RECHENZENTREN IN EUROPA - CHANCEN FÜR EINE NACHHALTIGE DIGITALISIERUNG
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Rechenzentren in Europa – Chancen für eine nachhaltige Digitalisierung 1 RECHENZENTREN IN EUROPA – CHANCEN FÜR EINE NACHHALTIGE DIGITALISIERUNG Teil 1 Stand: 19. Mai 2020 Ralph Hintemann Simon Hinterholzer
Rechenzentren in Europa – Chancen für eine nachhaltige Digitalisierung IMPRESSUM Autoren / Autorinnen Dr. Ralph Hintemann (Borderstep Institut) | hintemann@borderstep.de Simon Hinterholzer (Borderstep Institut) | hinterholzer@borderstep.de Zitiervorschlag Hintemann, R. & Hinterholzer, S (2020). Rechenzentren in Europa – Chancen für eine nachhaltige Digitalisierung. Berlin: Borderstep Institut. Titelbild Heinrich Holtgreve/OSTKREUZ Auftraggeber eco – Verband der Internetwirtschaft e. V. Mit freundlicher Unterstützung von Vodafone Institut
Rechenzentren in Europa – Chancen für eine nachhaltige Digitalisierung INHALTSVERZEICHNIS Einordnung und Abgrenzung der vorliegenden Untersuchung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Abbildungsverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 Abkürzungsverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 1 Einleitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 2 Rechenzentren und Nachhaltigkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 3 Cloud Computing und Colocation Rechenzentren in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 4 Entwicklung der Energieeffizienz und des Energiebedarfs der Rechenzentren in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . 17 5 Treibhausgasemissionen durch Rechenzentren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 6 Ausblick und Fazit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 7 Literaturverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30
Rechenzentren in Europa – Chancen für eine nachhaltige Digitalisierung 4 EINORDNUNG UND ABGRENZUNG DER VORLIEGENDEN UNTERSUCHUNG Die vorliegende Studie befasst sich mit den Nachhal- Gegenstand der Untersuchung sind die Rechenzen- tigkeitswirkungen von Rechenzentren und fasst die tren in Europa als Teil der digitalen Infrastrukturen. Ergebnisse des ersten Teils einer Untersuchung zu Breitbandnetze werden nur insofern mitbetrachtet, diesem Themenfeld zusammen. Die Studie zeigt die wie sie in ihrer Funktion für den Betrieb der Rechen- Bedeutung des Energie- und Ressourcenbedarfs und zentren notwendig sind. Der Begriff Rechenzentren weiterer Nachhaltigkeitswirkungen der Rechenzent- wird entsprechend den Definitionen der DIN EN ren in Europa auf und ermittelt die Entwicklung von 50600 und vom Bundesamt für Sicherheit in der Energieeffizienz und Energiebedarf der Rechenzen- Informationstechnik weit gefasst. Zu Rechenzentren tren in Europa. Außerdem wird der Zusammenhang gehören die zentralen IT-Betriebsbereiche inner- zwischen Energiebedarf und Treibhausgasemissio- halb von kleinen und großen Organisationen sowie nen der Rechenzentren für Europa und seine Regio- IT-Betriebsbereiche, aus denen Services für Dritte nen ermittelt. Die Studie liefert damit die Grundlagen erbracht werden. Damit reicht die Spannweite des für den zweiten Teil der Untersuchung, in dem die Begriffs vom Serverrack oder Serverraum in einem Potenziale von Technologien und organisatorischen kleinen oder mittleren Unternehmen über Colocation Handlungsoptionen zur Verbesserung der Energie- Rechenzentren, Supercomputer für Forschung & effizienz und zur Senkung der Treibhausgasemis- Entwicklung bis hin zu Hyperscale-Cloud Rechenzen- sionen in Rechenzentren ermittelt und dargestellt tren. Auch speziell errichtete Rechensysteme, die z.B. werden. Außerdem stellt der zweite Teil der Studie für Krypto-Mining oder künstliche Intelligenz entwi- Fallbeispiele für energie- und ressourceneffiziente ckelt werden, werden als Rechenzentren verstanden. Rechenzentren in Europa vor und diskutiert Chancen In der räumlichen Abgrenzung fokussiert diese und Herausforderungen regulativer Rahmensetzung. Studie auf die Europäische Union (EU 27), betrachtet aber zusätzlich auch Großbritannien, die Schweiz und Norwegen.
Rechenzentren in Europa – Chancen für eine nachhaltige Digitalisierung 5 ABBILDUNGSVERZEICHNIS Abbildung 1: 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Abbildung 2: Nachhaltigkeitsziele und Wertschöpfungsketten von Rechenzentren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Abbildung 3: Nutzung von bezahlten Cloud Services in Unternehmen mit mehr als zehn Mitarbeitern (EU28+Norwegen). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Abbildung 4: Einzelpersonen, die in den letzten 3 Monaten das Internet für Soziale Netzwerke nutzten (2019). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 Abbildung 5: Überblick über Studien zur Entwicklung des Energiebedarfs der Rechenzentren in Europa im Zeitraum von 2010 bis 2020. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Abbildung 6: Energiebedarf von Rechenzentren in Europa (ab 2020: Prognose). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 Abbildung 7: Entwicklung des Energiebedarfs der Rechenzentren in Europa nach Art der Rechenzentren (ab 2020: Prognose). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Abbildung 8: Entwicklung des Energiebedarfs der Rechenzentren in Europa nach Region (ab 2020: Prognose). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Abbildung 9: Spezifische CO2-Emissionen der nationalen Stromerzeugung in europäischen Ländern im Jahr 2017 (CO2-Intensität). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Abbildung 10: CO2-Emissionen durch den Strombedarf von Rechenzentren in Europa. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Abbildung 11: Entwicklung des Energiebedarfs der Rechenzentren in Europa bis zum Jahr 2030 in drei Szenarien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 Abbildung 12: Entwicklung der CO2-Emissionen der Rechenzentren in Europa bis zum Jahr 2030 in verschiedenen Szenarien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29
Rechenzentren in Europa – Chancen für eine nachhaltige Digitalisierung 6 ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS ASIC Application Specific Integrated Circuit, anwendungsspezifische integrierte Schaltung BMU Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit CAPEX Capital expenditures (Investitionsausgaben) EE Erneuerbare Energien EEcS-GoO European Energy Certificate System - Guarantee of Origin EU Europäische Union OPEX Operational expenditures (laufende Ausgaben) PPA Power Purchase Agreement RZ Rechenzentrum SDGs Sustainable Develompent Goals UNFCC Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen WBGU Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen
Rechenzentren in Europa – Chancen für eine nachhaltige Digitalisierung 7 1 EINLEITUNG Die Digitalisierung verändert die Welt. Sie hat massi- und bieten die Grundlage für die hohen zu erwar- ve Auswirkungen auf gesellschaftlicher, wirtschaft- tenden zusätzliche Wertschöpfungspotenziale der licher und politischer Ebene. Digitale Technologien Digitalisierung. Rechenzentren und Breitbandnetze bieten aber auch enorme Potenziale zur nachhaltigen sind aber auch eine zentrale Voraussetzung für eine Gestaltung unserer Zukunft, wie das Gutachten ökologisch nachhaltig ausgerichtete Digitalisierung „Unsere gemeinsame digitale Zukunft“ des Wissen- in Europa. Sie können einen wesentlichen Beitrag schaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale zum Erreichen der Klimaziele in Deutschland und Umweltveränderungen (WBGU) aufzeigt (WBGU, Europa beitragen. 2019). Der WBGU vergleicht die Wirkungen des digitalen Wandels mit den Veränderungen durch die Der vorliegende Bericht stellt die Nachhaltigkeits- Entwicklung der menschlichen Sprache, das Auf- wirkungen von Rechenzentren dar und liefert neue kommen produzierender Wirtschaftsweisen wie Ergebnisse zur Entwicklung von Energieeffizienz, Ackerbau und Viehzucht, die Entstehung der Städte, Energiebedarf und Treibhausgasemissionen der die Erfindung der Druckerpresse und die industrielle Rechenzentren in Europa. Im Folgenden sind die Revolution. wesentlichen Ergebnisse des Berichts kurz zusam- menfassend dargestellt: In der Vergangenheit sind die Themenfelder Di- gitalisierung und Nachhaltigkeit oft getrennt dis- • Die Nachhaltigkeitswirkungen von Rechenzentren kutiert worden. Dies hat auch dazu geführt, dass werden in der öffentlichen Diskussion oft auf den die Auswirkungen der Digitalisierung1 nicht immer Energiebedarf und den damit teilweise gleichgeset- zu nachhaltigen Entwicklungen geführt haben. Die zen Ausstoß von Treibhausgasen verengt. Rechen- zentrale Gestaltungsaufgabe der Zukunft liegt daher zentren haben aber einen weitaus größeren Einfluss darin, digitale Technologien vermehrt in den Dienst auf die Erreichung der Nachhaltigkeitsziele. Eine der globalen Nachhaltigkeit leistungsfähige, widerstandsfähige und nachhaltige zu stellen (WBGU, 2019, S. digitale Infrastruktur fördert eine zukunftsfähige Rechenzentren sind 27) und so die Zukunftsfä- Industrialisierung und unterstützt Innovationen. Die gemeinsam mit einer higkeit unserer Gesellschaft aktuelle Corona-Situation belegt diese Bedeutung leistungsfähigen auf regionaler, nationaler, der digitalen Infrastrukturen. Die Corona-Pandemie Breitbandinfrastruk- europäischer und globaler zeigt auch auf, in welchem Maße Verkehr und phy- tur ein Kernelement Ebene zu sichern. sische Mobilität in einem solchen Ernstfall durch einer auf Nachhaltig- digitale Lösungen ersetzt werden und damit Treib- keit ausgerichteten Als Basisinfrastrukturen der hausgasemissionen eingespart werden können. Digitalisierung. Digitalisierung haben leis- tungsfähige Rechenzentren • Eine zunehmende Digitalisierung ist mit einem An- neben einer entsprechenden stieg der Nachfrage nach Rechen- und Speicherleis- Breitband-Infrastruktur einen erheblichen Einfluss auf tungen verbunden. Im vergangenen Jahrzehnt hat die aktuelle und künftige wirtschaftliche Entwicklung sich die weltweite Leistung der Rechenzentren um den Faktor zehn erhöht. Die weltweit übertragene Datenmenge hat sich sogar um fast den Faktor 20 erhöht. Gleichzeitig konnte die Energieeffizienz der 1 ie Bedeutung der Rechenzentren als digitale Infrastrukturen und D Rechenzentren deutlich verbessert werden. Daher eines ausgebauten Öko-Systems von IT-Dienstleistern, Softwarean- ist der starke Leistungszuwachs nur mit einem bietern, Systemhäusern, digitalen Plattformen und Content-Anbie- tern wird ausführlich in der Studie „Bedeutung digitaler Infrastruk- moderaten Anstieg des Energiebedarfs der Rechen- turen in Deutschland“ (Hintemann & Clausen, 2018a) behandelt. zentren in Europa um 55% verbunden.
Rechenzentren in Europa – Chancen für eine nachhaltige Digitalisierung 8 1 Einleitung • Die Treibhausgasemissionen der Rechenzentren erzeugung, z.B. über sogenannten Power Purchase sind dagegen im vergangenen Jahrzehnt aufgrund Agreements (PPA) oder dem lokalen Betrieb von der Effizienzsteigerungen und des zunehmenden regenerativen Stromerzeugungsanlagen. Auch die Einsatz von erneuerbaren Energien in der Strom- Nutzung der Abwärme liefert hohe Potenziale für erzeugung zurückgegangen. Für die Zukunft ist einen nachhaltigen Rechenzentrumsbetrieb. damit zu rechnen, dass sich dieser Rückgang noch beschleunigt. Bis zum Jahr 2030 ist davon auszu- • Digitale Infrastrukturen im Allgemeinen und Re- gehen, dass die Treibhausgasemmissionen um 30% chenzentren im Besonderen müssen in Zukunft gegenüber heute reduziert werden. mehr in ein energiewirtschaftliches Gesamtkonzept eingebunden werden. Damit kann eine Basis für • Cloud Computing stellt einen wesentlichen Trend eine nachhaltige und wettbewerbsfähige Digitalisie- bei der Bereitstellung von IT-Services dar, sei es als rung in Europa geschaffen werden. Public Cloud, Private Cloud oder auch zunehmend als Hybrid Cloud. Die Nutzung Cloud-basierter Die vorliegende Studie ist wie folgt aufgebaut. Im Lösungen entwickelt sich in Europa im Vergleich zu Anschluss einer Darstellung der Nachhaltigkeits- anderen Märkten bisher nur langsam. Im Jahr 2018 wirkungen von Rechenzentren werden die aktuellen nutzten 26% der europäischen Unternehmen be- Marktentwicklungen im Bereich der Rechenzentren, zahlte Cloud Services (Eurostat, 2018). Der weitere insbesondere in den Segmenten Cloud Computing Ausbau von Cloud Lösungen bietet hohe Potenziale und Colocation, erläutert. Kapitel vier befasst sich zur Steigerung von Energieeffizienz und damit zur mit der Entwicklung der Energieeffizienz und des Verbesserung des Klimaschutzes. Energiebedarfs der Rechenzentren in Europa. Im anschließenden Kapitel fünf wird der Zusammen- • Mit geeigneten Rahmenbedingungen können hang zwischen Energiebedarf und Treibhausgas- Rechenzentren noch deutlich klimafreundlicher wer- emissionen in Europa dargestellt. Den Abschluss den. Ansatzpunkte liegen in dem beschleunigten des Berichts bildet ein Ausblick auf die künftigen Ausbau von Erneuerbaren Energien in der Strom- Entwicklungen und ein kurzes Fazit.
Rechenzentren in Europa – Chancen für eine nachhaltige Digitalisierung 9 2 RECHENZENTREN UND NACHHALTIGKEIT Die Auswirkungen des Betriebs von Rechenzentren haltigkeit. Die alleinige Fokussierung auf den auf die Nachhaltigkeit ist ein Thema, das auch in der Energiebedarf und die Treibhausgasemissionen Öffentlichkeit zunehmend diskutiert wird. Meist wird von Rechenzentren wird der Breite der oft positiven auf den Energiebedarf der Rechenzentren und den Nachhaltigkeitswirkungen von Rechenzentren nicht damit teilweise gleichgesetzten Ausstoß von Treib- gerecht. hausgasen fokussiert. Eine ganzheitliche Betrach- tung der Nachhaltigkeitswirkungen von Rechenzent- Die Vereinten Nationen haben in der Agenda 2030 ren wird jedoch nur sehr selten vorgenommen. insgesamt 17 nachhaltige Entwicklungsziele (Sus- tainable Development Goals - SDGs) verabschiedet, Rechenzentren haben jedoch vielfältige Bezüge zu die die verschiedenen Aspekte einer nachhaltigen den verschiedenen Facetten des Themas Nach- Entwicklung berücksichtigen. In Abb. 1 sind diese 1 KEINE ARMUT 2 KEIN HUNGER 3 GESUNDHEIT UND WOHLERGEHEN 4 CHANCENGERECHTE UND HOCHWERTIGE BILDUNG 5 GESCHLECHTER GLEICHEIT 6 SAUBERES WASSER UND SANITÄRE EINRICHTUNGEN 7 BEZAHLBARE UND SAUBERE ENERGIE 8 GUTE ARBEIT UND WIRTSCHAFTS- WACHSTUM 9 INDUSTRIE INNOVATION UND INFRASTRUKTUR 10 WENIGER UNGLEICHEITEN 11 NACHHALTIGER STÄDTE UND GEMEINDEN 12 NACHHALTIGER KONSUM UND PRODUKTION 13 KLIMASCHUTZ UND ANPASSUNG 14 LEBEN UNTER WASSER 15 LEBEN AN LAND 16 FRIEDEN UND STARKE INSTUTIONEN 17 PARTNERSCHAFT ZUR ERREICHUNG DER ZIELE Abbildung 1: 17 Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen Quelle: Vereinte Nationen, CC-BY-SA 3.0
Rechenzentren in Europa – Chancen für eine nachhaltige Digitalisierung 10 2 Rechenzentren und Nachhaltigkeit Ziele im Überblick dargestellt. Die Ziele reichen von Die aktuelle Corona-Pandemie zeigt auf, welche der Bekämpfung der Armut, über eine saubere und Potenziale zum Klimaschutz die Digitalisierung im bezahlbare Energieversorgung bis hin zum welt- Ernstfall bieten kann. Der europäische Flugverkehr weiten Frieden. Außerdem macht die Zielmatrix der wie auch der innerdeutsche Bahnverkehr sind um Vereinten Nationen deutlich, dass die ausgerufenen 85% zurückgegangen (Tagesschau, 2020). In NRW Ziele nur durch Partnerschaften zwischen einzel- wurde 70% weniger Straßenverkehr gemessen nen Staaten erreicht werden können. Deshalb ist die (Dwertmann, 2020). Dies führt zumindest kurzfristig Bildung von Partnerschaften ebenso als ein Ziel für zu einer starken Senkung des Treibhausgasaus- nachhaltige Entwicklung formuliert worden. stoßes in Deutschland (Deutschlandfunk, 2020). Dennoch werden die Geschäfts- und Privatkommuni- Der Betrieb von Rechenzentren und die dabei kation aufrechterhalten und neue Kommunikations- vor- und nachgelagerten Prozesse haben sowohl und Arbeitsformen wie das Videoconferencing oder mittelbaren als auch unmittelbaren Einfluss auf die die Arbeit im Homeoffice bestimmen das Leben von Erreichung aller Nachhaltigkeitsziele. Dieser Bericht Millionen von Arbeitnehmenden und Selbständigen. konzentriert sich auf die Nachhaltigkeitsziele, die un- Die positiven Klimawirkungen können auch nach mittlelbar vom Betrieb der Rechenzentren beeinflusst Ende der Pandemie weiter bestehen. In einer Befra- werden. Diese Auswahl stellt keine Priorisierung dar. gung gehen 71% der Deutschen davon aus, dass sich Die mittelbaren Einflüsse und Wirkungen sind jedoch das Homeoffice auch nach der Coronakrise weiter so vielfältig, dass eine detaillierte Darstellung den etablieren wird (Schuster, 2020). Rahmen dieser Untersuchung deutlich überschreiten würde. Dies betrifft insbesondere die Wirkungen Auch auf vorgelagerten Wertschöpfungsstufen der auf Rechenzentrumsleistungen aufbauenden nehmen Rechenzentren mittelbar Einfluss auf ver- digitalen Services. Im WBGU-Gutachten „Unsere schiedene Nachhaltigkeitsziele (Abbildung 2). Über gemeinsame digitale Zukunft“ werden die Bezüge ihre Beschaffung können insbesondere große, global zwischen digitalen Angeboten und den 17 Nach- agierende Unternehmen einen deutlichen Einfluss haltigkeitszielen im Detail aufgezeigt und analysiert ausüben. (WBGU, 2019). Unmittelbar mit dem Rechenzentrumbetrieb verbun- In Bezug auf die Klimawirkungen der Digitalisierung den sind insbesondere die Nachhaltigkeitsziele „Be- existieren sehr hohe Potenziale zur Senkung der zahlbare und saubere Energie“, „Maßnahmen zum Treibhausgasemissionen. Diese können um den Klimaschutz“ sowie „Nachhaltiges Konsumieren Faktor drei bis zehn über den Treibhausgasemis- und Produzieren“. Dieser Bericht befasst sich in den sionen liegen, die durch den Betrieb digitaler Geräte Kapiteln 4 und 5 mit diesen Themenfeldern. und Infrastrukturen direkt entstehen, wie verschiedene Großen Einfluss hat der Rechenzentrumsbetrieb Digitale Technologien Studien ermittlen (GeSI & auch auf die Zielsetzung „Industrie, Innovation und haben das Potential, Accenture Strategy, 2015; Infrastruktur“, bei der es um den Aufbau einer wider- zukünftig wesentlich GeSI & Deloitte, 2019; GeSI standsfähigen Infrastruktur geht, um breitenwirk- mehr Treibhausgas- & The Boston Consulting same und nachhaltige Industrialisierung zu fördern emissionen einzu- Group, 2012; Hilty & Bieser, und Innovationen zu unterstützen. Rechenzentren sparen, als ihr Betrieb 2017; Malmodin & Bergmark, stellen neben den Breitbandnetzen eine Basisinfra- verursacht. 2015). Digitale Technologien struktur für viele ermöglichen es, Wirtschafts- neue Technologien prozesse ressourcenscho- und Anwendungen Rechenzentren sind nender zu realisieren, Verkehrsströme effizient und dar. Unternehmen als Basisinfrastruktur intelligent und die Gesellschaft insgesamt nachhal- benötigen Rechen- eine wichtige Voraus- tiger zu gestalten. Die Hebung dieser Potenziale ist zentren, um ihre setzung für eine nach- eine zentrale Aufgabe einer auf Klimaschutz ausge- Produkte und haltige Industriealisie- richteten Digitalisierung. Dienstleistungen in rung und unterstützen der erforderlichen Innovation.
Rechenzentren in Europa – Chancen für eine nachhaltige Digitalisierung 11 2 Rechenzentren und Nachhaltigkeit Vorgelagerte Wertschöpfung Rechenzentrumsbetrieb Nachgelagerte Wertschöpfung (Rohstoffe, Vorprodukte, (Plattformen, ITK-Dienste, Komponenten, Dienstleistungen, etc.) Inhalte, etc.) Software Rechenzentrum (RZ) XaaS IT Weitere ITK- IT-Hardware Dienste Anwendungen Betriebssystem ITK-Dienst- leistungen Server Speicher Netzwerk Arbeitskräfte im RZ RZ-INFRASTRUKTUR Infrastruktur- Dienstleistungen Weitere Elemente der RZ-Infrasturktur, wie Beleuchtung, Brandschutz, Zutrittsschutz, Sicherheit, etc. RZ-Infrastruktur- equipment Strom Klimatisierung Notstromaggregate Kältemaschinen Stromverteilung Umluftklimaschränke Unterbrechungsfreie Pumpen, Lüfter, Rohre, Stromversorgung Rückkühler, etc. Strom Abwärme 1 2 6 4 5 7 8 9 11 8 9 11 12 15 17 13 12 15 Abbildung 2: Nachhaltigkeitsziele und Wertschöpfungsketten von Rechenzentren Abbildung aus (Hintemann & Clausen, 2018a) mit Ergänzungen Qualität zu erstellen und zu wettbewerbsfähigen Bereich von Smart City oder Industrie 4.0 sind ohne Preisen anzubieten (Hintemann & Clausen, 2018a). leistungsfähige Rechenzentrumsinfrastrukturen gar Zudem sind Rechenzentren ein Innovationsmotor in nicht möglich (Deloitte Consulting, 2016). Insbe- mehrfacher Hinsicht. Zum einen benötigen Neu- sondere für solche Anwendungen mit einem hohen entwicklungen von Produkten oft leistungsfähige Datenaufkommen und/oder hohen Anforderungen an Recheninfrastrukturen für Simulationen und Ana- die Latenz wird erwartet, dass in den nächsten Jah- lysen. Immer mehr Anwendungen der künstlichen ren zusätzlich zu den bestehenden Rechenzentren Intelligenz ermöglichen neue und verbesserte eine große Zahl weiterer, kleiner - sogenannte Edge Produkte und Dienstleistungen, die unter anderem Rechenzentren - aufgebaut werden (Ostler, 2019a; auch zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen Vertiv, 2019). Die lokale, anwendungsspezifische können (Jetzke, Richter, Ferdinand & Schaat, 2019). Bereitstellung von Rechenleistung in Edge Rechen- Technologien wie Autonomes Fahren, Lösungen im zentren bringt in vielen Fällen Effizienzvorteile gegen-
Rechenzentren in Europa – Chancen für eine nachhaltige Digitalisierung 12 2 Rechenzentren und Nachhaltigkeit über einer hoch zentralisierten Datenverabeitung, da (Klostermeier, 2019). Das Thema Abwärmenutzung große Datenmengen nahe dem Entstehungsort (vor-) aus Rechenzentren wird im zweiten Teil der Untersu- verarbeitet werden können und nur noch destillierte chung detailliert betrachtet. Daten an zentrale Rechenzentren übertragen werden müssen. Auch das Nachhaltigkeitsziel „Leben an Land“, mit dem Landökosysteme geschützt, wiederhergestellt Leistungs- und widerstandsfähige digitale Infrastruk- und ihre nachhaltige Nutzung gefördert werden soll, turen sind auch eine wesentliche Voraussetzung für kann von Rechenzentren direkt beeinflusst wer- die wirtschaftliche Entwicklung und das menschliche den. Auch im ländlichen Raum ist eine ausgebaute Wohlergehen. In der aktuellen Corona-Ausnahme- Rechenzentrumsinfrastruktur von hoher Bedeutung situation wird dies besonders deutlich: Trotz deutlich für die regionale Wirtschaft (Hintemann & Clausen, angestiegenem Datenverkehr mit durchschnittlich 2018a). Sehr große Hyperscale-Cloud Rechenzentren 10% höherem Traffic und einem neuen Übertra- werden teilweise bewusst abseits großer Metropo- gungsrekord von 9,1 Tbit/s am DE-CIX in Frankfurt len aufgebaut. Solche Investitionen haben spürbare (DE-CIX, 2020a) arbeiten die digitalen Infrastrukturen positive Auswirkungen auf die Entwicklung der reibungslos (Martin-Jung, 2020). Rechenzentren und regionalen Wirtschaft und gesellschaftliches Leben. Breitbandnetze ermöglichen es, private und geschäft- Mit Investitionen in eine nachhaltige Energieversor- liche Kommunikation aufrechtzuerhalten und bieten gung wird bei solchen Projekten oft auch der Ausbau in vielen Situationen Alternativen für die Arbeitswelt regenerativer Energien gefördert (Basalisco, 2018; und das gesellschaftliche Leben. Mehr noch: Die Dose, 2018). Da mit zunehmender Digitalisierung digitalen Infrastrukturen wirken in der Corona-Krise der Bedarf an Rechenzentrumskapazitäten weiter sogar als Innovationstreiber, z.B. in den Bereichen zunehmen wird, bietet eine intelligente und nachhal- E-Health oder E-Bildung (Apobank, 2020; BR, 2020; tige Verbindung von Stadt- und Raumplanung sowie Krahnert, 2020) Energie- und Datennetzen sowohl in Städten als auch im ländlichen Raum hohe Nachhaltigkeitspotenziale. Einen großen Einfluss können Rechenzentren auch Mit dem zu erwartenden Ausbau von Edge Rechen- auf die Ziele im Bereich „Nachhaltige Städte und Ge- zentren werden die Möglichkeiten sogar weiter meinden“ ausüben. Rechenzentren werden oft in Bal- ansteigen. lungsgebieten errichtet, da hier unter anderem meist eine sehr gut ausgebaute Netzwerkinfrastruktur Rechenzentrumsbetreibende haben in ihrer Funktion besteht. Die größten Rechenzentrumsstandorte in als Arbeitgeber auch direkten Einfluss auf die Nach- Europa liegen in Frankfurt am Main, London, Amster- haltigkeitsziele im Bereich „Bildung, Gleichstellung dam und Paris. In diesen Ballungsgebieten bestehen und menschenwürdige Arbeit“. Der Betrieb von oft Nutzungskonflikte hinsichtlich der verfügbaren Rechenzentren schafft und sichert qualitativ hoch- Infrastrukturen und Flächen (Janović, 2019; Lutz & wertige Arbeitsplätze. Allein in Deutschland sichern Ostler, 2020a; Ostler, 2019b; Schaefer & Ostler, 2020). Rechenzentren mehr als 200.000 Arbeitsplätze Rechenzentren bieten aber auch große Potenziale für (Hintemann & Clausen, 2018a). nachhaltige Städte und Gemeinden, wenn sie intel- ligent in die Raumplanung und die Energiesysteme Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass eingebunden werden (Lutz & Ostler, 2020b; Reveman zuverlässige digitale Infrastrukturen eine Grund- & Ostler, 2016). Das Beispiel Stockholm zeigt, dass voraussetzung für eine nachhaltige Wirtschaft und die Abwärme von Rechenzentren systematisch für Gesellschaft darstellen. In öffentlichen Diskussionen die Wärmeversorgung von Städten genutzt werden wird bei der Nachhaltigkeitsbewertung von Rechen- kann, wenn entsprechende Rahmenbedingungen zentren hauptsächlich auf den Energiebedarf und die geschaffen werden (Funke et al., 2019). Auch in Klimawirkungen fokussiert. Rechenzentren haben Deutschland gibt es erste Beispiele für Abwärme- aber viele weitere Nachhaltigkeitswirkungen, welche nutzung aus Rechenzentren mit dem Eurotheum in direkt und indirekt Beiträge zu allen 17 Nachhaltig- Frankfurt am Main (Ladner, 2017) oder mit einem keitszielen der Vereinten Nationen leisten, und bieten Rechenzentrum von VW Financial Services in Braun- damit große Chancen für eine nachhaltige Transfor- schweig, das ein Wohngebiet mit Wärme versorgt mation von Wirtschaft und Gesellschaft.
Rechenzentren in Europa – Chancen für eine nachhaltige Digitalisierung 13 3 CLOUD COMPUTING UND COLOCA- TION RECHENZENTREN IN EUROPA Die Rechenzentrumsbranche befindet sich in einem entscheiden, Cloud Technologien zu nutzen. Dabei kontinuierlichen Wandel. Während in den 2000er werden mit Public Clouds, Private Clouds und Hyb- Jahren noch der eigene Betrieb von IT-Hard- und riden Clouds unterschiedliche Modelle eingesetzt. Software (on premise) bei Unternehmen und anderen Auch im privaten Bereich gewinnen Cloud Services Organisationen die Regel war, werden heute für Re- – oft in Form von kostenfreien Angeboten oder als chenzentrumsleistungen zunehmend Dienstleister in Flatrate Service – zunehmende Beliebtheit. Bei der Anspruch genommen. Dies erfolgt durch die Nutzung Nutzung von Cloud Services unterscheiden sich die des Angebots von Colocation Rechenzentren oder Regionen innerhalb von Europa zum Teil deutlich. auch durch Angebote von IT-Dienstleistern, Hosting- und Cloud Unternehmen. Im Vergleich zu anderen Teilen der Welt liegt Europa bei der Nutzung von Cloud Services in Unternehmen Cloud Computing entwickelt sich zur dominierenden zurück (Lorica & Nathan, 2019). Im Durchschnitt Art der IT-Nutzung (Eurostat, 2018; IDC, 2015). Vor- nutzten 26% der EU-Unternehmen im Jahr 2018 be- teile wie Flexibilität, Skalierbarkeit, geringer Administ- zahlte Cloud Services. In den letzten Jahren hat sich rationsaufwand oder keine Investitionskosten führen Cloud Nutzung von Unternehmen merklich erhöht, im dazu, dass sich immer mehr Organisationen dafür Jahr 2014 nutzten erst 19% der Unternehmen Cloud 70 60 50 Anteil der Unternehmen in Prozent 40 30 20 10 0 EU-28 Finnland Schweden Dänemark Norwegen Nierderlande Irland UK Belgien Malta Estland Kroatien Zypern Tschechien Slowenien Portugal Luxemburg Österreich Litauen Italien Deutschland Spanien Slowakei Frankreich Ungarn Lettland Griechenland Polen Rumänien Bulgarien 2018 2014 Abbildung 3: Nutzung von bezahlten Cloud Services in Unternehmen mit mehr als zehn Mitarbeitern (EU28+Norwegen) Quelle: (Eurostat, 2018)
Rechenzentren in Europa – Chancen für eine nachhaltige Digitalisierung 14 3 Cloud Computing und Colocation Rechenzentren in Europa Services. Vor allem die skandinavischen Länder der jeweiligen konkreten Fragestellung liegen. Auch liegen mit über 50% Cloud Nutzung an der Spitze, könnte es sein, dass in diesen Untersuchungen während über die Hälfte der übrigen europäischen verhältnismäßig mehr große Unternehmen befragt Mitgliedsstaaten mit unter 30% eine relativ geringe wurden. Gemäß der Eurostat-Untersuchung nut- Nutzung von Cloud Services aufweisen (Abb. 3). zen 56% der großen Unternehmen Cloud Services, In Deutschland gelten vor allem die Bedenken im während nur 25% der kleinen und mittleren Unterneh- Hinblick auf Datensicherheit als Hemmnis für die men auf Cloud Services zurückgreifen. Weiterhin ist Verbreitung von Cloud Diensten, danach kommt die es möglich, dass bei Befragungen aus dem Umfeld Angst vor dem Verlust von Daten sowie die Unklar- von IT-Analysten verstärkt IKT-affine Unternehmen heiten bei der Rechtslage (KPMG & Bitkom, 2019). erreicht wurden, die mehr Cloud Services nutzen als der Durchschnitt der Unternehmen. Unabhän- Einige Untersuchungen (CIF, 2017; IDC, 2015; KPMG gig von der aktuellen Höhe des Prozentsatzes der & Bitkom, 2018) ermitteln eine deutliche höhere Cloud Nutzer, kommen aber alle Untersuchungen zu Cloud Nutzung in Unternehmen als die Eurostat-Be- der Schlussfolgerung, dass die Nutzung von Cloud fragung. Wie die Abweichungen in den Ergebnissen Services in Unternehmen deutlich zunimmt und die zu erklären sind, lässt sich nur vermuten. Statistisch Cloud Nutzung zum Mainstream wird (CIF, 2017; Ci- ist die Eurostat-Untersuchung mit 158.000 befragten sco, 2018; Dutch Data Center Association, 2017; eco Unternehmen in allen Staaten der EU28 (Eurostat, & Arthur D. Little, 2015; Eurostat, 2018; IDC, 2015; 2018) mit großem Abstand am besten abgesichert. KPMG & Bitkom, 2018). Daher ist davon auszugehen, dass diese Ergebnisse repräsentativ sind. Dass andere Untersuchungen Auch im privaten Bereich steigt die Nutzung von zu abweichenden Ergebnissen kommen, könnte an Cloud Services an. In Deutschland sind die unter 100 Anteil der Befragten (16 bis 74 Jahre) in Prozent 75 50 25 0 EU-27 (2020) Luxemburg Norwegen Dänemark Belgien UK ZYpern Schweden Malta Ungarn Tschechien Niederlande Finnland Estland Lettland Irland Litauen Portugal Rumänien Spanien Slowakei Koratien Griechenland Österreich Bulgarien Deutschland Polen Schweiz Slowenien Frankreich Italien Abbildung 4: Einzelpersonen, die in den letzten 3 Monaten das Internet für Soziale Netzwerke nutzten (2019) Quelle:(Eurostat, 2020)
Rechenzentren in Europa – Chancen für eine nachhaltige Digitalisierung 15 3 Cloud Computing und Colocation Rechenzentren in Europa 40-jährigen pro Woche fast 75 Stunden online (Post- werden oft in großen, sehr effizienten und prozess- bank, 2020). Diese Entwicklung wird zum Beispiel optimierten Rechenzentren bereitgestellt. Der United durch die Nutzung von sozialen Netzwerken doku- States Data Center Energy Usage Report geht davon mentiert. In der EU nutzten 54% der Personen zwi- aus, dass Hyperscale Cloud Rechenzentren um bis schen 16 und 74 Jahren im Jahr 2019 das Internet zu 80% weniger Energie für die Infrastrukturen wie für soziale Netzwerke. Im Jahr 2011 waren es noch Kühlung und Stromversorgung benötigen als klassi- 36% (Eurostat, 2020). Auch bei der privaten Internet- sche Rechenzentren (Shehabi et al., 2016) nutzung ist festzustellen, dass diese insbesondere in Nordeuropa mit meist 70% und mehr besonders Der Trend zu mehr Cloud Computing wirkt sich hoch ist. Dagegen liegt die Nutzung von sozialen Me- gesamtwirtschaftlich positiv aus. Eine Untersuchung dien in Frankreich und Italien nur bei 40%. Nach An- von IDC im Auftrag der Europäischen Kommission gaben von Cisco prognostiziert für das Jahr 2020 einen Anstieg des sind Consumer Bruttoinlandsprodukts der EU durch Cloud Compu- Cloud Computing stellt einen we- Anwendungen ting um 103 Mrd. €. Das wären 0,71% des BIP. Dieses sentlichen Trend bei der Bereit- aktuell für etwa Cloud-bedingte Wirtschaftswachstum wäre mit über stellung von IT Services dar. Die 25% der Worklo- 300.000 neuen Unternehmen und fast 1,6 Mio. neuen Nutzung Cloud-basierter Lösun- ads und Compute Arbeitsstellen in der EU verbunden (IDC, 2015). gen entwickelt sich in Europa Instances2 in aber im Vergleich zu anderen den Rechen- Gemäß Cisco stellen Cloud Technologien bereits Märkten bisher nur langsam. zentren weltweit heute das dominante Bereitstellungsmodell in Der weitere Ausbau von Cloud verantwortlich. Rechenzentren dar und sind für den Großteil der Lösungen bietet hohe Effizienz- Die Nutzung der Datenverarbeitung, -speicherung und -übertragung potenziale. Cloud Anwendun- verantwortlich. In Westeuropa sind im Jahr 2020 gen Videostrea- gemäß Cisco-Prognosen nur noch knapp 10% ming und Soziale der Workloads in den Rechenzentren sogenannte Netzwerke wachsen am stärksten, für das Jahr 2021 traditionelle Workloads. Mehr als 90% sind dagegen prognostiziert Cisco einen Anteil dieser Anwendun- Cloud Workloads. Gemessen an der Zahl der physi- gen an den Workloads der im Consumer Bereich von schen Server bedeutet dies, dass in Westeuropa 75% knapp 60% (Cisco, 2018). der Server als Cloud Server betrieben werden (Cisco, 2018). Bei der inhaltlichen Einordnung dieser Ana- Cloud Technologien und Cloud Rechenzentren bieten lysen von Cisco muss berücksichtigt werden, dass erhebliche Potenziale zur Steigerung der Wirtschafts- auch viele Unternehmen in ihren eigenen Rechenzen- leistung und zur Erhöhung der Kosten- und Energie- tren bzw. auf ihrer eigenen IT-Hardware in Colocation effizienz. Cloud Services sind sehr gut skalierbar Rechenzentren Cloud Technologien nutzen. und lassen sich an Leistungsbedarfe anpassen. Sie bieten in vielen Fällen die Möglichkeit, die vorhan- Im zurückliegenden Jahrzehnt wurden in Europa ins- denen IT-Kapazitäten deutlich besser auszulasten besondere die Kapazitäten von Colocation Rechen- als mit traditionellen IT-Konzepten. Cloud Angebote zentren deutlich ausgebaut. Allein an den großen Rechenzentrumsstandorten London, Frankfurt am Main, Paris und Amsterdam wurde das Angebot in den Colocation Rechenzentren zwischen 2010 und 2 ie Leistung von Rechenzentren ist nur schwer zu messen. Ein D 2020 um den Faktor vier erhöht (CBRE, 2017a, 2020). Ansatz besteht darin, die Zahl der in Rechenzentren laufenden Die Broadgroup geht von einem deutlich ansteigen- Workloads und Compute Instances als Maß für die Leistung den Anteil der Nutzer von Colocation Rechenzentren zu wählen. Cisco definiert Workload and Compute Instances im Vergleich zum Eigenbetrieb von Rechenzentren wie folgt: “A server workload and compute instance is defined as a virtual or physical set of computer resources, including aus. Waren im Jahr 2015 in Europa noch 78% der storage, that are assigned to run a specific application or provide Rechenzentren im Eigenbetrieb, so wird für das Jahr computing services for one to many users.” (Cisco, 2018). 2020 nur noch ein Anteil von 54% prognostiziert Im Folgenden wird aus sprachlichen Gründen immer nur der Begriff „Workloads“ statt „Workloads and Compute Instances“ (Howard-Healy, 2018). In Hessen mit dem Ballungs- verwendet. raum Frankfurt Rhein-Main liegt der Anteil der Co-
Rechenzentren in Europa – Chancen für eine nachhaltige Digitalisierung 16 3 Cloud Computing und Colocation Rechenzentren in Europa location Rechenzentren an den Gesamtkapazitäten 2018). Allerdings gibt es auch weiterhin ein Vielzahl der Rechenzentren bei 50% (Hintemann & Clausen, kleiner Anbieter mit Marktanteilen unter einem Pro- 2018b). Im Markt für Colocation Dienstleistungen ist zent (Hintemann & Clausen, 2018b). in den vergangenen Jahren eine deutliche Konzentra- tion auf wenige große Anbieter festzustellen (Ostler,
Rechenzentren in Europa – Chancen für eine nachhaltige Digitalisierung 17 4 ENTWICKLUNG DER ENERGIEEFFI- ZIENZ UND DES ENERGIEBEDARFS DER RECHENZENTREN IN EUROPA Die zunehmende Digitalisierung erfordert leistungs- giebedarf sich um den Faktor drei oder vier erhöht starke Rechenzentren. Weltweit hat sich das Angebot hat. Gegen eine extreme Erhöhung spricht, dass die an Rechen-, Speicher- und Datenübertragungsleis- verfügbaren Zahlen zu Verkaufszahlen von IT-Hard- tungen im vergangenen Jahrzehnt massiv erhöht. ware und Infrastrukturlösungen nicht mit einem So wird sich die Anzahl der auf Servern installierten solch deutlichen Anstieg des Energiebedarfs verein- Workloads nach Analysen von Cisco von 2010 bis bar sind. Ein im vergangenen Jahrzehnt weitgehend 2021 um den Faktor zehn erhöht haben. Der IP- konstant gebliebener Energiebedarf ist auch kaum Datenverkehr der Rechenzentren soll sich in diesem mit den verfügbaren Marktdaten vereinbar (Hinte- Zeitraum sogar um den Faktor 19 erhöhen (Cisco, mann, 2020). Weltweit wurden im letzten Jahrzehnt 2011, 2018). Welche Auswirkungen dieses starke die Rechenzentrumskapazitäten massiv ausgebaut Wachstum der Rechenzentrumsleistung auf den (CBRE, 2017b, 2017c, 2020; Cook & Jardim, 2019; Energiebedarf der Rechenzentren hat, wird in der wis- Greenpeace & North China Electric Power University, senschaftlichen Literatur unterschiedlich bewertet. 2019; Howard-Healy, 2018; Technavio, 2015, 2020). Außerdem berücksichtigen die optimistischen Ana- Während optimistische Studien davon ausgehen, lysen offensichtlich nicht neue Anwendungen und dass der weltweite Energiebedarf der Rechenzentren IT-Infrastrukturen wie sie zum Beispiel für Krypto-Mi- im letzten Jahrzehnt nur gering angestiegen ist (GeSI ning oder künstliche Intelligenz aufgebaut werden. & Deloitte, 2019; Malmodin & Lundén, 2018; Masa- So zeigt eine Reihe von Untersuchungen (CBECI, net, Shehabi, Lei, Smith & Koomey, 2020), gehen 2019; Digiconomist, 2019; Kamiya, 2019; Rauchs et pessimistische Analysen davon aus, dass sich der al., 2018), dass allein für das Mining von Bitcoins im Energiebedarf der Rechenzentren weltweit verviel- Jahr 2019 etwa 60 bis 70 TWh elektrische Energie facht habe (Andrae & Edler, 2015; Belkhir & Elmeligi, benötigt wurde. Das allein wäre ca. 1/3 des weltwei- 2018; The Shift Project, 2019). Das Shift Project geht ten Energiebedarfs der Rechenzentren der optimisti- von einem Anstieg um mehr als den Faktor vier aus schen Analysen. (The Shift Project, 2019). Auch die verschiedenen Studien, die sich mit der Ein wesentlicher Grund für die bestehende Unklarheit Entwicklung des Energiebedarf der Rechenzentren zur Entwicklung des Energiebedarfs der Rechenzen- in Europa befassen, kommen zu unterschiedlichen tren liegt darin, dass es für Rechenzentren nur wenig Ergebnissen (Abb. 5). In einer Untersuchung für die verfügbare Daten gibt. Insbesondere Daten über EU Kommission wurde vom Borderstep Institut ein die Rechenzentren, die in Unternehmen für eigene Anstieg des Energiebedarfs in der EU28 zwischen Zwecke genutzt werden (on premise), liegen kaum 2010 und 2020 um etwa 50% errechnet (EU Cloud vor (Hintemann, 2014). Selbst die Daten der verschie- Study in Abb. 4). denen Quellen zu Serververkaufszahlen unterschei- den sich teilweise fast um den Faktor zwei (Bio by Die Borderstep-Berechnungen basieren auf einem Deloitte & Fraunhofer IZM, 2016). detaillierten Modell der Rechenzentrumslandschaft, mit dem der Energiebedarf der Rechenzentren auf Aus Sicht der Autoren des vorliegenden Berichts Basis des Bestandes an Einzelkomponenten (ver- ist weder wahrscheinlich, dass der Energiebedarf schiedenen Servertypen, Speichersysteme, Netz- der weltweiten Rechenzentren in den vergangenen werkkomponenten, Kühlung/Klimatisierung, Strom- Jahren konstant geblieben ist, noch, dass der Ener- versorgung, etc.) berechnet werden kann. Dieses
Rechenzentren in Europa – Chancen für eine nachhaltige Digitalisierung 18 4 Entwicklung der Energieeffizienz und des Energiebedarfs der Rechenzentren in Europa 120 100 Jährlicher Energiebedarf in TWh/a 80 60 40 20 0 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 Prakash et al. (2014) High Data Ecodesign prep. Study (2016) Bertoldi (2012) Prakash et al (2014) High Efficient EU Cloud Study 2019 Koomey (2008)/Whitehead (2014) Abbildung 5: Überblick über Studien zur Entwicklung des Energiebedarfs der Rechenzentren in Europa im Zeitraum von 2010 bis 2020 Quellen: (Bertoldi, Hirl & Labanca, 2012; Bio by Deloitte & Fraunhofer IZM, 2016; Hintemann, 2019; Prakash, Baron, Ran, Proske & Schlösser, 2014) Modell wird seit mehr als zehn Jahren laufend Gebäudeausstattung für Klimatisierung, Stromver- weiterentwickelt (Fichter & Hintemann, 2014; Hinte- sorgung, Brandschutz, etc. am Energiebedarf der mann & Clausen, 2018a; Hintemann, Fichter & Stob- Rechenzentren deutlich zurückgegangen ist. Dies ist be, 2010; Hintemann & Hinterholzer, 2019; Stobbe ein nachhaltiger und positiver Effekt. et al., 2015) und beinhaltet in der aktuellen Version über 10.000 einzelne Datensätze. Für die vorliegende Während im Jahr 2010 die technische Gebäude- Untersuchung wurde das Modell mit Verkaufszahlen ausstattung im Durchschnitt noch für etwa 50% zu Serverhardware (Stand 2020) aktualisiert und um des Energiebedarfs der Rechenzentren in Europa die Länder Schweiz und Norwegen erweitert. verantwortlich war, sank dieser Anteil bis zum Jahr 2020 auf 40%. Bei neu gebauten effizienten Rechen- Abb. 5 zeigt die Ergebnisse der für den vorliegen- zentren liegt die technische Gebäudeausstattung den Bericht durchgeführten Berechnungen. Danach schon heute bei einem Anteil von 25% oder weniger ist der Energiebedarf der Rechenzentren in Euro- am Gesamtenergiebedarf. pa zwischen 2010 und 2020 von 56 TWh/a auf 87 TWh/a angestiegen (+ 55%). Damit benötigen Aufgrund der verhältnismäßig langen Betriebsdauer die Rechenzentren aktuell ca. 2,7% des elektrischen der Rechenzentrumsinfrastrukturen von oft mehr als Stroms in Europa. Für die Zukunft wird ein moderater 15 Jahren werden sich die Effizienzinvestitionen im weiterer Anstieg des Energiebearfs auf 98 TWh/a Bestand vor allem im nächsten Jahrzehnt auszah- bis 2030 prognostiziert. Die Analysen zeigen, dass len. Es ist davon auszugehen, dass der Anteil der die Investitionen in energieeffiziente Rechenzent- technischen Gebäudeausstattung im Bestand aller rumsinfrastrukturen im zurückliegenden Jahrzehnt Rechenzentren bis zum Jahr 2030 auf durchschnitt- dazu geführt haben, dass der Anteil der technischen lich 25% zurückgehen wird.
Rechenzentren in Europa – Chancen für eine nachhaltige Digitalisierung 19 4 Entwicklung der Energieeffizienz und des Energiebedarfs der Rechenzentren in Europa 100 90 80 70 Jährlicher Energiebedarf in TWh/a 60 50 40 30 20 10 0 2010 2015 2020 2025 2030 Server Storage Netzwerk Kühlung/Klima USV Sonstige Infrastruktur Abbildung 6: Energiebedarf von Rechenzentren in Europa (ab 2020: Prognose) Auch bei der IT-Ausstattung der Rechenzentren 2020; Flexera, 2020; VansonBourne, 2019). Für An- wurden in der Vergangenheit sehr hohe Effizienz- wendungen im Bereich der privaten Endkonsumen- gewinne erzielt. Bezieht man die Entwicklung des ten ist davon auszugehen, dass diese überwiegend Energiebedarfs auf die installierten Workloads in aus Cloud Rechenzentren angeboten werden. Für den Rechenzentren, so hat sich der Energiebedarf Unternehmensanwendungen wird auf Basis der pro Workload seit 2010 etwa um den Faktor sechs oben dargestellten Entwicklung im Rahmen dieses reduziert. Der Energiebedarf Berichts davon ausgegangen, dass in Europa aktuell pro übertragenem GB Daten etwa 30% der Workloads aus Cloud Rechenzentren In Rechenzentren im Rechenzentrum hat sich bereitgestellt werden. Damit beträgt der Anteil von konnten im vergangen sogar fast um den Faktor 12 Cloud Rechenzentren an den Workloads in Europa Jahrzehnt hohe Effi- verringert. etwas mehr als 50%. zienzgewinne erzielt werden. Bezogen auf Mit Blick auf die Entwicklung Abb. 7 zeigt die Entwicklung des Energiebedarfs der die Rechen- und Spei- der IT-Bereitstellungsmodelle Rechenzentren in Europa in Abhängigkeit von der Art cherleistung hat sich in Richtung Cloud Computing der Rechenzentren. Trotz der Effizienzvorteile (Masa- der Energiebedarf um ist auch davon auszugehen, net et al., 2020; Shehabi, Smith, Masanet & Koomey, den Faktor sechs bis dass der Energiebedarf 2018) steigt der Energiebedarf von Cloud Rechen- zwölf verringert. der Cloud Rechenzentren zentren in der Vergangenheit kontinuierlich an. Dies ansteigt. In der Praxis ist ist damit zu begründen, dass sich Cloud Computing eine Abgrenzung von Cloud wie oben dargestellt zum dominanten Bereitstel- Rechenzentren und traditionellen Rechenzentren oft lungsmodell entwickelt. Auch in Zukunft wird der An- nur schwer durchführbar, da auch in traditionellen teil der Cloud Rechenzentren an den Workloads der Rechenzentren zunehmend Cloud Technologien Rechenzentren und damit auch am Energiebedarf genutzt werden. Immer mehr Unternehmen arbeiten weiter ansteigen. In Abb. 7 ist auch eine Prognose heute mit hybriden Multi-Cloud Lösungen (Equinix, des Energiebedarfs der Edge Rechenzentren in Euro-
Rechenzentren in Europa – Chancen für eine nachhaltige Digitalisierung 20 4 Entwicklung der Energieeffizienz und des Energiebedarfs der Rechenzentren in Europa 120 100 Jährlicher Energiebedarf in TWh/a 80 60 40 20 0 2010 2015 2020 2025 2030 Traditionelle Rechenzentrren Cloud Rechenzentren Edge Rechenzentren Abbildung 7: Entwicklung des Energiebedarfs der Rechenzentren in Europa nach Art der Rechenzentren (ab 2020: Prognose) pa dargestellt. Aus heutiger Sicht ist die Entwicklung durch die hohe Wirtschaftskraft und die vorhande- des Marktes der Edge Rechenzentren nur grob abzu- nen guten Netzinfrastrukturen bedingt. Nordeuropa schätzen. Der Prognose liegt die Annahme zugrunde, und Skandinavien bieten Vorteile für einen kosten- dass sich das Marktvolumen von Edge Rechenzen- günstigen und aufgrund der klimatischen Bedingun- tren jährlich um ca. 20% erhöht, wie dies Marktana- gen, energieeffizienten Betrieb von Rechenzentren. lysten vorhersagen (SBWire, 2018). Setzt sich diese Außerdem können dort große Anteile des Stroms aus Entwicklung fort, so könnten Edge Rechenzentren bis erneuerbaren Energiequellen gewonnen werden. Die zum Jahr 2030 für ca. 20% des Energiebedarfs der skandinavischen Länder betreiben – wie auch andere Rechenzentren in Europa verantwortlich sein. Staaten in Europa – eine aktive Ansiedlungspolitik für Rechenzentren mit niedrigen Strompreisen, Steuer- Im letzten Jahrzehnt konnte erleichterungen und weiteren Anreizen (Hintemann & Die Digitalisierung ein starkes Wachstum der Clausen, 2018a). Mit dem Voranschreiten der Digita- treibt den Ausbau der Rechenzentrumsbranche lisierung ist auch in Zukunft ein weiteres Wachstum Rechenzentrumsinfra- insbesondere in West- der Rechenzentren in Westeuropa und Skandinavien strukturen insbesonde- europa, Nordeuropa und zu erwarten, verbunden mit einem weiteren modera- re in West- und Nord- Skandinavien festgestellt ten Anstieg des Energiebedarfs der Rechenzentren europa. werden. In Westeuropa war (Abb. 8). das Wachstum vor allem
Rechenzentren in Europa – Chancen für eine nachhaltige Digitalisierung 21 4 Entwicklung der Energieeffizienz und des Energiebedarfs der Rechenzentren in Europa 100 90 80 70 Jährlicher Energiebedarf in TWh/a 60 50 40 30 20 10 0 2010 2015 2020 2025 2030 Westeuropa Südeuropa Osteuropa Skandinavien Übriges Nordeuropa Abbildung 8: Entwicklung des Energiebedarfs der Rechenzentren in Europa nach Region (ab 2020: Prognose) (Westeuropa: Belgien, Deutschland, Frankreich, Luxemburg, Niederlande, Österreich, Schweiz; Südeuropa: Griechenland, Italien, Kroatien, Portugal, Slowenien, Spanien; Osteuropa: Bulgarien, Tschechien, Ungarn, Polen, Rumänien, Slowakei; Skandinavien: Dänemark, Finnland, Norwegen, Schweden; übriges Nordeuropa: Lettland, Großbritannien, Irland, Estland, Litauen)
Rechenzentren in Europa – Chancen für eine nachhaltige Digitalisierung 22 5 TREIBHAUSGASEMISSIONEN DURCH RECHENZENTREN Die Umweltwirkungen von Rechenzentren sind in PPAs für regenerative Energien werden in Europa einem hohen Maß von der für den Betrieb notwendi- mit insgesamt 9,8 GW deutlich weniger als in den gen elektrischen Energie und den dadurch potentiell USA genutzt, wo bereits über 40 GW Anlagenleistung verursachten Kohlendioxidemissionen (CO2-Emis- durch PPAs vermarktet wurden (BloombergNEF, sionen) abhängig3. Dementsprechend ist neben der 2020). Dies lässt sich vor allem auf unterschied- Höhe des Elektrizitätsbedarfs im Betrieb auch die Art liche Marktstrukturen, regulatorische Rahmenbe- der Stromerzeugung von hoher Relevanz für die Be- dingungen und Fördermechanismen zurückführen. urteilung der Auswirkungen auf den Klimawandel. Zwar werden in einzelnen europäischen Ländern wie Schweden, Norwegen und Niederlande bereits Viele Rechenzentrumsbetreibende verbessern ihre EE-Projekte durch PPAs finanziert, jedoch konnten CO2-Bilanz bereits heute durch die zunehmende sich PPAs in anderen großen Märkten wie Deutsch- Stromerzeugung mit Erneuerbaren Energien (EE). In land aufgrund des dort vorhandenen Förderregimes einer Befragung von Rechenzentrumsbetreibenden (z.B. in Deutschland das EEG mit der Umlagenfinan- im Jahr 2017 in Deutschland gaben 30% der Be- zierung) nicht oder in nur sehr geringem Ausmaß fragten an, ausschließlich Strom aus Erneuerbaren durchsetzen (K2 Management, 2019). Eine aktuelle Energien für ihr Rechenzentrum zu verwenden Untersuchung geht davon aus, dass das bestehende (Hintemann, 2017). Dies kann durch den Strombezug Förderregime mit Einspeisetarifen nicht vollständig direkt von EE-Anlagenbetreibenden mit einem Power durch PPAs ersetzt werden kann (Ryszka, 2020). Purchase Agreement (PPA) geschehen, über den Bezug von Ökostrom eines Stromlieferanten oder Bei den größten Abnehmern von erneuerbaren PPAs auch über den eigenen (lokalen) Betrieb von EE-Er- sind sowohl in den USA wie auch in Europa Unter- zeugungsanlagen. nehmen der IT Branche, die häufig selbst große Rechenzentren betreiben, führend (BNEF, 2020b). Für PPAs zwischen Stromkunden wie beispielsweise kleinere Unternehmen bzw. einzelne Rechenzentren- Rechenzentren und den Betreibenden von EE-Strom- standorte sind PPAs zur Strombeschaffung häufig erzeugern - sogenannte Corporate PPAs - sichern unattraktiv, da ihre Abnahmemengen zu klein sind, durch die garantierte Stromabnahme die Refinanzier- um überhaupt PPAs zu beschaffen, die üblicherweise barkeit von regenerativen Erzeugungsanlagen. Spe- im zwei- bis dreistelligen MW-Bereich angeboten ziell für die Investitionsentscheidung bei Anlagen mit werden, oder um attraktive Konditionen zu erhalten. hohen Investitionsausgaben (CAPEX) und niedrigen Die bisherige Anwendungspraxis der PPAs zeigt Betriebsausgaben (OPEX) wie bei Photovoltaik- und außerdem, dass die damit verbundene vertragsrecht- Windenergie üblich, ist diese Sicherheit für die lange liche Komplexität für kleine Stromabnehmer meist Amortisationsdauer ein relevanter Faktor. nur schwer oder gar nicht zu bewältigen ist. Eine Alternative dazu kann ein Liefervertrag mit einem Ökostromanbieter darstellen. Bei solchen Verträgen gibt es unterschiedliche Möglichkeiten. In einigen Varianten werden die Einnahmen aus Aufgrund der intensiven Nutzung der IT in den Rechenzentren im 3 den Verträgen dazu genutzt, neuen EE-Anlagen zu Dauerbetrieb (24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr) machen die fördern, in anderen Varianten wird EE-Strom aus be- Treibhausgasemissionen durch den Betrieb den weitaus größten Teil an den Gesamtemissionen der Rechenzentren aus. Die Herstel- stehenden Altanlagen genutzt. lung, der Transport und die Entsorgung der Geräte und Anlagen in Rechenzentren sind nur für etwa 10% der insgesamt verursachten Für die folgende regionale Betrachtung der CO2- Treibhausgasemissionen verantwortlich. Dies zeigt die Analyse der Ergebnisse verschiedenen Studien (Andrae & Edler, 2015; Belkhir & Emissionen von Rechenzentren in Europa sind die Elmeligi, 2018; Malmodin & Lundén, 2018) zu diesem Thema. CO2-Emissionen der jeweiligen nationalen Erzeu-
Rechenzentren in Europa – Chancen für eine nachhaltige Digitalisierung 23 5 Treibhausgasemissionen durch Rechenzentren 100 900 Spezifische CO2 Emissionen der Stromerzeugung in g/kWh 800 700 600 500 400 300 200 100 0 Polen Zypern Estland Griechenland Bulgarien Niederlande Malta Tschechien Deutschland Irrland Portugal Spanien Rumänien Italien Ungarn Sloweniebn Kroatien Belgien Schweiz Dänemark Slovakei Östereich Finnland Frankreich Luxemburg Littauen Lettland Norwegen Schweden Abbildung 9: Spezifische CO2-Emissionen der nationalen Stromerzeugung in europäischen Ländern im Jahr 2017 (CO2-Intensität) Datenquelle: (EEA, 2020), Werte für die Schweiz mit Methode der EEA errechnet auf Basis des UNFCCC Reports 2019 - Bezugsjahr 2017 gungsinfrastruktur zugrundegelegt4. Die Spannweite 150 g/kWh prognostiziert (EU, 2019). Individuelle der spezifischen Emissionen in den europäischen Maßnahmen von einzelnen Rechenzentrumsbetrei- Ländern ist sehr groß (Abb. 9). Entsprechend signi- benden werden bei dieser Art der Betrachtung nicht fikant wirkt sich bei dieser Bilanzierungsmethode berücksichtigt. auch der lokale Erzeugungsmix der jeweiligen Länder auf die berechneten CO2-Emissionen der Rechenzen- In Abb. 10 sind die CO2-Emissionen der Rechen- tren aus. In den Ländern der heutigen EU28 betrug zentren in Europa (EU28 + Schweiz + Norwegen) der Emissionsfaktor 1990 noch 539 g/kWh, im Jahr von 2010 bis 2030 in den verschiedenen Regionen 2017 noch 297 g/kWh. Für die EU28 werden im dargestellt. Im Rahmenszenario EUCO 3232.5 weitere Absenkungen Vergleich zum Jahr der CO2-Intensität der Stromerzeugung bis 2030 auf 2015 sind die CO2- Rechenzentren werden Emissionen der klimafreundlicher – im Rechenzentren in Durchschnitt sinken Europa um 8% zu- die Treibhausgasemis- 4 I n der vorliegenden Bilanzierung wurden die jeweiligen spezifischen CO2-Emissionen der Stromerzeugung jeweils auf Ebene der einzel- rückgegangen. Im sionen der Rechenzen- ne Länder zugrundegelegt. Nichtenergetisch bedingte Treibhaus- kommenden Jahr- tren in Europa schon gasemissionen von Rechenzentren z.B.durch Kältemittel werden zehnt ist mit einem heute deutlich. nicht betrachtet. Sowohl der reine Handel von Herkunftsnachwei- weiteren deutli- sen (EECS-GoO) wie auch tatsächliche physische Energieflüsse zwischen den Ländern (Import/Export) werden bei dieser Methode chen Absinken der nicht berücksichtigt. Die Emissionsfaktoren basieren auf dem aktu- Emissionen um 30% zu rechnen. Dieser Rückgang ist ellen Referenzszenario der europäischen Union EUCO 3232.5, das auf die Anstrengungen in den einzelnen Staaten zur zur Einordnung nationaler Energie- und Klimaziele auf EU-Ebene dient. Für die Schweiz und Norwegen wurden aktuelle Emissions- Reduktion der CO2-Emissionen in der Stromerzeu- faktoren auf Basis der UNFCCC Berichterstattung berechnet. gung zurückzuführen. Die Reduktionsziele sind im
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