Klimafolgen und Klimaanpassungsoptionen in der Landwirtschaft in Deutschland - ein Überblick

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Einleitung

( Schwerpunkt »Welt im Fieber – Klima & Wandel«

Klimafolgen und Klimaanpassungsoptionen
in der Landwirtschaft in Deutschland – ein Überblick
von Claudia Heidecke, Cathleen Frühauf, Sandra Krengel-Horney
und Mareike Söder

                  Der Klimawandel hat bereits in den letzten Jahren deutlich die Nahrungsmittelproduktion und
                  die Ernährungssicherheit weltweit beeinträchtigt, insbesondere aufgrund von Erwärmung, sich
                  ändernder Niederschlagsmuster und einer höheren Häufigkeit extremer Wetterereignisse.1 Damit
                  steht die Landwirtschaft nicht nur vor der Herausforderung, einen Beitrag zur Reduzierung von
                  Treibhausgasen zu leisten, sondern auch, sich an verändernde Klimabedingungen anzupassen. Der
                  vorliegende Beitrag gibt einen Überblick über die Entwicklungen von für die hiesige landwirtschaft-
                  liche Produktion relevanten Wetterereignissen und klimatischen Bedingungen in Deutschland, ver-
                  deutlicht die Wahrnehmung und die Bedeutung des Klimawandels für deutsche landwirtschaftliche
                  Betriebe und fasst einige wichtige Anpassungsmöglichkeiten zusammen.

Der globale Klimawandel ist auch in Europa spürbar         Klimawandel und Landwirtschaft
und wirkt sich – nicht erst in ferner Zukunft – bereits
heute in vielerlei Hinsicht auf die landwirtschaftliche    Das bisher wärmste in Deutschland beobachtete Jahr
Produktion aus. In einigen Regionen der Welt, insbe-       seit dem Beginn regelmäßiger Aufzeichnungen im Jahr
sondere in niedrigen Breiten, sind landwirtschaftliche     1881 war mit einer Mitteltemperatur von 10,5 Grad Cel-
Erträge mancher Kulturen bereits negativ beeinflusst       sius das Jahr 2018. Insgesamt war jedes der letzten drei
worden, während in Regionen höherer Breiten land-          Jahrzehnte wärmer als jedes beliebige vorangegangene
wirtschaftliche Erträge durch steigende Temperatu-         Jahrzehnt seit Beginn der Messungen. Die Ergebnisse
ren und höhere CO2-Konzentrationen zum Teil auch           von Klimaprojektionen im Fünften Sachstandsbericht
steigen können, wie auch die Europäische Umwelt-           des Weltklimarats4 lassen einen weiteren Anstieg der
agentur aufzeigen konnte.2                                 globalen Mitteltemperatur bis zum Ende des 21. Jahr-
   In Deutschland hat insbesondere das trockene und        hunderts erwarten. Neun der zehn wärmsten Jahre in
heiße Jahr 2018, welches das wärmste Jahr seit 1881        Deutschland wurden nach dem Jahr 2000 beobachtet.
war, die Vulnerabilität der Landwirtschaft gegenüber       Über die Jahre gesehen stiegen die Anzahl der heißen
dem Klimawandel verdeutlicht. Daten aus der Ern-           Tage und Tropennächte pro Jahr kontinuierlich an.
testatistik zeigen, dass die Hektarerträge bei Getreide    Zudem wird eine Umverteilung der Niederschläge
(ohne Körnermais) 2018 um 16 Prozent unter dem             innerhalb des Jahres beobachtet: zunehmend trocke-
dreijährigen Mittel der Vorjahre lagen (mit erheb-         ne Sommer mit zahlreichen konvektiven Ereignissen
lichen regionalen Unterschieden) und dadurch ein           und eine deutliche Zunahme der Niederschläge in den
Schaden von rund 770 Millionen Euro entstanden ist.3       Wintermonaten.5 Dies sind nur einige Phänomene,
   Im Folgenden stellen wir die für die Landwirt-          die darauf hindeuten, dass sich innerhalb des Klima-
schaft in Deutschland relevanten Wetterereignisse          systems Veränderungen abspielen, die Deutschland
und klimatischen Bedingungen dar und zeigen ne-            und die deutsche Landwirtschaft betreffen.
ben den aktuellen und zu erwartenden Auswirkun-
gen des globalen Klimawandels auf die Betriebe Op-         Temperatur
tionen auf, wie sich die Betriebe an die sich verän-       Von 1881 bis 2019 ist das Jahresmittel der Lufttempera-
dernden klimatischen Rahmenbedingungen besser              tur für Deutschland um 1,6 Grad Celsius angestiegen.6
anpassen können.                                           Basierend auf den vorliegenden Klimaprojektionen

                                                                                                                   13
Der kritische Agrarbericht 2021

ist zukünftig mit einer weiter ansteigenden mittleren                 Die Entwicklung für das Frühjahr sind noch unsicher,
Lufttemperatur zu rechnen. Die vorliegenden Klima-                    da die Beobachtungen der letzten Jahre einen Rück-
projektionen zeigen für das Weiter-wie-bisher-Szena-                  gang zeigen, während die Klimamodelle von einer
rio (RCP8.5) einen Anstieg in Deutschland von plus                    leichten Zunahme ausgehen.8 Außerdem ist zukünftig
3,1 bis plus 4,7 Grad Celsius zum Vergleichszeitraum                  mit häufigeren und intensiveren Starkniederschlägen
1971 bis 2000 für die ferne Zukunft (2071 bis 2100).                  zu rechnen.
Das Szenario einer konsequenten Umsetzung von
weltweiten Klimaschutzmaßnahmen (RCP2.6) kann                         Kohlendioxid (CO2)
den Anstieg auf plus 0,9 bis plus 1,6 Grad Celsius be-                Der anthropogene Treibhauseffekt wird durch die
grenzen. Besonders deutliche Zunahmen sind im Auf-                    Emission von Treibhausgasen in die Atmosphäre
treten extrem hoher Temperaturen und Hitzewellen                      verursacht. Mit der zunehmenden Konzentration der
zu erwarten, während Frostereignisse voraussichtlich                  Treibhausgase in der Atmosphäre verbleibt mehr Wär-
seltener auftreten. In den meisten Regionen ist mit                   me und damit auch zusätzliche Energie in der Atmo-
einem weiteren sichtbaren Anstieg von Sommerta-                       sphäre. Dieser Prozess erhöht den Energiegewinn der
gen, heißen Tagen und Tropennächten zu rechnen.                       Erdoberfläche und führt zu deren weiterer Erwärmung.
Dagegen wird die Anzahl an Frost- und Eistagen in                        Aktuell erreicht die atmosphärische Konzentra­tion
allen Regionen, wie bereits in den letzten Jahrzehnten,               von CO2 beispielsweise den höchsten Wert in den
weiter zurückgehen.                                                   letzten 800.000 Jahren und auch die anderen Treib­
                                                                      hausgase erreichen Konzentrationen, wie sie in dieser
Niederschlag                                                          Zeitspanne nicht beobachtet wurden.9 Die atmosphä-
Der Niederschlag unterliegt sehr starken räumlichen                   rische Konzentration von CO2 lag nach Angaben der
und zeitlichen Schwankungen. Deutschlandweit hat                      amerikanischen Wetter- und Ozeanografiebehörde
die jährliche Niederschlagshöhe seit 1881 um 74 Milli-                NOAA im September 2020 bei einem neuen Rekord-
meter bzw. neun Prozent relativ zur Referenzperiode                   wert von 411,3 parts per million (ppm).10 Die Messun-
1961 bis 1990 zugenommen, wobei sich dieser Anstieg                   gen am Mauna Loa Observatorium auf Hawaii zeigen
zum größten Teil durch die Zunahme der Winternie-                     über den Messzeitraum seit 1959 eine immer schnellere
derschläge erklären lässt.7 Zukünftig nehmen die Nie-                 Zunahme der CO2-Konzentration, die aktuell bei etwas
derschlagssummen im Mittel voraussichtlich leicht                     über 2,4 ppm pro Jahr (Mittelwert 2010 bis 2019) liegt.
zu – insbesondere im Winter, während im Sommer                           Die steigende CO2-Konzentration beeinflusst das
zukünftig auch Niederschlagsabnahmen möglich sind.                    Wachstum und die Entwicklung von Pflanzen. Zu

     Abb. 1: Anzahl der Tage mit Bodenfeuchten unter 50 Prozent nutzbarer Feldkapazität
     im Zeitraum 1. März bis 30. Juni für Winterweizen*

* Referenzperiode (1971 bis 2000) und Szenario RCP8.5 (2031 bis 2060 und 2071 bis 2100), Modell AMBAV, Böden BÜK1000.11

14
Einleitung

nennen ist hier zum einen der CO2-Düngeeffekt, der                derschläge ab, verschärft dies die Situation zusätzlich.
unter optimalen Bedingungen zu einem stärkeren                    Die Wahrscheinlichkeit für Starkregen nimmt zu. Fällt
Wachstum führen kann, und zum anderen die bes-                    dieser auf trockenen Boden, geht ein großer Teil durch
sere Wasserausnutzungseffizienz. Durch die damit                  Oberflächenabfluss verloren und steht den Pflanzen
verbundene geringere Abgabe von Wasser durch die                  damit nicht zur Verfügung und führt gleichzeitig auch
Verdunstung führt dies aber gleichzeitig zu einer Zu-             zu Bodenerosion. Modellierungen zur Abschätzung
nahme der Blattoberflächentemperatur (fehlende Ver-               der zu erwartenden Änderungen der Bodenfeuchte
dunstungskühlung).                                                wurden für das Szenario RCP8.5 durchgeführt. Abbil-
                                                                  dung 1 zeigt, wie häufig im Zeitraum März bis Juni in
Extremwetter                                                      der Referenzperiode (1971 bis 2000) und in der nahen
Die globale Erwärmung schreitet auch in Zukunft                   und fernen Zukunft (2031 bis 2060 bzw. 2071 bis 2100)
weiter fort und damit ändern sich auch die klimatolo­             der Schwellenwert von 50 Prozent der nutzbaren Feld-
gischen Gegebenheiten in Deutschland. Neben der                   kapazität (nFK) unterschritten wird.
Veränderung der Mittelwerte ist dabei insbesondere
auch mit dem vermehrten Auftreten von Extremwet-                  Auswirkung auf Erträge
terereignissen und -lagen zu rechnen. Der Jahrhun-                Die direkten Auswirkungen des Klimawandels auf die
dertsommer 2003 wird in Zukunft zu einem durch-                   Erträge in Deutschland sind nicht eindeutig vorherzu-
schnittlichen Ereignis werden.12 Bei den Starknieder-             sagen. Nach Simulationen und Auswertungen der Eu-
schlägen nehmen besonders seltene Extremereignisse                ropäischen Umweltagentur14 sind die Auswirkungen
– relativ gesehen – stärker zu als weniger extreme                für die zentralen und nördlichen europäischen Regi-
Ereignisse. Es wird bereits in den Beobachtungen der              onen weniger eindeutig und können sich von Region
letzten Jahre sichtbar, dass sich ein immer größerer              zu Region stark unterscheiden. Abbildung 2 zeigt die
Anteil am Gesamtniederschlag auf wenige nieder-                   Ertragsentwicklung der wichtigsten Getreidesorten in
schlagsreiche Tage konzentriert.                                  den letzten 20 Jahren in Deutschland. Die trockenen
                                                                  Jahre 2003 und 2018 sind deutlich in verringerten Er-
Auswirkungen auf die Landwirtschaft                               trägen zu sehen, jedoch unterschiedlich zwischen den
                                                                  Sorten (hier insbesondere zwischen Sommerungen
Verschiebung von Vegetationsperioden                              und Wintersorten).
Die Temperatur steuert viele Prozesse in den Pflanzen.               Um spezifischer die Auswirkungen von klima-
Durch den Klimawandel und die damit steigenden                    tischen Veränderungen auf Erträge der deutschen
Temperaturen verschieben sich die Entwicklungs-                   Landwirtschaft abzuleiten, wurden für Winterweizen15
phasen der Pflanzen. Phänologische Beobachtungen                  und für Weizen, Gerste, Raps, Körnermais, Kartoffeln
zeigen bereits jetzt einen früheren Vegetationsbeginn.            und Zuckerrüben16 auf Basis historischer Ertragsent-
Dies hat zur Folge, dass empfindliche Pflanzenpha-                wicklungen die Wirkung von extremen Wetterereig-
sen früher im Jahr auftreten und gleichzeitig, obwohl             nissen auf Erträge regional und national geschätzt.
die Winter milder werden, die Spätfrostgefährdung                 Hierfür wurde die regionale Extremwetterhäufigkeit
zunehmen kann. Ein weiterer Effekt durch die stei-                des Zeitraums 1961 bis 2015 zugrunde gelegt. Nach
genden Temperaturen ist, dass
die einzelnen Entwicklungspha-
sen schneller durchlaufen werden.        Abb. 2: Landwirtschaftliche Erträge einiger Getreidesorten zwischen
Dies kann z. B. beim Getreide zu         2000 und 2019 in Dezitonnen je Hektar (dt/ha).17
einer Verkürzung der Kornfül-
lungsphase führen und den Ertrag             ,
beeinflussen.13                               ,
                                                ,
Auswirkung auf Bodenfeuchte                     ,
Der frühere Vegetationsbeginn                   ,
                                        dt/ha

und die höheren Temperaturen                    ,
                                                ,
innerhalb der Vegetationsperio-
                                                ,
de erhöhen den Wasserverbrauch                                                  Getreide                       Winterweizen
                                                ,
der Pflanzen. Selbst wenn die Nie-                                              Wintergerste                   Sommergerste
                                                ,
derschlagsmengen gleichbleiben,                  ,
führt die höhere Verdunstung zu
                                                   

                                                                                               
                                                                                

                                                                                          
                                                                  
                                                                           
                                                             

                                                                                     
                                                                  
                                                        

                                                                                               

                                                                                                                             

                                                                                                                                       
                                                                                                                                                 
                                                                                                                   
                                                                                                         

                                                                                                                                       
                                                                                                                   

                                                                                                                             
                                                                                                         

einer Verringerung der Boden-
                                                  
                                                       
                                                            
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                                                                                     
                                                                                          
                                                                                               
                                                                                                    
                                                                                                         
                                                                                                              
                                                                                                                   
                                                                                                                        
                                                                                                                             
                                                                                                                                  
                                                                                                                                       
                                                                                                                                            
                                                                                                                                                 

feuchte. Nehmen die Sommernie-

                                                                                                                                                        15
Der kritische Agrarbericht 2021

                                                                                                                                                                                    denn nicht nur die Schadorganis-
     Abb. 3: Praktikerbefragung (n=143) zum Schadpotenzial                                                                                                                          men selbst sind betroffen, sondern
     aufgetretener Extremwetterereignisse und -lagen im Ackerbau *                                                                                                                  ebenfalls ihre als Nützlinge be-
                                                                                                                                                                                    zeichneten Gegenspieler.23 Durch
                                                                                  < =                   –                           –                   > =       extreme Niederschlagsereignisse
                                                                                                                                                                                  oder längere Trockenperioden
                                                                                                                                                                                  können auch Bodenerosion, Nähr-
                                                                                                                                                                                    stoffauswaschung sowie Verlust an
     Anzahl Nennungen

                        
                                                                                                                                                                                  biologischer Vielfalt – inklusiver
                        
                                                                                                                                                                                    Agrobiodiversität – zunehmen.24
                        
                                                                                                                                                                                  Optionen für
                                                                                                                                                                                  Klimaanpassungen
                                                                                       Insgesamt kann sich die Land-
                                       l                         eit
                                  ge       Hit
                                                 ze                                en
                                                                                                eg
                                                                                                     en                 os t           f ro
                                                                                                                                              st            os t
                                                                                                                                                                 /          r   m
                             Ha                             nh              re g                                 t fr
                                                                                        wirtschaft mit einer Vielzahl an
                                                                                           rr                                      h                   r f r f ros t    Stu
                                                     c ke          Sta
                                                                       rk               ue                Sp
                                                                                                             ä
                                                                                                                               Frü               n t e      l
                                      Da         Tro                                    kurz- bis langfristig umsetzbaren                     W i K ah
                                                                                        Optionen an den Klimawandel an-
* (Verbundprojekt EMRA, Befragungszeitraum 30. Januar bis 14. August 2018).18           passen, sowohl an durchschnittli-
                                                                                        che Klimaveränderungen als auch
den Ergebnissen des Thünen-Instituts19 führen Kahl- an extreme Wetterereignisse. Die Wirksamkeit und
frostextremereignisse sowie Trockenheit und Dürre Umsetzbarkeit hängen dabei, wie bereits für die Be-
zu den größten Ertragsverlusten von Winterweizen troffenheit aufgeführt, von vielen Faktoren ab. Die
in den letzten Jahrzehnten. Die Situation bei Winter- Herausforderung in der Anpassung an sich verän-
gerste stellt sich insgesamt ähnlich dar. In der Kartof- dernde klimatische Bedingungen liegt vor allem in der
felproduktion verursachte extreme Sommertrocken- steigenden Variabilität der Bedingungen und damit
heit die größten Ertragseinbußen für Betriebe ohne steigenden Unsicherheiten für die Landwirtschaft.25
Bewässerung, gefolgt von Spätfrösten und Staunässe. In Bezug auf Klimaanpassungsoptionen kann man
Am Beispiel von Äpfeln konnte in einer anderen Stu- zwischen Ex-ante- und Ex-post-Anpassungsmaßnah-
die 20 gezeigt werden, dass neben mengenmäßigen Er- men unterscheiden.26 Ex-ante-Maßnahmen dienen
tragsverlusten, auch mit qualitativen Ertragsverlusten dazu, Auswirkungen des Klimawandels auf die land-
durch extreme Temperaturen zu rechnen ist.                           wirtschaftliche Produktion und Erträge abzumildern
    Des Weiteren wurde in einem vom Bundesministe- oder zu vermeiden, z. B. durch die Verwendung von
rium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) ge- angepassten Sorten oder veränderte Produktions-
förderten Verbundprojekt21 eine Onlinebefragung zur techniken. Auch Maßnahmen zur Risikostreuung,
Betroffenheit durch Extremwetterlagen, von denen in etwa durch die Diversifizierung der Fruchtfolgen
vielen Fällen ein besonders hohes Schadensrisiko aus- werden unter ex-ante-Maßnahmen subsumiert.27
geht, durchgeführt. Die deutschlandweite Auswertung Ex-post-Maßnahmen sollen bereits eingetretene Aus-
ergab, dass von insgesamt neun abgefragten Extrem- wirkungen auffangen, etwa durch die Kompensation
wetterereignissen und -lagen im Ackerbau, Trocken- von Ertragsausfällen. Darüber hinaus kann man die
heit, Hitze und Starkregen in den letzten Jahren das Akteure und räumliche Ebene der Anpassungsopti-
höchste Potenzial für Ertrags- und Qualitätsverluste onen unterscheiden, angefangen von betrieblichen
hatten (Top 3). Abbildung 3 zeigt das von der jeweils Anpassungsmöglichkeiten, über marktbasierte oder
betrachtenden Wetterlage abhängige, in den befragten finanzielle Anpassungsoptionen und regionale und
Betrieben aufgetretene Schadpotenzial.                               überregionale Maßnahmen. – Im Folgenden werden
                                                                     einige betriebliche Anpassungsmöglichkeiten sowie
Weitere Auswirkungen                                                 regionale und überregionale Maßnahmen vorgestellt.
Neben den direkten Auswirkungen auf die Vegeta­
tionsperiode, die Bodenfeuchte und den Ertrag kön- Betriebliche Anpassung der Produktionssysteme
nen auch weitere Folgen für die Landwirtschaft durch
die klimatischen Veränderungen entstehen. Die Rele- Durch eine Anpassung von Produktionssystemen
vanz bereits etablierter Krankheiten, Schädlinge und können landwirtschaftliche Betriebe potenziellen phy-
Unkräuter sowie Schadnager kann sich verändern/ sischen Ertrags- und Qualitätsverlusten vorbeugen,
verschieben und neue Arten können sich etablieren.22 aber auch den ökomischen Schaden durch z. B. Di-
Eine Quantifizierung der Auswirkungen ist schwierig, versifizierung oder Versicherungen begrenzen. Dabei

16
Einleitung

spielen bei der Wahl von Maßnahmen die Betriebs-             nung des Europäischen Parlaments vom 7. April 2020
strukturen, die angebauten Kulturen, standortspezi-          die Wasserwiederverwendung in der Landwirtschaft.
fische Auswirkung des Klimawandels sowie weitere             Zukünftig wird in Deutschland ein integriertes, nach-
regionale Voraussetzungen eine Rolle.28 Darüber hi-          haltiges und über die Sektoren abgestimmtes Wasser-
naus kann der institutionelle Rahmen die betriebliche        management notwendiger werden, um die verstärkte
Anpassung fördern oder behindern.                            Wassernachfrage, sich abzeichnende Zielkonflikte
   Regionalspezifische Lösungen werden unter an-             und schwankende Wasserangebote zu meistern.
derem in Forschungsprojekten wie z. B. im Projekt
der Bodenseestiftung AgriAdapt29 oder im Projekt             Finanzielle und regionale/überregionale Maßnahmen
EMRA30 erarbeitet, aber auch durch die Beratung der          Prinzipiell gehört Risikomanagement zu den Kernauf-
Länder untersucht und in die Praxis kommuniziert.            gaben eines jeden Unternehmens. Je stärker der Staat
In der Agenda Klimaanpassung des BMEL31 werden               allerdings mit öffentlichen Finanzmitteln finanzielle
die unterschiedlichen Ebenen, Maßnahmen und Mög-             Schäden der Landwirte begleicht, desto mehr wird die
lichkeiten der Bundesländer in Deutschland sichtbar,         Umsetzung vorbeugender Anpassungsmaßnahmen
Anpassungen der Landwirte zu unterstützen.                   gehemmt. Nach der OECD sollte sich die Rolle staat-
                                                             lichen Handelns für eine wirksame Anpassungspoli-
Anpassung durch Züchtungsfortschritt                         tik zur Stärkung der landwirtschaftlichen Resilienz im
Zu den überbetrieblichen Ex-ante-Anpassungsmaß-              Kontext multipler Risiken auf extreme, unregelmäßi-
nahmen zählt auch die Pflanzenzucht und Züch-                ge und katastrophale Ereignisse, welche signifikanten
tungsforschung zur Bereitstellung leistungsfähiger           Schaden für alle oder zumindest sehr viele Landwirte
und resistenter Kulturpflanzenarten und -sorten. Der         bedeuten und deren Regulierung außerhalb der Kapa-
Bereich ist jedoch sehr komplex und kann hier nicht          zitätsgrenzen der Landwirte und Märkte liegen, kon-
detailliert vorgestellt und diskutiert werden. In der bis-   zentrieren.36 Dabei sollte der Staat weiterhin Anreize
herigen Forschung ist jedoch deutlich geworden, dass         setzen, um normale Betriebsrisiken zu bewältigen und
es erforderlich sein wird, die Physiologie der Ertrags-      in das Risikomanagement zu investieren.
bildung und -stabilität in ihrer gesamten Breite im
Blick zu behalten.32 Dabei ist neben der Erforschung         Fazit
von Genvarianten auch in Zukunft die Bereitstellung
von genetisch reichhaltigen Genpools entscheidend.           Dieser Beitrag lieferte einen Überblick über die wich-
                                                             tigsten Aspekte für den Bereich Klimafolgen und
Wassermanagement                                             Klimaanpassung in der Landwirtschaft, die jeweils
Ein effizientes Wassermanagement in der Landwirt-            separat ausführlicher diskutiert werden könnten. Es
schaft ermöglicht nicht nur, Trockenheit, also zu we-        wird deutlich, dass insbesondere extreme Wetterlagen
nig Wasser, zu bewältigen, sondern auch zu viel Was-         zunehmen werden. Diese können zum Teil erhebliche
ser z. B. durch Starkniederschlagsereignisse. Effiziente     negative Auswirkungen auf die Landwirtschaft und
Wassermanagementlösungen können zum einen auf                landwirtschaftliche Erträge und Erntequalitäten ha-
den landwirtschaftlichen Betrieben umgesetzt werden.         ben. Die durchschnittliche Veränderung von Klima-
Hier spielen beispielsweise effiziente und wasser- und       verhältnissen kann sich hingegen positiv oder negativ
energiesparende Bewässerungssysteme, ein effizientes         auswirken, je nach Region, Frucht und Betriebsform.
Management von Düngung und Bewässerung, pflan-               Der Klimawandel und seine Auswirkungen auf die
zenbauliche Anpassungen wie Zwischenfrüchte, Bo-             Landwirtschaft werden zudem andere Regionen der
denbearbeitungsmaßnahmen wie etwa eine geringe               Erde deutlich stärker treffen als Deutschland. Trotz-
Intensität der Bodenbearbeitung und eine Erhöhung            dem gilt es, sich möglichst effektiv anzupassen und
des Bedeckungsgrads des Bodens eine Rolle.33 Zum             mögliche Chancen zu nutzen. Neben vielen betrieb-
anderen ist Wassermanagement aber auch eine re-              lichen Anpassungsoptionen im Produktionsprozess
gionale und überregionale Aufgabe. Hierzu gehören            können auch überregionale und staatliche Prozesse
beispielsweise eine gezielte Grundwasseranreiche-            zur Anpassung beitragen. Im Rahmen der interdis-
rung für trockene Gebiete, die Regulierung des Was-          ziplinären Kontaktstelle Agrarmeteorologie arbeiten
serhaushaltes durch Änderungen der Stauregulierung           das Thünen-Institut, das Julius Kühn-Institut und
in entwässerten Gebieten zur Reduzierung des Was-            der Deutsche Wetterdienst gemeinsam daran, den
serbedarfs in Trockenperioden,34 Wasser­regulierung          Erkenntnisfortschritt aus unterschiedlichen Fachrich-
durch Stauanlagen oder Wasserrückhalteoptionen zur           tungen zu agrarmeteorologischen Zusammenhängen
Bewässerung.35 Die Anpassung der rechtlichen Rah-            zu verdichten, um eine optimale Grundlage für politi-
menbedingungen trägt auch zum landwirtschaftlichen           sches Handeln und eine breite Wissensbasis im Bereich
Wassermanagement bei. So reguliert z. B. die Verord-         der agrarmeteorologischen Forschung zu schaffen.

                                                                                                                 17
Der kritische Agrarbericht 2021

Anmerkungen                                                            24 S. Schimmelpfennig et al.: Klimaanpassung in Land- und
 1 International Panel on Climate Change (IPCC): Summary for              Forstwirtschaft – Ergebnisse eines Workshops der Ressortfor-
   policymakers. In: Climate change and land: An IPCC special             schungsinstitute FLI, JKI und Thünen-Institut. Thünen Working
   report on climate change, desertification, land degradation,           Paper 86. Braunschweig 2018.
   sustainable land management, food security, and greenhouse          25 H. Webber et al.: No perfect storm for crop yield failure in Ger-
   gas fluxes in terrestrial ecosystems. Geneva 2019.                     many. In: Environmental Research Letters 15/10 (2020) 104012.
 2 Ebd. sowie European Environment Agency (EEA): Climate change        26 OECD: Strengthening agricultural resilience in the face of multi-
   adaptation in the agriculture sector in Europe. EEA Report No          ple risks. Paris 2020. DOI: 10.1787/2250453e-en.
   04/2019. Luxembourg 2019.                                           27 Siehe z. B. AgriAdapt: Handbuch zur nachhaltigen Anpassung der
 3 Deutscher Wetterdienst (DWD): Zeitreihen und Trends: Tempa-            Europäischen Landwirtschaft an den Klimawandel. 2019 (https://
   raturanomalie (www.dwd.de/DE/leistungen/zeitreihen/zeit-               agriadapt.eu/descargas/MANUALagriadapt_ALE_BAJA.pdf).
   reihen.html). – Bundesministerium für Ernährung und Land-           28 Gömann (siehe Anm. 15).
   wirtschaft (BMEL): Trockenheit und Dürre 2018 – Bundesminis-        29 https://awa.agriadapt.eu/de.
   terium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL): Trockenheit         30 https://emra.julius-kuehn.de.
   und Dürre 2018 – Überblick über Maßnahmen (www.bmel.de/             31 Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL):
   DE/themen/landwirtschaft/klimaschutz/extremwetterlagen-                Agenda Anpassung von Land- und Forstwirtschaft sowie Fische-
   zustaendigkeiten).                                                     rei und Aquakultur an den Klimawandel. Stand 28. März 2019.
 4 International Panel on Climate Change (IPCC): Klimaänderung         32 Siehe hierzu die Beiträge in Schimmelpfennig et al. (siehe Anm. 24).
   2014: Synthesebericht. Beitrag der Arbeitsgruppen I, II und III     33 Ebd.
   zum Fünften Sachstandsbericht des Zwischenstaatlichen Aus-          34 O. Dietrich, M. Fahle und J. Steidl: Anpassung des Wasser-
   schusses für Klimaänderungen (IPCC). Bonn 2016.                        managements in stauregulierten Niederungsgebieten an
 5 S. Brienen et al.: Klimawandelbedingte Änderungen in Atmo-             zunehmende Wetterextreme – Möglichkeiten und Grenzen
   sphäre und Hydrosphäre: Schlussbericht des Schwerpunkt-                der Einflussnahme auf Wasserhaushaltsgrößen In: S. Kaden,
   themas Szenarienbildung (SP-101) im Themenfeld 1 des BMVI-             O. Dietrich und S. Theobald (Hrsg.): Wassermanagement im
   Expertennetzwerks. 2020 DOI: 10.5675/ExpNBS2020.2020.02                Klimawandel – Möglichkeiten und Grenzen von Anpassungs-
 6 Deutscher Wetterdienst (DWD): Nationaler Klimareport. 3. korri-        maßnahmen. KLIMZUG Band 3. München 2014, S. 161-189.
   gierte Auflage. Potsdam 2020.                                       35 Gömann et al. (siehe Anm. 28).
 7 Ebd.                                                                36 OECD (siehe Anm. 26).
 8 Deutscher Wetterdienst (DWD): Deutscher Klimaatlas. 2020
   (www.deutscher-klimaatlas.de).
 9 D. Lüthi et al.: High-resolution carbon dioxide concentration
   record 650,000-800,000 years before present. In: Nature
   453/7193 (2008), pp. 379-382. DOI: 10.1038/nature06949. Zitiert
   bei Brienen et al. 2020 (siehe Anm. 5).                                                  Dr. Claudia Heidecke
10 National Oceanic & Atmospheric Administration (NOAA): Month-                             Wissenschaftlerin in der Stabsstelle Klima
   ly average Mauna Loa CO2. 2020 (www.esrl.noaa.gov/gmd/                                   des Thünen-Instituts.
   ccgg/trends/#global).
11 Quelle: Modellberechnungen des DWD (2020).                                               claudia.heidecke@thuenen.de
12 Lüthi et al. (siehe Anm. 9).
13 H. Gömann et al.: Landwirtschaft. In: Klimawandel in Deutsch-
   land. Entwicklung, Folgen, Risiken und Perspektiven. Hrsg. von
   G. Brasseur, D. Jacob und S. Schuck-Zöller. Wiesbaden 2017,                               Dr. Cathleen Frühauf
   S. 184–191.                                                                               Wissenschaftlerin am Zentrum für
14 European Environment Agency (siehe Anm. 2).                                              ­A grarmeterologische Forschung
15 H. Gömann et al.: Agrarrelevante Extremwetterlagen und Mög-                               des ­Deutschen Wetterdienstes (DWD).
   lichkeiten von Risikomanagementsystemen: Studie im Auftrag
   des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft
                                                                                            cathleen.fruehauf@dwd.de
   (BMEL). Abschlussbericht: Stand 3. Juni 2015. Thünen Report 30.
   Braunschweig 2015.
16 C. Heidecke, F. Offermann und M. Hauschild: Abschätzung des
   Schadpotentials von Hochwasser- und Extremwetterereignis-                                Dr. Sandra Krengel-Horney
   sen für landwirtschaftliche Kulturen. Thünen Working Paper 76.                           Wissenschaftlerin am Institut für Strategien
   Braunschweig 2017.                                                                       und Folgenabschätzung des Julius Kühn-
17 Quelle: Destatis 2000-2019: Wachstum und Ernte - Feldfrüchte -                           Instituts und betreut dort die Stabsstelle
   Fachserie 3 Reihe 3.2.1.                                                                 Klimaanpassung.
18 S. Krengel-Horney, M. Möller und T. Ulbrich: Onlineumfrage im
   Projekt EMRA, eigene Auswertungen (2020).                                                sandra.krengel-horney@julius-kuehn.de
19 Gömann (siehe Anm. 13) und Heidecke et al. (siehe Anm. 16).
20 T. Dalhaus et al.: The effects of extreme weather on apple quali-
   ty. In: Scientific Reports 10/1 (2020), pp. 1-7.
21 https://emra.julius-kuehn.de.
22 S. Krengel et al.: Veränderungen im Auftreten von Pflanzen-
   krankheiten, Schädlingen und deren natürlichen Gegenspie-                                Dr. Mareike Söder
   lern. In: J. L. Lozán et al. (Hrsg.): Warnsignal Klima: Gesund-                          Wissenschaftlerin in der Stabsstelle Klima
   heitsrisiken. Gefahren für Pflanzen, Tiere und Menschen.                                 des Thünen-Instituts.
   2. Auflage. Hamburg 2014 (www.warnsignale.uni-hamburg.de).
23 Gömann (siehe Anm. 13).                                                                  mareike.soeder@thuenen.de

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