KALASCHNIKOW - MON AMOUR - Begleitmaterial zur Vorstellung - Dschungel Wien
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Begleitmaterial zur Vorstellung KALASCHNIKOW – MON AMOUR © Rainer Berson Dschungel Wien Ko-kreatives Tanztheater | 60 Min. | 14 - 23 Jahre Begleitinformationen erstellt von: Sophie Freimüller Kartenreservierungen für pädagogische Institutionen: +43 1 522 07 20 18 | paedagogik@dschungelwien.at
KULTURVERMITTLUNG Vorbereitender Workshop Auf Anfrage kommen wir gerne vor Ihrem Theaterbesuch an Ihre Schule, stimmen die Klasse auf das Thema ein und bereiten Sie und Ihre Schüler:innen auf das Medium „zeitgenössisches Theater“ vor – mit Gesprächen und kreativen Übungen aus dem Tanz-, Performance- und Schauspielbereich. Dauer: 2 Schulstunden Kosten: € 130,00 pro Klasse Ort: Fest- oder Turnsaal an Ihrer Schule, ev. auch in einem größeren Klassenzimmer möglich. Publikumsgespräch Sehr gerne können Sie sich für ein kostenloses Publikumsgespräch direkt im Anschluss an die Vorstellung anmelden. Im Publikumsgespräch können die Kinder und Jugendlichen relevante Themen des Stückes bearbeiten, Fragen stellen und ihren ersten Eindrücken Ausdruck verleihen. Unterschiedliche Formate passend zu Inhalt und Zielgruppe – zum Teil mit interaktiven Elementen – bieten den geeigneten Rahmen für direkten Austausch und ermöglichen neue Zugänge zur darstellenden Kunst. Bitte geben Sie bei der Reservierung bekannt, ob Sie ein Publikumsgespräch wünschen. Nachbereitender Workshop Vor allem bei theatererfahrenen Klassen kann es sinnvoll sein, statt des vorbereitenden Workshops eine Nachbereitung zu buchen. Hier verarbeiten die Schüler:innen das gesehene Stück in Gesprächen und durch eigenes kreatives Schaffen. Dauer: 2 Schulstunden Kosten: € 130,00 pro Klasse Ort: Fest- oder Turnsaal an ihrer Schule, ev. auch in einem größeren Klassenzimmer möglich. Ansprechperson für weitere Informationen und Beratung: Madeleine Seaman | +43 1 522 07 20-24 m.seaman@dschungelwien.at II
Inhaltsverzeichnis 1. ZUR PRODUKTION ........................................................................... 1 1.1 Inhalt ..................................................................................................... 2 1.2 Konzept und Ideen ................................................................................. 6 1.3 Gesprächsfetzen aus Gesprächen mit den Tänzern ................................ 7 1.4 Das Team ............................................................................................. 10 2. HINTERGRUNDINFORMATION ....................................................... 12 2.1 Weiterführende Empfehlungen ........................................................... 15 2.2 Glossar und weiterführende Begriffe ................................................... 17 3. IDEEN FÜR DIE VOR- UND NACHBEREITUNG ................................. 21 III
1. ZUR PRODUKTION Kalaschnikow – Mon Amour Dschungel Wien Uraufführung Ko-kreatives Tanztheater | 60 Min. | Ab 14 Jahren Triggerwarnung: Dieses Stück enthält Darstellungen von Gewalt und Kriegsgeschehen, die einige Zuschauer:innen beunruhigend finden können. Es besteht jederzeit die Möglichkeit, die Vorstellung durch den hinteren Bühnenausgang zu verlassen. Vorstellungstermine im Dschungel Wien: DO 23.09.2021 20:00 Premiere FR 24.09.2021 19:00 SA 25.09.2021 19:30 MO 27.09.2021 10:30 DI 28.09.2021 10:30 DI 09.11.2021 10:30 MI 10.11.2021 10:30 DO 11.11.2021 10.30 FR 12.11.2021 19:30 MO 28.03.2022 19:30 DI 29.03.2022 10:30 MI 30.03.2022 10:30 + 19:30 Team Konzept & Choreografie: Corinne Eckenstein Bühne: Hawy Rahman Kostüm: Kareem Aladhami Musik: Karrar Al Saedi Video: Osama Rasheed Projektleitung: Jennifer Vogtmann Regieassistenz: Sophie Freimüller Mit: Ali Reza Askari, Javid Hakim, Ahmad Hazara, Iliya Hosseini, Jasir Karimi, Morteza Mohammadi Ermöglicht durch Im Rahmen von 1
1.1 Inhalt Männerwelt(en) »Dieses Stück begann mit der Frage, warum junge Männer eine Kalaschnikow auf ihren Körper tätowieren. Weil sie Stärke und Macht symbolisiert? Weil sie für manche ein Symbol für Freiheit und sogar Hoffnung ist? Gleichzeitig ist sie die Waffe, die uns die Zukunft genommen hat und erinnert so an den Krieg, vor dem wir geflohen sind.« Gemeinsam mit jungen afghanischen und irakischen Männern wurden Männlichkeitsbilder untersucht. Solche, die eine Reibungsfläche für sie sind, aber auch solche, die ihnen von außen entgegengebracht werden. Hier zu sein bedeutet, in Frieden zu leben, aber der Krieg im Inneren ist immer noch präsent. Dieses Stück handelt vom Wunsch, in Frieden mit sich selbst und anderen zu leben. Es geht um Trauma und Traum, um Heilung und Verletzung, um Wut und Vergebung. Ein sehr persönliches Stück, das die Erfahrungen der jungen Geflüchteten in traumbildartige Sequenzen übersetzt und ihr Hoffen und Bangen mit einer beeindruckenden Offenheit auf die Bühne bringt. 2
KALASCHNIKOW – MON AMOUR - Inhaltsbeschreibung Diese Inhaltsangabe dient in erster Linie zur Information für Sie als Pädagog:in und ist nicht zur Weitergabe an Ihre Schüler:innen gedacht. Die Inhaltsangabe soll Ihnen außerdem helfen, nach dem Stückbesuch mit Ihren Schüler:innen darüber zu sprechen, was sie gesehen haben. Während des Einlasses rollen 6 junge Männer eine große Plastikfolie, die den Boden der Bühne bedeckt, auf. Auf der Bühne steht ein oranges zusammengeklapptes Bühnenbild mit Tor. Die Männer stehen auf und tragen die Plastikrolle, wie einen Stab in einer Reihe hinter die Bühne. Männerstimmen aus dem Off ertönen. Sie sprechen in gutem Deutsch mit Akzent über die Bedeutung der Kalaschnikow, von Krieg, Hoffnung, Freiheit, Traum und Trauma. Dann setzt Musik ein und die sechs Tänzer tippeln Schulter an Schulter, wie eine menschliche Mauer auf die Bühne. Sie beginnen panisch nach Luft zu schnappen und versuchen verzweifelt sich Raum zu verschaffen, indem sie sich voneinander stoßen. Aber sie kommen nicht los, da sie an ihren T-Shirts miteinander verbunden sind. Einer beginnt zu laufen und zieht die anderen mit sich. Sie laufen in Kreisen untereinander durch und verknoten sich so, bis sie wieder schwer atmend aneinandergefesselt sind. Sie öffnen heimlich die Zipper ihrer Shirts, lösen sich langsam aus dem Knoten und verteilen sich. Alle ziehen sich ihre T-Shirts über den Kopf und rollen diese auf. Die entstandenen Rollen heben sie über ihre Köpfe und schauen, wie nach einem Flugzeug gen Himmel. Plötzlich drehen sich alle Richtung Mitte und stellen sich in einer Reihe auf. Mit den aufgerollten T-Shirts fahren sie scannend den Körper des Vordermanns ab. Dann verbinden sie ihm die Augen mit dem Shirt und stoßen sich gegengleich zur Seite bis sie fallen. Sie schieben sich die Augenbinden, wie Turbane auf die Stirn und gehen sofort wie Tiere auf alle viere. Dabei wirken sie hektisch und verängstigt, springen übereinander, gehen vor und zurück und dann hinter das Bühnenbild. Über dem Bühnenbild hängt eine Plastikfolie. Das Geräusch von Wasser ertönt und die Folie wird weggezogen. Dahinter stehen die Tänzer. Einer kommt nach vorne und beginnt traditionell persisch zu tanzen. Vier der anderen steigen ein und sie bewegen sich so als Schwarm über die Bühne. Der letzte bleibt zurück und hüllt sich wie ein Geist in das Plastik. Langsam kommt auch er nach vor und die anderen schlüpfen zu ihm unter die Folie. Sie drücken ihre Gesichter und Hände gegen die Folie, als ob sie nicht weiterkämen. Einer nach dem anderen hebt den Kopf hervor und das Knäuel beginnt sich in Wellen zu wiegen, bevor der Geist samt Plastik von der Bühne stürmt. Die anderen setzen sich auf den Boden und beginnen sich ein kleines Auto zuzurollen. Dabei sprechen sie auf Farsi und lachen. Sie bemerken nicht, dass der sechste Tänzer wieder auf die Bühne gekommen ist und mit seinem Hemd, wie mit einer Kalaschnikow, auf sie zielt. Der jüngste springt mit dem Auto auf. Die jagen ihm hinterher. Nur einer bemerkt die Kalaschnikow und bleibt. In einem kurzen Duett nimmt der eine dem anderen die Waffe ab und geht damit über das Publikum zu den starrenden anderen Tänzern. Er erschießt sie. Sie fallen hinter das Bühnenbild. Das Auto fällt vorne zu Boden. Der Mann mit der Waffe geht ab. Der letzte Tänzer bleibt zurück und beginnt indes ein Solo, bei dem er stetig in sich zusammenklappt. Ein weiterer kommt hervor und sie beginnen ein Duett. Sie sind stetig in 3
Berührung, im Fluss, verschmelzen. Auf allen vieren trägt der eine den anderen ins Zentrum der Bühne, wo die restlichen Tänzer die Wände des Bühnenbilds öffnen und um alle schließen. Es entsteht ein Haus, dessen inneres durch die Fenster des Bühnenbilds einsehbar ist. Sie schieben es herum. Dann öffnen sie unter Anstrengung die Türen und einer nach dem anderen versucht zu fliehen, was immer wieder vom Rest verhindert wird. Nur einer schafft es raus, während die Türen wieder schließen. Er beginnt um die Konstellation zu laufen. Die anderen laufen mit ihm. Sie rennen durcheinander im Kreis. Dann beginnen sie hinter dem Bühnenbild seitlich zu hüpfen und dabei wieder schwer zu schnaufen. Zwei ziehen das Bühnenbild gerade. Jeder tritt in einen eigenen Fensterrahmen. Sie sind wieder nur durch Plastik zu sehen, schauen durch die Scheiben und pressen die Hände dagegen. Einer trägt jetzt ein Tutu. Er löst sich vom Fenster und geht durch das Tor, bewegt sich wie ein Schmetterling und beginnt sich zu waschen. Ein anderer Tänzer klettert im Tor herum, wobei er den Schmetterling nicht aus den Augen verliert. Er geht vor und beginnt mit ihm zu spielen, was schnell ausartet. Er dreht ihn, zieht ihn, versucht ihn immer wieder einzufangen und tötet ihn am Ende versehentlich. Er schreit und weint. Alle anderen schauen dem Spiel zu, nur einer sitzt im Tor und meditiert. Auf seinem T-Shirt prangt in großen orangenen Lettern der Satz „WER BIN ICH?“. Alle kommen mit den Händen vor dem Gesicht aus dem Tor getorkelt. Sie tanzen alle synchron eine Gruppenchoreographie. Am Ende bleibt nur der jüngste über. Er beginnt wild zu boxen, zu breakdancen und schließlich wieder zu weinen. Die anderen ziehen sich zurück und schieben das Bühnenbild in die linke Ecke, sodass ein neuer Raum entsteht. Nur einer der Tänzer kommt und versucht den weinenden Jungen zu beruhigen. Sie beginnen zu kämpfen, aber es wirkt eher wie ein Kampf unter Brüdern, ein Spiel. Am Ende deckt der große den kleinen zu und legt sich auf ihn. Sie bilden eine Figur. Dann läuft der kleine ihm davon und die anderen ihm hinterher hinter das Bühnenbild. Das Licht verändert sich, Nebel zieht auf: ein Alptraum beginnt. Einer der Tänzer trägt einen goldenen Handschuh. Von diesem wird der kleine Tänzer hinter der Wand hervorgezogen. Es beginnt ein Kampf mit der Hand. Die anderen schieben die Mauer vor ihn, sodass er nur noch durch die Scheiben zu sehen ist. Er hängt sich ins Tor, fällt, wird von der Hand am Hals wieder hochgezogen und beginnt dann von der Hand liebkost zu werden und schließlich zu onanieren. Im Hintergrund formatieren sich die anderen neu. Sie transformieren zu einer Figur, einem Drachen. Der Solist von eben, legt den Handschuh im Tor ab und baut sich in ein. Der Drache wandert. Die Bewegungen werden immer wilder, bis der Drache in sich zusammenfällt. Die Tänzer liegen aufeinander. Einer beginnt leise ein afghanisches Lied über das Land, das müde geworden ist vom Krieg, zu singen. Die anderen steigen ein. Manche beginnen zu weinen. Da steht der Jüngste auf und beginnt den singenden und weinenden Haufen auszulachen. Die anderen stocken, starren ihn an und lachen mit ihm. Hinter den Fenstern findet jetzt ein Fest statt. Sie beginnen wieder persisch zu tanzen und ein lustiges afghanisches Lied über das ledige Dasein zu singen. Einer findet den goldenen Handschuh im Tor und sie fangen an ihn hin und her zu werfen. Als der, der zuvor mit dem Handschuh gekämpft hat, diesen zu fangen kriegt, setzt bedrohliche Musik ein und alle gehen ins Freeze. In Zeitlupe kommen sie auf ihn zu, um ihn aufzufangen. 4
Wie eine Puppe bewegen die anderen den in Trance gefallenen Tänzer durch das Tor nach vorne. Dort helfen sie ihm und einem anderen in den Handstand. Zwei Tänzer setzen sich jeweils einen der beiden auf die Schultern. Zwei neue Wesen entstehen und beginnen einen anderen Tänzer, der sich jetzt den Handschuh angezogen hat, zu jagen. Der Alptraum wechselt den Träumenden. Ein weiteres Trauma besucht uns im Traum. Der Mann mit der Kalaschnikow kommt wieder. Sein Gesicht ist diesmal maskiert. Alle fliehen hinter die Scheiben des Bühnenbilds, der mit dem Handschuh hinter das Tor. Sie halten die Hände hoch und gehen der Reihe nach in die Knie. Dann zielt er auf den Hinterkopf des im Tor stehenden. Der wird ohnmächtig und sackt zusammen, bevor die Waffe abgedrückt wird. Der bewaffnete Mann tritt über seinen Körper und durch das Tor. Er lässt die Kalaschnikow fallen, sackt auf die Knie und zieht sich wie eine Haut die Maske vom Gesicht. Vor Scham verkriecht er sich in das Tanktop, das er trägt, und zieht es sich dabei über den Kopf, sodass die Innenseite nach außen gedreht wird. Das Top ist nun regenbogenfarbig. Erstaunt zieht er es sich wieder an. Er streckt sich, lächelt, ist frei und tanzt sich Fenster für Fenster ins Off. Zwei Tänzer liegen sich hinter dem Tor gegenüber. Der eine zieht dem anderen den Handschuh von der Hand und wirft ihn weg. Sie liegen sich gegenüber und beginnen bekannte Klatschspiele zu spielen und mit ihren Händen zu tanzen. Sie stehen irgendwann auf und setzen ihr Spiel im Stehen fort, rollen sich übereinander, heben sich und hüpfen. Dann kommt einer von ihnen durch das Tor und beginnt in großen Bewegungen zu tanzen. Er springt und dreht sich in der Luft, dazwischen spricht er einen Monolog auf Deutsch zum Thema Integration und warum er trotz allen Mühen noch nicht angekommen zu sein scheine. Woher die ganzen Grenzen kämen. Er stellt die Frage danach, wer überhaupt integriert sei. Ein Showman kommt in das Tor und beginnt wild zu tanzen. Er beschwört Ishtar, die in männlicher Gestalt unter einem riesigen goldenen Rock auf die Bühne gedreht kommt. Ishtar hebt ihren Rock und alle Tänzer kriechen schleunig darunter, wie unter ein Zelt. Zusammen beginnen sie sich in einer pulsierenden Kugel auf der Stelle zu deformieren. Der Jüngste wird unter dem Rock rausgeworfen. Der beginnt das goldene Ungetüm brüllend anzugreifen. Ishtar weicht aus und verschluckt ihn schließlich wieder in ihrem Schoß. Alle anderen stürmen unter dem Rock hervor und laufen ab. Nur der Junge zieht sich den Rock, nur das Gesicht freilassend, über und läuft schnell in Kreisen. Dann hängt er sich fledermausartig in das Tor und schaut neugierig und frech herausfordernd ins Publikum, bis er fällt. Es wird dunkel. Aus dem Publikum kommt der Musiker auf die Bühne und singt live auf Arabisch. Die Tänzer kommen oberkörperfrei mit der Plastikrolle vom Beginn auf die Bühne, rollen sie aus und kippen das Bühnenbild nach hinten um. Dann ziehen sie sich die Hosen aus. Unter Gesang beginnen sie Eimer voll Erde auf das Plastik zu schütten. Einer schüttet stetig Wasser von einem Kübel in den anderen. Die anderen beginnen sich selbst und sich gegenseitig mit Erde einzureiben. Von der Decke kommt Wasser wie im Nebel. Die Tänzer spielen. Es wird still, nur das Wasser ist zu hören. Sie stellen sich unter den Nebel, waschen sich und halten Gesicht und Arme gen den Regen. Das Licht geht aus, das Wasser bleibt an. 5
1.2 Konzept und Ideen „Zwischen Traum und Trauma.“, beschrieb Corinne Eckenstein, Choreographin und Regisseurin von „Kalschnikow – Mon Amour“, die Arbeit am Projekt einmal nach einer langen Tanzprobe und dem immer darauffolgenden gemeinsamen Essen voller Gesprächs- und Mitteilungsbedarf. Der Traum vom besseren Leben, vom Himmel Europas, das sich als gar nicht mal so himmlisch entpuppt, aber immer noch besser ist, als die Heimat und die Traumata von Diskriminierung, Flucht und Ausgrenzung, die die Beteiligten nach Wien mitgebracht haben und mit denen sie sich im Zuge der Proben noch intensiver als ohnehin schon befass(t)en. Das Projekt „Kalaschnikow – Mon Amour“ war ein langer Prozess aus Gesprächen, freien Tanz- Workshops und Flashmobs, bildnerischem Arbeiten und daraus resultierenden Ausstellungen, bis zu intensiven Proben für das Stück mit sechs jungen geflüchteten Männern, die wir über die freien Tanz-Workshops kennenlernen durften. Seit nun gut einem Jahr dreht sich alles um die Frage(n) nach Männlichkeit. Was ist Männlichkeit? Was ist toxische Männlichkeit? Gibt es einen Unterschied zwischen arabischen und österreichischen männlichen Rollenbildern? Wie ist das Verhältnis zwischen Männern* und Frauen*? Welche männlich gelesenen und welche weiblich gelesenen Anteile trage ich in mir? Was ist Feminismus? Mit dieser Auseinandersetzung wurde der Blick für spezifische Bedingungen, unter denen Männlichkeit, wie auch Weiblichkeit, sozial konstruiert wird, geschärft. Schnell kristallisierte sich heraus, dass viele der beteiligten Männer zwischen diversen Bildern, die ihnen Gesellschaft(en) von Männlichkeit vorschreiben, hin- und hergerissen sind. Hinzu kommt, dass der allgemeine Stereotyp, der in Österreich und Europa arabischen Männern zugeschrieben wird, zu noch größerer Zerrissenheit führt. Ein Beispiel: Werden die Männer provoziert und reagieren durch lautstarkes Abwehren, werden sie von der österreichischen Politik und den Medien in die Rolle des gewalttätigen, „nicht-normativen“ Anderen, des „bösen Ausländers“, gedrängt. Geben sie der Provokation aber kleinlaut bei, gelten sie in ihrer eigenen Kultur noch verstärkter, als im europäischen Männlichkeitsbild, als verweichlicht und unmännlich. Gerade bei Menschen mit Fluchterfahrung kann die neue Lebenssituation aber auch zum Raum neuer Freiheiten werden, durch die es möglich ist, diversere und vielschichtige Männlichkeitsbilder auszuloten. Es geht also um eine Suche in Ungewissheit bei gleichzeitiger Zukunftszuversicht, um ein ständiges Selbstreflektieren, Fremdreflektieren und die Reflexion und Hinterfragung gesellschaftlicher Teilhabe, um Selbstbild und Identität und um Tabuthemen wie Sexualität und Liebe zwischen Verunsicherung und Verhärtung. 6
1.3 Gesprächsfetzen aus Gesprächen mit den Tänzern Die Tänzer bleiben hier anonym. Dieses Gesprächsprotokoll soll einerseits ihre Lebensrealitäten spiegeln und andererseits zeigen, wie unterschiedlich jeder für sich ist, obwohl alle sechs eine sehr ähnliche Geschichte haben – sie sind alle im Iran aufgewachsene Afghanen, die zwischen 2013 und 2015 alleine oder mit nur einem kleinen Teil an Familie nach Österreich gekommen sind – und wie divers sie in ihren Meinungen sind, obwohl sie alle mit denselben Problemen zu kämpfen haben. Aus Gesprächen über Männlichkeit: „Man ist erst ein Mann, wenn man eine Frau heiratet. Ein Mann ohne Frau ist kein Mann. Vorher ist man ein Junge.“ „Männlichkeit ist etwas Großes. Wir müssen als Männer etwas machen und bauen. Wie die Pyramide in Ägypten. Es muss groß sein.“ „Männer sind so. Sie müssen sich messen. Es muss einer recht haben. Es muss einer gewinnen, wenn sie nicht der gleichen Meinung sind.“ Nach einer Diskussion über Feminismus: „Ich habe es erst hier gelernt. Ich habe mit Frauen über tiefe Themen diskutiert und immer wieder nachgefragt: Verstehst du, was ich sage? Und da hab ich gemerkt, wie schlau Frauen sind. Ich war überrascht. Erst jetzt weiß ich, ich kann mit Frauen ganz gleich reden, wie mit Männern. Ich schäme mich ein bisschen.“ Zum Thema Sexualität: A: „Sind Frauen Kunst?“ B: „Mir ist Kleidung und Schminke von Frauen sehr wichtig, weil das ist Kunst!“ A: „Viele Gedichte und Lieder und Kunstwerke sind über Frauen.“ C: „Kunst ist ein Gefühl.“ A: „Dann sind Frauen Kunst. Für mich.“ „Viele glauben, ich bin schwul, wenn ich tanze, weil ich tanze.“ „Mit Frauen aus der Türkei oder dem Iran hast du immer Probleme. Immer Drama. Mit österreichischen Frauen hatte ich noch nie ein Problem. Außer ich werde wütend natürlich. Meine letzte Freundin aus Österreich hatte was mit ihrem Nachbarn, dieses Arschloch. Sie sind jetzt zusammen, so dumm. Eine österreichische Freundin hat gesagt, ich bin ein Terrorist. Sie ist deppat. Aber ich will eh nicht heiraten. Ich bleibe für immer ein Junge, kein Mann.“ 7
Zum Thema Anpassung: „Im College, in das sie mich gegeben haben, waren ausschließlich andere Geflüchtete. Ich habe mit meinen Freunden Arabisch, nicht Farsi, sodass mich alle verstehen. Ein Lehrer ist gekommen und hat mich geschimpft: Hey! Sprich Deutsch! Integriere dich! Ich habe nur gesagt: Ich habe mich integriert! Hier gibt es niemanden, der Deutsch spricht. Wie soll ich mich integrieren, wenn ich nie unter Österreicher:innen bin und immer nur mit anderen Geflüchteten zusammengesteckt werde? Ich hasse dieses Wort: Integration.“ Über Traumata und Kindheitstraumen: „Auf der Welt gibt es Krieg. Und in mir drinnen ist auch Krieg. Ich kämpfe mit mir selbst.“ A: „Ich muss jede Arbeit nehmen, die ich kriege. Wann hört die Arbeit endlich auf, wann habe ich endlich Pause?“ B: „Mir ist nicht mehr jede Arbeit gut genug, aber ich muss schauen, wegen dem Geld.“ A: „Ich muss arbeiten für meine Mutter. Bei uns ist das so, weißt du? Sobald der ältere Bruder verheiratet ist, muss der kleinere arbeiten. Egal, wie klein du bist. […] Mit 11 oder 12 Jahren: Ich bin ins Restaurant gegangen, bevor es hell wurde und wieder rausgegangen, als es schon finster war. Ich habe nie die Sonne gesehen und ich war die ganze Zeit auf Drogen, die sie mir gegeben haben. Was ist das für eine Kindheit?“ Ein Gespräch über Gewalt: A: „B. hat sich geschlagen.“ B (mit einem ganz blauen Auge): „Sag das nicht Mann! Ich schäme mich! Außerdem hast du dich auch geschlagen.“ A: „Ich wollte dir helfen.“ B: „Ja, es waren 10 gegen 2 und wir habe trotzdem irgendwie gewonnen.“ Sophie: „Aber wer waren die? Was ist denn passiert?“ B: „Tschetschenen.“ A: „Sag das nicht, sonst ist es gleich rassistisch.“ B: „Ok, aber sie haben tschetschenisch gesprochen, das ist was ich gehört habe, deswegen sage ich Tschetschenen. Aber ich weiß es natürlich nicht.“ Sophie: „Ja und was haben die jetzt gemacht? Haben sie mit dem Schlagen angefangen?“ B: „Ääääh… naja schon irgendwie. Sie haben mich dumm angeschaut und ich habe gesagt: ‚Was schaust du so dumm?!‘ und dann ging es los!“ Sophie: „Das ist alles? Deswegen hast du jetzt ein blaues Auge?“ B: „Ich muss mich doch verteidigen? Blicke können auch diskriminieren! Ich muss mir nicht alles gefallen lassen. Ich habe zugeschlagen.“ Sophie: „Also ich versteh das schon, find es aber falsch. Weißt du, wie oft ich Männer schlagen müsste, wenn es nur um Blicke geht? Mindestens einmal am Tag! Aber glaubst du, tu ich das?“ B: „Hm.“ 8
Aus einer Voicemail über die Lage in Afghanistan: „[…] Sobald sie Leute suchen, die nach Afghanistan gehen, um zu kämpfen, werde ich gehen. Ich schlafe nicht mehr. Ich möchte mit den Taliban machen, was sie mit den Frauen und Kindern machen. Ich habe so schreckliche Videos gesehen. Weißt du, ich frage mich, was mache ich hier in Österreich? Was ist das? Warum bin ich hier? Was ist das für ein Leben, wenn es meinen Leuten so schlecht gehen muss. Ich gehe nach Afghanistan und töte die Taliban. Nicht um zu töten, sondern weil ich geboren bin zum Helfen. Ich helfe damit den Menschen und den Tieren in Afghanistan. Meine Mutter hat geweint, wie ich es ihr erzählt habe. Ich habe gesagt, wein nicht, sei stolz, dass du einen Sohn hast, der hilft. […]“ © Rainer Berson 9
1.4 Das Team Corinne Eckenstein (Regie und Choreografie): Corinne Eckenstein, geboren in Basel, Schweiz. Künstlerische Leitung und Direktion des DSCHUNGEL WIEN. Regisseurin, Choreografin, Visionärin. Sie absolvierte ihre Ausbildung als Schauspielerin und Tänzerin in New York und San Francisco. Ihre Theaterlaufbahn begann sie am jungen theater basel, wohin sie später als Regisseurin zurückkehrte. Seit 1990 lebt Eckenstein in Wien, wo sie u.a. mit Meret Barz, Sebastian Prantl, Milli Bitterli, Eva Brenner, den Wiener Festwochen, ImpulsTanz, dem Theater der Jugend, Kosmos Theater, TanzQuartier und Schauspielhaus Wien arbeitete. 1995 begründete sie gemeinsam mit der Autorin und Regisseurin Lilly Axster, die queerfeministische Gruppe: TheaterFOXFIRE, deren Produktionen (insgesamt 44) in den vergangenen Jahren große Erfolge bei Publikum und Presse verzeichneten. 2000 eröffnete sie das „theater kosmos frauenraum“ mit „Königinnen“ und war bis 2003 als Hausregisseurin tätig. Gemeinsam mit ihrer Compagnie TheaterFOXFIRE war sie von Beginn an wichtige Impulsgeberin des 2004 neu gegründeten DSCHUNGEL WIEN Theaterhaus für junges Publikum. Daneben ist sie kontinuierlich auch international tätig, u.a. in Zürich, Basel, Hannover und Berlin. Ihr besonderer Schwerpunkt liegt in der Förderung von Tanz für junges Publikum. 2016 übernahm sie die künstlerische Leitung und Direktion des DSCHUNGEL WIEN. Mit ihrem Fokus auf Kunstvermittlung, Diversität und Nachhaltigkeit, spricht sie zentrale Erfordernisse eines urbanen Kinder- und Jugendtheaters im 21. Jahrhundert an. Ihre besondere Stärke liegt darin, immer wieder neue Formen und Visionen zu entwickeln. Hawy Rahman (Bühnenbild und Workshops inklusive Pop Up Ausstellungen): Hawy Abdel Rahman ist Bildhauer und Perfomer. Er wurde 1972 in Bagdad (Irak) geboren, hat aber mittlerweile die österreichische Staatsbürgerschaft. Er studierte in Bagdad am College of Fine Arts Bildhauerei und später an der Universität für Angewandte Kunst in Wien und hat ein Diplom in Bildhauerei und Druckgrafik. Er arbeitet viel mit Jugendlichen unter anderem im Jugend College in der Holzwerkstatt oder macht mit ihnen Ausstellungsprojekte in seinem Atelier. Jennifer Vogtmann (Projektleitung): Jennifer Vogtmann wurde 1982 in Sindelfingen (Deutschland) geboren. Sie ist Sozialpädagogin und Theater-, Film- und Medienwissenschaftlerin mit Ausbildung zur Kulturmanagerin. Zuletzt war sie in der Jugendarbeit bei theaterpädagogischen Inszenierungen und medienpädagogischen Projekten tätig. Sophie Freimüller (Regieassistenz): Sophie Freimüller wurde 1996 in einem nicht einmal 100- Seelen-Nicht-Dorf in Oberösterreich geboren und schloss 2019 ihr Bachelorstudium für Theater-, Film- und Medienwissenschaft an der Universität Wien ab. 2020 sammelte sie bei „The Return of Ishtar“ erste Erfahrungen im Bereich Theaterregie und ist dem Dschungel seitdem erhalten geblieben, meistens als Regieassistentin für Corinne Eckenstein. Sie schleicht sich aber gerne auch in diverse andere spannende Projekte ein und stellt dann zum Beispiel plötzlich als Frau in Ausstellungen zum Thema Männlichkeit aus. Wie macht sie das nur? Ali Reza Askari (Tanz): Ali ist 17 Jahre jung und hat schon viel erlebt. Er wurde im Iran geboren und hat später in Afghanistan gelebt, bevor seine Familie wieder in den Iran flüchtete. Ali ist seit 2015 in Österreich. Er wollte immer Boxer werden. Das sieht man auch in seinem Tanzstil. 10
Ahmad Hazara (Tanz): Ahmad ist 24 Jahre alt und in Karaj im Iran geboren. Schon als Kind liebte Ahmad Musik und Tanzen. „Musik und Tanz begleitet mich durch jeden Tag. Wenn ich tanze, bin ich voller positiver Energie.“ Iliya Hosseini (Tanz): Iliya ist 29 Jahre alt. Durch ‚Tanz die Toleranz‘ ist Iliya zum Tanzen gekommen. Er interessiert sich außerdem für Zeichnen und Malen. Jasir Karimi (Tanz): Jasir ist Anfang 20 und ist in Teheran geboren. Nach der Matura im Iran ist Jasir 2015 nach Österreich gekommen. „Tanzen ist wie ein Gespräch mit mir selbst und mit der Existenz.“ Javid Hakim (Tanz): Javid ist 29 Jahre alt und hat im Divercity Lab eine Schauspielausbildung gemacht. Im Iran war Javid unter anderem tätig im Bereich Martial Art Choreography für Filmproduktionen und hat Drehbuch, Regie und Fotografie gelernt. „Es geht nicht darum schön zu tanzen, sondern um das Gefühl und die Gedanken dahinter. Wenn wir so tanzen, kommt die Schönheit von selbst.“ Morteza Mohammadi (Tanz): Morteza ist 25 Jahre alt und im Iran geboren. Er hat 2016 bei ‚Tanz die Toleranz‘ zu tanzen begonnen. „Ich kann das sagen, Tanzen bedeutet für mich die Freiheit für die Seele und die Freude im Moment. Manchmal finde ich die tiefen Punkte in mir und will diese auch anderen Menschen zeigen. Vielleicht werden sie so auch die Dinge, die in ihnen begraben sind, finden. Ich bin selbst eine suchende Person und glaube bis zum Ende vom Leben wird das weitergehen.“ Karrar Alsaedi (Musik): Karrar Al Saedi, geboren 1998 in Bagdad, hat in Bagdad Musik studiert und studiert seit 2018 an der MDW in Wien. Er arbeitet in den Bereichen Sound Filmdesign, Theatermusik, Performance Art und Komposition. Kareem Aladhami (Kostüm): Kareem ist 24 Jahre alt und wurde im Irak in Bagdad geboren. Schon als Kind hatte er immer Interesse an Mode und hat mit 10 Jahren angefangen in Modegeschäften als Verkäufer zu arbeiten. Er lebt seit Ende 2015 in Österreich und besucht seit 2018 die Kunst- und Modedesignschule in der Herbststraße. Seitdem taucht er in die Welt der Mode ein und verkauft auch schon erfolgreich seine Designs. Osama Rasheed (Video): Osama Rasheed, geboren 1986 in Bagdad, hat in mehreren internationalen Film- und Kunstprojekten als Regisseur und Kameramann gearbeitet. Seine Projekte wurden in Kunsthäusern und auf Festivals, wie auf dem Toronto International Film Festival, im MOMA New York und im Haus der Kulturen der Welt Berlin, gezeigt. 11
2. HINTERGRUNDINFORMATION Da es sich bei den Projektbeteiligten mit Fluchthintergrund letztendlich ausschließlich um Iraker und Afghanen handelt, folgt hier ein sehr kurzer geschichtlicher und gesellschaftspolitischer Abriss der beiden Länder. Irak Der Irak steht auf Platz 4 der Weltrangliste der Länder mit den meisten Bodenschätzen, was es traurigerweise auch zum Schauplatz vieler Kriege werden ließ. Irak war ursprünglich ein Königreich, dessen König allerdings 1958 bei einem Militärputsch gestürzt wurde. Die Republik wurde ausgerufen. Sie sollte allerdings nicht allzu lange anhalten. 1979 bis 2003 wurde die Bevölkerung von Diktator Saddam Hussein regiert. Unter seinem Regime führte der Irak Kriege gegen die Nachbarstaaten Iran und Kuwait und beging ein Massaker an der schiitischen und kurdischen Bevölkerung. 2003 wurde die Regierung von einer von den USA angeführten multinationalen Invasionstruppe gestürzt und Saddam Hussein später für seine Taten zum Tode verurteilt. Als Grund für den Einmarsch wurde eine angeblich vom Irak ausgehende Terrorgefahr und Verbindungen zu Al-Quaida angeführt. Beides lässt sich nicht belegen und es stellt sich die Frage, ob nicht ökonomische Gründe, wie Bodenschätze und Bereicherung durch Kriegsführung und Waffenindustrie im Vordergrund des Einmarschs standen. Die USA, Großbritannien und die „Koalition der Willigen“ verabsäumte es, wie schon öfter vorgekommen, stabile Strukturen für die Nachkriegszeit aufzubauen und die USA führte das Land während seiner Besetzung 2003-2011 in bürgerkriegsähnliche Zustände. Wie viele tausende zivile Opfer diese unter der irakischen Bevölkerung forderten ist unbekannt. Während der Irakkrise 2014 eroberten Islamisten des ISIS Teile des Iraks an der syrischen Grenze. Das Land gilt trotz Rückeroberung weiterhin als sehr instabil. „Der Irak ist schon lange nur noch ein Land, in dem Kriege anderer auf die Kosten der irakischen Zivilbevölkerung ausgetragen werden. Schade um unser schönes Land.“, fassten es unser Bühnenbildner und Coach Hawy Rahman und unser Kostümbildner Kareem Aladhami einmal während einer Probe zusammen. Afghanistan Nach einem kommunistischen Staatsstreich und Unruhen marschierte 1979 die Sowjetunion in Afghanistan ein und etablierte eine neue kommunistische Regierung. Es begann ein Krieg zwischen der sowjetisch gestützten Regierung und von den USA unterstützten und finanzierten Widerstandsgruppen (Mudschaheddin), unter anderem den Taliban, die also von den USA maßgeblich mitgeformt und gefördert wurden. Schließlich besiegten die Mudschaheddin die Regierung und es kam zum Konflikt unter ihnen. 1996 kamen die radikal- islamistischen Taliban-Milizen an die Macht und führten die Scharia ein. Nach den 9/11- Anschlägen 2001 wurde das Regime der Taliban, das Mitglieder der Terrormiliz Al-Quaida beherbergte, von den USA gestürzt. Die USA besetzten das Land 20 Jahre lang mit den Zielen der Terrorismusbekämpfung und der internationalen Stabilisierungsmission, welche beide unerreicht bleiben sollten. Schon während der demokratischen, islamischen Republik, die ausgerufen wurde, kam es immer wieder zu Unruhen im Land, die Kindersterblichkeitsrate war eine der höchsten der Welt und eine Durchsetzung westlicher Wertesysteme gelang nur schleppend. 12
Als die US-Amerikanischen Truppen dann 2021 mehr oder weniger plötzlich abzogen, brauchten die Taliban keine 2 Monate, um das gesamte Land zurückzuerobern und auch die Hauptstadt Kabul für sich zu beschlagnahmen. Die Miliz sitzt jetzt auf einem von US- Amerikanischen Steuerzahler:innen finanzierten Waffenlager, bestehend aus besten Kriegswaffen. Obwohl Expert:innen und afghanische Journalist:innen vor der bevorstehenden humanitären Krise gewarnt haben, hat der globale Westen nicht gehandelt und damit unzählige Zivilist:innen, Aktivist:innen und für den Westen arbeitende Menschen im Stich gelassen und in Lebensgefahr gebracht. In Österreich wird zynisch weiterhin über rechtlich ohnehin nicht durchführbare Abschiebungen nach Afghanistan diskutiert, anstatt darüber, wie der ausgelieferten Bevölkerung dort geholfen werden und wie die Menschen auf sicherem Wege außer Landes gebracht werden könnten. Da Afghanistan ein größtenteils schwer zugänglicher, gebirgiger Binnenstaat ist, ist eine Flucht kompliziert. Die meisten trotzdem geflüchteten Afghan:innen, überwiegend verfolgte Hazaras, leben in den Nachbarländern Pakistan und Iran. In beiden Ländern gelten sie als Bürger:innen letzter Klasse. Für sie herrschen besondere Gesetze, die sie unfrei machen: Sie haben keinerlei Papiere, können deshalb nicht reisen; höhere Bildung wird ihnen oft verwehrt, Vermischungen der Ethnien sind verboten und sie werden bereits im schulischen Kindesalter strukturell diskriminiert. Mediale und Politische Darstellungen Die Politik und die Medien markieren geflüchtete Menschen immer als das Fremde, das Unnormale, das Andere und grenzen sie so vom Rest der Bevölkerung ab. Nimmt mensch die österreichischen Medien, besonders die Boulevardangebote, unter die Lupe, wird schnell klar, welches politisch angestrebte Bild sie von geflüchteten Männern an die gebürtigen Österreicher:innen vermitteln (sollen): Geflüchtete Männer seien gewalttätig und gefährlich, insbesondere arabische Männer! Sie seien faul und nur auf unsere Sozialhilfen aus und viele von ihnen seien außerdem Terroristen. Sie seien eine Gefahr für das traditionelle, gutbürgerliche Wertesystems Österreichs. Aber welche Werte sollen das sein, die da in Gefahr sind? Die österreichische Frauenministerin Susanne Raab (ÖVP) beispielsweise macht öffentlich, dass sie durch die Migrationswelle befürchte, arabische Männer brächten ein patriarchales Familienbild in unser Land. Wir sagen: Tausende Jahre zu spät liebe arabische Männer! Im patriarchale (Familien-)Strukturen erhalten, sind wir Österreicher:innen nämlich selbst ganz gut. Ironie beiseite, ist die eben beschriebene mediale Reproduktion von problematischen und rassistischen Männerbildern an einem aktuellen Beispiel gut ersichtlich: Der Mord an der 13- jährigen Leonie, der sich im Juni in Wien ereignete. Der 15. Femizid innerhalb Österreichs 2021. Die mutmaßlichen Täter wurden just von den Medien als Ausländer, als Afghanen enttarnt. Bei keinem anderen Femizid stand die Nationalität des oder der Täter medial so präsent im Mittelpunkt. Sind die (mutmaßlichen) Täter nämlich gebürtige Österreicher, wird das nie erwähnt und in 13 dieser mittlerweile 17 Femizide (Stand August 2021) handelt(e) es sich bei den Verdächtigen eben um österreichische Staatsbürger. Die Medien überschlugen sich mit Beiträgen zu diesem Kindsmord und es begann eine rassistische und rechtlich völlig haltlose Debatte darüber, wie gefährlich afghanische Männer nicht seien und warum nicht mehr von ihnen abgeschoben würden. Gefährlich bei so einer lautstarken landesweiten Diskussion ist mehr die Reproduktion eines höchstproblematischen Rollenbildes, welche natürlich auch von der Politik aufgenommen wurde. 13
Die Frage eines Journalisten, ob es nicht ein Fehler seines Resorts sei, dass so viele afghanische Jugendliche kriminell werden, – (oder eher kriminell sozialisiert und völlig traumatisiert zu uns kommen) – weil ihnen jegliche Möglichkeit an Beschäftigung und Zugang zu Integration fehle, ignorierte der Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) und reagierte stattdessen mit Abschiebungswünschen und -fantasien, die offenkundig auch im Kontext der aktuellen lebensgefährlichen Zustände Afghanistans bei ihm und Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) nicht aussetzen. Es stimmt, dass afghanische Flüchtlinge auffällig oft straffällig werden und es soll nicht bestritten werden, dass dafür eine Lösung gefunden werden muss. Gute Ansätze, in der die Betroffenen ihre Zeit des Wartens sinnvoll nutzen könnten, gibt es viele, umgesetzt werden so gut wie keine. Worüber aber niemand spricht, sind beispielsweise die Statistiken, die der afghanischen Community Erfolge zuschreiben: wie gut sich afghanische Flüchtlinge im Arbeitsmarkt integrieren, wie häufig sie im Vergleich zu anderen marginalisierten Gruppen erfolgreich Lehren abschließen und wie sie so schon lange wichtiger – (nämlich steuerzahlender) – und nicht mehr wegzudenkender Teil der österreichischen Gesellschaft geworden sind. Für die an diesem Projekt beteiligten afghanischen Tänzer, die aufgrund ihrer Herkunft schon öfter diskriminiert und von Menschen haltlos als Terroristen beschimpft wurden, bedeutete die Debatte Stress, Angst vor vermehrt rassistischen Auseinandersetzungen und weitere innere Zerrissenheit. Sind sie doch so bemüht dem Rollenbild, dass ihnen auferlegt wird mit aller Kraft entgegenzuwirken, auch wenn es manchmal unglaublich schwer, unfair, identitätszerrüttend und daher ungesund ist, Rassismus kleinlaut beizugeben, all seinen Stolz und die guten Gegenargumente runterzuschlucken, nur um auf gar keinen Fall (negativ und gewaltbereit) aufzufallen. 14
2.1 Weiterführende Empfehlungen Vorab möchten wir auf die im Zuge des Projekts entstandene Ausstellung zu Männerwelten verweisen. Ein paar der Kunstwerke sind noch bis inklusive 12.11.21 im Foyer des Dschungel Cafés zu sehen. Um weitere Ausstellungstermine sind wir aufgrund der Nachfrage bemüht. 15
ANLAUFSTELLEN Hemayat: http://www.hemayat.org/ Betreuungszentrum für Folter- und Kriegsüberlebende Queer Base: https://queerbase.at/?lang=de Unterstützung für Geflüchtete der LGBTIQ*- Communitiy SOS Mitmensch: https://www.sosmitmensch.at/ Hilfe zur Durchsetzung von Menschenrechten, Chancengleichheit und Gleichberechtigung EMPFEHLENSWERTE WEBSITE DES VICD VICD: https://www.vidc.org/ Vienna Institute for International Dialogue and Cooperation Das VIDC ist die älteste entwicklungspolitische Organisation der Zivilgesellschaft in Österreich. Seit seiner Gründung 1962 fühlt sich das Institut einem internationalen „Dialog auf Augenhöhe“ verpflichtet. In unseren drei Bereichen Global Dialogue, kulturen in bewegung und fairplay wollen wir eine kritische Öffentlichkeit auf soziale, politische, kulturelle und wirtschaftliche Entwicklungen aufmerksam machen. • Afghanistan Gender Studies: https://www.vidc.org/fileadmin/user_upload/vidc_afghanistan_gender_study_2nd_r evised_edition.pdf • Handbuch Vermittlung Intellektueller Genderkompetenz: https://www.vidc.org/fileadmin/user_upload/handbuch_vermittlung_interkultureller _genderkompetenz.pdf • Gender Tandem Workshop für Männer: Gendersensibilisierung afghanischer Männer https://www.vidc.org/themen/gender/gender-tandem-workshops LITERATUR Liebe, Sex und Allah Das unterdrückte erotische Erbe der Muslime von Ali Ghandour In seinem Buch spricht der muslimische Gelehrte Tabuthemen an und bricht mit Rollenbildern auf. 16
2.2 Glossar und weiterführende Begriffe Abschiebung: Abschiebung oder nach EU-Recht auch Rückführung wird die Vollstreckung der unfreiwilligen Ausreise einer Person ohne Staatsangehörigkeit bezeichnet. Abschiebungen sollten sich an den Asylgesetzen und der Genfer Flüchtlingskonvention orientieren. Bis es zu einem Abschiebungsbeschluss kommt vergeht meistens viel Zeit (oft Jahre), in welcher die betroffenen Personen bereits in den Ländern leben, aus denen sie dann abgeschoben werden, und eine neue Lebensbasis aufgebaut haben, aus der sie gerissen werden. Leider kommt es in Österreich nicht selten vor, dass Abschiebungen im Zusammenhang mit Machtmissbrauch in scheinbaren Nacht- und Nebelaktionen und für die Betroffenen völlig überrumpelnd durchgeführt werden. Es sei beispielhaft an die aufsehenerregende Abschiebung der Schülerin Tina (12) und deren Schwester Lea (5), die bereits in Österreich geboren wurde, mitsamt deren und weiteren Familien nach Georgien erinnert. Diese wurde in der Nacht auf 28. Jänner 2021 in Wien vollzogen. Arabisch: Zum großen Teil wird in den Ländern der arabischen Welt arabisch gesprochen. In Ländern der Region, die eine andere Amtssprache haben, wie etwa im Iran, in Afghanistan und in Teilen Syriens, wird Arabisch noch vor Englisch in der Schule unterrichtet. Mit der Sprache einher geht eine eigene Schrift, die von rechts nach links geschrieben und gelesen wird. Ariana: Ariana bezeichnet eine historische Region zwischen Persien und Indien, die sich vor allem über Afghanistan, aber auch über den östlichen Iran erstreckt, also grenzüberschreitend ist. Die Arier:innen (Bewohner:innen Arianas) verbindet Geschichte und deshalb teilweise ähnliche Kultur, Bräuche, Sitten und Traditionen. Asyl: Als Asyl wird der (temporäre) Schutz und die Zuflucht, sowie der Zufluchtsort und freie Obdach von Verfolgten bezeichnet. Gründe für Verfolgung sind immer diskriminierend ansonsten aber divers. Sie können zum Beispiel auf Religion, Politik, unterschiedlichen Überzeugungen, Ethnie, Geschlecht, Sexualität und/oder Wirtschaft beruhen. Dari und Farsi: Dari ist eine im Iran und Afghanistan gesprochene Amtssprache, die sich eigentlich kaum von Farsi/Persisch unterscheidet. Die Schrift ist ident zur arabischen. Was in der westlichen Welt kaum besprochen wird, ist die These, dass Dari von der iranischen Regierung neben Persisch eingeführt worden sei, um eine weitere Spaltung der im Iran lebenden Bevölkerung herbeizuführen. Durch die vom globalen Westen gut gemeinte, aber schlecht recherchierte Einführung der Option, westliche Medien neben Farsi auch auf Dari zu konsumieren (z.B. BBC Dari), wird diese Teilung der Bevölkerung reproduziert und die iranische Regierung (unwissentlich) unterstützt. Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) richtet sich nach der Europäischen Menschenrechtskonvention und deren Einhaltung innerhalb der Mitgliedstaaten des Europarats. Er wurde 1959 in Straßburg vom Europarat ins Leben gerufen. Einzelne Personen, als auch Personengruppen und Staaten können sich mit Beschwerden an den EGMR richten. Zuletzt verhinderte der EGMR zum Beispiel die vom österreichischen Innenminister Karl Nehmanner Ende Juli 2021 geplanten Abschiebungen nach Afghanistan, während sich das Land in einer humanitären Krise befand (und nach wie vor befindet). 17
Eine Abschiebung nach Afghanistan war und ist somit menschenrechtswidrig, weil das Leben der abgeschobenen Person bewusst gefährdet wird. Die Beschlüsse des EGMR sind für Europarats-Mitgliedsstaaten bindend. Feminismus: Eine leider immer noch lange nicht überflüssige Bewegung für die Gleichberechtigung, Sichtbarmachung, Befreiung und Anerkennung von Frauen und gegen geschlechterbedingte Binarität, Zuschreibungen, Konnotationen und Rollenzwänge. Feminismus muss im Zuge der Gleichberechtigung immer auch im Zusammenhang mit Ethnizität, Sexualität, Herkunft und Klasse gedacht werden. Flucht: Menschliche Flucht ist eine Art von Migrationsbewegung. Flucht beschreibt das aufgrund von unzumutbaren Umständen, wie existentiellen Gefahren und Bedrohungen, notgedrungene Verlassen eines Ortes und folglich oft unerlaubtes Eindringen in andere Länder. Genfer Flüchtlingskonvention: Die Genfer Flüchtlingskonvention wurde im Juli 1951 verabschiedet. Sie wurde als internationales Abkommen über die Rechte und den Schutz Geflüchteter weltweit ins Leben gerufen, um eine Wiederholung der Zurückweisung von unzähligen zur Flucht gezwungenen Menschen an der Schweizer Grenze während des Zweiten Weltkriegs zu vermeiden. Besonders seit der sogenannten Flüchtlingskrise 2015 wird die Genfer Konvention oft in Frage gestellt und leider halten sich kaum mehr Länder an sie. Auch die Europäische Union verletzt den völkerrechtlichen Vertrag und weist Schutzsuchende an ihren Grenzen zurück oder teilt die Obhut der geflüchteten Personen nicht gerecht unter den Ländern auf, sodass zum Beispiel überfüllte, unhygienische und menschenrechtswidrige Flüchtlingslager, wie Moria (Griechenland) in südlichen Ländern Europas entstehen. Weiters zahlt die EU enorme Summen von Geld an Drittstaaten, wie die Türkei oder Weißrussland, damit diese keine Flüchtlinge von dort aus über die Grenzen lassen und macht sich damit von demokratisch und menschenrechtlich mehr als fragwürdigen Regierungsoberhäuptern, wie Erdoğan und Lukaschenka, erpressbar. 18
Hazara: Die Hazaras sind stark diskriminierte und verfolgte Ethnie in Afghanistan. Als Vorwand dafür gilt die ursprünglich schiitisch-islamische Religionsausrichtung der Hazaras im mehrheitlich sunnitisch-islamischen Afghanistan. 1998 wurden etwa in Mazar-e Sharif innerhalb weniger Tage über 8000 Hazaras ermordet. Morde an Hazaras finden bis zum heutigen Tag kein Ende. Geflüchtete Hazaras sprechen oft von Genozid. In den westlichen Medien wird diese menschenrechtliche Tragödie nicht behandelt. Kalaschnikow: Kalaschnikows sind automatische Schusswaffen aus einer sowjetisch- russischen Sturm- und Maschinengewehrreihe. Sie gelten als besonders billige, aber effektive Waffe und sind deswegen in ökonomisch ärmeren Ländern eine beliebte Kriegsmaschine. Paschtunen: Paschtunen sind ein iranisches Volk in Süd- und Zentralasien. Der Großteil der Paschtunen lebt in Pakistan, direkt gefolgt von Afghanistan, wo sie um die 42% der Bevölkerung ausmachen. Viele Paschtunen leben nach wie vor traditionell in streng religiösen Stämmen zusammen. Persien: Das Persische Reich war ein über Jahrhunderte herrschendes antikes Großreich, dass von vielen im heutigen Iran angesiedelt wird. Tatsächlich erstreckte es sich aber lange Zeit über weit größere Teile Asiens, Afrikas und Europas, zu Hochzeiten sogar vom Balkan bis nach Nordwestindien und Ägypten. Radikalismus: Radikalität ist eine politische, religiöse, kurzum gesellschaftliche Einstellung, die zum Ziel hat, die gesamte gesellschaftliche Ordnung komplett aufzulösen, zu ersetzen und/oder umzukrempeln, koste es, was es wolle. Sayyid/Sayed/Sadat: Sayyed ist der im Namen einer Person angeführte Titel der direkten Nachkommen des islamischen Propheten Mohammeds. Zum Beweis des Titelanspruchs wird angeblich Stammbaum über die Abstammung geführt. Es kursieren aber auch Gerüchte darüber, dass einflussreiche Leute ihren Titel in unruhigen Zeiten immer wieder käuflich oder durch Beziehungen und Machtspielchen erworben haben. Scharia: Die Scharia kommt als Wort nur ein einziges Mal im Koran vor und wird dort als langer Wüstenpfad beschrieben. Sie wird allerdings von extremistischen Islamisten als göttliche Gegebenheit ausgelegt. Die Scharia steht dabei für eine göttliche Norm, an deren strenge und menschenunwürdige Konventionen sich alle zu halten haben und deren Regelbrüche harte Strafen, wie beispielsweise Folter durch Verstümmelung und Hinrichtung durch Steinigung, nach sich ziehen. Staatenlosigkeit: Gemäß des Staatenlosenübereinkommens der Vereinten Nationen ist ein:e Staatenlose:r „eine Person, die kein Staat auf Grund seiner Gesetzgebung als seinen Angehörigen betrachtet.“. Sie hat also keine Staatsbürgerschaft, wird von keinem Staat geschützt, hat kein Recht zu wählen, zu reisen, zu arbeiten oder auf Versicherung (z.B. Krankenversicherung), Sozialleistungen und so weiter. Zur Staatenlosigkeit kann etwa Ausschluss, Verbannung und Staatsauflösung führen. Laut der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 hat jeder Mensch das Recht auf Staatszugehörigkeit. 19
Subsidiärer Schutz: Subsidiärer Schutz gilt für Personen, deren Asylantrag abgewiesen wurde, aber deren Leben im Herkunftsland bedroht wird und die aufgrund der Drohung von zum Beispiel Folter und Todesstrafe nicht in dieses zurückgeschickt werden können. Subsidiär Geschützte haben ein Recht auf Aufenthalt, Arbeit und gegebenenfalls einen Fremdenpass. Taliban: Die Taliban sind eine radikal islamistische Terrorgruppe, die sich unter strengem und menschenrechtswidrigem Reglement für die Scharia ausspricht. Betroffen sind vor allem Frauen, queere Personen und andere Minderheiten, sowie Aktivist:innen und Systemkritiker:innen. Terrorismus: Terrorismus ist das Ausüben und Verbreiten von Terror ohne Rücksicht auf Verluste, – also von Anschlägen, Entführungen, Drohungen, Mord, Folter, um nur einige Beispiel zu nennen – um religiöse, politische oder ideologische Ideen umzusetzen. Trauma: Trauma bedeutet wortwörtlich übersetzt Erschütterung. Psychische Traumata werden durch lebensbedrohliche Ereignisse (es kann das eigene, als auch das Leben anderer nahestehender Personen gemeint sein), wie Gewalt, Krieg, Katastrophen und Unfälle ausgelöst und bleiben, wenn auch häufig unter- und unbewusst, lange wirksam. 20
3. IDEEN FÜR DIE VOR- UND NACHBEREITUNG Mindmap Männlichkeit Heimat Freiheit Hoffnung Tradition Lebensentwurf Familie Zukunft Selbstwertgefühl Religion, Islam Vertrauen Kommunikation Stolz Träume Dazugehörigkeit Utopie Aufbruch Sprache ↔ Fantasie Scheitern Fremdsprache Sicherheit Verantwortung Deutsch, Arabisch, Loslösen Farsi, Englisch - von Strukturen Veränderung - von Erwartungen Hüllen Männlichkeit - von Rollenbildern einhüllen - von Vorurteilen (Hüllen) fallen lassen Rassismus Krieg Liebe Auch Ausgrenzung untereinander und Sehnsucht Unterdrückung gegenüber anderen Hingabe Flucht (migrantischen Gefühle Verlust Jugendlichen) Intimität Realität Angst Gesellschaft Beziehung Gewalt Diskriminierung Freundschaft Zensur und Repression Vorurteile Sexualität in Schubladen stecken und Homosexualität gesteckt werden Konfrontation - miteinander - mit der eigenen Realität 21
Erstellen Sie mit den Jugendlichen eine Mindmap, ähnlich zu dieser hier beispielhaft eingefügten, die im Zuge der Workshops mit den geflüchteten Jugendlichen erarbeitet wurde. Im Mittelpunkt sollte der Begriff „Männlichkeit“ stehen. Finden Sie mit den Schüler:innen weitere Zweige, aus denen das Männlichkeitsbild resultiert, die sich wiederum unterteilen lassen. Möglichkeiten sind zum Beispiel „Tradition“, „Medien“, „Feminismus“ und „Herkunft“ oder auch die Überbegriffe, die in der Beispiel-Mindmap eingezeichnet sind. Auch diese Zweige lassen sich wieder in einzelne Stichworte unterteilen. Schreiben Sie den Begriff nach Möglichkeit an die Tafel, das Whiteboard oder ein Plakat und lassen die Schüler:innen eigenständig Begriffe hinzufügen. Gerät die Übung ins Stocken, weil ihren Schüler:innen zum Beispiel spontan nichts einfällt oder sie nicht ins Sprechen kommen, stellen Sie Fragen aus dem unten angeführten Fragenkatalog als Hilfestellung. Diskutieren Sie anschließend in der Gruppe, was Sie gemeinschaftlich geschrieben haben. Schaffen Sie während der Diskussion unbedingt einen wertfreien Raum und kümmern Sie sich um einen wertschätzenden Umgang miteinander. Gibt es Unklarheiten? Unterscheiden sich die Männlichkeitsbilder mancher Schüler:innen und woran könnte das liegen? Woher kommen diese Vorstellungen über das Mann-Sein überhaupt und wie lassen sie sich (gemeinsam) aufbrechen? Stellen Sie am Ende die Frage, ob sich die Jugendlichen Veränderungen in diesem Rollenbild wünschen und welche Veränderungen das wären. Die Mindmap ist mit jeglichen anderen gesellschaftlich konstruierten Rollenbildern austauschbar. Beispiele: „Weiblichkeit“, „Jugendliche“, „Geflüchtete“. 22
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