Klimapolitik ohne Klimawissenschaft ? - Stiftung Wissenschaft ...
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Aktuelle Analyse Klimapolitik ohne Klimawissenschaft ? Oliver Geden Oliver Geden 1. Aufmerksamkeitsfenster Klimaforschung zusammenfassen und für das Weltklima bewerten wird. Nach der Publikation der Ergebnisse zu den physikalischen Als im Februar 2007 der erste Teil des Grundlagen des Klimawandels werden 4. Sachstandsberichts des Intergovern- zunächst noch die Teilberichte zu Kli- mental Panel on Climate Change mawandelfolgen (März 2014) sowie zu (IPCC) vorgestellt wurde, öffnete sich Möglichkeiten der Emissionsminde- damit ein fast drei Jahre währendes rung (April 2014) vorgelegt, bevor der Aufmerksamkeitsfenster für den Zu- Zyklus dann im Oktober 2014 mit der stand des Weltklimas. Während die Veröffentlichung eines Synthesebe- Wissenschaft immer mehr Belege für richts zum Abschluss kommt. Auch den menschengemachten Klimawandel wenn die Medien über den 5. IPCC- lieferte und prominente Forscher sich Sachstandsbericht wohl nicht mehr in mit alarmierenden Szenarien an die Öf- der gleichen Ausführlichkeit berichten fentlichkeit wandten, gelobte die Politik werden wie über seinen Vorläufer, dem rasches Handeln, erst recht, nachdem Thema Klimawandel dürfte in dieser der IPCC Ende 2007 auch noch mit Zeit so viel öffentliche Aufmerksam- dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet keit zukommen wie schon seit Jahren worden war. Für den UN-Klimagipfel nicht mehr. Passend dazu sieht der po- im Dezember 2009 in Kopenhagen litische Kalender vor, Ende 2015 beim wurde allenthalben ein umfassender UN-Klimagipfel in Paris nun endlich und dem wissenschaftlichen Kenntnis- ein tragfähiges internationales Ab- stand genügender Weltklimavertrag an- kommen zu verabschieden und bis gekündigt. Doch der große Durchbruch 2020 in Kraft zu setzen. Der Weltkli- blieb bekanntermaßen aus. Das Klima- mavertrag soll nicht nur alle Industrie- thema spielte in den Folgejahren nur und Schwellenländer mit einbeziehen, noch eine Nebenrolle, nicht nur, aber sondern auch ehrgeizig genug ausfal- auch wegen der globalen Finanz- und len, um das zentrale Ziel der internati- Wirtschaftskrise. onalen Klimapolitik wenigstens noch Inzwischen baut sich eine durchaus in Reichweite zu halten: die Begren- ähnliche Grundkonstellation wie zwi- zung des Anstiegs der globalen Durch- schen den Jahren 2007 und 2009 auf. schnittstemperatur auf 2 Grad Celsius Im September 2013 begann der Veröf- (verglichen mit dem vorindustriellen fentlichungszyklus des 5. IPCC-Sach- Zeitalter). standsberichts, der auf insgesamt meh- reren tausend Seiten den Stand der Gesellschaft • Wirtschaft • Politik (GWP) Heft 4/2013, S. 487-492 www.budrich-journals.de
488 Oliver Geden 2. Die Handlungsautonomie fährlichen Klimawandel“ zu verhin- der klimapolitischen dern. Doch seither wird das entspre- chende Prüfverfahren auf UN-Ebene Akteure verschleppt. Und nicht einmal die EU, die ihre Klimapolitik sogar explizit als Doch die Hoffnungen vieler Klima- „wissenschaftsbasiert“ bezeichnet, ist schützer, dass wir in den kommenden bereit, sich auch dort an die Empfeh- Jahren doch noch den Durchbruch für lungen des IPCC zu halten, wo es ihr eine wissenschaftsbasierte Klimapo- tatsächliche Anstrengungen abverlan- litik erleben könnten, führen in die Irre. gen würde. Zwar betont die EU oft und Klimaforschung und Klimapolitik sind gerne, dass sie sich an dem im 4. Sach- längst dabei, sich wieder auseinander standsbericht für das Jahr 2050 vorge- zu leben. Die Gründe dafür sind viel- schlagenen Emissionsreduktionskorri- fältig, aber sie lassen sich auf einen dor von 80-95 Prozent orientiert. Die gemeinsamen Nenner bringen: Eine im entsprechenden IPCC-Vorschläge für umfassenden Sinne wissenschaftsba- das Jahr 2020 von 25-40 Prozent will sierte Klimapolitik ist illusorisch. Kli- sie sich jedoch nicht zu eigen machen, mapolitiker nehmen für ihre Pläne und das obwohl sie bis Ende 2012 be- zwar gerne eine wissenschaftliche Le- reits eine Minderung von fast 20 Pro- gitimation in Anspruch. Im praktischen zent erreicht hat (Zielwerte jeweils im Handeln jedoch beharrt die Politik Vergleich zu 1990). nachvollziehbarerweise auf ihrer Auto- nomie. Dies lässt sich nicht nur mit ei- ner Reihe von empirischen Beispielen 3. Das „problemzentrierte“ illustrieren, sondern auch anhand eines Paradigma zentralen Konzepts der klimawissen- schaftlichen Politikberatung, dem der Die Kette klimapolitischer Fehlent- Welt noch verbleibenden „Emissions- wicklungen und Misserfolge wird bis- Budget“. lang allerdings nur äußerst selten zum Seit der Veröffentlichung des 1. Anlass genommen, die spezifischen IPCC-Sachstandsberichts im Jahr 1990 Ausgangsbedingungen der politischen hat es zwar eine Vielzahl klimapoliti- und ökonomischen Akteure ins Zentrum scher Gipfeltreffen und internationaler zu rücken. Denn schon seit Verabschie- Abkommen gegeben, auch wird bei je- dung der UN-Klimarahmenkonvention der UN-Klimakonferenz ausführlich 1992 ist im internationalen Klima- der wissenschaftliche Erkenntnisstand diskurs ein strikt „problemzentriertes“ referiert. Dennoch sind die globalen Paradigma dominant, der sogenannte Treibhausgasemissionen seither um fast „Top-Down-Ansatz“. Im Rahmen die- 40 Prozent gestiegen, in der vergange- ses Paradigmas richtet sich das klimapo- nen Dekade sogar so stark wie nie zu- litische Bestreben zunächst auf die vor. Eine Trendwende in gegenwärtig Formulierung einer naturwissenschaft- nicht in Sicht, vor allem aufgrund der lich begründbaren Grenze der gerade immer noch deutlich steigenden Emis- noch tolerierbaren Klimaveränderun- sionen der Schwellenländer. Zwar wur- gen. Aus diesem Schwellenwert wird de beim UN-Klimagipfel 2010 in Can- in einem zweiten Schritt ein der Welt cún das 2-Grad-Ziel formell beschlos- noch verbleibendes Emissionsbudget sen und sogleich ein wissenschaftlicher abgeleitet. Abschließend ist nur noch Evaluierungsprozess vereinbart, mit zu regeln, wie die Emissionsrechte auf dem bis 2015 geklärt werden soll, ob die einzelnen Staaten aufgeteilt wer- dieses Ziel nicht auf 1,5 Grad ver- den, bevorzugt durch einen völker- schärft werden müsste, um einen „ge- rechtlich verbindlichen UN-Vertrag.
Klimapolitik ohne Klimawissenschaft? 489 Diskurshoheit der Wissenschaft Der Budgetansatz Mit der 2010 getroffenen Einigung auf In den vergangenen Jahren hat sich in das 2-Grad-Ziel stellt die internationale der klimawissenschaftlichen Politikbe- Klimapolitik also ein in hohem Maße ratung mit dem Budgetansatz eine Her- verwissenschaftlichtes Globalziel ins angehensweise durchgesetzt, die es er- Zentrum. Zwar lag die Letztentschei- laubt, aus dem 2 Grad-Ziel vergleichs- dung über die konkrete Höhe eines weise eindeutige Aussagen darüber ab- Temperaturlimits bei der Politik. Sie zuleiten, welche Gesamtmenge an konnte diese jedoch nicht völlig unbe- Treibhausgasen weltweit noch emittiert einflusst von der Klimaforschung tref- werden darf. Die bestehenden klimawis- fen. Die Definitionshoheit darüber, senschaftlichen Unsicherheitsfaktoren welche globalen Emissionsminderungs- werden dabei nur noch am Rande the- pfade aus dem 2-Grad-Ziel abzuleiten matisiert und in der Klimapolitik kaum sind, überlässt die Politik komplett der mehr wahrgenommen. Die auf Basis des Klimaforschung, während sie im ab- Budgetansatzes getroffenen Schluss- schließenden Schritt – den derzeit lau- folgerungen sind für den gegenwärtigen fenden UN-Verhandlungen über die Klimadiskurs allerdings in hohem Maße zwischenstaatliche Aufteilung der Re- wirklichkeitsbestimmend. Mit dem duktionsverpflichtungen – de facto au- Budgetansatz ist es gelungen, die in der tonom agiert. Im Top-Down-Diskurs er- Klimapolitik lange Zeit dominierende scheinen die Verhandlungsprozesse je- Fokussierung auf prozentuale Langfrist- doch weniger als eigenständige Hand- Reduktionsziele aufzubrechen. Klima- lungsebene, sondern primär als politi- wissenschaftler stellen nicht mehr den scher Nachvollzug wissenschaftlich ge- (vorläufigen) Endpunkt von Emissions- botener Ziele und Minderungspfade. kurven in den Mittelpunkt der Betrach- Anders als eine „akteurszentrierte“ Per- tung, sondern deren konkreten Verlauf. spektive, die die Handlungsbeschrän- Im Zentrum stehen also nicht mehr kungen im internationalen politischen exakt terminierte Reduktionsziele, für System zum Ausgangspunkt nimmt und das häufig gewählte Jahr 2050 bei- die kurz- bis mittelfristigen Problemlö- spielsweise minus 50% weltweit oder sungspotentiale des globalen Klimare- minus 80-95% in den Industriestaaten gimes dementsprechend zurückhaltend (jeweils im Vergleich zu 1990). Viel- kalkuliert, geht der „problemzentrierte“ mehr wird die bis 2050 oder auch 2100 Ansatz davon aus, dass effektive globale noch maximal zu emittierende Gesamt- Politikstrukturen binnen weniger Jahre menge an Treibhausgasen errechnet. etabliert werden können und müssen. Diese Herangehensweise ist nicht nur Dass sich die internationale Klimapoli- wesentlich problemadäquater als eine tik seit geraumer Zeit nicht in der Lage Fokussierung auf punktuelle Langfrist- zeigt, Minderungsverpflichtungen zu Reduktionsmarken. Sie hat vor allem vereinbaren, die mit dem 2-Grad-Ziel auch Auswirkungen auf den mittelfristi- kompatibel wären, führt dementspre- gen Verlauf des Treibhausgasausstoßes. chend nicht zur Infragestellung des Pa- Emissionsbudget-Studien, die sich am radigmas oder der konkreten Zielmar- 2-Grad-Ziel orientieren, gehen davon ke, sondern lediglich zur Kritik am aus, dass die global seit 1990 um fast mangelnden Handlungswillen der In- 40% gestiegenen Emissionen in den dustrie- und Schwellenländer. kommenden Jahren zwar zunächst noch weiter zunehmen werden, dann aber bald ihren Gipfelpunkt erreichen und ab diesem Zeitpunkt sehr stark zurückge- hen müssen.
490 Oliver Geden Zwar ist auch bei einem klimawis- wichtigen Staaten (mit Ausnahme der senschaftlich definierten Gesamtbudget USA) durchgesetzt hat, dass die histori- im Detail noch eine Vielzahl von sche Mission des IPCC also im Grunde Emissionsverlaufskurven denkbar. Je- genommen erfüllt ist, verschafft insbe- doch gilt: Je später der globale Gipfel- sondere der naturwissenschaftlichen punkt erreicht wird und je höher dieser Grundlagenforschung neue Spielräume. Gipfelpunkt liegt, desto größer müssen Sie kann innerwissenschaftliche Kont- anschließend die jährlichen Redukti- roversen vermehrt in einer Weise aus- onsraten ausfallen, um noch im Rah- tragen, die die politischen Implikationen men des gesetzten Gesamtbudgets zu nicht mehr in jedem Schritt mitdenken bleiben. Die Umweltprogramm der muss. Die Bereitschaft, die nach wie vor Vereinten Nationen UNEP geht davon bestehenden Unsicherheiten in der Mo- aus, dass das 2-Grad-Ziel nur dann dellierung des Klimasystems zu thema- eingehalten werden kann, wenn der tisieren, fällt wesentlich größer aus, Emissionsgipfelpunkt deutlich vor wenn sich die klimapolitische Debatte 2020 überschritten wird und der Treib- nicht mehr primär darum dreht, ob der hausgasausstoß am Ende der laufenden Klimawandel überhaupt stattfindet, Dekade bereits 15% unterhalb des ge- sondern im wesentlichen nur noch um genwärtigen Niveaus liegt. Dass dies dessen Ausmaß, Charakter und Ge- noch gelingen kann, muss angesichts schwindigkeit. eines gegenläufigen Emissionstrends Die nun im Bericht der IPCC-Ar- und der schleppend verlaufenden UN- beitsgruppe 1 vorgenommenen Korrek- Verhandlungen als sehr unwahrschein- turen bei der Klimasensitivität – dem lich gelten. Temperatureffekt einer Verdopplung des CO2-Gehalts in der Atmosphäre – sowie die vorsichtigen Erklärungsversu- 4. Schrittweise De- che bezüglich der Verlangsamung des Politisierung der Anstiegs der globalen Oberflächentem- Klimawissenschaften peratur während der letzten 15 Jahre dürften deshalb klimapolitisch kaum Den Klimaforschern sind die enormen negative Auswirkungen haben, auch Diskrepanzen zwischen klimapoliti- wenn Klimaskeptiker dies zum Anlass schem Reden, Entscheiden und Handeln zu nehmen versuchen, die Klimafor- keineswegs entgangen. Die vielfach ent- schung insgesamt in Misskredit zu brin- täuschten, wenn auch zum Teil über- gen. triebenen Erwartungen an eine kohären- te Klimapolitik dürften eine schrittweise Klimaökonomik De-Politisierung der Klimawissenschaf- ten selbst zur Folge haben. Diese wird Um einiges komplizierter stellt sich die in der Phase bis zum mutmaßlich ent- Lage für die Klimaökonomen dar. Sie scheidenden UN-Klimagipfel 2015 haben im Klimadiskurs seit 2007 stetig noch nicht voll zur Geltung kommen, an Bedeutung gewonnen. Mit ihren und sie wird je nach Forschungsbereich Modellen, in denen sie die emissions- unterschiedlich ausfallen. minimierende Transformation von Energiesystemen beschreiben, agieren Naturwissenschaftliche sie ausgesprochen politiknah. Klima- Grundlagenforschung ökonomen haben nicht nur die Deu- tungshoheit darüber inne, welche Maß- Dass sich die Grundthese vom men- nahmen zu ergreifen wären, um die auf schengemachten Klimawandel nach verschiedenen politischen Ebenen for- dem 4. Sachstandsbericht 2007 in allen mulierten Ziele zu erreichen. Bei fort-
Klimapolitik ohne Klimawissenschaft? 491 währendem Stillstand in der Klimapo- gerecht wird. An den realen politischen litik fällt ihnen zudem auch die unan- Präferenzen der Industrie- und Schwel- genehme Aufgabe zu, autoritativ Aus- lenländer ändern solchen Bekundungen sagen darüber zu treffen, welche Kli- gemeinhin jedoch wenig. Insgeheim maziele überhaupt noch realistisch haben die Klimaverhandler der wich- sind, und welche eben nicht mehr. tigsten Staaten längst akzeptiert, dass Unter dem Eindruck, dass die Ab- die Einigung auf ein 2-Grad-kompa- sage an die Erreichbarkeit eines ehr- tibles Abkommen in 2015 unrealistisch geizigen Klimaziels wie der 2-Grad- ist. Der UN-Klimagipfel von Paris Obergrenze zum klimapolitischen Fata- wird den sich heute bereits andeuten- lismus führen könnte und einem kli- den Paradigmenwechsel deshalb ent- mawissenschaftlichen Drittmittelmarkt, scheidend beschleunigen. Das Vertrau- auf dem Zuversicht nach wie vor groß- en in die Problemlösungsfähigkeit des zügig honoriert wird, ist eine paradoxe UN-Systems wird weiter erodieren. Situation entstanden. Mit jedem weite- Die aus Sicht der klimawissenschaftli- ren Jahr eines globalen Emissionsan- chen Politikberatung sakrosankte 2- stiegs fallen die Modellannahmen über Grad-Grenze wird dann modifiziert die Transformationsfähigkeit unserer werden müssen, da ein als unerreichbar Volkswirtschaften immer optimisti- geltendes Ziel politisch weder eine po- scher aus. Da dieser Ansatz mittelfris- sitive Symbol- noch eine produktive tig die Reputation der Klimaökonomik Steuerungsfunktion erfüllen kann. Das zu untergraben droht, wird man auch Paradigma einer wissenschaftsbasier- hier auf eine größere Distanz zur Poli- ten, top-down gesteuerten Klimapolitik tik zu achten beginnen. Die Einschät- wird dann in tiefgreifende Krise gera- zungen der Klimaökonomen werden ten. zukünftig weit weniger programma- Klimapolitik wird sich in der Folge tisch ausfallen, vielmehr stärker dazu nicht mehr länger im Gewand eines tendieren, die ökonomischen Risiken wissenschaftlich abgesicherten Welt- und Chancen abzuwägen, die sich mit umgestaltungsplans präsentieren kön- verschiedenen Politikpfaden verbinden. nen, sondern wesentlich pragmatischer Dies dürfte sich bereits im Beitrag der agieren. Die Suche nach kurz- bis mit- IPCC-Arbeitsgruppe 3 zum 5. Sach- telfristigen Möglichkeiten für Emissi- standsbericht widerspiegeln. onsreduktionen wird dabei im Mittel- punkt stehen, Maßnahmen zur Anpas- sung an den Klimawandel wird ein we- 5. Klimapolitik als Politik sentlich größerer Stellenwert zukom- men. Kurzum: Klimapolitik wird wieder Klimaforschung und Klimapolitik wer- primär als Politik begriffen werden. den selbstverständlich auch in Zukunft Welche Fortschritte sich tatsächlich er- keine komplett voneinander getrennten zielen lassen, wenn die internationale Sphären sein. Aber auf beiden Seiten Klimapolitik nicht mehr auf den einen werden die Eigenlogiken wieder stär- großen Wurf hinarbeitet, sondern aus ker zur Geltung kommen. Noch voll- einem Gewebe nationaler Regulierungs- zieht sich dieser Ablösungsprozess ansätze und zwischenstaatlicher Vorrei- schleichend. Der nun eröffnete Zyklus terallianzen besteht, lässt sich nicht se- von IPCC-Veröffentlichungen wird riös vorhersagen. Absehbar aber ist, Klimapolitikern kaum eine andere dass dieser Ansatz hinsichtlich der reali- Wahl lassen, als permanent zu betonen, sierbaren Emissionsminderungspfade wie wichtig es ist, 2015 einen Welt- weit hinter dem zurückbleiben wird, klimavertrag zu verabschieden, der was die klimawissenschaftliche Politik- dem Stand der Klimawissenschaften beratung gegenwärtig fordert.
492 Oliver Geden Der sehr weitgehende Steuerungs- 6. Die Normalisierung der anspruch eines globalen Emissions- klimawissenschaftlichen budget-Ansatzes ist letztlich nicht poli- tikfähig. Dessen mangelnde Erfolgsaus- Politikberatung sichten sind nicht in erster Linie darauf zurückzuführen, dass es für den Bereich Was gegenwärtig erst latent spürbar ist, der globalen öffentlichen Güter bislang wird sich im Falle eines gescheiterten an effektiven Governance-Strukturen UN-Klimagipfels 2015 und einer für die fehlt und die Interessendivergenzen zwi- Öffentlichkeit sichtbaren Modifikation schen Industrie-, Schwellen- und Ent- des 2-Grad-Ziels rasch materialisieren: wicklungsländern nach wie vor sehr die Auflösung des Arbeitsbündnisses groß ausfallen. Weitaus relevanter sind von Klimaforschung und Klimapolitik. die Funktionsweisen der Politik selbst. Dies wird auch die Klimapolitiker der in Nicht einmal die EU, die ihre Klimapo- diesem Feld besonders ehrgeizigen litik explizit als "wissenschaftsbasiert“ Staaten und Regionen betreffen, jeden- bezeichnet, wäre bereit, sich der strikten falls dann, wenn sie auf internationaler Logik eines (regionalen) Emissionsbud- Ebene pragmatisch verhandeln. Deutsch- gets zu unterwerfen. Nicht nur muss die land und die Europa werden sich dann EU bei der Setzung interner Klimaziele nicht mehr darauf verlassen können, flexibel genug bleiben, um die Rah- dass ihre Präferenzen in der globalen menbedingungen internationaler Politik, Klimapolitik die wohlwollende Unter- die innenpolitischen Verhältnisse in den stützung der Wissenschaft finden wer- Mitgliedstaaten und die Interessen wirt- den. Die Klimawissenschaften werden schaftlicher Akteure berücksichtigen zu sich daran gewöhnen müssen, dass ihr können. Sie kann sich auch nicht darauf vergleichsweise privilegierter Status im einlassen, den Klimaschutz mittels eines wesentlichen auf den Zugang zu Medi- strikten Budgetierungsmechanismus für en, Öffentlichkeiten und Forschungs- die nächsten vier Dekaden als oberste mitteln beschränkt bleibt, ihr Einfluss politische Priorität festzuschreiben. Dies auf politisches Handeln aber kaum über ist schon deshalb undenkbar, weil neue das in anderen Politikfeldern übliche klimawissenschaftliche Erkenntnisse – Maß hinaus geht. In diesem Prozess etwa zur zentralen Kategorie der Klima- wird sich die Klimapolitik tendenziell sensitivität – regelmäßig auch Anpas- politisieren, die Klimaforschung hinge- sungen des Budgets zur Folge hätten, gen wieder stärker verwissenschaftli- ohne dass die Politik darauf würde Ein- chen. Auch die klimawissenschaftliche fluss nehmen können. Wenn prominente Politikberatung wird ihr Rollenver- Klimaforscher naturwissenschaftlich ständnis hinterfragen müssen. Vor allem begründete, „planetare Grenzen“ ziehen dort, wo sie medienöffentlich agiert, und diese anschließend für „nicht ver- sollte sie ihre Aufgabe weniger darin handelbar“ erklären, setzen sie sich da- sehen, die enorme Bandbreite des kli- mit entweder in ein Spannungsverhält- mawissenschaftlichen Erkenntnisstands nis zur Demokratie oder aber sie hegen in einer Weise zu verdichten, die detail- naive Vorstellungen vom Alltag des Po- lierte Handlungsaufforderungen an die litikbetriebs. Politik nahelegt. Sie sollte sich vielmehr darauf beschränken, Voraussetzungen und Folgen spezifischer Politikpfade aufzuzeigen. Die entsprechenden Ent- scheidungen wird die Politik treffen müssen.
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