Kommunale Jobcenter Erfolgreich fr Langzeitarbeitslose - Landkreis Oder-Spree

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Kommunale Jobcenter Erfolgreich fr Langzeitarbeitslose - Landkreis Oder-Spree
Kommunale Jobcenter –
       Erfolgreich für
   Langzeitarbeitslose
Kommunale Jobcenter Erfolgreich fr Langzeitarbeitslose - Landkreis Oder-Spree
Schriften            Band 131
des Deutschen        der Veröffentlichungen
Landkreistages       des Vereins für Geschichte
                     der Deutschen Landkreise e.V.

Herausgeber:         Deutscher Landkreistag
                     Berlin
Redaktion:           DLT-Pressestelle
Gesamtherstellung:   Gödecke+Gut, Berlin

ISSN 0503-9185
Kommunale Jobcenter Erfolgreich fr Langzeitarbeitslose - Landkreis Oder-Spree
VORWORT

Die Agenda 2010 hat mit ihrem Kernstück der Zusammen-           In der vorliegenden Broschüre hat der Deutsche Landkreis-
führung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe neben der güns-       tag erneut gute Beispiele aus der Praxis der kommunalen
tigen konjunkturellen Entwicklung den entscheidenden            Jobcenter zusammengetragen, die verdeutlichen, wie wich-
Beitrag zur Reduzierung von Erwerbslosigkeit geleistet. Die     tig und richtig eine kommunale Verankerung von Sozial- und
Zahl der Arbeitslosen konnte deutlich zurückgeführt werden      Arbeitsmarktpolitik ist. Die Stärke und das Alleinstellungs-
– seit Jahren zeigt die Arbeitslosenquote einen sinkenden       merkmal der 104 kommunalen Jobcenter liegen in der sozi-
Trend. Im Jahresdurchschnitt 2016 waren 1,87 Mio. Men-          alpolitischen Perspektive, die eine jeweils individuellen Blick
schen im SGB II-Bezug arbeitslos. 2005, dem Startjahr des       auf die Arbeitsmarktintegration jedes einzelnen Leistungs-
SGB II, waren es dagegen 2,77 Mio. Menschen. Damit ver-         berechtigten erlauben und im Zusammenspiel mit anderen
bunden ist der Grundsatz von „Fördern und Fordern“ im           kommunalen Aufgaben wie etwa der Kinder- und Jugend-
SGB II, der sich in der täglichen Arbeit der Jobcenter be-      hilfe, der Bildungspolitik, dem Ausländerrecht oder der Wirt-
währt hat. Die Jobcenter haben in den vergangenen Jahren        schaftsförderung ganzheitliche und nachhaltige Lösungen
jährlich gut 1 Mio. Menschen in den ersten Arbeitsmarkt         im Interesse der Menschen hervorbringen.
integriert. Knapp die Hälfte waren Langzeitarbeitslose.

Die Verbindung klassischer Arbeitsvermittlung mit fürsorge-     Berlin, im Juni 2017
rischer Betreuung hat eine intensive Begleitung und Unter-
stützung von Arbeitsuchenden und ihren Familien ermöglicht
und zur Regel werden lassen. Die Betroffenen sind oftmals
arbeitsmarktfern, haben mehrfache Vermittlungshemmnisse
und bedürfen maßgeschneiderter Unterstützungsmaßnah-
men. Die örtliche Anbindung der Jobcenter ermöglicht die        Prof. Dr. Hans-Günter Henneke
individuelle Begleitung auch in der Fläche und in ländlichen    Geschäftsführendes Präsidialmitglied
                                                                des Deutschen Landkreistages
Räumen.

Bei den kommunalen Jobcentern, die das SGB II alleine, also
ohne die Bundesagentur für Arbeit umsetzen, ist die Ar-
beitsmarktpolitik neben der Jugendhilfe, der Wirtschaftsför-
derung, der Behindertenhilfe, der Pflege, der Bildungspolitik
und weiteren Leistungsbereichen wesentlicher Bestandteil
der kommunalen Sozialpolitik geworden.

                                                                                                                             3
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INHALT

Inhaltsverzeichnis

Kommunale Jobcenter –                                                                                     Schnelle und unbürokratische Entscheidungen im
Erfolgreich für Langzeitarbeitslose ................................................. 6                   kommunalen Jobcenter......................................................................... 26
                                                                                                          Landkreis Kusel
„Die Zukunftsaufgabe Integration kann nur kommunal
bewältigt werden“.................................................................................... 8   Kommunales Netzwerk sichert Flüchtlingsintegration......... 28
Interview mit Bernhard Reuter                                                                             Landkreis Mayen-Koblenz

                                                                                                          Migrationsbeauftragte des Jobcenters......................................... 30
                                                                                                          Stadt Münster
BESONDERE STRUKTUREN DER KOMMUNALEN JOBCENTER
                                                                                                          Berufliche Integration gelingt in guter Kooperation.......... 31
Bündelung von Arbeitsvermittlung                                                                          Landkreis Biberach
und Wirtschaftsförderung................................................................... 11
Landkreis Osnabrück

Die dezentrale Organisation weiterentwickeln........................ 12                                   BESONDERER FOKUS AUF JUNGE MENSCHEN
Kreis Recklinghausen
                                                                                                          Hilfen für benachteiligte Jugendliche................................. 33
                                                                                                          Landkreis Hersfeld-Rotenburg
Man muss den Menschen etwas zutrauen................................... 13
Kreis Nordfriesland
                                                                                                          Jobcenter und Jugendhilfe arbeiten eng zusammen.......... 34
                                                                                                          Erzgebirgskreis
Arbeitsmarktpolitik als Bestandteil
kommunaler Sozialpolitik.................................................................... 15
Ortenaukreis
                                                                                                          DIGITALISIERUNG IM JOBCENTER
Organisationsentwicklung im laufenden Betrieb.................... 17
Kreis Schleswig-Flensburg                                                                                 E-Akte: Wesentliches Element moderner Verwaltung........ 36
                                                                                                          Landkreis Tuttlingen
Im Mittelpunkt muss der Mensch stehen.................................... 19
Landkreis Meißen                                                                                          Effektiveres Arbeiten und zufriedenere Kunden durch
                                                                                                          Digitalisierung........................................................................................... 37
Flexibel agieren im Interesse der Menschen.............................. 21                               Kreis Düren
Landkreis Anhalt-Bitterfeld

Gesundheitsförderung im Jobcenter lohnt sich........................ 23
Landkreis Potsdam-Mittelmark                                                                              DIE KOMMUNALEN JOBCENTER IM ÜBERBLICK........................ 40

INTEGRATION VON FLÜCHTLINGEN AUS EINER HAND

Ganzheitlicher Ansatz
durch Integrationsfallmanagement................................................ 24
Landkreis Grafschaft Bentheim

                                                                                                                                                                                                                     5
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EINFÜHRUNG

Kommunale Jobcenter –
Erfolgreich für Langzeitarbeitslose

Ein Viertel der Jobcenter wird als kommunales Jobcenter der               Das ist für die Leistungsberechtigten ein struktureller Vor-
Landkreise/kreisfreien Städte betrieben und erfüllt die SGB               teil, da die Verantwortlichkeiten des Jobcenters mit weiteren
II-Aufgaben ohne die Bundesagentur für Arbeit eigenverant-                kommunalen Zuständigkeiten verknüpft werden können. Auf
wortlich (sog. Optionskommunen). Demgegenüber nehmen                      diese Weise ist es möglich, für den Betroffenen ein echtes Ge-
die gemeinsamen Einrichtungen als Mischbehörden aus der                   samtpaket an Leistungen und Angeboten zu schnüren.
Bundesagentur für Arbeit und dem jeweiligen Landkreis/der
kreisfreien Stadt die jeweiligen Teilzuständigkeiten beider               Dies ist zugleich Ausdruck einer bürgernahen kommunalen
Träger wahr.                                                              Philosophie, die darin besteht, im Interesse der Bürger kur-
                                                                          ze Wege, rasche Entscheidungsprozesse und passgenaue
22,5 Mio. Menschen wohnen in einem Landkreis oder einer                   Hilfeleistungen zu organisieren.
kreisfreien Stadt mit kommunalen Jobcentern, die sich ins-
gesamt um 1,5 Mio. Leistungsberechtigte kümmern:                          Die kommunalen Jobcenter arbeiten erfolgreich

    22,5 Mio. Einwohner der Optionskommunen                               Während im Bereich der Arbeitslosenversicherung im SGB III
                                                                          die Arbeitslosenquote in den Optionskommunen (2,2 %) na-
                                        Baden-Württemberg     3.198.864   hezu gleich hoch ist wie in den gemeinsamen Einrichtungen
                                        Bayern                1.391.329
                                        Brandenburg           1.096.826
                                                                          (2,3 %), haben die Optionskommunen eine deutlich niedrigere
                                        Hessen                3.679.359   Arbeitslosenquote im SGB II (3,7 % gegenüber 4,1 % bei den
                                        Mecklenburg-Vorp.       224.820
                                        Niedersachsen         2.818.782
                                                                          gemeinsamen Einrichtungen). Ein noch größerer Unterschied
                                        Nordrhein-Westfalen   5.864.112   ergibt sich mit Blick auf die Quote der SGB II-Leistungsempfän-
                                        Rheinland-Pfalz         648.939   ger bezogen auf die Einwohnerzahl, die im Vergleich zu den
                                        Saarland                430.485
                                        Sachsen               1.417.590   gemeinsamen Einrichtungen sogar über 1 % niedriger ist.
                                        Sachsen Anhalt        1.039.554
                                        Schleswig-Holstein      360.799
                                        Thüringen               436.589   Das ist ein Beleg für die erfolgreiche Arbeit der kommu-
                                                                          nalen Jobcenter, die stets am Wohl der Menschen orien-
                                                                          tiert ist und ständig nach Wegen sucht, diese dauerhaft aus
    1,5 Mio. Leistungsempfänger in Optionskommunen                        der Arbeitslosigkeit herauszuführen und ihr Leben wieder
                                                                          eigenverantwortlich zu gestalten.
                                        Baden-Württemberg      129.372
                                        Bayern                  37.744
                                        Brandenburg             88.513      SGB II-Quote                              Arbeitslosigkeit
                                        Hessen                 228.918      (Leistungsempfänger pro Einwohner)
                                        Mecklenburg-Vorp.       23.861
                                        Niedersachsen          145.579
                                        Nordrhein-Westfalen    495.035                                           8%
                                        Rheinland-Pfalz         27.464                                           7%
                                        Saarland                26.336
                                                                                                                 6%
                                        Sachsen                104.245
                                        Sachsen Anhalt         102.507                                           5%
                                        Schleswig-Holstein      22.657                                           4%
                                        Thüringen               23.669
                                                                                                                 3%
                                                                                                                 2%
                                                                                                                 1%
Betrachtet man die 13 Flächenländer, wohnen damit knapp                         6,44 %            7,5 %                  3,7 % 4,1 %        2,2 % 2,3 %
                                                                                                                 0%
30 % der Menschen in einer Optionskommune.                                                                              Arbeitslosenquote   Arbeitslosenquote
                                                                                                                              SGB II              SGB III

Die kommunalen Jobcenter haben sich bewährt und                                      Optionskommunen insgesamt            Gemeinsame Einrichtungen insgesamt
haben große Stärken:

Die kommunalen Jobcenter unterstützen die Men-                            Die kommunalen Jobcenter verfolgen eine nachhal-
schen in eigener Verantwortung                                            tige und vernetzte Arbeitsmarktpolitik

In den kommunalen Jobcentern kommt aufgrund der Ei-                       Durch die starke kommunale Verankerung, die größeren
genverantwortlichkeit der jeweiligen Kommune das Prinzip                  organisatorischen Freiheitsgrade sowie die Verbindung mit
der kommunalen Selbstverwaltung besonders zum Tragen.                     anderen kommunalen Aufgaben wie etwa der Kinder- und

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Kommunale Jobcenter Erfolgreich fr Langzeitarbeitslose - Landkreis Oder-Spree
EINFÜHRUNG

Jugendhilfe, der Bildungspolitik, dem Ausländerrecht oder                  Angebote notwendig. Erst dann ist der Grundstein für eine
der Wirtschaftsförderung ist es den kommunalen Jobcen-                     spätere Wieder-)Eingliederung ins Berufsleben gelegt. Hier
ters möglich, langfristige Strategien und Konzepte – bspw.                 wirkt die gebündelte Sozialkompetenz der kommunalen
in Bezug auf die Senkung der Zahl der Geringqualifizierten                 Jobcenter im Zusammenspiel mit den Landkreisen/kreis-
oder der Schul- und Ausbildungsabbrecher – zu verfolgen.                   freien Städten besonders.
Die kommunalen Jobcenter sind nicht an die Weisungen
und Konzepte der Bundesagentur für Arbeit gebunden                         Die kommunalen Jobcenter verfügen über eine starke
und können deshalb ihre besonderen Integrationsbemü-                       demokratische Verankerung
hungen auf bestimmte Personengruppen konzentrieren,
bei denen die Arbeitsmarktintegration oder die Annähe-                     Dadurch, dass die SGB II-Aufgaben von den kommunalen
rung an den Arbeitsmarkt sozialpolitisch vor Ort besonders                 Jobcentern ohne die Bundesagentur für Arbeit wahrge-
wichtig ist. Damit kommt es in den kommunalen Jobcen-                      nommen werden können, ist eine auf die Erfordernisse der
tern zu einer nachhaltigen und vernetzten kommunalen                       örtlichen Verhältnisse zugeschnittene Ausgestaltung von
Arbeitsmarktpolitik.                                                       Arbeitsmarktmaßnahmen, organisatorischen Strukturen
                                                                           und spezifische Zielgruppen möglich. Die so erfolgende
  Optionskommune
                                                                           passgenaue Ausrichtung des jeweiligen kommunalen Job-
                               Unterkunft und                              centers unterliegt den Entscheidungen und der Kontrolle
                                  Heizung             Leistungen zur       durch den durch den von den Bürgern direkt gewählten
                                                       Arbeitsmarkt-
                                                                           Kreistag/Stadtrat und den Landrat/Oberbürgermeister.
           Wirtschafts-                               integration im
            förderung                                      SGB II

                                                                            Einwohner der Optionskommunen nach Ländern
                                                      Soziale Leistungen    (Lesehilfe: In Hessen wohnen knapp 60 % der Bürger
       Unterhalts-
        vorschuss                                     (Kinderbetreuung,     in einer Optionskommune, in Schleswig-Holstein knapp 13 %.)
                                                      Schuldner-, Sucht-
                                                      und psychosoziale
                                                          Beratung)         70,00 %
      Sozialhilfe

                                                                                                                                                             59,6 %
                                                          Bildung und       60,00 %
                                                            Teilhabe
             Sicherung des

                                                                                                                                                                                                                                                                             46,3 %
            Lebensunterhalts
                                                                                                                            44,1 %

                                                                                                                                                                                                                                                        43,2 %
                                            Kinder- und                     50,00 %
                im SGB II
                                            Jugendhilfe                                                                                                                                        35,6 %

                                                                                                                                                                                                                                                                   34,7 %
                                                                            40,00 %
                                                                                                                                                                                                               32,8 %
                                                                                      29,4 %

Generell kann die Arbeit der kommunalen Jobcenter den                       30,00 %
örtlichen Gegebenheiten angepasst werden – ein enges

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   20,1 %
Handlungskorsett zum Umgang mit verschiedenen Fallkon-
                                                                                                                                                                                                                                      16,0 %
                                                                                                                                                                      13,9 %

stellationen besteht nicht. Bei der Frage, ob das kommunale                 20,00 %
                                                                                                                                                                                                                                                                                               12,6 %
                                                                                                          10,8 %

Jobcenter vorwiegend auf Träger für Maßnahmen zurück-
greift oder selbst auch arbeitsmarktpolitische Maßnahmen                    10,00 %
erbringt, besteht ebenfalls Gestaltungsspielraum.

                                                                             0,00 %
Die kommunalen Jobcenter können mit schwierigen
                                                                                      Baden-Württemberg
                                                                                                          Bayern
                                                                                                                   Berlin
                                                                                                                            Brandenburg
                                                                                                                                          Bremen
                                                                                                                                                   Hamburg
                                                                                                                                                             Hessen
                                                                                                                                                                      Mecklenburg-Vorpommern
                                                                                                                                                                                               Niedersachsen
                                                                                                                                                                                                               Nordrhein-Westfahlen
                                                                                                                                                                                                                                      Rheinland-Pfalz
                                                                                                                                                                                                                                                        Saarland
                                                                                                                                                                                                                                                                   Sachsen
                                                                                                                                                                                                                                                                             Sachsen-Anhalt
                                                                                                                                                                                                                                                                                              Schleswig-Holstein
                                                                                                                                                                                                                                                                                                                   Thüringen

Biografien umgehen

Eine besondere Stärke der kommunalen Jobcenter liegt in
der sozialpolitischen Perspektive, die sich mit Blick auf die
Arbeitsmarktintegration jedes einzelnen Leistungsberech-
tigten einnehmen. Die Hilfebedürftigkeit der Betroffenen
resultiert oftmals aus einer Vielzahl von Schwierigkeiten
und Problemen, meist verbunden mit einem geringen                          Die kommunalen Jobcenter sind gut gerüstet für künf-
Qualifikationsniveau. Individuell in den Blick genommen                    tige Herausforderungen
werden müssen Suchtprobleme, fehlende Schul- und Aus-
bildungsabschlüsse, Schulden etc. Um diese multiplen                       Für die künftigen Herausforderungen sind die kommunalen
Schwierigkeiten anzugehen, sind neben einem formalen                       Jobcenter gut gerüstet. Gerade die Erfahrungen der letzten
Nachholen z. B. entsprechender Qualifizierungen oder                       Jahre bei der Aufnahme, Versorgung und Unterbringung
Abschlüsse vor allem auf die höchst individuelle Situation                 von Flüchtlingen verdeutlichen eindrucksvoll, wie leistungs-
des Einzelnen abgestimmte Maßnahmen, Konzepte und                          fähig und flexibel die kommunale Ebene insgesamt und die

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                               7
Kommunale Jobcenter Erfolgreich fr Langzeitarbeitslose - Landkreis Oder-Spree
EINFÜHRUNG

Landkreise im Besonderen sind. Die kommunalen Strukturen                                                               zugeschnittenen Integrationsstrategie, wobei den kommu-
sind insgesamt gut aufgestellt, gerade wenn es mehr und                                                                nalen Jobcentern eine – wenn nicht gar die – maßgebliche
mehr darum geht, die Integration der zugewanderten Men-                                                                Rolle im Integrationsprozess zukommt. Es geht um wirkungs-
schen in Gesellschaft und Arbeitsmarkt zu bewerkstelligen.                                                             volle Gestaltung, nicht um Verwaltung. Die schlagkräftigen
                                                                                                                       kommunalen Strukturen müssen gestärkt und bestmöglich
Hierzu bedarf es kommunaler Konzepte und einer Steuerung                                                               unterstützt werden.
des gesamten Integrationsprozesses vor Ort. In diesem Zu-
sammenhang hat die dezentrale Verantwortung der Kom-
munen den entscheidenden Vorteil einer auf den Einzelnen

    SGB II-Quote nach Ländern
    (SGB II-Leistungsempfänger pro Einwohner)                             SGB II-Quote in Optionskommunen                             SGB II-Quote insgesamt                       SGB II-Quote in gemeinsamen Einrichtungen
                                        15,4 %

      16 %
                                                                 14,5 %

      14 %

                                                                                                                                                                                                                          11,4 %
                                                                                                                                                                                        10,6 %
                                                                                                     10,6 %

      12 %
                                                                            10,2 %

                                                                                                              10,0 %

                                                                                                                                                                                                                 9,9 %
                                                                                                                                                     9,5 %
                                                         9,0 %

      10 %

                                                                                                                                             8,4 %

                                                                                                                                                                                                         8,4 %
                                                                                                                                     8,1 %
                                                 8,1 %

                                                                                                                                                                                                                                            7,7 %
                                                                                                                                                                                                 7,4 %
                                                                                             7,5 %

                                                                                                                                                                                                                                                            7,5 %
       8%

                                                                                                                                                                                                                                   6,3 %
                                                                                     6,2 %

                                                                                                                                                                               6,1 %
                                                                                                                                                                       5,7 %

                                                                                                                                                                                                                                                    5,4 %
                                                                                                                        5,2 %

       6%
                                                                                                                                                              4,2 %
                4,0 %

                                3,4 %

       4%
                        2,7 %

       2%

       0%

                BW          BY          BE           BB          HB        HH            HE               MV                    NI              NRW                   RP           SL                SN                  ST            SH               TH

    Gemeinsame Einrichtungen – Mischbehörden aus Kommunen                                                              den gemeinsamen Einrichtungen. Durch die beiden beteiligten Träger
    und Bundesagentur für Arbeit                                                                                       haben die Mitarbeiter in den gemeinsamen Einrichtungen überdies
                                                                                                                       unterschiedliche Tarifverträge. Damit gehen strukturelle Reibungsver-
    Die als gemeinsame Einrichtungen organisierten Jobcenter stellen                                                   luste einher, da es sich bei den Jobcentern in Form von gemeinsamen
    gemeinsame Behörden von Landkreis/kreisfreier Stadt und Bundes-                                                    Einrichtungen um Mischbehörden handelt, in denen die Verantwor-
    agentur für Arbeit dar. Die Leistungen für Unterkunft und Heizung,                                                 tungsstrukturen nicht immer klar sind.
    Erstausstattungen, das Bildungspaket sowie die kommunalen Einglie-
    derungsleistungen liegen in der Verantwortlichkeit des kommunalen                                                                                        Soziale Leistungen                             Wirtschaftsförderung
    Trägers; der Regelbedarf zur Sicherung des Lebensunterhalts sowie die                                                                         (Kinderbetreuung, Schuldner-,
                                                                                                                                                                                                            Kinder- und Jugendhilfe
    arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen werden von der Bundesagentur                                                                           Sucht und psychosoziale Beratung)
                                                                                                                                                                                                            Unterhaltsvorschuss
    getragen.                                                                                                                                                Unterkunft und Heizung
                                                                                                                                                                                                            Sozialhilfe
                                                                                                                                Sicherung des Lebensunterhalts im SGB II
    Zwingende Konsequenz dieser Aufgabenteilung ist, dass im Vergleich
                                                                                                                                                                Bildung und Teilhabe
    zu den kommunalen Jobcentern deutlich geringere örtliche Gestal-
    tungsmöglichkeiten und entsprechend auch eine geringere kommu-                                                                    Leistungen zur Arbeitsmarktintegration
                                                                                                                                                                   im SGB II
    nale Verantwortung gegeben ist. Dies spiegelt sich auch in der Träger-
    versammlung als zentralem Steuerungsgremium jeder gemeinsamen
    Einrichtung wider. Hier bestehen oftmals zahlreiche Diskrepanzen,
    die im Wesen der in den gemeinsamen Einrichtungen zusammen-
    wirkenden Träger – einerseits die Bundesbehörde, andererseits der
    kommunale Träger – begründet sind. Auch bewirkt der Trägerdualis-
    mus verschiedene Rahmenbedingungen bspw. bei der Stellenbewirt-
    schaftung, bei Stellenbesetzungen, der Mitarbeiterführung und nicht
    zuletzt dem Selbstverständnis sowie der Haltung der Mitarbeiter in

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Kommunale Jobcenter Erfolgreich fr Langzeitarbeitslose - Landkreis Oder-Spree
INTERVIEW

„Die Zukunftsaufgabe Integration kann nur kommunal
bewältigt werden“
Interview mit Bernhard Reuter
Landrat des Landkreises Göttingen und Vizepräsident des Deutschen Landkreistages

                               Herr Reuter, der Landkreis        Und wir haben früh begonnen, von der Problembetrachtung
                               Göttingen betreibt seit           in die andere Perspektive zu wechseln und zu fragen: Was
                               dem Jahr 2005 ein eige-           kann jemand? Wozu hat er Lust? Wo können wir ansetzen,
                               nes kommunales Jobcen-            Selbstvertrauen und Entwicklungswillen zu unterstützen?
                               ter. Gleiches gilt für den        Damit sind wir vorangekommen und haben die Menschen
                               Landkreis Osterode am             erreicht.
                               Harz, der vor einem halb-
                               en Jahr mit dem Landkreis         Worin liegen die besonderen Stärken der kommu-
                               Göttingen fusioniert ist.         nalen Jobcenter, gerade im Vergleich zu den gemein-
                               Sie waren Landrat in Os-          samen Einrichtungen?
                               terode, bevor sie im neu-         Das liegt auf der Hand und hatte bereits die erste Wirkungs-
                               en Landkreis Göttingen            forschung gezeigt: Wir setzen auf nachhaltige Integrations-
                               Verantwortung übernom-            strategien. Wir halten nichts von kurzfristigen Massnahmen,
                               men haben. Wie würden             sondern wir nehmen uns in der Regel Zeit herauszufinden,
Sie Ihre Erfahrungen in diesen zwei kommunalen Job-              welches die geeigneten und zielführenden Schritte für einen
centern zusammenfassen? Hat es sich bewährt, in die-             Menschen sind, damit er wieder auf die Beine kommt. Wir
sem Bereich die vollständige Verantwortung für die               wollen – und auch das ist schon in der ersten Wirkungs-
Bezieher von SGB II-Leistungen im zu übernehmen?                 forschung festgestellt worden – langfristige Erfolge erzielen.
Es war eindeutig die richtige Entscheidung, diesen Weg zu        Dies unterscheidet uns sicherlich von anderen, die auf die-
gehen und es hat sich bewährt. Ich bin überzeugt davon,          sem Gebiet tätig sind.
dass die Arbeitsmarktpolitik weiter kommunalisiert werden
muss und das wir starres Instrumentendenken überwinden           Mit der Verschmelzung der Arbeitsförderung haben wir di-
müssen und werden.                                               rekten Zugriff und direkte Verantwortung für alle Leistungs-
                                                                 bereiche, die für die Grundsicherung für Arbeitsuchende
Der Landkreis Osterode stand damals in der Arbeitslosensta-      wichtig sind. Es gibt im Prinzip so gut wie keine hinderlichen
tistik ganz hinten. Die Entscheidung für eine Bewerbung als      Schnittstellen zwischen den einzelnen Bereichen, etwa zur
kommunales Jobcenter fiel aus der Überzeugung, dass wir          Kinder- und Jugendhilfe oder zur Wirtschaftsförderung. Das
vor Ort das Problem der großen Arbeitslosigkeit besser lösen     ist ein unschlagbarer Strukturvorteil. Hinzu kommt, dass die
können. Inzwischen befindet sich Osterode im Mittelfeld und      Verwaltung von den Bürgerinnen und Bürgern demokratisch
schneidet sogar besser ab als der Landesdurchschnitt. Politik    kontrolliert wird: Vor allem der Kreistag und der gewählte
und Verwaltung, ich denke gerade auch die Bürgerinnen und        Landrat sind direkt verantwortlich für die Arbeit des Jobcen-
Bürger stehen im neuen Landkreis Göttingen hinter dieser         ters und des Landkreises.
Entscheidung. Auch der ehemalige Landkreis Göttingen hat
mit seinem Jobcenter nennenswerte Erfolge erzielt.               Stichwort Leistungen aus einer Hand: Im Zusammen-
                                                                 hang mit dem Flüchtlingsthema haben die Landkreise
Der Prozess, Menschen behilflich zu sein, die erwerbslos         in den letzten zwei Jahren eindrucksvoll unter Beweis
sind, dreht sich nach unseren jahrzehntelangen Erfahrungen       gestellt, wie schlagkräftig und flexibel kommunale
nicht allein um die Frage „Wie finde ich einen Arbeitsplatz?“.   Strukturen wirken können. Sehen Sie in der kommu-
Bereits in den Zeiten des Bundessozialhilfegesetzes haben        nalen Verankerung ein, wenn nicht das Erfolgsrezept
wir auf dem Boden der flexiblen Bestimmungen arbeitslo-          gelingender Integration?
se Menschen betreut. Wir haben diese Menschen, Männer,           Die Landkreise haben bei der Unterbringung von Flüchtlingen
Frauen, Jugendliche und Kinder, schon immer als Menschen         in der Tat gezeigt, wie leistungsfähig und flexibel die kom-
aus der Mitte unserer örtlichen Gemeinschaft angesehen.          munalen Strukturen sind. Stellen Sie sich für einen Moment
Daraus entstand irgendwann auch der Wahlspruch „Bei uns          vor, es gäbe die Landkreise nicht und die Flüchtlingsaufnahme
hat jede Akte ein Gesicht“. Alle übrigen Zuständigkeiten,        hätte durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und
wie Kinderbetreuung, Jugendhilfe, Beratung bei Sucht,            die Bundesagentur für Arbeit bewältigt werden müssen…
Schulden und anderen Fragen, Wohnungsverwaltung, Da-             Die Integration der Flüchtlinge ist allerdings vor allem eine
seinsvorsorge usw., lagen und liegen seit jeher beim Land-       Mammutaufgabe, die vor uns liegt. Erfahrungen zeigen,
kreis. So waren wir in der Lage, umfassend aus einer Hand        dass eine Arbeitsmarktintegration erst viele Jahre später und
zu arbeiten.                                                     auch nur bezogen auf einen Teil der Flüchtlinge gelingt. Die

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Kommunale Jobcenter Erfolgreich fr Langzeitarbeitslose - Landkreis Oder-Spree
INTERVIEW

Integration wird eine Aufgabe der gesamten Gesellschaft        Für mich ist außerdem ein großer Wermutstropfen, dass
bleiben, ich bin aber überzeugt davon, dass den Landkreisen    weiterhin (nur) das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
hier die Schlüsselrolle zukommt. Ich erwarte, dass Bund und    über enorme Budgets zur Sprachförderung verfügt. Wir hal-
Länder diese Rolle unterstützen. Die kommunale Veranke-        ten dies mittelfristig für den falschen Weg. Anknüpfend an
rung ist das Erfolgsrezept für eine gelingende Integration.    meine vorangegangenen Erläuterungen zur kommunalen In-
                                                               tegrationsrolle wird der Gesetzgeber einsehen müssen, dass
Gibt es auch Punkte, an denen Sie sich seit Jahren die         die Mittel für Sprachförderung ausschließlich auf die Landes-
Zähne ausbeißen und die aus kommunaler Sicht drin-             bzw. die kommunale Ebene gehören. Auch wenn es noch
gend verbessert werden müssen?                                 ein wenig dauern wird habe ich keinen Zweifel daran, dass
Es gibt eine ganze Reihe von Punkten, die sicherlich verbes-   diese Einsicht vielleicht schon bei der nächsten Flüchtlings-
serungswürdig sind, sowohl im Bereich der Grundsicherung       welle Eingang in die Bundespolitik findet.
für Arbeitssuchende als auch in vielen anderen Bereichen,
die die kommunale Verwaltung umsetzen muss. Es ist kein        Zum Schluss ein Blick in die Glaskugel: Wo sehen
Geheimnis, dass einige Dinge besonderes hinderlich sind.       Sie die 104 kommunalen Jobcenter in zehn Jahren?
Dazu gehören die ständig für verschiedene Zielgruppen          Welches sind – neben der Integration von Geflüch-
wiederkehrenden Bundesprogramme wie etwa zuletzt die           teten – die Themen, die Ihr Jobcenter strategisch be-
Flüchtlingsintegrationsmaßnahmen. Solche Programme ent-        schäftigen werden?
stehen häufig mit viel gutem Willen, allerdings eher theore-   Vom künftigen Bundesgesetzgeber wünsche ich mir, dass er
tisch und in aller Regel ohne Rückkoppelung an die Praxis      die Rahmenbedingungen für die Jobcenter weiter verbessert.
und die wirklichen Erfordernisse der Jobcenter. Das ist der    Denn die Herausforderungen, die wir meistern müssen, sind
zentrale Grund, warum Bundesprogramme, wie man es im-          enorm. Dazu gehören die demografische Entwicklung und
mer wieder beobachten kann, erfolglos verpuffen.               damit verbunden auch die weitere Zuwanderung von Men-
                                                               schen in die Kommunen. Dafür brauchen wir ein flexibles
Auf der Landesebene kommt es zudem immer wieder vor,           Instrumentarium und damit mehr Möglichkeiten im Umgang
dass Programme ins Leben gerufen werden, die nicht die         mit komplexer werdenden Erfordernissen der Arbeitsmarkt-
gewünschte Treffsicherheit entfalten. Wir stehen in Nie-       politik. Außerdem ist zu wünschen, dass die Jobcenter ihre
dersachsen gerade vor der Einführung eines Landespro-          Aufgaben auf einem soliden finanziellen Fundament erfüllen
grammes zur Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit, das       können. Für die kommunalen Jobcenter gilt darüber hinaus,
sehr stark dem Bundesprogramm für soziale Teilhabe ähnelt      deren gute und bewährte Strukturen anzuerkennen und auf
und auch eben haarscharf an dem vorbeigeht, was die Praxis     sie zu bauen.
eigentlich benötigt.
                                                               Das Fehlen vieler Fachkräfte macht sich auch in den kommu-
Zudem wird die sog. Finanzkontrolle des Bundes bei den         nalen Jobcentern und den Landkreisen insgesamt bemerk-
Optionskommunen deutlich überzogen. Der Bund findet            bar. Natürlich bleibt das Thema „Geflüchtete Menschen und
weder ein rechtes und in Anbetracht der Rechtsprechung         Langzeitarbeitslosigkeit“ einer der Kernpunkte, mit denen
des Bundesverfassungsgerichts rechtmäßiges Maß, noch           sich die kommunalen Jobcenter und die Landkreise insge-
ein vernünftiges Verfahren. In den vergangenen Jahren          samt auseinandersetzen müssen. Nicht zu vergessen das al-
waren die kommunalen Jobcenter deshalb gezwungen, in           les überlagernde Thema der Digitalisierung. Dies muss auch
mehreren Fragen zu klagen. Alle grundlegenden Gericht-         im Zusammenhang mit Fachkräften gesehen werden, da wir
sentscheidungen gingen zugunsten der kommunalen Job-           in vielen Bereichen prüfen müssen, inwieweit wir das Fehlen
center aus und ermöglichten eine sachgerechte Umsetzung        von Fachkräften durch einen stärkeren Einsatz neuer Tech-
vor Ort.                                                       nologien zumindest teilweise ausgleichen können.

Es gibt eine Reihe weiterer Probleme wie die unterschied-
lichen behördlichen Zuständigkeiten nach Zielgruppen und
Lebensabschnitten. Wir wünschen uns grundsätzlich Leis-
tungen aus einer Hand, nämlich der des Jobcenters, mehr
Flexibilität bei der Arbeitsförderung und wir wollen auch
neue Modelle wie das Globalbudget in Niedersachsen gerne
ausprobieren.

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BESONDERE STRUKTUREN DER KOMMUNALEN JOBCENTER

Bündelung von Arbeitsvermittlung und
Wirtschaftsförderung
Landkreis Osnabrück

Der Arbeitsmarkt hat zwei Seiten: Es geht um Men-                        Gründer- und Ansiedlungsberatung über die Begleitung von
schen, die Arbeit suchen, und um Unternehmen, die                        Expansionen bis hin zu Angeboten etwa im Rahmen von
Beschäftigte benötigen. Der Landkreis Osnabrück hat                      Betriebsnachfolgen. Mit der kommunalen Arbeitsvermitt-
deshalb den Gedanken der Option, Arbeitsvermitt-                         lung MaßArbeit steht den Betrieben, die die Leistungen der
lung durch ergänzende kommunale Leistungen effizi-                       Wirtschaftsförderung abrufen, nun auch ein kompetenter
enter zu machen, weitergedacht. Im Geschäftsbereich                      Partner in Sachen Arbeitsmarkt zur Seite. Ein Mehrwert für
Wirtschaft & Arbeit arbeiten seit 2012 die kommunale                     die Wirtschaft: Denn das ansiedlungs- oder expansionswil-
Arbeitsvermittlung MaßArbeit und die Wirtschafts-                        lige Unternehmen erhält ein Komplettpaket aus einer Hand.
förderungsgesellschaft Osnabrücker Land (WIGOS)                          Der Geschäftsbereich Wirtschaft & Arbeit kümmert sich um
unter einem Dach. Durch die Bündelung von Perso-                         klassische Themen der Wirtschaftsförderung wie die Förder-
nal- und Unternehmensdienstleistungen ergeben sich                       mittelakquise und koordiniert Bauleitplanung oder etwa um-
wichtige Synergien, die sowohl Arbeitslosen als auch                     weltrechtliche Fragen mit anderen Behörden. Gleichzeitig
der Wirtschaft zugutekommen.                                             haben die Betriebe über die kommunale Arbeitsvermittlung
                                                                         einen direkten Zugriff auf das Arbeitskräftepotenzial der Re-
Neues Organisiationsmodell                                               gion. Der Geschäftsbereich unterstützt so in enger Abstim-
Der Landkreis Osnabrück hat 2012 als eine der ersten Kom-                mung etwa mit dem Gewerbeaufsichtsamt, dem Fachdienst
munen bundesweit seine Wirtschaftsförderung und sei-                     Umwelt oder der Agentur für Arbeit das jeweilige Unterneh-
ne kommunale Arbeitsvermittlung im Geschäftsbereich                      men in allen relevanten Problembereichen.
Wirtschaft & Arbeit gebündelt. Ziel war es, die regionale
Wirtschaft zu stärken und die Arbeitslosigkeit wirksamer                 Nah an den Unternehmen
zu bekämpfen. Die Ausgangssituation: Mit einer Arbeits-                  Ein zusätzlicher Nutzen ergibt sich auch aus dem gewach-
losenquote von zum Teil unter 4 % herrscht im Landkreis                  senen positiven Image der Wirtschaftsförderung. Durch die
Osnabrück seit Jahren nahezu Vollbeschäftigung. Dennoch                  Berater der WIGOS öffnen sich Türen zu Unternehmen, die
kamen die gute Konjunktur und die hohe Personalnachfrage                 der MaßArbeit früher durchaus verschlossen blieben. Denn
der Betriebe lange Zeit nur unzureichend bei den langzeitar-             trotz aller Qualifizierungsanstrengungen und Aufklärungs-
beitslosen Menschen an.                                                  arbeit treffen Langzeitarbeitslose immer noch auf Vorur-
                                                                         teile. Natürlich lässt sich nicht jeder Arbeitsuchende zur
                                                                         gewünschten Fachkraft qualifizieren. Doch ist der Kontakt
                                                                         zum Betrieb hergestellt, ist das Vertrauen gewonnen, öffnen
                                                                         sich deutlich mehr Arbeitgeber für neue Wege bei der Per-
                                                                         sonalauswahl und versuchen es mit Bewerbern, die auf den
                                                                         ersten Blick nicht das passende Profil aufweisen.

                                                                         Dieser Trend ist jedoch kein Selbstläufer: Die Unternehmen
                                                                         benötigen häufig intensive Begleitung, um leistungsberech-
                                                                         tigte Arbeitslosengeld II-Empfänger beruflich zu integrieren.
                                                                         Ein Potenzial, über das die Optionskommunen und damit
                                                                         auch der Landkreis Osnabrück verfügen. Die ganze Band-
                                                                         breite kommunaler Unterstützungsleistungen – von der
                                                                         Unterstützung bei der Suche nach Kinderbetreuung über
                                                                         die Jugendberufshilfe bis hin zu Begleitung schwieriger
                                                                         Ausbildungen – steht in Rufweite zur Verfügung. Intensiv
                                                                         engagiert sich die MaßArbeit etwa im Bildungs- und Ausbil-
                                                                         dungsbereich, auch hier mit doppelter Ausrichtung. Ein ak-
                                                                         tiver Ansatz in diesem Themenfeld stärkt junge Erwachsene
                                                                         auf dem Weg in den Beruf und schafft gleichzeitig durch die
Die Teams des UnternehmensService der WIGOS und des ArbeitgeberService   Sicherung von Fachkräftenachwuchs zukunftsfähige Struk-
der MaßArbeit arbeiten bei ihren Unternehmenskontakten eng zusammen.     turen für die Unternehmen.

Mit der Wirtschaftsförderungsgesellschaft WIGOS gab                      Erstorientierung für Flüchtlinge
es bereits ein breites Angebot für Unternehmen von der                   Auch das Thema Migration bewegt sowohl WIGOS als auch

                                                                                                                                   11
BESONDERE STRUKTUREN DER KOMMUNALEN JOBCENTER

MaßArbeit. Denn gelingende Integration stellt die Weichen       Weitere Synergieeffekte bieten ein regionales Arbeitsmarkt-
dafür, dass sich unsere Gesellschaft positiv entwickelt und     monitoring oder die gemeinsame Vermarktung. Genau
unsere Wirtschaft weiterhin prosperiert. Mit dem Migrati-       in dieser Bündelung der für alle Arbeitsmarktakteure rele-
onszentrum der MaßArbeit verfügt der Geschäftsbereich           vanten Themen liegt das große Potenzial: Das umfassende
Wirtschaft & Arbeit über ein Instrument, das für eine zeitna-   Angebot des Geschäftsbereiches Wirtschaft & Arbeit schafft
he berufliche Integration von Menschen mit Zuwanderungs-        hohe Servicequalität für die Wirtschaft und neue Perspekti-
geschichte sorgt. Migranten erhalten hier eine umfassende       ven für Langzeitarbeitslose.
Beratung zur Erstorientierung, zu Leben und Arbeiten im
Landkreis Osnabrück. Dazu gehören unter anderem die Ko-
ordination der Sprachkursangebote, die Qualifizierung und
die Vermittlung in Ausbildung und Arbeit.

Die dezentrale Organisation weiterentwickeln
Kreis Recklinghausen

Der Strukturwandel im Kreis Recklinghausen vom
einstigen Industrie- und Montanstandort zur Dienst-
                                                                                                   HALTERN
leistungs- und Logistikregion ist noch nicht abge-                                                 AM SEE

schlossen. Die Entwicklung bestehender und neuer
Gewerbe- und Industrieflächen schafft dringend be-
nötigte Arbeitsplätze. Mit der Weiterentwicklung sei-                     DORSTEN

ner dezentralen Organisation im Vermittlungsservice
                                                                                                                 OER-
ist das Jobcenter Kreis Recklinghausen kompetenter                                     MARL                  ERKENSCHWICK    DATTELN

Ansprechpartner für Unternehmen. Das Jobcenter
stellt dabei sicher, dass das regionale Arbeitskräftepo-                                                                               WALTROP

tenzial gehoben wird und neu ansiedelnde Firmen                                           HERTEN   RECKLINGHAUSEN
ihren Personalbedarf mit Arbeitsuchenden aus dem
Kreis decken können. Das gelingt durch die intensive                    GLADBECK                                            CASTROP-
                                                                                                                             RAUXEL
Zusammenarbeit mit den Städten, den örtlichen und
regionalen Wirtschaftsförderungen und den weiteren
Akteuren am Arbeitsmarkt.
                                                                Kreis Recklinghausen
Der Kreis Recklinghausen ist mit über 620.000 Einwohnern
der bevölkerungsreichste Kreis in Deutschland. Der Kreis        erbracht – von der Leistungsgewährung bis zum Fallmanage-
weist in seinen zehn Städten auf einer Fläche von über 760      ment und der Vermittlung – und im Haus der sozialen Leis-
km² eine heterogene Struktur auf, von städtischen Gebieten      tungen mit den kommunalen Angeboten verknüpft.
bis zum ländlichen Raum, der an das Münsterland angrenzt.
Die Arbeitslosenquote (10,6 % im Februar 2017) liegt deut-      Enger Kontakt zu Arbeitgebern
lich über dem Landes- und Bundesdurchschnitt. Sie reicht        Für eine nachhaltig erfolgreiche Integration in Arbeit ist der
von 12,5 % in den Städten Recklinghausen und Gladbeck bis       enge Kontakt zu den Arbeitgebern – den ansässigen und
zu 4,7 % im ländlich geprägten Haltern am See.                  insbesondere den sich neu ansiedelnden Unternehmen
                                                                – von besonderer Bedeutung. Als Schnittstelle bringt der
Unter anderem aufgrund dieser Strukturen hat sich der Kreis     Vermittlungsservice die Arbeitsuchenden und Arbeitgeber
Recklinghausen gemeinsam mit den kreisangehörigen Städ-         zusammen. Er bündelt die Kompetenzen der Fallmanager
ten dazu entschieden, ab 2012 das SGB II als zugelassener       und Vermittler, der Stadtverwaltungen und der Einheiten der
kommunaler Träger in einer dezentralen Organisationsform        Wirtschaftsförderungen. Die Organisation des Vermittlungs-
wahrzunehmen. Der Kreis als Träger hat die kreisangehöri-       services obliegt dem Fachbereich der Kreisverwaltung und
gen Städte zur Durchführung der Aufgaben durch eine Sat-        wird durch den Fachdienst Markt & Integration koordiniert.
zung herangezogen und beteiligt. Alle SGB II-Leistungen         Alle 37 Mitarbeitenden einschließlich der Teamleitungen sind
werden bürgernah in zehn Bezirksstellen in den zehn Städten     dezentral vor Ort in den zehn Bezirksstellen eingesetzt.

12
BESONDERE STRUKTUREN DER KOMMUNALEN JOBCENTER

So werden einheitliche Strukturen und Qualitätsstandards        Passgenaues Dienstleistungspaket
sowie ein enger Austausch sichergestellt. Lokale Stärken        Mit einem abgestimmten, passgenauen Dienstleistungspaket
werden erkannt, entstehende Potenziale für das gesamte          für den Arbeitgeber lieferte der Vermittlungsservice des Job-
Kreisgebiet nutzbar. Als Anlaufstellen vor Ort hat das Job-     centers letztlich ein gewichtiges Argument für die Investiti-
center bereits in mehreren Städten Jobpoints eingerichtet.      onsentscheidung des Unternehmens. Mit Maßnahmen von
Sie wenden sich an Arbeitsuchende und Arbeitgeber und           der Erstellung der Anforderungsprofile, der Bewerberinfor-
bieten unbürokratische Beratung und Unterstützung bei der       mation und -auswahl und der Probearbeit (MAG) bis hin zur
Arbeitsvermittlung. Hier werden die regionalen und die loka-    bedarfsgerechten Qualifizierung wird sichergestellt, dass das
len Kompetenzen des Jobcenters für eine schnelle und nach-      Unternehmen seinen Personalbedarf mit Arbeitsuchenden
haltige Vermittlung verknüpft.                                  aus dem Kreis decken kann.

Die umfassende Dienstleistung aus einer Hand im Netzwerk        Mit den Erfahrungen aus dieser erfolgreichen Zusammen-
mit den Akteuren des Arbeitsmarktes hat sich beispielhaft       arbeit bereitet sich das Jobcenter Kreis Recklinghausen auf
bewährt bei der Neuansiedlung eines großen Logistikunter-       weitere Großprojekte vor. Intensiviert wird dabei z. B. die
nehmens im interkommunalen Industriepark der Städte Dor-        Kooperation mit Wirtschaftsförderungen und Jobcentern
sten und Marl. Durch die Investition des Unternehmens sol-      in benachbarten Kreisen und kreisfreien Städten – etwa bei
len am Ende 800 neue Arbeitsplätze im Kreis Recklinghausen      der Entwicklung des Logistikzentrums Westfalenhütte in
in der Logistikbranche entstehen. Frühzeitig in der Planungs-   Dortmund.
phase begleiteten der Kreis, die Städte Dorsten und Marl, die
regionale Wirtschaftsförderung sowie das Jobcenter Kreis
Recklinghausen die Ansiedlung in einer Projektgruppe.

Man muss den Menschen etwas zutrauen
Kreis Nordfriesland

Seit den frühen Tagen des Deichbaus wird die Traditi-           der Arbeitsvermittlung liegt bei der Kreisverwaltung. Im Laufe
on der kommunalen Selbstverwaltung in Nordfriesland             der Jahre wuchs die Erkenntnis, dass nicht alle Maßnahmen
hochgehalten. Das Streben nach Selbstbestimmung                 und Vorgehensweisen im gesamten Kreisgebiet gleich gut
gehört zur Mentalität der Küstenbewohner. Deshalb               funktionieren, weil es in Nordfriesland vier unterschiedliche
ergriff der nordwestlichste Kreis Deutschlands ohne             Arbeitsmarkttypen gibt: Die Inseln Sylt, Föhr und Amrum so-
Zögern die Chance, die Arbeitsvermittlung seiner                wie Bad St. Peter-Ording auf dem Festland sind stark touri-
Langzeiterwerbslosen ab 2005 selbst zu übernehmen.              stisch geprägt. Im mittleren Nordfriesland zwischen Husum
Da kurze Wege bürgerfreundlich sind – in einem Flä-             und Niebüll gibt es viele Auspendler und wenige Arbeitge-
chenkreis mit mehr als 2.000 km² Größe ein nicht zu             ber, also auch deutlich geringere Chancen, wohnortnah ei-
unterschätzender Aspekt –, schlug der Kreis seinen              nen Job zu finden. Eiderstedt (ohne St. Peter-Ording) bereitet
Städten und Gemeinden vor, alle bisherigen und alle             große Sorgen: Wer hier arbeitslos wird, muss lange Wege in
neuen sozialen Leistungen aus einer Hand unter einem            Kauf nehmen, um wieder in Arbeit zu kommen. Der vierte
Dach anzubieten. Nach kurzen Verhandlungen gründe-              Arbeitsmarkttyp umfasst die Städte Husum, Niebüll und ihr
ten sie gemeinsam sieben in der Fläche verteilte Sozi-          jeweiliges Umland. Bedingt durch konzentrierte Gewerbean-
alzentren, darunter zwei auf den Inseln Sylt und Föhr.          siedlungen und im Nord-Bereich die Nähe zu Sylt, stehen hier
Sie übernahmen die meisten Aufgaben der Sozialämter             die Chancen am besten. Weil die Verhältnisse in Nordfriesland
sowie – als Partner und Auftragnehmer des Kreises –             so unterschiedlich sind, schließt der Kreis mit jedem Jobcenter
die operative Umsetzung des SGB II als Jobcenter. Auch          jährlich eine individuelle Zielvereinbarung ab.
das Jugendamt des Kreises ist in den Sozialzentren ver-
treten. Da viele Bürger im SGB II-Bezug auch mit ande-          Kreisweit bewährt hat sich jedoch die Devise „Work first“: Be-
ren Sozialbehörden in Kontakt stehen, wissen sie die            reits bevor ein Neukunde einen Leistungsantrag stellt, spricht
räumliche Nähe aller Ansprechpersonen zu schätzen.              er mit dem Fallmanager. In den ersten Jahren gelang es nicht
                                                                selten, jemanden „vom Fleck weg“ in den ersten Arbeitsmarkt
Vier Arbeitsmarkttypen                                          zu vermitteln. Inzwischen jedoch sind fast alle arbeitsmarkt-
Das übergeordnete Management für Strategien und Projekte        nahen Klienten wieder in den Arbeitsmarkt integriert. Heute

                                                                                                                            13
BESONDERE STRUKTUREN DER KOMMUNALEN JOBCENTER

gelingen nur noch wenige Vermittlungen ohne vorherigen
Abbau von Hemmnissen. Meist geht es um Schulden oder
Kinderbetreuung. Deshalb hat der Kreis seine Schuldnerbe-
ratung in den Sozialzentren angesiedelt. Doch auch Alkohol,
mangelnde Mobilität und psychosoziale Probleme spielen oft           Sozialzentrum Sylt
eine Rolle, so dass auch die weiteren kommunalen Eingliede-          Westerland
rungsleistungen zum Tragen kommen.
                                                                                       Sozialzentrum Niebüll
                                                                                                                         Sozialzentrum Leck
Wille, Ziele und Ressourcen der Klienten                                    Sozialzentrum                 Niebüll
                                                                            Föhr - Amrum                                Leck
Die Fallmanager in den Jobcentern vertreten eine klare Hal-
tung: Sie trauen ihren Kunden etwas zu und leisten Hilfe zur
Selbsthilfe. Deshalb konzentrieren sie sich nicht auf deren                          Wyk auf Föhr                Sozialzentrum
Schwächen, sondern auf ihre Ressourcen, also darauf, was                                                    Mittleres Nordfriesland
sie können. Wer seine Stärken kennt, entwickelt ein stärkeres
                                                                                                                    Breklum
Selbstbewusstsein. In Kombination mit fachlicher Weiterbil-
dung ist das oft ausschlaggebend für die Chancen auf dem
Arbeitsmarkt.                                                                                                            Sozialzentrum
                                                                                                                       Husum und Umland
                                                                                                                              HusumHusum/Umland
Zu Beginn der SGB II-Reform waren die Zumutbarkeitsgrenzen
ein heftig umstrittenes Thema. Damals hieß es, Langzeitar-
beitslose müssten praktisch jedes Jobangebot akzeptieren,
                                                                                                  Sozialzentrum
selbst wenn es deutlich unter ihrer Qualifikation lag. Die Er-                               Südliches Nordfriesland
fahrung hat uns jedoch gelehrt, dass diese Maximalforderung
nicht durchgängig praktikabel ist“ Deshalb stellen die nord-                                                 Tönning
friesischen Arbeitsvermittler den Willen, die Ziele und die Res-
sourcen ihrer Klienten in den Mittelpunkt.
                                                                   Sozialzentren im Kreis Nordfriesland
Wirtschaft profitiert von passgenauer Vermittlung
Selbstverständlich geht nichts ohne eine enge Zusammen-            „Förderung schafft Arbeit“. Bei manchen Projekten standen
arbeit mit der regionalen Wirtschaft. Der Kreis verfolgt eine      Alleinerziehende im Fokus, bei anderen die unter 25-Jäh-
Strategie der passgenauen Vermittlung: Die Jobcenter senden        rigen. Vermisst wird in Nordfriesland das „Projekt 50+“, mit
den Arbeitgebern nicht einfach eine möglichst hohe Anzahl          dem der Bund gesonderte Mittel für ältere Arbeitslose be-
möglicher Stelleninteressenten, sondern treffen eine sorgfäl-      reitstellte. Davon haben unsere Kunden sehr profitiert: Von
tige Vorauswahl. Um die Geeignetsten schnell erkennen zu           2012 bis 2015 haben wir insgesamt 2.300 Ältere besonders
können, wurden aussagekräftige Profile von Arbeitsuchen-           gefördert, von denen wir 488 anschließend wieder in Arbeit
den aller Qualifikationsniveaus erstellt. Schon wenige Tage        vermitteln konnten. Damit haben wir das vereinbarte Ziel in
nach dem Anruf eines Arbeitgebers finden oft schon die Vor-        jedem Jahr übererfüllt. Ab 2016 stellte der Bund das Pro-
stellungsgespräche statt. Die nordfriesische Nachhaltigkeits-      gramm ein. Damit wurden die Marktchancen Älterer verrin-
quote liegt über dem Landes- und Bundesdurchschnitt: Mehr          gert. Mangels gesonderter finanzieller Unterfütterung sind
als 65 % der Vermittelten sind sechs Monate später immer           auch die vom Bund vorgeschlagenen Aktivierungscenter kein
noch im Unternehmen.                                               vollwertiger Ersatz.

Behörden, Kammern und Kreishandwerkerschaften verste-              Selbstverständlich gibt es auch in Nordfriesland Menschen
hen sich als Partner mit gemeinsamer Zielsetzung. In jedem         ohne realistische Chance auf einen regulären Job. Auch sie
Jobcenter finden die Unternehmen feste Ansprechpartner,            haben ein Recht auf einen haltgebenden, sozial und ge-
die ihren Stellenpool sowie sämtliche Förderprogramme ken-         sundheitlich stabilisierenden Arbeitsplatz. Deshalb wünscht
nen und für jede Frage gerüstet sind. Seit 2005 wurden in          sich der Kreis eine zuverlässige Finanzierung eines sozialen
Nordfriesland mehr als 22.000 Integrationen in sozialversiche-     Arbeitsmarktes für Tätigkeiten, die im öffentlichen Interesse
rungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse erzielt. Die regio-     liegen, für die aber kein regulärer Arbeitsmarkt besteht. Die
nale Arbeitslosenquote im SGB II lag 2007 bei 5,0 und liegt        Erfahrung zeigt, dass viele Menschen durch solche Tätigkeiten
heute bei 3,4 % – obwohl es im Kreisgebiet keinen der grö-         langfristig so stabilisiert werden können, dass sie sogar in den
ßeren Industriebetriebe gibt, die in anderen Regionen immer        ersten Arbeitsmarkt zurückkehren. Die nordfriesischen Fall-
wieder Chancen für Langzeitarbeitslose bieten.                     manager betrachten Vermittlungshemmnisse nicht als Grund,
                                                                   einen Kunden aufzugeben – im Gegenteil: Unter den Vermit-
Förderung schafft Arbeit                                           telten wiesen etliche sogar mehrfache Gründe auf, die gegen
Der Kreis Nordfriesland nutzt auch die Sonderförderprogramme       die Aufnahme einer geregelten Tätigkeit sprachen. Bei vielen
des Bundes für bestimmte Zielgruppen. Sagt man im Fußball:         war fraglich, ob sie überhaupt noch als arbeitsfähig eingestuft
„Geld schießt Tore“, gilt im Bereich der Arbeitsvermittlung:       werden konnten. Auch ihnen gelang es mit einer intensiven

14
BESONDERE STRUKTUREN DER KOMMUNALEN JOBCENTER

Betreuung und der konsequenten Anwendung des Prinzips             Eingehende Post wird zentral gescannt und in den virtu-
von Fördern und Fordern, wieder zu einem selbstbestimmten         ellen Postkorb des zuständigen Mitarbeiters verschoben.
Leben zurückzufinden.                                             Auch E-Mails, Bescheide und Notizen werden nur noch in
                                                                  der digitalen Akte des entsprechenden Leistungsbeziehers
Gute Erfahrungen mit digitalisierter Verwaltung                   unter einem Schlagwort abgelegt. Seitdem ist die Zahl von
Als zunehmendes Problem der Sozialzentren erwies sich die         Widersprüchen und Beschwerden zurückgegangen, weil
Notwendigkeit, immer wieder SGB II-Akten zu kopieren. Für         Anfragen sofort beantwortet werden können. Das langwie-
Prüfungen, bei Widersprüchen und Klagen sowie Umzügen             rige Suchen in den Akten entfällt. Den Sachbearbeitern fällt
der Leistungsberechtigten mussten Akten versandt und oft          es deutlich leichter, sich gegenseitig zu vertreten. Aufgrund
sogar kopiert werden. Zudem waren seit 2005 solche Papier-        dieser positiven Erfahrungen erwägt der Kreis Nordfriesland
berge entstanden, dass einige Sozialzentren bereits externen      nun auch, seine gesamte Verwaltung ebenfalls vollständig zu
Archivraum anmieten mussten. Deshalb entschloss sich der          digitalisieren.
Kreis im Jahr 2013 zur Umstellung auf die elektronische Ak-
tenführung. Ein Sozialzentrum meldete sich freiwillig für die     Der Kreis ist sehr zufrieden mit dem nordfriesischen Weg im
umfangreiche Planungs- und Testphase. Zwei technisch ver-         SGB II. Wer arbeitslos ist, soll sehen, dass es selbst nach vie-
sierte Mitarbeiterinnen stellten sich als Pilotanwender zur       len Jahren und mit Brüchen in der Biografie noch möglich ist,
Verfügung. Nach Ausschreibung der Software wurden die             wieder in Arbeit zu kommen. Selbst nach langer Arbeitslo-
Arbeitsabläufe durchgespielt, die Benutzerfreundlichkeit auf      sigkeit werden viele Menschen wieder zu produktiven, hoch
die Probe gestellt und Änderungen am System durchgeführt.         motivierten Mitarbeitern. Bedingung ist allerdings, dass man
                                                                  ihnen eine Chance gibt.
Nach Abschluss dieser ersten Phase wurde die E-Akte im Jahr
2014 auf die komplette Mitarbeiterschaft des Sozialzentrums
ausgeweitet. Auf jedem Schreibtisch standen nun zwei Mo-
nitore: Einer zeigte das Fachverfahren, der andere die digitale
Akte. Mittlerweile sind sämtliche nordfriesischen Sozialzen-
tren komplett auf die digitale Aktenführung umgestiegen.

Arbeitsmarktpolitik als Bestandteil
kommunaler Sozialpolitik
Ortenaukreis

Landkreise und Städte gewährleisten einen wesent-                 Arbeitslosenhilfe, das Arbeitslosengeld sowie die Verant-
lichen Teil der sozialen Fürsorge und setzen dafür in             wortung für die Vermittlung von jungen Menschen in Aus-
hohem Maß eigene Mittel ein. Dies gilt insbesondere               bildung waren den damaligen Arbeitsämtern vorbehalten.
für die Sozial- und Jugendhilfe. Doch in den 1980er               Die Steuerung erfolgte über die dort angesiedelten Verwal-
Jahren begannen Kommunen angesichts anhaltend                     tungsausschüsse. Obwohl dort auch kommunale Vertreter
hoher Arbeitslosigkeit, dem Abbau der originären Ar-              mitgewirkt haben, war die Arbeitsmarktpolitik kein klas-
beitslosenhilfe und hoher kommunaler Lasten für die               sisches Feld, mit dem sich kommunale Gremien regelmäßig
Sozialhilfe, eigene arbeitsmarktpolitische Programme              auseinander gesetzt haben.
zu entwickeln.
                                                                  Leistungen aus einer Hand
Rechtliche Grundlage bot das Bundessozialhilfegesetz              Das änderte sich mit dem 1.1.2015 durch die Zusammen-
(BSHG). §§ 18 ff. BSHG eröffneten die Möglichkeit, über           führung der Sozialhilfe mit der Arbeitslosenhilfe. Dies bot
verschiedene Instrumente der Hilfe zur Arbeit Beschäfti-          zunächst 69 Landkreisen und kreisfreien Städten im Rahmen
gungsangebote für Sozialhilfeempfänger zu schaffen. Diese         des Optionsmodells die Möglichkeit, die Verantwortung für
Aktivitäten waren überwiegend sehr erfolgreich und ent-           Leistungen nach dem SGB II als zugelassene kommunale
lasteten die Kommunen zudem finanziell. Die Kommunal-             Träger in voller Eigenverantwortung zu übernehmen und
politik hat sich insoweit schon damals partiell in das Feld       damit die soziale Fürsorge weiterhin selbst sicherzustellen.
der Arbeitsmarktpolitik eingebracht und engagiert. Die            Damit verbunden war nicht nur die materielle Sicherung des

                                                                                                                               15
BESONDERE STRUKTUREN DER KOMMUNALEN JOBCENTER

Lebensunterhalts, sondern auch die aktive Arbeitsförderung       Maßnahmeplanung, die Beratung des jährlichen Arbeits-
mit dem Ziel der Integration der arbeitsfähigen Leistungs-       marktprogramms, die Personalentwicklung und vieles mehr.
empfänger in den Arbeitsmarkt sowie von Jugendlichen in          Im Unterausschuss arbeiten Kreispolitik und Verwaltung in
die Ausbildung. Heute sind bundesweit 104 Optionskom-            einer sehr vertrauensvollen und konstruktiven Weise zusam-
munen für die Leistungen nach dem SGB II verantwortlich.         men, die Vorbildfunktion hat. Dort erfolgen auch die nöti-
Bei ihnen ist die Arbeitsmarktpolitik neben der Jugendhil-       gen Vorberatungen für Sitzungen des beschließenden Sozi-
fe, der Behindertenhilfe, der Hilfe zur Pflege und weiteren      alausschusses, dessen Tagesordnung stets Beratungspunkte
Leistungsbereichen wesentlicher Bestandteil der kommu-           aus dem SGB II beinhalten. Dadurch ist die kommunale
nalen Sozialpolitik geworden. Sie setzt sich sowohl mit so-      Arbeitsmarktpolitik im Ortenaukreis seit dem Jahr 2005 zu
zialpolitischen als auch mit strukturpolitischen Zielen ausei-   einem nicht mehr wegzudenkenden Baustein der kommu-
nander und unterstützt bzw. begleitet damit die Arbeit der       nalen Sozialpolitik geworden.
kommunalen Jobcenter. Ein wesentliches Element ist dabei
die Verknüpfung mit anderen kommunalen Themenfeldern             Breites Netzwerk
innerhalb der Sozial- und Jugendhilfepolitik, jedoch auch mit    Besonders bemerkenswert ist, dass über die beteiligten
der kommunalen Bildungspolitik, der Wirtschaftsförderung         Kreisräte eine verstärkte Vernetzung mit den 51 kreisange-
und anderen kommunalen Bereichen. Dadurch sind Leistun-          hörigen Gemeinden gewährleistet ist und dort jeweils wie-
gen aus einer Hand, eine umfassende Finanzsteuerung, viele       derum eine enge Verzahnung mit dem örtlichen Handwerk
Gestaltungsmöglichkeiten, eine sehr gute Vernetzung mit          und der Wirtschaft. Auch die Kooperation insbesondere mit
kreisangehörigen Gemeinden und damit insgesamt eine ef-          der Agentur für Arbeit, den Kammern, den Verbänden der
fiziente und erfolgreiche Wahrnehmung der Aufgaben nach          freien Wohlfahrtspflege und anderen wird von der Kreis-
dem SGB II gewährleistet.                                        politik unterstützt und gefördert, denn hier gibt es erfah-
                                                                 rungsgemäß enge kreispolitische Verbindungen, die die
                                                                 Kooperationsgrundlagen der Verwaltung mit den jeweiligen
                                                                 Partnern spürbar ergänzen. Dies wird letztlich in einem sehr
                                                                 guten Klima der Zusammenarbeit der kommunalen Arbeits-
                                                                 förderung mit allen maßgebenden Akteuren im Landkreis
                                                                 sichtbar. Besonders nützlich ist dieses förderliche Klima bei
                                                                 der Integration der Zuwanderer in Ausbildung und Arbeit
                                                                 im Rahmen des SGB II, die aus der Sicht des Ortenaukreises
                                                                 die größte Herausforderung seit der Zusammenführung der
                                                                 Sozialhilfe mit der Arbeitslosenhilfe darstellt.

Gute Kooperationsstrukturen im Ortenaukreis

Verbindung mit der Kreispolitik
Der engen Kooperation zwischen Kommunalpolitik und
Verwaltung kommt dabei eine sehr hohe Bedeutung zu. Im
Ortenaukreis, der seit 2005 Optionskommune ist, wurde
von Anfang an eine enge und konstruktive Zusammenar-
beit mit der Kreispolitik praktiziert, um kommunalpolitische
mit fachlichen Zielen bestmöglich zu verknüpfen. Kernstück
dieser engen Kooperation ist ein aus Mitgliedern des Sozi-
alausschusses des Kreistags gebildeter Unterausschuss Ar-
beitsförderung, dem auch Leitungskräfte des kommunalen
Jobcenters angehören und der vom Dezernenten für Bil-
dung, Jugend, Soziales und Arbeitsförderung geleitet wird.
Er tagt vierteljährlich und begleitet bzw. unterstützt die
Verwaltung in ihrer Gesamtsteuerung. Gegenstand dort ist
regelmäßig die strategische Ausrichtung, die Budget- und

16
BESONDERE STRUKTUREN DER KOMMUNALEN JOBCENTER

Organisationsentwicklung im laufenden Betrieb
Kreis Schleswig-Flensburg

Innerhalb von nur zwei Jahren wurde im Jobcenter                                              Kultur, Leitbild
Schleswig-Flensburg ein ganzheitlicher Organisati-
onsentwicklungsprozess eingeführt und in seinen                                     Planung, Steuerung und Controlling
Kernelementen umgesetzt. Dieser Prozess berührte
alle Bereiche des Jobcenters und führte sowohl in

                                                               Personalmanagement
der Aufbauorganisation, den Prozessabläufen, den

                                                                                                                         Kommunikation
Arbeitsmarktinstrumenten und der Mitarbeiter-
schaft zu großen Veränderungen – bei laufendem                                             Arbeitsvermittlung
Betrieb. Eine immense Herausforderung nicht nur für
das Jobcenter, sondern für die gesamte Kreisverwal-
tung. Die eingeleiteten Veränderungsprozesse zei-
gen in den relevanten Indikatoren bereits deutliche
Wirkung. Ein Zeichen dafür, dass der eingeschlagene
                                                                                    Aufgaben, Prozesse und Strukturen
Weg richtig ist und konsequent weiterverfolgt wer-
den muss.

Die Arbeitsmarktzahlen von Schleswig-Flensburg und die        Der Veränderungsprozess und die Neuausrichtung des Job-
Kennzahlenergebnisse waren im Jahr 2013 ein Indiz dafür,      centers wurden durch einen Wandel in der arbeitsmarkt- und
dass die Entwicklung des Jobcenters Schleswig-Flensburg       sozialpolitischen Philosophie des Kreises Schleswig-Flens-
als Organisation noch nicht in dem geplanten Maße voran-      burg eingeleitet. Nicht mehr die Vermittlungshemmnisse,
geschritten ist. Im direkten Leistungsvergleich mit anderen   sondern die individuell vorhandenen Fähigkeiten, Res-
Jobcentern in Schleswig-Holstein bildete das Jobcenter auf    sourcen und Potenziale eines jeden Leistungsberechtigten
einzelne Indikatoren bezogen sogar das Schlusslicht. Eine     wurden fortan in das Zentrum einer einheitlichen Beratung
interne Analyse der Ursachen dieser Entwicklung führte        gerückt. Im Rahmen der ganzheitlichen Fallsteuerungssy-
zu dem Schluss, dass mit der derzeitigen Aufbau- und Ab-      stematik fa:z modell® (Förderansatz: Ziel) steht im Fallma-
lauforganisation auch zukünftig nicht die anvisierten posi-   nagement nun eine Potenzialanalyse am Anfang der Fall-
tiven Ergebnisse zu erzielen sein würden.                     betreuung, aus der sich alle weiteren Fördermaßnahmen
                                                              ableiten. Damit ist auch eine Abkehr von Breitband-Maß-
Tiefgreifender Veränderungsprozess                            nahmen verbunden. Ausgehend von den im Profiling iden-
Dieser Befund stand am Anfang eines ganzheitlichen Orga-      tifizierten Bedarfe der Kunden werden im Jobcenter Schles-
nisationsentwicklungsprozesses, der im Jobcenter Schles-      wig-Flensburg individuelle Maßnahmen konzipiert, um so
wig-Flensburg in nur zwei Jahren eingeführt und in seinen     maßgeschneiderte Förderangebote anbieten zu können.
Kernelementen umgesetzt worden ist. Mithilfe der exter-       Auf diese Weise wird sichergestellt, dass der Kunde ganz
nen Beratungsfirma gfa | public GmbH wurde eine neutrale      genau die Hilfen erhält, die er benötigt, um das übergeord-
und objektive Bestandsaufnahme durchgeführt. Auf der          nete Ziel zu erreichen: die Integration in den Arbeitsmarkt.
Basis einer umfassenden Reifegrade-Analyse der Organi-
sationsstruktur des Jobcenters konnten so Problemfelder       Durch eine Systematisierung und die damit verbundene
sowie vorhandene Potenziale klar identifiziert werden. Die    ökonomische Optimierung des Fallmanagements konnten
hieraus gewonnenen Erkenntnisse bildeten die Grundlage        an dieser Stelle Ressourcen eingespart und anderen Prozes-
für einen Diskurs über die grundsätzliche Neuausrichtung      sen zugesteuert werden. So ist in diesem Zusammenhang
des Jobcenters mit den Entscheidungsträgern aus Politik       mit der Werkakademie in enger Verzahnung mit einem um-
und Verwaltung. Gemeinsam wurde das Programmziel de-          strukturierten Neukundenprozess etwa auch ein neuer För-
finiert, eine erfolgreiche Umsetzung des sozialpolitischen    deransatz flächendeckend entwickelt worden. Dieses hilft
Vermittlungsauftrags des Kreises Schleswig-Flensburg als      gerade den Neuantragstellern dabei, schnellstmöglich wie-
zugelassener kommunaler Träger für die Zukunft sicherzu-      der in ihren Beruf zurückzufinden. In den vier Werkakade-
stellen. Aus dem übergeordneten Programmziel wurden           mien wird im Kreisgebiet dabei passend zur Beratungslogik
operative Ziele abgeleitet, die wiederum handlungsleitend     des fa:z modells® ein ganzheitlicher, praxisorientierter An-
für die Festlegung von Projektschwerpunkten waren. Da-        satz verfolgt. Die Besonderheit des Konzepts liegt hierbei
bei betrafen die Teilprojekte nicht nur den Kernprozess der   in der kombinierten Betreuung der Kunden durch Mitarbei-
Fallarbeit bzw. Integration, sondern auch die zugeordneten    ter des Jobcenters Schleswig-Flensburg und des jeweiligen
Unterstützungs- sowie zentrale Managementprozesse. Die-       Trägers in der Werkakademie. Im Sinne der Direktive „Work
ser tiefgreifende Veränderungsprozess kann als sprichwört-    First“ erhalten Neukunden so von der Antragstellung bis
liche Reparatur am laufenden Motor bezeichnet werden.         zum Bewerbungscoaching an einem Ort ganz genau die

                                                                                                                                     17
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