Jungen geht dabei immer noch
               von einem männlichen Versorgermodell aus – als am
               besten umzusetzende Option. Vor allem junge Frauen
               streben hingegen eine gelungene Work-Life-Balance an.

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                                                                                                                        17

                                                                              Vor allem
                                                                              junge Frauen
                                                                              streben [...]
                                                                              eine gelungene
„Was verpasse ich bloß alles?“
Zirka ein Drittel der befragten Jugendlichen fühlt sich in
der Corona-Situation einsam, viele sprechen von „Lebens-
zeitverschwendung“ und machen sich Sorgen um ihre
Zukunft. Selbsterkundungen, d.h., sich in verschie­denen
                                                                              Work-Life-
Situationen auszuprobieren und sich selbst zu inszenie-
ren, sind stark eingeschränkt; gemeinsame Aktivitäten
                                                                              Balance an.
mit Peers sind nicht möglich und „etwas erleben“ ist im
Digitalen nur begrenzt möglich. Die Aussage „Ich vermis-
se Umarmungen“ zeigt, wie wichtig nicht nur in dieser
Lebensphase der soziale Kontakt und physische Berüh-
rungen für das Wohlbefinden sind. Für einige Jugendliche
ist das Verwiesensein auf den häuslichen Raum bzw.
auf das Umfeld der Familie ein geschützter Raum für die
Persönlichkeitsentwicklung, für andere stellt dieses eine
starke Begrenzung dar. Konflikt- und Bedrohungssitua-
tionen in der Familie können bis zur Gewaltanwendung
eskalieren. Dieses trifft für einige LGBTIQ*Jugendliche      Sexuelle Bildung –
zu, deren Orientierung und Identität von den Eltern nicht    ein nicht mehr zeitgemäßes Format?
unterstützt, sondern abgelehnt wird. Auch Mädchen bzw.       Für einige Jugendliche gehört zur Selbstdarstellung,
junge Frauen, die nicht den von der Familie erwünschten      dass sie „locker über Sex sprechen können“. Selbstbe-
Geschlechterrollen nachkommen, haben kaum Ausweich-          stimmte Sexualität und Diskussionen über Gender- und
möglichkeiten.                                               Sexualitätsthemen sind ebenfalls für einige Jugendliche
                                                             von Bedeutung. Andere suchen sich Informationen im
                                                             Netz, orientieren sich an Influenzer*innen und tauschen
                                                             sich mit Freund*innen aus. Für viele Jugendliche sind
Unterstützung in belastenden Situationen                     die Eltern, vor allem Mütter, Gesprächspartner*innen.
                                                             Eine Rolle spielt dabei die Geschlechterzuordnung und
yy „ Die Nummer gegen Kummer“                               die Zuwanderungsgeschichte. Unabhängig davon gibt
    https://www.nummergegenkummer.de/                        die Mehrzahl der Jugendlichen an, dass sie belastbares
    kinder-und-jugendberatung/kinder-und-                    Wissen zu sexuellen Themen in der Schule erwerben. Um
    jugendtelefon/                                           medialen Bildern mit unrealistischen und zum Teil sexis-
yy „loveline.de“                                            tischen Darstellungen von Körpern und Geschlechterrol-
    https://www.loveline.de/interaktiv/                      len sowie „sexuellen Mythen“ wie zum „Jungfernhäut-
yy „Handy für Notfallsituationen“                           chen“ zu begegnen, sollten Jugendliche durch sexuelle
    https://www.hamburg.de/jiz/3893574/                      Bildung befähigt werden, Informationen zu bewerten,
    notfallnummern/                                          wertschätzend über Freundschaft, Liebe und Sexualität
yy Bereich für Kinder und Jugendliche auf der               zu kommunizieren sowie Partnerschaften zu gestalten
    Webseite www.kein-kind-alleine-lassen.de                 und dabei Grenzen wahrzunehmen und zu respektieren.
                                                             Hierzu braucht es weiterhin das Gespräch mit Eltern
                                                             bzw. Sorgeberechtigten, sexuelle Bildung in der Schule
                                                             in Kooperation mit außerschulischen Partnern und in der
                                                             Offenen Jugendarbeit.

                                                             Autorin und Literatur: Beate Proll, Landesinstitut
                                                             für Lehrerbildung und Schulentwicklung Hamburg,
                                                             beate.proll@li-hamburg.de

                                                                                         HAG Stadtpunkte THEMA | 01 | Mai 2021
18             | DIGITALE GESUNDHEITSKOMMUNIKATION

               Jugendliche als Adressaten und Akteure
               der Gesundheitskommunikation
               Orientierung, Unterstützung, Austausch
               Claudia Lampert  

               Die Digitalisierung stellt die Gesundheitskommu­          erfahrungen zu teilen, sei es in Form von Texten, Fotos
               nikation vor neue Herausforderungen. Rideout              oder Videos. Natürlich ist nicht immer alles im Sinne der
               und Fox (2018) sprechen von einer „digitalen              Gesundheitsförderung oder der Prävention. Auch unge-
               Gesundheitsrevolution“, die grundlegend verän-            sunde Inhalte oder gesundheitswidrige Verhaltensweisen
               dert habe, wie (gesundheitsbezogene) Informatio-          werden über die diversen Online-Kanäle verbreitet und
               nen gesucht, Geschichten und Erfahrungen geteilt          können mitunter gravierende gesundheitsbeeinträchti-
               werden und Menschen miteinander über Gesund-              gende Folgen haben.
               heitsthemen sprechen. Was bedeutet dies mit
               Blick auf Jugendliche als Adressaten und Akteure          Für die Gesundheitskommunikation stellt sich die Frage:
               der Gesundheitskommunikation?                             Wie lassen sich die Potenziale digitaler Medien nutzen,
                                                                         um insbesondere Jugendliche zu erreichen, und Risiken
               Die digitalen Medien bieten vielfältige Möglichkeiten,    und unerwünschte Nebenwirkungen bestmöglich ver-
               sich über Gesundheitsthemen zu informieren, eigenes       meiden? Vorab gilt es dabei zu klären, inwieweit sich
               Gesundheitsverhalten und verschiedene Gesundheitsda-      Jugendliche für Gesundheitsthemen interessieren und
               ten zu erfassen und zu dokumentieren (z.B. über Apps      welche Kommunikationskanäle sie nutzen.
               und Wearables), sich mit Gleichgesinnten oder Betroffe-
               nen über verschiedene Social-Media-Kanäle (z.B. Insta-    Suche nach gesundheitsbezogenen
               gram, Facebook) auszutauschen oder eigene Krankheits-     Informationen und Orientierung
                                                                         Jugendliche, die sich mitten in der Phase ihrer physischen
                                                                         und psychosozialen Entwicklung befinden, interessieren
                                                                         sich für ein breites Spektrum an Gesundheitsthemen:
                                                                         Fitness, Bewegung und Ernährung stehen an erster Stelle,
               Gesundheitsbezogene Information                           gefolgt von Stress/Angst, sexuell übertragbaren Krankhei-
               und Orientierung können auch                              ten, Pubertät, Depressionen, Schlaf, Drogen, mit zuneh-
               Social-Media-Kanäle oder Apps liefern                     mendem Alter auch Verhütung und Schwangerschaft oder
                                                                         konkrete Erkrankungen. Junge Erwachsene (18 bis 22
                                                                         Jahre) nutzen die Online-Möglichkeiten im Allgemeinen
                                                                         intensiver für die Suche nach Gesundheitsinformationen
                                                                         als jüngere Jugendliche und Mädchen bzw. Frauen mehr
                                                                         als Jungen bzw. Männer.

                                                                         Die Gründe für die Informationssuche im Internet sind
                                                                         vielfältig und reichen von der Suche nach Informationen
                                                                         z.B. für ein Referat / eine Hausarbeit, über die Motivation,
                                                                         etwas mehr über sich selbst zu lernen, Symptome
                                                                         abzuklären, Informationen für andere oder zu konkreten
                                                                         Krankheiten zu suchen, bis hin zur Vor- und Nachberei-
                                                                         tung von Arztgesprächen.

                                                                         Eltern, Schulen und Ärzt*innen sind für Jugendliche zwar
                                                                         immer noch die zentralen Informationsquellen, wenn es
                                                                         um gesundheitsbezogene Fragen geht, aber das Internet
                                                                         stellt die wichtigste mediale Informationsquelle dar.
                                                                         Die Suche nach Gesundheitsinformationen erfolgt in der
                                                                         Regel über Suchmaschinen (z.B. Google), verstärkt aber
                                                                         auch über YouTube, was ein hohes Interesse an audio­

HAG Stadtpunkte THEMA | 01 | Mai 2021
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