Konditionalität als Instrument europäischer Governance - SWP-Studie Peter Becker
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SWP-Studie
Peter Becker
Konditionalität als Instrument
europäischer Governance
Typen, Ziele, Implementierung
Stiftung Wissenschaft und Politik
Deutsches Institut für
Internationale Politik und Sicherheit
SWP-Studie 6
Mai 2022, Berlin
Kurzfassung ∎ Das Konditionalitätsprinzip hat sich in der Europäischen Union von einem Element ihrer auswärtigen Politik zu einem Instrument der Governance in der EU entwickelt. ∎ Dabei können verschiedene Typen der Konditionalität in der EU unter- schieden werden: a) die Eintrittskonditionalität; b) die Governance- Konditionalität, die mit Hilfe der europäischen Ausgabenpolitiken gesteuert wird, und c) die Hebelkonditionalität, mit der verschiedene Politikbereiche miteinander verknüpft werden. ∎ Gegenwärtig ist insbesondere die Hebelkonditionalität heftig umstritten. Diesem Typus ist auch die Rechtsstaatskonditionalität zuzuordnen. ∎ Um angesichts dieser Konflikte das Konditionalitätsprinzip als Instrument europäischer Governance zu festigen, sollte sich die Europäische Union auf verschiedene Anpassungen des Prinzips verständigen. ∎ Hierzu gehören die Verankerung des Konditionalitätsprinzips in den europäischen Verträgen und darauf aufbauend die Konkretisierung der Anwendung des Prinzips im europäischen Sekundärrecht. Darüber hin- aus sollte die Verpflichtung zur Umsetzung von vereinbarten Konditio- nalitäten auf der gleichen politischen Entscheidungsebene und in enger Zusammenarbeit zwischen der EU als Konditionalitätsanbieter und dem jeweiligen Konditionalitätsnehmer erfolgen.
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Peter Becker
Konditionalität als Instrument
europäischer Governance
Typen, Ziele, Implementierung
Stiftung Wissenschaft und Politik
Deutsches Institut für
Internationale Politik und Sicherheit
SWP-Studie 6
Mai 2022, BerlinAlle Rechte vorbehalten. Abdruck oder vergleichbare Verwendung von Arbeiten der Stiftung Wissenschaft und Politik ist auch in Aus- zügen nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung gestattet. SWP-Studien unterliegen einem Verfahren der Begut- achtung durch Fachkolle- ginnen und -kollegen und durch die Institutsleitung (peer review), sie werden zudem einem Lektorat unterzogen. Weitere Informationen zur Qualitätssicherung der SWP finden Sie auf der SWP- Website unter https:// www.swp-berlin.org/ueber- uns/qualitaetssicherung/. SWP-Studien geben die Auffassung der Autoren und Autorinnen wieder. © Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin, 2022 SWP Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Ludwigkirchplatz 3–4 10719 Berlin Telefon +49 30 880 07-0 Fax +49 30 880 07-200 www.swp-berlin.org swp@swp-berlin.org ISSN (Print) 1611-6372 ISSN (Online) 2747-5115 doi: 10.18449/2022S06
Inhalt
5 Problemstellung und Schlussfolgerungen
7 Annäherung an den Begriff der Konditionalität
10 Konditionalität in der Europäischen Union
10 Die Erweiterungs- oder Beitrittskonditionalität
12 Konditionalität in der Wirtschafts- und Währungsunion
14 Die wirtschaftspolitische Koordinierung und das Konzept
der Konditionalität
15 Konditionalität in den europäischen Ausgabenpolitiken
18 Die Umsetzungskonditionalität in der neuen Aufbau- und
Resilienzfazilität
19 Die politische Konditionalität der Rechtsstaatlichkeit
22 Versuch einer Typisierung der europäischen
Konditionalitätspolitik
22 Die Eintrittskonditionalität
24 Die Governance-Konditionalität
25 Die politikfeldübergreifende Hebelkonditionalität
29 Die Weiterentwicklung der europäischen
Konditionalitätspolitik
29 Stärken und Schwächen – eine vorläufige Bilanz
32 Anpassungen der europäischen Konditionalitätspolitik
35 AbkürzungenDr. Peter Becker ist Wissenschaftler in der Forschungsgruppe EU / Europa.
Problemstellung und Schlussfolgerungen
Konditionalität als Instrument
europäischer Governance.
Typen, Ziele, Implementierung
Es waren zunächst die internationalen Finanzinstitu-
tionen, die zur Absicherung ihrer Kreditvereinbarun-
gen das Prinzip der Konditionalität entwickelten.
Auch die Europäische Union nutzt inzwischen dieses
Prinzip in unterschiedlichen Formen und Anwen-
dungsgebieten. Während sie es zunächst als Instru-
ment zur Steuerung ihrer externen Handelsbeziehun-
gen und entwicklungspolitischen Programme ein-
setzte, wurde es mit der Zeit zu einem bestimmenden
Element ihrer Erweiterungspolitik. Mittlerweile greift
die EU auf den Konditionalitätsansatz jedoch vornehm-
lich in den internen Politiken der EU zurück. Kon-
ditionalität hat sich zu einem durchaus erfolgreichen
und produktiven Werkzeug der europäischen Politik
entwickelt, denn sie führt zu einer Angleichung der
politischen Ziele und Maßnahmen. Dabei nutzt die
EU ihre finanziellen Förderprogramme durchaus wirk-
sam als Hebel gegenüber den Mitgliedstaaten, um poli-
tische oder ökonomische Anpassungen durchzusetzen
oder zu beschleunigen. Sie setzt ihre Fördergelder zum
einen als finanzielle Anreize im Rahmen ihrer Aus-
gabenpolitiken ein, zum anderen aber auch dazu, um
Verstöße gegen das europäische Recht oder eine feh-
lende oder unzureichende Implementierung gemein-
sam vereinbarter Maßnahmen durch einzelne Mit-
gliedstaaten mit finanziellen Sanktionen zu belegen.
Die Förderprogramme der EU fungieren dann als
Sanktionsinstrumente und somit als finanzielle Hebel
zur Durchsetzung der Konditionalität. Konditionalität
ist also grundsätzlich eine Quid-pro-quo-Vereinbarung.
Die Umsetzung der jeweiligen Auflagen überwacht
die EU in der Regel mit einem umfassenden Monito-
ring. Die europäische Konditionalitätspolitik hat sich
so zu einer prozessorientierten Auflagenpolitik ent-
wickelt; der Anspruch, der mit ihr verknüpft wird,
reicht über eine punktuelle Anpassung spezifischer
Entscheidungen hinaus. Sie soll vielmehr dauerhafte
Veränderungen der nationalen Politiken in den Mit-
gliedstaaten bewirken, die Beachtung eingegangener
Verpflichtungen gewährleisten und sicherstellen, dass
die gemeinsamen europäischen Ziele verfolgt werden.
Mit der Anwendung des Konditionalitätsprinzips er-
öffnen sich somit zusätzliche Möglichkeiten zur
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Konditionalität als Instrument europäischer Governance
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5Problemstellung und Schlussfolgerungen
Governance im EU-Rahmen und zur Initiierung un- nen Mitgliedstaaten gesichert und der Einsatz
abdingbarer politischer Anpassungen in einzelnen selbst damit akzeptabel gemacht werden?
Mitgliedstaaten; die auferlegten Vorgaben können 2. Wie kann die Angemessenheit und Verhältnis-
dabei auf die speziellen Bedingungen und Anforde- mäßigkeit der Sanktionen gewahrt und erklärt
rungen in den betroffenen Mitgliedstaaten zugeschnit- werden – sowohl gegenüber dem jeweils betroffe-
ten werden. Konditionalität ist also ein differenziert nen Mitgliedstaat als auch gegenüber den anderen
und flexibel zu handhabendes Instrument, das als Mitgliedstaaten, die sich rechts- und regelkonform
Teil des europapolitischen Werkzeugkastens geeignet verhalten?
ist, präventiv die Regelkonformität der Mitglied- 3. Wie kann bei einer differenzierten Anwendung
staaten herzustellen und zu festigen. von Konditionalität in der EU die Berücksichtigung
Insbesondere die politikfeldübergreifende Anwen- nationaler Situationen vor dem Vorwurf der poli-
dung des Konditionalitätsprinzips hat gleichwohl tisierten Beliebigkeit geschützt werden?
Kritik hervorgerufen und Spannungen und Konflikte Um die Spannungen, die der Rückgriff auf das Kon-
zwischen der EU und den betroffenen Mitgliedstaaten ditionalitätsprinzip in der Europäischen Union aus-
ausgelöst. Während der Eurozonen-Krise vor einem löst, zu mildern und zugleich einen erfolgreichen, er-
Jahrzehnt gab es Stimmen, die die Verknüpfung von gebnisorientierten und effizienten Einsatz des Prinzips
Zuwendungen aus den europäischen Strukturfonds weiterhin zu ermöglichen, sollte es reformiert werden.
mit einer soliden Fiskalpolitik in den Mitglieds- Zunächst sollte der Konditionalitätsmechanismus
ländern ablehnten. Derzeit führt der Rechtsstaats- nur auf einer gesicherten europarechtlichen Grund-
mechanismus, also die Nichtauszahlung europäischer lage und gemeinsam verabschiedeter Umsetzungs-
Fördergelder an Polen und Ungarn wegen der rechts- regeln eingesetzt werden. Darüber hinaus gilt es, die
staatlichen Mängel in diesen Staaten, zu heftigen Konditionalitätsvereinbarungen zwischen der EU und
Auseinandersetzungen, die trotz der Rechtsprechung den Mitgliedstaaten in einer engen, transparenten und
des Europäischen Gerichtshofs im März 2022 nicht konstruktiven Zusammenarbeit zu treffen. Dabei soll-
beigelegt sind. Darüber hinaus hat die Form, in der ten die beiden Elemente der Konditionalität, also einer-
verschiedene Politikfelder mit dem Instrument der seits die Gewährung finanzieller Hilfen respektive die
Konditionalität miteinander in Beziehung gesetzt Androhung finanzieller Sanktionen durch die EU, so-
werden, durchaus Einfluss auf die Wirkung, auf die wie andererseits die Implementierung der vereinbar-
Möglichkeiten zur Um- und Durchsetzung und auf ten Maßnahmen auf der jeweils gleichen politischen
den allgemeinen Charakter des Prinzips als politi- Entscheidungsebene erfolgen. Darüber hinaus sollte
sches Steuerungs- und Sanktionsinstrument. Zum die europäische Governance-Konditionalität von einem
einen werden rechtlich und politisch zu unterschei- ebenfalls gemeinsam abzustimmenden dichten, trans-
dende Regelungsbereiche über die Konditionalität parenten und wirkungsvollen Monitoring begleitet
miteinander verknüpft und in der Folge der Radius werden. Diese enge Kooperation bei der Vereinbarung
europäischer Governance auf bislang vornehmlich eines Konditionalitätszusammenhangs und beim ent-
mitgliedstaatlich regulierte Bereiche ausgeweitet. sprechenden Monitoring dient dem Ziel, die Funktio-
Zum anderen geht mit dem Funktionswandel des nalität und Legitimität des Konditionalitätskonzepts
Konditionalitätskonzepts in der EU und der adminis- innerhalb des EU-Rahmens zu stärken. Denn die
trativen Begleitung und Überwachung der Auflagen wichtigste Funktion der europäischen Governance-
eine Stärkung der europäischen Verwaltung, das Konditionalität ist sicherlich ihre präventive Funk-
heißt insbesondere der Europäischen Kommission, tion, mit anderen Worten das Ziel, dass ihr Sanktions-
gegenüber den Mitgliedstaaten einher. mechanismus nicht angewandt werden muss.
Das Ergebnis einer Analyse der Anwendung des Zunächst ist deshalb zu prüfen, wie das Konzept
Konditionalitätsprinzips in der Europäischen Union der Konditionalität bisher in der EU genutzt wurde
sollte sein, dass diese Konflikte minimiert werden und wo dessen besondere Stärken, aber auch Schwä-
und das grundsätzlich erfolgreiche Instrument euro- chen für die Politik in der Europäischen Union liegen.
päischer Governance gefestigt wird. Insofern stellen Welche Typen der Konditionalität haben sich heraus-
sich einige elementare Fragen zur Praxis der Kondi- gebildet und welche Besonderheiten kennzeichnen
tionalität in der europäischen Politik neu: den jeweiligen Typus? Aufbauend auf dieser Analyse
1. Wie kann die Legitimität des veränderten Einsatzes können dann Möglichkeiten zur weiteren Verbesse-
europäischer Konditionalität auch in den betroffe- rung des Konzepts vorgeschlagen werden.
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6Annäherung an den Begriff der Konditionalität
Annäherung an den Begriff
der Konditionalität
Das Konzept der Konditionalität ist keineswegs neu.1 zahlen kann und wird. Darüber hinaus sollte mit den
Es hat nach dem Zweiten Weltkrieg eine facetten- Konditionen gewährleistet werden, dass der Adressat
reiche Entwicklung durchlaufen von einem Baustein die Mittel erfolgreich, möglichst effizient und nach-
zur Absicherung internationaler Finanzhilfen und haltig verwendete.3 Mit der Zeit wurde das Instrument
Kredite zu einem Instrument der internationalen der Konditionalität breiter eingesetzt und politisch
Handels- und Entwicklungspolitik und schließlich zu relevanter, indem es Eingang fand in bilaterale Han-
einem Steuerungselement der Governance in der delsabkommen4 – nahezu jedes internationale
Europäischen Union. Ganz grundsätzlich wird unter Handelsabkommen beinhaltet inzwischen Konditio-
dem Begriff der »Konditionalität« das Verfahren ver- nalitäten wie die Achtung der allgemeinen Menschen-
standen, bei dem die Gewährung bestimmter Leistun- rechte, sozialer Grundrechte oder auch umwelt- und
gen, insbesondere finanzieller Hilfen, an die Umset- klimapolitischer Vorgaben.5 Zu Beginn der achtziger
zung spezifischer politischer Maßnahmen bzw. die
Erfüllung konkreter Bedingungen geknüpft wird.
3 Axel Dreher, »IMF Conditionality: Theory and Evidence«,
Zunächst wurde diese Politik von internationalen
in: Public Choice, 141 (2009) 1/2, S. 233–267; Graham Bird,
Finanzinstitutionen wie dem Internationalen Wäh-
»Reforming IMF Conditionality. From ›Streamlining‹ to
rungsfonds (IWF) und der Weltbank verfolgt, die ihre
›Major Overhaul‹«, in: World Economics, 10 (2009) 3, S. 81–
Kredite und finanziellen Hilfen an die Voraussetzung 104; Quintin H. Beazer / Byungwon Woo, »IMF Conditionali-
banden, dass der Empfängerstaat bestimmten poli- ty, Government Partisanship, and the Progress of Economic
tischen oder wirtschaftlichen Auflagen nachkam. Reforms«, in: American Journal of Political Science, 60 (2016) 2,
Eine besondere Rolle bei der Entwicklung des Kon- S. 304–321; Graham Bird / Thomas D. Willett, »IMF Condi-
ditionalitätskonzepts kam dabei dem IWF zu.2 Sinn tionality, Implementation and the New Political Economy of
und Zweck der IWF-Konditionalität war es zunächst, Ownership«, in: Comparative Economic Studies, 46 (2004),
der Washingtoner Organisation eine gewisse Form S. 423–450.
der Absicherung zu geben, dass der Empfänger von 4 Siehe mit weiteren Literaturhinweisen Maike Sippel /
Finanzhilfen die gewährten Kredite auch zurück- Karsten Neuhoff, »A History of Conditionality: Lessons for
International Cooperation on Climate Policy«, in: Climate
Policy, 9 (2009) 5, S. 481–494, und Lachlan McKenzie /
1 Bereits der sogenannte Marshallplan für den wirtschaft- Katharina L. Meissner, »Human Rights Conditionality in
lichen und politischen Wiederaufbau Europas nach 1948 European Union Trade«, in: Journal of Common Market Studies,
war an Bedingungen geknüpft, zum Beispiel an den Abbau 55 (2017) 4, S. 832–849.
von Handelshemmnissen, die Stabilisierung der nationalen 5 Ein weiterer Bereich, in dem das Prinzip der Konditiona-
Währung oder die zwischenstaatliche Kooperation der lität zum Tragen kommt, ist das innerstaatliche Beziehungs-
Empfängerstaaten, siehe Sarah L. Babb / Bruce G. Carruthers, geflecht in Föderalstaaten. So werden häufig Finanzhilfen
»Conditionality: Forms, Functions, and History«, in: Annual der bundesstaatlichen Ebene an die Gliedstaaten mit der
Review of Law and Social Science, 4 (2008), S. 13–29; Roland Umsetzung spezifischer Aufgaben oder mit politischen Zie-
Rich, »Applying Conditionality to Development Assistance«, len und (zum Teil auch sachfremden) Auflagen verbunden.
in: Agenda, 11 (2004) 4, S. 321–334. In den USA zum Beispiel wurden Leistungen des Bundes-
2 Schon das Abkommen zur Gründung des IWF, die staats, die sogenannten grants, wiederholt an die Erfüllung
Articles of Agreement, vom 22.7.1944 machte die Finanz- bestimmter Vorgaben gekoppelt. Diese bis in die Gründungs-
hilfen des Fonds abhängig von »adequate safeguards«; jahre der Vereinigten Staaten zurückreichende Praxis er-
International Monetary Fund, Articles of Agreement, Washing- möglicht es der bundesstaatlichen Ebene seit jeher, durch
ton 1944, hier Artikel 1(v) und Artikel 5(3a). eine an Bedingungen geknüpfte Vergabe von Geldern eine
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7Annäherung an den Begriff der Konditionalität
Jahre des letzten Jahrhunderts rekurrierten inter- heißt die Einsicht auf Seiten des Adressaten, dass die
nationale Institutionen dann auf das Konditio- auferlegten Anpassungen erforderlich sind und er
nalitätskonzept, wenn sie ihre Finanzhilfen in selbst für deren erfolgreiche Implementierung die
entwicklungspolitische Programme einbanden.6 Verantwortung trägt.7 Demnach sollten in erster Linie
Reformen oder Entwicklungen gefördert werden, die
Beide Seiten müssen von der der Empfänger von Finanzhilfen ohnehin geplant
Sinnhaftigkeit der Konditionalität oder als notwendig erachtet hat.
überzeugt sein, damit die Umsetzung Der Begriff der Konditionalität wird inzwischen in
der Konditionalitätsvereinbarung ein ganz unterschiedlichen Kontexten verwendet und mit
Erfolg wird. vielen verschiedenen Zielen, Inhalten und Funktio-
nen verknüpft.8 So lässt sich das Verhalten des Emp-
Grundsätzlich verbindet Konditionalität also die fängers von finanziellen Unterstützungsleistungen
Handlungen zweier voneinander unabhängiger poli- durch Belohnungen oder umgekehrt durch den um-
tischer Akteure, wobei diese Verbindung in der Regel fassenden oder teilweisen Entzug von Hilfen beein-
von einer Asymmetrie der politischen Durchsetzungs- flussen, das heißt durch positive oder negative Kon-
fähigkeit bzw. von ungleichen politischen Abhängig- ditionalität. Positive Konditionalität, also eine auf An-
keiten oder Autonomiegraden geprägt ist. In der Im- reizen basierende Politik, bedeutet, dass eine Prämie
plementierung setzt das Konzept dabei eine utilitaris- ausgezahlt wird, wenn der Empfänger der Vergünsti-
tische Rationalität beider Partner, des Gebers und des gungen das zuvor vereinbarte Konditionalitätsziel
Empfängers, voraus. Bei der Vereinbarung der Kondi- erfüllt. Negative oder punitive Konditionalität hingegen
tionalitäten wägen sie ökonomische und politische bedeutet, dass im Falle der Nichteinhaltung oder
Veränderungen gegen die in Aussicht gestellten poli- Nichterfüllung der Vorgaben oder Ziele Belohnungen
tischen oder finanziellen Hilfen ab; sie nehmen dem- einbehalten oder Sanktionen verhängt werden, um
nach eine rationale Kosten-Nutzen-Kalkulation vor. den Adressaten zu zwingen, seine Politik zu ändern
Wenn die Umsetzung der Konditionalitätsverein- oder anzupassen. Dabei kann es durchaus sein, dass
barung, also insbesondere die politische, wirtschaft- Sanktionen über die eigentliche Konditionalitäts-
liche oder rechtliche Veränderung im Empfänger- vereinbarung hinausreichen und auch nur indirekt
staat, effektiv, dauerhaft oder gar irreversibel sein Beteiligte mit dem Entzug oder der Nichtgewährung
soll, dann müssen beide Akteure von der Sinn- und einer in Aussicht gestellten Unterstützung belegt wer-
Vorteilhaftigkeit der Konditionalität überzeugt sein. den. Auch der Zeitpunkt, zu dem die jeweilige Kon-
Häufig wird deshalb gefordert, die sogenannte owner- ditionalität angewendet wird, charakterisiert den
ship mit den Konditionalitäten zu verstärken – das Konditionalitätsmechanismus. Im Falle einer Ex-ante-
Konditionalität müssen gewisse Bedingungen erfüllt
sein, bevor eine Belohnung geleistet wird oder eine
Reihe gesamtstaatlicher politischer Agendapunkte durch- Sanktionierung erfolgt. Bei Ex-post-Konditionalitäten
zusetzen, insbesondere in Politikfeldern und zu spezifischen hingegen setzt der Hebel erst nach der Entscheidung
Anliegen, in denen die Gesetzgebungszuständigkeit und die
des Empfängers an, seine Politik zu ändern oder an
Implementierungsmöglichkeiten des Bundes begrenzt sind.
ihr festzuhalten.
Ähnliche Anbindungen von Mittelzusagen des Bundes an die
Mit dem Begriff »Konditionalität« kann also ein
Umsetzung politischer Vorhaben durch die Länder gibt es
auch im deutschen Föderalismus, siehe Paul Bernd Spahn,
bestimmtes Ziel verbunden werden oder ein länger
Conditioning Intergovernmental Transfers and Modes of Interagency andauernder politischer Anpassungsprozess, dessen
Cooperation for Greater Effectiveness of Multilevel Government in Umsetzung Teil der Vereinbarung ist. Es können je-
OECD Countries, Paris 2012 (OECD Workshop on Effective doch auch spezifische politische Maßnahmen infolge
Public Investment at Sub-National Level in Times of Fiscal eines Anreizes von außen damit bezeichnet werden
Constraints: Meeting the Co-ordination and Capacity Chal-
lenges, 21.6.2012); Viorica Viță, The Rise of Spending Condition-
ality in the EU: What Can EU Learn from the U.S. Conditional Spend- 7 Willem H. Buiter, »›Country Ownership‹: A Term Whose
ing Doctrine and Policies?, Florenz: European University Insti- Time Has Gone«, in: Development in Practice, 17 (2007) 4–5,
tute (EUI), 2017 (EUI Working Paper LAW, 2017/16). S. 647–652.
6 Stefan Koeberle et al. (Hg.), Conditionality Revisited: Concepts, 8 Vgl. Svea Koch, »A Typology of Political Conditionality
Experiences, and Lessons Learned, Washington, D.C.: The World beyond Aid: Conceptual Horizons Based on Lessons from the
Bank, 2005. European Union«, in: World Development, 75 (2015), S. 97–108.
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8Annäherung an den Begriff der Konditionalität
oder weitreichende Reformentscheidungen bzw. ein kritisiert wie die Effektivität und Effizienz des An-
umfassendes Anpassungsprogramm oder eine breite satzes. Hinterfragt wird auch die Kausalität zwischen
Reformstrategie. den Konditionalitäten und den politischen Verände-
Obwohl dieses Konzept klar und einleuchtend rungen. Schließlich gibt es Stimmen, die die Legi-
erscheint und seine Anwendung in der politischen timität und die Transparenz des Konzepts sowie die
Praxis beständig zugenommen hat, ist es nach wie vor Dauerhaftigkeit bzw. Nachhaltigkeit der Anpassun-
umstritten. Der häufige Einsatz und die politische gen in Zweifel ziehen.
Reichweite der Konditionalitäten werden ebenso
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9Konditionalität in der Europäischen Union
Konditionalität in der
Europäischen Union
Die Europäische Union übernahm zunächst das ent- Die Erweiterungs- oder
wicklungspolitische Konditionalitätskonzept der Beitrittskonditionalität
internationalen Finanzinstitutionen für ihre eigene
Entwicklungszusammenarbeit und dehnte die Stra- Die Erweiterungskonditionalität wird häufig als erfolg-
tegie dann auf weitere Politiken gegenüber Dritt- reichste Anwendung des Konditionalitätsmechanis-
staaten aus.9 In der Folge übertrug sie den Ansatz zu- mus durch die Europäische Union angesehen.11 Die
nehmend auf den Bereich ihrer internen Governance; wissenschaftliche Aufmerksamkeit hat sich bislang
so wurde das Konditionalitätsprinzip zu einem wich- allerdings vornehmlich auf die Analyse der Konditio-
tigen Element der Finanzbeziehungen zwischen der nen gerichtet, die die EU während des langen Pro-
EU und ihren Mitgliedstaaten. Mittlerweile greift die zesses der Osterweiterung von Anfang der 1990er
Union mehr und mehr auf das Mittel zurück, ihre Jahre bis zur Aufnahme der mittel- und osteuropäi-
Fördergelder an Konditionen zu knüpfen, um die schen Kandidaten in den Jahren 2004 und 2007 fest-
Politik in den Mitgliedsländern zu beeinflussen. Diese gelegt hat; die früheren Erweiterungsprozesse wurden
Ausweitung des Konditionalitätskonzepts auf nahezu hingegen nicht mit diesem Konzept ausgeleuchtet.12
alle Ausgabensparten des EU-Budgets hat zur Bildung Dabei ist das Prinzip der Konditionalität für den Bei-
einer »permanent conditionality culture inside the trittsprozess nicht im europäischen Vertragsrecht
EU«10 geführt. verankert; Artikel 49 des EU-Vertrags (EUV) erwähnt
Die Anwendung des Konditionalitätsmechanismus zwar zwei Bedingungen für die Beantragung der EU-
in der Europäischen Union lässt sich daher bei sehr Mitgliedschaft: der beitretende Staat muss ein euro-
unterschiedlichen externen und internen Politiken
und Prozessen nachweisen: in der Erweiterungspolitik 11 Frank Schimmelfennig / Ulrich Sedelmeier, »Governance
der EU, in der europäischen Wirtschafts- und Wäh- by Conditionality: EU Rule Transfer to the Candidate Coun-
rungsunion, in der europäischen Kohäsionspolitik tries of Central and Eastern Europe«, in: Journal of European
und in der Frage, ob und wie europäische Grundwerte Public Policy, 11 (2004) 4, S. 661–679; Ulrich Sedelmeier, »Is
mit dem Instrument der Konditionalität in den Mit- Europeanisation through Conditionality Sustainable? Lock-in
of Institutional Change after EU Accession«, in: West European
gliedstaaten durchgesetzt werden können.
Politics, 35 (2012) 1, S. 20–38; ders., »After Conditionality:
Post-accession Compliance with EU Law in East Central
Europe«, in: Journal of European Public Policy, 15 (2008) 6,
S. 806–825; Frank Schimmelfennig / Hanno Scholtz, »Lega-
cies and Leverage: EU Political Conditionality and Democracy
Promotion in Historical Perspective«, in: Europe-Asia Studies,
9 Siehe McKenzie / Meissner, »Human Rights Conditionality 62 (2010) 3, S. 443–460.
in European Union Trade« [wie Fn. 4]; Katharina L. Meissner/ 12 Dies verwundert insofern, als auch die zweistufige Süd-
Lachlan McKenzie, »The Paradox of Human Rights Condi- erweiterung um zunächst Griechenland 1981 und dann um
tionality in EU Trade Policy: When Strategic Interests Drive Spanien und Portugal 1986 durch eine besondere Form der
Policy Outcomes«, in: Journal of European Public Policy, 26 Konditionalität gekennzeichnet war. Mit dem Anreiz der
(2019) 9, S. 1273–1291. Integration in die Europäische Gemeinschaft und der Aus-
10 Viorica Viță, »Revisiting the Dominant Discourse on sicht auf umfangreiche finanzielle Hilfen aus den europäi-
Conditionality in the EU: The Case of EU Spending Condi- schen Strukturfonds reformierten die drei Kandidaten ihre
tionality«, in: Cambridge Yearbook of European Legal Studies, politischen Systeme nach den langen Jahren der Militär-
19 (2017), S. 116–143 (120). diktatur zu stabilen Demokratien und Rechtsstaaten.
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10Die Erweiterungs- oder Beitrittskonditionalität
päischer Staat sein und das in Artikel 2 EUV formu- nutzte dabei erfolgreich ihre »power of ultimate agree-
lierte Wertefundament der EU achten. Aber die dif- ment«16; sie gab die politischen Ziele vor, bestimmte
ferenzierte Form der Konditionalität, die im Zuge der die Bedingungen und auch das Tempo der Umsetzung.
Aufnahme der mittel- und osteuropäischen Reform- Sie konkretisierte im Laufe der Zeit ihre zunächst
staaten schrittweise entwickelt wurde, war Resultat sehr allgemeinen Beitrittskriterien und entwickelte
einer politischen, keiner rechtlichen Festlegung. neue Koordinierungsgremien und -instrumente, mit
denen sie den Kandidaten zugleich half, ihre Politiken
Die Beitrittskonditionalitäten der anzupassen, die Kriterien zu erfüllen und damit ihrer
EU-Osterweiterung beinhalteten eine Mitgliedschaft in der Union näher zu kommen.17
umfassende politische, ökonomische Während der Beitrittsverhandlungen verband die
und gesellschaftliche Transformation. EU dann die Öffnung oder den vorläufigen Abschluss
einzelner Verhandlungskapitel mit spezifischen Kon-
Die Konditionalitäten, die im Rahmen der Auf- ditionalitäten. Im Zuge eines kontinuierlichen Moni-
nahme eines neuen Mitglieds zu beachten sind, toringprozesses wurden die Entwicklungen – Fort-
wurden 1993 im Vorfeld der EU-Osterweiterung vom schritte, Stagnation oder auch Verschlechterungen –
Europäischen Rat von Kopenhagen formuliert: die in den Kandidatenländern verfolgt, analysiert und
sogenannten Kopenhagener Beitrittskriterien.13 Diese regelmäßig in Länderberichten bewertet. Im weiteren
politischen und ökonomischen Kriterien für die Verlauf der Beitrittsverhandlungen wuchs allerdings
Beitrittsreife bedeuteten für die Kandidaten, dass sie auch der politische Druck auf die EU selbst, diese er-
ihre politischen, ökonomischen, sozialen und recht- folgreich abzuschließen. Brüssel beendete den Kon-
lichen Strukturen und Systeme grundlegend trans- ditionalitätsmechanismus indes erst mit der tatsäch-
formieren mussten.14 Die Europäische Union und ihre lichen Aufnahme der zehn mittel- und osteuropäi-
Mitgliedstaaten wurden zum Vorbild und Modell schen Kandidaten in die Europäische Union.
sowie zur Messlatte für diese Reformprozesse. Die Die EU nutzte also ihre starke Position im Zuge
Erweiterungskonditionalitäten waren umfassend und dieser Ex-post-Konditionalität, um Vorbedingungen
betrafen alle Politikfelder. Ihre Formulierung blieb für die Aufnahme zu formulieren und um endgültig
insofern zwangsläufig relativ unbestimmt und offen und autonom die jeweilige Beitrittsreife zu bewerten
für Anpassungen und Interpretationen. Die Konditio- und dann zu entscheiden. Das Kriteriengerüst war
nalitäten veränderten sich während der langjährigen dennoch keineswegs unpolitisch oder objektiv mess-
Vorbereitungsphase der EU-Osterweiterung mehrfach bar – weder für die Kandidaten noch für die EU und
und unterlagen einem evolutiven politischen Prozess, ihre Mitgliedstaaten. Das Aufnahmeverfahren verlief
den die Europäische Union dominierte.15 Die EU auch nicht nach den Regeln einer rein ergebnisbezoge-
nen Ex-post-Konditionalität, sondern war ein kom-
plexer, flexibel handhabbarer Prozess, der ständigen
13 Die Kandidaten mussten sich zu stabilen und reifen Anpassungen und Veränderungen unterworfen war.
Demokratien und Rechtsstaaten und zu funktionierenden
Marktwirtschaften entwickeln, die dem Wettbewerbsdruck
und den Marktkräften des Binnenmarkts standhalten kön-
nen. Darüber hinaus wurden die vollständige Übernahme International Political Science Review, 23 (2002) 3, S. 249–268
des Acquis Communautaire, also des gemeinschaftlichen Rechts- (251). Hughes, Sasse und Gordon haben von einer »fluid
bestands, und die Verpflichtung auf die finalité politique, also nature of conditionality« gesprochen, James Hughes / Gwen-
auf die Vertiefung zur Politischen Union und zur Wirt- dolyn Sasse / Claire Gordon, »Conditionality and Compliance
schafts- und Währungsunion, als Konditionalitäten auf- in the EU’s Eastward Enlargement: Regional Policy and the
geführt, Europäischer Rat Kopenhagen, 21.–22. Juni 1993 – Reform of Sub-national Government«, in: Journal of Common
Schlussfolgerungen des Vorsitzes. Market Studies, 42 (2004) 3, S. 523–552 (523).
14 Alan Mayhew, Recreating Europe. The European Union’s 16 Geoffrey Pridham, »Change and Continuity in the Euro-
Policy towards Central and Eastern Europe, Cambridge 2005. pean Union’s Political Conditionality: Aims, Approach, and
15 Heather Grabbe hat die Herausforderung, vor der die EU Priorities«, in: Democratization, 14 (2007) 3, S. 446–471 (453).
gestanden habe, als »moving target problem« bezeichnet: 17 Heather Grabbe, The EU’s Transformative Power: Euro-
»The conditions are not fixed and definite, and new condi- peanization through Conditionality in Central and Eastern Europe,
tions have been added and old ones redefined at the bi- Basingstoke: Palgrave, 2006; Eli Gateva, »Post-accession
annual summits of EU leaders«, Heather Grabbe, »European Conditionality – Translating Benchmarks into Political
Union Conditionality and the Acquis Communautaire«, in: Pressure?«, in: East European Politics, 29 (2013) 4, S. 420–442.
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11Konditionalität in der Europäischen Union
Konditionalität in der Wirtschafts- und oder eine zuvor definierte politische, rechtliche oder
Währungsunion ökonomische Reform implementiert werden muss
und dafür Anreize oder Belohnungen angeboten
Das Konditionalitätskonzept für die europäische werden. Vielmehr erfordert die Mitgliedschaft in der
Wirtschafts- und Währungsunion ist im europäischen Eurozone die Akzeptanz und Einhaltung von fiskal-
Primärrecht verankert. Die Teilnahmebedingungen politischen Vorgaben, deren Nichtbeachtung mit
an der Wirtschafts- und Währungsunion sind in Sanktionen verbunden ist. Aus einer positiven
Artikel 140 des Vertrags über die Arbeitsweise der Ex-ante-Konditionalität wird also nach dem Beitritt
Europäischen Union (AEUV) definiert und werden mit zur Wirtschafts- und Währungsunion eine dauerhafte
dem Protokoll über die Konvergenzkriterien konkre- punitive Konditionalität.
tisiert.18 Diese Kriterien dienten (und dienen noch Obwohl der Stabilitäts- und Wachstumspakt in-
immer) als Beitrittsvoraussetzungen für die Mitglied- zwischen mehrfach reformiert wurde, blieb das
schaft in der Eurozone: Die Mitgliedstaaten der EU grundsätzliche Konzept der negativen Konditionalität
müssen ihre wirtschaftliche Konvergenz nachweisen und des dauerhaften Monitorings unverändert. Mit
und deren Nachhaltigkeit belegen, um der Eurozone der präventiven und korrektiven Komponente, die
beitreten zu können. Teil des Paktes ist, wurde die kontinuierliche Über-
Das Konditionalitätskonzept für die europäische wachung der Einhaltung der Konditionalität zugleich
Wirtschafts- und Währungsunion entspricht dem- weiter spezifiziert und konkretisiert. Im Ergebnis
zufolge der Form einer Ex-ante-Konditionalität; mit wurde die negative Konditionalität in der Wirtschafts-
anderen Worten, es fußt auf der bereits bestehenden und Währungsunion zu einem grundlegenden Steue-
Erfüllung der Konvergenzkriterien des Maastrichter rungsinstrument, das über einzelne fiskalpolitische
Vertrags. Mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt Maßnahmen oder Bedingungen hinausreicht.20
und der Verpflichtung der Mitgliedstaaten in Artikel Allerdings war die Konditionalität in der Wirt-
126 AEUV, ein übermäßiges Defizit ihrer öffentlichen schafts- und Währungsunion bei weitem nicht so
Haushalte zu vermeiden, sowie mit dem Protokoll erfolgreich, wie es die Erweiterungskonditionalität im
über das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit Fall der Ostweiterung war. Der Nachweis der Ex-ante-
wurden diese Konvergenzkriterien zu dauerhaft ein- Konditionalitäten für die Mitgliedschaft in der Euro-
zuhaltenden Bedingungen für die Teilnahme an der zone wurde in einigen Fällen geschönt. Darüber
Wirtschafts- und Währungsunion. Die Konditionali- hinaus blieben bereits die ersten Konditionalitäts-
täten wurden darüber hinaus mit Sanktionen verbun- verstöße durch Deutschland und Frankreich 2003
den. Sollte ein Mitgliedstaat sein übermäßiges Defizit unsanktioniert und die Einhaltung des mehrfach
nicht abbauen, so kann der Rat weitere Informatio- reformierten Stabilitäts- und Wachstumspakts ist bis
nen und Prüfungen anordnen und sogar Geldbußen heute nicht zufriedenstellend – Sanktionen wurden
verhängen.19 noch nicht verhängt.
Während der Finanz- und Bankenkrise 2008, die
Die Mitgliedschaft in der Eurozone sich dann ab 2010 zur Staatsschuldenkrise in der
setzt die Akzeptanz von fiskalpoli- Eurozone weiterentwickelte, legten die EU und ihre
tischen Vorgaben voraus, deren Mitgliedstaaten sowie die Europäische Zentralbank
Nichtbeachtung mit Sanktionen (EZB) gemeinsam mit dem Internationalen Währungs-
verbunden ist. fonds umfangreiche Hilfspakete für angeschlagene
Mitgliedstaaten auf. Diese wurden mit einer klassi-
In der Eurozone bedeutet Konditionalität also schen IWF-Konditionalität verbunden: Im Gegenzug
nicht, dass ein spezifisches politisches Ziel erreicht für die Finanzhilfen mussten die Empfänger sich in
Memoranda of Understanding zu weitreichenden und
schmerzhaften Reformen und insbesondere drasti-
18 Die Konvergenzkriterien sind eine niedrige durch- schen Kürzungen ihrer staatlichen Ausgaben sowie zu
schnittliche Inflationsrate, die Entwicklung der Verschul- tiefen Einschnitten in ihre nationalen Sozialsysteme
dung der öffentlichen Haushalte im Verhältnis zum jähr-
lichen Haushaltsdefizit und der Höhe des Schuldenstands,
die Entwicklung des Wechselkurses der nationalen Währung 20 Lorenzo Bini Smaghi, »Governance and Conditionality.
und das Niveau der langfristigen Zinssätze. Toward a Sustainable Framework?«, in: Journal of European
19 So Artikel 126, Absatz 11 AEUV. Integration, 37 (2015) 7, S. 755–768.
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12Konditionalität in der Wirtschafts- und Währungsunion
verpflichten. Die EZB weitete diese Konditionalitäten Ausweitung der präventiven Konditionalitätsmecha-
im Verlauf der Krise aus und bezog auch Mitglied- nismen fußte sowohl auf politischen Selbstverpflich-
staaten der Eurozone in ihre Reformvorgaben mit ein, tungen als auch auf zusätzlichen europarechtlichen
die keine Finanzhilfen erhielten oder angefragt hat- Konditionalitäten durch neue Verordnungen und
ten. Sie machte ihre Finanzhilfen nicht nur abhängig Richtlinien der EU.
von harten Sparprogrammen in den Empfänger-
ländern; sie erwartete sogar von den Oppositions- Im Zuge der europäischen Staatsschul-
parteien des jeweiligen Landes, dass sie sich im Fall denkrise nach 2008 wurde das Instru-
eines Regierungswechsels ebenfalls an die Verein- mentarium der EU-internen Kon-
barungen halten würden, und sie drängte auf die ditionalität erheblich ausgeweitet.
Übernahme der Zahlungsverpflichtungen privater
Banken und die Entschädigung privater Gläubiger.21 Im März 2011 einigten sich die Staats- und Regie-
EZB-Präsident Jean-Claude Trichet versandte darüber rungschefs der damals 17 Mitgliedstaaten der Euro-
hinaus im Sommer 2011 Briefe an die Regierungen zone und sechs weiterer Staaten (Bulgarien, Däne-
Italiens und Spaniens, die keine Finanzhilfen erhiel- mark, Lettland, Litauen, Polen und Rumänien) auf
ten und also keinem akuten und förmlichen Kondi- den sogenannten »Euro-Plus-Pakt«.24 In diesem
tionalitätsverfahren unterlagen. In diesen Schreiben Übereinkommen verpflichteten sich die unterzeich-
mahnte Trichet Struktur- und Arbeitsmarktreformen, nenden Staaten dazu, in Politikbereichen, »die in die
Privatisierungen und sogar Lohnkürzungen an, um einzelstaatliche Zuständigkeit fallen und die für die
das Vertrauen der Finanzmärkte in die fiskalpoliti- Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit und die Ver-
sche Stabilität der beiden Staaten wiederherzustellen. meidung schädlicher Ungleichgewichte von entschei-
Diese Briefe wurden als vorgezogene Konditionali- dender Bedeutung sind«, vier konkrete Ziele zu ver-
täten für potentielle Finanzhilfen der EZB interpre- wirklichen: die Wettbewerbsfähigkeit zu fördern, die
tiert. Jacoby und Hopkin sprechen in diesem Zusam- Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, die langfristige Trag-
menhang von »implied conditionality«.22 fähigkeit der öffentlichen Finanzen zu gewährleisten
Im Zuge der Krise wurden darüber hinaus eine und die Finanzstabilität zu stärken. Die Europäische
Reihe neuer Instrumente geschaffen, insbesondere Union weitete demzufolge den Anwendungsbereich
der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM). Zum ihrer wirtschafts- und währungspolitischen Konditio-
anderen führte die EU zusätzliche Monitoring- und nalität in zweifacher Richtung aus: Sie verpflichtete,
Kontrollmechanismen ein, um die Einhaltung der erstens, Mitglieder der EU, also nicht nur die Euro-
ursprünglichen Konditionalität der europäischen Ver- zonen-Teilnehmer, zu stabilitätsorientierten natio-
träge zu gewährleisten, das heißt die Selbstverpflich- nalen Fiskalpolitiken und zu wachstumsorientierten
tung auf eine stabile und nachhaltige Haushalts- Wirtschaftspolitiken. Damit dehnte sie, zweitens, den
politik in allen Mitgliedstaaten der EU.23 Damit wurde materiellen Anwendungsbereich der europäischen
neben der spezifischen Konditionalität von Finanz- Konditionalitätspolitik auf Politikfelder aus, die nur
hilfen und Sparprogrammen für einzelne Krisen- mittelbar auf die europäische Währungspolitik ein-
staaten in der EU und der Eurozone auch die all- wirken und zu deren Regulierung die Europäische
gemeine und grundsätzliche Konditionalität in der Union nur über eingeschränkte Kompetenzen verfügt.
Wirtschafts- und Währungsunion geschärft. Diese Mit dem sogenannten »Fiskalpakt«, der am 1. Januar
2013 in 25 EU-Mitgliedstaaten in Kraft trat, wurde der
21 David M. Woodruff, »Governing by Panic: The Politics Konditionalitätsmechanismus in der europäischen
of the Eurozone Crisis«, in: Politics and Society, 44 (2016) 1, Wirtschafts- und Währungsunion nochmals erheb-
S. 81–116 (100). Welchen immensen Druck die EZB auf die lich verschärft.25 Mit diesem Vertrag verpflichten sich
irische Regierung ausübte, ist in den inzwischen veröffent-
lichten »Irish Letters« nachzulesen, (Zugriff am 11.5.2022). staaten des Euro-Währungsgebietes, Anlage 1: Ein Pakt für den Euro.
22 Wade Jacoby / Jonathan Hopkin, »From Lever to Club? Stärkere Koordinierung der Wirtschaftspolitik im Hinblick auf Wett-
Conditionality in the European Union during the Financial bewerbsfähigkeit und Konvergenz, Brüssel, 11.3.2011.
Crisis«, in: Journal of European Public Policy, 27 (2020) 8, 25 Der Fiskalpakt heißt formal »Vertrag über Stabilität,
S. 1157–1177 (1167). Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Wäh-
23 André Gilles, Die Konditionalität der Finanzhilfen für Euro- rungsunion«. Bis auf Tschechien und das Vereinigte König-
staaten, Tübingen 2019. reich unterschrieben ihn alle Mitgliedstaaten; Kroatien hat
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13Konditionalität in der Europäischen Union
die Unterzeichnerstaaten auf die Verabschiedung Dieses Ungleichgewichteverfahren wurde mit der
ausgeglichener Haushalte und, wenn möglich, auf Möglichkeit von Sanktionen verbunden, sollte ein
die Fixierung nationaler Schuldenbremsen in ihren Staat nicht den Empfehlungen der EU zur Anpassung
nationalen Verfassungen. Sollte ein Mitgliedstaat die seiner nationalen Fiskal-, Wirtschafts- und Sozial-
Defizitgrenzen überschreiten und er den Empfehlun- politiken folgen.27 Die zusätzliche negative Konditio-
gen der Europäischen Kommission zum Abbau seiner nalität sollte der EU dabei helfen, frühzeitig Risiken
Schulden nicht nachkommen, kann er vor dem Euro- für die nationalen Fiskalpolitiken und damit mittel-
päischen Gerichtshof (EuGH) verklagt werden. Dieser bar für die Stabilität der gemeinsamen Währung zu
kann dann finanzielle Sanktionen gegen den Mit- erkennen. Mit dem Twopack wurde darüber hinaus
gliedstaat in Höhe von maximal 0,1 Prozent seines vorgegeben, dass die Mitgliedstaaten der Eurozone
Bruttoinlandsprodukts verhängen. ihre Haushaltsentwürfe vorab der Europäischen Kom-
Zusammengefasst bleibt festzuhalten, dass im Zuge mission zur Prüfung und Stellungnahme vorlegen
der Finanz- und Staatsschuldenkrise in der EU und müssen. Teil dieser verstärkten fiskalpolitischen Über-
insbesondere in der Eurozone das Instrumentarium wachung war das Recht der Kommission, dem Mit-
der EU-internen Konditionalität deutlich vergrößert gliedstaat Änderungen an dessen Etatentwurf vor-
wurde. Neue Formen der negativen Konditionalität zuschlagen, falls sie schwere Verstöße gegen die
wurden eingeführt und neue Institutionen und Bestimmungen des Stabilitäts- und Wachstumspakts
Instrumente geschaffen. Mit dem Fiskalpakt und der feststellt. Damit erhielt die Kommission zwar nicht
darin fixierten Selbstverpflichtung zur Einführung die Kompetenz, im Namen der EU in die beanstande-
nationaler Schuldenbremsen wurde schließlich das ten nationalen Haushaltsentwürfe einzugreifen, und
europäische Konditionalitätskonzept der strikten die Mitgliedstaaten müssen auch nicht zwangsläufig
Haushaltsdisziplin in der Eurozone auf die nationalen die Änderungswünsche aus Brüssel umsetzen. Der
Fiskalpolitiken und sogar auf die nationalen Verfas- Kommission öffneten sich dadurch jedoch zusätzliche
sungsordnungen ausgeweitet. Wege, um auf die nationalen Fiskalpolitiken Einfluss
zu nehmen: Sie konnte fortan die einzelstaatlichen
Budgetplanungen deutlich enger und genauer über-
Die wirtschaftspolitische Koordinierung wachen und auf deren Gestaltung einwirken; auch
und das Konzept der Konditionalität die mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt ohnehin
schon bestehenden Instrumente der negativen Kon-
Als Reaktion auf die tiefe Staatsschuldenkrise 2010/11 ditionalität im Rahmen der Haushaltsüberwachung
verabschiedete die EU darüber hinaus zwei umfang- wurden mit dem Twopack noch weiter verschärft.
reiche Gesetzespakete: das sogenannte »Sixpack«, das Darüber hinaus werden seit 2011 in einem jähr-
sechs Legislativakte umfasste und im Dezember 2011 lichen Verfahren – dem Europäischen Semester –
in Kraft trat, und das »Twopack« vom Mai 2013, das die nationalen Fiskalpolitiken und die mitgliedstaat-
zwei weitere Gesetzgebungsakte beinhaltete. Beide lichen Wirtschafts-, Beschäftigungs- und Sozial-
Legislativpakete sollten den Stabilitäts- und Wachs- politiken intensiver überwacht und aufeinander ab-
tumspakt ergänzen und die Überwachung der natio- gestimmt.28 Mit diesem präventiven Koordinierungs-
nalen Haushalte und der wirtschaftspolitischen
Steuerung in der EU verbessern.
scher Ungleichgewichte wurde ein Scoreboard mit elf Indika-
Insbesondere mit dem neuen Modus zur Identifi- toren entwickelt, die von Leistungsbilanzindikatoren über
zierung makroökonomischer Ungleichgewichte wur- Lohnstückkosten bis hin zu Hauspreis-Indizes und dem Aus-
den neue Konditionalitätskriterien und -indikatoren maß der privaten Verschuldung reichen.
in das wirtschaftspolitische Monitoring eingeführt.26 27 Im korrektiven Arm des Verfahrens kann von einem
Staat, der die empfohlenen Korrekturmaßnahmen nicht
den Vertrag nach seinem Beitritt ebenfalls noch nicht umsetzt, verlangt werden, dass er eine verzinsliche Einlage
unterzeichnet. hinterlegt. Diese Maßgabe kann in eine Geldstrafe von
26 »Verordnung (EU) Nr. 1176/2011 vom 16. November 0,1 Prozent des BIP überführt werden, falls der betreffende
2011 über die Vermeidung und Korrektur makroökonomi- Staat die Empfehlungen auch weiterhin nicht befolgt.
scher Ungleichgewichte«, in: Amtsblatt der Europäischen Union, 28 Peter Becker, Wirtschaftspolitische Koordinierung in der
(23.11.2011) L 306/25, Berlin: Stiftung Wissenschaft und Politik, November 2014
(Zugriff am 11.5.2022). Zur Überwachung makroökonomi- (SWP-Studie 19/2014).
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Mai 2022
14Konditionalität in den europäischen Ausgabenpolitiken
und Monitoringverfahren werden nahezu alle Politik- Konditionalität in den
bereiche, die auf die nationalen Ökonomien der Mit- europäischen Ausgabenpolitiken
gliedstaaten und somit mittelbar auch auf die EU und
die gemeinsame Währung einwirken können, einer Das Instrumentarium der Konditionalität – sowohl
Vorabkontrolle durch die EU-Kommission unterzogen. der positiven und negativen als auch der Ex-ante- und
Seither verfügt die Kommission mit dem Instrument Ex-post-Varianten – war stets Teil der europäischen
der sogenannten länderspezifischen Empfehlungen Ausgaben- und Förderpolitiken. Die europäischen
über eine weitere Möglichkeit, die Mitgliedstaaten zu Förderprogramme und Fördergelder wurden durch-
Anpassungen und Reformen ihrer jeweiligen Wirt- gängig mit der Umsetzung spezifischer Vorgaben ver-
schafts-, Beschäftigungs- oder Sozialpolitiken auf- bunden, sowohl die Zahlungen in der Gemeinsamen
zufordern und die Umsetzung der Empfehlungen zu Agrarpolitik an die landwirtschaftlichen Betriebe und
überwachen. Der Anwendungsbereich der ursprüng- in der Fischereipolitik als auch die aus den europäi-
lich auf fiskalpolitische und makroökonomische schen Strukturfonds.31 Unkonditionierte EU-Förder-
Fragen begrenzten Konditionalität in der Wirtschafts- programme, also reine Finanztransfers, die an keine
und Währungsunion wurde so inhaltlich stark aus- Bedingungen der Förderungsfähigkeit oder an be-
geweitet. stimmte Förderziele gebunden wären, gibt es nicht.32
Dennoch unterscheidet sich das Konzept der Kon-
Mit dem Europäischen Semester ditionalität mit Hilfe der europäischen Ausgaben-
wurde eine besondere Form einer politiken und Förderprogramme von der eigentlichen
prozessorientierten impliziten Zweckbestimmung dieser Gelder. Denn dieser Ansatz
Konditionalität geschaffen. verbindet verschiedene Entscheidungsebenen und
Verantwortlichkeiten und verfolgt zunehmend auch
Mit dem Europäischen Semester wurde auch ein weiterreichende Intentionen. Inzwischen werden
technisch-administrativer Mechanismus entwickelt, die Fördergelder der EU immer öfter zu finanziellen
um ein kontinuierliches Monitoring der Politiken der Hebeln, um politische Ziele zu erreichen, die über das
Mitgliedstaaten zu gewährleisten und spezifische eigentliche Förderziel hinausgehen. So hat die EU
Reformempfehlungen zu formulieren. Es wurde also mittlerweile eine besondere Form der europäischen
eine besondere Form einer prozessorientierten impli- »Ausgabenkonditionalität« oder »Haushaltskonditio-
ziten Konditionalität geschaffen.29 Der wirtschafts- nalität« entwickelt.33
politische Konditionalitätsmechanismus beschränkt Die Grundlagen für diese »power of the purse«34
sich dabei nicht auf konkrete und eingrenzbare Pro- wurden bereits mit dem Mehrjährigen Finanzrahmen
gramme oder spezifische Politikbereiche, sondern hat
sich zu einem kontinuierlichen, politikfeldübergrei- 31 Viorica Viță, Conditionalities in Cohesion Policy – Research for
fenden Monitoring-und-Governance-Mechanismus REGI Committee, Brüssel: European Parliament, Policy Depart-
weiterentwickelt – zu einem Instrument der »gover- ment for Structural and Cohesion Policies, Directorate-
nance by conditionality«.30 Das Monitoring im Rah- General for Internal Policies, September 2018 (PE 617. 498),
(Zugriff am 11.5.2022).
nalität zu einem dauerhaften Prozess aus, ohne dass
32 Peter Becker, Die EU auf dem Weg in eine »Transferunion«?
dabei ein Ziel oder ein Endpunkt definiert würde.
Ein Beitrag zur Entdramatisierung, Berlin: Stiftung Wissenschaft
und Politik, Juni 2018 (SWP-Studie 8/2018); Ronald L. Watts,
The Spending Power in Federal Systems: A Comparative Study,
Kingston/Canada 1999.
33 Viță, »Revisiting the Dominant Discourse on Condition-
29 Stefano Sacchi, »Conditionality by Other Means: EU ality in the EU« [wie Fn. 10]; Pola Schneemelcher / Jörg Haas,
Involvement in Italy’s Structural Reforms in the Sovereign Rules Enforcement in the EU: »Conditionality« to the Rescue?, Güters-
Debt Crisis«, in: Comparative European Politics, 13 (2015) 1, loh: Bertelsmann Stiftung, 28.5.2019.
S. 77–92. 34 Willem Molle, »EU Membership and Budget Allocation
30 Fabrizio Di Mascio et al., »Influence of the European Conditionality«, in: Studia Europejskie – Studies in European
Semester on National Public Sector Reforms under Condi- Affairs, 22 (2018) 4, S. 167–182 (174); Friedrich Heinemann,
tions of Fiscal Consolidation: The Policy of Conditionality in »Going for the Wallet? Rule-of-Law Conditionality in the
Italy 2011–2015«, in: Public Policy and Administration, 35 Next EU Multiannual Financial Framework«, in: Inter-
(2020) 2, S. 201–223 (218). economics, 53 (2018) 6, S. 297–301.
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Mai 2022
15Konditionalität in der Europäischen Union
(MFR) 2014–2020 geschaffen und mit dem neuen des UN-Übereinkommens zum Schutz von Menschen
MFR 2021–2027 weiter ausgebaut. Insbesondere die mit Behinderungen.
Gelder aus dem europäischen Strukturfonds bilden
einen starken finanziellen Hebel. John Bachtler und b) Die Ex-post- oder Performance-
Carlos Mendez sprechen im Kontext der europäischen Konditionalitäten
Kohäsionspolitik deshalb von einer »institutionalisa-
tion of conditionality«.35 Auch mit den Ex-post- oder Performance-Konditio-
In der sekundärrechtlichen Dachverordnung,36 die nalitäten soll die Ergebnisorientierung der europäi-
allgemeine Bestimmungen für die europäischen Struk- schen Förderinstrumente gestärkt und somit die Ef-
turfonds enthält, wurden drei Formen der Konditio- fektivität und Effizienz der europäischen Kohäsions-
nalität für die Strukturfonds verankert:37 politik insgesamt verbessert werden. Mit diesem
strategischen und leistungsorientierten Ansatz wurde
a) Die Ex-ante-Konditionalitäten zugleich ein Überwachungs- und Bewertungssystem
eingeführt, um die erfolgreiche und nachhaltige
Bereits bevor die EU-Fördergelder bewilligt werden, Implementierung der Strukturpolitik sicherzustellen.
müssen die nationalen Verwaltungen in den Emp- Für die Förderperiode 2021–2027 haben die Mitglied-
fängerstaaten nachweisen, dass zufriedenstellende staaten deshalb die Erstellung eines Leistungsrahmens
ordnungspolitische und institutionelle Rahmen- mit festen Output- und Ergebnis-Indikatoren verein-
bedingungen geschaffen wurden, die eine möglichst bart und so ein administrativ-technisches Steuerungs-
effiziente Verwendung der EU-Mittel garantieren. instrument entwickelt. Empfänger europäischer
Diese Vorbedingungen sollen sicherstellen, dass Fördergelder müssen für jedes Förderprogramm einen
strukturelle Probleme oder institutionelle Schwächen Leistungsrahmen erstellen und hierfür geeignete In-
in den Förderregionen vor Beginn der Auszahlung der dikatoren entwickeln sowie messbare Zwischenziele
Gelder beseitigt werden. In der neuen Förderperiode und Endziele fixieren. Damit dient der Leistungs-
werden diese Ex-ante-Konditionalitäten nun als rahmen der Bilanzierung der Förderprogramme und
»grundlegende Voraussetzungen« bezeichnet.38 Diese im Endeffekt zur Rechtfertigung für die Auszahlung
reichen von vergaberechtlichen und beihilferecht- von leistungsbezogenen Reserven im letzten Jahr der
lichen Erfordernissen über die Achtung und Anwen- Förderperiode; darüber hinaus soll der Rahmen dazu
dung der Charta der Grundrechte bis zur Umsetzung nutzen, »die Leistung des Programms während dessen
Durchführung zu begleiten und zu evaluieren und
35 John Bachtler / Carlos Mendez, »Cohesion and the EU’s darüber Bericht zu erstatten«.39 Auf diese Weise trägt
Budget: Is Conditionality Undermining Solidarity?«, in: das Instrument zur Bemessung einer erfolgreichen
Ramona Coman / Amandine Crespy / Vivien A. Schmidt (Hg.), europäischen Strukturförderung bei.
Governance and Politics in the Post-crisis European Union, Cam- Mit der Performance-Konditionalität soll also
bridge: Cambridge University Press 2020, S. 121–139 (130). grundsätzlich die Effizienz und Effektivität der euro-
36 »Verordnung (EU) Nr. 2021/1060 des Europäischen päischen Fördergelder verbessert werden. Allerdings
Parlaments und des Rates vom 24. Juni 2021 mit gemein-
hat die EU auf eine ergebnisbezogene negative Kon-
samen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für
ditionalität und die Option der Sanktionierung ver-
regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds Plus,
zichtet. Der Verlust von eingeplanten Fördergeldern
den Kohäsionsfonds, den Fonds für einen gerechten Über-
gang und den Europäischen Meeres-, Fischerei- und Aqua-
droht den Regierungen in den EU-Ländern damit
kulturfonds sowie mit Haushaltsvorschriften für diese Fonds nicht. Diese negative Konditionalität war ohnehin
und für den Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds, den höchst umstritten, sie wurde von den Mitgliedstaaten
Fonds für die innere Sicherheit und das Instrument für grundsätzlich abgelehnt und war in der Praxis der
finanzielle Hilfe im Bereich Grenzverwaltung und Visum- Fondsverwaltung nicht umsetzbar. An die Stelle einer
politik«, in: Amtsblatt der Europäischen Union, (30.6.2021) L231, solchen negativen Konditionalität ist ein Mechanis-
S. 159–706, (Zugriff am 11.5.2022). wachung der Förderprogramme getreten mit der Auf-
37 Peter Becker / Ronny Müller, »Die Kraft der Krise – die gabe, eine umfassende Programmevaluation zu ermög-
europäische Kohäsionspolitik und ihre Reform«, in: Integra-
tion, 38 (2015) 3, S. 231–247.
38 Artikel 15 und Absatz III der »Verordnung (EU) 39 »Verordnung (EU) Nr. 2021/1060« [wie Fn. 36], Artikel
Nr. 2021/1060« [wie Fn. 36]. 16, Absatz 1.
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Konditionalität als Instrument europäischer Governance
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