Judith Niehues / Theresa Eyerund Gespaltene Mitte - gespaltene Gesellschaft? Eine empirische Clusteranalyse auf Basis des SOEP - Roman ...

Die Seite wird erstellt Pirmin Reiter
 
WEITER LESEN
2
     Judith Niehues / Theresa Eyerund
     Gespaltene Mitte – gespaltene Gesellschaft?
     Eine empirische Clusteranalyse auf Basis des SOEP ¹

     2.1 Einleitung                                            den Kapitel neben der Mittelschicht und der
                                                               Gesellschaft als Ganzes auch die unteren und
     2.1.1 Die Mittelschicht als zentraler                     oberen Einkommensschichten durchleuchtet.
     Ankerpunkt der Gesellschaft?                              Damit wird über die Ränder der Mittelschicht
     Die Mittelschicht steht unter besonderer wis-             hinausgeblickt und die gesamte Gesellschaft
     senschaftlicher und politischer Beobachtung.              darauf untersucht, welche Gruppen ähnliche
     Dieser Fokus begründet sich zum einen da-                 Sorgen, Einstellungen und das Gefühl sozialer
     durch, dass sie den Großteil der Bevölkerung              Eingebundenheit haben und welche Unter-
     Deutschlands umfasst. 47 Prozent der Men-                 gruppen es innerhalb der Schichten gibt.
     schen gehörten im Jahr 2016 zur Mittelschicht
     im engeren Sinne. Zum anderen hat der                     2.1.2 Gesellschaftliche Differenzierungen in
     Zustand der Mittelschicht auch eine Signalwir-            Sorgen, Einstellungen und Empfindungen
     kung, weil von ihrer Größe und Beschaffenheit             Um die Gesellschaft in ihren Unterschieden
     auf den Zustand einer Gesellschaft geschlos-              analysieren und besser abbilden zu können,
     sen wird. Als Bindeglied zwischen Arm und                 gibt es in der ökonomischen wie sozialwis-
     Reich stellt sie auch einen zentralen Indikator           senschaftlichen Forschung verschiedene
     für die Stabilität der Gesellschaft dar. Bezeich-         Schichtungs- und Milieumodelle. Der Fokus
     nungen wie »Seismograf«, »Motor« oder »An-                liegt dabei häufig entweder auf einer alleinigen
     ker« der Gesellschaft betonen die Bedeutung               Abgrenzung nach dem Einkommen oder auf
     der Mittelschicht. Welche Sogwirkung von                  einer Abgrenzung nach soziodemografischen
     der Mittelschicht ausgeht, wird auch dadurch              Kriterien wie Bildung oder Wertevorstellungen.
     deutlich, dass die meisten Menschen sich als
     Mitglieder der Mittelschicht sehen, auch wenn             Die mit den sozialen Schichten oder Klassen
     sie durch ihr Einkommen einer höheren oder                traditionell assoziierten Eigenschaften und Ste-
     tieferen Schicht angehören (Niehues, 2017;                reotype in Bezug auf Einstellungen, Konsum-
     Engelhardt/Wagener, 2018).                                muster oder Verhaltensweisen können heute
                                                               nicht mehr eindeutig aufrechterhalten werden.
     Die Ergebnisse der RHI-Diskussion »Die                    Der steigende Wohlstand – auch der unteren
     gespaltene Mitte. Werte, Einstellungen und                Schichten – führte dazu, dass eine »Verbin-
     Sorgen« (Niehues/Orth, 2018) haben gezeigt,               dung von Klasse oder Schicht und der Lebens-
     dass es sich bei der Mittelschicht keineswegs             führung der Menschen weniger eng wurde«
     um eine homogene Gruppe handelt. Vielmehr                 (Burzan, 2011, 89). In der Folge bildeten sich
     spaltet sich die Mittelschicht in eine eher               vielfältigere Lebensstile und Milieus heraus.
     besorgte und eine weniger besorgte Gruppe.
     An diese Analyse der Mittelschicht schließt sich          Durch die Kombination von sozialem Status
     unmittelbar folgende Frage an: Nimmt die Mit-             und Grundorientierungen lassen sich jedoch
     telschicht mit diesem Befund eine Sonderrolle             relativ homogene soziale Gruppen definieren,
     in der Gesellschaft ein? Oder finden sich diese           die jeweils ähnliche lebensweltliche Vorstellun-
     Spaltungstendenzen auch in der gesamten                   gen und eine gemeinsame Identität aufweisen.
     Gesellschaft und in anderen gesellschaftlichen            Da sich die Gesellschaft im Lauf der Zeit wan-
     Schichten?                                                delt, verändern sich auch die sozialen Milieus
                                                               und sie werden zunehmend komplexer, um der
     Mit derselben Methodik der Clusteranalyse,                steigenden Individualisierung und Heteroge-
     mit der die Autorinnen die Ergebnisse der ge-             nität der Gesellschaft gerecht zu werden. Die
     nannten RHI-Diskussion (Niehues/Orth, 2018)               einzelnen Gruppen vereinen hierdurch nur je-
     herausgearbeitet hatten, werden im vorliegen-             weils kleine Teile der Bevölkerung. In der »bür-
                                                               gerlichen Mitte« der bekannten Sinus-Milieus
                                                               befanden sich im Jahr 2018 beispielsweise nur
     1 Die Autorinnen danken Anja Katrin Orth für ihre
                                                               knapp 13 Prozent der Bevölkerung ab 14 Jah-
     konzeptionelle Unterstützung in der Vorbereitung dieser
     Studie und Lennart Bolwin für seine wertvolle Zuarbeit    ren (Sinus, 2018; vgl. für Werte von 2017 auch
     bei der Auswertung der Clusteranalysen.                   Kapitel 3, S. 37).

16
In der sozialwissenschaftlichen Theorie und
Forschung wird davon ausgegangen, dass                                 Die traditionell mit den
die Zugehörigkeit zu einer Schicht Einfluss auf
Einstellungen und Verhalten der ihr zugehöri-                      sozialen Schichten assozi­
gen Personen hat (Burzan, 2011, 65). Angehö-
rige einer Klasse oder Schicht haben ähnliche                        ierten Eigenschaften und
ökonomische Bedingungen und Lebenslagen,
welche dazu führen, dass homogene Inte-                          Stereotype zu Einstellungen,
ressen und Wertorientierungen ausgeprägt
werden, die sich von denen anderer Klassen                             Konsum oder Verhalten
unterscheiden (Lepsius, 1990). Die Tatsache,
einer bestimmten Schicht anzugehören, erhöht                     lassen sich heute nicht mehr
also die Wahrscheinlichkeit, mit bestimmten
Problemen stärker oder schwächer konfrontiert                                aufrechterhalten.
zu werden und entsprechend korrespondie-
rende Haltungen und bestimmte Verhaltens-
muster anzunehmen.

Die Sorgen und Einstellungen von Angehörigen        muster innerhalb der Gesellschaft bilden.
bestimmter Gesellschaftsschichten werden            Darüber hinaus wird verglichen, wie sich die
insbesondere im Zusammenhang mit sich wan-          Ergebnisse der Mittelschicht von der gesamten
delnden Rahmenbedingungen thematisiert. Es          Gesellschaft unterscheiden. Deswegen wird
besteht die Annahme, dass unterschiedliche          auch hier die Methodik der Clusteranalyse ver-
soziale Schichten mit den Belastungen durch         wendet. Damit lassen sich Ähnlichkeiten und
Veränderungen auch unterschiedlich umgehen.         Unterschiede innerhalb einer Gruppe erkennen,
So habe jede Milieugruppe gemäß ihrer Tradi-        mittels derer sich die Gruppe möglicherweise
tion eine spezifische Strategie dafür entwickelt    in verschiedene Untergruppierungen (Cluster)
(Vester, 2003, 253 f.).                             einteilen lässt. Das Ergebnis gibt einen Hinweis
                                                    darauf, ob sich die deutliche Zweiteilung der
Entsprechend liegt die Vermutung nahe, dass         Mittelschicht in ein eher besorgtes und ein un-
sich die verschiedenen Schichten hinsichtlich       besorgtes Cluster (Niehues/Orth, 2018) auch in
ihrer Sorgen, Einstellungen und Empfindungen        der Gesellschaft als Ganzes oder den weiteren
unterscheiden und aktuelle Herausforderun-          Einkommensschichten findet.
gen die Schichten in unterschiedlichem Maße
verunsichern. Eine Schichtzugehörigkeit führt       2.2.1 Daten und Konzepte
nicht zwangsläufig auch zur Zugehörigkeit zu        Theorie und Analysemethode dieser Studie
einer bestimmten Interessengruppe oder zur          bauen auf der Publikation »Die gespaltene
Ausprägung bestimmter Merkmale. Zudem               Mitte. Werte, Einstellungen und Sorgen«
kann die Abgrenzung der Gruppen insbeson-           (Niehues/Orth, 2018) auf. Als Datengrundlage
dere an den Übergängen unscharf werden              dient wieder das Sozio-oekonomische Panel
(Burzan, 2011, 65; Geißler, 1994, 26). Daher        (SOEP). Im Auftrag des Deutschen Instituts
wird zunächst die Gesamtgesellschaft auf Ähn-       für Wirtschaftsforschung Berlin (DIW) werden
lichkeiten in Sorgen, Einstellungen und Empfin-     in der jährlichen Wiederholungsbefragung seit
dungen analysiert.                                  1984 repräsentative Daten zu Einkommen,
                                                    Erwerbstätigkeit und Bildung sowie subjektive
2.2 Gespaltene Gesellschaft: eine Cluster­          Einschätzungen erhoben. Zurzeit werden mehr
analyse der Gesamtgesellschaft                      als 35.000 Personen in knapp 15.000 Haus-
Ziel des vorliegenden Beitrags ist es, ein Abbild   halten erfasst. Daten zu Sorgen und Einstel-
der Stimmung in der gesamten Gesellschaft           lungen fließen nur von Befragten ab 17 Jahren
zu gewinnen und auszumachen, inwiefern              ein, die einen eigenen Personenfragebogen
sich unterschiedliche Einstellungs- und Werte-      ausfüllen.

                                                                                                       17
2
     Judith Niehues / Theresa Eyerund
     Gespaltene Mitte – gespaltene Gesellschaft?
     Eine empirische Clusteranalyse auf Basis des SOEP

     In der vorliegenden Analyse werden die Daten
     der SOEP-Welle aus dem Jahr 2017 verwen-            Exkurs: Die Methodik der Clusteranalyse
     det (Version 34 – v34). Da in den Befragungs-       Zur Untersuchung der Homogenität oder
     wellen teilweise unterschiedliche Variablen         Heterogenität von Sorgen, Einstellungen und
     erhoben werden, können viele Variablen, die         sozialer Eingebundenheit in der Gesellschaft
     in die Mittelschichtsanalyse von Niehues/Orth       wird die Methode der Clusteranalyse angewen-
     (2018) eingeflossen sind, im Folgenden nicht        det. In einem hierarchischen Verfahren wer-
     berücksichtigt werden. Diese Einschränkung          den möglichst homogene Gruppen (Cluster)
     bezieht sich insbesondere auf das Variablen-        gebildet, die die Streuung der berücksichtigten
     set zu den politischen Prioritäten und den          Variablen innerhalb der Gruppe minimieren.
     Einstellungen. Aus der Aktualisierung ergibt        Das heißt, es wird nach Personen gesucht, die
     sich hingegen die Möglichkeit, neue Variablen       eine ähnliche Ausprägung von Werten, Einstel-
     zu betrachten, die in der Diskussion um die         lungen und Sorgen haben. Als Ähnlichkeits-
     Stabilität des gesellschaftlichen Gesamtgefü-       maß wird die quadrierte Euklidische Distanz
     ges eine Rolle spielen.                             verwendet. Da dieses Maß stark auf Ausreißer
                                                         reagiert, basiert die Analyse auf standardisier-
     Die folgenden Einstellungs-Variablen werden         ten Variablen. Hierfür wird von jeder Variab-
     hier einbezogen und waren auch Bestandteil          lenausprägung der arithmetische Mittelwert
     der Studie von Niehues/Orth (2018):                 abgezogen und die resultierende Differenz
                                                         durch die Standardabweichung geteilt. Eine
     –   Gefühl, etwas Wertvolles zu tun,                Standardisierung ermöglicht zudem, dass der
     –   Risikobereitschaft,                             Einfluss von Variablen mit unterschiedlichen
     –   Politikinteresse.                               Skalenniveaus vergleichbar wird (für weitere
                                                         Informationen vgl. RHI-Diskussion Nr. 30:
     Ebenso können alle Variablen zu den Sorgen,         Niehues/Orth, 2018).
     die in der Mittelschichtsstudie von Niehues/
     Orth (2018) genutzt wurden, auch in dieser
     Analyse zur Gesamtbevölkerung verwendet
     werden. Das betrifft die Sorgen um                  Im Mittelpunkt der Debatten um soziale
                                                         Ungleichheit und damit verbundener Gesell-
     –   die allgemeine wirtschaftliche Entwicklung,     schaftsdiagnosen stehen häufig Fragen um die
     –   die eigene wirtschaftliche Situation,           Bedeutung und Spannweite sozialer Ausgren-
     –   die Entwicklung der Kriminalität,               zung (Böhnke, 2005). Soziale Ausgrenzung
     –   die Zuwanderung nach Deutschland,               kann verstanden werden als Mangel der Mög-
     –   den sozialen Zusammenhalt,                      lichkeit der Menschen, in das gesellschaftliche
     –   die eigene Altersversorgung,                    Leben integriert zu sein – sowohl mit Blick auf
     –   den Schutz der Umwelt,                          Lebensstandards als auch auf die Einbindung
     –   den Erhalt des Friedens,                        in soziale Netzwerke und gesellschaftliche
     –   die eigene Gesundheit.                          Partizipation (Böhnke, 2005, 32).

     Die folgenden Betrachtungen zielen darauf           Die Angaben über das Gefühl der sozialen
     ab, ein tieferes Verständnis der Substruktu-        Ausgrenzung geben somit Hinweise darauf,
     ren innerhalb der Gesellschaftsschichten zu         wie stark sich Angehörige der jeweiligen
     erhalten. Damit sollen auch Rückschlüsse auf        Schichten als integrierter Bestandteil der
     Parallelen und Unterschiede möglich werden,         Gesellschaft sehen. Diese Informationen sind
     die das gesamte gesellschaftliche Gefüge be-        insofern besonders relevant, als Menschen,
     treffen. Deshalb werden Variablen zum Gefühl        die sich ausgegrenzt oder einsam fühlen, auch
     der sozialen Eingebundenheit beziehungsweise        weniger Halt durch das demokratische Sys-
     Ausgegrenztheit einbezogen, die im SOEP im          tem und weniger Bezug zur Politik insgesamt
     Jahr 2017 abgefragt wurden.                         empfinden (Krause/Gagné, 2019). Darüber
                                                         hinaus stellt sich in Gesellschaftsdebatten

18
häufig die Frage, ob soziale Ausgrenzung von       zial ausgegrenzt zu sein. Das dritte Cluster mit
sozioökonomischen Faktoren abhängt und             der Nummerierung 2b umfasst rund ein Drittel
bestimmte Personengruppen stärker betroffen        der Bevölkerung. Es ist ebenfalls besorgter als
sind (Eyerund/Orth, 2019).                         das zuversichtlichere Cluster 1, unterscheidet
                                                   sich aber hinsichtlich Einstellungen und des
Die Fragen zur sozialen Eingebundenheit            Gefühls, Wertvolles zu tun, kaum von diesem
lauten: Wie oft haben Sie das Gefühl, ...          (Abbildung 1). Finanzielle und gesundheitliche
                                                   Sorgen sind etwas geringer als beim besorgten
... dass Ihnen die Gesellschaft anderer fehlt?     Cluster 2a. Das Gefühl sozialer Ausgegrenztheit
... außen vor zu sein?                             tritt in erkennbar geringerem Ausmaß auf.
... dass Sie sozial isoliert sind?
                                                   Es zeigen sich somit in Form der Cluster 1, 2a
2.2.2 Sorgen, Einstellungen und Empfindungen       und 2b:
in der Gesellschaft: Zuversichtliche, Besorgte
und Beunruhigte                                    –   Zuversichtliche. Ein großes zuversicht-
Eine Analyse der Gesellschaft als Ganzes               liches Cluster 1, dessen Angehörige sich
gibt zunächst Informationen darüber, ob sich           sozial eingebunden fühlen.
Cluster mit ähnlichen Sorgen und Einstellungen     –   Besorgte. Ein kleines, insbesondere auch
oder Tendenzen zum Gefühl sozialer Ausge-              finanziell besorgtes Cluster 2a, dessen An-
grenztheit herausbilden und mit welchen sozio-         gehörige sich sozial ausgegrenzt fühlen.
ökonomischen Kriterien diese zusammenhän-          –   Beunruhigte. Ein mittelgroßes Cluster 2b,
gen. Die Clusteranalyse für die Gesellschaft als       dessen Angehörige sich größere Sorgen
Ganzes – ohne Unterteilung in soziokulturelle          machen – aber weniger finanzieller, son-
oder einkommensbasierte Schichten – deutet             dern vor allem gesellschaftlich-kultureller
auf das Bestehen von drei Clustern hin.                Art – und sich selten ausgegrenzt fühlen.

Abbildung 1 (Seite 20) stellt die Ausprägun-       Generell war das Niveau der Sorgen um die
gen der standardisierten Variablen in den drei     wirtschaftliche Situation im Jahr 2017 in der
identifizierten Clustern dar. Sie zeigt, welche    Gesamtbevölkerung relativ niedrig. In Cluster 1
der berücksichtigten Variablen für die Heraus-     machen sich nur rund 4 Prozent große Sor-
bildung der Cluster besonders wichtig sind. Die    gen um die eigene wirtschaftliche Situation,
Standardisierung der Variablen ist erforderlich,   in Cluster 2a sind es knapp 43 Prozent und in
um den Einfluss der Variablen trotz unterschied-   Cluster 2b rund 18 Prozent. In den eher gesell-
licher Skalenniveaus (von drei Antwortkatego-      schaftlich-kulturellen Sorgen-Kategorien fallen
rien bis elf Antwortmöglichkeiten) vergleichbar    die Unterschiede zwischen den drei Clus-
zu machen. Positive Werte bedeuten Abwei-          tern noch größer aus. Allerdings ist in diesen
chungen vom Durchschnitt nach oben, negative
Werte Abweichungen nach unten. Große Ab-
stände zwischen den Linien der Cluster weisen
auf besonders deutliche Unterschiede in der
Ausprägung der jeweiligen Variable zwischen                     Die Gesellschaft besteht
den drei Clustern der Gesamtgesellschaft hin.
                                                                       aus drei Clustern:
Cluster 1 hat weniger Sorgen als die beiden an-
deren und zudem das Gefühl, eher Wertvolles            den Zuversichtlichen (52 Prozent),
zu tun und sozial integriert zu sein. Es umfasst
rund 52 Prozent der Bevölkerung. Ein kleines             den Besorgten (14 Prozent) und
zweites Cluster mit der Nummerierung 2a (rund
14 Prozent) hat eher größere Sorgen, insbe-               den Beunruhigten (34 Prozent).
sondere finanzieller Art, seltener das Gefühl,
Wertvolles zu tun, und häufiger das Gefühl, so-

                                                                                                      19
2
                             Judith Niehues / Theresa Eyerund
                             Gespaltene Mitte – gespaltene Gesellschaft?
                             Eine empirische Clusteranalyse auf Basis des SOEP

Abbildung 1
Einstellungen, Sorgen und Gefühl sozialer Eingebundenheit
in den drei Clustern der Gesamtgesellschaft im Jahr 2017

                                                                      Gefühl, etwas Wertvolles zu tun
                                               Sozial isoliert sein                                        Risikobereitschaft

                                                                                     1,5
                                 Außen vor sein                                                                             Politikinteresse
                                                                                     1,0

                                                                                     0,5

           Gesellschaft anderer fehlt                                                0,0                                                Allgemeine wirtschaftliche
                                                                                                                                        Entwicklung
                                                                                   –0,5

                 Eigene Gesundheit                                                                                                        Eigene wirtschaftliche Situation

                      Erhalt des Friedens                                                                                         Entwicklung der Kriminalität

                                     Schutz der Umwelt                                                              Zuwanderung nach Deutschland

                                                  Eigene Altersversorgung                        Sozialer Zusammenhalt

                                                                                                                                                    ■   Cluster 1 (52 %)
                                                                                                                                                    ■   Cluster 2a (14 %)
Hierarchische Clusteranalyse mittels des Ward-Verfahrens und der quadrierten Euklidischen Distanz als Ähnlichkeitsmaß,                              ■ ■ Cluster 2b (34 %)

Z-standardisierte Variablen.
Cluster 1: eher zuversichtliche Menschen, die sich sozial eher eingebunden fühlen.                                                                  ■ Einstellungen
Cluster 2a: gesellschaftlich-kulturell und finanziell besorgtere Menschen, die sich sozial vergleichsweise häufig ausgegrenzt fühlen.               ■ Sorgen um …
Cluster 2b: eher gesellschaftlich-kulturell besorgte Menschen, die sich sozial eher eingebunden fühlen.                                             ■ Gefühl sozialer
Quellen: SOEP v34; eigene Berechnungen                                                                                                                Eingebundenheit

                             Sorgen-Kategorien auch das grundsätzliche                                  Cluster 2a. Gleichzeitig haben jedoch 70 Pro-
                             Niveau in der Bevölkerung höher. In Cluster 1                              zent der Angehörigen des Clusters 2b oft oder
                             machen sich rund ein Viertel große Sorgen um                               sehr oft das Gefühl, Wertvolles zu tun, und
                             Zuwanderung und Kriminalität sowie ein Drittel                             erreichen damit fast den Wert des Clusters 1
                             um die Erhaltung des Friedens. In Cluster 2a                               (77 Prozent). Rund 90 Prozent und mehr der
                             sorgen sich knapp zwei Drittel über die Krimi-                             Angehörigen der Cluster 1 und 2b fühlen sich
                             nalitätsentwicklung in Deutschland, 60 Prozent                             selten oder nie ausgegrenzt – auch hier sind
                             über die Zuwanderung nach Deutschland und                                  die Werte der beiden Cluster sehr ähnlich.
                             über 70 Prozent um die Erhaltung des Frie-                                 In Cluster 2a hat hingegen nur rund ein Drittel
                             dens. In Cluster 2b machen sich sogar 87 Pro-                              der Cluster-Angehörigen oft oder sehr oft das
                             zent große Sorgen um die Friedenserhaltung.                                Gefühl, Wertvolles zu tun. Ein ähnlich großer
                             Die Sorgen um Kriminalität und Zuwanderung                                 Anteil (30 Prozent) fühlt sich oft oder sogar
                             sind mit 65 und 50 Prozent ähnlich hoch wie in                             sehr oft sozial ausgegrenzt.

                      20
Zieht man die sozioökonomischen Kriterien
hinzu, fällt auf, dass die drei Cluster einige                       Das Einkommen ist ein
Unterschiede in den Bereichen Einkommen
und Bildung aufweisen. Das finanziell und                       zentrales Statusmerkmal, in
gesellschaftlich besorgte und sich eher isoliert
fühlende Cluster 2a verfügt über ein erkennbar                 dem sich viele soziokulturelle
geringeres Einkommen gegenüber den an-
deren beiden Clustern. Das durchschnittliche                     Merkmale wie Bildung oder
bedarfsgewichtete Nettoeinkommen pro Kopf
und Monat von Cluster 2a beträgt rund 1.700                           Erwerbsstatus zeigen.
Euro gegenüber 2.150 Euro in Cluster 2b und
2.380 Euro in Cluster 1. Auch finden sich in
den Clustern 2a und 2b mehr Menschen mit
geringem Bildungsniveau und weniger Hoch-
schulabsolventen als in Cluster 1. Das Cluster     2.3.1 Konzept der Einkommensschichten
2a hat den geringsten Anteil von Hochschul-        Analog zur Definition der Mittelschicht orientie-
absolventen und den höchsten Anteil von Per-       ren sich die Grenzen der übrigen Einkommens-
sonen ohne Abschluss oder Berufsausbildung.        schichten in der hier verwendeten Definition
                                                   am bedarfsgewichteten Medianeinkommen.
Die Ausprägung von finanziellen Sorgen und         Dieses beschreibt das Einkommen, das die
das Gefühl, sozial isoliert zu sein, zeigen        Bevölkerung in zwei Hälften teilt: Die eine
demnach einen deutlichen Zusammenhang mit          Hälfte hat ein höheres Einkommen, die andere
dem Einkommen. Andere Sorgen wie über die          ein geringeres. Für das Jahr 2016 betrug der
Entwicklung der Kriminalität, die Zuwanderung      Median des monatlichen Nettoeinkommens für
nach Deutschland oder den Erhalt des Frie-         Singles 1.869 Euro. Teilt man die Bevölkerung
dens stehen in geringerem Zusammenhang zu          anhand dieser Grenze in fünf Einkommens-
Einkommen und Bildung.                             schichten, ergibt sich folgende Schichtung
                                                   (Tabelle 1, Seite 22):
2.3 Gespaltene Schichten: eine Clusteranalyse
der Einkommensschichten                            –   Zur Schicht der relativ Armen gehört,
Mit Blick auf das breite Einkommensspektrum            wer über weniger als 60 Prozent des
in der Gesamtgesellschaft zeigt sich bei der           Medianeinkommens der Gesamtbevölke-
Clusteranalyse der Gesamtgesellschaft – im             rung verfügt und damit der konventionellen
Gegensatz zu den Befunden von Niehues/Orth             Definition der Armutsgefährdung entspricht.
(2018) – durchaus eine Abhängigkeit höherer            Im Jahr 2016 bedeutete das, als Single
Sorgen von sozioökonomischen Variablen wie             weniger als 1.120 Euro netto pro Monat
beispielsweise der Bildungs- und Einkommens-           zur Verfügung zu haben.
situation. Eher gesellschaftsorientierte Sorgen
wie über die Kriminalität und Zuwanderung
scheinen hingegen weniger von sozioökono-
mischen Charakteristika wie dem Einkommen
abzuhängen.                                                              Das mittlere monatliche
Im Folgenden wird die Analyse daher für un-                               Nettoeinkommen eines
terschiedliche Einkommensschichten durch-
geführt. Einkommen stellt ein zentrales Status-                          Singles lag im Jahr 2016
merkmal dar, in dem sich viele soziokulturelle
Merkmale wie Bildung und Erwerbsstatus nie-                                        bei 1.869 Euro.
derschlagen und das somit wesentliche sozio-
ökonomische Differenzierungsmerkmale der
drei Cluster der Gesamtgesellschaft aufgreift.

                                                                                                       21
2
                            Judith Niehues / Theresa Eyerund
                            Gespaltene Mitte – gespaltene Gesellschaft?
                            Eine empirische Clusteranalyse auf Basis des SOEP

Tabelle 1
Einkommensgrenzen nach Haushaltstyp
Haushaltsnettoeinkommen des Jahres 2016, in Euro 1

Schicht                  Einkommen in        Single                Alleinerziehend       Paar                  Paar                  Paar
                         Prozent des Median-                       mit einem Kind 2      ohne Kinder           mit einem Kind 2      mit zwei Kindern 2
                         einkommens

Relativ Arme             unter 60            unter 1.120           unter 1.460           unter 1.680           unter 2.020           unter 2.350

Untere Mitte             60 bis unter 80     1.120 bis unter 1.500 1.460 bis unter 1.940 1.680 bis unter 2.240 2.020 bis unter 2.690 2.350 bis unter 3.140

Mitte i. e. S.           80 bis unter 150    1.500 bis unter 2.800 1.940 bis unter 3.640 2.240 bis unter 4.210 2.690 bis 5.050       3.140 bis unter 5.890

Obere Mitte              150 bis unter 250   2.800 bis unter 4.670 3.640 bis unter 6.070 4.210 bis unter 7.010 5.050 bis 8.410       5.890 bis unter 9.810

Relativ Reiche           ab 250              ab 4.670              ab 6.070              ab 7.010              ab 8.410              ab 9.810

1Werte gerundet auf 10 Euro.
2Unter 14 Jahren.
Quellen: SOEP v34; eigene Berechnungen

                            Exkurs:                                                         sichtigt. Da ein Zweipersonenhaushalt nicht
                            Die Berechnung der Einkommensschichten                          unmittelbar zwei Bäder, zwei Küchen und zwei
                            Die Festlegung der Einkommensgrenzen ori-                       Wohnzimmer benötigt, muss er nicht über das
                            entiert sich an der Definition der Einkommens-                  doppelte Einkommen eines Alleinstehenden
                            schichten (Niehues et al., 2013) des Instituts der              verfügen, um einen ähnlichen Lebensstandard
                            deutschen Wirtschaft (IW). Bei der Berechnung                   zu erreichen. Entsprechend erhält die erste
                            der Einkommensschichten werden alle Haus-                       Person im Haushalt ein Gewicht von 1, jedes
                            haltsmitglieder berücksichtigt (SOEP). In den                   weitere Haushaltsmitglied ab 14 Jahren ein
                            aktuell verfügbaren Haushaltsbefragungsdaten                    Gewicht von 0,5 und ein Kind unter 14 Jahren
                            des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) sind                      ein Gewicht von 0,3. Hieraus resultiert, dass
                            Einkommensinformationen bis zum Jahr 2016                       ein Paar ohne Kinder beispielsweise nur das
                            verfügbar, da sich detaillierte Einkommensab-                   1,5-Fache des Einkommens eines Alleinste-
                            fragen jeweils auf das Vorjahr einer Befragung                  henden zur Verfügung haben muss, um einen
                            beziehen (und die Aufbereitung einer Befra-                     vergleichbaren Lebensstandard zu erreichen.
                            gung jeweils eine gewisse Zeit in Anspruch                      Eine Familie mit zwei Kindern unter 14 Jahren
                            nimmt).                                                         erlangt mit dem 2,1-Fachen des Einkommens
                                                                                            eines Alleinstehenden die gleiche Position in
                            Wie konventionell in Verteilungsanalysen                        der Einkommensverteilung.
                            üblich, werden sogenannte bedarfsgewichtete
                            Nettoeinkommen gebildet. Die Nettoeinkom-                       Bei der Festlegung der Grenzen wurde in der
                            men verstehen sich als Einkommen abzüglich                      IW-Analyse von Niehues et al. (2013) zunächst
                            Sozialversicherungsabgaben und Steuern so-                      eine soziokulturelle Mittelschicht definiert und
                            wie zuzüglich Renten- und Transferleistungen.                   dann untersucht, welche Einkommensberei-
                            Um finanzielle Vorteile von Wohneigentümern                     che Haushalte mit mittelschichtstypischen
                            zu berücksichtigen, fließen auch die Nettomiet-                 Bildungsabschlüssen und Berufen vorwiegend
                            vorteile aus selbst genutztem Wohneigentum in                   besetzen. Die Verteilung der soziokulturellen
                            die Nettoeinkommen ein. Mittels der Bedarfs-                    Mittelschicht ließ sich besser durch eine diffe-
                            gewichtung werden schließlich unterschied-                      renziertere Einteilung in fünf anstelle von drei
                            liche Bedarfe je nach Haushaltsgröße berück-                    Einkommensgruppen abbilden.

                    22
–   Zur einkommensschwachen beziehungs-            sich – ähnlich wie bei der Vorgängeranalyse
    weise unteren Mitte zählt, wer über 60 bis     von Niehues/Orth (2018) – eine Aufteilung von
    unter 80 Prozent des Medianeinkommens          rund 65 Prozent im zuversichtlichen Clus-
    verfügt.                                       ter 1 und rund 35 Prozent im eher besorgten
–   Die Mitte im engeren Sinne umfasst             Cluster 2.
    diejenigen, die zwischen 80 und unter
    150 Prozent des Medianeinkommens               Relativ Arme
    erzielen, während                              In der Bevölkerungsschicht mit den relativ
–   die einkommensstarke beziehungsweise           geringsten Einkommen findet sich, wie bei der
    obere Mitte zwischen 150 bis unter             Mittelschicht im engeren Sinne, eine Aufteilung
    250 Prozent aufweist.                          in zwei Cluster.
–   Relativ Reiche verfügen über mindestens
    250 Prozent des Medianeinkommens. Das          – Trotz des geringen Einkommens gibt es
    bedeutet, dass ein relativ einkommensrei-      unter den relativ Armen ein Cluster 1 von
    cher Single mehr als 4.670 Euro Nettoein-      etwa 45 Prozent, welches – im Vergleich zum
    kommen erzielen muss.                          zweiten Cluster – durch substanziell weniger
                                                   Sorgen gekennzeichnet ist. Nur knapp 9 Pro-
2.3.2 Gespaltene Gesellschaftsschichten            zent des ersten Clusters machen sich große
Teilt man die Gesellschaft anhand der be-          Sorgen um die eigene wirtschaftliche Situation.
schriebenen Grenzen in fünf Einkommens-            34 Prozent sorgen sich hingegen nicht um
schichten, entstehen unterschiedlich große         ihre wirtschaftliche Situation. Auch das Gefühl,
Gruppen. Zur untersten Einkommensschicht           sozial eingebunden zu sein, ist hier deutlich
gehören rund 17 Prozent der Bevölkerung und        höher. Etwa 50 Prozent haben nie das Gefühl,
gut 16 Prozent zur unteren Mitte. Die Mittel-      sozial isoliert zu sein.
schicht im engeren Sinne umfasst etwas mehr
als 47 Prozent der Bevölkerung und macht die       – Die eher besorgte Gruppe stellt mit rund
größte Gruppe aus. Zur oberen Mitte gehören        55 Prozent die etwas größere Gruppe dar
rund 16 Prozent und die Schicht der relativ        (Cluster 2). Hier macht sich die Hälfte große
Reichen stellt mit etwas mehr als 3 Prozent        Sorgen um die eigene wirtschaftliche Situation
der Bevölkerung die kleinste Gruppe dar.           und über 60 Prozent blicken sorgenvoll auf die
                                                   eigene Altersversorgung. Etwa jeder Fünfte des
Die Clusteranalysen für die einzelnen Gesell-      Clusters fühlt sich darüber hinaus oft oder sehr
schaftsschichten zeigen, dass die Aufteilung       oft sozial isoliert.
in ein eher besorgtes und ein eher zuversicht-
liches Cluster in der untersten Einkommens-        Auffällig ist, dass es einen Altersunterschied
schicht und in der Mittelschicht im engeren        zwischen den beiden Clustern gibt. Im zuver-
Sinne vorhanden ist. In der unteren und oberen     sichtlicheren Cluster 1 beträgt das Medianalter
Mitte und bei den relativ Reichen differenzieren   25 Jahre, im eher besorgten Cluster 33 Jahre.
sich eher drei Cluster heraus (Abbildung 2,        Hier liegt die Vermutung nahe, dass die
Seite 24).                                         Wahrscheinlichkeit, zum eher zuversichtlichen
                                                   Cluster zu gehören, bei Auszubildenden oder
Es ist auffällig, dass sich die Clustergrößen      Studenten mit temporärem Armutsrisiko höher
zwischen den Schichten deutlich unterschei-        ist. Tatsächlich ist der Anteil Auszubildender
den. Beispielsweise repräsentiert das zuver-       und Studenten im zuversichtlicheren Cluster
sichtliche Cluster in der unteren Mittelschicht    deutlich höher als im eher besorgten Cluster.
nur 15 Prozent der Einkommensschicht.              Im weniger besorgten Cluster befinden sich
In der oberen Mittelschicht und bei den relativ    auch mehr Personen mit Hochschulabschluss.
Einkommensreichen umfassen die zuversicht-         Der Anteil von West- oder Ostdeutschen un-
lichen Cluster hingegen gut 70 beziehungs-         terscheidet sich kaum zwischen den Clustern.
weise fast 80 Prozent der jeweiligen Schicht.      Die Einkommen variieren aber – wie durch die
Für die Mittelschicht im engeren Sinne zeigt       Schichteinteilung beabsichtigt – kaum.

                                                                                                      23
2
                            Judith Niehues / Theresa Eyerund
                            Gespaltene Mitte – gespaltene Gesellschaft?
                            Eine empirische Clusteranalyse auf Basis des SOEP

Abbildung 2
Aufteilung der Bevölkerung auf die Schichten und Cluster
im Jahr 2016

                                                                                     Cluster 1     44,9 %
                                                     Relativ Arme       16,7 %
                                                                                     Cluster 2     55,1 %

                                                                                     Cluster 1     15,0 %

                                                     Untere Mitte       16,3 %       Cluster 2a    24,3 %

                                                                                     Cluster 2b    60,7 %

                                                                                     Cluster 1     64,7 %
           Gesellschaft                              Mitte i. e. S.     47,3 %
                                                                                     Cluster 2     35,3 %

                                                                                     Cluster 1a    32,9 %

                                                     Obere Mitte        16,4 %       Cluster 1b    38,5 %

                                                                                     Cluster 2     28,6 %
                                                                                                                    ■ Eher zuversichtliche
                                                                                                                      Cluster
                                                                                     Cluster 1a    37,6 %
                                                                                                                    ■ Eher besorgte Cluster
                                                                                                                      (finanziell und gesell-
                                                     Relativ Reiche     3,4 %        Cluster 1b    41,6 %             schaftlich-kulturell)
                                                                                                                      Auffallend höhere
                                                                                                                      gesellschaftlich-
                                                                                     Cluster 2     20,9 %             kulturelle Sorgen

Ergebnisse einer hierarchischen Clusteranalyse mittels des Ward-Verfahrens und der
quadrierten Euklidischen Distanz als Ähnlichkeitsmaß; Abgrenzung nach den
IW-Einkommensschichten auf Basis des bedarfsgewichteten Nettoeinkommens des
Vorjahres (vgl. Tabelle 1); Abweichungen zu 100: Rundungsdifferenzen.
Quellen: SOEP v34; eigene Berechnungen

                            Untere Mitte                                               60 Prozent haben keine Sorgen in Bezug auf
                            Bei der unteren Einkommensmittelschicht                    die eigene Gesundheit und 75 Prozent des
                            ergibt die Clusteranalyse eine Aufteilung in drei          Clusters fühlen sich nie sozial isoliert.
                            Cluster – Cluster 1 sowie die einander ähn-
                            licheren Cluster 2a und 2b:                                – Die Angehörigen von Cluster 2a, das
                                                                                       etwa ein Viertel der Einkommensschicht um-
                            – Das eher zuversichtliche Cluster 1 hat                   fasst, machen sich hingegen deutlich größere
                            in dieser Einkommensschicht mit 15 Prozent                 Sorgen, insbesondere finanzieller Art und um
                            den geringsten Umfang. Die Angehörigen                     die eigene Gesundheit. Der Anteil mit großen
                            dieses Clusters haben nur geringe Sorgen.                  Sorgen in diesen Bereichen beträgt jeweils
                            Zwei Drittel machen sich beispielsweise keine              fast 55 Prozent. Häufig sozial isoliert (das heißt
                            Sorgen um die eigene wirtschaftliche Situation,            oft oder sehr oft gegenüber manchmal, selten

                     24
oder nie) fühlt sich in diesem Cluster der unte-
ren Mitte rund ein Fünftel der Menschen.                         Die untere Einkommensmitte
– Cluster 2b stellt mit knapp 61 Prozent                           macht sich im Vergleich zu
die größte Gruppe der unteren Mitte. Das
Sorgenniveau der Angehörigen ist geringer als                     allen anderen Schichten am
in Cluster 2a, aber höher als in Cluster 1. Die
Höhe der Sorgen kommt dem stark besorg-                                       meisten Sorgen.
ten Cluster 2a am ehesten bei den Sorgen in
Bezug auf die Kriminalitätsentwicklung, die
Zuwanderung, den sozialen Zusammenhalt
und die Friedenserhaltung nahe, weniger bei
den finanziellen Sorgen. Um die eigene wirt-       die eigene wirtschaftliche Situation sind hier
schaftliche Situation machen sich etwa 12 Pro-     sehr selten. 56 Prozent machen sich gar keine
zent große Sorgen, um die Friedenserhaltung        Sorgen darüber. Lediglich um die Friedens-
jedoch knapp 63 Prozent.                           erhaltung macht sich auch in diesem eher zu-
                                                   versichtlichen Cluster mit 46 Prozent beinahe
Die Einkommensspanne der Schicht beträgt           die Hälfte des Clusters große Sorgen. Über
zwar nur 380 Euro. Doch auch gemessen an           90 Prozent haben darüber hinaus das Gefühl,
dieser geringen möglichen Streuung sind die        sozial gut eingebunden zu sein. Sie fühlen sich
Unterschiede im Einkommen der drei Clus-           selten oder nie sozial isoliert. Auch das Gefühl,
ter minimal. Das weniger besorgte Cluster 1        Wertvolles zu tun, ist weit verbreitet.
zeichnet sich allerdings durch höhere Bil-
dungsniveaus aus, was wiederum auf ledig-          – Cluster 2 umfasst etwa ein Drittel der
lich temporär geringe Einkommen hindeuten          Mittelschicht. Hier sind die Sorgen ausgepräg-
könnte. Hierfür spricht die gegenüber den          ter als im ersten Cluster. Keine Sorgen um die
anderen beiden Clustern höhere Zahl an             eigene wirtschaftliche Situation machen sich
Studenten und Auszubildenden, deren Anteil         hier nur knapp 8 Prozent. Stärker als um finan-
jedoch niedriger liegt als in der armutsgefähr-    zielle Belange sorgen sich die Angehörigen
deten Schicht.                                     des Clusters 2 aber um Themen wie Krimina-
                                                   litätsentwicklung und Friedenserhaltung. Hier
Grundsätzlich deutet sich an, dass die untere      machen sich jeweils fast 80 Prozent große
Einkommensmitte am stärksten von Sorgen            Sorgen. Allerdings fühlt sich auch die Mehrheit
durchdrungen ist. Eine Erklärung könnte darin      des zweiten Clusters selten sozial isoliert. Der
liegen, dass in der Schicht der relativ Armen      Anteil, der sich manchmal, oft oder sehr oft
mehr Menschen mit temporär geringem Ein-           sozial isoliert fühlt, ist jedoch mit 20 Prozent
kommen zu finden sind. Diese Vermutung wird        etwa doppelt so hoch wie in Cluster 1.
durch das deutlich höhere Medianalter in der
unteren Einkommensmitte unterstützt.               Wie in Niehues/Orth (2018) zeigen sich auch
                                                   hier nur sehr geringe sozioökonomische Unter-
Mitte im engeren Sinne                             schiede zwischen den Clustern. Weder bei Ein-
Bei der Mittelschicht im engeren Sinne zeigt       kommen noch bei Alter, Region, Haushaltstyp,
sich eine Teilung in zwei Cluster. Durch die       Erwerbsstatus oder Siedlungstyp sticht eines
(im Vergleich mit Niehues/Orth, 2018) neuen        der beiden Cluster merklich hervor. Lediglich
Variablen wird zudem erkennbar, dass die eher      der Anteil der Hochschulabsolventen ist in
Besorgten sich auch sozial eher ausgegrenzt        Cluster 1 mit 18 Prozent höher als in Cluster 2
fühlen als die eher Zuversichtlichen.              mit 8 Prozent.

– Das zuversichtliche Cluster 1 umfasst mit        Obere Mitte
knapp 65 Prozent der Schichtzugehörigen            In der oberen Einkommensmittelschicht stellen
deutlich mehr Personen. Finanzielle Sorgen um      die weniger Besorgten erwartungsgemäß den

                                                                                                       25
2
     Judith Niehues / Theresa Eyerund
     Gespaltene Mitte – gespaltene Gesellschaft?
     Eine empirische Clusteranalyse auf Basis des SOEP

     größten Anteil. Zwei Cluster – 1a und 1b – zäh-     Relativ Reiche
     len hierzu. Ein drittes Cluster mit der Nummer 2    In der Schicht der relativ Reichen zeigt sich ein
     weist trotz der vergleichsweise gehobenen           ähnliches Bild wie in der oberen Mittelschicht.
     Einkommenssituation weiterhin finanzielle           Erneut umfassen die beiden zuversichtlicheren
     Sorgen auf.                                         Cluster – 1a und 1b – den Großteil der Bevöl-
                                                         kerungsschicht. Ein kleineres, drittes Cluster
     – Etwa ein Drittel der oberen Mittelschicht ist     mit der Nummer 2 ist besorgter. Generell sind
     Cluster 1a zuzuordnen. Sorgen sind hier sehr        die Ausdifferenzierungen in dieser Schicht
     gering ausgeprägt. Weder finanzielle Sorgen         schwächer als in der oberen Mittelschicht. Dies
     noch Sorgen um andere gesellschaftliche Pro-        kann unter anderem an der geringeren Fallzahl
     bleme wie Kriminalität, sozialen Zusammenhalt       aufgrund der kleinen Schichtgröße liegen.
     oder Friedenserhaltung treten in diesem Clus-
     ter in erkennbarem Maße hervor. Das Gefühl,         – In Cluster 1a sind Sorgen und das Gefühl
     sozial ausgegrenzt zu sein, ist ebenfalls gering.   sozialer Ausgrenzung sehr gering. Erwartungs-
     Fast 70 Prozent haben nie das Gefühl, sozial        gemäß treten auch finanzielle Sorgen kaum
     isoliert zu sein. 80 Prozent haben oft oder sehr    auf. Fast 80 Prozent machen sich über die
     oft das Gefühl, etwas Wertvolles zu tun. Damit      eigene wirtschaftliche Situation keine Sorgen,
     sind diese Gefühle auf ähnlichem Niveau wie in      die restlichen 21 Prozent einige Sorgen. Zwei
     Cluster 1b.                                         Drittel machen sich einige Sorgen um den Um-
                                                         weltschutz, 72 Prozent einige Sorgen um die
     – Zu Cluster 1b zählen rund 39 Prozent der          Friedenserhaltung, allerdings nur wenige große
     oberen Mittelschicht. Die finanziellen Sorgen       Sorgen um diese Themen.
     sind hier ähnlich gering wie in Cluster 1a, je-
     doch sind die Sorgen um Kriminalität, Zuwan-        – Diese Sorgen sind in Cluster 1b ausge-
     derung, sozialen Zusammenhalt, Umweltschutz         prägter. Finanzielle Sorgen sind hingegen ge-
     und Friedenserhaltung etwas ausgeprägter.           nauso gering. Hinsichtlich des Gefühls sozia-
     Beispielsweise machen sich immerhin rund            ler Ausgrenzung unterscheiden sich die drei
     46 Prozent Sorgen um Zuwanderung und den            Cluster kaum – es kommt in allen drei Clustern
     sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft.             der relativ Reichen nur selten vor.

     – In Cluster 2 fallen diese Sorgen noch hö-         – Cluster 2 weist jedoch auch in anderen
     her aus. Hier kommen jedoch auch ausgepräg-         Kategorien neben Umweltschutz und Friedens-
     tere finanzielle Sorgen hinzu. 71 Prozent aus       erhaltung höhere Sorgenniveaus auf. Trotz der
     Cluster 2 machen sich beispielsweise einige         sehr gehobenen Einkommensposition machen
     Sorgen um die eigene wirtschaftliche Situation,     sich nahezu alle Angehörigen – der jedoch
     knapp 18 Prozent sogar große Sorgen. Auch           eher kleinen Gruppe – des dritten Clusters un-
     das Gefühl sozialer Isoliertheit ist höher als in   ter den Einkommensreichen mindestens einige
     Cluster 1a und 1b. Das Cluster 2 stellt mit rund    Sorgen um die eigene finanzielle Situation.
     29 Prozent die kleinste Gruppe der gehobenen
     Mittelschicht.                                      Da es in dieser Schicht keine Einkommensbe-
                                                         grenzung nach oben gibt, ist ein Blick auf die
     In Bezug auf sozioökonomische Kriterien gibt        Einkommensunterschiede zwischen den Clus-
     es erneut nur wenige Unterschiede zwischen          tern interessant. Angehörige des Clusters 1a
     den Clustern. Die Angehörigen des Clusters 2        haben ein Medianeinkommen von 5.660 Euro
     haben etwas geringere Einkommen als die             netto im Monat. In Cluster 1b liegt es bei 5.780
     Angehörigen der anderen beiden Cluster. Das         Euro und in Cluster 2 bei 5.420 Euro.
     monatliche Medianeinkommen beträgt 3.190
     Euro netto gegenüber 3.350 Euro in Cluster 1b       2.4 Fazit: Besorgt ist nicht gleich besorgt
     und 3.370 Euro in Cluster 1a. Der Anteil an         Die Clusteranalyse der Gesamtgesellschaft
     Hochschulabsolventen ist ebenfalls etwas            sowie der einzelnen Schichten zeigt eine Auf-
     geringer.                                           teilung in mehrere Gruppen an – auch über die

26
Mittelschicht hinaus. Auf gesamtgesellschaft-      Sorgen und dem Gefühl sozialer Integriertheit
licher Ebene sind drei Cluster vorhanden. Ein      kaum vom zuversichtlichen Cluster der obe-
großes zuversichtliches Cluster, dessen Ange-      ren Mitte. Die Anteile, die sich große Sorgen
hörige sich sozial eher eingebunden fühlen, ein    in den einzelnen Bereichen machen und die
kleines, insbesondere auch finanziell besorgtes    sich sozial selten isoliert fühlen, sind in beiden
Cluster, dessen Angehörige sich sozial eher        Gruppen ähnlich hoch. Das stärker besorgte
ausgegrenzt fühlen, und ein mittelgroßes Clus-     Cluster 2a der unteren Mittelschicht hat im
ter, dessen Angehörige sich eher gesellschaft-     Vergleich zum stärker besorgten Cluster 2 der
lich-kulturelle Sorgen machen und sich gleich-     oberen Mittelschicht erwartungsgemäß ausge-
zeitig sozial stärker eingebunden fühlen. In den
soziodemografischen Kriterien der drei Cluster
sind vor allem Unterschiede in den Bereichen
Einkommen und Bildung erkennbar.
                                                                  Je größer die finanziellen
Nimmt man durch die Bildung von Einkom-
mensschichten das wesentliche vertikale                              Sorgen, desto häufiger
Abgrenzungsmerkmal »Einkommen« heraus,
verbleibt, dass sich quasi in allen Einkommens-                         das Gefühl sozialer
schichten eine besorgte Gruppe differenziert,
die allerdings in den einzelnen Schichten unter-             Ausgegrenztheit – vor allem im
schiedlich groß ist und sich im Fall der unteren
Mittelschicht noch einmal differenziert. Selbst               unteren Einkommensbereich.
in den vom Umfang her gegenüber der Mittel-
schicht im engeren Sinne deutlich kleineren
Einkommensschichten zeigt sich somit eine
große Heterogenität bezüglich der Sorgen und
Einstellungen.                                     prägtere finanzielle und auch gesundheitliche
                                                   Sorgen. Das Sorgenniveau um Friedenserhal-
Dennoch weisen die eher besorgten Cluster          tung oder sozialen Zusammenhalt unterschei-
der unterschiedlichen Schichten nicht zwangs-      det sich zwischen beiden Clustern aber kaum.
läufig dieselben Sorgentypen auf. Aufgrund der     Auch das Gefühl, etwas Wertvolles zu tun, ist
unterschiedlichen Clusteranzahl und Beschaf-       in beiden Clustern ähnlich vorhanden. Deut-
fenheit der Schichten ist ein direkter Vergleich   lichere Unterschiede zeigen sich aber bei dem
zwischen den Clustern der Schichten nicht          Gefühl der sozialen Integriertheit.
ohne Weiteres möglich. Betrachtet man aber
die Schichten mit gleicher Clusteranzahl, fallen   Diese Befunde weisen darauf hin, dass nicht-
einige Unterschiede auf. Das besorgte Cluster      finanzielle Sorgen einen geringen Zusammen-
der einkommensarmen Schicht hat im Ver-            hang zum Einkommen haben. Das Gefühl
gleich zum besorgten Cluster der Mittelschicht     der sozialen Isoliertheit scheint aber stärker
im engeren Sinne deutlich höhere finanzielle       aufzutreten, wenn auch finanzielle Sorgen
Sorgen. Bezüglich der anderen Sorgen (wie          ausgeprägter sind. Allerdings sind die Größen
Kriminalität, Zuwanderung, Friedenserhaltung)      der Cluster und das Ausmaß finanzieller Sor-
ist der Anteil mit großen Sorgen in der besorg-    gen und des Gefühls sozialer Ausgegrenztheit
ten Mittelschicht (im engeren Sinne) aber sogar    jeweils deutlich geringer als die gesellschaft-
eher noch höher als bei den besorgten relativ      lich-kulturellen Sorgen, die auch noch in sehr
Einkommensarmen. Diese fühlen sich jedoch          hohen Einkommensbereichen in nennenswer-
zu einem höheren Anteil sozial isoliert als die    tem Maß vorkommen.
besorgten Mittelschichtsangehörigen.
                                                   Insgesamt sticht die untere Mittelschicht in den
Das zuversichtliche Cluster 1 der unteren          Ergebnissen hervor. Hier ist das Cluster der
Mittelschicht unterscheidet sich im Niveau der     Zuversichtlichen am kleinsten. Die finanziellen

                                                                                                        27
2
             Judith Niehues / Theresa Eyerund
             Gespaltene Mitte – gespaltene Gesellschaft?
             Eine empirische Clusteranalyse auf Basis des SOEP

                                                                 die Virusepidemie auch negative Auswirkungen
In allen Schichten gibt es                                       auf das Sorgenniveau in der gesamten Ge-
                                                                 sellschaft haben wird. 2017 waren die finan-
gesellschaftlich­kulturelle                                      ziellen Sorgen insgesamt auf sehr geringem
                                                                 Niveau. Inwiefern und wie stark diese durch die
Sorgen. Gesellschaftliche                                        Corona-Krise wieder zunehmen und auch kul-
                                                                 turell-gesellschaftliche Sorgen der Menschen
Verunsicherung tritt also                                        größer werden, kann empirisch erst analysiert
                                                                 werden, wenn die entsprechenden Daten für
eher unabhängig vom                                              diesen Zeitraum vorliegen.

Einkommen auf.                                                   Die Ergebnisse der hier vorgestellten empi-
                                                                 rischen Untersuchung weisen auch darauf
                                                                 hin, dass die oberen Einkommensschichten
                                                                 keinesfalls sorgenfrei sind. Gesellschaftliche
                                                                 Verunsicherung tritt somit insgesamt relativ
             Sorgen und das Gefühl sozialer Ausgegrenzt-         unabhängig von der Einkommensposition auf.
             heit erreichen beinahe eine ähnliche Höhe wie
             unter den relativ Armen; das durchschnittliche      In der vorliegenden Analyse wurden nur die
             Ausmaß gesellschaftlich-kultureller Sorgen ist      deutlich hervortretenden Unterschiede zwi-
             in der unteren Einkommensmitte sogar am             schen finanziellen und gesellschaftlich-kulturel-
             stärksten ausgeprägt. Ein Grund dafür könnte        len Sorgen herausgearbeitet. Insbesondere zur
             sein, dass es sich bei dieser Schicht vor allem     Ableitung von gesellschaftspolitischen Hand-
             um eine Gruppe handelt, die sich ein gewis-         lungsoptionen ist jedoch eine weitere Differen-
             ses Einkommen erarbeitet hat und in steter          zierung der vorhandenen Sorgen angezeigt,
             Sorge ist, die erreichte Einkommensposition         da unterschiedliche Verunsicherungsquellen
             – womöglich auch durch äußere Einflüsse –           – beispielsweise Sorgen um die allgemeine
             wieder zu verlieren.                                wirtschaftliche Entwicklung, den Umweltschutz
                                                                 oder die Kriminalitätsentwicklung – sehr unter-
             Die Auswirkungen der Corona-Pandemie im             schiedliche Antworten erfordern. Gleichwohl
             Frühjahr 2020 und die dadurch verursachten          deutet die Analyse darauf hin, dass in einem
             wirtschaftlichen Folgen könnten daher diese         kleineren Teil der Gesellschaft bestimmte Sor-
             Gesellschaftsschicht besonders stark treffen.       gen in einem gehäuften Maß auftreten. Für die
             Es ist darüber hinaus davon auszugehen, dass        Politik gilt es, diese Sorgen ernst zu nehmen.

        28
Das Wichtigste in Kürze
– Die Gesamtgesellschaft kann in drei Cluster      – In der oberen Mitte und bei den relativ
unterteilt werden: ein großes zuversichtliches     Reichen gehört die Mehrheit zu den Zuver-
Cluster, dessen Angehörige sich sozial einge-      sichtlichen. Diese Gruppe kann jeweils unter-
bunden fühlen, ein kleines, insbesondere auch      teilt werden in etwa ein Drittel insgesamt wenig
finanziell besorgtes Cluster, dessen Angehörige    Besorgte und ein Drittel Zuversichtliche, aber
sich vergleichsweise häufig sozial ausgegrenzt     finanziell leicht Besorgte.
fühlen, und ein mittelgroßes Cluster, dessen
Angehörige sich größere Sorgen machen,             – Finanzielle Sorgen gehen häufig mit einem
wenn auch weniger finanzieller Art, und sich       höheren Gefühl sozialer Ausgegrenztheit einher
sozial stärker eingebunden fühlen.                 und treten verstärkt im unteren Einkommens-
                                                   bereich auf. Allerdings sind die finanziellen
– Eine Zweiteilung in ein zuversichtliches         Sorgen im Betrachtungsjahr 2017 auf einem
und ein besorgteres Cluster findet sich in der     sehr niedrigen Niveau.
untersten Einkommensschicht (relativ Arme)
und der Mitte im engeren Sinne. Die übrigen        – In allen Einkommensschichten zeigen sich
Schichten zeigen eine Differenzierung in drei      gesellschaftlich-kulturelle Sorgen auf substan-
Cluster auf.                                       ziellem Niveau. Gesellschaftliche Verunsiche-
                                                   rung tritt somit insgesamt relativ unabhängig
– In der unteren Mitte sortiert sich der Groß-     von der Einkommensposition auf.
teil in zwei eher besorgte Cluster. Das kleinere
besorgte Cluster hat ausgeprägte Sorgen auch
finanzieller Art, das größere besorgte Cluster
hat eher generelle Sorgen und etwas geringere
finanzielle Sorgen.

                                                                                                      29
2
     Judith Niehues / Theresa Eyerund
     Gespaltene Mitte – gespaltene Gesellschaft?
     Eine empirische Clusteranalyse auf Basis des SOEP

     Literatur
     Böhnke, Petra, 2005, Teilhabechancen und            Lepsius, M. Rainer, 1990, Soziale Ungleich-
     Ausgrenzungsrisiken in Deutschland, in:             heit und Klassenstrukturen in der Bundes-
     Aus Politik und Zeitgeschichte, Nr. 37/2005,        republik Deutschland, in: Lepsius, M. Rainer
     S. 31–37                                            (Hrsg.), Interessen, Ideen und Institutionen,
                                                         Wiesbaden, S. 117–152
     Burzan, Nicole, 2011, Soziale Ungleichheit.
     Eine Einführung in die zentralen Theorien,          Niehues, Judith, 2017, Die Mittelschicht in
     Wiesbaden                                           Deutschland – vielschichtig und stabil, in:
                                                         IW-Trends, 44. Jg., Nr. 1/2017, S. 3–20
     Engelhardt, Carina / Wagener, Andreas,
     2018, What do Germans think and know about          Niehues, Judith / Orth, A. Katrin, 2018, Die
     income inequality? A survey experiment,             gespaltene Mitte. Werte, Einstellungen und
     in: Socio-Economic Review, 16. Jg., Nr. 4,          Sorgen, RHI-Diskussion, Nr. 30, https://www.
     S. 743–767                                          romanherzoginstitut.de/fileadmin/user_upload/
                                                         Publikationen/PDFs-Publikationen/RHI-
     Eyerund, Theresa / Orth, A. Katrin, 2019,           Diskussion_Nr._30.pdf [11.7.2019]
     Einsamkeit in Deutschland. Aktuelle Entwick-
     lung und soziodemographische Zusammen-              Niehues, Judith / Schaefer, Thilo / Schröder,
     hänge, IW-Report, Nr. 22, Köln                      Christoph, 2013, Arm und Reich in Deutsch-
                                                         land: Wo bleibt die Mitte?, IW-Analysen,
     Geißler, Rainer, 1994, Die pluralisierte            Nr. 89, Köln
     Schichtstruktur der modernen Gesellschaft:
     zur aktuellen Bedeutung des Schichtbegriffs,        Sinus, 2018, Informationen zu den Sinus-
     in: Geißler, Rainer (Hrsg.), Soziale Schichten      Milieus 2018, Stand 09/2018, SINUS Markt-
     und Lebenschancen in Deutschland, Stuttgart,        und Sozialforschung, Heidelberg
     S. 6–36
                                                         SOEP v34 – Sozio-oekonomisches Panel
     Krause, Laura-Kristine / Gagné, Jérémie,            Daten der Jahre 1984–2017, Version 34, Berlin
     2019, Die andere deutsche Teilung. Zustand
     und Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft,         Vester, Michael, 2003, Die Krise der politi-
     https://www.dieandereteilung.de/media/              schen Repräsentation: Spannungsfelder und
     nthptlnv/moreincommon_dieandereteilung_             Brüche zwischen politischen Eliten, oberen
     studie_v1-0-2.pdf [15.1.2020]                       Milieus und Volksmilieus, in: Hradil, Stefan /
                                                         Imbusch, Peter (Hrsg.), Sozialstrukturanalyse,
                                                         Bd. 17, Oberschichten – Eliten – Herrschende
                                                         Klassen, Opladen, S. 237–270

30
© 2020 Roman Herzog Institut e. V.

Herausgeber:
Roman Herzog Institut e. V.

Kontakt:
Dr. Neşe Sevsay-Tegethoff
Geschäftsführerin
Roman Herzog Institut e. V.
Max-Joseph-Straße 5
80333 München
Telefon (0 89) 551 78-732
Telefax (0 89) 551 78-755
info@romanherzoginstitut.de
www.romanherzoginstitut.de

ISSN 1863-3978
ISBN 978-3-941036-63-5

Foto:
Roman Herzog Institut e. V.

Diese Publikation ist beim
Herausgeber kostenlos
erhältlich und kann unter
www.romanherzoginstitut.de
bestellt werden.

Zitate aus dieser Publikation sind unter   klimaneutral
                                           natureOffice.com | DE-229-790058
Angabe der Quelle zulässig.                gedruckt
Sie können auch lesen