Kleine Füße. Weite Wege. Schlechte Schuhe.
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Kleine Füße. Weite Wege. Schlechte Schuhe. Schulkinder und Dorfschulen im 19. Jahrhundert. Eintragungen aus der Lehrer-Chronik von Welchenhausen; kommentiert von Bernd Kersting-Bilk / Erstdruck: Heimatkalender Bitburg-Prüm 2011 In zahllosen Dörfern unseres Kreises sieht man frühmorgens Grüppchen von Kin- SONDERDRUCK dern, die auf den Bus warten, der sie zur Schule fährt. Seit ihrer Kindergartenzeit zur Mitnahme sind das die Kinder gewohnt. Oft teilen für die Besucher des sich zehn oder noch mehr Dörfer eine Museums in der Schule. Die ist gewöhnlich ein größerer Gebäudekomplex mit Turn- oder Festsaal, WARTE-HALLE manchmal gehört gar ein Lehrschwimm- Der Text dieses Aufsatzes erschien bad dazu. zum ersten Mal im diesjährigen „HEIMAT-KALENDER des EIFEL- Wer unsere Gegend durchquert, trifft aber KREISES BITBURG-PRÜM“ – manchenorts auch noch auf kleine, ältere Schulhäuser. Ihrem Aussehen nach wur- er befasst sich mit den „Zwerg- den die meisten von ihnen vor rund 80 Schulen“ in den Dörfern rund um das oder 100 Jahren erbaut. Sie sind unschwer Dreiländereck, insbesondere mit der als Schulen erkennbar an ihren hohen Mühsal damaliger Schulkinder ... Klassenraumfenstern, an den breiteren Eingangstreppen; oft gibt es auch noch den Doch diese „Zwergschulen“, wie man Pausenhof mitsamt der typischen Neben- sie nannte, wurden vor rund einem hal- gebäude, Geräteschuppen und Toiletten. ben Jahrhundert geschlossen, verkauft, dienen längst anderen Zwecken. Dass es in solcherart Dörfern keine wirklichen Schulen mehr gibt, dafür ste- hen als augenfälligste Zeichen die War- tehäuschen und Wartehallen. Viele erin- nern an Wanderhütten, neuere sind manchmal architektonische Bauwunder. Dorthin eilen am Morgen die Kinder, dort setzt sie mittags wieder der Schul- bus ab. Noch später kommen die Älteren zurück, Realschüler, Gymnasiasten, de- ren Schulweg es häufig verlangt, dass sie zwischendrin die Busse tauschen und umsteigen müssen. Wenn es der Stun- denplan-Teufel so will, müssen biswei- len die Mütter von irgendwo da, wo der Linienbus endet, ihre Töchter und Söhne per Auto nach Haus holen. Ohne die Motorisierung wäre – heutzutag / hier- zuland – der Kindergarten- und Schul- besuch völlig undenkbar. Alter Schulweg von Welchenhausen zur Pfarr-Schule in Lützkampen ( 1815 – 1855 ) Seite 1
Die Bewohner von Welchenhausen sind glücklich und stolz, noch zwei Exempla- re der ehemals drei Schul-Chroniken zu besitzen. Alle folgenden Text-Zitate ( durch Kursiv-Schrift gekennzeichnet! ) sind Auszüge aus der ersten „Chronik der Schule zu Welchenhausen“. Sie sind abschnittsweise unter ein Thema gestellt und erläutert. Die von der jetzigen Or- thographie abweichende Schreibweise wurde belassen... Pfarrschulen, Nebenschulen, Kinder aus Welchenhausen & Stupbach Hilfslehrer, Wandeltisch… an der Schulbus-Wartehalle ( 2007 ) November 1873: Bevor jene „Zwergschulen“ starben, gab es natürlich ebenfalls Orte oder einsam „Das hiesige Schulhaus war die ehema- stehende Gehöfte, die von der nächstgele- lige Vikarius-Wohnung und bestand [ im genen Schule fünf oder acht Kilometer Erdgeschoss ] blos aus 2 Zimmern, Kü- entfernt waren. Und blickt man bis dahin che und Stube, welche letztere zugleich zurück, als das Volksschulwesen erstmals als Schulstube benutzt wurde; denn der hier Einzug hielt, dann ist man im frühen jedesmalige Vikarius hatte auch den 19. Jahrhundert – nirgends sah man ein Schulunterricht zu besorgen. Nachdem Auto, weil noch nicht erfunden; nirgend- jedoch Welchenhausen keinen Vikar wo Schulbusse, welche die Kinder kut- mehr bekam, mussten die Kinder die ei- schierten. Die stapften sommers wie win- ne Stunde entfernte Pfarrschule zu Lütz- ters zur Schule; auf dunklen Waldwegen, kampen besuchen….“ unbefestigten Feldwegen; bei Regen und Wind, Schnee und Gewitter; immer zu Fuß. Gummistiefel gab es noch nicht; Fahrräder, Regencapes ebenso wenig; selbst die Schultornister für Bücher und Hefte waren noch unbekannt. Über jene Zeiten soll hier geredet werden, insbesondere um an die Schulkinder zu erinnern. Damals gehörte unsere Gegend zum Königreich Preußen, und die preußi- schen Lehrer waren verpflichtet, ein „Schul-Buch“ zu führen. Darin wurden Unterrichtsstoffe, Lehrerwechsel, Erlasse, Verfügungen, Schülerzahlen oder Ver- säumnisse fein säuberlich notiert , manch- mal auch spektakuläre Ereignisse: Hoch- wasser, Feuersbrunst, Missernten. So ent- stand nebenbei aus dem amtlichen Schul- Buch auch eine Dorfchronik. Schönschrift-Seite in „Sütterlin“ aus der Seite 2 Lehrer-Chronik von Welchenhausen
1857: „Später bekam Welchenhausen Allerdings wurden die Pfarrbezirke neu eine Nebenschule, welche selbstverständ- geordnet, und das bedeutete beispiels- lich [ nur ] von einem Aspiranten, mit ei- weise für Welchenhausen, dass es dort nem Jahresgehalt von 20 Thalern und keinen „Vikarius“ mehr gab, also den Wandeltisch, verwaltet wurde. So war es Dorfpriester, der werktags die Messe bis in die 50er Jahre [ des ] laufenden las, damit die Bauern nicht ständig den [ 19. ] Jahrhunderts, wo der Grund zu zeitaufwändigen Weg zum oft weit ent- einer selbstständigen, von der Pfarrschu- fernten Pfarr-Ort zurücklegen mussten. le unabhängigen, Schule gelegt wurde, Da Welchenhausen keinen Vikar mehr indem die Gemeinde das alte Vikarius- hatte, mussten die Schulkinder nun nach haus in das jetzige Schulhaus umbaute…“ Lützkampen hinauf, zur „eine Stunde Auf der ersten Seite der Welchenhausener entfernten Pfarrschule“. Das ist freilich Chronik wird – allgemein und in Andeu- nur eine grobe Streckenangabe. Denn tungen – über die ersten ländlichen Schu- der Weg ging fast ständig bergauf, war len berichtet: Deren Entstehung ging von mehr als sechs Kilometer lang. Der den adeligen Landesherren und der Kir- Schulweg folgte dem „Welchenhausener che aus; das war im 18. Jahrhundert. Pfar- Leichenweg“, d. h. jener Route, auf der rer und Ortspriester waren in unseren man die Verstorbenen von tief unten im Dörfern im Grunde die einzigen Studier- Our-Tal zum Kirchhof Lützkampen hin- ten. Sie fungierten als „Lehrer“. Daran aufkarrte. hatten auch die großen politischen Um- Es ging über unbefestigte Wege; die wa- wälzungen zwischen 1795 und 1815 fast ren steinig oder vom Regen ver- nichts geändert. ( Erst gehörte die Westei- schlammt, im Winter lag knöchelhoch fel zu Frankreich; danach zu Preußen. ). Schnee. Was für Schuhwerk hatten die Kinder? Im Sommer natürlich gingen sie Seite 3 barfuß. Welchenhausen mit Kapelle, Vikarie ( dahinter rechts) und dem Schulhaus von 1904 ( links )
Die Mühsal der Kinder … Zur Zeit, als der „Wandeltisch“ herrsch- te, waren das typische Essen der Eifeler Lederschuhe zählten im 19. Jahrhundert Bauern Pellkartoffeln und Quark mit ein zum Luxus; vielfach waren noch Holz- paar Speckkrümeln drüber. Fleisch war schuhe üblich. Man darf annehmen, dass Festtagsessen. Vielleicht aßen sich gei- der Fußmarsch morgens zur Schule viel zige Bauern satt, ehe das hungrige mehr als nur eine Stunde dauerte. Zum „Dorfschulmeisterlein“ zu Tisch kam. Glück war der Heimweg ins Our-Tal hin- Dazumal machte ein Spottlied die Run- unter nicht so beschwerlich, es sei denn, de, unter anderem mit folgender Stro- es schneite und stürmte oder gewitterte. phe: Die Mühsal der Kinder auf ihrem Schul- „Und wenn im Dorfe Hochzeit ist, / dann sieht man, wie der Lümmel frisst./ weg war schließlich der Grund, dass auch Was er nicht frisst, das steckt er ein / Welchenhausen seine eigene Schule be- das arme Dorfschulmeisterlein…!“ kam, eine so genannte „Nebenschule“, im früheren „Haus des Vikars“. Dieses Haus steht noch immer; zwischen der barocken Cornelius-Kapelle und der neuen Bus- Warte-Halle, die Ende des 20. Jahrhun- derts für die Kindergarten- und Schulkin- der erbaut wurde. Darin befindet sich seit 2002 das wahrscheinlich kleinste Kunst- museum der Welt. Einhundert Taler Jahresgehalt; die armen Dorfschul-Meisterlein… Die ersten Schulmeister waren lediglich Hilfslehrer, „Aspiranten“, noch nicht zur Gänze ausgebildete Jung-Lehrer. Ihr Ge- halt war zum Sterben zu viel, zum Leben zu wenig. reichte nicht, eine Familie zu Schul-Kinder aus B-Stoubach um 1920 ernähren. „20 Thaler“ entsprechen nach heutiger Rechnung ca. 200 Euro ( im Sommerschule, Viehhut und Jahr! ). Deshalb gab es – als Zusatz – den vier Wochen Herbstferien... „Wandeltisch“. Das bedeutete: Jeden Tag aß unser Dorflehrer bei einer anderen „August 1874: Zufolge [der] Ministeri- Schülerfamilie, saß mit Eltern und Kin- albestimmung vom 15. Okt. 1872 hörte dern abends am Tisch, ein über den ande- an den meisten Orten die Sommerhalb- ren Tag bei der nächsten Familie, also „im tagsschule auf. Da aber die Eltern die Wandel“. Gäbe es diese Regelung noch größeren Kinder zur Viehhut sehr be- heute, stünde wahrscheinlich ein üppiges dürfen, so wurde der Gemeinde Wel- Mahl auf dem Tisch, um den Lehrer als chenhausen auf ihr Bittgesuch an Kö- Gast zu bewirten. Allerdings wären nicht nigliche Regierung von Hochderselben alle Kinder erfreut. Womöglich müsste [weiterhin] die Sommerhalbtagsschule man sich anders benehmen oder befürch- gestattet... ten, dass dann der Lehrer zuviel über sie Die Ferien 1874 waren: Pfingstferien „aus der Schule plauderte“… vom 12.-17ten Mai, Sommerferien vom 8.-14. Juli; Herbstferien vom 24. Septbr. bis 21. Oktobr. und Weihnachtsferien Seite 4 vom 24. Dezbr. bis 2. Januar...“
Halbtags-Schule, Kartoffel- Ferien, Kinder-Arbeit… In der Regel dauerte der Schulunterricht im Königreich Preußen von morgens acht bis nachmittags vier Uhr, abzüglich einer Stunde Mittagspause. Erst nach dem Ers- ten Weltkrieg wurde der Schultag in Deutschland auf den Vormittag be- schränkt. ( Jetzt diskutiert man auf einmal – „PISA“ lässt grüßen! – die Einführung der „Ganztagsschule“, so wie’s die Schü- lerinnen und Schüler in Frankreich, Russ- land, Amerika oder im Nachbarland Bel- gien immer nur kennen.) Vor rund 140 Jahren gab es ebenfalls „Halbtagsschule“, aber nur für den länd- lichen Raum – in den Sommermonaten. Grund war die Viehwirtschaft, d. h. die Art, wie man diese betrieb. Rinder, Zie- gen, auch Schweine wurden gehütet. Mädchen beim Kühe-Hüten ( 1920/30 ) Weiden, die eingezäunt waren, oder Sta- cheldraht gab es noch nicht; geschweige Die Ferien-Ordnung der Landwirt- elektrisch geladene Drähte. Deshalb trie- schafts- Regionen spricht indirekt vom ben die Kinder das Vieh durch Wiesen Bedarf an Kinderarbeit. Die Sommerfe- und Wälder und führten es abends zum rien dauerten eine, aber die Herbstferien Melken zurück in die Ställe. Diese „Vieh- vier Wochen lang. Das nämlich war ja hut“ war nötig, damit nicht die Tiere die die Zeit der Kartoffel-Ernten. Wahr- Äcker zertrampelten oder vom spärlichen scheinlich schleppten die Kinder auch Getreide fraßen. Winterbrennholz nach Hause; plagten sich, schufteten, machten, was anfiel Die Eifel-Kinder, wie klein sie auch wa- und nötig war. Damals hatten die Dorf- ren, waren als Arbeitskraft nicht zu ent- Kinder nur 56 Ferientage im Jahr ( statt behren; notgedrungen erschienen den El- 80 Tage wie heute ). tern Schule und Bildung weniger wichtig. Daher ihr „Bittgesuch“ um Unterrichts- Die ersten Kunst-Fotografen dokumen- kürzung. Möglicherweise halfen die Kin- tieren das Eifeler Leben circa ab 1920. der gerne mit: beim Viehhüten, Mist- Zeigen die Fotos Kindern von damals, Karren, Heuwenden, Getreideernten. blickt man ganz oft in sehr ernste und Wenn’s ihnen auch auf die Knochen ging. „alte“ Gesichter ( siehe das Foto von A. Theisen: oben ). Ausflüge, Spielplätze Wer mehr wissen möchte, wie das Leben gab’s für sie nicht; nicht diese Massen der Hüte-Kinder war, lese „Die Judenbu- an Spielzeug wie heute; keine Musik- che“, in der die Dichterin Annette von schulen, Fußballclubs, Chancen- Droste-Hülshoff das düstere Schicksal des Erwartungen. Ob für den einen, die an- westfälischen Hütejungen Friedrich Mer- dere die Schule womöglich ein Ruheort gels beschrieb. oder Gegenpol war im Vergleich zu der Welt voller Arbeit, darin sie eingespannt Seite 5 waren, wissen wir nicht...
Gesundheitsstand der Schüler… Unterrichtsjahr 1898/99: „Vom 22. Die folgenden Chronik-Auszüge müssen Dec. bis 3. Febr. fiel der Unterricht nicht eigens kommentiert werden. Anste- aus, da wegen einer ansteckenden ckende Krankheiten waren verheerend; Krankheit eines Kindes aus Stupbach Impfungen gab es nicht. Fielen die Ernten die Schule geschlossen war. Da auch schlecht aus, wurde es katastrophal. der Lehrer erkrankte, so war der Schul- unterricht sehr unregelmäßig. Das klei- Unterrichtsjahr 1894/95: ne feuchte Schulzimmer und die man- „Der Gesundheitsstand der Schüler muß gelhafte Wohnung tragen die Haupt- als ein schlechter bezeichnet werden, da 9 schuld an dieser Erkrankung, wie auch Kinder längere Zeit hindurch als krank der Arzt schon mehrmals erklärte. Ein die Schule nicht besuchten. Am 30. No- Neubau, der auch in allernächster Zeit vember erkrankten 3 ältere Kinder an begonnen wird, ist deshalb notwendig. Diphtherie, woran ein dreizehnjähriges Das Wasser muß mehrere Hundert Me- Mädchen am 4. Dezbr. starb...“ ter weit aus einem offen stehenden Brunnen geschöpft werden…“ Familie Tanten in Welchenhausen ( um 1908/09 ) Das Schuljahr1896/1897 Unterrichtsjahr 1902/1903: hatte 261 Schultage; den 10. April 1896 Mit dem 27. April sind in hiesiger Schu- zählte die Schulklasse 30 Kinder. Es wur- le die Masern ausgebrochen; infolge- den im ganzen 1049 volle Unterrichtstage dessen war der Schulbesuch sehr unre- versäumt, also fehlten im Durchschnitt gelmäßig. In der Zeit bis zum 17. Mai 13% der Kinder. Die größte Schulver- wurde die Schule nur von 3–4 Kindern säumniß war im Februar, wo 22 Kinder besucht. An diesem Tage war der Herr im ganzen 322 ganze Schultage versäum- Kreisarzt hier zwecks Besichtigung der ten...“ erkrankten Kinder..“. Seite 6
Ernten wenig erfreulich; Strafsachen gegen Schüler... Lernmittel aus Schulstiftung… Trier den 15. Oktober 1896: „Immer noch müssen Strafverfahren eingeleitet Unterrichtsjahr 1910/1911: werden gegen Schulkinder, welche „Das Ergebnis der Herbsternte war in durch Zertrümmerung von Isolatoren diesem Jahr ein weniger Erfreuliches. den telegra-fischen Betrieb gefährdet Namentlich ließ die Kartoffelernte, die haben. Dabei hat sich, wie uns die hie- Haupternährungsquelle hiesiger Einwoh- sige Kaiserliche Ober-Post-Direktion ner, viel zu wünschen übrig. Kaum 2/3 mitteilt, bei der Hauptverhandlung in von dem Ertrage aus den Vorjahren konn- dergleichen Strafsachen gegen Schul- te eingeerntet werden...“ kinder herausgestellt, dass diese in der Januar 1889: „Aus der Schulstiftung der Schule nie vor der Ausübung von sol- Pfarrei Lützkampen erhielten unentgelt- chem Mutwillen gewarnt sein sollen.“ lich die nötigen Lernmittel die Kinder von „Wir veranlassen daher die Lehrer be- sieben Familien in Welchenhausen…Es sonders bei den betreffenden Abschnit- fehlen an Schülersachen bei Kindern aus ten des naturkundlichen Unterrichts, Stupbach: bei Lambert H. und Joh. Niko- den Kindern – unter Hinweis auf die laus B. je eine Erste Lesefibel; bei Mar- große Bedeutung dieses Verkehrsmittels garethe E. ein Heft mit einfachen und dito nicht nur für Handel und Wandel, son- mit Doppellinien; bei Bartholomäus E. dern auch für das gemeine Volk z. B. in ein Schönschreibeheft. Auch diese Kinder Zeiten allgemeiner Gefahren – diesbe- bekommen ihre Sachen aus der Schulstif- zügl. Belehrungen zu geben und Mah- tung. Trotzdem haben selbige die Sachen nungen zu teil werden zu lassen. Auch nicht...“ erwarten wir, dass Lehrer und Lehrerinnen allezeit selbst Weshalb diese Kinder ihre nötigen Unter- auf die Jugend in gedachter Hinsicht ein richtsmaterialien nicht hatten und also wachsames Auge haben und etwa zu ih- auch nicht benutzen konnten, darüber rer Kenntnis kommende Streiche in lässt sich nur spekulieren. Natürlich konn- strenger Weise ahnden...“ te man derartige Sachen nicht in Wel- chenhausen oder Lützkampen und wohl Das obige Zitat aus der Welchenhause- auch nicht bei „fliegenden Händlern“ er- ner Schul-Chronik stammt aus einer werben. Musste man für deren Kauf nach amtlichen Verfügung. Diese wurde den St.Vith oder Prüm? Waren die Eltern ge- Lehrern natürlich nicht gedruckt oder als genüber der Schule nachlässig? Waren sie vervielfältigte Kopie zugeschickt, son- ernsthaft verhindert gewesen? Bücher und dern diktiert, wenn sie ein oder zweimal Hefte kosteten wie heute ihr Geld. Darum im Jahr auf einer von der Regierung mussten viele Familien durch die so ge- einberufenen Konferenz zusammentra- nannte „Schulstiftung“ unterstützt werden fen. – in Welchenhausen waren es sieben Kin- Anschließend mussten sie den Text der der, in Stupbach war es so ähnlich. Verfügung pflichtgemäß in ihr Schul- Buch eintragen. Der zitierte Erlass ist Wie wir weiterhin lesen, sprangen weder eher von anekdotischer Bedeutung: Ir- Staat, Kreis noch Kommune ein, sondern gendwo hatten wohl Kinder mit Steinen die Pfarrgemeinde. Das verweist einmal auf „Isolatoren“ gezielt, jene Porzellan- mehr auf die traditionelle Bindung von knöpfe an Telegrafen- und Strommasten Schule und Kirche. Die Pfarrer fungierten – und hatten diese zum Ärger der „Kai- auch als „lokale Schul- serlichen Ober-Post-Direktion“ auch ge- Aufsichtsbehörde“. troffen… Seite 7
Telegrafie, Eisenbahn, Verkehrs- „Petter“ zur 10 km entfernten Bürger- mittel, Mobilität, Moderne… meisterei Leidenborn, um das Neu- geborene standesamtlich anzumelden. Man fühlt sich bei den Steine werfenden Lediglich jene, die in der „Fremde“ Ar- Kindern an jene Prärie-Indianer erinnert, beit suchen wollten ( oder mussten! ), die, als die Bleichgesichter die „singen- nahmen den Zug, kamen aber nur den Drähte“ durch ihr Land legten, die manchmal – vielleicht noch zur Kirmes Telegrafen-Leitungen kappten und dieses – in ihre Dörfer zurück. Als Welchen- moderne „Kommunikations- und Ver- hausen 1904 ein neues, großes, moder- kehrsmittel“ lahm legen wollten. Tatsäch- neres Schulhaus erhielt, wurde das alte lich gehen die Stromleitungen für die „Vikarie“-Haus versteigert. „Meistbie- Welchenhausener Kapelle immer noch tender war – wie es die Chronik festhielt ober-irdisch und unisoliert vom ehemali- – ein Herr Mathias Müller, Berginvali- gen „Vikarius-Haus“ aus und münden – de, wohnhaft zu Essen und gebürtig von wie früher – am Kirchturm in zwei Por- Welchenhausen“... zellan-Isolatoren. Ob oder wie denn der Dorflehrer zu Welchenhausen seine Schü- Kinder schlagen, stoßen, an den ler entsprechend belehrte? Elektrizität Haaren oder Ohren reißen... kam ( von der Stupbacher Mühle! ) zwar früher nach Welchenhausen als in den Februar 1897: Pfarr-Ort Lützkampen, wo die Petro- „Neuerdings mehren sich Fälle, dass leumslampe noch länger regierte. Aber namentlich jüngere Lehrer wegen Über- wo & wann schrillten das erste Telefon, schreitung und Missbrauchs ihres Züch- die erste Motorsäge? Um 1900 war das tigungsrechts gerichtlich belangt und alles hier Utopie. bestraft wurden. Wir nehmen daher Veranlassung, unsere diesbezügl frühe- Die anbrechende „MODERNE“, die sich ren Verfügung in strengste Erinnerung zu Ende des 19. Jahrhunderts in Trier, zu bringen. Lehrpersonen werden nie- Bitburg, Prüm – jenen städtischen Zentren mals zu vergessen haben, dass körperli- des „Handels & Wandels“ – mit Telefon- che Züchtigung das letzte äußerste Mit- verbindungen und Gasbeleuchtung bereits tel der Schulzucht bildet. Nur ein wirk- vorsichtig zeigte, lag damals für die Dörf- lich roher und ehrloser Streich, trotzige ler im Our-Tal noch in unbekannter Fer- und hartnäckige Lüge und dergleichen ne. Das Meiste davon war für die Bauern werden die Anwendung dieser härtesten und deren Kinder schier unbeschreibbar Schulstrafe rechtfertigen.“ und auch durch einen noch so guten „na- „Pädagogische Missgriffe würden es turkundlichen (Physik-)Unterricht“ kaum sein, wenn Schüler zwischen den Bänken zu vermitteln. Dabei lag man – gemessen mit härteren Werkzeugen oder über- an anderen Eifelkreis-Regionen – gar haupt an den Kopf geschlagen würden; nicht so ungünstig. Denn der nächste ebenso, wenn der Lehrer mit der Hand Bahnhof war näher als der Lützkämper oder mit irgend einem Gegenstande Friedhof, stand nur fünf Kilometer ent- nach dem strafbaren Kind stoßen oder fernt in Burg-Reuland. Dort gab es gewiss es gar an den Haaren oder Ohren rei- schon Telegrafen; von dort fuhren Züge ßen sollte. Jeder Fall einer körperlichen ( per Dampflok ) nach Luxemburg, Aa- Züchtigung ist sorgsam im Wochenbuch chen und über Bleialf bis Gerolstein, zu vermerken...“ Trier usw. Doch das Hauptverkehrsmittel Auch diese Verfügung, die sich per waren hier immer noch die Füße. Kam ein Handschrift des Lehrers in der Wel- Neugebornes zur Welt, wanderten Vater chenhausener Chronik befindet, ist er- Seite 8 klärenswert.
Strafsachen gegen schlagende Jedenfalls war Z. ein Lehrer, der im Ge- Lehrer… dächtnis der Kinder von damals immer noch weiterlebt; leider als einer der ( Über „Missbrauch als körperliche Gewalt wenigen ) schlechteren Lehrer. gegen Kinder“ war in letzter Zeit in den Medien eine Menge zu lesen. Sicher erin- Gewaltige Schneemassen; nern sich viele der älteren Leser sehr gut Weg fortgerissen: für ein oder schmerzhaft daran, wie oft und wie Schuljahr zurückgestellt... grässlich und schlimm in ihren Schulen geschlagen, gekniffen, ja geprügelt wurde Schuljahr 1894/1895: „Die Schulklasse – also im 20. Jahrhundert. zählte beim Beginn des Unterrichtsjah- Demgegenüber erscheint, was hier den res 31 Kinder; davon waren 10 Schüler preußischen Dorflehrern – sehr detail- aus Stupbach und 4 aus Diepert (Ge- liert, streng und ausführlich! – 1897 „ein- meinde Heckhuscheid), also 14 auswär- gebläut“ wird, einer höchst fortschrittli- tige und 17 einheimische Kinder, bezw. chen Pädagogik entsprungen zu sein. Mit 21 Knaben u. 10 Mädchen. 4 Kinder Erstaunen entnimmt man der Chronik, wurden neu aufgenommen...“ dass Lehrer im fernen Kaiserreich wegen 1895: „Im letzten Februar wurde auf solcherart Übergriffe von den Gerichten dieser Seite der Weg unterhalb Stupbach belangt und bestraft wurden. ganz fortgerissen infolge des Hochwas- Der vorletzte Lehrer in Welchenhausen sers. Jetzt [ 1896 ] trat nach Neujahr ein hat diesen Eintrag in der Schul-Chronik äußerst strenger Winter mit gewaltigen ebenfalls gelesen, aber wohl nicht akzep- Schneemassen ein, dauernd bis Mitte tiert. Dieser Schulmeister Z. unterrichtete des März. Infolgedessen alle auswärti- die Kinder aus Welchenhausen und Stup- gen Schulkinder mit nur geringer Un- bach zwei Jahrzehnte lang ( 1924-1944 ), terbrechung die Schule vom 2. Januar kontrollierte, kommandierte, indoktrinier- bis zum 15. März nicht besuchten...“ te sie, schlug und verfolgte sie. Wer nach Ostern 1897: „Infolge ihrer großen 1933 als Kind – Z. war da längst schon Schulversäumnisse im Winter hatten die Nazi! – am Schulhaus vorbeikam und auswärtigen Schüler das gesteckte Un- nicht sogleich „Heil Hitler, Herr Lehrer!“ terrichtsziel nur schwach und unsicher hinauf rief, wenn der Pauker Z. am Fens- erreicht. Zwei Auswärtige wurden we- ter stand, der erlebte am nächsten Tag vor gen schwacher Gesundheit und wegen versammelter Mannschaft sein blaues eines weiten beschwerlichen Weges für Wunder. Bis heute erzählen ehemalige ein Jahr vom Schulbesuch zurückge- Schülerinnen und Schüler, die unter Z. stellt...“ lernten und litten, voller Zorn über ihn. Diese Sätze der Chronik klingen nach Im Übrigen war Lehrer Z. ein Chronist, nüchterner Schul-Statistik plus Wetter- der sein Schul-Buch fleißig und eifrig berichten. Aber dahinter verbirgt sich führte und füllte. Diese Chronik ist jedoch der beschwerliche Alltag vieler damali- verschwunden; wahrscheinlich hat sie der ger Schulkinder. Im Vergleich zu den Steißtrommler Z. im Herbst 1944 ver- „Auswärtigen“ waren die „Einheimi- brannt, als amerikanische Truppen sieg- schen“, die aus Welchenhausen Stam- reich auf Welchenhausen vorrückten. Jäh menden, noch relativ gut dran, weil sie zum Angsthasen mutiert, fürchtete Z. am Schulort wohnten. Die Kinder aus wohl, dass man ihm – wegen der Inhalte Stupbach hatten dagegen einen Schul- und Äußerungen in dieser Chronik – dar- weg von drei Kilometern, hin und zu- aus einen Strick drehen könnte. rück sechs Kilometer; und gar erst die Seite 9 Kinder aus dem entlegenen „Diepert“…
Dieses Foto stammt aus dem Frühjahr 1955. Es zeigt Jakob Jakoby aus Welchen- hausen und die Tochter des Zöllners Broda, dessen Familie bei Jakobys wohnte. – JAKOB JAKOBY, zuletzt Ortsvorsteher von Welchenhausen, verstarb im Dezember 2010. Sowohl für das Dorf als auch für unser MUSEUM leistete er unendlich viel; wichtige Informationen und historische Aufnahmen zu diesem Artikel stammen ebenfalls von ihm. ( Foto: H. Broda )
Weite Wege; schlechte Schuhe; „Ostern 1897“: oft schlechte Zeugnisse… Zu Ostern endete damals das Schuljahr, Den weitesten Schulweg hatten die Kin- wurden Noten und Zeugnisse verteilt, der aus Diepert, jenem einsam im Wald wurden die „Acht-Kläss-ler“ in einer ( öf- gelegenen Gehöft, später auch Gastwirt- fentlichen! ) Abschlussprüfung exami- schaft, an der Straße Lützkampen – Burg- niert und „ins Leben“ entlassen. Mit Reuland. Deren Fußmarsch war beson- Verwunderung und Mitleid entnimmt ders schwierig; er betrug fast dieselbe man der Chronik die Mitteilung, dass Strecke, welche die Welchenhausener einige Kinder „zurückgestellt“ werden Kinder zurücklegen mussten, als sie noch mussten. Es sind Sechsjährige, mögli- die Pfarrschule Lützkampen besuchten. cherweise aus Diepert. Deren schlechte An zwei Stellen – dort, wo der Our-Fluss gesundheitliche Konstitution ist der eine gegen die steilen Prallhänge schlug – Grund, dass sie erst ein Jahr später zur mussten die „Auswärtigen“ den relativ Schule kommen dürfen. Der zweite bequemen Talweg verlassen und über Grund ist der „weite beschwerliche schmale Pfade hinauf und wieder bergab. (Schul-) Weg“, für den diese Kinder Darunter waren auch Sechs- oder Sieben- noch zu klein und zu schwach sind und jährige, und die Wege oft glitschig und der ihre Gesundheit womöglich noch das Schuhwerk meist schlecht. Wie viel mehr belasten und schädigen könnte. das Wetter bedeutete, beschreibt die Chronik nur in knappen und trockenen 1895 stehen unsere „Zwerg-Schulen“ Halbsätzen. Mal – liest man – hat das freilich überall – so wie die Schule in Hochwasser den Verbindungsweg zwi- Welchenhausen – in kräftigster Blüte. schen Stupbach und Welchenhausen Das Klassenzimmer im ehemaligen Vi- „ganz fortgerissen“. Um die Schule zu er- kar-Haus wird von 31 Schülerinnen & reichen, hatten die Kinder dann seitwärts Schüler bevölkert. Das enge Unterrichts- über den Berg einen anstrengenden Um- raum maß drei mal sechs Meter. Rech- weg einschlagen müssen. net man den Platz für den Lehrer samt Tafel und Pult, den Raum für den Ofen Bis Ende des Ersten Weltkriegs wurden und den Gang neben den Bänken mit auch die am westlichen Our-Ufer gelege- ein, ergibt das weniger als 0,5 Quadrat- nen Ortschaften in Welchenhausen schu- meter pro Schüler. In manchen Jahren lisch versorgt; das waren Oberhausen und betrugen die Schülerzahlen oft auch 35 Stoubach, die 1920 zu Belgien kamen. oder gar 40 Kinder. Einen Pausenhof Am Jahresbeginn 1895 / 1896 / 1897 besaß die erste Welchenhausener Dorf- ist es wegen „gewaltiger Schneemassen“ schule nicht. Die Toilette war ein für alle „Auswärtigen“ unmöglich, den Plumps-Clo im Stall. Unterricht zu besuchen; und das zum Teil zweieinhalb Monate, ganze zehn Wochen Neue Schulhäuser nach 1900; lang. Wir wissen nicht, ob diese Art letzte Blüte nach 1945… „Schulfrei“ den Kindern gefallen hat. Die Um 1900 erhalten viele Dörfer neue Folgen jedenfalls waren nicht lustig; denn Schulgebäude. Im Oktober 1904 wird in all diese Schüler konnten die „gesteckten Welchenhausen das zweite, viel größere Unterrichtsziele nur schwach und unsi- Schulhaus feierlich eingeweiht – erbaut cher“ erreichen. Die Datumsangabe zu mit finanziellen „Beihilfen Seiner Ma- dieser Bemerkung des Lehrers lautet jestät des Kaisers und Königs“, vor al- lem jedoch durch die Arbeit ( = Eigen- __________________________________________ leistung! ) der Welchenhausener & Stup- bacher Bürger… Seite 11
Welchenhausen vor 100 Jahren: Ostern 1910 34 Schülerinnen und Schüler sowie der Lehrer WERNER mit Hund und Melone. Das eindrucksvolle, geräumige Schul- Mit der Schließung der Welchen- Gebäude von 1904 dominiert von der hausener Schule und dem Wechsel Talseite aus immer noch das Pano- nach Lützkampen setzte auch jener rama von Welchenhausen. Nach dem motorisierte Pendelverkehr und 2. Weltkrieg hatten die kleinen Dorf- Schülertransport ein, der bis heute Schulen rund um das Dreiländereck den Alltag der Schulkinder auf dem noch einmal „Hochkonjunktur“, was Land – wie selbstverständlich – be- die Schülerzahlen betraf. Flüchtlings- gleitet. Die ehemaligen Schüler aus und Zöllnerfamilien wohnten mit ihren Welchenhausen, die als erste vom Kindern in den Grenzdörfern, so auch Tal wieder auf den Berg hinauf in Welchenhausen und Stupbach. Ab mussten, brauchten nun nicht mehr Ende der 1950er Jahren ebbten die zu Fuß zur Schule zu laufen. Sie er- Schülerzahlen ab. Schließlich wurde – innern sich immer noch lebhaft dar- wie in Sevenig, Leidenborn usw. – an, dass sie ein Kleinbus abholte auch diese „Zwergschule“ für immer und wieder zurückfuhr; weil aber die geschlossen und das Gebäude von Zahl der Kinder damals noch groß der (damals noch selbstständigen) und die Kleinbusse schmal oder Gemeinde Welchenhausen verkauft. klein waren, hatte der Platz nicht ge- Ab 1963/64 hieß der Schulort für die reicht. Deshalb saß ein Drittel der Kinder aus dem Our-Tal wieder Lütz- Schüler auf leeren Weinkisten, wel- kampen. Dabei ist es bis heute – zu- che der findige Transportunterneh- mindest für die Grundschul-Kinder – mer zusätzlich zwischen die Bänke geblieben. platziert hatte... Seite 12 Winter-Ausstellung 2011 der ARTE-HALLE: „Kleine Füsse, schlechte Schuhe, weite Wege –
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