Klagenfurter Geographische Schriften Heft 28 - Eine Zukunft für die Landschaften Europas und die Europäische Landschaftskonvention
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Klagenfurter Geographische Schriften Heft 28 Institut für Geographie und Regionalforschung der Universität Klagenfurt 2012 Hans Peter JESCHKE und Peter MANDL (Hrsg.) Eine Zukunft für die Landschaften Europas und die Europäische Landschaftskonvention
Titelblatt: „Unsere Umwelt beginnt in der Wohnung und endet in der Weite der Landschaft“ Aus: IVWSR (1973): Wiener Empfehlungen. Luxemburg. In: Jeschke, Hans Peter (Hrsg.) (1982): Problem Umweltgestaltung. Ausgewählte Bestandsaufnahme, Probleme, Thesen und Vorschläge zu Raumordnung, Orts- und Stadtgestaltung, Ortsbild- und Denkmalschutz, Landschaftspflege und Umweltschutz. Verlag Stocker, Graz. (= Schriftenreihe für Agrarpolitik und Agrarsoziologie, Sonderband 1) Medieninhaber (Herausgeber und Verleger): Institut für Geographie und Regionalforschung der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt Universitätsstraße 65-67, A-9020 Klagenfurt Herausgeber der Reihe: Ass.-Prof. Mag. Dr. Peter MANDL Prof. Mag. Dr. Friedrich PALENCSAR Schriftleitung: Prof. Mag. Dr. Friedrich PALENCSAR Redaktionelle Betreuung: Dipl.-Ing. Stefan JÖBSTL, Bakk. Webdesign und –handling: Natalie SCHÖTTL, Dipl.-Geogr. Philipp AUFENVENNE ISBN 978-3-901259-10-4 Webadresse: http://geo.aau.at/kgs28
Hans Peter Jeschke, Peter Mandl (Hrsg.) (2012): Eine Zukunft für die Landschaften Europas und die Europäische Landschaftskonvention. Institut für Geographie und Regionalforschung an der Alpen-Adria Universität Klagenfurt. Klagenfurter Geographische Schriften, Heft 28. DAS GRÜNE BAND UND DER EISERNE VORHANG - DAS EUROPÄISCHE GRENZSYSTEM DES KALTEN KRIEGES ZWISCHEN NATUR- UND KULTURERBE DER EUROPÄISCHEN UNION UND DER UNESCO Hans Peter JESCHKE 1. Einleitung Im Kulturhauptstadtjahr Europas Linz 2009 fand über Initiative der Oö. Landesmuseen, des Amtes der Oö. Landesregierung und des Oö. Naturschutzbundes die Linz 09- Sonderausstellung „Das Grüne Band Europas – Grenze . Wildnis . Zukunft“ statt (vgl. Abb. 1). Der Autor war unter dem Kurat von Thomas Wrbka als Projektpartner in der Vorbereitungsphase (2008) mit einem Katalogbeitrag (Jeschke 2009) eingebunden. Grundlage für diesen Beitrag war eine Machbarkeitsstudie „Das Grüne Band als Kultur- und Naturerbe der UNESCO“ (2008). Das Deutsche Nationalkomitee für Denkmalschutz veranstaltete ebenfalls 2009 eine Tagung „Mauer und Grenze – Denkmal und Gedenken“ in Berlin (vgl. Abb.2), bei der Jörg Haspel den Vorschlag einer Kontinentalerbeevaluierung für die Innerdeutsche Grenze einbrachte.2010 liegt nun neben den erwähnten Vorschlägen für die Welterbeliste und das Kontinentalerbe ein Beschluss der Kultusminister der deutschen Bundesländer (Kultusministerkonferenz 24.04.2010) vor, mit dem die Absicht festgehalten wurde, den „Eisernen Vorhang“ als Europäisches Kulturerbe einzureichen. Die weiteren Ausführungen konzentrieren sich daher einerseits auf die Verbindung von Natur- und Kulturerbeaspekten im Zusammenhang. Andererseits wird die Frage der Evaluierung als Kontinental- oder Welterbe weitergehend untersucht. Abb.1: Katalog der Linz 09-Ausstellung: „Das Grüne Band Europas Abb2: Tagungsband des Deutschen – Grenze . Wildnis . Zukunft (Europäische Kulturhauptstadt Linz 09) Nationalkomitees für Denkmalpflege: „Mauer und Grenze – Denkmal und Gedenken“ in Berlin 462
DAS GRÜNE BAND UND DER EISERNE VORHANG - DAS EUROPÄISCHE GRENZSYSTEM DES KALTEN KRIEGES ZWISCHEN NATUR- UND KULTURERBE DER EUROPÄISCHEN UNION UND DER UNESCO 463 ___________________________________________________________________________ Ausgangslage Der Eiserne Vorhang in seiner räumlichen Ausprägung als europäisches Grenzsystem des Kalten Krieges zog sich als Nahtstelle und Trennlinie mitten durch ganz Europa. Er bildete eine Grenze zwischen zwei unterschiedlichen politischen, militärischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Systemen in ganz Europa. Er teilte 45 Jahre lang 23 Staaten mit Ihren Landschaften, Städten und Dörfern, zerschnitt Verkehrswege, trennte Familien, Verwandte und Bekannte voneinander und prägte das Leben von Millionen Menschen. Er ist aber insbesondere auch die räumliche und ideologische Manifestation einer die ganze Welt erfassenden Blockbildung in West und Ost, die weit über Zentraleuropa hinaus wirkte. Viele zeitgeschichtlich relevante Relikte in der Landschaft des Grünen Bandes bzw. des ehemaligen Europäischen Grenzsystems sind mit den Jahren verschwunden. Die Schrecken konnten nicht ausgelöscht werden. Im Laufe der Jahrzehnte verloren jene Reste nichts von ihrer Bedeutung als Mahnmal. Im Gegenteil – sie gewannen an Bedeutung. Sie lehren heute besser als jede Abhandlung oder jedes Memorandum, wie unmenschlich das Grenzregime war, auch in seiner Wahl von Schauplätzen, Architekturen und bei der Zerstörung von grenznahen Lebensräumen. Das Grenzsystem in seiner Transformation 3.1 Das Grüne Band a) Das Grüne Band in Deutschland Die Struktur Im Bereich der ehemaligen innerdeutschen Grenze konnte sich aufgrund der erzwungenen Nutzungsruhe und Abgeschiedenheit über Jahrzehnte ein zusammenhängendes Band von zum Teil wertvollen Biotopen entwickeln, das heutige „Grüne Band“. Bereits vor dem Zusammenbruch des Eisernen Vorhangs zeigten naturschutzfachliche Untersuchungen der Grenzregion von der Westseite aus, dass der Grenzstreifen eine große Arten- und Lebensraumvielfalt beherbergt. Die naturschutzfachliche Wertigkeit des Grenzstreifens wurde schon früh durch zahlreiche Kartierungen (z. B. Beck und Frobel 1981, Frobel 1978 und 1994) belegt. Vielerorts liegen darüber hinaus benachbart zum heutigen Grünen Band auch Komplexbiotope, die seit ungefähr 50 Jahren von einer Nutzungsintensität verschont geblieben sind. Abb. 3: Struktureinheiten des ehemaligen innerdeutschen Grenzstreifens, die Bezugspunkte der Bestandsaufnahme Grünes Band waren: Wald und Äcker westlich der Staatsgrenze, Vorland 2, Vorland 1 Minenstreifen, Kfz- Sperrgraben, Spurensicherungsstreifen und Kolonnenweg (Schlumprecht et al. 2002, S. 407).
464 HANS PETER JESCHKE ___________________________________________________________________________ Abb. 4: Grünes Band Mackenrode: Der Grüne Band Deutschland an der Landesgrenze Niedersachsen/Thüringen im Südharz. In intensiv genutzten Agrarlandschaften ist das Grüne Band oft die letzte verbliebene Biotopstruktur. Gerade solche Abschnitte des Grünen Bandes sind von besonderer Bedeutung, um größere naturnahe Gebiete miteinander zu verbinden (BUND-Projektbüro Grünes Band / Klaus Leidorf). Die Gründungsidee Die Schutz - und Gründungsidee für das „Grüne Band“ ist mit der Person Kai Frobel verbunden, der zusammen mit Hubert Weiger (Mitarbeiter des Bundes Naturschutz in Bayern (BN)), am 9.12.1989 zu einem ersten Treffen von mehr als 4oo Naturschützern aus Ost und West nach Hof an der bayerisch - sächsischen Grenze mit dem Stichwort „Grünes Band“ einlud. Während dieses Treffens wurde der Name „Grünes Band“ fixiert und die erste Resolution zum Schutz des Grünen Bandes einstimmig beschlossen. Knapp ein Jahr später, im November 1990, spricht der damalige Bundesumweltminister Prof. Dr. Klaus Töpfer dem Grünen Band seine besondere Bedeutung in den „Eckpunkten der ökologischen Sanierung und Entwicklung in den neuen Ländern“ zu. Es müssen bundesweit erhebliche Anstrengungen aufgeboten werden, „um möglichst viele natürliche und naturnahe Flächen als „Grünes Band“ zu erhalten“ (Geidezis, Schlumprecht und Frobel 2002, S. 10). Im April 1991 bestätigt die Bundesregierung die genannten Ziele und fordert ebenfalls, „dass möglichst alle wertvollen Biotope und für den Naturschutz bedeutenden Gebiete (...) dauerhaft geschützt bleiben bzw. geschützt werden sollen“. Im europäischen Naturschutzjahr 1995 wird das Grüne Band als „modellhaftes Naturschutzprojekt“ durch Bundespräsident Prof. Dr. Roman Herzog ausgezeichnet. Seit dem Beginn war das Grüne Band nicht nur das erste gesamtdeutsche Naturschutzprojekt, sondern auch als ein Beitrag für ein lebendiges Denkmal der jüngeren deutschen Geschichte (Geidezis und Kreutz 2008, S. 3) verstanden. b) European Green Belt - Das Grüne Band Europa Wesen und Inhalte einer europäischen Initiative von internationaler Bedeutung Das Grüne Band Europa ist die Fortführung des Grünen Bands Deutschland auf europäischer Ebene. Es sollte ein Grünes Band als transnationaler Biotopverbund quer durch Europa und als „ein Symbol für die Vereinigung von Ost und West“ (Bund Magazin 2007) realisiert werden. Diese Vision wurde im Juli 2003 erstmals öffentlich diskutiert. Aus diesem Grunde veranstalteten im September 2004 die Weltnaturschutzunion IUCN und das deutsche Bundesamt für Naturschutz eine internationale Konferenz in Ungarn. Auf dieser Konferenz wurden sieben Ziele vereinbart, die das Koordinationsbüro der Weltnaturschutzunion (IUCN)
DAS GRÜNE BAND UND DER EISERNE VORHANG - DAS EUROPÄISCHE GRENZSYSTEM DES KALTEN KRIEGES ZWISCHEN NATUR- UND KULTURERBE DER EUROPÄISCHEN UNION UND DER UNESCO 465 ___________________________________________________________________________ in Brüssel seitdem zu verwirklichen sucht. Das Grüne Band Europa (European Green Belt) wurde zu einem Naturschutzprojekt, bei dem der durch den Kalten Krieg entstandene, weitgehend naturnah belassene Grenzstreifen quer durch Europa erhalten werden soll. Dieses „Grüne Band“ hat eine Gesamtlänge von über 8500 km und reicht dabei vom Eismeer im Norden Norwegens bis zum Schwarzen Meer an der Grenze zur Türkei, wobei es durch 23 europäische Staaten verläuft. Hauptträger des Grünen Bands Europa ist die Weltnaturschutzunion (World Conservation Union (IUCN) die vom deutschen Bundesamt für Naturschutz unterstützt wird). Die Zentrale Koordination aller Aktivitäten rund um das Grüne Band Europa liegt in den Händen des Sekretariats des Grünen Bandes Europa, welches im IUCN Regionalbüro für Europa (IUCN ROfE) in Brüssel angesiedelt ist. Das Sekretariat ist unter anderem für die Erstellung der operativen Grundsätze zuständig, welche sie mit den „National Focal Points“, den „Regional Koordinatoren“ und den restlichen Stakeholdern abstimmt. Auch alle weiteren Aktivitäten, von der Identifikation möglicher Maßnahmen bis zu ihrer Durchführung, werden in enger Zusammenarbeit aller Beteiligten mit dem Sekretariat des Grünen Bandes abgestimmt. Program of Work (PoW) 2004 wurden auf der erwähnten internationalen Konferenz in Ungarn die Grundlagen für das „Grüne Band Europa“ gelegt: Das „Program of Work“, ein Arbeitsprogramm, das seitdem mit den betroffenen Stakeholdern weiterentwickelt wird. Ziel des PoW ist es, die beteiligten Länder bei der internationalen Zusammenarbeit zu unterstützen, nachhaltige Entwicklung zu fördern und den Artenverlust am Grünen Band bis 2010 zu stoppen. Ausgehend von dem Grundsatz: „To create the backbone of an ecological network, running from the Barents to the Sea that is a global symbol for transboundary cooperation in nature conservation and sustainable development“ wurden sieben Ziele erarbeitet: 1. The establishment of the European Green Belt as a functional ecological network. 2. The Green Belt becomes an establishes and respected mechanism for the sharing of knowledge, experience and best practice on transboundary cooperation for nature conservation and sustainable development. 3. The Green Belt becomes a ciable tool to assist the sustainable development of communities at the local level within its range. 4. The Green Belt becomes an ecological laboratory to study landscape and continental scale ecological processes and the response of habitats and species to major ecological changes. 5. The Green Belt operates with a transparent and efficient structure that ensure the largest participation possible of all interested stakeholders. 6. The Green Belt becomes a widely acknowledged initiative within participating countries and among international organisations. 7. The Green Belt is recognised as a „band“ for products and activities that enhance local and regional sustainable development and nature conservation. Die landschaftliche Struktur Das Grüne Band verbindet fast alle biogeographischen Regionen Europas und verknüpft 23 Staaten zwischen der Barentssee und dem Schwarzen Meer. In dem Landschaftsbereich von 12.500 km Länge sind 393 wertvolle mit 1.400 Teilgebiete erfasst. Darüber hinaus liegen eine Vielzahl wertvoller Landschaften und vielfältiger Landschaftstypen am Grünen Band. Die landschaftliche Struktur des Grünen Bandes besteht derzeit aus:
466 HANS PETER JESCHKE ___________________________________________________________________________ der Linie entlang des ehemaligen Eisernen Vorhanges dem europäischen Biotopverbund als „Netzwerk“ bestehender Schutzgebiete bzw. naturschutzfachlich wertvoller Gebiete der Pufferzone (eigentlich Pufferzonenkorridor) als derzeitigen wissenschaftlichen Suchraum und möglichen landschaftsökologischen Vernetzungskorridor mit einer Breite von 25 km oder 50 km. der umgebenden Matrix der „normalen“ Kulturlandschaft, die vielfältigen Nutzungen, Nutzungsansprüchen und Belastungen unterliegt. Abb. 5: Das Grüne Band erstreckt sich von der Kälte des Eismeeres an der russischen Grenze bis zu den sonnigen Küsten des Schwarzmeeres im europäischen Südosten mit einer Länge von 12.500 km in 23 europäischen Staaten. Die Vielfalt der Landschaften wird durch die Kennzeichnung der biogeographischen Regionen Europas deutlich: 01 Subpolare Tundra, 02 Finnisch-Karelisches Wald- und Seenland, 03 Ostseeküste, 04 Norddeutsches Tiefland, 05 Europäisches Mittelgebirge, 06 Mittel- und Südosteuropäische Niederungen, 07 Südostalpen, 08 Südosteuropäisches Hochgebirge, 09 Große Seen des Balkans, 10 Mediterrane Küstenniederungen und 11 Südosteuropäische Tafelländer und Schwarzmeerküste (Oö. Landesmuseen et al. 2009). 3 Hauptabschnitte und die Koordination Zur leichteren Koordination der Aktivitäten wurde das Grüne Band Europa in drei Hauptabschnitte mit je einem Koordinator aufgeteilt: Fennoskandien: Norwegen, Finnland, Russland, Estland, Lettland, Litauen. Regionaler Koordinator Baltic Fund for Nature of Saint Petersburg – Naturalist Society.
DAS GRÜNE BAND UND DER EISERNE VORHANG - DAS EUROPÄISCHE GRENZSYSTEM DES KALTEN KRIEGES ZWISCHEN NATUR- UND KULTURERBE DER EUROPÄISCHEN UNION UND DER UNESCO 467 ___________________________________________________________________________ Mitteleuropa: Deutschland (Grünes Band Deutschland), Tschechien, Österreich, Slowakei, Ungarn, Slowenien und Italien. Regionaler Koordinator BUND-Projektbüro Grünes Band. Balkan: Kroatien, Serbien, Montenegro. Mazedonien, Rumänien, Bulgarien, Albanien, Kosovo, Griechenland und die Türkei bis zum Schwarzen Meer. Regionaler Koordinator Stiftung Europäisches Naturerbe (EURONATUR). 3.2 Grenzsystem zwischen Verlust und Musealisierung Bei der Nennung des Grenzsystems des Kalten Krieges nimmt die innerdeutsche Grenze eine besondere Position ein. Die innerdeutsche Grenze zog sich auf einer Länge von 1.393 km mitten durch Deutschland. Ein Teil davon, die Mauer in Berlin ragte als ein besonders prominentes schon früh international rezipiertes Zeichen des Eisernen Vorhangs im Kalten Krieg heraus. Sie war und bleibt damit das Symbol der Verweigerung elementarer Menschenrechte. Die tief gestaffelten Grenzanlagen und das Grenzregime mit seinen bewaffneten Grenzsoldaten haben die Situation der geteilten Stadt jahrzehntelang geprägt. Der innerstädtische Grenzstreifen zog sich 43,1 km von Nord nach Süd mitten durch die Stadt. 111,9 km maß die Abgrenzung des Westteils der Stadt zum Umland. Zunächst als Stacheldrahtzaun angelegt bzw. mit Hohlblocksteinen grob gemauert, entwickelte sich die Grenze nach West-Berlin zu einem nahezu unüberwindlichen Grenzregime, das weltweit in seiner Monstrosität einmalig war. Vom gefürchteten Grenzsystem sind nach der Wende wenige Überreste erhalten. Dies wird auch mit der zunehmenden Enthistorisierung der Landschaft im Zusammenhang gebracht. Daher gerieten die materiellen Überreste fast durchgängig in Vergessenheit. Verloren ging damit die räumliche Dimension der Grenze. Andererseits ging mit dem Verschwinden der materiellen Reste aber auch die Gründung zahlreicher einschlägiger Initiativen einher. In Deutschland z. B. widmen sich 28 Museen, Gedenkstätten und Denkmale an der ehemaligen innerdeutschen Grenze der Dokumentation und Aufarbeitung der Geschichte der deutschen Teilung und schlossen sich 1996 zur Arbeitsgemeinschaft GrenzMuseen zusammen. Zum Eisernen Vorhang gehörten jedoch nicht nur die Berliner Mauer (13. August 1961 – 9. November 1989), die Innerdeutsche Grenze und die Grenzbefestigungen der CSSR zur Bundesrepublik Deutschland mit den bekannten Grenzbefestigungen aus Stacheldraht, Schießbefehl, Hundelauf-Anlagen, Wachtürmen, Selbstschussanlagen und Ungarn bis zur Ostseeküste sondern die gesamte Grenzziehung vom Eismeer bis zum Mittelmeer und Schwarzen Meer. 4. Problemstellung 4.1 Sektorale Konzeptionen a) Grünes Band Kausale Voraussetzung für das Grüne Band war die erzwungene Nutzungsruhe und Abgeschiedenheit. Es wurde von seinem Gründungsnukleus in Bayern zu einem einzigartigen Naturschutzprojekt mit europaweiter Netzwerkbildung unter Leitung der international tätigen IUCN entwickelt. Diese neuen Ziele des Green Belt ergaben daher in Transformation des Eisernen Vorhanges eine völlig neue Funktion und Bedeutung der ehemaligen Grenzlandschaftszone, die in den 7 Zielen des „Program of Work“ festgeschrieben sind. Die zeitgeschichtliche Dimension wird ideengeschichtlich aufgegriffen und teilweise in Regionalprojekten konkretisiert. Der Ansatz der Historischen Kulturlandschaft und damit die
468 HANS PETER JESCHKE ___________________________________________________________________________ historisch – geographische Dimension des Grenzsystems in ihrer räumlichen Ausprägung fehlt jedoch! b) Der Eiserne Vorhang Die deutsche Zeitgeschichte hat im Rahmen der Kultusministerkonferenz (KMK) über Federführung der Stiftung Berliner Mauer (A. Klausmeier) erstmals einen gesamtdeutschen Rahmen für das ehemalige innerdeutsche Grenzsystem anlässlich der Nominierung für das Europäische Kulturerbe vorgelegt. Eine Verbindung mit dem Grünen Band wird nicht gesucht. Der Ansatz der Historischen Kulturlandschaft scheint in der Konzeption nicht auf, obwohl für die Berliner Mauer eine Visualisierung als Memoriallandschaft vorliegt. c) Enthistorisierung der Grenzlandschaftszone Obwohl die Zone des Grünen Bandes sowohl Natur- als auch Kulturerbe ist, tritt bisweilen durch die Konzentration auf den Naturraum die historische und kulturlandschaftliche Dimension in den Hintergrund. Beide, der Biotopverbund und die stummen Zeugen des kalten Krieges in ihrer räumlichen, kulturlandschaftlichen Ausprägung gehören zusammen, gehören bewahrt – und ihre Geschichte erzählt. Andererseits enthält auch das derzeitige geschichtliche Konzept für die innerdeutsche Grenze keine ausreichenden Hinweise im Hinblick auf eine kulturlandschaftliche Gesamtdarstellung. Wenn die historische Dimension des Europäischen Grenzsystems bzw. damit des ehemaligen Todesstreifens mit seinen zeithistorischen Relikten auf die Grenzlinie als ideengeschichtlicher Bezugspunkt bzw. die naturschutzfachliche sowie naturtouristische Konzeption und Vermarktung reduziert würde, hätte dies eine Enthistorisierung der Landschaft (Maren Ullrich) zur Folge. Das würde bedeuten, dass damit alle historischen Reste und Spuren ausgeblendet werden, ohne ihre Geschichte(n) erzählen zu müssen. Im Blick auf das Gelände interessiert nicht mehr die Frage, was die Grenze war, sondern nur noch, wo sie war. Diese Entwicklung thematisiert auch Ekko Busch in einer Karikatur aus dem Jahr 1994. Dies führt zur Veränderung der authentischen Raumstruktur und ihrer Objekte entlang des gesamten Grenzsystems. Es würde auch die Integration eines herausragenden Symbols des Kalten Krieges, der Berliner Mauer als städtische Memoriallandschaft bzw. des gesamten Grenzsystems in das Gesamtprojekt verhindern. Abb. 6: „Hilde, hier hat bis ´89 der Kommunismus gewütet.“ Karikatur von Ekko Busch in der Süddeutschen Zeitung vom 17./18. Juni 1994 (Zit. nach Ullrich 2006, S. 205)
DAS GRÜNE BAND UND DER EISERNE VORHANG - DAS EUROPÄISCHE GRENZSYSTEM DES KALTEN KRIEGES ZWISCHEN NATUR- UND KULTURERBE DER EUROPÄISCHEN UNION UND DER UNESCO 469 ___________________________________________________________________________ 4.2 Unterschiedliche Handlungsebenen Das Grüne Band stellt sich als gesamteuropäisches Netzwerk im internationalen Rahmen dar. Die Initiative der Bundesrepublik Deutschland zum Eisernen Vorhang ist auf ihr Staatsgebiet beschränkt. 4.3 Unterschiedliche Initiativen für eine Anerkennung als Welt – bzw. Kontinentalerbe bzw. Antragsinhalte a) Grünes Band Für das Grüne Band liegt ein Vorschlag für eine Weltkultur- und Naturerbenominierung als Expertenvorschlag des Autors vor. Die Naturerbe-Layer erscheint als bereits vollausgeformter Baustein. Die zeitgeschichtliche Dimension (Kulturerbe) müsste als zweiter Layer adäquat eingebracht werden. b) Eiserner Vorhang Die deutsche Kulturministerkonferenz hat mit Beschluss vom April 2010 ihre Absicht festgehalten, den Eisernen Vorhang für das Europäische Kulturerbesiegel zu nominieren. Die Kennzeichnung des „Eisernen Vorhangs“ über das Europäische Kulturerbesiegel stellt eine Maßnahme dar, die die einschneidende historische Bedeutung des „Eisernen Vorhangs“ würdigt. Das nachstehende zitierte Arbeitsdokument der Stiftung Berliner Mauer (Klausmeier 2010) verdeutlicht die erstmalige gesamtdeutsche Konzeption, die mit dem Einreichgegenstand „Europäisches Kulturerbesiegel für den Eisernen Vorhang“ verbunden wurde. „Europäisches Kulturerbesiegel für den Eisernen Vorhang“ Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde bestimmt vom Kampf zweier politischer, wirtschaftlicher und militärischer Systeme und ihrer gegenseitigen nuklearen Bedrohung. Diese endete mit dem Zusammenbruch des Kommunismus. Der Systemgegensatz zwischen Kapitalismus und Kommunismus materialisierte sich als „Eiserner Vorhang“ mitten durch Europa. Zwar vermieden die beiden Supermächte USA und UdSSR direkte militärische Auseinandersetzungen, doch trieben sie ein beispielloses Wettrüsten voran. Mehrmals drohte der Interessenkonflikt zu eskalieren. Der Korea- und Vietnamkrieg, die Kuba-Krise, die erste und zweite Berlinkrise, die Konfrontation sowjetischer und amerikanischer Panzer am Checkpoint Charlie im Oktober 1961 waren internationale Krisensituationen, die bei weiterer Eskalation leicht noch katastrophalere Folgen für die gesamte Menschheit hätten nach sich ziehen können. Jahrzehnte nach seinem Ende ist die Bedrohlichkeit des Kalten Krieges jedoch ein gerade für jüngere Generationen kaum mehr fassbares Phänomen. Von dieser einstigen politischen, wirtschaftlichen und vor allem militärischen Trennungslinie sowie von der Realität einer Konfrontation, die täglich die Gefahr eines weite Teile unserer Erde zerstörenden nuklearen Infernos in sich barg, vermitteln heute nur noch wenige Orte eine Vorstellung. Vor diesem historischen Hintergrund beabsichtigt die Bundesrepublik Deutschland, bei der EU einen Antrag zum Thema „Europäisches Kulturerbesiegel für den Eisernen Vorhang“ zu stellen. Es sollte dabei nicht allein um die Auszeichnung einer „Stätte“ gehen, sondern um ein Netzwerk von Einrichtungen zum Thema in Deutschland gehen, das offen ist für die Ergänzung durch entsprechende Institute in anderen europäischen Ländern. Die infrage kommenden Stätten und Einrichtungen müssten schon bei Antragstellung den Kriterien des EU-Kulturerbedokuments entsprechen, geplante könnten erst später dazu stoßen. Die in Betracht zu ziehenden Einrichtungen sollten ggf. eine Schwerpunktfunktion („Mutterschiffe“)
470 HANS PETER JESCHKE ___________________________________________________________________________ für kleinere Stätten in ihrem jeweiligen räumlichen und inhaltlichen Umfeld übernehmen und auf diese dann verweisen. Auf jeden Fall sollten sie das nationale und vor allem das internationale (junge) Publikum umfassend und mit entsprechenden Bildungsangeboten nicht nur über die innerdeutsche bzw. deutsch-tschechische Grenze informieren, sondern auch über die Gründe und Auswirkungen dieser Grenzziehung. Im Vordergrund sollte nicht allein die „technische“ Frage stehen, wie die Grenze unmittelbar funktionierte, sondern der nationale Sinnzusammenhang und internationale politische Bezug des Themas. So sollten also Stätten ausgewiesen werden, die in besonders augenfälliger Weise Aspekte der einstigen Systemkonfrontation, aber auch von deren Überwindung, verkörperten. Deutlich gemacht wurde auch, dass bei den zu benennenden Orten nicht nur eingetragene Denkmale, erfasste Kulturlandschaften und Gedenkstätten zu berücksichtigen seien, sondern – falls möglich – auch Orte des zeitgenössischen Erbes, also Orte, die sich in unterschiedlichen Formen künstlerisch oder interpretatorisch mit diesem Erbe auseinandersetzen. Somit steht auch die für den Denkmalschutz zwingend erforderliche authentische Substanz bei der Benennung nicht unbedingt im Vordergrund. So einigte man sich darauf, dass die vorgeschlagenen Einrichtungen/Orte/Stätten folgende Themenkomplexe behandeln sollten, wenngleich selbstverständlich klar ist, dass nicht alle Orte alle Kriterien erfüllen können. So sollten - Orte der politischen Entscheidungen - Orte der Grenze und der Grenzübergänge - Orte der militärischen Sicherung der Grenze und von Geheimdienstoperationen im Kalten Krieg mit Bezug zum „Eisernen Vorhang“ - Orte des individuellen und bürgerschaftlichen Widerstandes zur Überwindung von Mauer und „Eisernem Vorhang“ benannt werden. Dabei war der Dreiklang von - Entstehung - Existenz und - Überwindung des „Eisernen Vorhangs“ im Blick zu behalten. Der Antrag sollte sich auf ausgewählte Gedenkstätten beschränken (Größenordnung ca. 5) und auch solche Orte umfassen, die mit dem Themenbezug in der Zeit nach dem Mauerfall entstanden sind. Er steht in keiner Konkurrenz zu den Initiativen „Grünes Band“ bzw. der für die Einrichtung eines „Iron-Curtain-Trails“ unter dem European Heritage-Label. Diese ergänzen das Vorhaben. Wichtiges Kriterium für die Auswahl dieser Orte ist – auch in Abgrenzung zu den Definitionskriterien für das UNESCO-Welterbe der Menschheit – die europäische Dimension ihrer historischen bzw. kulturellen Bedeutung sowie ihre Einzigartigkeit in Europa (auf Grundlage der Benennung von Alleinstellungsmerkmalen). Besonderheiten der jeweiligen Orte gilt es herauszustellen. Darüber hinaus sollen bei den auszuwählenden Orten Bestandssicherheit sowie bestimmte infrastrukturelle Voraussetzungen (Besucherfreundlichkeit, Mehrsprachigkeit und Möglichkeiten zur Vernetzung) gegeben sein. Als ganz wesentlich wurde also die nachhaltige Infrastruktur der jeweiligen Institution/des Ortes/der Stätte gerade in Hinsicht auf die Vermittlungsangebote angesehen.
DAS GRÜNE BAND UND DER EISERNE VORHANG - DAS EUROPÄISCHE GRENZSYSTEM DES KALTEN KRIEGES ZWISCHEN NATUR- UND KULTURERBE DER EUROPÄISCHEN UNION UND DER UNESCO 471 ___________________________________________________________________________ 5. Das Grüne Band und das Europäische Grenzsystem des Kalten Krieges als Natur – und Kulturerbe 5.1 Der methodische Ansatz der Historischen Landschaft - Grundlage für die Identifizierung des zeitgeschichtlichen Erbes des Europäischen Grenzsystems des Kalten Krieges In der Landschaftszone des Grünen Bandes bzw. Europäischen Grenzsystem des Kalten Krieges ist nicht nur herausragendes Naturerbe vorhanden, sondern auch herausragendes Kulturerbe vorhanden, das sich gemäß europäischem Verständnis in baukulturelles, bauhistorisches bzw. kunsthistorisches Erbe, archäologisches und (hier besonders wichtig) kulturlandschaftliches Erbe gliedert. Die bisherigen Konzepte konzentrieren sich im Rahmen des Grünen Bandes auf das Naturerbe und im Rahmen der Basiskonzeption „Europäisches Kulturerbesiegel Eiserner Vorhang“ der Kultusministerkonferenz ((KMK) 2010) schwerpunktmäßig auf die bauhistorischen Objekte bzw. Relikte und museale Brennpunkte Die kulturlandschaftliche Dimension, der Ansatz der Historischen Kulturlandschaft, für den die genannte KMK eine bundesweit wirksame Definition verabschiedet hat, kann bei beiden Ansätzen nicht ausgemacht deren. Zum Begriff der Historischen Kulturlandschaft Eine Historische Kulturlandschaft ist Träger materieller, geschichtlicher Überlieferung und bekommt im Einzelfall eine eigene Wertigkeit im Sinne einer Denkmalbedeutung. Wesentlich dafür sind Elemente und Strukturen in der Landschaft, denen man geschichtliche Bedeutung zumisst, ohne dass sie selbst denkmalwürdig sein müssen. Die Historische Kulturlandschaft ist zugleich das Umfeld einzelner historischer Kulturlandschaftselemente oder Denkmale. Die Erhaltung einer historischen Kulturlandschaft oder Teilen davon liegt in beiden Fällen im öffentlichen Interesse (Kultusministerkonferenz 2003, 1). Eine Historische Kulturlandschaft als Träger materieller, geschichtlicher Überlieferung und bekommt somit im Einzelfall eine eigene Wertigkeit im Sinne einer Denkmalbedeutung. Sie ist auch Kulturgut, das sich gemäß europäischem Verständnis in baukulturelles, bauhistorisches bzw. kunsthistorisches Erbe, archäologisches und (hier besonders wichtig) kulturlandschaftliches Erbe gliedert. Kulturlandschaftstypen in der Zone des Grünen Bandes und des europäischen Grenzsystem des Kalten Krieges Nach dem Definitionsrahmen der UNESCO-Welterberichtlinie 2008 können im Zusammenhang mit dem Grünen Band bzw. genannten Grenzsystem u.a. folgende Gesichtspunkte hervorgehoben werden: Der Bereich der genannten Zone ist eine kontinentale Historische Kulturlandschaftszone mit flächen-, linien- und punktförmigen historischen Kulturlandschaftselementen von herausragender universeller Bedeutung, in denen sich die Neuordnung Europas, die Frontstellung des Kalten Krieges, die Bemühungen der Entspannungspolitik, das Eintreten für die Menschenrechte, die Grenzöffnung und schließlich die verschiedenen Konzepte einer europäischen Erinnerung etc. widerspiegeln. Die Erinnerungslandschaft im materiellen Sinn ist der Schutzgegenstand und ein Symbol für die territoriale Aufteilung Europas durch die Siegermächte des Zweiten Weltkrieges in Einflusssphären des „Westens“ und „Ostens“ bzw. dessen Auswirkungen. Die Relikte des ehemaligen Grenzsystems führen uns heute durch verschiedenste Landschaftstypen: reine „Reliktlandschaften“ (archäologische Landschaften) in denen z. B. auch bedeutende Wüstungen vorhanden sind, insbesondere aber neben ländlichen Landschaftsbereichen, auch durch - in der Sprache der Geographie - städtische Agglomerations- bzw. Verdichtungs- regionen, die als sich „weiterentwickelnde Kulturlandschaftszonen“ bezeichnet werden
472 HANS PETER JESCHKE ___________________________________________________________________________ können. Damit sind neben der Denkmalpflege und der Landespflege auch alle historischen Raumwissenschaften zum Schutz Visualisieren und Management heranzuziehen. 5.2 Sichtbarmachen des räumlichen und funktionellen Gesamtumfanges des Grenzsystems „Eiserner Vorhang“ im GRÜNEN BAND und dem Ansatz der Historischen Landschaft Visualisierung und Kontextualisierung des Grenzsystems in seinem räumlichen und funktionellen Gesamtumfang Der Begriff „Visualisierung“ bezeichnet die Kommunikation von Informationen durch bildliche Darstellungen. Visualisierungen werden eingesetzt, um komplexe Sachverhalte und Zusammenhänge möglichst einfach und anschaulich darzustellen. Da diese „stummen Zeugen“ in den heutigen Landschaften Europas nicht für sich selbst sprechen, müssen sie in zutreffender Weise erklärt und interpretiert werden. Die einzelnen historischen Objekte und Strukturen als Zeichenträger und Mahnmal verlangen daher z. B. nach einer Kontextua- lisierung, nach einer Rück- und Anbindung der Sachzeugnisse an das Hauptexponat, den historischen Ort des „Eisernen Vorhanges“ und somit die Darstellung am Ort des Geschehens, in der die Nachbarschaft von Tat, Täter und Tatort sinnfällig wird. Vergleichbares gilt für das Naturerbe. Abb: 7: Klein Berlin - Das innerdeutsche Grenzsystem am Beispiel von Mödlareuth in Bayern ( Museum Mödlareuth)). Das 50 Einwohner zählende Dorf Mödlareuth wurde wie sein großer Bruder in Berlin zum Symbol der deutschen Teilung. Die Amerikaner nannten es „Little Berlin“. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges bildete der Tannbach zunächst die Demarkationslinie zwischen Mödlareuth-Ost in der sowjetischen und Mödlareuth-West in der amerikanischen Besatzungszone. Mit Gründung der beiden deutschen Staaten 1949 gehörte der thüringische Teil des Ortes zum Territorium der DDR, die bayerische Hälfte zur Bundesrepublik. Mit der Errichtung eines übermannshohen Holzbretterzaunes wurde die Abriegelung der beiden Ortsteile eingeleitet. Jahrhundertealte wirtschaftliche, gesellschaftliche und familiäre Verbindungen über den Tannbach hinweg kamen damit ziemlich abrupt zum Erliegen. In den Folgejahren wurden die Sperranlagen in Mödlareuth immer weiter ausgebaut und
DAS GRÜNE BAND UND DER EISERNE VORHANG - DAS EUROPÄISCHE GRENZSYSTEM DES KALTEN KRIEGES ZWISCHEN NATUR- UND KULTURERBE DER EUROPÄISCHEN UNION UND DER UNESCO 473 ___________________________________________________________________________ „verbessert“, bis 1966 schließlich die 700 m lange, 3,30 m hohe Betonsperrmauer errichtet wurde. Über 23 Jahre lang verlief diese trennende Mauer quer durch den Ort. Am 9. Dezember 1989 wurde der Grenzübergang in Mödlareuth eröffnet. Mit dem Fall der Mauer am 17. Juni 1990 entstand die Idee, ein Museum zur Geschichte der deutschen Teilung an diesem historisch bedeutsamen Ort zu errichten. Gleichzeitig wurde auf ca. 100 m Länge die spezifische Teilungssituation Mödlareuths mit Betonsperrmauer, Metallgitterzaun, Lichttrasse und Beobachtungsturm vor dem Abriss bewahrt. Sie stellt als Baudenkmal zur Geschichte der deutschen Teilung den heutigen Kernbereich des Freigeländes dar. Das Deutsch-Deutsche Museum Mödlareuth, seit 2006 in Trägerschaft eines länderübergreifenden Zweckverbandes, verfügt neben einer musealen Infrastruktur mit (Medien)Archiv, Präsenzbibliothek Depots und Büros ein Freigelände, eine Dauerausstellung zur Geschichte des geteilten Dorfes Mödlareuth, einen Sonderausstellungsbereich, eine Fahrzeugausstellung in Form eines begehbaren Depots, einen Geschichts-Lehrpfad sowie zwei Seminar-/Veranstaltungsräume. Geographische Informationssysteme und 3D-Technologie Mit einem Geographischen Informationssystems (GIS) und mithilfe von historischem Quellenmaterial sowie Luftbildanalysen kann das Gesamtsystem für den Besucher erfahrbar gemacht. Das Areal es „Eisernen Vorhanges“ soll damit (wieder) in den räumlichen und historischen weitläufigen Gesamtzusammenhang des gesamten Grenzsystems „hineingestellt“ werden. Vergleichbares gilt für das Naturerbe in seiner herausragenden Komplexheit. Ziel ist es dabei die - Sichtbarmachung des räumlichen und funktionellen Gesamtumfanges des Grenzsystems „Eiserner Vorhang“ als Europäisches Grenzsystem des Kalten Krieges. - Sichtbarmachung von noch vorhandenen historischen Elementen und Spuren in ihrer authentischen Substanz und Struktur auch außerhalb der sehr eng abgegrenzten Grenzlinie und vor allem an anderen zugehörigen historischen Orten in allen Bereichen des ehemaligen Grenzsystems sowie zugehörigen Wüstungen. - topographisch orientierte Sichtbarmachung des Alltages mit Zeitzeugenberichten und Bilddokumenten sowie - Verknüpfung verschiedener zeitgeschichtlicher Informationen mit der regionalen und europaweiten Topographie. Eine didaktisch – pädagogische Perspektive Der Besucher soll wissen, dass geschichtliche Prozesse sich in Räumen abspielen, erfahren, dass jeder Raum geschichtlich geworden ist, einsehen, dass Räume in verschiedenen Zeiten anders bewertet worden sind, beurteilen, welche Bedingungen und wann zur Inwertsetzung oder Umwertung eines Raumes geführt haben und zur Überzeugung gelangen, dass der Raum den Gestaltungsprozess nicht determiniert, sondern dass geistige Kräfte, gesellschaftliche Bewegungen und technisch-ökonomische Rahmenbedingungen gleiche Räume sehr differenziert gestalten können (W. Sperling).
474 HANS PETER JESCHKE ___________________________________________________________________________ 5.3 Die Bestandsaufnahme des Natur- und Kulturerbes – Hinweise zu vorhandenen Intarisationsprojekten a) Das GIS-Mapping-Project als Landschaftsinformationssystem Grünes Band auf europäischer und nationaler Ebene (GIS-Mapping-Project – A Database for the pan- European Green Belt (Schlumprecht et al. 2007)) – Die naturschutzfachliche Dimension Für eine pan-europäische Darstellung des gesamten Grünen Bandes wurde in Zusammenführung aller geographischen Informationen zu den naturschutzfachlich wertvollen Gebieten oder Schutzgebieten ein Landschaftsinformationssystem mit dem GIS-Mapping- Project (GIS-Mapping-Project – A Database for the pan-European Green Belt, Schlumprecht et al. 2007), also ein „Landschaftsinformationssystem Grünes Band“ eingerichtet. Die bisherigen Daten müssen jedoch, wie oben erläutert, durch eine historisch-geographische Inventarisation und Grundlagenforschung ergänzt werden. Synthese der Gebietsbeschreibungen für die Öffentlichkeitsarbeit Das Grüne Band besteht aus ca. 390 aggregierten Gebieten, wobei jedes Gebiet zwischen 1 und maximal 62 Teilgebiete mit unterschiedlichem Schutzstatus enthält. In der Datenbank befinden sich bei ca. 260 Gebieten – neben den Informationen zu Arten und Habitaten – z.T. ausführliche textliche Informationen zur Gebietsbeschreibung dieser Teilgebiete (v.a. aus NATURA2000-Datenbanken, aber auch aus Internet-Quellen oder sonstigen Quellen). Datenbank und GIS enthalten eine Vielzahl von Daten, die einzelnen Schutzgebiete betreffend, jedoch keine gebietsbezogene, zusammenfassende Beschreibung der aggregierten Gebiete (Kerngebiete, Cluster, lineare Korridore und Satellitengebiete) entlang des Grünen Bandes. Abb. 8: Ausschnitt des Grünen Bandes im Bereich Österreich, Tschechische Republik und Slowakei mit den verschiedenen Gebietstypen (Schlumprecht 2009).
DAS GRÜNE BAND UND DER EISERNE VORHANG - DAS EUROPÄISCHE GRENZSYSTEM DES KALTEN KRIEGES ZWISCHEN NATUR- UND KULTURERBE DER EUROPÄISCHEN UNION UND DER UNESCO 475 ___________________________________________________________________________ Poster-Serien für das Grüne Band Europa Aus dem GIS-Projekt wurde eine Poster-Serie erstellt, die regionale Auszüge aus dem Grünen Band Europa wiedergibt. Sie haben folgenden Aufbau: Pan-Europäische Überblickskarte mit Lage-Angaben der Detailkarte. Regionale Detailkarte mit den ausgewählten Gebieten am Grünen Band und Darstellung der Pufferzone rund um den ehemaligen „Eisernen Vorhang“. Tabellarische Auflistung der Gebiete (Code-Nummer und Name). Legende, Logos, Impressum etc. Weitere Arbeitsschritte und Umsetzungsmöglichkeiten Für die weitere Umsetzung des Schutzes des Europäischen Grünen Bandes mit Hilfe des GIS- Mapping-Projektes bestehen folgende Möglichkeiten: 1. Synthese der Gebietsbeschreibungen und ihre Aufbereitung für die Öffentlichkeitsarbeit, 2. Auswertungen zum Länder- übergreifenden Entwicklungspotenzial entlang des Grünen Bandes. 3. Analyse der Biodiversität im Grünen Band: Arten und Habitate. 4. Vorausschauende Anpassung an den Klimawandel und 5. Landschaftsökologische Vernetzungs- und Umfeld-Analysen. b) Die historische Dimension als zweiter „Layer“ – Das Beispiel Berliner Mauer Die Berliner Mauer zog sich als innerstädtischer Grenzstreifen 43,1 km von Nord nach Süd mitten durch die Stadt. 111,9 km maß die Abgrenzung des Westteils der Stadt zum Umland. Zunächst als Stacheldrahtzaun angelegt bzw. mit Hohlblocksteinen grob gemauert, entwickelte sich die Grenze nach West-Berlin zu einem nahezu unüberwindlichen Grenzsystem, das in dem nachfolgenden historischen DDR – Kartenwerk im Ausschnitt wiedergegeben wird. Das Kartenwerk umfasste Spezialkarten in 2 Maßstabsebenen für die Grenztruppe der DDR (Teilstreitkraft der NVA (Nationale Volksarmee)), die keine Polizeieinheit, sondern ein Teilverband mit klaren Kampfaufträgen im „Verteidigungsfall“ war und eine Stärke von rund 40.000 Mann hatte. Abb. 9: Karte der Grenzsicherung der DDR im Maßstab 1 : 10.000 (Kartenblatt : N-33- 123-B-d-3 / Berlin Mitte (16 21.2.14.33.123.243)).
476 HANS PETER JESCHKE ___________________________________________________________________________ Der Ausschnitt aus dem genannten historischen Dokument zeigt den Verlauf des sogenannten „Antifaschistischen Schutzwalls“ vom Spreebogen über den Potsdamer Platz bis zur Jerusalemer Straße. Die Grenzmauer wird durch eine teilweise verstärkte schwarze Linie dargestellt. Davor befinden sich die B-Türme, die Führungsstellen sind mit einem Punkt versehen. Der Todesstreifen wird durch die Hinterlandsicherungsmauer (HSM) oder einen Grenzsignetzaun (GS2) abgesichert. Das Grenzgebiet ist durch eine rote Linie markiert. Der Zutritt war nur mit Sondergenehmigung gestattet. Die hier violett markierten und nummerierten Objekte in Westberlin sind Bundes- und Landesbehörden. 3.3.2 = Bundestagsverwaltung und 3.1.20 = Landesarbeitsamt. Die nummerierten Objekte auf DDR- Gebiet sind die Grenzübergangsstellen. 9.1.4 = Friedrichstraße, 9.2.1 = Marschallbrücke und 9.3.1 = Bahnhof Friedrichstraße (Fasching und Pfahlbusch (2006)): Die topographisch- geodätische Sicherstellung der Land – und Luftstreitkräfte der NVA sowie der Grenztruppe der DDR. In: Fasching (Red. 2006): A.a.O. S. 74. Im Rahmen des DEG-Projektes „Die ‚Berliner Mauer’ als Symbol es Kalten Krieges“ wurde ein Geoinformationssystem erstellt, mit dem die im Projektmodul „Die Grenze, als Bauwerk“ erhobenen Daten zusammengefasst, analysiert und online publiziert werden können. Für die Objektdarstellung im Kontext dynamischer Karten und Satellitenbilder des Geoinformationssystems werden Daten aus ganz unterschiedlichen Quellen aufbereitet, strukturiert und verknüpft. Die Erfassung der Geodaten, also der raumbezogenen Daten, erfolgte vor Ort am Objekt. Im Rahmen dieses Projektes wurde auf 155 Kilometern nach sämtlichen noch vorhandenen Resten und Spuren der „Berliner Mauer“ gesucht. Jeder Befund – also jedes Grenzobjekt – wurde fotografiert, mittels eines GPS-Gerätes verortet und unter Angabe der entsprechenden GPS-Punktnummern im Begehungsprotokoll verzeichnet. Ziel war es, erstmals einen vollständigen Überblick über alle Reste und Spuren der „Berliner Mauer“ zu geben. Dazu gehört auch die Bereitstellung von Hintergrundinformationen, um die heute isoliert erhaltenen Grenzteile im Funktionszusammenhang des ehemaligen Grenzsystems sehen zu können (vgl. Abb. 10). Die in der Datenbank erfassten Objekte lassen sich nun im Rahmen von georeferenzierten Karten und Luftbildern darstellen und analysieren. Sie erweitern die Darstellungs- und Analysemöglichkeiten einer konventionellen Datenbank um eine räumliche Komponente. Zugleich ermöglichen Zoom- und Ausschnittwahlfunktionen sowohl den Blick auf die Gesamtstruktur als auch auf das Detail. Im Rahmen des Projektes wurden Karten und Luftbilder des Webdienstes Google genutzt. Für Deutschland bietet Google nahezu flächendeckend hochauflösende Satellitenbilder und Karten an, die im Rahmen nichtkommerzieller Projekte kostenfrei genutzt werden können (Mues 2009). Abb. 10: Das digitale Bild der Berliner Mauer.
DAS GRÜNE BAND UND DER EISERNE VORHANG - DAS EUROPÄISCHE GRENZSYSTEM DES KALTEN KRIEGES ZWISCHEN NATUR- UND KULTURERBE DER EUROPÄISCHEN UNION UND DER UNESCO 477 ___________________________________________________________________________ Auf 155 km wurden die erhaltenen Grenzobjekte der „Berliner Mauer“ mit einem GS-Gerät vermessen. Hier eine Ansicht der etwa zweitausend Messpunkte im Rahmen des Digitalen Navigationsmodells (DNM), das über einen Web Map Service (WMS) von der Landesvermessung und Geobasisinformation Brandenburg zur Verfügung gestellt wird (Mues, 2009, S. 114 ( Landesvermessungsamt Brandenburg)). 6. Hinweise zur Frage der Bedeutung – Welterbe oder Kontinentalerbe ? a) Das Naturerbe + Der Europeen Green Belt und seine drei Abschnitte Das Grüne Band verbindet fast alle biogeographischen Regionen Europas und verknüpft 23 Staaten zwischen der Barentsee und dem Schwarzen Meer. In dem Landschaftsbereich von 12.500 km Länge sind 393 wertvolle mit 1.400 Teilgebiete erfasst. Darüber hinaus liegen eine Vielzahl wertvoller Landschaften und vielfältiger Landschaftstypen am Grünen Band. Das Grüne Band Europa besteht aus folgenden drei Teilen (Stand Mai 2006): Nord – Fennoskandinavisches und baltisches Grünes Band (Fennoscandian and Baltic Green Belt). Beteiligte: Norwegen, Finnland, Russische Föderation sowie Litauen, Lettland und Estland, Polen. Verlauf: von der Barentssee bis zur Ostsee Entlang der finnischen Seite bestehen an der Grenze zur Russischen Föderation eine Reihe von Nationalparken und Naturschutzgebieten wie die Nationalparke UKK Park, Paanajaärvi, Ouianka, Friendship park, Kalevala, Patvinsou, North Karelian Biosphärenreservat, Italinen Suomenlahtii, die durch geplante Naturschutzgebiete und auch Nationalparke auf finnischer und russischer Seite ergänzt werden sollen. Die marine Grenze der Länder Estland, Lettland und Litauen sowie der russische Exklave Königsberg zur Ostsee ist Bestandteil dieses Teils des Grünen Bandes. Mitte – Zentraleuropäischer Teil (Central European Green Belt) Beteiligte: Deutschland, Tschechische Republik, Slowakische Republik, Österreich, Ungarn, Kroatien und mit einer Abzweigung zum Adriatischen Meer Italien, Slowenien. Verlauf: von der Ostsee bis zur Adria und bis in den Balkan. Süd – Südosteuropäisches Grünes Band (South-eastern or Balkan Green Belt) Beteiligte: Rumänien, Bulgarien und die Staaten des ehemaligen Jugoslawiens (Republik Serbien, Republik Montenegro, FYR Makedonien), Griechenland, Türkei sowie die Grenze rund um Albanien. Verlauf: von Serbien bis zum Schwarzen Meer. Dieser Bereich des Grünen Bandes Europa beginnt ab Serbien und verläuft dann entlang der Grenze Makedoniens und der Grenzen Bulgariens zum Schwarzen Meer. Da Albanien jahrzehntelang isoliert war, weist der südosteuropäische Bereich auch einen Seitenast rund um Albanien auf. Detaillierte Informationen sind dem „Landschaftsinformationssystem“ für das Grüne Band (GIS Mapping Projekt – A Database for the Pan-European Green Belt (Schlumprecht et al. 2007)) und unter anderem den Poster-Serien für das Grüne Band Europa zu entnehmen.
478 HANS PETER JESCHKE ___________________________________________________________________________ + Das Grüne Band – ein pan-europäischer Biotopverbund von Weltbedeutung Das Grüne Band ist die Kernzone eines pan-europäischen Biotopverbundes und damit Refugium für viele bedrohte Tiere und Pflanzen. Neben dem Erhalt bedrohter Arten ist vor allem die barrierefreie Vernetzung verschiedener Gebiete (Zum Teil auch herausragender Bedeutung wie UNESCO – Bioreservate, UNESCO - Kulturlandschaften, Nationalparke etc.) eines der Hauptziele des Grünen Bandes. Dabei werden bestehende Schutzgebiete und naturschutzfachlich wertvolle Gebiete in das System des Grünen Bandes so integriert werden, dass ein Austausch zwischen Populationen und z.B. eine Wanderung von Tieren zwischen den einzelnen Habitaten möglich ist. Die Schutzgebiete auf nationaler Ebene werden durch das Projekt zu einem internationalen Biotopverbund von gesamteuropäischem Format zusammengefasst, der wegen seiner integralen und kontinentalen Konzeption weltweit exemplarisch ist. Mit Hilfe des Grünen Bandes Europa wurde auch ein exemplarischer Beitrag zur Umsetzung von internationalen Schutzgebietsnetzwerken erbracht werden. Hierzu gehören: Natura-2000-Netzwerk und FFH-Richtlinie der EU Emerald-Netzwerk Berner Konvention CBD (Konvention über die Biologische Vielfalt) PEEN/PEBLDS des Europarates. Neben der naturschutzfachlichen ist die allgemeine gesellschaftspolitische Dimension des Projektes wichtig. Als grenzüberschreitendes, kontinentales Naturschutzprojekt trägt es zur Integration der Menschen über politische Grenzen hinweg bei. Dies wird auch durch die Erweiterung des Begriffes vom Grünen Bandes als Lebensband Europas unterstützt. Das Grüne Band Europa leistet aufgrund seiner Geschichte dabei nicht nur einen speziellen Beitrag bei der Verständigung zwischen europäischen Staaten, sondern verdeutlicht auch die Anliegen des Naturschutzes einer breiten, internationalen Öffentlichkeit in allen Kontinenten der Erde. b) Das Kulturerbe Weitere Hinweise zur Bedeutung der Kulturlandschaftszone Europäisches Grenzsystem des Kalten Krieges + Der Eiserne Vorhang aus einer weltumspannenden Sicht Weitere Hinweise zur weltweiten Bedeutung in unserem Zusammenhang können einem Dokument von Roman Sandgruber und Norbert Loidol (1999), die den Bedeutungshorizont weit über die Betrachtung einer innerdeutschen Grenzziehung hinaus öffnen: „Der Eiserne Vorhang war ein Resultat extremer Abläufe und Entwicklungen des 20. Jahrhunderts. Die Wurzeln der nachfolgenden Teilung Europas liegen weit zurück, in den nach dem Ersten Weltkrieg nicht gelösten Nationalitätenproblemen und der durch die bolschewistische Oktoberrevolution geschaffenen Polarisierung Europas. Den vorläufigen Abschluss fand diese Phase der Zerrissenheit des Kontinents, die in der Rückschau als prägend für das”kurze 20. Jahrhundert” erscheint, durch den Zusammenbruch des "realen" Sozialismus in den Jahren zwischen 1989 und 1990. Aus dem Zusammenbruch der Habsburgermonarchie im Ersten Weltkrieg waren in Ostmitteleuropa zahlreiche neue Grenzen entstanden. Die Kleinstaaten, die den neuen Staatengürtel zwischen Deutschland und Russland bildeten, waren weder dem äußeren noch dem inneren Druck gewachsen, weder dem Druck des nationalsozialistischen Deutschland noch dem des kommunistischen Russlands. Nach 1945 dehnten sich die Grenzen des Kommunismus in Europa und Asien dramatisch aus, in Europa auf das gesamte Gebiet östlich einer Linie, die in etwa von der Elbe bis zur Adria
DAS GRÜNE BAND UND DER EISERNE VORHANG - DAS EUROPÄISCHE GRENZSYSTEM DES KALTEN KRIEGES ZWISCHEN NATUR- UND KULTURERBE DER EUROPÄISCHEN UNION UND DER UNESCO 479 ___________________________________________________________________________ verlief, mit Ausnahme Griechenlands. Unversehens fand sich mehr als ein Drittel der Welt unter kommunistischer Herrschaft: die Baltischen Staaten, die Russland 1917 verloren hatte, ebenso wie Polen, die Tschechoslowakei, Ungarn, Jugoslawien, Rumänien, Bulgarien und Albanien. Auch der sowjetisch besetzte Teil Deutschlands, der 1949 endgültig vom restlichen Deutschland abgetrennt und als eigener Staat mit dem Namen Deutsche Demokratische Republik errichtet wurde, wurde in den sozialistischen Block einbezogen. Außerhalb Europas etablierte sich der Kommunismus in China (1949), der Mongolei, in Korea, Vietnam, Laos, Kambodscha, Kuba und in einigen Teilen Afrikas. Die politische Konsequenz war die Teilung der Welt in zwei große Blöcke und der Aufbau des Eisernen Vorhangs, der die beiden Blöcke streng von einander trennte. Die militärische Bedrohung, die das kommunistische Vordringen zwischen 1945 und 1947 darstellte, änderte die Strategien in Westeuropa. Die Epoche des Kalten Krieges hatte begonnen. Eine der Folgen war der Marshallplan, der in der freien Welt den größte Wirtschaftsaufschwung einleitete, den es je gegeben hat und hier gleichzeitig die Weichen für die europäische Einigung stellte, während er den wirtschaftlichen Rückstand des Ostblocks und seine Abschottung von der freien Welt verschärfte. 1989 ist der "Eiserne Vorhang" gefallen: im letzten Drittel des Jahres 1989 stürzten schlagartig die kommunistischen Regime Polens, Ungarns, der DDR, der Tschechoslowakei, Bulgariens und Rumäniens. Ein knappes Jahr später war Deutschland wieder vereinigt. Kurz darauf brach die Sowjetunion zusammen. Zehn Jahr später sind Ungarn, Tschechien und Polen Mitglieder der NATO. Die Ereignisse überschlugen sich in den Jahren 1989/90. Das Auffallendste daran: diese revolutionären Veränderungen sind mit Ausnahme Rumäniens und Jugoslawiens ohne Krieg abgelaufen. Die friedliche Durchsetzung der deutschen Wiedervereinigung, die friedlichen Revolutionen in Ostmitteleuropa, die friedliche Auflösung der Sowjetunion, all dies gehört zu den bemerkenswertesten Entwicklungen der modernen Geschichte. Mit dem Fall des Eisernen Vorhangs und der Berliner Mauer im Jahr 1989, dieser äußeren Sinnbilder der Teilung Europas und der Unterdrückung und Unfreiheit, hat eine neue Phase der europäischen Geschichte begonnen. Die Probleme der Teilung sind aber noch immer nicht völlig überwunden. Neue Konfrontationen haben sich ergeben. Gleichzeitig allerdings gilt es zu mahnen und zu erinnern, damit die Jahrzehnte der Teilung und Trennung nicht vergessen werden und eine Wiederkehr solcher Konstellationen verhindert wird “ (Sandgruber und Loidol 1999, S. 1/2). „Die Geschichte des Eisernen Vorhangs ist eng verknüpft mit der Geschichte der größten Umsiedlungs- und Vertreibungsaktionen in der Geschichte Europas. Das National- sozialistische Deutsche Reich begann das Konzept ethnischer Säuberungen im mittel und osteuropäischen Raum mit Um- und Aussiedlungen, Deportationen und Vernichtungen in großem Stile zu realisieren. Die Alliierten folgten nach. Auf den Konferenzen von Teheran und Jalta wurde die Frage der Vertreibung der Deutschen aus Ostmitteleuropa erörtert, unter der Zielsetzung, die Minderheitenprobleme ein für allemal aus der Welt zu schaffen. Winston Churchill erklärte im Dezember 1944 im britischen Unterhaus: "Denn die Vertreibung ist, soweit wir in der Lage sind, es zu überschauen, das befriedigendste und dauerhafteste Mittel. Es wird keine Mischung der Bevölkerung geben, durch die endlose Unannehmlichkeiten entstünden – wie zum Beispiel im Fall Elsass-Lothringen. Reiner Tisch wird gemacht werden." Vom 17. Juli bis 2. August 1945 trafen sich die Vertreter der Siegermächte im Cäcilienhof in Berlin-Potsdam mit dem Ziel, zur Regelung der Nachkriegsprobleme verbindliche Beschlüsse
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