JETZT ODER NIE ol a e, R e - Nicole Baumgärtel
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JETZ T O D ER N IE e i s e , s o l a n g e d u R kannst! noch NICOLE BAUMGÄRTEL Erste Auflage April 2021
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Herstellung und Verlag: BoD – Books on Demand, Norderstedt. © 2021 Nicole Baumgärtel Website: www.nicolebaumgaertel.de Gestaltung, Text und Layout: Nicole Baumgärtel 1. Auflage April 2021 Alle Rechte vorbehalten. ISBN: 978-3-753-47976-7
Für meinen Lieblingsmensch, besten Freund und Travel-Buddy
Autorin Mein Name ist Nicole Baumgärtel. Ich bin Weltenbummler, Hobby-Autorin und Minimalistin. Im Jahr 1988 erblickte ich das Licht der Welt im Erzgebirge nahe der tschechischen Grenze. Bis zu meiner Ausbildung reiste ich vor allem an die Ostsee, in die Berge Österreichs und in die Sächsische Schweiz. Doch schon als Kind wollte ich wissen, wie es über dem großen Teich aussieht. Mit 16 verdiente ich endlich eigenes Geld, was ich sofort in meine erste Reise investierte. Ich flog mit drei Freunden nach Tunesien und verbrachte dort den typischen All inklusive-Urlaub. Da meine Aus- bildungsvergütung gerade reichte, um die Benzinkosten bis zu meiner Arbeitsstätte zu decken, war an Fernreisen nicht einmal zu denken. Kaum begann mein Studium, lautete die Frage: „Wieso ist am Ende des Geldes noch soviel Monat übrig?“ Ich träumte von der weiten Welt, aber sie hätte damals nicht weiter entfernt sein können. Ich schlug mich wie so viele Studenten mit Teilzeitjobs durch und konnte ein paar Euros sparen. Ich fing an, mich für individuelles Reisen zu interessieren und startete mit einer Reise auf dem Camí de Cavalls, einem traumhaft schönen Wanderweg rund um die Insel Menorca. Ich träumte davon mit dem Mountainbike die Insel zu umrunden: Gesagt, getan, bereut! Ich war naiv und es ging ziemlich daneben. Dabei lernte ich auf die harte Tour, was wildes Campen und unweg- sames Gelände bedeutet. Ich lernte aus meinen Fehlern: Der nächste Trip ging nach Portugal, um auf dem Jakobsweg von Porto nach Santiago de Compostela zu wandern. Ich hatte nur minimales Gepäck dabei und konnte mich tatsächlich erholen. Pilgern für Anfänger: Ich empfehle diesen Weg! Als ich durch meine unzähligen Studentenjobs endlich genug Geld zusammen hatte, um eine low-budget Weltreise zu starten, tat ich es.
Ich hatte Bedenken, aber es gab nur diese eine Gelegenheit und ich packte sie. Bis heute bereue ich es keine Sekunde! Meine Weltreisen machten mich zu dem, was ich heute bin: Weltoffen, dankbar und glücklich mit dem, was ich habe. Im Jahr 2014 begann ich meine Gedanken aufs Papier zu bringen. Nahezu täglich verfasste ich Berichte über meine Reisen. Dadurch entstand mein erstes Buch „Zwischen Rast und Risiko“, welches ich 2018 in erster Auflage veröffentlichte. Seit 2011 befindet sich mein Ruhepol und Arbeitsplatz in der wunder- schönen sächsischen Landeshauptstadt Dresden. Mittlerweile habe ich zwei Weltreisen und unendlich viele Erinnerungen im Gepäck, die ich gern mit anderen Menschen teile. Nicole Baumgärtel
Reiseroute
Inhalt Deutschland Wie alles begann.............................................................................13 Ein Abend, der alles verändert.....................................................14 Es kommt, wie es kommen muss.................................................16 Unser Leben steht Kopf..................................................................16 Der Wendepunkt.............................................................................17 Vom Workaholic zum Sinn des Lebens.......................................18 Das Schicksal schlägt erneut zu....................................................19 Wir ziehen es durch!.......................................................................20 Thailand Die Stadt der vielen Gesichter . ....................................................21 Der Ranger von der Khaosan Road..............................................24 Mein heimlicher Lebensretter.......................................................25 Das gute alte Hostelleben..............................................................27 Bangkoks Tempel und Parks.........................................................27 Das Essen rührt mich zu Tränen...................................................28 Überall lauert der Tod....................................................................30 Wir reisen in die Zukunft..............................................................32 Wischi waschi gar nicht billig.......................................................35 Plastic isn´t fantastic.......................................................................36 Begegnungen besonderer Art........................................................37 Ab in den Dschungel......................................................................39 Die Hippie-Hochburg Chiang Mai...............................................42 Verliebt in die Thai-Küche.............................................................44 Der Silber-Tempel...........................................................................45 Korrektes Kacken will gelernt sein...............................................46 Zwischen Diamanten und Durchfall............................................47 Unterwegs mit Mister Sun.............................................................50 Der Mann im Kasten.......................................................................51 Essen im Hinterhof.........................................................................52
Unterwegs im Bilderbuch-Dschungel..........................................54 Ist denn heut´ schon Weihnachten?..............................................56 Schlimmer geht immer!..................................................................57 Fahr´ doch zur Hölle, aber bitte ohne mich!...............................59 Der Toilettentempel von Chiang Rai............................................61 Nur blau erträgt man zuviel Weiß................................................63 Deine Frühlingsrolle ist sexy!........................................................64 Die Wand kommt mir entgegen....................................................67 Ein schwerer Abschied...................................................................68 Krabi lädt zum Träumen ein.........................................................71 Aus dem Nichts...............................................................................72 Wir haben Inselfieber......................................................................74 Touristen und andere Naturkatastrophen..................................77 Das ewige Liegenproblem.............................................................81 Goldrichtig abgebogen...................................................................82 Das ist Karma, Baby!......................................................................84 Klein, aber oho!...............................................................................85 Kurz vor dem Kollaps....................................................................88 Der dreiste Schlüpferdieb..............................................................89 Willkommen im Schlaraffenland..................................................90 Krank im Paradies...........................................................................91 Mutter Natur knockt mich aus......................................................92 Schnitzeljagd in Phuket..................................................................94 Klinikaufenthalt..............................................................................95 Weihnachten fällt aus.....................................................................97 Singapur Massage-Marathon.........................................................................99 Bali Schöne neue Welt..........................................................................101 Taxifahren will gelernt sein.........................................................104 Wir beschenken uns mit einer Villa............................................104 Besuch beim balinesischen Zahnarzt.........................................105 Auf Kultur-Erkundungstour.......................................................107 Wandern zwischen Reisterrassen...............................................107 Sind wir eine Weihnachtsgans?..................................................109 Die verborgene Schlucht..............................................................112 Gemeinsam einsam.......................................................................112
Zeit für neue Abenteuer...............................................................113 Der teuerste Kaffee der Welt.......................................................115 Einzug ins Hakenkreuz-Haus.....................................................116 Vegetarier und Warmduscher.....................................................117 Alle reiben sich an mir.................................................................119 Es sind nur Affen unterwegs.......................................................120 Die Hauptattraktion......................................................................121 Vom Power Nap zum Dauer-Nap..............................................123 Hupe und die Straße gehört dir!.................................................123 Bruce, der Weltenbummler..........................................................125 Unverhofft kommt oft..................................................................126 Ich verschenke einen Hund.........................................................129 Eine gute und eine schlechte Nachricht....................................130 Die Indonesier und wir ...............................................................131 Auf Nimmerwiedersehen!...........................................................134 Mein Gepäck wird diskriminiert................................................135 Australien Hello again!....................................................................................144 Des einen Freud, des anderen Leid............................................145 Man lernt nie aus...........................................................................148 Ein Bad im Regenwald.................................................................150 Sorgenfrei am Kap der Sorgen....................................................151 Der dreiste Ureinwohner.............................................................153 Wer ist der Feuchteste?.................................................................154 Überrollt in Rollingstone.............................................................155 Genieße den Moment!..................................................................157 Der Rentner-Magnet.....................................................................159 Adrenalin-Junkies.........................................................................161 Ein Unglück kommt selten allein...............................................165 Barfuß im Puderzuckersand........................................................167 Unvergessliche Wildtiererfahrungen.........................................170 Auf der Suche nach dem Glück..................................................173 Juwel in der trockenen Steppe....................................................177 Wie im wilden Westen..................................................................178 Wir sind dort, wo Bier ist.............................................................180 Der Boden ist Lava........................................................................183 Im Paradies der Surfer..................................................................184 Ein Mekka für Hippies.................................................................187
Ein Fall für die Haftpflicht...........................................................189 Ohne Fuß läuft es sich nicht........................................................190 Schockverliebt................................................................................191 Von einer Aufregung zur Nächsten...........................................192 Unsere asiatischen Freunde.........................................................194 Australische Kälte.........................................................................195 Das Höhlenklo im Nirgendwo....................................................197 Ernüchternde Ankunft.................................................................198 Sydneys Schokoladenseite...........................................................200 Jeder gibt, was er kann.................................................................201 Wir reisen in die Vergangenheit.................................................203 Hawaii Unser Teddy-Chevy......................................................................207 Ohne Netz kein Bett......................................................................208 Welten prallen aufeinander.........................................................210 Crazy Carolyn...............................................................................213 O´ahus Sonnenseite......................................................................216 Goodbye Hawaii!..........................................................................218 San Francisco Veränderung als einzige Konstante............................................220 Wir erkunden die Stadt................................................................222 Ganz unten angekommen............................................................223 Wanderung zur Golden Gate Bridge.........................................224 Baut euch bloß kein zweites Valley!...........................................225 New York Im kalten Herz des amerikanischen Traums............................227 Resümee
Deutschland Wie alles begann Im Sommer 2015 kam ich nach meiner ersten Weltreise zurück nach Deutschland, um mein Studium der Wirtschaftsinformatik fortzuset- zen. Ich landete in der wunderschönen Stadt Dresden, wo ein wohl- ig warmer Sommer auf mich wartete. Das Wetter war mild und die Elbwiesen voller Studenten. Ich zog in eine Vierer-WG in der quirli- gen Dresdner Neustadt. Mein Zimmer war gerade einmal zehn Qua- dratmeter groß, aber ich hatte alles was ich brauche, denn auf meiner Reise lernte ich mit einem 12 kg Rucksack zu leben. Ich blieb dem Minimalismus treu. Mein Zimmer umfasste einen Stuhl, einen alten Schreibtisch, den ich bei Ebay Kleinanzeigen für 15 Euro erstand und ein Luftbett, wo ich drauf schlief. Einige Menschen würden sagen, dass ich kein besonders luxuriöses Leben führe. Aber ich fühlte mich dennoch reich beschenkt: Ich hatte die Zeit, meinen Traum weiter zu verfolgen und die Freiheit, das zu tun was ich wollte. Mein Leben spielte sich ohnehin außerhalb der eigenen vier Wände ab: Jeden Tag fuhr ich mit meinem alten klapprigen Damenfahrrad durch die Stadt. Mal ging ich einkaufen, mal ging es wie so oft an die Elbe, um dort mit Freunden zu grillen. Einige meiner besten Studienfreunde kamen gerade aus dem Aus- land zurück. Wir waren überglücklich, endlich wieder vereint zu sein. Aber auch neue Gesichter tauchten in unserem Freundeskreis auf. Ich lernte schnell neue Freunde kennen, darunter auch Freunde, die wie ich aus dem Erzgebirge stammen. Die Monate vergingen und schon stand der Jahreswechsel vor der Tür, den ich mit meinen Freunden natürlich gebührend feiern wollte. Wir entschieden uns, dieses Jahr bei unseren neuen Freunden in Zwönitz im Erzgebirge zu feiern. Das dieser Tag mein ganzes Leben verändert, wusste ich damals noch nicht. 13
Ein Abend, der alles verändert Es war ein kalter Silvestermorgen. Ich stieg mit meinen Studienfreun- den aus Dresden in den Zug nach Zwönitz, wo uns unsere Freunde aus dem Erzgebirge bereits erwarteten. Im Zug war es an diesem Tag bitterkalt und in Zwönitz begrüßte uns ein eisiger Wind. Das Grundstück unserer Freunde umfasste neben einem gemütlichen erzgebirgischen Wohnhaus auch einen schneebedeckten Garten mit einem kleinen runden Häuschen aus Holz. Aus verschiedenen Bun- desländern reisten noch weitere Freunde an. Wir verkrochen uns in das kleine Holzhäuschen im Garten, was von innen größer war, als es von außen aussah. Das Häuschen war beheizt und es dauerte nicht lange, bis die dicken Daunenjacken abgelegt wurden. Viele alte Ge- schichten wurden wieder aufgewärmt. Einige Freunde hatte ich schon lange nicht mehr gesehen. Der Silvesternachmittag verging wie im Flug und der Magen fing so langsam an zu knurren. Zwei unserer Freunde grillten für alle: Würstchen, Steaks und Gemü- se waren ausreichend vorhanden. Doch es kursierte das Gerücht, dass eine super leckere Kartoffelsuppe, die eine Freundin für uns kochte, vermutlich nicht für alle reicht. Es wurde spät an diesem Abend und der Alkohol floss in Strömen. Das neue Jahr kam in großen Schritten auf uns zu. Einer meiner Freunde lud seinen Studienfreund Michel ein, der aus dem Spreewald anreiste. Michel lachte viel und laut. Auf- grund des Alkoholgenusses kam es natürlich irgendwann zu der Situ- ation, das jeder einmal auf die Toilette musste. Bei Michel war es nun soweit. Leicht angetrunken öffnete er die Tür des kleinen Holzhäus- chens und stürmte hastig hinaus in den eisigen Garten. Wie von Geis- terhand löste sich dabei eine Sohle von seinem Schuh. Er stolperte, fiel zu Tür hinaus und geradewegs in den Topf mit der Kartoffelsuppe. Alle, die noch nicht den „Mir egal“- Zustand aufgrund des Alkohols erreicht hatten, bemerkten sofort, dass keiner von uns jemals in den Genuss diese Kartoffelsuppe kommen wird. Michel sicherte sich mit dieser Aktion auf jeden Fall einen festen Platz in meinem Gedächtnis. 14
Der restliche Abend verlief friedlich und harmonisch. Wir läuteten gemeinsam das neue Jahr ein: Nun war es schon 2016! Obwohl wir noch nicht genau wussten, wo wir alle heute Nacht schlafen, stand dann doch ziemlich schnell fest, dass ich bei einem anderen Freund im Gartenhäuschen schlafe. Allein der Gedanke an dieses Häuschen ließ mich frieren, daher bevorzugte ich es, länger zu feiern. Zu dem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass dieses Häuschen sehr gemüt- lich, beheizt und mit Schaf-Fellen sowie allerlei Mittelalterkram aus- gestattet ist. Auf dem Weg zum Schlafensplatz nahm Michel plötzlich meine Hand, unter dem Vorwand, dass es viel zu glatt auf der Straße ist, um ohne Schuhsohle zu laufen. Ich war gutgläubig und wollte ihm helfen. Also liefen wir Hand in Hand zu unserem gemeinsamen Freund nach Hau- se. Ich wollte dem armen Michel nur helfen, aber Jahre später erzählte er mir, dass er nur meine Nähe suchte. Ein kluger Schachzug von ihm! Am nächsten Morgen aßen wir alle gemeinsam Frühstück. Ein Freund aus Bayern brachte Weißwurst und Brezel für alle mit. Danach wurde es Zeit, sich voneinander zu verabschieden. Ich hatte zu dem Zeit- punkt noch keinen Plan, wie ich wieder nach Dresden komme. Auf eine Zugfahrt hatte ich absolut keine Lust. Michel musste ebenfalls zurück in den Spreewald. Er lud mich ein, bei ihm mitzufahren, da er auf dem Weg dorthin über Dresden fährt. Ich zögerte zwar kurz, sagte ihm aber zu. Auf der Fahrt nach Dresden waren Michel und ich keineswegs allein: Ein befreundetes Pärchen begleitete uns und besetzte die Rücksitze. Die beiden waren allerdings völlig fertig von der gestrigen Nacht und schliefen nach wenigen Fahrminuten ein. Michel und ich hatten wäh- rend der Fahrt die Gelegenheit, uns näher und vor allem nüchtern kennenzulernen. Nachdem wir in Dresden ankamen, tauschten wir unsere Handynummern aus, natürlich unter dem Vorwand, nur ge- meinsam mit Freunden etwas trinken zu gehen. 15
Es kommt, wie es kommen muss Michel und ich schrieben uns Tage später ewig lange Textnachrichten und telefonierten stundenlang. Wir verstanden uns einfach super und wurden ein Herz und eine Seele. Zehn Monate später zogen wir zu- sammen in unsere erste gemeinsame Wohnung: Eine Studenten-WG nur für uns zwei, wo wir beide unsere eigenen Arbeitszimmer hatten. Die Zeit in dieser Wohnung war absolut fantastisch, da ich nicht nur mit meinem späteren Freund, sondern auch mit meinem besten Kum- pel zusammen wohnte. Wir fühlten uns pudelwohl, hingen stunden- lang zusammen herum und arbeiteten viel. Wir schrieben zur glei- chen Zeit unsere Abschlussarbeiten in der Uni und hatten das Leben im Griff. Jede freie Minute genossen wir gemeinsam, auch wenn die Freizeit oft zu kurz kam, da wir beide neben der Uni viel arbeiteten. Unser Leben steht Kopf Michel und ich fuhren für einen romantischen Kurzurlaub nach Use- dom an die Ostsee. Obwohl sein alter Opel Astra am Reisetag zuerst nicht anspringen wollte und auch die Scheibenwischer nicht funktio- nierten, starteten wir unsere lang ersehnte Fahrt in den Norden. Wir fuhren in der letzten Septemberwoche an die Ostsee. Alle hielten uns für verrückt. Aber zu dem Zeitpunkt waren die Unterkünfte auch für Studenten wie uns bezahlbar. Michel und ich hatten wahnsinnig viel Glück. Wir wurden mit war- men Spätsommertemperaturen und viel Sonnenschein belohnt. Daher fuhren wir mit unseren klapprigen alten Fahrrädern von Karlshagen auf Usedom bis nach Polen, spazierten stundenlang am Strand, tran- ken Bier und spielten Karten, saßen abends im Strandkorb, aßen dabei Pizza und tranken Rotwein, während wir einen roten Blutmond be- obachteten. Kein Wässerchen konnte unser Glück trüben! Doch leider war diese Harmonie nur von kurzer Dauer. Am letzten Tag unserer Reise wachte Michel mit starken Schmerzen im Unterleib auf. Sein 16
Hoden war plötzlich stark geschwollen. Wir konnten uns die Schwel- lung gar nicht erklären. Unsere Vermutung war ein Insektenstich in der Nacht. „Vielleicht hat sich eine Biene unter die Bettdecke verirrt und stach zu, als sie keinen Ausweg mehr fand!“ Michel und ich tra- ten die Heimfahrt nach Dresden an. Er stieg ins Auto und direkt wie- der aus. „Ich kann nicht fahren, die Schmerzen sind einfach zu stark!“, sagte er. Michel setzte sich auf den Beifahrersitz und öffnete ein Do- senbier. „Hoffentlich kommen wir gut heim, wenn du fährst!“, sagte er scherzend zu mir. Egal wie schlecht es ihm ging, Michel machte immer noch Witze über meine Fahrkünste, die übrigens gar nicht so schlecht sind. Ich fuhr zurück nach Dresden, wo wir sechs Stunden später gesund und munter ankamen. Der Wendepunkt Am nächsten Morgen war Michels Hoden noch stärker geschwollen. Ich zwang Michel dazu, endlich zum Arzt zu gehen. „Krebs wird es schon nicht sein!“, sagte ich zu ihm. Wir gingen kurzerhand in die No- taufnahme des Uniklinikums in Dresden. Michel kam nach rund fünf Stunden Wartezeit endlich dran. Ich blieb währenddessen im War- tebereich sitzen und wartete. Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit, bis ich ihn wiedersah. Michel wurde aufgerufen. Er ging in ein Behand- lungszimmer. Weitere Ärzte kamen und gingen dort hinein. Kurze Zeit später liefen noch mehr Ärzte zu ihm ins Zimmer. Es zog sich hin und ich wurde immer unruhiger. Was war da bloß los? Nach vielen Stunden kam Michel zurück zu mir. Wir liefen gemein- sam und ohne viele Worte raus aus dem Krankenhaus. „Ich habe Krebs!“, sagte Michel mit Tränen in den Augen. Ich war geschockt und werde diesen Moment nie vergessen! Wenige Tage später ging es Schlag auf Schlag: Michel wurde kom- plett aus dem Studium gerissen, mitten in seiner Diplomarbeit. Ich war selbst mit den Nerven am Ende, wegen meiner Masterarbeit und wegen Michel. Doch Michels Gesundheit stand nun an allererster Stelle. Er ging erneut ins Krankenhaus: Chemotherapie! Ich besuchte 17
Michel jeden Tag und tat, was ich konnte. Es ging alles so schnell. Es war kaum Zeit, vernünftige Entscheidungen zu treffen. Die Wochen vergingen und wir funktionierten nur noch. Michel hielt tapfer durch. Sein einziges Ziel war es, das Studium zu beenden. Oft sagte er zu mir: „Ich habe keine Zeit für Krebs, meine Diplomarbeit muss fertig werden.“ Glücklicherweise verlief die Chemotherapie ganz gut und Michel durfte nach einigen Wochen zurück in unser Zuhause. Vom Workaholic zum Sinn des Lebens Michel kämpfte sich schnell zurück ins Leben. Obwohl es ihm nicht gut ging, saß er Tag und Nacht und auch jedes Wochenende an sei- ner Diplomarbeit. Ich arbeitete ebenfalls sehr viel und schrieb meine Masterarbeit in jeder freien Sekunde. Wir verlängerten beide unser Studium um ein Semester und schlossen schließlich mit hervorragen- den Leistungen ab. Während einer Krebserkrankung passieren verrückte Dinge: Freunde wenden sich ab, da sie mit der Situation nicht umgehen können. Man selbst wendet sich von Freunden ab, da andere Dinge wichtiger sind. Ich funktionierte und unterstützte Michel, wo es nur ging. Michel dachte viel über sich und das Leben nach. Er war erst 27 Jahre alt und alles was er bisher in seinem Leben tat, war studieren und arbeiten. „Ich will die Welt sehen, bevor ich sterbe!“, sagte er eines Tages zu mir. „Aber du musst mitkommen!“, ergänzte Michel. Ich nahm mir bereits vor einigen Jahren eine Auszeit im Ausland. Da- her genoss ich es umso mehr, nun die Vorzüge einer festen Wohnung, eines Betts und eines Kühlschranks zu haben. Außerdem wollte ich nach meinem Studium direkt ins Berufsleben einsteigen. Doch Michel war mein Ruhepol, mein Lebensmittelpunkt, mein Seelenverwandter und meine Heimat. Natürlich konnte ich ihm seinen Wunsch einer Weltreise nicht abschlagen. Also versprach ich Michel, ihn auf dem Weg um die Welt zu begleiten. 18
Das Schicksal schlägt erneut zu Michel und ich fanden schnell ein paar sehenswerte Orte auf unserer Weltkarte. Wir markierten alle Länder und feilten an den Flugrouten. Unser erster Flug sollte uns nach Reykjavík in Island führen, dann nach New York und schließlich nach Miami, Florida. Wie die Route danach weiter verläuft wollten wir spontan entscheiden. Ich kümmer- te mich um die Flugbuchungen und die Visa. Im Juli 2018 wollten wir unsere Reise starten, doch leider verspürte Michel sehr starke Schmer- zen. Diesmal spürte er Schmerzen in beiden Knien. Ein Besuch bei einem Orthopäden brachte schließlich Gewissheit: Meniskus-Risse in beiden Knien. Das war der absolute Supergau! Michel musste erneut operiert werden. Zwischen den Operationen musste ein halbes Jahr Genesung eingehalten werden. Unser Reise- traum geriet mit einem Schlag in weite Ferne. Da wir uns für jung und fit hielten, schlossen wir keine Reiserücktrittversicherung ab und blieben auf allen Kosten sitzen. So endete unsere Weltreise, bevor sie überhaupt begann. Die Meniskus-Risse zog sich Michel in der Tram- polinhalle zu. Obwohl wir keine Kunststücke vollbrachten, war der Druck auf den Knien beim Springen einfach zu hoch. Die Chemothe- rapie zehrte vermutlich auch am Gewebe im Knie. Die Federung beim Trampolinspringen war pures Gift für Michels Körper. Es schien, als dürfen Krebspatienten gar keinen Spaß mehr haben. Meine Nerven lagen blank: Mal mehr, mal weniger. Aber blank lagen sie immer. Michel und ich arrangierten uns damit, unsere Weltreise zu verschieben. Aber für uns stand fest, dass wir keines dieser Pär- chen sind, die „irgendwann mal eine Weltreise machen“. Wir waren fest entschlossen, dass wir einen neuen Versuch starten, sobald Michel wieder gesund ist. Immerhin wussten wir bereits, wie schnell sich das Leben ändern kann. Oft ist es leichter, etwas auf „Irgendwann“ zu verschieben, aber es kann eben auch vorkommen, dass „Irgendwann“ niemals eintritt. 19
Wir ziehen es durch! Es war mittlerweile November. Unsere ursprüngliche Reiseroute war für die Katz´, denn keiner von uns wollte im November nach Island fliegen und sich dort den Popo abfrieren. Michel und ich wollten trotz- dem weg, irgendwo hin, wo es gerade sonnig und warm ist. Kopf aus, Bikini an! Wir suchten spontan nach dem günstigsten Flug im Inter- net: „Komm´, wir fliegen morgen nach Bangkok!“ Ankunft am Flughafen Leipzig. Ich freute mich auf alles was noch kommt, aber gerade freute ich mich über den überschaubaren Flugha- fen. Alles war übersichtlich und gut zu finden. Es war ein traumhafter Start in unsere Reise, denn alles verlief ausnahmsweise reibungslos. Zuerst flogen wir nach Düsseldorf. Unser Flieger konnte sogar zehn Minuten früher starten, da wir nur mit Geschäftsreisenden flogen. In Düsseldorf fanden wir schnell das Gate für den Weiterflug nach Bangkok. Am Gate herrschte schon viel Trubel: Kleine Kinder spiel- ten zwischen den Sitzbänken mit Bauklötzen, alte Menschen lösten gemütlich ihre Kreuzworträtsel und viele Rucksackreisende machten es sich auf dem Fußboden des Flughafengebäudes gemütlich. Michel und ich fühlten uns nirgends so richtig zugehörig: Wir waren keine typischen 18-Jährigen Backpacker und auch keine Business-Reisen- den, aber eben auch keine Urlauber. Wer will schon in eine Schublade gesteckt werden? Wir sind einfach Michel und Nicole. Wir werden sehen, wer wir sind, wenn wir zurück kommen. Wir stiegen in den Flieger nach Bangkok und bekamen einen Platz in der ersten Reihe, wo die Sitze angenehm und die Geräuschkulisse ruhig war. Leider konnten wir während des elfstündigen Fluges kein Auge schließen. War es die Aufregung? Vielleicht bei Michel, aber nicht bei mir. Ich fand es einfach anstrengend! Als ich meine Schlaf- maske abnahm, sah ich das Tageslicht, obwohl es nach deutscher Zeit erst 4:30 Uhr morgens war. Die Grenze zwischen Tag und Nacht war schnell durchflogen. Mit Tageslicht von draußen wurde es für mich gänzlich unmöglich, überhaupt einzuschlafen. Ich hielt tapfer durch und zählte in Gedanken die Stunden bis zur Landung. 20
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