KOMPASS 07-08I21 Soldat in Welt und Kirche - Katholische Militärseelsorge

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KOMPASS 07-08I21 Soldat in Welt und Kirche - Katholische Militärseelsorge
KOMPASS
                                        Die Zeitschrift des Katholischen Militärbischofs für die Deutsche Bundeswehr

                                        Soldat in Welt und Kirche                               07-08I21
© Comugnero Silvana – stock.adobe.com
ISSN 1865-5149
KOMPASS 07-08I21 Soldat in Welt und Kirche - Katholische Militärseelsorge
INHALT

Titelthema                                                                      Rubriken

                                                                                14 Kolumne der Wehrbeauftragten

4   Die Bundeswehr macht Sport, ...                                             16 Auslegeware: Verführerische Frauen
    Interview mit Oberst Michael Maul                                              und liebestoller geweihter Mann

6   Feuer und Flamme für Sportlerinnen                                          21 zum LKU: Solidarität
    und Sportler von Michael Kühn
                                                                                24 Auf ein Wort: Ein gesunder Geist [nur]
8   Gegensatz oder Ergänzung                                                       in einem gesunden Körper?
    von Stefan Hagenberg
                                                                                25 Spendenradtour zugunsten der Aktion
10 Wo die Götter zu finden sind!                                                   Sorgenkinder des Bundeswehr-Sozialwerks
   von Friederike Frücht
                                                                                26 Buch-Rezension: Das ungeliebte Kind
12 Interview mit Godehard Brüntrup SJ                                              protestantischer Friedensethik?

                                                                                28 Film-Tipp: A BLACK JESUS

Aus der Militärseelsorge                                                        29 Film-Tipp: MIDSOMMAR

18 Neuer Militärbundesrabbiner:                                                 30 Medien-Tipp:
   Ansprechpartner für alle Soldaten
                                                                  30               Eine App für die Reise zu sich selbst

20 EU. Macht. Frieden. Friedensethik vor Herausforderungen                      30 VORSCHAU: Unser Titelthema im September

22 Militärbischof bei der Flugbereitschaft BMVg                                 31 Rätsel

                                                   28
                                                                                                                          25
Impressum                                 Herausgeber                                     Hinweis
KOMPASS. Soldat in Welt und Kirche        Der Katholische Militärbischof                  Die mit Namen oder Initialen gekennzeich-
ISSN 1865-5149                            für die Deutsche Bundeswehr                     neten Beiträge geben nicht unbedingt die
                                                                                          Meinung des Herausgebers wieder. Für das
Redaktionsanschrift                       Druck                                           unverlangte Einsenden von Manuskripten und
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Am Weidendamm 2                           Am Wall 15 in 14979 Großbeeren                  in das Internet keine Haftung übernommen
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Telefon: +49 (0)30 20617-421                                                              Kirche ist der Rechtsweg ausgeschlossen.
E-Mail: kompass@katholische-
        soldatenseelsorge.de                                                              Internet
                                                                                          www.katholische-militaerseelsorge.de
Chefredakteurin Friederike Frücht (FF)
Redakteur Jörg Volpers (JV)                                                               Social Media
Bildredakteurin, Layout Doreen Bierdel
Lektorat Schwester Irenäa Bauer OSF
                                          Leserbriefe
                                          Bei Veröffentlichung von Leserbriefen behält
                                          sich die Redaktion das Recht auf Kürzung vor.

2                           Kompass 07-08I21
KOMPASS 07-08I21 Soldat in Welt und Kirche - Katholische Militärseelsorge
EDITORIAL

Liebe Leserin, lieber Leser,
auch wenn in den vergangenen Monaten aufgrund der
Pandemie vieles reduziert oder gar ganz eingestellt
werden musste – der Sport wurde weiterhin betrie-
ben, zum Teil sogar in gesteigertem Maß. Natürlich
ist dabei zu unterscheiden zwischen dem sogenann-
ten Breitensport einerseits (als Schul-, Vereins- oder
Gesundheitssport), der eingeschränkt wurde, aber
individuell auch zu neuen Ehren kam. Und anderer-
seits dem Leistungs- und Profisport, der erst diesen
Sommer wieder – vor Zuschauern und nicht nur in
den Medien – mit der Fußball-Europameisterschaft,
Tennisturnieren, der Olympiade in Tokio, etc. zu neuen
bzw. alten Höhenflügen ansetzt.

(Körperliche) Kraft spielt schon an manchen Stellen in
der Bibel eine Rolle, und Leistung ist etwas, das auch
in den Streitkräften von großer Bedeutung ist. Dabei
soll es jedoch nicht nur um Leibes-Übungen gehen,
sondern auch um die Geistes-Kraft und die mentale
Gesundheit.

In der letzten Zeit hat es sich bewährt, viele Gespräche
zu führen – oft als Telefoninterviews. Die Redaktion
hofft, dass auch Sie diese abwechslungsreiche Form
der Artikel interessant und lesenswert finden. Kommen

                                                                                                                      © KS / Doreen Bierdel
Sie mit diesen Gedanken und Anregungen gut über den
Sommer und schauen Sie auch Anfang September
wieder gerne in den Kompass, sei es in das gedruckte
Heft, sei es in die jederzeit und überall verfügbare,              „Es lebe der Sport
                                                                   Er„Esislebe  der Sport
                                                                            gesund     und
elektronisch vermittelte PDF-Datei oder das Webpaper!

                                                                     Er is gesund und
                                                                   mocht uns hoat
                                                                     mocht uns hoat
                               Jörg Volpers, Redakteur             ErErgibt    uns Kraft,
                                                                         gibt uns Kraft,
                                                                   erergibt   uns Schwung
                                                                        gibt uns Schwung
                                                                   ErErisis beliebt
                                                                            beliebt beibei
                                                                   Alt
                                                                     Alt und    Jung“
                                                                          und Jung“
                                                                                             Rainhard Fendrich,
                                                                         österreichischer Liedermacher (1982)

                                                                        Kompass 07-08I21                          3
KOMPASS 07-08I21 Soldat in Welt und Kirche - Katholische Militärseelsorge
TITELTHEMA

„Die Bundeswehr macht
Sport, um die individuelle
Einsatzfähigkeit zu erreichen.“
Interview mit Oberst Michael Maul, Kommandeur der
Sportschule der Bundeswehr in Warendorf / Münsterland

Kompass: Herr Oberst Maul, die Sport-       zuführen. Darüber gibt es dann auch kei-     ter als trainierbar kategorisiert worden
schule der Bundeswehr in Warendorf ist      ne zwei Meinungen. Wahr ist aber auch,       sind, langsam an höhere Belastungen
eine Schule. Was lernt man bei Ihnen?       dass die allermeisten Soldatinnen und        heranführen. Das heißt, die Ausbildung
Michael Maul: An der Sportschule der        Soldaten diese 180 Minuten pro Woche         hat sich weiterentwickelt und wir reagie-
Bundeswehr lernen Soldatinnen und           als Dienstsport eben nicht durchführen       ren auf gesellschaftliche Entwicklungen.
Soldaten als Multiplikatoren, wie sie ein   oder durchführen können. Die Gründe
sportliches oder militärisches Fitness-     hierfür sehe ich auch bei dem einzelnen      Kompass: Es soll auch ein Grundfitness-
Training nach sportwissenschaftlichen       Soldaten und der einzelnen Soldatin.         Tool geben, das relativ neu ist. Was be-
Grundsätzen in der Truppe durchführen.                                                   inhaltet das?
Das heißt, wir machen keinen Sport für      Kompass: Was ist dran an der Einschät-       Michael Maul: Sie sprechen vom soge-
„Endverbraucher“, sondern wir bieten        zung, die man immer wieder mal liest,        nannten Soldaten-Grundfitness-Tool oder
eine Ausbildung für angehende Übungs-       dass Soldatinnen und Soldaten – gerade       SGT. Das ist ein Verfahren zur Leistungs-
und Fachsportleiter.                        in der Grundausbildung – nicht mehr so       feststellung, das weniger am Anfang der
                                            fit sind wie frühere Generationen? Ist       soldatischen Grundlagenausbildung an-
Kompass: Können Sie insgesamt sagen,        das auch Ihr Eindruck?                       gewendet werden sollte.
welche Rolle oder Bedeutung der Sport       Michael Maul: Ich könnte mich jetzt als
heute in der Bundeswehr hat?                lebensälterer Mensch hinstellen und sa-      Wir haben verpflichtend für jeden Sol-
Michael Maul: Der Sport in der Bundes-      gen: „Die heutige Generation ist nicht       daten und jede Soldatin einmal im Jahr
wehr dient der Verbesserung, dem Erhalt     mehr trainiert.“ Ältere glauben ja oft,      den sogenannten Basis-Fitnesstest. Der
und der Wiederherstellung der körperli-     dass die Neuen schlechter sind, als man      bewertet eine grundlegende sportliche
chen Leistungsfähigkeit. Damit dient das    selbst. Ich bemühe das Bild von der Bun-     Fitness. Beim SGT geht es mehr um
sportliche Training der Prävention, der     deswehr als Spiegelbild der Gesellschaft.    Ansätze der soldatischen oder militäri-
Widerstandsfähigkeit und letztlich der      Wir haben die gleichen Berufsanfängerin-     schen Fitness, weil dort Belastungs- und
Einsatzfähigkeit von Soldatinnen und        nen und -anfänger, die es in der zivilen     Bewegungssituationen, die für den Sol-
Soldaten. Denn durch den Sport werden       Wirtschaft auch gibt. Und es gibt sicher-    datenberuf typisch sind, nachempfunden
die Grundlagen geschaffen, um den un-       lich gesellschaftliche Studien und wis-      werden. Das ist allerdings noch nichts für
terschiedlichen Belastungssituationen       senschaftliche Untersuchungen, die zei-      Rekruten in den ersten Wochen.
des militärischen Alltags – vom Routine-    gen, dass insgesamt die konditionellen
betrieb bis in den Einsatz – begegnen       Fähigkeiten, das heißt Kraft, Ausdauer,      Kompass: Das heißt also, Sie haben
zu können.                                  Beweglichkeit, Schnelligkeit, durch unse-    schon Methoden, die körperliche Leis-
                                            ren Lebensstil schon im Teenager-Alter       tungsfähigkeit der Soldaten zu messen?
Kompass: Wahrscheinlich gibt es große       nicht mehr so ausgeprägt werden, wie         Michael Maul: Die haben wir auf jeden
                                                                                                                                       © Bundeswehr / SportSBw-FMZ

Unterschiede in den sportlichen Leistun-    das vielleicht vor zwanzig, dreißig oder     Fall. Typische militärische Grundfertigkei-
gen. 180 Minuten Sport pro Woche sind       fünfzig Jahren noch der Fall war.            ten sind: Bewegen im Gelände, Ziehen
vorgesehen. Kann man das so grund-                                                       von Lasten, Heben und Tragen von Las-
sätzlich sagen?                             Die Bundeswehr begegnet dieser Her-          ten, Bewegen mit Gepäck, ohne Gepäck,
Michael Maul: Die Bundeswehr ist nach       ausforderung dadurch, dass gerade das        mit der Waffe in der Hand und ohne. Des-
dem Prinzip Befehl und Gehorsam orga-       Heer in seiner Allgemeinen Grundausbil-      halb haben wir das SGT entwickelt, um in
nisiert. Und das ist ein Befehl, der für    dung jetzt am Anfang viel mehr zielgerich-   kurzer Zeit Belastungen zu messen und
jede Soldatin und jeden Soldaten gilt:      tetes sportliches Training macht, sodass     den Trainerinnen und Trainern, die für
Drei Stunden pro Woche sportliches oder     wir die Rekrutinnen und Rekruten, die        die Verbesserung der körperlichen Leis-
militärisches Fitnesstraining sind durch-   grundsätzlich in einem Assessment-Cen-       tungsfähigkeit bei den Soldatinnen und

4                          Kompass 07-08I21
KOMPASS 07-08I21 Soldat in Welt und Kirche - Katholische Militärseelsorge
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                                                                            Soldaten zuständig sind, Anhaltspunk-
                                                                            te zu geben, ob es hier beispielsweise
                                                                            eher an der Ausdauerleistung mangelt,
                                                                            ob es eher an der Kraft mangelt oder an
                                                                            der Beweglichkeit, um dann zielgerichtet
                                                                            Mängel abstellen zu können.

                                                                            Kompass: Mal einen Blick auf das ande-
                                                                            re Extrem geworfen: Gibt es auch Leu-
                                                                            te, die einseitig oder übertrainiert sind?
                                                                            Und gibt es dann Möglichkeiten, damit
                                                                            umzugehen?
                                                                            Michael Maul: Einige Soldatinnen oder
                                                                            Soldaten legen ihren Trainingsschwer-
                                                                            punkt zu sehr auf ihre Kraft- oder Aus-
                                                                            dauer-Leistungsfähigkeit. Übertraining
                                                                            kann bei unzureichender Trainingssteu-
                                                                            erung, beispielsweise aus mangelnder
                                                                            Erfahrung der Trainierenden, fehlender
                                                                            Anleitung oder aus Übermotivation, vor-
                                                                            kommen. Grundsätzlich ist Übertraining
                                                                            in der Bundeswehr aber ein geringes Phä-
                                                                            nomen. Das Gegenteil ist, wie bereits
                                                                            geschildert, sehr viel öfter der Fall. Womit
                                                                            ich wieder anschließe an die 180 Minu-
                                                                            ten, die von den meisten als Dienstsport
                                                                            nicht erfüllt werden.

                                                                                      Die Fragen stellte Jörg Volpers.

                                                                                                       WEBTIPP:
                                                                                                Mehr zum Interview
                                                                                                mit Oberst Maul im
                                                                                                   Internet unter
                                                                                                milseel.de/bwsport

Oberst Michael Maul während einer Crossfit-Challenge der Sportschule im
                   Gedenken an die Gefallenen des Karfreitagsgefechts.

                                                                          Kompass 07-08I21                                 5
KOMPASS 07-08I21 Soldat in Welt und Kirche - Katholische Militärseelsorge
TITELTHEMA

                                                      Feuer und Flamme für
                                                      Erfahrungen eines Seelsorgers

                                                      E   igentlich müsste ich mich auf die Olympischen Spiele in
                                                          Tokio dieses Jahr freuen. Aber ich verfolge die Entwicklun-
                                                      gen mit gemischten Gefühlen. Einerseits weiß ich, was die
                                                      Spiele den Athleten und Athletinnen bedeuten und wie viel

                                                                                                                           © goodwin_x – stock.adobe.com
                                                      Energie und Einsatz sie aufbringen, um wenigstens einmal bei
                                                      Olympischen Spielen dabei zu sein. Oft ist es der Höhepunkt
                                                      ihrer Sportlerkarriere. Eigentlich haben sie es verdient, dass
                                                      es schöne und beeindruckende Spiele werden. Andererseits
                                                      sind durch die Pandemie Umstände entstanden, die vielen Ath-
                                                      leten eine geregelte, konzentrierte und effektive Vorbereitung
                                                      unmöglich machen. Somit sind schon im Vorfeld einigermaßen
                                                      faire Bedingungen in Frage gestellt.

                                                      Warum interessiert sich ein Militärseelsorger so für die Belange
                                                      der Athleten und die Entwicklung der Olympischen Spiele? Das
                                                      hat einen besonderen Grund: Ich durfte dreimal mittendrin
                                                      sein und 1998 (Winterspiele Nagano), 2000 (Sommerspiele
                                                      Sydney) und 2002 (Winterspiele Salt Lake City) die deutschen
                                                      Olympiamannschaften begleiten.

                                                      Vielleicht ist es im ersten Moment erstaunlich, dass Seelsorger
                                                      die Olympioniken betreuen. Ausschlaggebend dafür waren die
                                                      Erfahrungen und Geschehnisse rund um die Olympischen Spie-
                                                      le 1972 in München, besonders die traumatischen Ereignisse
                                                      des Terroranschlags. Damals reifte die Erkenntnis, dass es
                                                      nicht schlecht wäre, seelsorgliche Begleitung dabei zu haben,
                                                      gerade auch im Sinne einer „Notfallseelsorge“.

                                                      Wenn ich heute auf meine Erfahrungen als Seelsorger bei den
    Militärdekan Kühn begleitete die                  Olympischen Spielen zurückblicke, dann stelle ich fest, dass
    deutschen Olympiamannschaften zu den              es Parallelen zur Einsatzbegleitung gibt.
    Winterspielen 1998 nach Nagano, 2000 zu           Dort wie hier wurden wir in erster Linie als „Notfallseelsorger“
                                                                                                                           © studio uguisu – stock.adobe.com

    den Sommerspielen nach Sydney und 2002            mitgenommen. Zuständig für alle Belange rund um Verletzung,
    zu den Winterspielen nach Salt Lake City.         Krankheit, Unfall oder Tod – ob vor Ort oder in der Heimat. In
                                                      diesem Zusammenhang oblag es mir auch während der Spiele,
    Heute ist er am Standort Koblenz I                z. B. eine Todesnachricht zu überbringen. Keine angenehme
    Militärseelsorger für die Bundeswehr und der      Aufgabe. Nie und nirgendwo.
    geistliche Pilgerleiter für die Internationale
    Soldatenwallfahrt nach Lourdes.
                                                      Schöner war es allerdings, wie im Einsatz, einfach als Mensch,
                                                      als „Ohr für alle Fälle“ da zu sein. Da sein, wenn ein Athlet,
                                                      eine Athletin, eine Trainerin, ein Trainer, ein Betreuer, eine Be-
                                                      treuerin oder ein anderes Mitglied aus dem oft riesigen Team

6                   Kompass 07-08I21
KOMPASS 07-08I21 Soldat in Welt und Kirche - Katholische Militärseelsorge
TITELTHEMA

Sportlerinnen und Sportler

 einfach einmal reden wollte. Reden über das Erlebte, Ereignis-   Religionen dazu. Gerade die internationalen Gottesdienste
 se, Begegnungen, über Gesehenes im Gastgeberland, über Zu-       zählten zu den Höhepunkten, die ich erleben durfte. Glauben,
 hause, über Eindrücke, die nachdenklich gemacht haben. Das       Feiern, Begegnung, Austausch, Freude und Gemeinschaft kenn-
 menschliche Gespräch, nicht zwischen Erfolg und sportlichen      zeichneten diese – Menschen und Welt verbindend.
 Belangen festgelegt, sondern frei aus dem Herzen heraus. Oft
 wurde mir bestätigt, „dass es guttut, mit jemandem reden zu      Wenn ich auf meinen Einsatz in Afghanistan zurückblicke, dann
 können, der nicht direkt zum Olympiateam gehört.“                lautete mein Fazit immer, dass ich viele interessante, span-
                                                                  nende und tolle Menschen kennengelernt und beeindruckende
 Natürlich gab es daneben auch die eigentlichen seelsorglichen    menschliche Erfahrungen gemacht habe. Das gilt ebenso für
 Gespräche, die sich um die Themen Leistungsdruck, Erfolgs-       meine Zeit als Olympiaseelsorger. Daneben durfte ich große
 zwang, Zukunftsängste, Zukunftsplanung, berufliche Unsicher-     und einzigartige Wettkämpfe mitverfolgen, mit den Sportle-
 heiten, Verletzungen, Abhängigkeiten oder weitere mit dem        rinnen und Sportlern zittern und meinen Horizont um mir bis
 Sport verbundene Themen drehten, aber ebenso Familie und         dahin unbekannte Länder und Kulturen erweitern.
 Freundschaften in den Blick nahmen. Gefragt war die andere
 Sicht auf das Leben, den wir als Seelsorger einbringen. Das      Nun wieder der Blick nach Tokio. Dieses Mal werden keine
 ein oder andere Mal musste ich als Mediator bei Konflikten in    deutschen Seelsorger mitfahren. Auch die Seelsorge hat sich
 einzelnen Teamteilen aushelfen.                                  verändert. Heute verfügen die deutschen Seelsorger nicht
                                                                  mehr über einen uneingeschränkten Zugang zum Olympischen
 Da das Olympische Dorf wirklich wie eine kleine Stadt ist,       Dorf wie ich damals. Die Psychologen haben vielerorts die
 gehörte auch immer ein religiöses Zentrum für alle großen        Seelsorger ersetzt. Veränderung in der Religiosität, die stär-
                                                                  kere Ausrichtung der Spiele auf Erfolg und Kommerz erhöhen
                                                                  den Druck und setzen andere Prioritäten. Die Olympischen
                                                                  Spiele verlieren immer mehr ihren selbstgestellten Anspruch
                                                                  als verbindendes und friedliches Ereignis.
 „Heute verfügen die
                                                                  Die Athleten und die Olympischen Spiele selbst haben eine
 deutschen Seelsorger nicht                                       faire, eine gelungene, eine sportliche und eine menschen-
                                                                  verbindende Austragung verdient und nicht nur eine, die auf
 mehr über einen                                                  Kommerz ausgerichtet ist, wie es sich seit Jahren abzeichnet.
                                                                  Wichtig ist, dass alle, die den Sport in seiner Vielfalt lieben,
 uneingeschränkten Zugang                                         ihre Stimme für ein Innehalten und Nachdenken erheben,
                                                                  damit das Menschliche, Schöne, Bewegende am Sport nicht
 zum Olympischen Dorf wie                                         hinter wirtschaftlichen und staatlichen Interessen verschwin-
                                                                  det. Ich mag ein Träumer sein. Aber ein Träumer war Pierre de
 ich damals. Die Psychologen                                      Coubertin auch, als er die Olympischen Spiele der Neuzeit ins
                                                                  Leben rief. Möge seine Vision vom gegenseitigen Respekt (vgl.
 haben vielerorts die                                             die kleine Schrift von Pierre de Coubertin „le respect mutuel“,
                                                                  1915) in Erfüllung gehen. Mein Wunsch für alle Athleten und
 Seelsorger ersetzt.“                                             Athletinnen und alle Beteiligten.

                                                                                                     Militärdekan Michael Kühn,
                                                                                           Katholisches Militärpfarramt Koblenz I

                                                                                   Kompass 07-08I21                             7
KOMPASS 07-08I21 Soldat in Welt und Kirche - Katholische Militärseelsorge
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                                                                                                                                                                   © KS / Doreen Bierdel
                                                                  Gegensatz oder Ergänzung

                                D   er Raum der Militärseelsorge im
                                    Camp Stephan auf der Erbil Air Base
                                heißt „Zuflucht“. Direkt neben ihm befin-
                                                                            bekommen. Sie suchten Ruhe für sich,
                                                                            nutzten die Instrumente zum Musizieren,
                                                                            der Chor traf sich zur Probe.
                                                                                                                         den Stress abzubauen und den Kopf
                                                                                                                         wieder frei zu bekommen. Man schwitzt
                                                                                                                         viel aus und tut etwas für die Gesund-
                                det sich das Fitness-Center, die „Church                                                 heit. Ins Schwitzen kann man auch in der
                                of Steel“. Wer sich diesen Namen aus-             Fitness-Center im Feldlager            Zuflucht kommen. Dann, wenn es im per-
                                gedacht hat und was die Intention hin-                                                   sönlichen Gespräch ans „Eingemachte“
                                ter dieser Namensgebung war, ist nicht      Auch das „Gym“ bietet eine sinnvol-          geht, wenn Dinge zur Sprache kommen,
                                überliefert. Soll damit ein Gegensatz zum   le Abwechslung zum Einsatz-Alltag. Es        für die im Alltag kein Platz ist. Auch dies
                                Ausdruck kommen oder haben die bei-         strukturiert ihn auf alternative Art: Geht   kann förderlich für die Gesundheit sein.
                                den Orte etwas gemeinsam? Ab und zu         es im Dienstbetrieb noch so hektisch         Allerdings fehlt diesen Gesprächen die
                                kam ich im Lauf meiner Einsatzbegleitung    und unkoordiniert zu, die feste Zeit, zu     Regelmäßigkeit, sie kommen eher spon-
                                ins Nachdenken über diese Frage. Sol-       der man sich in die Nutzungsliste des        tan zustande.
                                datinnen und Soldaten kamen in die Zu-      Gyms eingetragen hat, will genutzt wer-
                                flucht, um Abstand vom Dienstbetrieb zu     den. Und sie wird genutzt. Sport hilft,      Das ist der Vorteil, den der Einsatz mit
                                                                                                                         der räumlichen Enge des Lagers und
                                                                                                                         der Rund-um-die-Uhr-Bereitschaft des
                                                                                                                         Dienstes für die Kontinuität der sportli-
                                                                                                                         chen Aktivität bietet: Man hat sehr we-
                                                                                                                         nig Ausflüchte, um sich dem Training zu
                                                                                                                         entziehen, und kann sich ganz seinem
                                                                                                                         individuellen Entwicklungsplan widmen.

                                                                                                                         Und das tun sehr viele Soldatinnen und
                                                                                                                         Soldaten mit Hingabe. Mich erstaunte im-
                                                                                                                         mer wieder, dass das Gym rund um die
                                                                                                                         Uhr genutzt wurde – und zwar von allen
© Bundeswehr / Roland Boesker

                                                                                                                         Kontingentangehörigen. Auch ich war ein
                                                                                                                         paar Mal dort, um nach einem leichten
                                                                                                                         Muskelfaserriss die Beinmuskulatur wie-
                                                                                                                         der aufzubauen. Und weitere Male, als
                                                                                                                         ich mit einigen Soldaten überlegte, was
                                                                                                                         wir abends unternehmen wollten und
                                                                                                                         uns als kleinster gemeinsamer Nenner
                                                                                                                         der Sport einfiel: Wir trafen uns im Gym.
                                                                                                                         Wir hätten uns auch zum Spielen in der
                                                                                                                         Zuflucht treffen können, doch konnten
                                                         Der katholische Militärseelsorger Stefan Hagenberg in Erbil     wir uns nicht auf ein Spiel einigen. Wir

                                8                          Kompass 07-08I21
KOMPASS 07-08I21 Soldat in Welt und Kirche - Katholische Militärseelsorge
TITELTHEMA

                         „Das ist der Vorteil, den der Einsatz mit der räumlichen Enge des
                         Lagers und der Rund-um-die-Uhr-Bereitschaft des Dienstes für die
                                                              Kontinuität der sportlichen Aktivität bietet:
                                            Man hat sehr wenig Ausflüchte, um sich dem Training
                                                               zu entziehen, und kann sich ganz seinem
                                                                 individuellen Entwicklungsplan widmen.“

waren nicht die einzigen, die gemeinsam     Apropos Sport im Team: Auslandseinsät-      of Steel“. Und einige seltsam anmu-
ins Gym gingen. Es gab einige, die sich     ze bieten die einmalige Gelegenheit für     tende Bewegungsabläufe bei manchen
regelmäßig zum Training trafen: Sport       internationale Sport-Events. Neben dem      Übungen. Musik war auch oft dabei.
verbindet und schafft Verbindlichkeit –     Klassiker, dem 20-km-Gepäckmarsch,          Von außen betrachtet hatte es etwas
ein weiterer Grund, das Training nicht zu   gab es eine „Spartan-Challenge“, die die    Rituelles. Ein Ritus hilft ja, den Alltag zu
„schwänzen“.                                Briten ausrichteten. Vierer-Teams muss-     strukturieren und so Anker zu setzen im
                                            ten 25 Minuten lang an vier Stationen       Einsatz-Zeitraum, der oft geprägt ist von
              Team-Sport                    so viele Punkte wie möglich sammeln.        Unübersichtlichkeit, Unsicherheit und
                                            Unser Kontingent stellte zwei Teams, die    Hektik. Da ist der Sport eine große Hilfe.
Eine weitere Möglichkeit, gemeinsam         ordentlich ins Schwitzen kamen. Zum An-     Und während man die „Church of Steel“
Sport zu treiben, bot sich im wöchent-      feuern war ich mit dabei. Im Gegenzug       gestählt verlässt, kommt man aus der
lichen Fußballspielen. Das klappte ehr-     kamen die Teams am folgenden Sonn-          Zuflucht getröstet heraus. Kein Gegen-
geizlos entspannt ohne große Verletzun-     tag in den Gottesdienst – eine sportliche   satz, sondern eine gute Ergänzung!
gen, da es nicht auf den Sieg ankam.        Geste!
Den leichten Muskelfaserriss bekam ich
ohne gegnerisches Einwirken durch pure      Regelmäßigkeit, Verbindlichkeit, Gemein-        Pastoralreferent Stefan Hagenberg,
Selbstüberschätzung.                        schaft – das verbinde ich mit der „Church    Katholisches Militärpfarramt Bückeburg

                                                                                                                                       © Bundeswehr / Jenny Bartsch

                                                                                   Kompass 07-08I21                               9
KOMPASS 07-08I21 Soldat in Welt und Kirche - Katholische Militärseelsorge
Wo die Götter zu finden sind!

 I    ch beginne die meisten Wanderungen
      motiviert und voller Tatendrang. Die
     Route ist ausgesucht, der Rucksack ge-
                                                 gendes und gleichzeitig Mächtiges aus.
                                                 In vielen Ländern der Welt gelten sie als
                                                 Wohnstätte von Göttern. Ausruhen, den
     packt. Das Wetter passt – es ist kein Re-   Blick genießen – an nichts denken!
     gen angesagt. Die Füße sind ausgeruht
     und tragen mich überall hin.                Langsam bereite ich mich auf den Rück-
                                                 weg vor – denn was man hochgelaufen
     Zumindest glaube ich das. Zuweilen fra-     ist, muss man in der Regel auch wieder
     ge ich mich allerdings während der Wan-     runter. Die Gefahr, den Rückweg zu un-
     derung: „Warum mache ich das eigent-        terschätzen, mussten viele Wandernde
     lich freiwillig und habe auch noch Freude   mit ihrem Leben bezahlen. Hier passie-
     an Anstrengung und zunehmender Ermü-        ren die meisten Unglücke. Die Beine sind
     dung?“ Ich habe meine Bequemlichkeits-      nicht mehr so kräftig wie am Morgen,
     zone verlassen. Doch während kleiner        der Aufstieg steckt in den Knochen. Der
     Pausen spüre ich immer wieder, warum        Rucksack fühlt sich mit jedem Schritt
     sich der Aufstieg lohnen könnte: Es ist     schwerer an und auch die Knie kommu-
     eine Art aktives Abschalten. Ich höre auf   nizieren ihre Leistungen. Doch mit eini-
     meinen Körper und gleichzeitig habe ich     gen Pausen schaffe ich den Rückweg
     Zeit, über Dinge, die mich beschäftigen,    gut. Wieder am Ausgangspunkt ange-
     nachzudenken.                               kommen, bin ich zwar erschöpft, aber
                                                 glücklich.
     Die Perspektive auf die Welt verändert
     sich mit jedem Meter – die Vegetation       Diese Erfahrungen einer Wanderin kön-
     ändert sich fortlaufend.                    nen Soldatinnen und Soldaten auch in
                                                 der Militärseelsorge machen. So bieten
     Und dann bin ich plötzlich am Gipfel.       einige Pfarrämter sowohl Sommer- als
                                                                                             © Bundeswehr / Patrick Rupp

     Fernab von Zivilisation wird mir bewusst,   auch Wintersportexerzitien an. Gemein-
     wie klein ich in dieser Welt bin. Gleich-   sam mit einem Seelsorger oder einer
     zeitig fasziniert die Natur mit all ihren   Seelsorgerin gibt es hier die Chance,
     Facetten. Berge strahlen etwas Beruhi-      fernab von alltäglichen Herausforderun-

10                           Kompass 07-08I21
„Berge strahlen etwas
                       Beruhigendes und gleichzeitig

                                                                                                  © KS / Peteratzinger und Götz
                                   Mächtiges aus.“

gen, sei es bei der Arbeit oder in der        tausch von persönlichen Erfahrungen,
Familie, zu sich selbst und damit auch        aber auch Spaß und Unterhaltung. Es ist
zu Gott zu finden. Durch tägliche geistli-    eine Mischung aus sportlicher Herausfor-
che Impulse können Sie die Wanderung          derung und Meditation. „Als Seelsorger
nicht nur als sportliche Herausforderung,     empfinde ich diese Tage immer als sehr
sondern auch zur Reflexion nutzen.            bereichernd. Wenn man den Tag so be-
                                              wusst gemeinsam erlebt, kommen vie-
„Die Ausgesetztheit auf steil abfallen-       le persönliche Geschichten auf und es
den Graten, die Belastungen durch             gibt ausreichend Raum und Zeit, darü-
Wetterwechsel (Niederschlag mit nas-          ber zu sprechen“, berichtet Militärpfarrer
sen Klamotten, aber auch wechselnde           Sylwester Walocha.
Wegbeschaffenheit) lassen einen klein
werden, man wird demütig, fühlt sich          Im Winter findet zudem noch eine Ein-
aber gleichzeitig von Gottes Hand behü-       führung durch einen Heeresbergführer
tet“, beschreibt Oberstleutnant Martin        in die Themen „Gefahr durch Lawinen
Karl. Er hat schon an vielen Bergexer-        und Rettung von Verschütteten“ statt.
zitien teilgenommen und freut sich im-        Neben der technischen Notwendigkeit
mer wieder darüber, was diese Art der         dieser Vorbereitung wird einem auch
Exerzitien mit ihm machen: „Das inten-        bewusst, wo die eigenen körperlichen
sive Kennenlernen aller Teilnehmer der        und mentalen Grenzen liegen und wel-
Gruppe begeistert mich regelmäßig bei         che Verantwortung die gesamte Gemein-
den Bergexerzitien. Durch das tägliche        schaft trägt.
Teilen von Anstrengungen, Entbehrun-
gen, aber auch unglaublicher Freude           Vielleicht gibt es ja auch an Ihrem Stand-
und Glücksmomente wird die Gruppe             ort ein solches Angebot. Sprechen Sie
zusammengeschweißt. Es entstehen oft          Ihre Militärseelsorgerin oder Ihren Militär-
Freundschaften, die andauern.“                seelsorger doch einfach mal an.

Die gemeinsamen Abende in der Ge-
meinschaft sind oft erfüllt mit dem Aus-                                Friederike Frücht

                                             Kompass 07-08I21                                11
TITELTHEMA

      „Die Erfahrung der eigenen
      Grenze ist zugleich eine
      Erfahrung, wer ich bin.“
      Interview mit Jesuitenpater Godehard Brüntrup

Kompass: Wozu braucht die Seele Be-          Kompass: Welcher Sport hilft, bei sich zu
wegung?                                      sein und warum gerade dieser?
Godehard Brüntrup: Die Seele braucht         Godehard Brüntrup: Im Sport kommt
Bewegung, weil der Mensch eine Einheit       man zu sich, wenn man sich selbst ver-
von Leib und Seele ist. Bewegung hält        gisst: Manche Menschen sind durch und       Kompass: Macht Sport süchtig?
den Körper gesund und schon die alten        durch Teamplayer, sie kommen zu sich,       Godehard Brüntrup: Ja, Sport hat ein
Römer wussten: „mens sana in corpore         wenn sie in eine Gemeinschaft eintau-       Suchtpotenzial. Bei intensiver sportlicher
sano“, das heißt: In einem gesunden          chen und Teil eines größeren Ganzen         Tätigkeit werden die sprichwörtlichen
Körper steckt oft eine gesunde Seele.        werden. Für solche Menschen ist ein         Glückshormone ausgestoßen, die eine
Man darf aber nicht im Umkehrschluss         Mannschaftssport ideal. Es gibt Men-        Art körpereigenes Rauschmittel sind.
denken, dass in einem kranken Körper         schen, die am besten zu sich kommen,        Das ist aber eine gesunde und empfeh-
eine kranke Seele stecke. Jedoch ist es      wenn sie aufhören zu denken, einfach        lenswerte Art sich zu berauschen. Lieber
zweifellos so, dass ein gesunder Körper      nur ihren Atem spüren und den Rhyth-        einen „Rausch“ im Fitness-Studio oder
dabei hilft, sich wohlzufühlen, mit Stress   mus der Bewegung. Für solche Men-           beim Laufen als an der Theke. Gefähr-
umzugehen und optimistisch in die Zu-        schen ist Ausdauersport ein Weg zu sich     lich wird es dann, wenn der Sport im
kunft zu schauen. Wie schon der Philo-       zu finden. Manche können den Kopf und       Leben so viel Raum einnimmt, dass an-
soph Schopenhauer sagte: „Gesundheit         die Gedanken abschalten, wenn sie ihren     dere wichtige Bereiche, vor allem Familie
ist nicht alles, aber ohne Gesundheit ist    Körper, jeden Muskel, intensiv spüren.      und Beruf, darunter zu leiden beginnen.
alles nichts.“                               Kraftsportler sprechen vom „Pump“ als       Sport soll immer die „schönste Neben-
                                             einem Gefühl des Glücks und großer          sache der Welt“ bleiben. Die meisten
Kompass: Welchen Stellenwert hat             geistiger Entspannung, bei dem sie ganz     Menschen haben aber eher das gegen-
Sport für Sie selbst – zum Beispiel als      da, ganz präsent sind.                      teilige Problem. Sie brauchen Disziplin
ehemaliger Kletterer?
Godehard Brüntrup: Ich bin mittlerwei-
le ein älterer Herr, meine Zeiten als
Sportkletterer sind vorbei. Weder mei-
ne Gesundheit noch meine beruflichen
Verpflichtungen erlauben es, dass Sport
noch so wie früher eine wichtige Rolle in
meinem Leben spielt. Daher würde ich
alle Jüngeren ermutigen, die Jahre, in
denen sie die körperlichen Vorausset-
zungen zu sportlichen Höchstleistungen
haben, auch wirklich auszunutzen und
an die eigenen Grenzen zu gehen. Diese
Erfahrung der eigenen Grenze ist nämlich
zugleich eine Erfahrung, wer ich bin. Sie
erlaubt mir einerseits zu erfahren, zu was
ich in der Lage bin, wenn ich alles gebe.
Aber sie lehrt mich andererseits auch
eine gute und gesunde Demut, wenn ich
erfahre, dass ich eben bis hierher kann
und nicht weiter.

12                         Kompass 07-08I21
TITELTHEMA

und ausdauernde Zielstrebigkeit, um ihre

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sportlichen Ziele zu erreichen – gegen
den „inneren Schweinehund“.

Kompass: Braucht Sport Wettkampf?
Godehard Brüntrup: In gewisser Weise
ja, denn man kämpft im Sport sehr oft        dann, wenn dadurch der Sport zu einem                Godehard Brüntrup SJ, Priester
                                             „Egotrip“ wird, dass es nur noch darauf              und Philosoph, ist Mitglied des
                                             ankommt, besser zu sein als alle ande-              Jesuitenordens und Philosophie-
                                             ren. Jede Niederlage wird dann von einer                     professor in München.
                                             Enttäuschung gleich zu einer Katastro-
                                             phe, und spätestens dann stimmt etwas       zuschätzen, sich weder zu unterfordern
                                             nicht mehr. Die wahren Sportler erkennt     noch fahrlässig zu überfordern. Man er-
                                             man daran, dass sie fair und würdevoll      fährt, wie das Glück in der Gegenwart,
                                             verlieren können.                           im erfüllten Augenblick, erlebt wird. In
                                                                                         solchen Momenten steht die Zeit still
                                             Kompass: Was lernt man beim Sport für       und alles ist gerade perfekt, man ist mit
                                             seine Seele, was für das Leben?             sich, mit den anderen Menschen und mit
                                             Godehard Brüntrup: Mein eigener Lieb-       der Natur im Einklang. Man spürt eine
                                             lingssport war, wie gesagt, das Klettern,   Art von Dankbarkeit für das eigene Le-
                                             und zwar hauptsächlich im Gebirge und       ben, die Freunde und die Schönheit der
                                             nicht in der Halle. Man lernt dabei Ka-     Natur. Das ist, würde ich mal salbungs-
                                             meradschaft. Man muss sich ganz auf         voll sagen, fast eine Art von religiöser
                                             den/die Seilpartner/in verlassen, man       Erfahrung, die einem der Sport vermitteln
                                             legt das eigene Leben in die Hand des       kann.
                                             anderen. Man lernt sich realistisch ein-               Die Fragen stellte Jörg Volpers.

gegen etwas, auch wenn man ganz al-
lein Sport treibt. Man kämpft gegen die
eigenen Grenzen, die innere Trägheit,
man kämpft gegen die Erschöpfung
oder die Willensschwäche. Nach jeder
intensiven sportlichen Tätigkeit ist man
                                                                                                                                                            © Mykola – stock.adobe.com (5)

„abgekämpft“, und wenn man es nicht
ist, dann hat man irgendwie nicht alles
gegeben. Viele Menschen haben ein
starkes Leistungsmotiv. Ihnen hilft es,
sich mit anderen messen zu können.
Sie nehmen an Wettkämpfen teil oder
vergleichen online ihre Leistungswerte
mit anderen. Das ist gut und kann hel-
fen, sich zu motivieren. Schwierig wird es

                                                                                    Kompass 07-08I21                             13
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Kompass 05I21
                                                                                                KOLUMNE

                © Deutscher Bundestag / Inga Haar   © Hintergrund: SidorArt – stock.adobe.com
KOLUMNE

Liebe Soldatin, lieber Soldat,

es ist ein historisches Ereignis: Am 21. Juni 2021 wurde mit
Zsolt Balla der erste Militärrabbiner der Bundeswehr ernannt.
                                                                „Die Einführung
                                                                         „Die Einführungjüdischer
                                                                                         jüdischer
Gut 100 Jahre nach Ende des Ersten Weltkriegs – und 76
Jahre nach dem Holocaust – gibt es damit erstmals wieder
                                                              Seelsorge     sendet
                                                                      Seelsorge  sendeteine     ganz
                                                                                        eine ganz
militärische Seelsorge für Soldatinnen und Soldaten jüdischen
Glaubens in den deutschen Streitkräften. An der Feierstunde
                                                                       unmissverständliche
                                                                   unmissverständliche  Botschaft:
zur Ernennung von Rabbi Balla teilzunehmen, war mir eine
große Ehre und Freude.
                                                               Botschaft:     Diesteht
                                                                 Die Bundeswehr     Bundeswehr
                                                                                       für Vielfalt,

Die Einführung jüdischer Seelsorge sendet eine ganz unmiss-
                                                                stehtToleranz
                                                                        für Vielfalt,    Toleranz
                                                                               und Weltoffenheit.“
verständliche Botschaft: Die Bundeswehr steht für Vielfalt,
Toleranz und Weltoffenheit. Jüdische Soldatinnen und Soldaten
                                                                         und Weltoffenheit.“
sind selbstverständlicher Teil der Bundeswehr. Antisemitismus
hat in der Truppe keinen Platz.

Diese Botschaft ist aktuell wichtiger denn je. Denn leider ver-
zeichnen wir immer noch und immer wieder antisemitische            Militärseelsorge auf diese Weise auch die Einsatzbereitschaft
Vorfälle in der Truppe, wie zuletzt in Litauen. Neben vielen an-   und Durchhaltefähigkeit der Truppe.
deren Abscheulichkeiten soll dort auch antisemitisches Liedgut
gesungen worden sein. Das ist völlig inakzeptabel. Ein solches     Im Inland leiten Militärgeistliche vielerorts den Lebenskundli-
Verhalten ist ein Schlag ins Gesicht für alle Soldatinnen und      chen Unterricht. Er fördert das Verständnis von Soldaten als
Soldaten, die verantwortungsvoll ihren Dienst tun. Und das ist     Staatsbürger in Uniform, die fest auf dem Boden unseres
mit Abstand die große Mehrheit.                                    Grundgesetzes stehen. Militärrabbiner können hier wichtige
Antisemitismus ist auch keineswegs ausschließlich in der Trup-     Akzente der Prävention setzen, über Judentum und Antise-
pe zu finden, sondern ein gesellschaftliches Problem. Seit         mitismus aufklären und damit Vorurteilen und Extremismus
Jahren nehmen rechtsextremistisch motivierte Straftaten mit        entgegenwirken.
antisemitischem Hintergrund zu. Der Anschlag auf die Syna-
goge in Halle im Oktober 2019 war der bisher fürchterlichste       Die jüdische Militärseelsorge ist somit nicht nur ein Angebot
Ausdruck dieser Entwicklung, die mich sehr besorgt.                für die rund 300 jüdischen Soldatinnen und Soldaten, sondern
                                                                   in jeder Hinsicht eine echte Bereicherung für die gesamte
Genau in dieser Situation ist die Einführung der jüdischen Mili-   Bundeswehr.
tärseelsorge daher ein ganz klares und starkes Zeichen – mit
hoffentlich großer Symbolkraft nach innen in die Truppe und        Von der Einführung der jüdischen Seelsorge erhoffe ich mir
nach außen in die Gesellschaft.                                    auch einen Schub für islamische Militärseelsorge. Denn in
                                                                   der Truppe leisten rund 3.000 Soldatinnen und Soldaten mus-
Bis zu zehn Militärrabbiner sollen eingestellt werden. Ihre Auf-   limischen Glaubens ihren Dienst. Auch sie verdienen eine
gaben reichen – wie bei anderen Militärgeistlichen – weit über     religionsbezogene Seelsorge. Sie wäre ein Zeichen von Wert-
rein religiöse Angelegenheiten hinaus. Ihre Tür steht allen        schätzung und Anerkennung für ihren wertvollen Dienst. Am
Soldatinnen und Soldaten, egal welchen Glaubens, offen. Sie        Islamkolleg in Osnabrück werden künftig Imame ausgebildet.
geben Rat in allen Fragen und leisten Beistand in schwierigen      Die Bundeswehr sollte sie willkommen heißen.
Situationen – im Dienstlichen wie im Privaten, im Inland wie
im Ausland.                                                        Mit herzlichen Grüßen

2011 habe ich erstmals selbst erlebt, welch große Bedeutung
die Militärseelsorge hat. Damals war ich im Rahmen einer
Informationsreise für Bundestagsabgeordnete in Afghanistan.
Im Camp in Masar-i Scharif waren Militärgeistliche ein zentraler
Anlaufpunkt. Mit ihnen konnten Soldatinnen und Soldaten offen
und vertrauensvoll über ihre Erfahrungen und Erlebnisse, über
die besonderen Belastungen und Schwierigkeiten ihres Einsat-                       Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages
zes sprechen. Wie in anderen Auslandseinsätzen stärkt die

                                                                                    Kompass 07-08I21                           15
AUSLEGEWARE

                                                                                                                                    © matiasdelcarmine – stock.adobe.com
                     Verführerische Frauen und
                     liebestoller geweihter Mann

D    ie Bibel ist nicht nur ein Klassiker,
     sondern sie enthält auch Klassiker.
                                             das sogenannte Richteramt ausübt, und
                                             zwar zwanzig Jahre lang (vgl. Ri 15,20;
                                             16,31). Mehr noch, im Unterschied zu
                                                                                        zeichnung Jesu [Joh 18,5.7; 19,19 (!);
                                                                                        Apg 2,22; 3,6; 22,8 (!)]. Ein Nasiräer zu
                                                                                        sein bedeutet, dass dieser u. a. keine
Einer der wohl ältesten ist, wie eine Frau   den anderen, die in königsloser Zeit das   unreinen Speisen und vor allem keinen
einen scheinbar starken Mann zu Fall         Richteramt vor ihm innehatten, wird sei-   Alkohol zu sich nehmen darf. Kurzum,
bringen kann. Nicht nur das Buch „Ju-        ne Geburt ähnlich wie die des Johannes     er ist heilig dem HERRN. Und ein ganz
dit“ zeigt sehr anschaulich, wie eine Frau   des Täufers und die Geburt Jesu auf        besonderes Merkmal eines Nasiräers
eine ganze israelfeindliche Armee in die     wundersame Weise durch einen Engel/        ist das unbeschnittene freiwachsende
Flucht schlagen kann, sondern auch das       Boten des HERRN angekündigt. Diese An-     Haar (vgl. Num 6,5). Hieraus wird dann
Buch der „Richter“ erzählt eine ähnliche     kündigung ist zugleich mit einer Auflage   offenbar in der Simson-Erzählung auf die
Geschichte mit tragischem Ausgang für        verbunden. Die Mutter darf kein Rasier-    besondere unbesiegbare Kraft des Hel-
den Helden. Dieser Held namens Simson        messer an seinen Kopf setzen lassen;       den geschlossen.
(hebräisch Schimschon) ist nicht irgend-     denn der Knabe soll ein von Geburt an
wer, sondern einer, der so etwas wie ein     Gott geweihter Nasiräer (Ναζιραιος) sein   Aber so ein Gott geweihter Mann hat
von Gott eingesetzter Regierungschef in      (vgl. Ri 13,5). Nicht zu verwechseln mit   eben auch heftige Liebesbedürfnisse,
Israel in königsloser Zeit ist, und damit    Nazoräer (Ναζωραιος), eine (Selbst-)Be-    die zudem noch unerlaubter Art sind.

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AUSLEGEWARE

                                                                                                              TIPP:
                                                                                                        Sie fragen sich:
                                                                                                   „Was bedeutet denn das
                                                                                                  schon wieder in der Bibel?“
Als erstes heiratet er, und zwar gegen        eine Dirne? Ist sie eine Philisterin oder                 Senden Sie uns
den Willen seiner Eltern, eine Philisterin,   ist sie beides? Was wir aber wissen im                 Ihre Frage – hier wird
sozusagen eine aus dem Volk der Bedrü-        Unterschied zur ersten Frau des Sim-
cker Israels, was aber vom HERRN selbst       son, das ist ihr Name. Sie heißt Delila.                    sie geklärt.
so gelenkt ist. Jedoch verläuft die Ehe       Auf jeden Fall ist sie käuflich. Ohne Um-
nicht ganz so glücklich wegen Geheim-         schweife kommt man auch hier gleich zur
nisausplauderei seitens der Frau aus          Sache. Denn die Philister bieten Delila       mir nicht“ (Ri 16,15). Und sie setzt ihm
dem Schlafzimmer – und das noch an            haushohe Summen dafür an, wenn sie            immer mehr zu. Endlich gibt er genervt
die Philister (vgl. Ri 14). Am Ende danken    herausbekommt, worin die unbesiegbare         auf und verrät sein Geheimnis: „Würden
diese es der Frau dennoch wenig. Sie          Stärke des Simson besteht. Delila willigt     mir die Haare geschoren, dann würde
und ihr eigener Vater werden von den          ein. Wie in einem richtigen Märchen – frü-    meine Kraft von mir weichen; ich wür-
Philistern verbrannt (vgl. Ri 15,1-8).        here Ausleger vermuteten hier auch den        de schwach und wäre wie jeder andere
                                              Plot eines ursprünglich hebräischen Mär-      Mensch“ (Ri 16,17b). Zudem gesteht
Wenig später besucht Simson anschei-          chens bzw. Mythos` – unternimmt Delila        Simson Delila, dass er ein vom Mutter-
nend Prostituierte, was den Philistern        drei Versuche, Simson sein Geheimnis          leib an Gott Geweihter ist, ein Nasirä-
insofern sehr entgegenkommt, als sie          zu entlocken, vermutlich alle im Bett (vgl.   er. Da Delila vermutlich eine Philisterin
hier eine Gelegenheit wittern, ihm auf-       Ri 14,15; 16,5). Jedoch alle drei Versu-      ist, weiß sie höchstwahrscheinlich auch
lauern zu können, um ihn zu töten (Ri         che scheitern grandios, wenngleich die-       nichts von einer solchen Weihe. Jetzt
16,1-3). Es nutzt ihnen aber nichts. Denn     se auf etwas, man ist geneigt zu sagen,       aber ist er ihr machtlos ausgeliefert.
Simson riecht den Braten und demoliert        recht plumpe Weise geschehen. Nach            Nachdem die Philister umgehend über
kurzerhand ein stark befestigtes Stadt-       dem dritten gescheiterten Versuch – und       diese Schwachstelle informiert worden
tor, welches ihn vor dem Entwischen hin-      der verliebte Simson scheint immer noch       sind und diese ihr das zugesagte Geld,
dern sollte. Und jetzt wird es spannend.      nichts bemerkt zu haben – macht Delila        wörtlich übersetzt könnte man auch
Simson verliebt sich wieder, und zwar         ihm eine Szene: „Du sagst zwar, dass          von Silberlingen sprechen, mitgebracht
offenbar blind. Wir wissen nicht: Ist sie     du mich liebst, aber dein Herz gehört         haben, ließ sie Simson wohl ob seiner
                                                                                            körperlichen Größe auf ihren Knien ein-
                                                                                            schlafen. So konnte jemand gleich Sim-
                                                                                            son die sieben Locken behänd abschnei-
                                                                                            den. Nun war er saft- und kraftlos, er war
                                                                                            schlicht depotenziert, so dass ihm die
                                                                                            Augen ausgestochen werden konnten.

   „Aber so ein Gott geweihter
                                                                                            Liebe kann auf tragische Weise im wahrs-
                                                                                            ten Sinne des Wortes blind machen. Am
                                                                                            Ende erwächst ihm zwar mit dem Nach-
   Mann hat eben auch heftige                                                               wachsen seiner Haare wieder neue Kraft
                                                                                            und Stärke, aber mit dieser reißt er sich

   Liebesbedürfnisse, die zudem
                                                                                            selbst und tausende Philisterfamilien,
                                                                                            die mit ihm ihren Spaß treiben wollten,
                                                                                            mit in den Tod. Eine durchaus ehrenvolle
   noch unerlaubter Art sind.“                                                              Bestattung wird ihm dennoch gewährt.

                                                                                            Liest man diese Geschichte einmal be-
                                                                                            gleitet von der Frage, was stärker ist, die
                                                                                            Liebe oder die körperliche Kraft, so ist es
                                                                                            die Liebe, die wiederum in glücklichen
                                                                                            Beziehungen Kraft verleiht.

                                                                                                                    Thomas R. Elßner

                                                                                       Kompass 07-08I21                             17
AUS DER MILITÄRSEELSORGE

Neuer Militärbundesrabbiner: Ansprechpartner für alle Soldaten

„Hoffe, dass Karriere als Soldat
normal für Juden wird“

Z   solt Balla ist seit dem 21. Juni 2021
    der neue Militärbundesrabbiner. Im
Interview der Katholischen Nachrichten-
                                            bin sehr dankbar und glücklich, dass ich
                                            diese Chance bekommen habe.
                                                                                          KNA: Waren Sie selbst Soldat?
                                                                                          Zsolt Balla: Ich war nicht beim Militär,
                                                                                          habe aber mit meiner Familie viel Zeit auf
Agentur (KNA) erklärt der 42 Jahre alte     KNA: Wie kam es dazu?                         Basen in Ungarn verbracht. Ich bin Kind
orthodoxe Landesrabbiner von Sachsen,       Zsolt Balla: Seit 2015 versucht das Zen-      eines Oberleutnants, und mein Vater war
wie er sein Amt gestalten und wie er sich   trum Innere Führung der Bundeswehr,           Kommandant einer Armeebasis. In der
mit christlichen Seelsorgern austauschen    Kontakt zu jüdischen Gemeinden aufzu-         Seelsorge als Rabbiner habe ich zwar viel
möchte, wie es in seiner Gemeinde in        bauen, weil es eine Nachfrage jüdischer       Erfahrung, aber in meinem neuen Amt
Leipzig weitergeht und was der histori-     Soldaten nach Seelsorge gibt. Bisher          muss ich jetzt sehr viel lernen. Insgesamt
sche Beschluss über die Einrichtung einer   wandten sich diese an die christlichen        schätze ich die Arbeit von Streitkräften
jüdischen Militärseelsorge in Deutsch-      Seelsorger innerhalb der Bundeswehr.          sehr und bedauere, dass ihre Arbeit von
land für ihn bedeutet.                      2016 nahm ich an der Konferenz „Co-           der Gesellschaft oft unterschätzt wird.
                                            ping with culture“ teil, an der auch ande-
KNA: Rabbiner Balla, was bedeutet Ihnen     re Nato-Länder beteiligt waren, in deren      KNA: Wie wollen Sie Ihre neue Aufgabe
das neue Amt als erster Militärbundes-      Armeen es jüdische Militärseelsorge gibt.     gestalten?
rabbiner in Deutschland seit dem Ers-       Es war inspirierend zu begreifen, wie wich-   Zsolt Balla: Ich stehe in einem Dienst-
ten Weltkrieg – und 76 Jahre nach der       tig interkulturelle Kompetenz im Militär      verhältnis mit dem Zentralrat der Juden
Schoah?                                     ist. Seitdem hatte ich immer wieder mit       in Deutschland, die weiteren bis zu zehn
Zsolt Balla: Ich spüre ein großes Gewicht   der Bundeswehr zu tun und habe mich           Militärrabbinerinnen und -rabbiner mit
auf meinen Schultern, im positiven Sinne.   mit dem Thema beschäftigt. Schließlich        dem Bundesverteidigungsministerium.
Die neue Aufgabe ist eine große Verant-     wurde ich vom Zentralrat der Juden für        Die Bundeswehr soll ein Spiegel der
wortung, etwas Gutes für Deutschland        die Position ausgewählt.                      Gesellschaft sein. Daher werden die
und die Juden in Deutschland zu tun. Ich                                                  jüdischen Militärseelsorger zum einen

                                                                                                                                       © Markus Nowak / KNA

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AUS DER MILITÄRSEELSORGE

eine neue Perspektive einbringen, zum
anderen hoffentlich dazu beitragen, dass
vermehrt Juden Soldaten werden. Von
unserer Seite werden wir alles tun, um
zu zeigen, dass die heutige Bundeswehr
auf der richtigen Seite der Weltgeschichte
steht und dass sie sich zu Freiheit und
Demokratie bekennt.

                                                                                                                                            © KMBA / Thomas R. Elßner
KNA: Haben Sie denn Signale wahrge-
nommen, dass junge Juden als Soldaten
in der Bundeswehr dienen wollen?
Zsolt Balla: Aus meinen Erfahrungen in
der Jugendarbeit weiß ich, dass es junge
Juden gibt, die sich eine Karriere als Sol-
dat vorstellen können. Wir hoffen, dass es
hier in Deutschland trotz der Geschichte
                                                          Am 21. Juni erhielt Zsolt Balla als erster Militärbundesrabbiner in der
des Landes für Juden irgendwann normal                 Geschichte der Bundeswehr in der Synagoge Leipzig von Josef Schuster,
wird, diesen Berufsweg einzuschlagen.                    dem Präsidenten des Zentralrates der Juden, einen Toraschutzmantel
                                                                                             als Schutz für die Reisetorarolle(n).
KNA: Haben Sie Sorge vor Antisemitis-
mus innerhalb der Truppe?                     tet, zu Auslandseinsätzen gerufen zu wer-     KNA: Und wie viele jüdische gibt es?
Zsolt Balla: Streitkräfte können in der Tat   den. Wir werden darauf achten, dass die       Schätzungen gehen von etwa 300 Sol-
ein Ort von Radikalisierung sein. Und es      Militärrabbiner die Realität in Deutschland   daten aus.
ist eine weitere wichtige Aufgabe für uns     spiegeln, dass also die verschiedenen         Zsolt Balla: Ja. Es gibt aber keine genau-
Rabbiner, im lebenskundlichen Unterricht      religiösen Richtungen innerhalb des Ju-       en Zahlen, weil Soldaten ihre Religions-
für alle Soldaten auch präventiv gegen        dentums vertreten sein werden.                zugehörigkeit nicht angeben müssen. Ich
Antisemitismus vorzugehen. Auf diesem                                                       möchte noch ergänzen, dass wir Seelsor-
Feld gibt es sehr viel zu tun. Ich möchte,    KNA: Haben Sie schon Kontakt mit christ-      ger in der Bundeswehr generell für alle
dass es in ein paar Jahren klar sein wird,    lichen Seelsorgern in der Bundeswehr          Soldaten da sind, egal, welcher Religion
dass die Bundeswehr ein Ort ist, an dem       aufgenommen, oder mit dem katholi-            sie angehören. Das ist ein sehr wichtiges
sich viele Menschen für demokratische         schen Militärbischof Franz-Josef Over-        Prinzip.
Werte engagieren. Dasselbe sollte für die     beck?
Streitkräfte in Europa und anderen Nato-      Zsolt Balla: Nein, mit dem Bischof noch       KNA: Wie wird es denn angesichts Ihrer
Staaten gelten.                               nicht, das kommt aber. Schon früher           neuen Aufgabe in Sachsen weitergehen?
                                              stand ich in Kontakt mit Militärpfarrern      Zsolt Balla: Ich werde das Amt des Mi-
KNA: Wie werden künftig die Strukturen        und habe Input von ihnen bekommen.            litärbundesrabbiners, das auf fünf Jahre
für die Militärrabbiner in Deutschland        Unser Rabbinat wird ein selbstständiges       angelegt ist, und meine Aufgaben als
aussehen? Es soll ja bis zu zehn Seel-        Organ sein, aber natürlich arbeiten wir mit   Leipziger Gemeinderabbiner und Landes-
sorger geben.                                 den christlichen Seelsorgern zusammen.        rabbiner von Sachsen künftig in Teilzeit
Zsolt Balla: Das geschieht Schritt für                                                      ausüben. Wir suchen gerade nach einer
Schritt. Neben mir wird es in Kürze zu-       KNA: Wie stehen Sie zu Forderungen            zweiten Person für die Gemeindearbeit
nächst zwei Militärrabbiner geben. Das        nach einer muslimischen Militärseelsor-       in Leipzig. Auch werde ich weiterhin eh-
Militärbundesrabbinat wird seinen Sitz        ge, die es bislang ja noch nicht gibt?        renamtlich im Vorstand der Orthodoxen
in Berlin sowie Außenstellen haben. Zu-       Zsolt Balla: Die wäre sehr, sehr wichtig,     Rabbinerkonferenz Deutschland bleiben.
gleich wird es Reisen zu Stützpunkten         aus denselben Gründen, warum es jetzt
geben und vor allem zu den Universitäts-      auch eine jüdische Militärseelsorge gibt.        Die Fragen stellte Leticia Witte (KNA).
standorten der Bundeswehr in München          Ich würde mich auch dafür einsetzen. Im-                    © KNA. Alle Rechte vorbehalten.
und Hamburg für den lebenskundlichen          merhin gibt es rund 3.000 muslimische
Unterricht. Ich bin auch darauf vorberei-     Soldaten in der Bundeswehr.

                                                                                       Kompass 07-08I21                               19
AUS DER MILITÄRSEELSORGE

                                           EU. Macht. Frieden.

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                                            Friedensethik vor Herausforderungen

„EU. Macht. Frieden.“ Unter diesem Ti-          Den thematischen Beginn machte Mi-                                     Außerdem gab es eine Arbeitseinheit zur
tel, fand der Friedensethische Kurs (FEK)       chael Staack von der Universität der                                   Aus- und Fortbildung in Methodik und
statt. Pandemiebedingt konnten neun             Bundeswehr (HSU) in Hamburg: Mit „Zei-                                 Didaktik im Hinblick auf den in den Ka-
neueingestellte katholische Militärseelsor-     chen der Zeit in der Sicherheitspolitik“                               sernen zu leistenden Lebenskundlichen
gende in diesem Jahr am Kurs, der vom           war sein Beitrag überschrieben. Er legte                               Unterricht (LKU). Veronika Bock, Direkto-
ithf (Institut für Theologie und Frieden) und   sehr grundlegend und umfangreich He-                                   rin des zebis, und Oberstleutnant Bert
zebis (Zentrum für ethische Bildung in den      rausforderungen, Gefahrenpunkte und                                    Brockmann beleuchteten zudem aus
Streitkräften) gemeinsam organisiert wur-       Arbeitsfelder der derzeitigen Sicherheits-                             verschiedenen Blickwinkeln: „Eine euro-
de, teilnehmen.                                 architektur dar, die dann für die Fragen                               päische Armee oder eine Armee der Euro-
                                                der konkreten Handlungen zur Schaffung                                 päer? Europäische Werte als Grundlage“
„Friedensethik angesichts geopolitischer        und Sicherung von Frieden – in dieser Zeit                             – um dann an Schrage zu übergeben,
und pandemischer Herausforderungen“             wichtig wurden.                                                        der „Theologisch-ethische Orientierun-
war der Untertitel in diesem Jahr – und                                                                                gen für die EU-Sicherheitspolitik in Mali“
das machte schon deutlich, dass es um           Christoph Mandry aus Frankfurt fragte in                               anbot. Das konnte er auch sehr persön-
nach wie vor hochaktuelle Themenfelder          seinem Beitrag nach den Werten, die für                                lich vornehmen, war er doch selbst als
der europäischen, der internationalen Si-       die Europäische Union (EU) von Bedeu-                                  Militärseelsorger für zwei Monate vor Ort
cherheitspolitik ging. In diesem Seminar        tung sind. Er hinterfragte, wie weit eine                              gewesen.
sollte es dazu um friedensethische Deu-         „europäische Identitätsbildung“ schon vo-
tungen gehen, die an den Vormittagen            rangeschritten sei und welche Auswirkun-                               Den thematischen Abschluss machte
von unterschiedlichen Referenten vorge-         gen die Corona-Pandemie auf den Prozess                                Michael Reder aus München mit seinen
nommen und an den Nachmittagen im               der europäischen Einigung habe. Er mach-                               Ausführungen: „Weltrechtsordnung oder
Rahmen einer Arbeitsgemeinschaft mit            te deutlich, dass die EU auch als großes                               Global Governance. Eine theologische
Heinz-Gerhard Justenhoven und Marco             Friedensprojekt gegründet worden war.                                  Conclusio“. Auch er beeindruckte mit
Schrage vom ithf möglichst konkret und          Und auch er beleuchtete die – nicht nur                                der Hineinname der umweltpolitischen
direkt auf Arbeitsfelder der Militärseelsor-    pandemiebedingten – Herausforderungen                                  Herausforderungen in den Bereich der
ge hin bearbeitet wurden.                       dieses wichtigen Bereichs der Geopolitik.                              Friedens- und Konfliktethik. Er fragte, ob
                                                                                                                       es des Rechts bedürfe, um friedensethi-
                                                                                                                       sche Grundlinien festlegen zu können
                                                                                                                       und eine konkretere und tragfähigere
                                                                                                                       Weltgemeinschaft zu schaffen.

                                                                                                                       Neben den wissenschaftlichen Vorträ-
                                                                                                                       gen und friedensethischen Gesprächen
                                                                                                                       waren auch in diesem Jahr die gemein-
                                                                                                                       sam gefeierten Gottesdienste und der
                                                                                                                       Austausch über die Arbeit an den unter-
                                                                                             © Christian Lau / zebis

                                                                                                                       schiedlichen Standorten der Bundeswehr
                                                                                                                       von Bedeutung. Vor allem die persönliche
                                                                                                                       Begegnung vor Ort zeichnete den Kurs in
                                                                                                                       diesem Jahr aus.
                                                                                                                                              Heinrich Dierkes,
                                                                                                                                               zebis, Hamburg
 Von Hamburg aus moderierte Veronika Bock die hybrid angelegte Veranstaltung
                          unter anderem mit Christoph Mandry aus Frankfurt.

20                           Kompass 07-08I21
ZUM LKU

                                                                         Zur Praxis moralischer Bildung

                                                                        So·li·da·ri·tät [die]

                                               O
                                                                                          Soziale Gesundheit – Teil I

                                     „Einer für alle, alle für einen!“:                                                                        Ungeborenen zu solidarisieren,
                                     In Alexandre Dumas`„Die drei                                                                              bedarf es im wahrsten Sinne
                                     Musketiere“ erfassen wir intuitiv                                                                         des Wortes der sittlichen Ori-
                                     das Phänomen der „Solidarität“.                                                                           entierung an „Gottes Gerechtig-
                                     Beim Lesen erkennen wir die                                                                               keit“. Bestimmte Lebenssitua-
                                     gefühlte Bindung, assoziieren                                                                             tionen erfordern nicht nur ein
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                                     die bewusste Verbundenheit,                                                                               solidarisches Gefühl, sondern
                                     sehen das (politisch) schlaue                                                                             setzen letzten Endes immer ein
                                     Zusammenstehen, die geistige                                                                              sittlich gebildetes Bewusstein
                                     Einigkeit oder gar die soziale Ge-                                                                        voraus. Nur so kann nämlich die
                                     schlossenheit. Nicht nur Dumas                                                                            solidarische Urfrage schlecht-
                                     ging es ums Leben und Handeln                                                                             hin auch selbstbewusst und
                                     in einer Art „Wahl-Familie“. Das                                                                          alleinverantwortlich beantwor-
                                     tief empfundene Erleben gegen-                                                                            tet werden: „Und wer ist mein
                                     seitiger Anerkennung und gesi-                                                                            Nächster?“ (vgl. dazu Lk 10,25-
                                     cherten Dazugehörens erzeugt                                                                              37). In diesem religiösen Selbst-
                                     menschliche Gemeinschaft auf                                                                              bewusstsein prägte bisher die
                                     allen gesellschaftlichen Ebenen. Diese           echte menschliche Solidarität in der Re-        „Solidargemeinschaft der Sterblichen“,
                                     beglückende und befreiende Urerfahrung           gel nicht spaltend und polarisierend, sie       nämlich die Christenheit, die Geschichte
                                     von gegenseitigem Vertrauen prägte nicht         fördert auch keine Eskalation von Gewalt        der Menschheit maßgeblich mit.
                                     nur, aber auch gerade literarische Hel-          und Unterdrückung, sondern aktiviert un-
                                     den nachhaltig, da sie sich im Erleben           ter mündigen und kompetenten Staats-            Im Lebenskundlichen Unterricht geht es
                                     von menschlicher Solidarität nicht mehr          bürgern vielmehr die friedfertige aktive        beim Thema „Solidarität“ um die (mora-
                                     allein und schwach, sondern gemeinsam            Teilhabe an demokratischen Heilungs-,           lische) Kern-Kompetenz des mündigen
                                     und stark erfahren durften. Schon immer          Gestaltungs- und Wachstumsprozessen.            Staatsbürgers und zugleich auch um
                                     machen auch Soldatinnen und Soldaten             Zudem lehrt uns die Geschichte eben-            den (sittlichen) Kern-Auftrag staatlicher
                                     mit der Solidarität ihre eigenen Erfahrun-       falls, dass „menschliche Solidarität“           Grund-Kompetenzen. „Solidarisches Han-
                                     gen: „Soldatische Kameradschaft“ ist in          immer von einer Position der Schwäche           deln“ im lebenskundlichen Sinne ist als
                                     gewisser Weise die eigenwillige „kleine          ausgegangen ist, indem die Schwächeren          freies und selbstbestimmtes Handeln des
                                     Schwester“ der allgemein „menschlichen           untereinander füreinander eingestanden          Einzelnen in solidarischer Verbundenheit
                                     Solidarität“. Im Militärischen wie im Zivilen    sind. „Solidarität ist ja nie eine Praxis der   zu verstehen, kann also weder befohlen
                                     gilt jedoch stets das gleiche Wort: Solida-      Herrschenden, sondern derjenigen, die           noch erzwungen werden und ist im höchs-
                                     rität verändert oder sie ist keine!              irgendeine Notlage empfinden oder wahr-         ten Sinne selbstverpflichtend. Gemäß
                                                                                      nehmen und sich gemeinsam entschlie-            dem Artikel 1,1 GG alleinverantwortlich
                                           „Solidaritäts-Bewusstsein“                 ßen, füreinander einzustehen“ (Stephan          für sich und andere menschlich zu han-
                                     Auch für unser Leben in der Demokratie           Lessenich). Um sich selbstbestimmt mit          deln, entspricht dem sittlichen Anspruch
                                     ist das „Solidaritäts-Gefühl“ essenziell.        Schwachen und Unterdrückten, Verfolg-           selbstbestimmten solidarischen Han-
                                     Aber nur sittlich gebildetes „Solidaritäts-      ten und Ausgestoßenen, Armen und Lei-           delns schlechthin. Das gilt insbesondere
                                     Bewusstsein“ immunisiert unsere Volks-           denden, Kranken und Sterbenden oder             auch für den „Staatsbürger in Uniform“
                                     herrschaft letztlich vor totaler (totalitärer)                                                   (vgl. dazu ZDv A-2600/1, Ziff. 104, 305
                                     Erkrankung.                                                                                      u. 402). Hier im militärisch entkoppelten
                                                                                                                                      Bildungs- und Übungsfreiraum des LKU,
                                     Wie uns die Geschichte lehrt, können                                                             erklärt sich den modernen Musketie-
                                     in Demokratien sehr gefährliche gesell-                                                          ren dann auch die Bedeutung des zen-
                                     schaftliche Prozesse entstehen, weil die                                                         tralen persönlichkeitsbildenden Themas
                                     Fundamente menschlicher Solidarität                                                              „menschliche Solidarität“ ganz von selbst
                                     leichtfertig einer fragwürdigen Staatsrä-                                                        (vgl. dazu ZDv A-2600/1, Ziff. 508 u. 509).
                                     son oder deren kurzfristigen Zielen ge-
                                     opfert werden. In gesunden freiheitlich                                                                                  Franz J. Eisend,
                                     demokratischen Gesellschaften wirkt                                                                   Wissenschaftlicher Referent, KMBA

                                                                                                                                 Kompass 07-08I21                             21
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