KOMPASS 07-08I21 Soldat in Welt und Kirche - Katholische Militärseelsorge
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KOMPASS Die Zeitschrift des Katholischen Militärbischofs für die Deutsche Bundeswehr Soldat in Welt und Kirche 07-08I21 © Comugnero Silvana – stock.adobe.com ISSN 1865-5149
INHALT Titelthema Rubriken 14 Kolumne der Wehrbeauftragten 4 Die Bundeswehr macht Sport, ... 16 Auslegeware: Verführerische Frauen Interview mit Oberst Michael Maul und liebestoller geweihter Mann 6 Feuer und Flamme für Sportlerinnen 21 zum LKU: Solidarität und Sportler von Michael Kühn 24 Auf ein Wort: Ein gesunder Geist [nur] 8 Gegensatz oder Ergänzung in einem gesunden Körper? von Stefan Hagenberg 25 Spendenradtour zugunsten der Aktion 10 Wo die Götter zu finden sind! Sorgenkinder des Bundeswehr-Sozialwerks von Friederike Frücht 26 Buch-Rezension: Das ungeliebte Kind 12 Interview mit Godehard Brüntrup SJ protestantischer Friedensethik? 28 Film-Tipp: A BLACK JESUS Aus der Militärseelsorge 29 Film-Tipp: MIDSOMMAR 18 Neuer Militärbundesrabbiner: 30 Medien-Tipp: Ansprechpartner für alle Soldaten 30 Eine App für die Reise zu sich selbst 20 EU. Macht. Frieden. Friedensethik vor Herausforderungen 30 VORSCHAU: Unser Titelthema im September 22 Militärbischof bei der Flugbereitschaft BMVg 31 Rätsel 28 25 Impressum Herausgeber Hinweis KOMPASS. Soldat in Welt und Kirche Der Katholische Militärbischof Die mit Namen oder Initialen gekennzeich- ISSN 1865-5149 für die Deutsche Bundeswehr neten Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung des Herausgebers wieder. Für das Redaktionsanschrift Druck unverlangte Einsenden von Manuskripten und KOMPASS. Soldat in Welt und Kirche ARNOLD group Bildern kann keine Gewähr und für Verweise Am Weidendamm 2 Am Wall 15 in 14979 Großbeeren in das Internet keine Haftung übernommen 10117 Berlin werden. Bei allen Verlosungen und Preisaus- schreiben in KOMPASS. Soldat in Welt und Telefon: +49 (0)30 20617-421 Kirche ist der Rechtsweg ausgeschlossen. E-Mail: kompass@katholische- soldatenseelsorge.de Internet www.katholische-militaerseelsorge.de Chefredakteurin Friederike Frücht (FF) Redakteur Jörg Volpers (JV) Social Media Bildredakteurin, Layout Doreen Bierdel Lektorat Schwester Irenäa Bauer OSF Leserbriefe Bei Veröffentlichung von Leserbriefen behält sich die Redaktion das Recht auf Kürzung vor. 2 Kompass 07-08I21
EDITORIAL Liebe Leserin, lieber Leser, auch wenn in den vergangenen Monaten aufgrund der Pandemie vieles reduziert oder gar ganz eingestellt werden musste – der Sport wurde weiterhin betrie- ben, zum Teil sogar in gesteigertem Maß. Natürlich ist dabei zu unterscheiden zwischen dem sogenann- ten Breitensport einerseits (als Schul-, Vereins- oder Gesundheitssport), der eingeschränkt wurde, aber individuell auch zu neuen Ehren kam. Und anderer- seits dem Leistungs- und Profisport, der erst diesen Sommer wieder – vor Zuschauern und nicht nur in den Medien – mit der Fußball-Europameisterschaft, Tennisturnieren, der Olympiade in Tokio, etc. zu neuen bzw. alten Höhenflügen ansetzt. (Körperliche) Kraft spielt schon an manchen Stellen in der Bibel eine Rolle, und Leistung ist etwas, das auch in den Streitkräften von großer Bedeutung ist. Dabei soll es jedoch nicht nur um Leibes-Übungen gehen, sondern auch um die Geistes-Kraft und die mentale Gesundheit. In der letzten Zeit hat es sich bewährt, viele Gespräche zu führen – oft als Telefoninterviews. Die Redaktion hofft, dass auch Sie diese abwechslungsreiche Form der Artikel interessant und lesenswert finden. Kommen © KS / Doreen Bierdel Sie mit diesen Gedanken und Anregungen gut über den Sommer und schauen Sie auch Anfang September wieder gerne in den Kompass, sei es in das gedruckte Heft, sei es in die jederzeit und überall verfügbare, „Es lebe der Sport Er„Esislebe der Sport gesund und elektronisch vermittelte PDF-Datei oder das Webpaper! Er is gesund und mocht uns hoat mocht uns hoat Jörg Volpers, Redakteur ErErgibt uns Kraft, gibt uns Kraft, erergibt uns Schwung gibt uns Schwung ErErisis beliebt beliebt beibei Alt Alt und Jung“ und Jung“ Rainhard Fendrich, österreichischer Liedermacher (1982) Kompass 07-08I21 3
TITELTHEMA „Die Bundeswehr macht Sport, um die individuelle Einsatzfähigkeit zu erreichen.“ Interview mit Oberst Michael Maul, Kommandeur der Sportschule der Bundeswehr in Warendorf / Münsterland Kompass: Herr Oberst Maul, die Sport- zuführen. Darüber gibt es dann auch kei- ter als trainierbar kategorisiert worden schule der Bundeswehr in Warendorf ist ne zwei Meinungen. Wahr ist aber auch, sind, langsam an höhere Belastungen eine Schule. Was lernt man bei Ihnen? dass die allermeisten Soldatinnen und heranführen. Das heißt, die Ausbildung Michael Maul: An der Sportschule der Soldaten diese 180 Minuten pro Woche hat sich weiterentwickelt und wir reagie- Bundeswehr lernen Soldatinnen und als Dienstsport eben nicht durchführen ren auf gesellschaftliche Entwicklungen. Soldaten als Multiplikatoren, wie sie ein oder durchführen können. Die Gründe sportliches oder militärisches Fitness- hierfür sehe ich auch bei dem einzelnen Kompass: Es soll auch ein Grundfitness- Training nach sportwissenschaftlichen Soldaten und der einzelnen Soldatin. Tool geben, das relativ neu ist. Was be- Grundsätzen in der Truppe durchführen. inhaltet das? Das heißt, wir machen keinen Sport für Kompass: Was ist dran an der Einschät- Michael Maul: Sie sprechen vom soge- „Endverbraucher“, sondern wir bieten zung, die man immer wieder mal liest, nannten Soldaten-Grundfitness-Tool oder eine Ausbildung für angehende Übungs- dass Soldatinnen und Soldaten – gerade SGT. Das ist ein Verfahren zur Leistungs- und Fachsportleiter. in der Grundausbildung – nicht mehr so feststellung, das weniger am Anfang der fit sind wie frühere Generationen? Ist soldatischen Grundlagenausbildung an- Kompass: Können Sie insgesamt sagen, das auch Ihr Eindruck? gewendet werden sollte. welche Rolle oder Bedeutung der Sport Michael Maul: Ich könnte mich jetzt als heute in der Bundeswehr hat? lebensälterer Mensch hinstellen und sa- Wir haben verpflichtend für jeden Sol- Michael Maul: Der Sport in der Bundes- gen: „Die heutige Generation ist nicht daten und jede Soldatin einmal im Jahr wehr dient der Verbesserung, dem Erhalt mehr trainiert.“ Ältere glauben ja oft, den sogenannten Basis-Fitnesstest. Der und der Wiederherstellung der körperli- dass die Neuen schlechter sind, als man bewertet eine grundlegende sportliche chen Leistungsfähigkeit. Damit dient das selbst. Ich bemühe das Bild von der Bun- Fitness. Beim SGT geht es mehr um sportliche Training der Prävention, der deswehr als Spiegelbild der Gesellschaft. Ansätze der soldatischen oder militäri- Widerstandsfähigkeit und letztlich der Wir haben die gleichen Berufsanfängerin- schen Fitness, weil dort Belastungs- und Einsatzfähigkeit von Soldatinnen und nen und -anfänger, die es in der zivilen Bewegungssituationen, die für den Sol- Soldaten. Denn durch den Sport werden Wirtschaft auch gibt. Und es gibt sicher- datenberuf typisch sind, nachempfunden die Grundlagen geschaffen, um den un- lich gesellschaftliche Studien und wis- werden. Das ist allerdings noch nichts für terschiedlichen Belastungssituationen senschaftliche Untersuchungen, die zei- Rekruten in den ersten Wochen. des militärischen Alltags – vom Routine- gen, dass insgesamt die konditionellen betrieb bis in den Einsatz – begegnen Fähigkeiten, das heißt Kraft, Ausdauer, Kompass: Das heißt also, Sie haben zu können. Beweglichkeit, Schnelligkeit, durch unse- schon Methoden, die körperliche Leis- ren Lebensstil schon im Teenager-Alter tungsfähigkeit der Soldaten zu messen? Kompass: Wahrscheinlich gibt es große nicht mehr so ausgeprägt werden, wie Michael Maul: Die haben wir auf jeden © Bundeswehr / SportSBw-FMZ Unterschiede in den sportlichen Leistun- das vielleicht vor zwanzig, dreißig oder Fall. Typische militärische Grundfertigkei- gen. 180 Minuten Sport pro Woche sind fünfzig Jahren noch der Fall war. ten sind: Bewegen im Gelände, Ziehen vorgesehen. Kann man das so grund- von Lasten, Heben und Tragen von Las- sätzlich sagen? Die Bundeswehr begegnet dieser Her- ten, Bewegen mit Gepäck, ohne Gepäck, Michael Maul: Die Bundeswehr ist nach ausforderung dadurch, dass gerade das mit der Waffe in der Hand und ohne. Des- dem Prinzip Befehl und Gehorsam orga- Heer in seiner Allgemeinen Grundausbil- halb haben wir das SGT entwickelt, um in nisiert. Und das ist ein Befehl, der für dung jetzt am Anfang viel mehr zielgerich- kurzer Zeit Belastungen zu messen und jede Soldatin und jeden Soldaten gilt: tetes sportliches Training macht, sodass den Trainerinnen und Trainern, die für Drei Stunden pro Woche sportliches oder wir die Rekrutinnen und Rekruten, die die Verbesserung der körperlichen Leis- militärisches Fitnesstraining sind durch- grundsätzlich in einem Assessment-Cen- tungsfähigkeit bei den Soldatinnen und 4 Kompass 07-08I21
TITELTHEMA Soldaten zuständig sind, Anhaltspunk- te zu geben, ob es hier beispielsweise eher an der Ausdauerleistung mangelt, ob es eher an der Kraft mangelt oder an der Beweglichkeit, um dann zielgerichtet Mängel abstellen zu können. Kompass: Mal einen Blick auf das ande- re Extrem geworfen: Gibt es auch Leu- te, die einseitig oder übertrainiert sind? Und gibt es dann Möglichkeiten, damit umzugehen? Michael Maul: Einige Soldatinnen oder Soldaten legen ihren Trainingsschwer- punkt zu sehr auf ihre Kraft- oder Aus- dauer-Leistungsfähigkeit. Übertraining kann bei unzureichender Trainingssteu- erung, beispielsweise aus mangelnder Erfahrung der Trainierenden, fehlender Anleitung oder aus Übermotivation, vor- kommen. Grundsätzlich ist Übertraining in der Bundeswehr aber ein geringes Phä- nomen. Das Gegenteil ist, wie bereits geschildert, sehr viel öfter der Fall. Womit ich wieder anschließe an die 180 Minu- ten, die von den meisten als Dienstsport nicht erfüllt werden. Die Fragen stellte Jörg Volpers. WEBTIPP: Mehr zum Interview mit Oberst Maul im Internet unter milseel.de/bwsport Oberst Michael Maul während einer Crossfit-Challenge der Sportschule im Gedenken an die Gefallenen des Karfreitagsgefechts. Kompass 07-08I21 5
TITELTHEMA Feuer und Flamme für Erfahrungen eines Seelsorgers E igentlich müsste ich mich auf die Olympischen Spiele in Tokio dieses Jahr freuen. Aber ich verfolge die Entwicklun- gen mit gemischten Gefühlen. Einerseits weiß ich, was die Spiele den Athleten und Athletinnen bedeuten und wie viel © goodwin_x – stock.adobe.com Energie und Einsatz sie aufbringen, um wenigstens einmal bei Olympischen Spielen dabei zu sein. Oft ist es der Höhepunkt ihrer Sportlerkarriere. Eigentlich haben sie es verdient, dass es schöne und beeindruckende Spiele werden. Andererseits sind durch die Pandemie Umstände entstanden, die vielen Ath- leten eine geregelte, konzentrierte und effektive Vorbereitung unmöglich machen. Somit sind schon im Vorfeld einigermaßen faire Bedingungen in Frage gestellt. Warum interessiert sich ein Militärseelsorger so für die Belange der Athleten und die Entwicklung der Olympischen Spiele? Das hat einen besonderen Grund: Ich durfte dreimal mittendrin sein und 1998 (Winterspiele Nagano), 2000 (Sommerspiele Sydney) und 2002 (Winterspiele Salt Lake City) die deutschen Olympiamannschaften begleiten. Vielleicht ist es im ersten Moment erstaunlich, dass Seelsorger die Olympioniken betreuen. Ausschlaggebend dafür waren die Erfahrungen und Geschehnisse rund um die Olympischen Spie- le 1972 in München, besonders die traumatischen Ereignisse des Terroranschlags. Damals reifte die Erkenntnis, dass es nicht schlecht wäre, seelsorgliche Begleitung dabei zu haben, gerade auch im Sinne einer „Notfallseelsorge“. Wenn ich heute auf meine Erfahrungen als Seelsorger bei den Militärdekan Kühn begleitete die Olympischen Spielen zurückblicke, dann stelle ich fest, dass deutschen Olympiamannschaften zu den es Parallelen zur Einsatzbegleitung gibt. Winterspielen 1998 nach Nagano, 2000 zu Dort wie hier wurden wir in erster Linie als „Notfallseelsorger“ © studio uguisu – stock.adobe.com den Sommerspielen nach Sydney und 2002 mitgenommen. Zuständig für alle Belange rund um Verletzung, zu den Winterspielen nach Salt Lake City. Krankheit, Unfall oder Tod – ob vor Ort oder in der Heimat. In diesem Zusammenhang oblag es mir auch während der Spiele, Heute ist er am Standort Koblenz I z. B. eine Todesnachricht zu überbringen. Keine angenehme Militärseelsorger für die Bundeswehr und der Aufgabe. Nie und nirgendwo. geistliche Pilgerleiter für die Internationale Soldatenwallfahrt nach Lourdes. Schöner war es allerdings, wie im Einsatz, einfach als Mensch, als „Ohr für alle Fälle“ da zu sein. Da sein, wenn ein Athlet, eine Athletin, eine Trainerin, ein Trainer, ein Betreuer, eine Be- treuerin oder ein anderes Mitglied aus dem oft riesigen Team 6 Kompass 07-08I21
TITELTHEMA Sportlerinnen und Sportler einfach einmal reden wollte. Reden über das Erlebte, Ereignis- Religionen dazu. Gerade die internationalen Gottesdienste se, Begegnungen, über Gesehenes im Gastgeberland, über Zu- zählten zu den Höhepunkten, die ich erleben durfte. Glauben, hause, über Eindrücke, die nachdenklich gemacht haben. Das Feiern, Begegnung, Austausch, Freude und Gemeinschaft kenn- menschliche Gespräch, nicht zwischen Erfolg und sportlichen zeichneten diese – Menschen und Welt verbindend. Belangen festgelegt, sondern frei aus dem Herzen heraus. Oft wurde mir bestätigt, „dass es guttut, mit jemandem reden zu Wenn ich auf meinen Einsatz in Afghanistan zurückblicke, dann können, der nicht direkt zum Olympiateam gehört.“ lautete mein Fazit immer, dass ich viele interessante, span- nende und tolle Menschen kennengelernt und beeindruckende Natürlich gab es daneben auch die eigentlichen seelsorglichen menschliche Erfahrungen gemacht habe. Das gilt ebenso für Gespräche, die sich um die Themen Leistungsdruck, Erfolgs- meine Zeit als Olympiaseelsorger. Daneben durfte ich große zwang, Zukunftsängste, Zukunftsplanung, berufliche Unsicher- und einzigartige Wettkämpfe mitverfolgen, mit den Sportle- heiten, Verletzungen, Abhängigkeiten oder weitere mit dem rinnen und Sportlern zittern und meinen Horizont um mir bis Sport verbundene Themen drehten, aber ebenso Familie und dahin unbekannte Länder und Kulturen erweitern. Freundschaften in den Blick nahmen. Gefragt war die andere Sicht auf das Leben, den wir als Seelsorger einbringen. Das Nun wieder der Blick nach Tokio. Dieses Mal werden keine ein oder andere Mal musste ich als Mediator bei Konflikten in deutschen Seelsorger mitfahren. Auch die Seelsorge hat sich einzelnen Teamteilen aushelfen. verändert. Heute verfügen die deutschen Seelsorger nicht mehr über einen uneingeschränkten Zugang zum Olympischen Da das Olympische Dorf wirklich wie eine kleine Stadt ist, Dorf wie ich damals. Die Psychologen haben vielerorts die gehörte auch immer ein religiöses Zentrum für alle großen Seelsorger ersetzt. Veränderung in der Religiosität, die stär- kere Ausrichtung der Spiele auf Erfolg und Kommerz erhöhen den Druck und setzen andere Prioritäten. Die Olympischen Spiele verlieren immer mehr ihren selbstgestellten Anspruch als verbindendes und friedliches Ereignis. „Heute verfügen die Die Athleten und die Olympischen Spiele selbst haben eine deutschen Seelsorger nicht faire, eine gelungene, eine sportliche und eine menschen- verbindende Austragung verdient und nicht nur eine, die auf mehr über einen Kommerz ausgerichtet ist, wie es sich seit Jahren abzeichnet. Wichtig ist, dass alle, die den Sport in seiner Vielfalt lieben, uneingeschränkten Zugang ihre Stimme für ein Innehalten und Nachdenken erheben, damit das Menschliche, Schöne, Bewegende am Sport nicht zum Olympischen Dorf wie hinter wirtschaftlichen und staatlichen Interessen verschwin- det. Ich mag ein Träumer sein. Aber ein Träumer war Pierre de ich damals. Die Psychologen Coubertin auch, als er die Olympischen Spiele der Neuzeit ins Leben rief. Möge seine Vision vom gegenseitigen Respekt (vgl. haben vielerorts die die kleine Schrift von Pierre de Coubertin „le respect mutuel“, 1915) in Erfüllung gehen. Mein Wunsch für alle Athleten und Seelsorger ersetzt.“ Athletinnen und alle Beteiligten. Militärdekan Michael Kühn, Katholisches Militärpfarramt Koblenz I Kompass 07-08I21 7
TITELTHEMA © KS / Doreen Bierdel Gegensatz oder Ergänzung D er Raum der Militärseelsorge im Camp Stephan auf der Erbil Air Base heißt „Zuflucht“. Direkt neben ihm befin- bekommen. Sie suchten Ruhe für sich, nutzten die Instrumente zum Musizieren, der Chor traf sich zur Probe. den Stress abzubauen und den Kopf wieder frei zu bekommen. Man schwitzt viel aus und tut etwas für die Gesund- det sich das Fitness-Center, die „Church heit. Ins Schwitzen kann man auch in der of Steel“. Wer sich diesen Namen aus- Fitness-Center im Feldlager Zuflucht kommen. Dann, wenn es im per- gedacht hat und was die Intention hin- sönlichen Gespräch ans „Eingemachte“ ter dieser Namensgebung war, ist nicht Auch das „Gym“ bietet eine sinnvol- geht, wenn Dinge zur Sprache kommen, überliefert. Soll damit ein Gegensatz zum le Abwechslung zum Einsatz-Alltag. Es für die im Alltag kein Platz ist. Auch dies Ausdruck kommen oder haben die bei- strukturiert ihn auf alternative Art: Geht kann förderlich für die Gesundheit sein. den Orte etwas gemeinsam? Ab und zu es im Dienstbetrieb noch so hektisch Allerdings fehlt diesen Gesprächen die kam ich im Lauf meiner Einsatzbegleitung und unkoordiniert zu, die feste Zeit, zu Regelmäßigkeit, sie kommen eher spon- ins Nachdenken über diese Frage. Sol- der man sich in die Nutzungsliste des tan zustande. datinnen und Soldaten kamen in die Zu- Gyms eingetragen hat, will genutzt wer- flucht, um Abstand vom Dienstbetrieb zu den. Und sie wird genutzt. Sport hilft, Das ist der Vorteil, den der Einsatz mit der räumlichen Enge des Lagers und der Rund-um-die-Uhr-Bereitschaft des Dienstes für die Kontinuität der sportli- chen Aktivität bietet: Man hat sehr we- nig Ausflüchte, um sich dem Training zu entziehen, und kann sich ganz seinem individuellen Entwicklungsplan widmen. Und das tun sehr viele Soldatinnen und Soldaten mit Hingabe. Mich erstaunte im- mer wieder, dass das Gym rund um die Uhr genutzt wurde – und zwar von allen © Bundeswehr / Roland Boesker Kontingentangehörigen. Auch ich war ein paar Mal dort, um nach einem leichten Muskelfaserriss die Beinmuskulatur wie- der aufzubauen. Und weitere Male, als ich mit einigen Soldaten überlegte, was wir abends unternehmen wollten und uns als kleinster gemeinsamer Nenner der Sport einfiel: Wir trafen uns im Gym. Wir hätten uns auch zum Spielen in der Zuflucht treffen können, doch konnten Der katholische Militärseelsorger Stefan Hagenberg in Erbil wir uns nicht auf ein Spiel einigen. Wir 8 Kompass 07-08I21
TITELTHEMA „Das ist der Vorteil, den der Einsatz mit der räumlichen Enge des Lagers und der Rund-um-die-Uhr-Bereitschaft des Dienstes für die Kontinuität der sportlichen Aktivität bietet: Man hat sehr wenig Ausflüchte, um sich dem Training zu entziehen, und kann sich ganz seinem individuellen Entwicklungsplan widmen.“ waren nicht die einzigen, die gemeinsam Apropos Sport im Team: Auslandseinsät- of Steel“. Und einige seltsam anmu- ins Gym gingen. Es gab einige, die sich ze bieten die einmalige Gelegenheit für tende Bewegungsabläufe bei manchen regelmäßig zum Training trafen: Sport internationale Sport-Events. Neben dem Übungen. Musik war auch oft dabei. verbindet und schafft Verbindlichkeit – Klassiker, dem 20-km-Gepäckmarsch, Von außen betrachtet hatte es etwas ein weiterer Grund, das Training nicht zu gab es eine „Spartan-Challenge“, die die Rituelles. Ein Ritus hilft ja, den Alltag zu „schwänzen“. Briten ausrichteten. Vierer-Teams muss- strukturieren und so Anker zu setzen im ten 25 Minuten lang an vier Stationen Einsatz-Zeitraum, der oft geprägt ist von Team-Sport so viele Punkte wie möglich sammeln. Unübersichtlichkeit, Unsicherheit und Unser Kontingent stellte zwei Teams, die Hektik. Da ist der Sport eine große Hilfe. Eine weitere Möglichkeit, gemeinsam ordentlich ins Schwitzen kamen. Zum An- Und während man die „Church of Steel“ Sport zu treiben, bot sich im wöchent- feuern war ich mit dabei. Im Gegenzug gestählt verlässt, kommt man aus der lichen Fußballspielen. Das klappte ehr- kamen die Teams am folgenden Sonn- Zuflucht getröstet heraus. Kein Gegen- geizlos entspannt ohne große Verletzun- tag in den Gottesdienst – eine sportliche satz, sondern eine gute Ergänzung! gen, da es nicht auf den Sieg ankam. Geste! Den leichten Muskelfaserriss bekam ich ohne gegnerisches Einwirken durch pure Regelmäßigkeit, Verbindlichkeit, Gemein- Pastoralreferent Stefan Hagenberg, Selbstüberschätzung. schaft – das verbinde ich mit der „Church Katholisches Militärpfarramt Bückeburg © Bundeswehr / Jenny Bartsch Kompass 07-08I21 9
Wo die Götter zu finden sind! I ch beginne die meisten Wanderungen motiviert und voller Tatendrang. Die Route ist ausgesucht, der Rucksack ge- gendes und gleichzeitig Mächtiges aus. In vielen Ländern der Welt gelten sie als Wohnstätte von Göttern. Ausruhen, den packt. Das Wetter passt – es ist kein Re- Blick genießen – an nichts denken! gen angesagt. Die Füße sind ausgeruht und tragen mich überall hin. Langsam bereite ich mich auf den Rück- weg vor – denn was man hochgelaufen Zumindest glaube ich das. Zuweilen fra- ist, muss man in der Regel auch wieder ge ich mich allerdings während der Wan- runter. Die Gefahr, den Rückweg zu un- derung: „Warum mache ich das eigent- terschätzen, mussten viele Wandernde lich freiwillig und habe auch noch Freude mit ihrem Leben bezahlen. Hier passie- an Anstrengung und zunehmender Ermü- ren die meisten Unglücke. Die Beine sind dung?“ Ich habe meine Bequemlichkeits- nicht mehr so kräftig wie am Morgen, zone verlassen. Doch während kleiner der Aufstieg steckt in den Knochen. Der Pausen spüre ich immer wieder, warum Rucksack fühlt sich mit jedem Schritt sich der Aufstieg lohnen könnte: Es ist schwerer an und auch die Knie kommu- eine Art aktives Abschalten. Ich höre auf nizieren ihre Leistungen. Doch mit eini- meinen Körper und gleichzeitig habe ich gen Pausen schaffe ich den Rückweg Zeit, über Dinge, die mich beschäftigen, gut. Wieder am Ausgangspunkt ange- nachzudenken. kommen, bin ich zwar erschöpft, aber glücklich. Die Perspektive auf die Welt verändert sich mit jedem Meter – die Vegetation Diese Erfahrungen einer Wanderin kön- ändert sich fortlaufend. nen Soldatinnen und Soldaten auch in der Militärseelsorge machen. So bieten Und dann bin ich plötzlich am Gipfel. einige Pfarrämter sowohl Sommer- als © Bundeswehr / Patrick Rupp Fernab von Zivilisation wird mir bewusst, auch Wintersportexerzitien an. Gemein- wie klein ich in dieser Welt bin. Gleich- sam mit einem Seelsorger oder einer zeitig fasziniert die Natur mit all ihren Seelsorgerin gibt es hier die Chance, Facetten. Berge strahlen etwas Beruhi- fernab von alltäglichen Herausforderun- 10 Kompass 07-08I21
„Berge strahlen etwas Beruhigendes und gleichzeitig © KS / Peteratzinger und Götz Mächtiges aus.“ gen, sei es bei der Arbeit oder in der tausch von persönlichen Erfahrungen, Familie, zu sich selbst und damit auch aber auch Spaß und Unterhaltung. Es ist zu Gott zu finden. Durch tägliche geistli- eine Mischung aus sportlicher Herausfor- che Impulse können Sie die Wanderung derung und Meditation. „Als Seelsorger nicht nur als sportliche Herausforderung, empfinde ich diese Tage immer als sehr sondern auch zur Reflexion nutzen. bereichernd. Wenn man den Tag so be- wusst gemeinsam erlebt, kommen vie- „Die Ausgesetztheit auf steil abfallen- le persönliche Geschichten auf und es den Graten, die Belastungen durch gibt ausreichend Raum und Zeit, darü- Wetterwechsel (Niederschlag mit nas- ber zu sprechen“, berichtet Militärpfarrer sen Klamotten, aber auch wechselnde Sylwester Walocha. Wegbeschaffenheit) lassen einen klein werden, man wird demütig, fühlt sich Im Winter findet zudem noch eine Ein- aber gleichzeitig von Gottes Hand behü- führung durch einen Heeresbergführer tet“, beschreibt Oberstleutnant Martin in die Themen „Gefahr durch Lawinen Karl. Er hat schon an vielen Bergexer- und Rettung von Verschütteten“ statt. zitien teilgenommen und freut sich im- Neben der technischen Notwendigkeit mer wieder darüber, was diese Art der dieser Vorbereitung wird einem auch Exerzitien mit ihm machen: „Das inten- bewusst, wo die eigenen körperlichen sive Kennenlernen aller Teilnehmer der und mentalen Grenzen liegen und wel- Gruppe begeistert mich regelmäßig bei che Verantwortung die gesamte Gemein- den Bergexerzitien. Durch das tägliche schaft trägt. Teilen von Anstrengungen, Entbehrun- gen, aber auch unglaublicher Freude Vielleicht gibt es ja auch an Ihrem Stand- und Glücksmomente wird die Gruppe ort ein solches Angebot. Sprechen Sie zusammengeschweißt. Es entstehen oft Ihre Militärseelsorgerin oder Ihren Militär- Freundschaften, die andauern.“ seelsorger doch einfach mal an. Die gemeinsamen Abende in der Ge- meinschaft sind oft erfüllt mit dem Aus- Friederike Frücht Kompass 07-08I21 11
TITELTHEMA „Die Erfahrung der eigenen Grenze ist zugleich eine Erfahrung, wer ich bin.“ Interview mit Jesuitenpater Godehard Brüntrup Kompass: Wozu braucht die Seele Be- Kompass: Welcher Sport hilft, bei sich zu wegung? sein und warum gerade dieser? Godehard Brüntrup: Die Seele braucht Godehard Brüntrup: Im Sport kommt Bewegung, weil der Mensch eine Einheit man zu sich, wenn man sich selbst ver- von Leib und Seele ist. Bewegung hält gisst: Manche Menschen sind durch und Kompass: Macht Sport süchtig? den Körper gesund und schon die alten durch Teamplayer, sie kommen zu sich, Godehard Brüntrup: Ja, Sport hat ein Römer wussten: „mens sana in corpore wenn sie in eine Gemeinschaft eintau- Suchtpotenzial. Bei intensiver sportlicher sano“, das heißt: In einem gesunden chen und Teil eines größeren Ganzen Tätigkeit werden die sprichwörtlichen Körper steckt oft eine gesunde Seele. werden. Für solche Menschen ist ein Glückshormone ausgestoßen, die eine Man darf aber nicht im Umkehrschluss Mannschaftssport ideal. Es gibt Men- Art körpereigenes Rauschmittel sind. denken, dass in einem kranken Körper schen, die am besten zu sich kommen, Das ist aber eine gesunde und empfeh- eine kranke Seele stecke. Jedoch ist es wenn sie aufhören zu denken, einfach lenswerte Art sich zu berauschen. Lieber zweifellos so, dass ein gesunder Körper nur ihren Atem spüren und den Rhyth- einen „Rausch“ im Fitness-Studio oder dabei hilft, sich wohlzufühlen, mit Stress mus der Bewegung. Für solche Men- beim Laufen als an der Theke. Gefähr- umzugehen und optimistisch in die Zu- schen ist Ausdauersport ein Weg zu sich lich wird es dann, wenn der Sport im kunft zu schauen. Wie schon der Philo- zu finden. Manche können den Kopf und Leben so viel Raum einnimmt, dass an- soph Schopenhauer sagte: „Gesundheit die Gedanken abschalten, wenn sie ihren dere wichtige Bereiche, vor allem Familie ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist Körper, jeden Muskel, intensiv spüren. und Beruf, darunter zu leiden beginnen. alles nichts.“ Kraftsportler sprechen vom „Pump“ als Sport soll immer die „schönste Neben- einem Gefühl des Glücks und großer sache der Welt“ bleiben. Die meisten Kompass: Welchen Stellenwert hat geistiger Entspannung, bei dem sie ganz Menschen haben aber eher das gegen- Sport für Sie selbst – zum Beispiel als da, ganz präsent sind. teilige Problem. Sie brauchen Disziplin ehemaliger Kletterer? Godehard Brüntrup: Ich bin mittlerwei- le ein älterer Herr, meine Zeiten als Sportkletterer sind vorbei. Weder mei- ne Gesundheit noch meine beruflichen Verpflichtungen erlauben es, dass Sport noch so wie früher eine wichtige Rolle in meinem Leben spielt. Daher würde ich alle Jüngeren ermutigen, die Jahre, in denen sie die körperlichen Vorausset- zungen zu sportlichen Höchstleistungen haben, auch wirklich auszunutzen und an die eigenen Grenzen zu gehen. Diese Erfahrung der eigenen Grenze ist nämlich zugleich eine Erfahrung, wer ich bin. Sie erlaubt mir einerseits zu erfahren, zu was ich in der Lage bin, wenn ich alles gebe. Aber sie lehrt mich andererseits auch eine gute und gesunde Demut, wenn ich erfahre, dass ich eben bis hierher kann und nicht weiter. 12 Kompass 07-08I21
TITELTHEMA und ausdauernde Zielstrebigkeit, um ihre © Christof Wolf SJ sportlichen Ziele zu erreichen – gegen den „inneren Schweinehund“. Kompass: Braucht Sport Wettkampf? Godehard Brüntrup: In gewisser Weise ja, denn man kämpft im Sport sehr oft dann, wenn dadurch der Sport zu einem Godehard Brüntrup SJ, Priester „Egotrip“ wird, dass es nur noch darauf und Philosoph, ist Mitglied des ankommt, besser zu sein als alle ande- Jesuitenordens und Philosophie- ren. Jede Niederlage wird dann von einer professor in München. Enttäuschung gleich zu einer Katastro- phe, und spätestens dann stimmt etwas zuschätzen, sich weder zu unterfordern nicht mehr. Die wahren Sportler erkennt noch fahrlässig zu überfordern. Man er- man daran, dass sie fair und würdevoll fährt, wie das Glück in der Gegenwart, verlieren können. im erfüllten Augenblick, erlebt wird. In solchen Momenten steht die Zeit still Kompass: Was lernt man beim Sport für und alles ist gerade perfekt, man ist mit seine Seele, was für das Leben? sich, mit den anderen Menschen und mit Godehard Brüntrup: Mein eigener Lieb- der Natur im Einklang. Man spürt eine lingssport war, wie gesagt, das Klettern, Art von Dankbarkeit für das eigene Le- und zwar hauptsächlich im Gebirge und ben, die Freunde und die Schönheit der nicht in der Halle. Man lernt dabei Ka- Natur. Das ist, würde ich mal salbungs- meradschaft. Man muss sich ganz auf voll sagen, fast eine Art von religiöser den/die Seilpartner/in verlassen, man Erfahrung, die einem der Sport vermitteln legt das eigene Leben in die Hand des kann. anderen. Man lernt sich realistisch ein- Die Fragen stellte Jörg Volpers. gegen etwas, auch wenn man ganz al- lein Sport treibt. Man kämpft gegen die eigenen Grenzen, die innere Trägheit, man kämpft gegen die Erschöpfung oder die Willensschwäche. Nach jeder intensiven sportlichen Tätigkeit ist man © Mykola – stock.adobe.com (5) „abgekämpft“, und wenn man es nicht ist, dann hat man irgendwie nicht alles gegeben. Viele Menschen haben ein starkes Leistungsmotiv. Ihnen hilft es, sich mit anderen messen zu können. Sie nehmen an Wettkämpfen teil oder vergleichen online ihre Leistungswerte mit anderen. Das ist gut und kann hel- fen, sich zu motivieren. Schwierig wird es Kompass 07-08I21 13
14 Kompass 05I21 KOLUMNE © Deutscher Bundestag / Inga Haar © Hintergrund: SidorArt – stock.adobe.com
KOLUMNE Liebe Soldatin, lieber Soldat, es ist ein historisches Ereignis: Am 21. Juni 2021 wurde mit Zsolt Balla der erste Militärrabbiner der Bundeswehr ernannt. „Die Einführung „Die Einführungjüdischer jüdischer Gut 100 Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs – und 76 Jahre nach dem Holocaust – gibt es damit erstmals wieder Seelsorge sendet Seelsorge sendeteine ganz eine ganz militärische Seelsorge für Soldatinnen und Soldaten jüdischen Glaubens in den deutschen Streitkräften. An der Feierstunde unmissverständliche unmissverständliche Botschaft: zur Ernennung von Rabbi Balla teilzunehmen, war mir eine große Ehre und Freude. Botschaft: Diesteht Die Bundeswehr Bundeswehr für Vielfalt, Die Einführung jüdischer Seelsorge sendet eine ganz unmiss- stehtToleranz für Vielfalt, Toleranz und Weltoffenheit.“ verständliche Botschaft: Die Bundeswehr steht für Vielfalt, Toleranz und Weltoffenheit. Jüdische Soldatinnen und Soldaten und Weltoffenheit.“ sind selbstverständlicher Teil der Bundeswehr. Antisemitismus hat in der Truppe keinen Platz. Diese Botschaft ist aktuell wichtiger denn je. Denn leider ver- zeichnen wir immer noch und immer wieder antisemitische Militärseelsorge auf diese Weise auch die Einsatzbereitschaft Vorfälle in der Truppe, wie zuletzt in Litauen. Neben vielen an- und Durchhaltefähigkeit der Truppe. deren Abscheulichkeiten soll dort auch antisemitisches Liedgut gesungen worden sein. Das ist völlig inakzeptabel. Ein solches Im Inland leiten Militärgeistliche vielerorts den Lebenskundli- Verhalten ist ein Schlag ins Gesicht für alle Soldatinnen und chen Unterricht. Er fördert das Verständnis von Soldaten als Soldaten, die verantwortungsvoll ihren Dienst tun. Und das ist Staatsbürger in Uniform, die fest auf dem Boden unseres mit Abstand die große Mehrheit. Grundgesetzes stehen. Militärrabbiner können hier wichtige Antisemitismus ist auch keineswegs ausschließlich in der Trup- Akzente der Prävention setzen, über Judentum und Antise- pe zu finden, sondern ein gesellschaftliches Problem. Seit mitismus aufklären und damit Vorurteilen und Extremismus Jahren nehmen rechtsextremistisch motivierte Straftaten mit entgegenwirken. antisemitischem Hintergrund zu. Der Anschlag auf die Syna- goge in Halle im Oktober 2019 war der bisher fürchterlichste Die jüdische Militärseelsorge ist somit nicht nur ein Angebot Ausdruck dieser Entwicklung, die mich sehr besorgt. für die rund 300 jüdischen Soldatinnen und Soldaten, sondern in jeder Hinsicht eine echte Bereicherung für die gesamte Genau in dieser Situation ist die Einführung der jüdischen Mili- Bundeswehr. tärseelsorge daher ein ganz klares und starkes Zeichen – mit hoffentlich großer Symbolkraft nach innen in die Truppe und Von der Einführung der jüdischen Seelsorge erhoffe ich mir nach außen in die Gesellschaft. auch einen Schub für islamische Militärseelsorge. Denn in der Truppe leisten rund 3.000 Soldatinnen und Soldaten mus- Bis zu zehn Militärrabbiner sollen eingestellt werden. Ihre Auf- limischen Glaubens ihren Dienst. Auch sie verdienen eine gaben reichen – wie bei anderen Militärgeistlichen – weit über religionsbezogene Seelsorge. Sie wäre ein Zeichen von Wert- rein religiöse Angelegenheiten hinaus. Ihre Tür steht allen schätzung und Anerkennung für ihren wertvollen Dienst. Am Soldatinnen und Soldaten, egal welchen Glaubens, offen. Sie Islamkolleg in Osnabrück werden künftig Imame ausgebildet. geben Rat in allen Fragen und leisten Beistand in schwierigen Die Bundeswehr sollte sie willkommen heißen. Situationen – im Dienstlichen wie im Privaten, im Inland wie im Ausland. Mit herzlichen Grüßen 2011 habe ich erstmals selbst erlebt, welch große Bedeutung die Militärseelsorge hat. Damals war ich im Rahmen einer Informationsreise für Bundestagsabgeordnete in Afghanistan. Im Camp in Masar-i Scharif waren Militärgeistliche ein zentraler Anlaufpunkt. Mit ihnen konnten Soldatinnen und Soldaten offen und vertrauensvoll über ihre Erfahrungen und Erlebnisse, über die besonderen Belastungen und Schwierigkeiten ihres Einsat- Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages zes sprechen. Wie in anderen Auslandseinsätzen stärkt die Kompass 07-08I21 15
AUSLEGEWARE © matiasdelcarmine – stock.adobe.com Verführerische Frauen und liebestoller geweihter Mann D ie Bibel ist nicht nur ein Klassiker, sondern sie enthält auch Klassiker. das sogenannte Richteramt ausübt, und zwar zwanzig Jahre lang (vgl. Ri 15,20; 16,31). Mehr noch, im Unterschied zu zeichnung Jesu [Joh 18,5.7; 19,19 (!); Apg 2,22; 3,6; 22,8 (!)]. Ein Nasiräer zu sein bedeutet, dass dieser u. a. keine Einer der wohl ältesten ist, wie eine Frau den anderen, die in königsloser Zeit das unreinen Speisen und vor allem keinen einen scheinbar starken Mann zu Fall Richteramt vor ihm innehatten, wird sei- Alkohol zu sich nehmen darf. Kurzum, bringen kann. Nicht nur das Buch „Ju- ne Geburt ähnlich wie die des Johannes er ist heilig dem HERRN. Und ein ganz dit“ zeigt sehr anschaulich, wie eine Frau des Täufers und die Geburt Jesu auf besonderes Merkmal eines Nasiräers eine ganze israelfeindliche Armee in die wundersame Weise durch einen Engel/ ist das unbeschnittene freiwachsende Flucht schlagen kann, sondern auch das Boten des HERRN angekündigt. Diese An- Haar (vgl. Num 6,5). Hieraus wird dann Buch der „Richter“ erzählt eine ähnliche kündigung ist zugleich mit einer Auflage offenbar in der Simson-Erzählung auf die Geschichte mit tragischem Ausgang für verbunden. Die Mutter darf kein Rasier- besondere unbesiegbare Kraft des Hel- den Helden. Dieser Held namens Simson messer an seinen Kopf setzen lassen; den geschlossen. (hebräisch Schimschon) ist nicht irgend- denn der Knabe soll ein von Geburt an wer, sondern einer, der so etwas wie ein Gott geweihter Nasiräer (Ναζιραιος) sein Aber so ein Gott geweihter Mann hat von Gott eingesetzter Regierungschef in (vgl. Ri 13,5). Nicht zu verwechseln mit eben auch heftige Liebesbedürfnisse, Israel in königsloser Zeit ist, und damit Nazoräer (Ναζωραιος), eine (Selbst-)Be- die zudem noch unerlaubter Art sind. 16 Kompass 07-08I21
AUSLEGEWARE TIPP: Sie fragen sich: „Was bedeutet denn das schon wieder in der Bibel?“ Als erstes heiratet er, und zwar gegen eine Dirne? Ist sie eine Philisterin oder Senden Sie uns den Willen seiner Eltern, eine Philisterin, ist sie beides? Was wir aber wissen im Ihre Frage – hier wird sozusagen eine aus dem Volk der Bedrü- Unterschied zur ersten Frau des Sim- cker Israels, was aber vom HERRN selbst son, das ist ihr Name. Sie heißt Delila. sie geklärt. so gelenkt ist. Jedoch verläuft die Ehe Auf jeden Fall ist sie käuflich. Ohne Um- nicht ganz so glücklich wegen Geheim- schweife kommt man auch hier gleich zur nisausplauderei seitens der Frau aus Sache. Denn die Philister bieten Delila mir nicht“ (Ri 16,15). Und sie setzt ihm dem Schlafzimmer – und das noch an haushohe Summen dafür an, wenn sie immer mehr zu. Endlich gibt er genervt die Philister (vgl. Ri 14). Am Ende danken herausbekommt, worin die unbesiegbare auf und verrät sein Geheimnis: „Würden diese es der Frau dennoch wenig. Sie Stärke des Simson besteht. Delila willigt mir die Haare geschoren, dann würde und ihr eigener Vater werden von den ein. Wie in einem richtigen Märchen – frü- meine Kraft von mir weichen; ich wür- Philistern verbrannt (vgl. Ri 15,1-8). here Ausleger vermuteten hier auch den de schwach und wäre wie jeder andere Plot eines ursprünglich hebräischen Mär- Mensch“ (Ri 16,17b). Zudem gesteht Wenig später besucht Simson anschei- chens bzw. Mythos` – unternimmt Delila Simson Delila, dass er ein vom Mutter- nend Prostituierte, was den Philistern drei Versuche, Simson sein Geheimnis leib an Gott Geweihter ist, ein Nasirä- insofern sehr entgegenkommt, als sie zu entlocken, vermutlich alle im Bett (vgl. er. Da Delila vermutlich eine Philisterin hier eine Gelegenheit wittern, ihm auf- Ri 14,15; 16,5). Jedoch alle drei Versu- ist, weiß sie höchstwahrscheinlich auch lauern zu können, um ihn zu töten (Ri che scheitern grandios, wenngleich die- nichts von einer solchen Weihe. Jetzt 16,1-3). Es nutzt ihnen aber nichts. Denn se auf etwas, man ist geneigt zu sagen, aber ist er ihr machtlos ausgeliefert. Simson riecht den Braten und demoliert recht plumpe Weise geschehen. Nach Nachdem die Philister umgehend über kurzerhand ein stark befestigtes Stadt- dem dritten gescheiterten Versuch – und diese Schwachstelle informiert worden tor, welches ihn vor dem Entwischen hin- der verliebte Simson scheint immer noch sind und diese ihr das zugesagte Geld, dern sollte. Und jetzt wird es spannend. nichts bemerkt zu haben – macht Delila wörtlich übersetzt könnte man auch Simson verliebt sich wieder, und zwar ihm eine Szene: „Du sagst zwar, dass von Silberlingen sprechen, mitgebracht offenbar blind. Wir wissen nicht: Ist sie du mich liebst, aber dein Herz gehört haben, ließ sie Simson wohl ob seiner körperlichen Größe auf ihren Knien ein- schlafen. So konnte jemand gleich Sim- son die sieben Locken behänd abschnei- den. Nun war er saft- und kraftlos, er war schlicht depotenziert, so dass ihm die Augen ausgestochen werden konnten. „Aber so ein Gott geweihter Liebe kann auf tragische Weise im wahrs- ten Sinne des Wortes blind machen. Am Ende erwächst ihm zwar mit dem Nach- Mann hat eben auch heftige wachsen seiner Haare wieder neue Kraft und Stärke, aber mit dieser reißt er sich Liebesbedürfnisse, die zudem selbst und tausende Philisterfamilien, die mit ihm ihren Spaß treiben wollten, mit in den Tod. Eine durchaus ehrenvolle noch unerlaubter Art sind.“ Bestattung wird ihm dennoch gewährt. Liest man diese Geschichte einmal be- gleitet von der Frage, was stärker ist, die Liebe oder die körperliche Kraft, so ist es die Liebe, die wiederum in glücklichen Beziehungen Kraft verleiht. Thomas R. Elßner Kompass 07-08I21 17
AUS DER MILITÄRSEELSORGE Neuer Militärbundesrabbiner: Ansprechpartner für alle Soldaten „Hoffe, dass Karriere als Soldat normal für Juden wird“ Z solt Balla ist seit dem 21. Juni 2021 der neue Militärbundesrabbiner. Im Interview der Katholischen Nachrichten- bin sehr dankbar und glücklich, dass ich diese Chance bekommen habe. KNA: Waren Sie selbst Soldat? Zsolt Balla: Ich war nicht beim Militär, habe aber mit meiner Familie viel Zeit auf Agentur (KNA) erklärt der 42 Jahre alte KNA: Wie kam es dazu? Basen in Ungarn verbracht. Ich bin Kind orthodoxe Landesrabbiner von Sachsen, Zsolt Balla: Seit 2015 versucht das Zen- eines Oberleutnants, und mein Vater war wie er sein Amt gestalten und wie er sich trum Innere Führung der Bundeswehr, Kommandant einer Armeebasis. In der mit christlichen Seelsorgern austauschen Kontakt zu jüdischen Gemeinden aufzu- Seelsorge als Rabbiner habe ich zwar viel möchte, wie es in seiner Gemeinde in bauen, weil es eine Nachfrage jüdischer Erfahrung, aber in meinem neuen Amt Leipzig weitergeht und was der histori- Soldaten nach Seelsorge gibt. Bisher muss ich jetzt sehr viel lernen. Insgesamt sche Beschluss über die Einrichtung einer wandten sich diese an die christlichen schätze ich die Arbeit von Streitkräften jüdischen Militärseelsorge in Deutsch- Seelsorger innerhalb der Bundeswehr. sehr und bedauere, dass ihre Arbeit von land für ihn bedeutet. 2016 nahm ich an der Konferenz „Co- der Gesellschaft oft unterschätzt wird. ping with culture“ teil, an der auch ande- KNA: Rabbiner Balla, was bedeutet Ihnen re Nato-Länder beteiligt waren, in deren KNA: Wie wollen Sie Ihre neue Aufgabe das neue Amt als erster Militärbundes- Armeen es jüdische Militärseelsorge gibt. gestalten? rabbiner in Deutschland seit dem Ers- Es war inspirierend zu begreifen, wie wich- Zsolt Balla: Ich stehe in einem Dienst- ten Weltkrieg – und 76 Jahre nach der tig interkulturelle Kompetenz im Militär verhältnis mit dem Zentralrat der Juden Schoah? ist. Seitdem hatte ich immer wieder mit in Deutschland, die weiteren bis zu zehn Zsolt Balla: Ich spüre ein großes Gewicht der Bundeswehr zu tun und habe mich Militärrabbinerinnen und -rabbiner mit auf meinen Schultern, im positiven Sinne. mit dem Thema beschäftigt. Schließlich dem Bundesverteidigungsministerium. Die neue Aufgabe ist eine große Verant- wurde ich vom Zentralrat der Juden für Die Bundeswehr soll ein Spiegel der wortung, etwas Gutes für Deutschland die Position ausgewählt. Gesellschaft sein. Daher werden die und die Juden in Deutschland zu tun. Ich jüdischen Militärseelsorger zum einen © Markus Nowak / KNA 18 Kompass 07-08I21
AUS DER MILITÄRSEELSORGE eine neue Perspektive einbringen, zum anderen hoffentlich dazu beitragen, dass vermehrt Juden Soldaten werden. Von unserer Seite werden wir alles tun, um zu zeigen, dass die heutige Bundeswehr auf der richtigen Seite der Weltgeschichte steht und dass sie sich zu Freiheit und Demokratie bekennt. © KMBA / Thomas R. Elßner KNA: Haben Sie denn Signale wahrge- nommen, dass junge Juden als Soldaten in der Bundeswehr dienen wollen? Zsolt Balla: Aus meinen Erfahrungen in der Jugendarbeit weiß ich, dass es junge Juden gibt, die sich eine Karriere als Sol- dat vorstellen können. Wir hoffen, dass es hier in Deutschland trotz der Geschichte Am 21. Juni erhielt Zsolt Balla als erster Militärbundesrabbiner in der des Landes für Juden irgendwann normal Geschichte der Bundeswehr in der Synagoge Leipzig von Josef Schuster, wird, diesen Berufsweg einzuschlagen. dem Präsidenten des Zentralrates der Juden, einen Toraschutzmantel als Schutz für die Reisetorarolle(n). KNA: Haben Sie Sorge vor Antisemitis- mus innerhalb der Truppe? tet, zu Auslandseinsätzen gerufen zu wer- KNA: Und wie viele jüdische gibt es? Zsolt Balla: Streitkräfte können in der Tat den. Wir werden darauf achten, dass die Schätzungen gehen von etwa 300 Sol- ein Ort von Radikalisierung sein. Und es Militärrabbiner die Realität in Deutschland daten aus. ist eine weitere wichtige Aufgabe für uns spiegeln, dass also die verschiedenen Zsolt Balla: Ja. Es gibt aber keine genau- Rabbiner, im lebenskundlichen Unterricht religiösen Richtungen innerhalb des Ju- en Zahlen, weil Soldaten ihre Religions- für alle Soldaten auch präventiv gegen dentums vertreten sein werden. zugehörigkeit nicht angeben müssen. Ich Antisemitismus vorzugehen. Auf diesem möchte noch ergänzen, dass wir Seelsor- Feld gibt es sehr viel zu tun. Ich möchte, KNA: Haben Sie schon Kontakt mit christ- ger in der Bundeswehr generell für alle dass es in ein paar Jahren klar sein wird, lichen Seelsorgern in der Bundeswehr Soldaten da sind, egal, welcher Religion dass die Bundeswehr ein Ort ist, an dem aufgenommen, oder mit dem katholi- sie angehören. Das ist ein sehr wichtiges sich viele Menschen für demokratische schen Militärbischof Franz-Josef Over- Prinzip. Werte engagieren. Dasselbe sollte für die beck? Streitkräfte in Europa und anderen Nato- Zsolt Balla: Nein, mit dem Bischof noch KNA: Wie wird es denn angesichts Ihrer Staaten gelten. nicht, das kommt aber. Schon früher neuen Aufgabe in Sachsen weitergehen? stand ich in Kontakt mit Militärpfarrern Zsolt Balla: Ich werde das Amt des Mi- KNA: Wie werden künftig die Strukturen und habe Input von ihnen bekommen. litärbundesrabbiners, das auf fünf Jahre für die Militärrabbiner in Deutschland Unser Rabbinat wird ein selbstständiges angelegt ist, und meine Aufgaben als aussehen? Es soll ja bis zu zehn Seel- Organ sein, aber natürlich arbeiten wir mit Leipziger Gemeinderabbiner und Landes- sorger geben. den christlichen Seelsorgern zusammen. rabbiner von Sachsen künftig in Teilzeit Zsolt Balla: Das geschieht Schritt für ausüben. Wir suchen gerade nach einer Schritt. Neben mir wird es in Kürze zu- KNA: Wie stehen Sie zu Forderungen zweiten Person für die Gemeindearbeit nächst zwei Militärrabbiner geben. Das nach einer muslimischen Militärseelsor- in Leipzig. Auch werde ich weiterhin eh- Militärbundesrabbinat wird seinen Sitz ge, die es bislang ja noch nicht gibt? renamtlich im Vorstand der Orthodoxen in Berlin sowie Außenstellen haben. Zu- Zsolt Balla: Die wäre sehr, sehr wichtig, Rabbinerkonferenz Deutschland bleiben. gleich wird es Reisen zu Stützpunkten aus denselben Gründen, warum es jetzt geben und vor allem zu den Universitäts- auch eine jüdische Militärseelsorge gibt. Die Fragen stellte Leticia Witte (KNA). standorten der Bundeswehr in München Ich würde mich auch dafür einsetzen. Im- © KNA. Alle Rechte vorbehalten. und Hamburg für den lebenskundlichen merhin gibt es rund 3.000 muslimische Unterricht. Ich bin auch darauf vorberei- Soldaten in der Bundeswehr. Kompass 07-08I21 19
AUS DER MILITÄRSEELSORGE EU. Macht. Frieden. © Vlad – stock.adobe.com Friedensethik vor Herausforderungen „EU. Macht. Frieden.“ Unter diesem Ti- Den thematischen Beginn machte Mi- Außerdem gab es eine Arbeitseinheit zur tel, fand der Friedensethische Kurs (FEK) chael Staack von der Universität der Aus- und Fortbildung in Methodik und statt. Pandemiebedingt konnten neun Bundeswehr (HSU) in Hamburg: Mit „Zei- Didaktik im Hinblick auf den in den Ka- neueingestellte katholische Militärseelsor- chen der Zeit in der Sicherheitspolitik“ sernen zu leistenden Lebenskundlichen gende in diesem Jahr am Kurs, der vom war sein Beitrag überschrieben. Er legte Unterricht (LKU). Veronika Bock, Direkto- ithf (Institut für Theologie und Frieden) und sehr grundlegend und umfangreich He- rin des zebis, und Oberstleutnant Bert zebis (Zentrum für ethische Bildung in den rausforderungen, Gefahrenpunkte und Brockmann beleuchteten zudem aus Streitkräften) gemeinsam organisiert wur- Arbeitsfelder der derzeitigen Sicherheits- verschiedenen Blickwinkeln: „Eine euro- de, teilnehmen. architektur dar, die dann für die Fragen päische Armee oder eine Armee der Euro- der konkreten Handlungen zur Schaffung päer? Europäische Werte als Grundlage“ „Friedensethik angesichts geopolitischer und Sicherung von Frieden – in dieser Zeit – um dann an Schrage zu übergeben, und pandemischer Herausforderungen“ wichtig wurden. der „Theologisch-ethische Orientierun- war der Untertitel in diesem Jahr – und gen für die EU-Sicherheitspolitik in Mali“ das machte schon deutlich, dass es um Christoph Mandry aus Frankfurt fragte in anbot. Das konnte er auch sehr persön- nach wie vor hochaktuelle Themenfelder seinem Beitrag nach den Werten, die für lich vornehmen, war er doch selbst als der europäischen, der internationalen Si- die Europäische Union (EU) von Bedeu- Militärseelsorger für zwei Monate vor Ort cherheitspolitik ging. In diesem Seminar tung sind. Er hinterfragte, wie weit eine gewesen. sollte es dazu um friedensethische Deu- „europäische Identitätsbildung“ schon vo- tungen gehen, die an den Vormittagen rangeschritten sei und welche Auswirkun- Den thematischen Abschluss machte von unterschiedlichen Referenten vorge- gen die Corona-Pandemie auf den Prozess Michael Reder aus München mit seinen nommen und an den Nachmittagen im der europäischen Einigung habe. Er mach- Ausführungen: „Weltrechtsordnung oder Rahmen einer Arbeitsgemeinschaft mit te deutlich, dass die EU auch als großes Global Governance. Eine theologische Heinz-Gerhard Justenhoven und Marco Friedensprojekt gegründet worden war. Conclusio“. Auch er beeindruckte mit Schrage vom ithf möglichst konkret und Und auch er beleuchtete die – nicht nur der Hineinname der umweltpolitischen direkt auf Arbeitsfelder der Militärseelsor- pandemiebedingten – Herausforderungen Herausforderungen in den Bereich der ge hin bearbeitet wurden. dieses wichtigen Bereichs der Geopolitik. Friedens- und Konfliktethik. Er fragte, ob es des Rechts bedürfe, um friedensethi- sche Grundlinien festlegen zu können und eine konkretere und tragfähigere Weltgemeinschaft zu schaffen. Neben den wissenschaftlichen Vorträ- gen und friedensethischen Gesprächen waren auch in diesem Jahr die gemein- sam gefeierten Gottesdienste und der Austausch über die Arbeit an den unter- © Christian Lau / zebis schiedlichen Standorten der Bundeswehr von Bedeutung. Vor allem die persönliche Begegnung vor Ort zeichnete den Kurs in diesem Jahr aus. Heinrich Dierkes, zebis, Hamburg Von Hamburg aus moderierte Veronika Bock die hybrid angelegte Veranstaltung unter anderem mit Christoph Mandry aus Frankfurt. 20 Kompass 07-08I21
ZUM LKU Zur Praxis moralischer Bildung So·li·da·ri·tät [die] O Soziale Gesundheit – Teil I „Einer für alle, alle für einen!“: Ungeborenen zu solidarisieren, In Alexandre Dumas`„Die drei bedarf es im wahrsten Sinne Musketiere“ erfassen wir intuitiv des Wortes der sittlichen Ori- das Phänomen der „Solidarität“. entierung an „Gottes Gerechtig- Beim Lesen erkennen wir die keit“. Bestimmte Lebenssitua- gefühlte Bindung, assoziieren tionen erfordern nicht nur ein © Migeli Barrios – stock.adobe.com die bewusste Verbundenheit, solidarisches Gefühl, sondern sehen das (politisch) schlaue setzen letzten Endes immer ein Zusammenstehen, die geistige sittlich gebildetes Bewusstein Einigkeit oder gar die soziale Ge- voraus. Nur so kann nämlich die schlossenheit. Nicht nur Dumas solidarische Urfrage schlecht- ging es ums Leben und Handeln hin auch selbstbewusst und in einer Art „Wahl-Familie“. Das alleinverantwortlich beantwor- tief empfundene Erleben gegen- tet werden: „Und wer ist mein seitiger Anerkennung und gesi- Nächster?“ (vgl. dazu Lk 10,25- cherten Dazugehörens erzeugt 37). In diesem religiösen Selbst- menschliche Gemeinschaft auf bewusstsein prägte bisher die allen gesellschaftlichen Ebenen. Diese echte menschliche Solidarität in der Re- „Solidargemeinschaft der Sterblichen“, beglückende und befreiende Urerfahrung gel nicht spaltend und polarisierend, sie nämlich die Christenheit, die Geschichte von gegenseitigem Vertrauen prägte nicht fördert auch keine Eskalation von Gewalt der Menschheit maßgeblich mit. nur, aber auch gerade literarische Hel- und Unterdrückung, sondern aktiviert un- den nachhaltig, da sie sich im Erleben ter mündigen und kompetenten Staats- Im Lebenskundlichen Unterricht geht es von menschlicher Solidarität nicht mehr bürgern vielmehr die friedfertige aktive beim Thema „Solidarität“ um die (mora- allein und schwach, sondern gemeinsam Teilhabe an demokratischen Heilungs-, lische) Kern-Kompetenz des mündigen und stark erfahren durften. Schon immer Gestaltungs- und Wachstumsprozessen. Staatsbürgers und zugleich auch um machen auch Soldatinnen und Soldaten Zudem lehrt uns die Geschichte eben- den (sittlichen) Kern-Auftrag staatlicher mit der Solidarität ihre eigenen Erfahrun- falls, dass „menschliche Solidarität“ Grund-Kompetenzen. „Solidarisches Han- gen: „Soldatische Kameradschaft“ ist in immer von einer Position der Schwäche deln“ im lebenskundlichen Sinne ist als gewisser Weise die eigenwillige „kleine ausgegangen ist, indem die Schwächeren freies und selbstbestimmtes Handeln des Schwester“ der allgemein „menschlichen untereinander füreinander eingestanden Einzelnen in solidarischer Verbundenheit Solidarität“. Im Militärischen wie im Zivilen sind. „Solidarität ist ja nie eine Praxis der zu verstehen, kann also weder befohlen gilt jedoch stets das gleiche Wort: Solida- Herrschenden, sondern derjenigen, die noch erzwungen werden und ist im höchs- rität verändert oder sie ist keine! irgendeine Notlage empfinden oder wahr- ten Sinne selbstverpflichtend. Gemäß nehmen und sich gemeinsam entschlie- dem Artikel 1,1 GG alleinverantwortlich „Solidaritäts-Bewusstsein“ ßen, füreinander einzustehen“ (Stephan für sich und andere menschlich zu han- Auch für unser Leben in der Demokratie Lessenich). Um sich selbstbestimmt mit deln, entspricht dem sittlichen Anspruch ist das „Solidaritäts-Gefühl“ essenziell. Schwachen und Unterdrückten, Verfolg- selbstbestimmten solidarischen Han- Aber nur sittlich gebildetes „Solidaritäts- ten und Ausgestoßenen, Armen und Lei- delns schlechthin. Das gilt insbesondere Bewusstsein“ immunisiert unsere Volks- denden, Kranken und Sterbenden oder auch für den „Staatsbürger in Uniform“ herrschaft letztlich vor totaler (totalitärer) (vgl. dazu ZDv A-2600/1, Ziff. 104, 305 Erkrankung. u. 402). Hier im militärisch entkoppelten Bildungs- und Übungsfreiraum des LKU, Wie uns die Geschichte lehrt, können erklärt sich den modernen Musketie- in Demokratien sehr gefährliche gesell- ren dann auch die Bedeutung des zen- schaftliche Prozesse entstehen, weil die tralen persönlichkeitsbildenden Themas Fundamente menschlicher Solidarität „menschliche Solidarität“ ganz von selbst leichtfertig einer fragwürdigen Staatsrä- (vgl. dazu ZDv A-2600/1, Ziff. 508 u. 509). son oder deren kurzfristigen Zielen ge- opfert werden. In gesunden freiheitlich Franz J. Eisend, demokratischen Gesellschaften wirkt Wissenschaftlicher Referent, KMBA Kompass 07-08I21 21
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