Klimapolitik ohne Klimawissenschaft ? - Stiftung Wissenschaft ...

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Aktuelle Analyse

Klimapolitik ohne Klimawissenschaft ?
Oliver Geden

                                                                                                                Oliver Geden
1.      Aufmerksamkeitsfenster                                  Klimaforschung zusammenfassen und
        für das Weltklima                                       bewerten wird. Nach der Publikation
                                                                der Ergebnisse zu den physikalischen
Als im Februar 2007 der erste Teil des                          Grundlagen des Klimawandels werden
4. Sachstandsberichts des Intergovern-                          zunächst noch die Teilberichte zu Kli-
mental Panel on Climate Change                                  mawandelfolgen (März 2014) sowie zu
(IPCC) vorgestellt wurde, öffnete sich                          Möglichkeiten der Emissionsminde-
damit ein fast drei Jahre währendes                             rung (April 2014) vorgelegt, bevor der
Aufmerksamkeitsfenster für den Zu-                              Zyklus dann im Oktober 2014 mit der
stand des Weltklimas. Während die                               Veröffentlichung eines Synthesebe-
Wissenschaft immer mehr Belege für                              richts zum Abschluss kommt. Auch
den menschengemachten Klimawandel                               wenn die Medien über den 5. IPCC-
lieferte und prominente Forscher sich                           Sachstandsbericht wohl nicht mehr in
mit alarmierenden Szenarien an die Öf-                          der gleichen Ausführlichkeit berichten
fentlichkeit wandten, gelobte die Politik                       werden wie über seinen Vorläufer, dem
rasches Handeln, erst recht, nachdem                            Thema Klimawandel dürfte in dieser
der IPCC Ende 2007 auch noch mit                                Zeit so viel öffentliche Aufmerksam-
dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet                            keit zukommen wie schon seit Jahren
worden war. Für den UN-Klimagipfel                              nicht mehr. Passend dazu sieht der po-
im Dezember 2009 in Kopenhagen                                  litische Kalender vor, Ende 2015 beim
wurde allenthalben ein umfassender                              UN-Klimagipfel in Paris nun endlich
und dem wissenschaftlichen Kenntnis-                            ein tragfähiges internationales Ab-
stand genügender Weltklimavertrag an-                           kommen zu verabschieden und bis
gekündigt. Doch der große Durchbruch                            2020 in Kraft zu setzen. Der Weltkli-
blieb bekanntermaßen aus. Das Klima-                            mavertrag soll nicht nur alle Industrie-
thema spielte in den Folgejahren nur                            und Schwellenländer mit einbeziehen,
noch eine Nebenrolle, nicht nur, aber                           sondern auch ehrgeizig genug ausfal-
auch wegen der globalen Finanz- und                             len, um das zentrale Ziel der internati-
Wirtschaftskrise.                                               onalen Klimapolitik wenigstens noch
     Inzwischen baut sich eine durchaus                         in Reichweite zu halten: die Begren-
ähnliche Grundkonstellation wie zwi-                            zung des Anstiegs der globalen Durch-
schen den Jahren 2007 und 2009 auf.                             schnittstemperatur auf 2 Grad Celsius
Im September 2013 begann der Veröf-                             (verglichen mit dem vorindustriellen
fentlichungszyklus des 5. IPCC-Sach-                            Zeitalter).
standsberichts, der auf insgesamt meh-
reren tausend Seiten den Stand der

Gesellschaft • Wirtschaft • Politik (GWP) Heft 4/2013, S. 487-492                     www.budrich-journals.de
488   Oliver Geden

                     2.   Die Handlungsautonomie                  fährlichen Klimawandel“ zu verhin-
                          der klimapolitischen                    dern. Doch seither wird das entspre-
                                                                  chende Prüfverfahren auf UN-Ebene
                          Akteure                                 verschleppt. Und nicht einmal die EU,
                                                                  die ihre Klimapolitik sogar explizit als
                     Doch die Hoffnungen vieler Klima-            „wissenschaftsbasiert“ bezeichnet, ist
                     schützer, dass wir in den kommenden          bereit, sich auch dort an die Empfeh-
                     Jahren doch noch den Durchbruch für          lungen des IPCC zu halten, wo es ihr
                     eine wissenschaftsbasierte Klimapo-          tatsächliche Anstrengungen abverlan-
                     litik erleben könnten, führen in die Irre.   gen würde. Zwar betont die EU oft und
                     Klimaforschung und Klimapolitik sind         gerne, dass sie sich an dem im 4. Sach-
                     längst dabei, sich wieder auseinander        standsbericht für das Jahr 2050 vorge-
                     zu leben. Die Gründe dafür sind viel-        schlagenen Emissionsreduktionskorri-
                     fältig, aber sie lassen sich auf einen       dor von 80-95 Prozent orientiert. Die
                     gemeinsamen Nenner bringen: Eine im          entsprechenden IPCC-Vorschläge für
                     umfassenden Sinne wissenschaftsba-           das Jahr 2020 von 25-40 Prozent will
                     sierte Klimapolitik ist illusorisch. Kli-    sie sich jedoch nicht zu eigen machen,
                     mapolitiker nehmen für ihre Pläne            und das obwohl sie bis Ende 2012 be-
                     zwar gerne eine wissenschaftliche Le-        reits eine Minderung von fast 20 Pro-
                     gitimation in Anspruch. Im praktischen       zent erreicht hat (Zielwerte jeweils im
                     Handeln jedoch beharrt die Politik           Vergleich zu 1990).
                     nachvollziehbarerweise auf ihrer Auto-
                     nomie. Dies lässt sich nicht nur mit ei-
                     ner Reihe von empirischen Beispielen         3.   Das „problemzentrierte“
                     illustrieren, sondern auch anhand eines           Paradigma
                     zentralen Konzepts der klimawissen-
                     schaftlichen Politikberatung, dem der        Die Kette klimapolitischer Fehlent-
                     Welt noch verbleibenden „Emissions-          wicklungen und Misserfolge wird bis-
                     Budget“.                                     lang allerdings nur äußerst selten zum
                          Seit der Veröffentlichung des 1.        Anlass genommen, die spezifischen
                     IPCC-Sachstandsberichts im Jahr 1990         Ausgangsbedingungen der politischen
                     hat es zwar eine Vielzahl klimapoliti-       und ökonomischen Akteure ins Zentrum
                     scher Gipfeltreffen und internationaler      zu rücken. Denn schon seit Verabschie-
                     Abkommen gegeben, auch wird bei je-          dung der UN-Klimarahmenkonvention
                     der UN-Klimakonferenz ausführlich            1992 ist im internationalen Klima-
                     der wissenschaftliche Erkenntnisstand        diskurs ein strikt „problemzentriertes“
                     referiert. Dennoch sind die globalen         Paradigma dominant, der sogenannte
                     Treibhausgasemissionen seither um fast       „Top-Down-Ansatz“. Im Rahmen die-
                     40 Prozent gestiegen, in der vergange-       ses Paradigmas richtet sich das klimapo-
                     nen Dekade sogar so stark wie nie zu-        litische Bestreben zunächst auf die
                     vor. Eine Trendwende in gegenwärtig          Formulierung einer naturwissenschaft-
                     nicht in Sicht, vor allem aufgrund der       lich begründbaren Grenze der gerade
                     immer noch deutlich steigenden Emis-         noch tolerierbaren Klimaveränderun-
                     sionen der Schwellenländer. Zwar wur-        gen. Aus diesem Schwellenwert wird
                     de beim UN-Klimagipfel 2010 in Can-          in einem zweiten Schritt ein der Welt
                     cún das 2-Grad-Ziel formell beschlos-        noch verbleibendes Emissionsbudget
                     sen und sogleich ein wissenschaftlicher      abgeleitet. Abschließend ist nur noch
                     Evaluierungsprozess vereinbart, mit          zu regeln, wie die Emissionsrechte auf
                     dem bis 2015 geklärt werden soll, ob         die einzelnen Staaten aufgeteilt wer-
                     dieses Ziel nicht auf 1,5 Grad ver-          den, bevorzugt durch einen völker-
                     schärft werden müsste, um einen „ge-         rechtlich verbindlichen UN-Vertrag.
Klimapolitik ohne Klimawissenschaft?   489

Diskurshoheit der Wissenschaft              Der Budgetansatz

Mit der 2010 getroffenen Einigung auf       In den vergangenen Jahren hat sich in
das 2-Grad-Ziel stellt die internationale   der klimawissenschaftlichen Politikbe-
Klimapolitik also ein in hohem Maße         ratung mit dem Budgetansatz eine Her-
verwissenschaftlichtes Globalziel ins       angehensweise durchgesetzt, die es er-
Zentrum. Zwar lag die Letztentschei-        laubt, aus dem 2 Grad-Ziel vergleichs-
dung über die konkrete Höhe eines           weise eindeutige Aussagen darüber ab-
Temperaturlimits bei der Politik. Sie       zuleiten, welche Gesamtmenge an
konnte diese jedoch nicht völlig unbe-      Treibhausgasen weltweit noch emittiert
einflusst von der Klimaforschung tref-      werden darf. Die bestehenden klimawis-
fen. Die Definitionshoheit darüber,         senschaftlichen Unsicherheitsfaktoren
welche globalen Emissionsminderungs-        werden dabei nur noch am Rande the-
pfade aus dem 2-Grad-Ziel abzuleiten        matisiert und in der Klimapolitik kaum
sind, überlässt die Politik komplett der    mehr wahrgenommen. Die auf Basis des
Klimaforschung, während sie im ab-          Budgetansatzes getroffenen Schluss-
schließenden Schritt – den derzeit lau-     folgerungen sind für den gegenwärtigen
fenden UN-Verhandlungen über die            Klimadiskurs allerdings in hohem Maße
zwischenstaatliche Aufteilung der Re-       wirklichkeitsbestimmend. Mit dem
duktionsverpflichtungen – de facto au-      Budgetansatz ist es gelungen, die in der
tonom agiert. Im Top-Down-Diskurs er-       Klimapolitik lange Zeit dominierende
scheinen die Verhandlungsprozesse je-       Fokussierung auf prozentuale Langfrist-
doch weniger als eigenständige Hand-        Reduktionsziele aufzubrechen. Klima-
lungsebene, sondern primär als politi-      wissenschaftler stellen nicht mehr den
scher Nachvollzug wissenschaftlich ge-      (vorläufigen) Endpunkt von Emissions-
botener Ziele und Minderungspfade.          kurven in den Mittelpunkt der Betrach-
Anders als eine „akteurszentrierte“ Per-    tung, sondern deren konkreten Verlauf.
spektive, die die Handlungsbeschrän-        Im Zentrum stehen also nicht mehr
kungen im internationalen politischen       exakt terminierte Reduktionsziele, für
System zum Ausgangspunkt nimmt und          das häufig gewählte Jahr 2050 bei-
die kurz- bis mittelfristigen Problemlö-    spielsweise minus 50% weltweit oder
sungspotentiale des globalen Klimare-       minus 80-95% in den Industriestaaten
gimes dementsprechend zurückhaltend         (jeweils im Vergleich zu 1990). Viel-
kalkuliert, geht der „problemzentrierte“    mehr wird die bis 2050 oder auch 2100
Ansatz davon aus, dass effektive globale    noch maximal zu emittierende Gesamt-
Politikstrukturen binnen weniger Jahre      menge an Treibhausgasen errechnet.
etabliert werden können und müssen.         Diese Herangehensweise ist nicht nur
Dass sich die internationale Klimapoli-     wesentlich problemadäquater als eine
tik seit geraumer Zeit nicht in der Lage    Fokussierung auf punktuelle Langfrist-
zeigt, Minderungsverpflichtungen zu         Reduktionsmarken. Sie hat vor allem
vereinbaren, die mit dem 2-Grad-Ziel        auch Auswirkungen auf den mittelfristi-
kompatibel wären, führt dementspre-         gen Verlauf des Treibhausgasausstoßes.
chend nicht zur Infragestellung des Pa-     Emissionsbudget-Studien, die sich am
radigmas oder der konkreten Zielmar-        2-Grad-Ziel orientieren, gehen davon
ke, sondern lediglich zur Kritik am         aus, dass die global seit 1990 um fast
mangelnden Handlungswillen der In-          40% gestiegenen Emissionen in den
dustrie- und Schwellenländer.               kommenden Jahren zwar zunächst noch
                                            weiter zunehmen werden, dann aber
                                            bald ihren Gipfelpunkt erreichen und ab
                                            diesem Zeitpunkt sehr stark zurückge-
                                            hen müssen.
490   Oliver Geden

                          Zwar ist auch bei einem klimawis-      wichtigen Staaten (mit Ausnahme der
                     senschaftlich definierten Gesamtbudget      USA) durchgesetzt hat, dass die histori-
                     im Detail noch eine Vielzahl von            sche Mission des IPCC also im Grunde
                     Emissionsverlaufskurven denkbar. Je-        genommen erfüllt ist, verschafft insbe-
                     doch gilt: Je später der globale Gipfel-    sondere der naturwissenschaftlichen
                     punkt erreicht wird und je höher dieser     Grundlagenforschung neue Spielräume.
                     Gipfelpunkt liegt, desto größer müssen      Sie kann innerwissenschaftliche Kont-
                     anschließend die jährlichen Redukti-        roversen vermehrt in einer Weise aus-
                     onsraten ausfallen, um noch im Rah-         tragen, die die politischen Implikationen
                     men des gesetzten Gesamtbudgets zu          nicht mehr in jedem Schritt mitdenken
                     bleiben. Die Umweltprogramm der             muss. Die Bereitschaft, die nach wie vor
                     Vereinten Nationen UNEP geht davon          bestehenden Unsicherheiten in der Mo-
                     aus, dass das 2-Grad-Ziel nur dann          dellierung des Klimasystems zu thema-
                     eingehalten werden kann, wenn der           tisieren, fällt wesentlich größer aus,
                     Emissionsgipfelpunkt deutlich vor           wenn sich die klimapolitische Debatte
                     2020 überschritten wird und der Treib-      nicht mehr primär darum dreht, ob der
                     hausgasausstoß am Ende der laufenden        Klimawandel überhaupt stattfindet,
                     Dekade bereits 15% unterhalb des ge-        sondern im wesentlichen nur noch um
                     genwärtigen Niveaus liegt. Dass dies        dessen Ausmaß, Charakter und Ge-
                     noch gelingen kann, muss angesichts         schwindigkeit.
                     eines gegenläufigen Emissionstrends              Die nun im Bericht der IPCC-Ar-
                     und der schleppend verlaufenden UN-         beitsgruppe 1 vorgenommenen Korrek-
                     Verhandlungen als sehr unwahrschein-        turen bei der Klimasensitivität – dem
                     lich gelten.                                Temperatureffekt einer Verdopplung
                                                                 des CO2-Gehalts in der Atmosphäre –
                                                                 sowie die vorsichtigen Erklärungsversu-
                     4.   Schrittweise De-                       che bezüglich der Verlangsamung des
                          Politisierung der                      Anstiegs der globalen Oberflächentem-
                          Klimawissenschaften                    peratur während der letzten 15 Jahre
                                                                 dürften deshalb klimapolitisch kaum
                     Den Klimaforschern sind die enormen         negative Auswirkungen haben, auch
                     Diskrepanzen zwischen klimapoliti-          wenn Klimaskeptiker dies zum Anlass
                     schem Reden, Entscheiden und Handeln        zu nehmen versuchen, die Klimafor-
                     keineswegs entgangen. Die vielfach ent-     schung insgesamt in Misskredit zu brin-
                     täuschten, wenn auch zum Teil über-         gen.
                     triebenen Erwartungen an eine kohären-
                     te Klimapolitik dürften eine schrittweise   Klimaökonomik
                     De-Politisierung der Klimawissenschaf-
                     ten selbst zur Folge haben. Diese wird      Um einiges komplizierter stellt sich die
                     in der Phase bis zum mutmaßlich ent-        Lage für die Klimaökonomen dar. Sie
                     scheidenden UN-Klimagipfel 2015             haben im Klimadiskurs seit 2007 stetig
                     noch nicht voll zur Geltung kommen,         an Bedeutung gewonnen. Mit ihren
                     und sie wird je nach Forschungsbereich      Modellen, in denen sie die emissions-
                     unterschiedlich ausfallen.                  minimierende Transformation von
                                                                 Energiesystemen beschreiben, agieren
                     Naturwissenschaftliche                      sie ausgesprochen politiknah. Klima-
                     Grundlagenforschung                         ökonomen haben nicht nur die Deu-
                                                                 tungshoheit darüber inne, welche Maß-
                     Dass sich die Grundthese vom men-           nahmen zu ergreifen wären, um die auf
                     schengemachten Klimawandel nach             verschiedenen politischen Ebenen for-
                     dem 4. Sachstandsbericht 2007 in allen      mulierten Ziele zu erreichen. Bei fort-
Klimapolitik ohne Klimawissenschaft?   491

währendem Stillstand in der Klimapo-      gerecht wird. An den realen politischen
litik fällt ihnen zudem auch die unan-    Präferenzen der Industrie- und Schwel-
genehme Aufgabe zu, autoritativ Aus-      lenländer ändern solchen Bekundungen
sagen darüber zu treffen, welche Kli-     gemeinhin jedoch wenig. Insgeheim
maziele überhaupt noch realistisch        haben die Klimaverhandler der wich-
sind, und welche eben nicht mehr.         tigsten Staaten längst akzeptiert, dass
     Unter dem Eindruck, dass die Ab-     die Einigung auf ein 2-Grad-kompa-
sage an die Erreichbarkeit eines ehr-     tibles Abkommen in 2015 unrealistisch
geizigen Klimaziels wie der 2-Grad-       ist. Der UN-Klimagipfel von Paris
Obergrenze zum klimapolitischen Fata-     wird den sich heute bereits andeuten-
lismus führen könnte und einem kli-       den Paradigmenwechsel deshalb ent-
mawissenschaftlichen Drittmittelmarkt,    scheidend beschleunigen. Das Vertrau-
auf dem Zuversicht nach wie vor groß-     en in die Problemlösungsfähigkeit des
zügig honoriert wird, ist eine paradoxe   UN-Systems wird weiter erodieren.
Situation entstanden. Mit jedem weite-    Die aus Sicht der klimawissenschaftli-
ren Jahr eines globalen Emissionsan-      chen Politikberatung sakrosankte 2-
stiegs fallen die Modellannahmen über     Grad-Grenze wird dann modifiziert
die Transformationsfähigkeit unserer      werden müssen, da ein als unerreichbar
Volkswirtschaften immer optimisti-        geltendes Ziel politisch weder eine po-
scher aus. Da dieser Ansatz mittelfris-   sitive Symbol- noch eine produktive
tig die Reputation der Klimaökonomik      Steuerungsfunktion erfüllen kann. Das
zu untergraben droht, wird man auch       Paradigma einer wissenschaftsbasier-
hier auf eine größere Distanz zur Poli-   ten, top-down gesteuerten Klimapolitik
tik zu achten beginnen. Die Einschät-     wird dann in tiefgreifende Krise gera-
zungen der Klimaökonomen werden           ten.
zukünftig weit weniger programma-              Klimapolitik wird sich in der Folge
tisch ausfallen, vielmehr stärker dazu    nicht mehr länger im Gewand eines
tendieren, die ökonomischen Risiken       wissenschaftlich abgesicherten Welt-
und Chancen abzuwägen, die sich mit       umgestaltungsplans präsentieren kön-
verschiedenen Politikpfaden verbinden.    nen, sondern wesentlich pragmatischer
Dies dürfte sich bereits im Beitrag der   agieren. Die Suche nach kurz- bis mit-
IPCC-Arbeitsgruppe 3 zum 5. Sach-         telfristigen Möglichkeiten für Emissi-
standsbericht widerspiegeln.              onsreduktionen wird dabei im Mittel-
                                          punkt stehen, Maßnahmen zur Anpas-
                                          sung an den Klimawandel wird ein we-
5.   Klimapolitik als Politik             sentlich größerer Stellenwert zukom-
                                          men. Kurzum: Klimapolitik wird wieder
Klimaforschung und Klimapolitik wer-      primär als Politik begriffen werden.
den selbstverständlich auch in Zukunft    Welche Fortschritte sich tatsächlich er-
keine komplett voneinander getrennten     zielen lassen, wenn die internationale
Sphären sein. Aber auf beiden Seiten      Klimapolitik nicht mehr auf den einen
werden die Eigenlogiken wieder stär-      großen Wurf hinarbeitet, sondern aus
ker zur Geltung kommen. Noch voll-        einem Gewebe nationaler Regulierungs-
zieht sich dieser Ablösungsprozess        ansätze und zwischenstaatlicher Vorrei-
schleichend. Der nun eröffnete Zyklus     terallianzen besteht, lässt sich nicht se-
von IPCC-Veröffentlichungen wird          riös vorhersagen. Absehbar aber ist,
Klimapolitikern kaum eine andere          dass dieser Ansatz hinsichtlich der reali-
Wahl lassen, als permanent zu betonen,    sierbaren Emissionsminderungspfade
wie wichtig es ist, 2015 einen Welt-      weit hinter dem zurückbleiben wird,
klimavertrag zu verabschieden, der        was die klimawissenschaftliche Politik-
dem Stand der Klimawissenschaften         beratung gegenwärtig fordert.
492   Oliver Geden

                          Der sehr weitgehende Steuerungs-        6.   Die Normalisierung der
                     anspruch eines globalen Emissions-                klimawissenschaftlichen
                     budget-Ansatzes ist letztlich nicht poli-
                     tikfähig. Dessen mangelnde Erfolgsaus-
                                                                       Politikberatung
                     sichten sind nicht in erster Linie darauf
                     zurückzuführen, dass es für den Bereich      Was gegenwärtig erst latent spürbar ist,
                     der globalen öffentlichen Güter bislang      wird sich im Falle eines gescheiterten
                     an effektiven Governance-Strukturen          UN-Klimagipfels 2015 und einer für die
                     fehlt und die Interessendivergenzen zwi-     Öffentlichkeit sichtbaren Modifikation
                     schen Industrie-, Schwellen- und Ent-        des 2-Grad-Ziels rasch materialisieren:
                     wicklungsländern nach wie vor sehr           die Auflösung des Arbeitsbündnisses
                     groß ausfallen. Weitaus relevanter sind      von Klimaforschung und Klimapolitik.
                     die Funktionsweisen der Politik selbst.      Dies wird auch die Klimapolitiker der in
                     Nicht einmal die EU, die ihre Klimapo-       diesem Feld besonders ehrgeizigen
                     litik explizit als "wissenschaftsbasiert“    Staaten und Regionen betreffen, jeden-
                     bezeichnet, wäre bereit, sich der strikten   falls dann, wenn sie auf internationaler
                     Logik eines (regionalen) Emissionsbud-       Ebene pragmatisch verhandeln. Deutsch-
                     gets zu unterwerfen. Nicht nur muss die      land und die Europa werden sich dann
                     EU bei der Setzung interner Klimaziele       nicht mehr darauf verlassen können,
                     flexibel genug bleiben, um die Rah-          dass ihre Präferenzen in der globalen
                     menbedingungen internationaler Politik,      Klimapolitik die wohlwollende Unter-
                     die innenpolitischen Verhältnisse in den     stützung der Wissenschaft finden wer-
                     Mitgliedstaaten und die Interessen wirt-     den. Die Klimawissenschaften werden
                     schaftlicher Akteure berücksichtigen zu      sich daran gewöhnen müssen, dass ihr
                     können. Sie kann sich auch nicht darauf      vergleichsweise privilegierter Status im
                     einlassen, den Klimaschutz mittels eines     wesentlichen auf den Zugang zu Medi-
                     strikten Budgetierungsmechanismus für        en, Öffentlichkeiten und Forschungs-
                     die nächsten vier Dekaden als oberste        mitteln beschränkt bleibt, ihr Einfluss
                     politische Priorität festzuschreiben. Dies   auf politisches Handeln aber kaum über
                     ist schon deshalb undenkbar, weil neue       das in anderen Politikfeldern übliche
                     klimawissenschaftliche Erkenntnisse –        Maß hinaus geht. In diesem Prozess
                     etwa zur zentralen Kategorie der Klima-      wird sich die Klimapolitik tendenziell
                     sensitivität – regelmäßig auch Anpas-        politisieren, die Klimaforschung hinge-
                     sungen des Budgets zur Folge hätten,         gen wieder stärker verwissenschaftli-
                     ohne dass die Politik darauf würde Ein-      chen. Auch die klimawissenschaftliche
                     fluss nehmen können. Wenn prominente         Politikberatung wird ihr Rollenver-
                     Klimaforscher        naturwissenschaftlich   ständnis hinterfragen müssen. Vor allem
                     begründete, „planetare Grenzen“ ziehen       dort, wo sie medienöffentlich agiert,
                     und diese anschließend für „nicht ver-       sollte sie ihre Aufgabe weniger darin
                     handelbar“ erklären, setzen sie sich da-     sehen, die enorme Bandbreite des kli-
                     mit entweder in ein Spannungsverhält-        mawissenschaftlichen Erkenntnisstands
                     nis zur Demokratie oder aber sie hegen       in einer Weise zu verdichten, die detail-
                     naive Vorstellungen vom Alltag des Po-       lierte Handlungsaufforderungen an die
                     litikbetriebs.                               Politik nahelegt. Sie sollte sich vielmehr
                                                                  darauf beschränken, Voraussetzungen
                                                                  und Folgen spezifischer Politikpfade
                                                                  aufzuzeigen. Die entsprechenden Ent-
                                                                  scheidungen wird die Politik treffen
                                                                  müssen.
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