Kommunale Jobcenter Erfolgreich fr Langzeitarbeitslose - Landkreis Oder-Spree
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Schriften Band 131 des Deutschen der Veröffentlichungen Landkreistages des Vereins für Geschichte der Deutschen Landkreise e.V. Herausgeber: Deutscher Landkreistag Berlin Redaktion: DLT-Pressestelle Gesamtherstellung: Gödecke+Gut, Berlin ISSN 0503-9185
VORWORT Die Agenda 2010 hat mit ihrem Kernstück der Zusammen- In der vorliegenden Broschüre hat der Deutsche Landkreis- führung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe neben der güns- tag erneut gute Beispiele aus der Praxis der kommunalen tigen konjunkturellen Entwicklung den entscheidenden Jobcenter zusammengetragen, die verdeutlichen, wie wich- Beitrag zur Reduzierung von Erwerbslosigkeit geleistet. Die tig und richtig eine kommunale Verankerung von Sozial- und Zahl der Arbeitslosen konnte deutlich zurückgeführt werden Arbeitsmarktpolitik ist. Die Stärke und das Alleinstellungs- – seit Jahren zeigt die Arbeitslosenquote einen sinkenden merkmal der 104 kommunalen Jobcenter liegen in der sozi- Trend. Im Jahresdurchschnitt 2016 waren 1,87 Mio. Men- alpolitischen Perspektive, die eine jeweils individuellen Blick schen im SGB II-Bezug arbeitslos. 2005, dem Startjahr des auf die Arbeitsmarktintegration jedes einzelnen Leistungs- SGB II, waren es dagegen 2,77 Mio. Menschen. Damit ver- berechtigten erlauben und im Zusammenspiel mit anderen bunden ist der Grundsatz von „Fördern und Fordern“ im kommunalen Aufgaben wie etwa der Kinder- und Jugend- SGB II, der sich in der täglichen Arbeit der Jobcenter be- hilfe, der Bildungspolitik, dem Ausländerrecht oder der Wirt- währt hat. Die Jobcenter haben in den vergangenen Jahren schaftsförderung ganzheitliche und nachhaltige Lösungen jährlich gut 1 Mio. Menschen in den ersten Arbeitsmarkt im Interesse der Menschen hervorbringen. integriert. Knapp die Hälfte waren Langzeitarbeitslose. Die Verbindung klassischer Arbeitsvermittlung mit fürsorge- Berlin, im Juni 2017 rischer Betreuung hat eine intensive Begleitung und Unter- stützung von Arbeitsuchenden und ihren Familien ermöglicht und zur Regel werden lassen. Die Betroffenen sind oftmals arbeitsmarktfern, haben mehrfache Vermittlungshemmnisse und bedürfen maßgeschneiderter Unterstützungsmaßnah- men. Die örtliche Anbindung der Jobcenter ermöglicht die Prof. Dr. Hans-Günter Henneke individuelle Begleitung auch in der Fläche und in ländlichen Geschäftsführendes Präsidialmitglied des Deutschen Landkreistages Räumen. Bei den kommunalen Jobcentern, die das SGB II alleine, also ohne die Bundesagentur für Arbeit umsetzen, ist die Ar- beitsmarktpolitik neben der Jugendhilfe, der Wirtschaftsför- derung, der Behindertenhilfe, der Pflege, der Bildungspolitik und weiteren Leistungsbereichen wesentlicher Bestandteil der kommunalen Sozialpolitik geworden. 3
INHALT Inhaltsverzeichnis Kommunale Jobcenter – Schnelle und unbürokratische Entscheidungen im Erfolgreich für Langzeitarbeitslose ................................................. 6 kommunalen Jobcenter......................................................................... 26 Landkreis Kusel „Die Zukunftsaufgabe Integration kann nur kommunal bewältigt werden“.................................................................................... 8 Kommunales Netzwerk sichert Flüchtlingsintegration......... 28 Interview mit Bernhard Reuter Landkreis Mayen-Koblenz Migrationsbeauftragte des Jobcenters......................................... 30 Stadt Münster BESONDERE STRUKTUREN DER KOMMUNALEN JOBCENTER Berufliche Integration gelingt in guter Kooperation.......... 31 Bündelung von Arbeitsvermittlung Landkreis Biberach und Wirtschaftsförderung................................................................... 11 Landkreis Osnabrück Die dezentrale Organisation weiterentwickeln........................ 12 BESONDERER FOKUS AUF JUNGE MENSCHEN Kreis Recklinghausen Hilfen für benachteiligte Jugendliche................................. 33 Landkreis Hersfeld-Rotenburg Man muss den Menschen etwas zutrauen................................... 13 Kreis Nordfriesland Jobcenter und Jugendhilfe arbeiten eng zusammen.......... 34 Erzgebirgskreis Arbeitsmarktpolitik als Bestandteil kommunaler Sozialpolitik.................................................................... 15 Ortenaukreis DIGITALISIERUNG IM JOBCENTER Organisationsentwicklung im laufenden Betrieb.................... 17 Kreis Schleswig-Flensburg E-Akte: Wesentliches Element moderner Verwaltung........ 36 Landkreis Tuttlingen Im Mittelpunkt muss der Mensch stehen.................................... 19 Landkreis Meißen Effektiveres Arbeiten und zufriedenere Kunden durch Digitalisierung........................................................................................... 37 Flexibel agieren im Interesse der Menschen.............................. 21 Kreis Düren Landkreis Anhalt-Bitterfeld Gesundheitsförderung im Jobcenter lohnt sich........................ 23 Landkreis Potsdam-Mittelmark DIE KOMMUNALEN JOBCENTER IM ÜBERBLICK........................ 40 INTEGRATION VON FLÜCHTLINGEN AUS EINER HAND Ganzheitlicher Ansatz durch Integrationsfallmanagement................................................ 24 Landkreis Grafschaft Bentheim 5
EINFÜHRUNG Kommunale Jobcenter – Erfolgreich für Langzeitarbeitslose Ein Viertel der Jobcenter wird als kommunales Jobcenter der Das ist für die Leistungsberechtigten ein struktureller Vor- Landkreise/kreisfreien Städte betrieben und erfüllt die SGB teil, da die Verantwortlichkeiten des Jobcenters mit weiteren II-Aufgaben ohne die Bundesagentur für Arbeit eigenverant- kommunalen Zuständigkeiten verknüpft werden können. Auf wortlich (sog. Optionskommunen). Demgegenüber nehmen diese Weise ist es möglich, für den Betroffenen ein echtes Ge- die gemeinsamen Einrichtungen als Mischbehörden aus der samtpaket an Leistungen und Angeboten zu schnüren. Bundesagentur für Arbeit und dem jeweiligen Landkreis/der kreisfreien Stadt die jeweiligen Teilzuständigkeiten beider Dies ist zugleich Ausdruck einer bürgernahen kommunalen Träger wahr. Philosophie, die darin besteht, im Interesse der Bürger kur- ze Wege, rasche Entscheidungsprozesse und passgenaue 22,5 Mio. Menschen wohnen in einem Landkreis oder einer Hilfeleistungen zu organisieren. kreisfreien Stadt mit kommunalen Jobcentern, die sich ins- gesamt um 1,5 Mio. Leistungsberechtigte kümmern: Die kommunalen Jobcenter arbeiten erfolgreich 22,5 Mio. Einwohner der Optionskommunen Während im Bereich der Arbeitslosenversicherung im SGB III die Arbeitslosenquote in den Optionskommunen (2,2 %) na- Baden-Württemberg 3.198.864 hezu gleich hoch ist wie in den gemeinsamen Einrichtungen Bayern 1.391.329 Brandenburg 1.096.826 (2,3 %), haben die Optionskommunen eine deutlich niedrigere Hessen 3.679.359 Arbeitslosenquote im SGB II (3,7 % gegenüber 4,1 % bei den Mecklenburg-Vorp. 224.820 Niedersachsen 2.818.782 gemeinsamen Einrichtungen). Ein noch größerer Unterschied Nordrhein-Westfalen 5.864.112 ergibt sich mit Blick auf die Quote der SGB II-Leistungsempfän- Rheinland-Pfalz 648.939 ger bezogen auf die Einwohnerzahl, die im Vergleich zu den Saarland 430.485 Sachsen 1.417.590 gemeinsamen Einrichtungen sogar über 1 % niedriger ist. Sachsen Anhalt 1.039.554 Schleswig-Holstein 360.799 Thüringen 436.589 Das ist ein Beleg für die erfolgreiche Arbeit der kommu- nalen Jobcenter, die stets am Wohl der Menschen orien- tiert ist und ständig nach Wegen sucht, diese dauerhaft aus 1,5 Mio. Leistungsempfänger in Optionskommunen der Arbeitslosigkeit herauszuführen und ihr Leben wieder eigenverantwortlich zu gestalten. Baden-Württemberg 129.372 Bayern 37.744 Brandenburg 88.513 SGB II-Quote Arbeitslosigkeit Hessen 228.918 (Leistungsempfänger pro Einwohner) Mecklenburg-Vorp. 23.861 Niedersachsen 145.579 Nordrhein-Westfalen 495.035 8% Rheinland-Pfalz 27.464 7% Saarland 26.336 6% Sachsen 104.245 Sachsen Anhalt 102.507 5% Schleswig-Holstein 22.657 4% Thüringen 23.669 3% 2% 1% Betrachtet man die 13 Flächenländer, wohnen damit knapp 6,44 % 7,5 % 3,7 % 4,1 % 2,2 % 2,3 % 0% 30 % der Menschen in einer Optionskommune. Arbeitslosenquote Arbeitslosenquote SGB II SGB III Die kommunalen Jobcenter haben sich bewährt und Optionskommunen insgesamt Gemeinsame Einrichtungen insgesamt haben große Stärken: Die kommunalen Jobcenter unterstützen die Men- Die kommunalen Jobcenter verfolgen eine nachhal- schen in eigener Verantwortung tige und vernetzte Arbeitsmarktpolitik In den kommunalen Jobcentern kommt aufgrund der Ei- Durch die starke kommunale Verankerung, die größeren genverantwortlichkeit der jeweiligen Kommune das Prinzip organisatorischen Freiheitsgrade sowie die Verbindung mit der kommunalen Selbstverwaltung besonders zum Tragen. anderen kommunalen Aufgaben wie etwa der Kinder- und 6
EINFÜHRUNG Jugendhilfe, der Bildungspolitik, dem Ausländerrecht oder Angebote notwendig. Erst dann ist der Grundstein für eine der Wirtschaftsförderung ist es den kommunalen Jobcen- spätere Wieder-)Eingliederung ins Berufsleben gelegt. Hier ters möglich, langfristige Strategien und Konzepte – bspw. wirkt die gebündelte Sozialkompetenz der kommunalen in Bezug auf die Senkung der Zahl der Geringqualifizierten Jobcenter im Zusammenspiel mit den Landkreisen/kreis- oder der Schul- und Ausbildungsabbrecher – zu verfolgen. freien Städten besonders. Die kommunalen Jobcenter sind nicht an die Weisungen und Konzepte der Bundesagentur für Arbeit gebunden Die kommunalen Jobcenter verfügen über eine starke und können deshalb ihre besonderen Integrationsbemü- demokratische Verankerung hungen auf bestimmte Personengruppen konzentrieren, bei denen die Arbeitsmarktintegration oder die Annähe- Dadurch, dass die SGB II-Aufgaben von den kommunalen rung an den Arbeitsmarkt sozialpolitisch vor Ort besonders Jobcentern ohne die Bundesagentur für Arbeit wahrge- wichtig ist. Damit kommt es in den kommunalen Jobcen- nommen werden können, ist eine auf die Erfordernisse der tern zu einer nachhaltigen und vernetzten kommunalen örtlichen Verhältnisse zugeschnittene Ausgestaltung von Arbeitsmarktpolitik. Arbeitsmarktmaßnahmen, organisatorischen Strukturen und spezifische Zielgruppen möglich. Die so erfolgende Optionskommune passgenaue Ausrichtung des jeweiligen kommunalen Job- Unterkunft und centers unterliegt den Entscheidungen und der Kontrolle Heizung Leistungen zur durch den durch den von den Bürgern direkt gewählten Arbeitsmarkt- Kreistag/Stadtrat und den Landrat/Oberbürgermeister. Wirtschafts- integration im förderung SGB II Einwohner der Optionskommunen nach Ländern Soziale Leistungen (Lesehilfe: In Hessen wohnen knapp 60 % der Bürger Unterhalts- vorschuss (Kinderbetreuung, in einer Optionskommune, in Schleswig-Holstein knapp 13 %.) Schuldner-, Sucht- und psychosoziale Beratung) 70,00 % Sozialhilfe 59,6 % Bildung und 60,00 % Teilhabe Sicherung des 46,3 % Lebensunterhalts 44,1 % 43,2 % Kinder- und 50,00 % im SGB II Jugendhilfe 35,6 % 34,7 % 40,00 % 32,8 % 29,4 % Generell kann die Arbeit der kommunalen Jobcenter den 30,00 % örtlichen Gegebenheiten angepasst werden – ein enges 20,1 % Handlungskorsett zum Umgang mit verschiedenen Fallkon- 16,0 % 13,9 % stellationen besteht nicht. Bei der Frage, ob das kommunale 20,00 % 12,6 % 10,8 % Jobcenter vorwiegend auf Träger für Maßnahmen zurück- greift oder selbst auch arbeitsmarktpolitische Maßnahmen 10,00 % erbringt, besteht ebenfalls Gestaltungsspielraum. 0,00 % Die kommunalen Jobcenter können mit schwierigen Baden-Württemberg Bayern Berlin Brandenburg Bremen Hamburg Hessen Mecklenburg-Vorpommern Niedersachsen Nordrhein-Westfahlen Rheinland-Pfalz Saarland Sachsen Sachsen-Anhalt Schleswig-Holstein Thüringen Biografien umgehen Eine besondere Stärke der kommunalen Jobcenter liegt in der sozialpolitischen Perspektive, die sich mit Blick auf die Arbeitsmarktintegration jedes einzelnen Leistungsberech- tigten einnehmen. Die Hilfebedürftigkeit der Betroffenen resultiert oftmals aus einer Vielzahl von Schwierigkeiten und Problemen, meist verbunden mit einem geringen Die kommunalen Jobcenter sind gut gerüstet für künf- Qualifikationsniveau. Individuell in den Blick genommen tige Herausforderungen werden müssen Suchtprobleme, fehlende Schul- und Aus- bildungsabschlüsse, Schulden etc. Um diese multiplen Für die künftigen Herausforderungen sind die kommunalen Schwierigkeiten anzugehen, sind neben einem formalen Jobcenter gut gerüstet. Gerade die Erfahrungen der letzten Nachholen z. B. entsprechender Qualifizierungen oder Jahre bei der Aufnahme, Versorgung und Unterbringung Abschlüsse vor allem auf die höchst individuelle Situation von Flüchtlingen verdeutlichen eindrucksvoll, wie leistungs- des Einzelnen abgestimmte Maßnahmen, Konzepte und fähig und flexibel die kommunale Ebene insgesamt und die 7
EINFÜHRUNG Landkreise im Besonderen sind. Die kommunalen Strukturen zugeschnittenen Integrationsstrategie, wobei den kommu- sind insgesamt gut aufgestellt, gerade wenn es mehr und nalen Jobcentern eine – wenn nicht gar die – maßgebliche mehr darum geht, die Integration der zugewanderten Men- Rolle im Integrationsprozess zukommt. Es geht um wirkungs- schen in Gesellschaft und Arbeitsmarkt zu bewerkstelligen. volle Gestaltung, nicht um Verwaltung. Die schlagkräftigen kommunalen Strukturen müssen gestärkt und bestmöglich Hierzu bedarf es kommunaler Konzepte und einer Steuerung unterstützt werden. des gesamten Integrationsprozesses vor Ort. In diesem Zu- sammenhang hat die dezentrale Verantwortung der Kom- munen den entscheidenden Vorteil einer auf den Einzelnen SGB II-Quote nach Ländern (SGB II-Leistungsempfänger pro Einwohner) SGB II-Quote in Optionskommunen SGB II-Quote insgesamt SGB II-Quote in gemeinsamen Einrichtungen 15,4 % 16 % 14,5 % 14 % 11,4 % 10,6 % 10,6 % 12 % 10,2 % 10,0 % 9,9 % 9,5 % 9,0 % 10 % 8,4 % 8,4 % 8,1 % 8,1 % 7,7 % 7,4 % 7,5 % 7,5 % 8% 6,3 % 6,2 % 6,1 % 5,7 % 5,4 % 5,2 % 6% 4,2 % 4,0 % 3,4 % 4% 2,7 % 2% 0% BW BY BE BB HB HH HE MV NI NRW RP SL SN ST SH TH Gemeinsame Einrichtungen – Mischbehörden aus Kommunen den gemeinsamen Einrichtungen. Durch die beiden beteiligten Träger und Bundesagentur für Arbeit haben die Mitarbeiter in den gemeinsamen Einrichtungen überdies unterschiedliche Tarifverträge. Damit gehen strukturelle Reibungsver- Die als gemeinsame Einrichtungen organisierten Jobcenter stellen luste einher, da es sich bei den Jobcentern in Form von gemeinsamen gemeinsame Behörden von Landkreis/kreisfreier Stadt und Bundes- Einrichtungen um Mischbehörden handelt, in denen die Verantwor- agentur für Arbeit dar. Die Leistungen für Unterkunft und Heizung, tungsstrukturen nicht immer klar sind. Erstausstattungen, das Bildungspaket sowie die kommunalen Einglie- derungsleistungen liegen in der Verantwortlichkeit des kommunalen Soziale Leistungen Wirtschaftsförderung Trägers; der Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts sowie die (Kinderbetreuung, Schuldner-, Kinder- und Jugendhilfe arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen werden von der Bundesagentur Sucht und psychosoziale Beratung) Unterhaltsvorschuss getragen. Unterkunft und Heizung Sozialhilfe Sicherung des Lebensunterhalts im SGB II Zwingende Konsequenz dieser Aufgabenteilung ist, dass im Vergleich Bildung und Teilhabe zu den kommunalen Jobcentern deutlich geringere örtliche Gestal- tungsmöglichkeiten und entsprechend auch eine geringere kommu- Leistungen zur Arbeitsmarktintegration im SGB II nale Verantwortung gegeben ist. Dies spiegelt sich auch in der Träger- versammlung als zentralem Steuerungsgremium jeder gemeinsamen Einrichtung wider. Hier bestehen oftmals zahlreiche Diskrepanzen, die im Wesen der in den gemeinsamen Einrichtungen zusammen- wirkenden Träger – einerseits die Bundesbehörde, andererseits der kommunale Träger – begründet sind. Auch bewirkt der Trägerdualis- mus verschiedene Rahmenbedingungen bspw. bei der Stellenbewirt- schaftung, bei Stellenbesetzungen, der Mitarbeiterführung und nicht zuletzt dem Selbstverständnis sowie der Haltung der Mitarbeiter in 8
INTERVIEW „Die Zukunftsaufgabe Integration kann nur kommunal bewältigt werden“ Interview mit Bernhard Reuter Landrat des Landkreises Göttingen und Vizepräsident des Deutschen Landkreistages Herr Reuter, der Landkreis Und wir haben früh begonnen, von der Problembetrachtung Göttingen betreibt seit in die andere Perspektive zu wechseln und zu fragen: Was dem Jahr 2005 ein eige- kann jemand? Wozu hat er Lust? Wo können wir ansetzen, nes kommunales Jobcen- Selbstvertrauen und Entwicklungswillen zu unterstützen? ter. Gleiches gilt für den Damit sind wir vorangekommen und haben die Menschen Landkreis Osterode am erreicht. Harz, der vor einem halb- en Jahr mit dem Landkreis Worin liegen die besonderen Stärken der kommu- Göttingen fusioniert ist. nalen Jobcenter, gerade im Vergleich zu den gemein- Sie waren Landrat in Os- samen Einrichtungen? terode, bevor sie im neu- Das liegt auf der Hand und hatte bereits die erste Wirkungs- en Landkreis Göttingen forschung gezeigt: Wir setzen auf nachhaltige Integrations- Verantwortung übernom- strategien. Wir halten nichts von kurzfristigen Massnahmen, men haben. Wie würden sondern wir nehmen uns in der Regel Zeit herauszufinden, Sie Ihre Erfahrungen in diesen zwei kommunalen Job- welches die geeigneten und zielführenden Schritte für einen centern zusammenfassen? Hat es sich bewährt, in die- Menschen sind, damit er wieder auf die Beine kommt. Wir sem Bereich die vollständige Verantwortung für die wollen – und auch das ist schon in der ersten Wirkungs- Bezieher von SGB II-Leistungen im zu übernehmen? forschung festgestellt worden – langfristige Erfolge erzielen. Es war eindeutig die richtige Entscheidung, diesen Weg zu Dies unterscheidet uns sicherlich von anderen, die auf die- gehen und es hat sich bewährt. Ich bin überzeugt davon, sem Gebiet tätig sind. dass die Arbeitsmarktpolitik weiter kommunalisiert werden muss und das wir starres Instrumentendenken überwinden Mit der Verschmelzung der Arbeitsförderung haben wir di- müssen und werden. rekten Zugriff und direkte Verantwortung für alle Leistungs- bereiche, die für die Grundsicherung für Arbeitsuchende Der Landkreis Osterode stand damals in der Arbeitslosensta- wichtig sind. Es gibt im Prinzip so gut wie keine hinderlichen tistik ganz hinten. Die Entscheidung für eine Bewerbung als Schnittstellen zwischen den einzelnen Bereichen, etwa zur kommunales Jobcenter fiel aus der Überzeugung, dass wir Kinder- und Jugendhilfe oder zur Wirtschaftsförderung. Das vor Ort das Problem der großen Arbeitslosigkeit besser lösen ist ein unschlagbarer Strukturvorteil. Hinzu kommt, dass die können. Inzwischen befindet sich Osterode im Mittelfeld und Verwaltung von den Bürgerinnen und Bürgern demokratisch schneidet sogar besser ab als der Landesdurchschnitt. Politik kontrolliert wird: Vor allem der Kreistag und der gewählte und Verwaltung, ich denke gerade auch die Bürgerinnen und Landrat sind direkt verantwortlich für die Arbeit des Jobcen- Bürger stehen im neuen Landkreis Göttingen hinter dieser ters und des Landkreises. Entscheidung. Auch der ehemalige Landkreis Göttingen hat mit seinem Jobcenter nennenswerte Erfolge erzielt. Stichwort Leistungen aus einer Hand: Im Zusammen- hang mit dem Flüchtlingsthema haben die Landkreise Der Prozess, Menschen behilflich zu sein, die erwerbslos in den letzten zwei Jahren eindrucksvoll unter Beweis sind, dreht sich nach unseren jahrzehntelangen Erfahrungen gestellt, wie schlagkräftig und flexibel kommunale nicht allein um die Frage „Wie finde ich einen Arbeitsplatz?“. Strukturen wirken können. Sehen Sie in der kommu- Bereits in den Zeiten des Bundessozialhilfegesetzes haben nalen Verankerung ein, wenn nicht das Erfolgsrezept wir auf dem Boden der flexiblen Bestimmungen arbeitslo- gelingender Integration? se Menschen betreut. Wir haben diese Menschen, Männer, Die Landkreise haben bei der Unterbringung von Flüchtlingen Frauen, Jugendliche und Kinder, schon immer als Menschen in der Tat gezeigt, wie leistungsfähig und flexibel die kom- aus der Mitte unserer örtlichen Gemeinschaft angesehen. munalen Strukturen sind. Stellen Sie sich für einen Moment Daraus entstand irgendwann auch der Wahlspruch „Bei uns vor, es gäbe die Landkreise nicht und die Flüchtlingsaufnahme hat jede Akte ein Gesicht“. Alle übrigen Zuständigkeiten, hätte durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und wie Kinderbetreuung, Jugendhilfe, Beratung bei Sucht, die Bundesagentur für Arbeit bewältigt werden müssen… Schulden und anderen Fragen, Wohnungsverwaltung, Da- Die Integration der Flüchtlinge ist allerdings vor allem eine seinsvorsorge usw., lagen und liegen seit jeher beim Land- Mammutaufgabe, die vor uns liegt. Erfahrungen zeigen, kreis. So waren wir in der Lage, umfassend aus einer Hand dass eine Arbeitsmarktintegration erst viele Jahre später und zu arbeiten. auch nur bezogen auf einen Teil der Flüchtlinge gelingt. Die 9
INTERVIEW Integration wird eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft Für mich ist außerdem ein großer Wermutstropfen, dass bleiben, ich bin aber überzeugt davon, dass den Landkreisen weiterhin (nur) das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge hier die Schlüsselrolle zukommt. Ich erwarte, dass Bund und über enorme Budgets zur Sprachförderung verfügt. Wir hal- Länder diese Rolle unterstützen. Die kommunale Veranke- ten dies mittelfristig für den falschen Weg. Anknüpfend an rung ist das Erfolgsrezept für eine gelingende Integration. meine vorangegangenen Erläuterungen zur kommunalen In- tegrationsrolle wird der Gesetzgeber einsehen müssen, dass Gibt es auch Punkte, an denen Sie sich seit Jahren die die Mittel für Sprachförderung ausschließlich auf die Landes- Zähne ausbeißen und die aus kommunaler Sicht drin- bzw. die kommunale Ebene gehören. Auch wenn es noch gend verbessert werden müssen? ein wenig dauern wird habe ich keinen Zweifel daran, dass Es gibt eine ganze Reihe von Punkten, die sicherlich verbes- diese Einsicht vielleicht schon bei der nächsten Flüchtlings- serungswürdig sind, sowohl im Bereich der Grundsicherung welle Eingang in die Bundespolitik findet. für Arbeitssuchende als auch in vielen anderen Bereichen, die die kommunale Verwaltung umsetzen muss. Es ist kein Zum Schluss ein Blick in die Glaskugel: Wo sehen Geheimnis, dass einige Dinge besonderes hinderlich sind. Sie die 104 kommunalen Jobcenter in zehn Jahren? Dazu gehören die ständig für verschiedene Zielgruppen Welches sind – neben der Integration von Geflüch- wiederkehrenden Bundesprogramme wie etwa zuletzt die teten – die Themen, die Ihr Jobcenter strategisch be- Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen. Solche Programme ent- schäftigen werden? stehen häufig mit viel gutem Willen, allerdings eher theore- Vom künftigen Bundesgesetzgeber wünsche ich mir, dass er tisch und in aller Regel ohne Rückkoppelung an die Praxis die Rahmenbedingungen für die Jobcenter weiter verbessert. und die wirklichen Erfordernisse der Jobcenter. Das ist der Denn die Herausforderungen, die wir meistern müssen, sind zentrale Grund, warum Bundesprogramme, wie man es im- enorm. Dazu gehören die demografische Entwicklung und mer wieder beobachten kann, erfolglos verpuffen. damit verbunden auch die weitere Zuwanderung von Men- schen in die Kommunen. Dafür brauchen wir ein flexibles Auf der Landesebene kommt es zudem immer wieder vor, Instrumentarium und damit mehr Möglichkeiten im Umgang dass Programme ins Leben gerufen werden, die nicht die mit komplexer werdenden Erfordernissen der Arbeitsmarkt- gewünschte Treffsicherheit entfalten. Wir stehen in Nie- politik. Außerdem ist zu wünschen, dass die Jobcenter ihre dersachsen gerade vor der Einführung eines Landespro- Aufgaben auf einem soliden finanziellen Fundament erfüllen grammes zur Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit, das können. Für die kommunalen Jobcenter gilt darüber hinaus, sehr stark dem Bundesprogramm für soziale Teilhabe ähnelt deren gute und bewährte Strukturen anzuerkennen und auf und auch eben haarscharf an dem vorbeigeht, was die Praxis sie zu bauen. eigentlich benötigt. Das Fehlen vieler Fachkräfte macht sich auch in den kommu- Zudem wird die sog. Finanzkontrolle des Bundes bei den nalen Jobcentern und den Landkreisen insgesamt bemerk- Optionskommunen deutlich überzogen. Der Bund findet bar. Natürlich bleibt das Thema „Geflüchtete Menschen und weder ein rechtes und in Anbetracht der Rechtsprechung Langzeitarbeitslosigkeit“ einer der Kernpunkte, mit denen des Bundesverfassungsgerichts rechtmäßiges Maß, noch sich die kommunalen Jobcenter und die Landkreise insge- ein vernünftiges Verfahren. In den vergangenen Jahren samt auseinandersetzen müssen. Nicht zu vergessen das al- waren die kommunalen Jobcenter deshalb gezwungen, in les überlagernde Thema der Digitalisierung. Dies muss auch mehreren Fragen zu klagen. Alle grundlegenden Gericht- im Zusammenhang mit Fachkräften gesehen werden, da wir sentscheidungen gingen zugunsten der kommunalen Job- in vielen Bereichen prüfen müssen, inwieweit wir das Fehlen center aus und ermöglichten eine sachgerechte Umsetzung von Fachkräften durch einen stärkeren Einsatz neuer Tech- vor Ort. nologien zumindest teilweise ausgleichen können. Es gibt eine Reihe weiterer Probleme wie die unterschied- lichen behördlichen Zuständigkeiten nach Zielgruppen und Lebensabschnitten. Wir wünschen uns grundsätzlich Leis- tungen aus einer Hand, nämlich der des Jobcenters, mehr Flexibilität bei der Arbeitsförderung und wir wollen auch neue Modelle wie das Globalbudget in Niedersachsen gerne ausprobieren. 10
BESONDERE STRUKTUREN DER KOMMUNALEN JOBCENTER Bündelung von Arbeitsvermittlung und Wirtschaftsförderung Landkreis Osnabrück Der Arbeitsmarkt hat zwei Seiten: Es geht um Men- Gründer- und Ansiedlungsberatung über die Begleitung von schen, die Arbeit suchen, und um Unternehmen, die Expansionen bis hin zu Angeboten etwa im Rahmen von Beschäftigte benötigen. Der Landkreis Osnabrück hat Betriebsnachfolgen. Mit der kommunalen Arbeitsvermitt- deshalb den Gedanken der Option, Arbeitsvermitt- lung MaßArbeit steht den Betrieben, die die Leistungen der lung durch ergänzende kommunale Leistungen effizi- Wirtschaftsförderung abrufen, nun auch ein kompetenter enter zu machen, weitergedacht. Im Geschäftsbereich Partner in Sachen Arbeitsmarkt zur Seite. Ein Mehrwert für Wirtschaft & Arbeit arbeiten seit 2012 die kommunale die Wirtschaft: Denn das ansiedlungs- oder expansionswil- Arbeitsvermittlung MaßArbeit und die Wirtschafts- lige Unternehmen erhält ein Komplettpaket aus einer Hand. förderungsgesellschaft Osnabrücker Land (WIGOS) Der Geschäftsbereich Wirtschaft & Arbeit kümmert sich um unter einem Dach. Durch die Bündelung von Perso- klassische Themen der Wirtschaftsförderung wie die Förder- nal- und Unternehmensdienstleistungen ergeben sich mittelakquise und koordiniert Bauleitplanung oder etwa um- wichtige Synergien, die sowohl Arbeitslosen als auch weltrechtliche Fragen mit anderen Behörden. Gleichzeitig der Wirtschaft zugutekommen. haben die Betriebe über die kommunale Arbeitsvermittlung einen direkten Zugriff auf das Arbeitskräftepotenzial der Re- Neues Organisiationsmodell gion. Der Geschäftsbereich unterstützt so in enger Abstim- Der Landkreis Osnabrück hat 2012 als eine der ersten Kom- mung etwa mit dem Gewerbeaufsichtsamt, dem Fachdienst munen bundesweit seine Wirtschaftsförderung und sei- Umwelt oder der Agentur für Arbeit das jeweilige Unterneh- ne kommunale Arbeitsvermittlung im Geschäftsbereich men in allen relevanten Problembereichen. Wirtschaft & Arbeit gebündelt. Ziel war es, die regionale Wirtschaft zu stärken und die Arbeitslosigkeit wirksamer Nah an den Unternehmen zu bekämpfen. Die Ausgangssituation: Mit einer Arbeits- Ein zusätzlicher Nutzen ergibt sich auch aus dem gewach- losenquote von zum Teil unter 4 % herrscht im Landkreis senen positiven Image der Wirtschaftsförderung. Durch die Osnabrück seit Jahren nahezu Vollbeschäftigung. Dennoch Berater der WIGOS öffnen sich Türen zu Unternehmen, die kamen die gute Konjunktur und die hohe Personalnachfrage der MaßArbeit früher durchaus verschlossen blieben. Denn der Betriebe lange Zeit nur unzureichend bei den langzeitar- trotz aller Qualifizierungsanstrengungen und Aufklärungs- beitslosen Menschen an. arbeit treffen Langzeitarbeitslose immer noch auf Vorur- teile. Natürlich lässt sich nicht jeder Arbeitsuchende zur gewünschten Fachkraft qualifizieren. Doch ist der Kontakt zum Betrieb hergestellt, ist das Vertrauen gewonnen, öffnen sich deutlich mehr Arbeitgeber für neue Wege bei der Per- sonalauswahl und versuchen es mit Bewerbern, die auf den ersten Blick nicht das passende Profil aufweisen. Dieser Trend ist jedoch kein Selbstläufer: Die Unternehmen benötigen häufig intensive Begleitung, um leistungsberech- tigte Arbeitslosengeld II-Empfänger beruflich zu integrieren. Ein Potenzial, über das die Optionskommunen und damit auch der Landkreis Osnabrück verfügen. Die ganze Band- breite kommunaler Unterstützungsleistungen – von der Unterstützung bei der Suche nach Kinderbetreuung über die Jugendberufshilfe bis hin zu Begleitung schwieriger Ausbildungen – steht in Rufweite zur Verfügung. Intensiv engagiert sich die MaßArbeit etwa im Bildungs- und Ausbil- dungsbereich, auch hier mit doppelter Ausrichtung. Ein ak- tiver Ansatz in diesem Themenfeld stärkt junge Erwachsene auf dem Weg in den Beruf und schafft gleichzeitig durch die Die Teams des UnternehmensService der WIGOS und des ArbeitgeberService Sicherung von Fachkräftenachwuchs zukunftsfähige Struk- der MaßArbeit arbeiten bei ihren Unternehmenskontakten eng zusammen. turen für die Unternehmen. Mit der Wirtschaftsförderungsgesellschaft WIGOS gab Erstorientierung für Flüchtlinge es bereits ein breites Angebot für Unternehmen von der Auch das Thema Migration bewegt sowohl WIGOS als auch 11
BESONDERE STRUKTUREN DER KOMMUNALEN JOBCENTER MaßArbeit. Denn gelingende Integration stellt die Weichen Weitere Synergieeffekte bieten ein regionales Arbeitsmarkt- dafür, dass sich unsere Gesellschaft positiv entwickelt und monitoring oder die gemeinsame Vermarktung. Genau unsere Wirtschaft weiterhin prosperiert. Mit dem Migrati- in dieser Bündelung der für alle Arbeitsmarktakteure rele- onszentrum der MaßArbeit verfügt der Geschäftsbereich vanten Themen liegt das große Potenzial: Das umfassende Wirtschaft & Arbeit über ein Instrument, das für eine zeitna- Angebot des Geschäftsbereiches Wirtschaft & Arbeit schafft he berufliche Integration von Menschen mit Zuwanderungs- hohe Servicequalität für die Wirtschaft und neue Perspekti- geschichte sorgt. Migranten erhalten hier eine umfassende ven für Langzeitarbeitslose. Beratung zur Erstorientierung, zu Leben und Arbeiten im Landkreis Osnabrück. Dazu gehören unter anderem die Ko- ordination der Sprachkursangebote, die Qualifizierung und die Vermittlung in Ausbildung und Arbeit. Die dezentrale Organisation weiterentwickeln Kreis Recklinghausen Der Strukturwandel im Kreis Recklinghausen vom einstigen Industrie- und Montanstandort zur Dienst- HALTERN leistungs- und Logistikregion ist noch nicht abge- AM SEE schlossen. Die Entwicklung bestehender und neuer Gewerbe- und Industrieflächen schafft dringend be- nötigte Arbeitsplätze. Mit der Weiterentwicklung sei- DORSTEN ner dezentralen Organisation im Vermittlungsservice OER- ist das Jobcenter Kreis Recklinghausen kompetenter MARL ERKENSCHWICK DATTELN Ansprechpartner für Unternehmen. Das Jobcenter stellt dabei sicher, dass das regionale Arbeitskräftepo- WALTROP tenzial gehoben wird und neu ansiedelnde Firmen HERTEN RECKLINGHAUSEN ihren Personalbedarf mit Arbeitsuchenden aus dem Kreis decken können. Das gelingt durch die intensive GLADBECK CASTROP- RAUXEL Zusammenarbeit mit den Städten, den örtlichen und regionalen Wirtschaftsförderungen und den weiteren Akteuren am Arbeitsmarkt. Kreis Recklinghausen Der Kreis Recklinghausen ist mit über 620.000 Einwohnern der bevölkerungsreichste Kreis in Deutschland. Der Kreis erbracht – von der Leistungsgewährung bis zum Fallmanage- weist in seinen zehn Städten auf einer Fläche von über 760 ment und der Vermittlung – und im Haus der sozialen Leis- km² eine heterogene Struktur auf, von städtischen Gebieten tungen mit den kommunalen Angeboten verknüpft. bis zum ländlichen Raum, der an das Münsterland angrenzt. Die Arbeitslosenquote (10,6 % im Februar 2017) liegt deut- Enger Kontakt zu Arbeitgebern lich über dem Landes- und Bundesdurchschnitt. Sie reicht Für eine nachhaltig erfolgreiche Integration in Arbeit ist der von 12,5 % in den Städten Recklinghausen und Gladbeck bis enge Kontakt zu den Arbeitgebern – den ansässigen und zu 4,7 % im ländlich geprägten Haltern am See. insbesondere den sich neu ansiedelnden Unternehmen – von besonderer Bedeutung. Als Schnittstelle bringt der Unter anderem aufgrund dieser Strukturen hat sich der Kreis Vermittlungsservice die Arbeitsuchenden und Arbeitgeber Recklinghausen gemeinsam mit den kreisangehörigen Städ- zusammen. Er bündelt die Kompetenzen der Fallmanager ten dazu entschieden, ab 2012 das SGB II als zugelassener und Vermittler, der Stadtverwaltungen und der Einheiten der kommunaler Träger in einer dezentralen Organisationsform Wirtschaftsförderungen. Die Organisation des Vermittlungs- wahrzunehmen. Der Kreis als Träger hat die kreisangehöri- services obliegt dem Fachbereich der Kreisverwaltung und gen Städte zur Durchführung der Aufgaben durch eine Sat- wird durch den Fachdienst Markt & Integration koordiniert. zung herangezogen und beteiligt. Alle SGB II-Leistungen Alle 37 Mitarbeitenden einschließlich der Teamleitungen sind werden bürgernah in zehn Bezirksstellen in den zehn Städten dezentral vor Ort in den zehn Bezirksstellen eingesetzt. 12
BESONDERE STRUKTUREN DER KOMMUNALEN JOBCENTER So werden einheitliche Strukturen und Qualitätsstandards Passgenaues Dienstleistungspaket sowie ein enger Austausch sichergestellt. Lokale Stärken Mit einem abgestimmten, passgenauen Dienstleistungspaket werden erkannt, entstehende Potenziale für das gesamte für den Arbeitgeber lieferte der Vermittlungsservice des Job- Kreisgebiet nutzbar. Als Anlaufstellen vor Ort hat das Job- centers letztlich ein gewichtiges Argument für die Investiti- center bereits in mehreren Städten Jobpoints eingerichtet. onsentscheidung des Unternehmens. Mit Maßnahmen von Sie wenden sich an Arbeitsuchende und Arbeitgeber und der Erstellung der Anforderungsprofile, der Bewerberinfor- bieten unbürokratische Beratung und Unterstützung bei der mation und -auswahl und der Probearbeit (MAG) bis hin zur Arbeitsvermittlung. Hier werden die regionalen und die loka- bedarfsgerechten Qualifizierung wird sichergestellt, dass das len Kompetenzen des Jobcenters für eine schnelle und nach- Unternehmen seinen Personalbedarf mit Arbeitsuchenden haltige Vermittlung verknüpft. aus dem Kreis decken kann. Die umfassende Dienstleistung aus einer Hand im Netzwerk Mit den Erfahrungen aus dieser erfolgreichen Zusammen- mit den Akteuren des Arbeitsmarktes hat sich beispielhaft arbeit bereitet sich das Jobcenter Kreis Recklinghausen auf bewährt bei der Neuansiedlung eines großen Logistikunter- weitere Großprojekte vor. Intensiviert wird dabei z. B. die nehmens im interkommunalen Industriepark der Städte Dor- Kooperation mit Wirtschaftsförderungen und Jobcentern sten und Marl. Durch die Investition des Unternehmens sol- in benachbarten Kreisen und kreisfreien Städten – etwa bei len am Ende 800 neue Arbeitsplätze im Kreis Recklinghausen der Entwicklung des Logistikzentrums Westfalenhütte in in der Logistikbranche entstehen. Frühzeitig in der Planungs- Dortmund. phase begleiteten der Kreis, die Städte Dorsten und Marl, die regionale Wirtschaftsförderung sowie das Jobcenter Kreis Recklinghausen die Ansiedlung in einer Projektgruppe. Man muss den Menschen etwas zutrauen Kreis Nordfriesland Seit den frühen Tagen des Deichbaus wird die Traditi- der Arbeitsvermittlung liegt bei der Kreisverwaltung. Im Laufe on der kommunalen Selbstverwaltung in Nordfriesland der Jahre wuchs die Erkenntnis, dass nicht alle Maßnahmen hochgehalten. Das Streben nach Selbstbestimmung und Vorgehensweisen im gesamten Kreisgebiet gleich gut gehört zur Mentalität der Küstenbewohner. Deshalb funktionieren, weil es in Nordfriesland vier unterschiedliche ergriff der nordwestlichste Kreis Deutschlands ohne Arbeitsmarkttypen gibt: Die Inseln Sylt, Föhr und Amrum so- Zögern die Chance, die Arbeitsvermittlung seiner wie Bad St. Peter-Ording auf dem Festland sind stark touri- Langzeiterwerbslosen ab 2005 selbst zu übernehmen. stisch geprägt. Im mittleren Nordfriesland zwischen Husum Da kurze Wege bürgerfreundlich sind – in einem Flä- und Niebüll gibt es viele Auspendler und wenige Arbeitge- chenkreis mit mehr als 2.000 km² Größe ein nicht zu ber, also auch deutlich geringere Chancen, wohnortnah ei- unterschätzender Aspekt –, schlug der Kreis seinen nen Job zu finden. Eiderstedt (ohne St. Peter-Ording) bereitet Städten und Gemeinden vor, alle bisherigen und alle große Sorgen: Wer hier arbeitslos wird, muss lange Wege in neuen sozialen Leistungen aus einer Hand unter einem Kauf nehmen, um wieder in Arbeit zu kommen. Der vierte Dach anzubieten. Nach kurzen Verhandlungen gründe- Arbeitsmarkttyp umfasst die Städte Husum, Niebüll und ihr ten sie gemeinsam sieben in der Fläche verteilte Sozi- jeweiliges Umland. Bedingt durch konzentrierte Gewerbean- alzentren, darunter zwei auf den Inseln Sylt und Föhr. siedlungen und im Nord-Bereich die Nähe zu Sylt, stehen hier Sie übernahmen die meisten Aufgaben der Sozialämter die Chancen am besten. Weil die Verhältnisse in Nordfriesland sowie – als Partner und Auftragnehmer des Kreises – so unterschiedlich sind, schließt der Kreis mit jedem Jobcenter die operative Umsetzung des SGB II als Jobcenter. Auch jährlich eine individuelle Zielvereinbarung ab. das Jugendamt des Kreises ist in den Sozialzentren ver- treten. Da viele Bürger im SGB II-Bezug auch mit ande- Kreisweit bewährt hat sich jedoch die Devise „Work first“: Be- ren Sozialbehörden in Kontakt stehen, wissen sie die reits bevor ein Neukunde einen Leistungsantrag stellt, spricht räumliche Nähe aller Ansprechpersonen zu schätzen. er mit dem Fallmanager. In den ersten Jahren gelang es nicht selten, jemanden „vom Fleck weg“ in den ersten Arbeitsmarkt Vier Arbeitsmarkttypen zu vermitteln. Inzwischen jedoch sind fast alle arbeitsmarkt- Das übergeordnete Management für Strategien und Projekte nahen Klienten wieder in den Arbeitsmarkt integriert. Heute 13
BESONDERE STRUKTUREN DER KOMMUNALEN JOBCENTER gelingen nur noch wenige Vermittlungen ohne vorherigen Abbau von Hemmnissen. Meist geht es um Schulden oder Kinderbetreuung. Deshalb hat der Kreis seine Schuldnerbe- ratung in den Sozialzentren angesiedelt. Doch auch Alkohol, mangelnde Mobilität und psychosoziale Probleme spielen oft Sozialzentrum Sylt eine Rolle, so dass auch die weiteren kommunalen Eingliede- Westerland rungsleistungen zum Tragen kommen. Sozialzentrum Niebüll Sozialzentrum Leck Wille, Ziele und Ressourcen der Klienten Sozialzentrum Niebüll Föhr - Amrum Leck Die Fallmanager in den Jobcentern vertreten eine klare Hal- tung: Sie trauen ihren Kunden etwas zu und leisten Hilfe zur Selbsthilfe. Deshalb konzentrieren sie sich nicht auf deren Wyk auf Föhr Sozialzentrum Schwächen, sondern auf ihre Ressourcen, also darauf, was Mittleres Nordfriesland sie können. Wer seine Stärken kennt, entwickelt ein stärkeres Breklum Selbstbewusstsein. In Kombination mit fachlicher Weiterbil- dung ist das oft ausschlaggebend für die Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Sozialzentrum Husum und Umland HusumHusum/Umland Zu Beginn der SGB II-Reform waren die Zumutbarkeitsgrenzen ein heftig umstrittenes Thema. Damals hieß es, Langzeitar- beitslose müssten praktisch jedes Jobangebot akzeptieren, Sozialzentrum selbst wenn es deutlich unter ihrer Qualifikation lag. Die Er- Südliches Nordfriesland fahrung hat uns jedoch gelehrt, dass diese Maximalforderung nicht durchgängig praktikabel ist“ Deshalb stellen die nord- Tönning friesischen Arbeitsvermittler den Willen, die Ziele und die Res- sourcen ihrer Klienten in den Mittelpunkt. Sozialzentren im Kreis Nordfriesland Wirtschaft profitiert von passgenauer Vermittlung Selbstverständlich geht nichts ohne eine enge Zusammen- „Förderung schafft Arbeit“. Bei manchen Projekten standen arbeit mit der regionalen Wirtschaft. Der Kreis verfolgt eine Alleinerziehende im Fokus, bei anderen die unter 25-Jäh- Strategie der passgenauen Vermittlung: Die Jobcenter senden rigen. Vermisst wird in Nordfriesland das „Projekt 50+“, mit den Arbeitgebern nicht einfach eine möglichst hohe Anzahl dem der Bund gesonderte Mittel für ältere Arbeitslose be- möglicher Stelleninteressenten, sondern treffen eine sorgfäl- reitstellte. Davon haben unsere Kunden sehr profitiert: Von tige Vorauswahl. Um die Geeignetsten schnell erkennen zu 2012 bis 2015 haben wir insgesamt 2.300 Ältere besonders können, wurden aussagekräftige Profile von Arbeitsuchen- gefördert, von denen wir 488 anschließend wieder in Arbeit den aller Qualifikationsniveaus erstellt. Schon wenige Tage vermitteln konnten. Damit haben wir das vereinbarte Ziel in nach dem Anruf eines Arbeitgebers finden oft schon die Vor- jedem Jahr übererfüllt. Ab 2016 stellte der Bund das Pro- stellungsgespräche statt. Die nordfriesische Nachhaltigkeits- gramm ein. Damit wurden die Marktchancen Älterer verrin- quote liegt über dem Landes- und Bundesdurchschnitt: Mehr gert. Mangels gesonderter finanzieller Unterfütterung sind als 65 % der Vermittelten sind sechs Monate später immer auch die vom Bund vorgeschlagenen Aktivierungscenter kein noch im Unternehmen. vollwertiger Ersatz. Behörden, Kammern und Kreishandwerkerschaften verste- Selbstverständlich gibt es auch in Nordfriesland Menschen hen sich als Partner mit gemeinsamer Zielsetzung. In jedem ohne realistische Chance auf einen regulären Job. Auch sie Jobcenter finden die Unternehmen feste Ansprechpartner, haben ein Recht auf einen haltgebenden, sozial und ge- die ihren Stellenpool sowie sämtliche Förderprogramme ken- sundheitlich stabilisierenden Arbeitsplatz. Deshalb wünscht nen und für jede Frage gerüstet sind. Seit 2005 wurden in sich der Kreis eine zuverlässige Finanzierung eines sozialen Nordfriesland mehr als 22.000 Integrationen in sozialversiche- Arbeitsmarktes für Tätigkeiten, die im öffentlichen Interesse rungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse erzielt. Die regio- liegen, für die aber kein regulärer Arbeitsmarkt besteht. Die nale Arbeitslosenquote im SGB II lag 2007 bei 5,0 und liegt Erfahrung zeigt, dass viele Menschen durch solche Tätigkeiten heute bei 3,4 % – obwohl es im Kreisgebiet keinen der grö- langfristig so stabilisiert werden können, dass sie sogar in den ßeren Industriebetriebe gibt, die in anderen Regionen immer ersten Arbeitsmarkt zurückkehren. Die nordfriesischen Fall- wieder Chancen für Langzeitarbeitslose bieten. manager betrachten Vermittlungshemmnisse nicht als Grund, einen Kunden aufzugeben – im Gegenteil: Unter den Vermit- Förderung schafft Arbeit telten wiesen etliche sogar mehrfache Gründe auf, die gegen Der Kreis Nordfriesland nutzt auch die Sonderförderprogramme die Aufnahme einer geregelten Tätigkeit sprachen. Bei vielen des Bundes für bestimmte Zielgruppen. Sagt man im Fußball: war fraglich, ob sie überhaupt noch als arbeitsfähig eingestuft „Geld schießt Tore“, gilt im Bereich der Arbeitsvermittlung: werden konnten. Auch ihnen gelang es mit einer intensiven 14
BESONDERE STRUKTUREN DER KOMMUNALEN JOBCENTER Betreuung und der konsequenten Anwendung des Prinzips Eingehende Post wird zentral gescannt und in den virtu- von Fördern und Fordern, wieder zu einem selbstbestimmten ellen Postkorb des zuständigen Mitarbeiters verschoben. Leben zurückzufinden. Auch E-Mails, Bescheide und Notizen werden nur noch in der digitalen Akte des entsprechenden Leistungsbeziehers Gute Erfahrungen mit digitalisierter Verwaltung unter einem Schlagwort abgelegt. Seitdem ist die Zahl von Als zunehmendes Problem der Sozialzentren erwies sich die Widersprüchen und Beschwerden zurückgegangen, weil Notwendigkeit, immer wieder SGB II-Akten zu kopieren. Für Anfragen sofort beantwortet werden können. Das langwie- Prüfungen, bei Widersprüchen und Klagen sowie Umzügen rige Suchen in den Akten entfällt. Den Sachbearbeitern fällt der Leistungsberechtigten mussten Akten versandt und oft es deutlich leichter, sich gegenseitig zu vertreten. Aufgrund sogar kopiert werden. Zudem waren seit 2005 solche Papier- dieser positiven Erfahrungen erwägt der Kreis Nordfriesland berge entstanden, dass einige Sozialzentren bereits externen nun auch, seine gesamte Verwaltung ebenfalls vollständig zu Archivraum anmieten mussten. Deshalb entschloss sich der digitalisieren. Kreis im Jahr 2013 zur Umstellung auf die elektronische Ak- tenführung. Ein Sozialzentrum meldete sich freiwillig für die Der Kreis ist sehr zufrieden mit dem nordfriesischen Weg im umfangreiche Planungs- und Testphase. Zwei technisch ver- SGB II. Wer arbeitslos ist, soll sehen, dass es selbst nach vie- sierte Mitarbeiterinnen stellten sich als Pilotanwender zur len Jahren und mit Brüchen in der Biografie noch möglich ist, Verfügung. Nach Ausschreibung der Software wurden die wieder in Arbeit zu kommen. Selbst nach langer Arbeitslo- Arbeitsabläufe durchgespielt, die Benutzerfreundlichkeit auf sigkeit werden viele Menschen wieder zu produktiven, hoch die Probe gestellt und Änderungen am System durchgeführt. motivierten Mitarbeitern. Bedingung ist allerdings, dass man ihnen eine Chance gibt. Nach Abschluss dieser ersten Phase wurde die E-Akte im Jahr 2014 auf die komplette Mitarbeiterschaft des Sozialzentrums ausgeweitet. Auf jedem Schreibtisch standen nun zwei Mo- nitore: Einer zeigte das Fachverfahren, der andere die digitale Akte. Mittlerweile sind sämtliche nordfriesischen Sozialzen- tren komplett auf die digitale Aktenführung umgestiegen. Arbeitsmarktpolitik als Bestandteil kommunaler Sozialpolitik Ortenaukreis Landkreise und Städte gewährleisten einen wesent- Arbeitslosenhilfe, das Arbeitslosengeld sowie die Verant- lichen Teil der sozialen Fürsorge und setzen dafür in wortung für die Vermittlung von jungen Menschen in Aus- hohem Maß eigene Mittel ein. Dies gilt insbesondere bildung waren den damaligen Arbeitsämtern vorbehalten. für die Sozial- und Jugendhilfe. Doch in den 1980er Die Steuerung erfolgte über die dort angesiedelten Verwal- Jahren begannen Kommunen angesichts anhaltend tungsausschüsse. Obwohl dort auch kommunale Vertreter hoher Arbeitslosigkeit, dem Abbau der originären Ar- mitgewirkt haben, war die Arbeitsmarktpolitik kein klas- beitslosenhilfe und hoher kommunaler Lasten für die sisches Feld, mit dem sich kommunale Gremien regelmäßig Sozialhilfe, eigene arbeitsmarktpolitische Programme auseinander gesetzt haben. zu entwickeln. Leistungen aus einer Hand Rechtliche Grundlage bot das Bundessozialhilfegesetz Das änderte sich mit dem 1.1.2015 durch die Zusammen- (BSHG). §§ 18 ff. BSHG eröffneten die Möglichkeit, über führung der Sozialhilfe mit der Arbeitslosenhilfe. Dies bot verschiedene Instrumente der Hilfe zur Arbeit Beschäfti- zunächst 69 Landkreisen und kreisfreien Städten im Rahmen gungsangebote für Sozialhilfeempfänger zu schaffen. Diese des Optionsmodells die Möglichkeit, die Verantwortung für Aktivitäten waren überwiegend sehr erfolgreich und ent- Leistungen nach dem SGB II als zugelassene kommunale lasteten die Kommunen zudem finanziell. Die Kommunal- Träger in voller Eigenverantwortung zu übernehmen und politik hat sich insoweit schon damals partiell in das Feld damit die soziale Fürsorge weiterhin selbst sicherzustellen. der Arbeitsmarktpolitik eingebracht und engagiert. Die Damit verbunden war nicht nur die materielle Sicherung des 15
BESONDERE STRUKTUREN DER KOMMUNALEN JOBCENTER Lebensunterhalts, sondern auch die aktive Arbeitsförderung Maßnahmeplanung, die Beratung des jährlichen Arbeits- mit dem Ziel der Integration der arbeitsfähigen Leistungs- marktprogramms, die Personalentwicklung und vieles mehr. empfänger in den Arbeitsmarkt sowie von Jugendlichen in Im Unterausschuss arbeiten Kreispolitik und Verwaltung in die Ausbildung. Heute sind bundesweit 104 Optionskom- einer sehr vertrauensvollen und konstruktiven Weise zusam- munen für die Leistungen nach dem SGB II verantwortlich. men, die Vorbildfunktion hat. Dort erfolgen auch die nöti- Bei ihnen ist die Arbeitsmarktpolitik neben der Jugendhil- gen Vorberatungen für Sitzungen des beschließenden Sozi- fe, der Behindertenhilfe, der Hilfe zur Pflege und weiteren alausschusses, dessen Tagesordnung stets Beratungspunkte Leistungsbereichen wesentlicher Bestandteil der kommu- aus dem SGB II beinhalten. Dadurch ist die kommunale nalen Sozialpolitik geworden. Sie setzt sich sowohl mit so- Arbeitsmarktpolitik im Ortenaukreis seit dem Jahr 2005 zu zialpolitischen als auch mit strukturpolitischen Zielen ausei- einem nicht mehr wegzudenkenden Baustein der kommu- nander und unterstützt bzw. begleitet damit die Arbeit der nalen Sozialpolitik geworden. kommunalen Jobcenter. Ein wesentliches Element ist dabei die Verknüpfung mit anderen kommunalen Themenfeldern Breites Netzwerk innerhalb der Sozial- und Jugendhilfepolitik, jedoch auch mit Besonders bemerkenswert ist, dass über die beteiligten der kommunalen Bildungspolitik, der Wirtschaftsförderung Kreisräte eine verstärkte Vernetzung mit den 51 kreisange- und anderen kommunalen Bereichen. Dadurch sind Leistun- hörigen Gemeinden gewährleistet ist und dort jeweils wie- gen aus einer Hand, eine umfassende Finanzsteuerung, viele derum eine enge Verzahnung mit dem örtlichen Handwerk Gestaltungsmöglichkeiten, eine sehr gute Vernetzung mit und der Wirtschaft. Auch die Kooperation insbesondere mit kreisangehörigen Gemeinden und damit insgesamt eine ef- der Agentur für Arbeit, den Kammern, den Verbänden der fiziente und erfolgreiche Wahrnehmung der Aufgaben nach freien Wohlfahrtspflege und anderen wird von der Kreis- dem SGB II gewährleistet. politik unterstützt und gefördert, denn hier gibt es erfah- rungsgemäß enge kreispolitische Verbindungen, die die Kooperationsgrundlagen der Verwaltung mit den jeweiligen Partnern spürbar ergänzen. Dies wird letztlich in einem sehr guten Klima der Zusammenarbeit der kommunalen Arbeits- förderung mit allen maßgebenden Akteuren im Landkreis sichtbar. Besonders nützlich ist dieses förderliche Klima bei der Integration der Zuwanderer in Ausbildung und Arbeit im Rahmen des SGB II, die aus der Sicht des Ortenaukreises die größte Herausforderung seit der Zusammenführung der Sozialhilfe mit der Arbeitslosenhilfe darstellt. Gute Kooperationsstrukturen im Ortenaukreis Verbindung mit der Kreispolitik Der engen Kooperation zwischen Kommunalpolitik und Verwaltung kommt dabei eine sehr hohe Bedeutung zu. Im Ortenaukreis, der seit 2005 Optionskommune ist, wurde von Anfang an eine enge und konstruktive Zusammenar- beit mit der Kreispolitik praktiziert, um kommunalpolitische mit fachlichen Zielen bestmöglich zu verknüpfen. Kernstück dieser engen Kooperation ist ein aus Mitgliedern des Sozi- alausschusses des Kreistags gebildeter Unterausschuss Ar- beitsförderung, dem auch Leitungskräfte des kommunalen Jobcenters angehören und der vom Dezernenten für Bil- dung, Jugend, Soziales und Arbeitsförderung geleitet wird. Er tagt vierteljährlich und begleitet bzw. unterstützt die Verwaltung in ihrer Gesamtsteuerung. Gegenstand dort ist regelmäßig die strategische Ausrichtung, die Budget- und 16
BESONDERE STRUKTUREN DER KOMMUNALEN JOBCENTER Organisationsentwicklung im laufenden Betrieb Kreis Schleswig-Flensburg Innerhalb von nur zwei Jahren wurde im Jobcenter Kultur, Leitbild Schleswig-Flensburg ein ganzheitlicher Organisati- onsentwicklungsprozess eingeführt und in seinen Planung, Steuerung und Controlling Kernelementen umgesetzt. Dieser Prozess berührte alle Bereiche des Jobcenters und führte sowohl in Personalmanagement der Aufbauorganisation, den Prozessabläufen, den Kommunikation Arbeitsmarktinstrumenten und der Mitarbeiter- schaft zu großen Veränderungen – bei laufendem Arbeitsvermittlung Betrieb. Eine immense Herausforderung nicht nur für das Jobcenter, sondern für die gesamte Kreisverwal- tung. Die eingeleiteten Veränderungsprozesse zei- gen in den relevanten Indikatoren bereits deutliche Wirkung. Ein Zeichen dafür, dass der eingeschlagene Aufgaben, Prozesse und Strukturen Weg richtig ist und konsequent weiterverfolgt wer- den muss. Die Arbeitsmarktzahlen von Schleswig-Flensburg und die Der Veränderungsprozess und die Neuausrichtung des Job- Kennzahlenergebnisse waren im Jahr 2013 ein Indiz dafür, centers wurden durch einen Wandel in der arbeitsmarkt- und dass die Entwicklung des Jobcenters Schleswig-Flensburg sozialpolitischen Philosophie des Kreises Schleswig-Flens- als Organisation noch nicht in dem geplanten Maße voran- burg eingeleitet. Nicht mehr die Vermittlungshemmnisse, geschritten ist. Im direkten Leistungsvergleich mit anderen sondern die individuell vorhandenen Fähigkeiten, Res- Jobcentern in Schleswig-Holstein bildete das Jobcenter auf sourcen und Potenziale eines jeden Leistungsberechtigten einzelne Indikatoren bezogen sogar das Schlusslicht. Eine wurden fortan in das Zentrum einer einheitlichen Beratung interne Analyse der Ursachen dieser Entwicklung führte gerückt. Im Rahmen der ganzheitlichen Fallsteuerungssy- zu dem Schluss, dass mit der derzeitigen Aufbau- und Ab- stematik fa:z modell® (Förderansatz: Ziel) steht im Fallma- lauforganisation auch zukünftig nicht die anvisierten posi- nagement nun eine Potenzialanalyse am Anfang der Fall- tiven Ergebnisse zu erzielen sein würden. betreuung, aus der sich alle weiteren Fördermaßnahmen ableiten. Damit ist auch eine Abkehr von Breitband-Maß- Tiefgreifender Veränderungsprozess nahmen verbunden. Ausgehend von den im Profiling iden- Dieser Befund stand am Anfang eines ganzheitlichen Orga- tifizierten Bedarfe der Kunden werden im Jobcenter Schles- nisationsentwicklungsprozesses, der im Jobcenter Schles- wig-Flensburg individuelle Maßnahmen konzipiert, um so wig-Flensburg in nur zwei Jahren eingeführt und in seinen maßgeschneiderte Förderangebote anbieten zu können. Kernelementen umgesetzt worden ist. Mithilfe der exter- Auf diese Weise wird sichergestellt, dass der Kunde ganz nen Beratungsfirma gfa | public GmbH wurde eine neutrale genau die Hilfen erhält, die er benötigt, um das übergeord- und objektive Bestandsaufnahme durchgeführt. Auf der nete Ziel zu erreichen: die Integration in den Arbeitsmarkt. Basis einer umfassenden Reifegrade-Analyse der Organi- sationsstruktur des Jobcenters konnten so Problemfelder Durch eine Systematisierung und die damit verbundene sowie vorhandene Potenziale klar identifiziert werden. Die ökonomische Optimierung des Fallmanagements konnten hieraus gewonnenen Erkenntnisse bildeten die Grundlage an dieser Stelle Ressourcen eingespart und anderen Prozes- für einen Diskurs über die grundsätzliche Neuausrichtung sen zugesteuert werden. So ist in diesem Zusammenhang des Jobcenters mit den Entscheidungsträgern aus Politik mit der Werkakademie in enger Verzahnung mit einem um- und Verwaltung. Gemeinsam wurde das Programmziel de- strukturierten Neukundenprozess etwa auch ein neuer För- finiert, eine erfolgreiche Umsetzung des sozialpolitischen deransatz flächendeckend entwickelt worden. Dieses hilft Vermittlungsauftrags des Kreises Schleswig-Flensburg als gerade den Neuantragstellern dabei, schnellstmöglich wie- zugelassener kommunaler Träger für die Zukunft sicherzu- der in ihren Beruf zurückzufinden. In den vier Werkakade- stellen. Aus dem übergeordneten Programmziel wurden mien wird im Kreisgebiet dabei passend zur Beratungslogik operative Ziele abgeleitet, die wiederum handlungsleitend des fa:z modells® ein ganzheitlicher, praxisorientierter An- für die Festlegung von Projektschwerpunkten waren. Da- satz verfolgt. Die Besonderheit des Konzepts liegt hierbei bei betrafen die Teilprojekte nicht nur den Kernprozess der in der kombinierten Betreuung der Kunden durch Mitarbei- Fallarbeit bzw. Integration, sondern auch die zugeordneten ter des Jobcenters Schleswig-Flensburg und des jeweiligen Unterstützungs- sowie zentrale Managementprozesse. Die- Trägers in der Werkakademie. Im Sinne der Direktive „Work ser tiefgreifende Veränderungsprozess kann als sprichwört- First“ erhalten Neukunden so von der Antragstellung bis liche Reparatur am laufenden Motor bezeichnet werden. zum Bewerbungscoaching an einem Ort ganz genau die 17
Sie können auch lesen