Wahlen in Subsahara-Afrika: Segen oder Fluch? - Judith Vorrath SWP-Studie
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SWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Judith Vorrath Wahlen in Subsahara- Afrika: Segen oder Fluch? S7 April 2013 Berlin
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Inhalt 5 Problemstellung und Empfehlungen 7 Einleitung: Die Rolle von Wahlen für Afrikas Regime 9 Trends und Entwicklungslinien afrikanischer Wahlen 2010–2012 9 Kontinuität und Umbrüche 12 Die Qualität der Wahlen 12 Mängel trotz positiver Einzelaspekte 16 Unterschiedliche qualitative Trends 19 Konflikt(aus)löser? Wahlen und Gewalt 23 Politische Entwicklungslinien mit ausgewählten Beispielen 26 Fazit und Empfehlungen: Afrikas Wahlen – kein Fluch, aber auch nicht überall ein Segen 28 Literaturhinweise
Dr. Judith Vorrath ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der SWP-Forschungsgruppe Sicherheitspolitik.
Problemstellung und Empfehlungen Wahlen in Subsahara-Afrika: Segen oder Fluch? Wahlen allein machen keine Demokratie, aber sie sind ein unverzichtbares Element demokratischer Systeme. Glaubwürdige Wahlen fördern demokratische Werte, gute Regierungsführung und friedliche Konfliktbewäl- tigung. Aber welche Folgen hat es, wenn Wahlen unterhalb anerkannter Standards stattfinden? In Sub- sahara-Afrika führen mittlerweile fast alle Staaten Mehrparteienwahlen durch. Dennoch bestimmen in vielen Fällen weiterhin hybride Regime das Bild, die sich in einer Grauzone zwischen demokratischer und autokratischer Herrschaft bewegen. Dementsprechend bleiben Urnengänge oftmals hinter den normativen Anforderungen zurück. Sind Wahlen unter diesen Um- ständen eher Fluch oder Segen? Laut der »Global Commission on Elections, Democ- racy and Security« bewirkt die mangelnde Integrität von Wahlen, dass demokratische Institutionen zur leeren Hülle werden, zur bloßen Fassade für autoritä- re Machthaber. Darin wird auch ein erhöhtes Potential für den Ausbruch von Konflikten gesehen. Konkrete Erfahrungen in Afrika scheinen dieses Bild zu bestäti- gen. In der Elfenbeinküste etwa flammte der Bürger- krieg nach der zweiten Runde der Präsidentschafts- wahlen im November 2010 abermals auf, als der amtierende Präsident Laurent Gbagbo sich weigerte, seine Niederlage anzuerkennen. Die Gewaltausbrüche in der Demokratischen Republik Kongo (DR Kongo) waren von weit geringerem Ausmaß, doch die dorti- gen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im November 2011 wurden weithin als Farce mit vorher bekanntem Ergebnis gewertet. Das Dilemma liegt darin, dass gefestigte Demokra- tien nicht über Nacht entstehen und der Weg zu wirk- lich integeren Wahlen holprig und unsicher ist. Die heute üblichen multidimensionalen Friedensmissio- nen basieren geradezu auf der Annahme, dass Wahlen auch dann ein wichtiger Schritt zur Friedenskonsoli- dierung sein können, wenn sie unterhalb internatio- naler Standards stattfinden. Forschungsbefunde zei- gen zudem, dass selbst defizitäre Wahlen in Afrika eine demokratisierende Wirkung haben können und längerfristig die politischen Freiheitsrechte stärken. Ist das Bild von weitgehend sinnentleerten und gewalt- anfälligen Wahlen in Afrika demnach verzerrt? Wel- che Trends zeigen sich tatsächlich auf dem Kontinent, SWP Berlin Wahlen in Subsahara-Afrika April 2013 5
Problemstellung und Empfehlungen und welche Konsequenzen ergeben sich daraus für Gefahr wahlbezogener Gewalt wie in der Elfenbein- internationale Akteure? küste und der DR Kongo war akut. Selbst bei einem Zunächst einmal spiegelt die jüngste Welle an relativ positiven Verlauf der Wahlen blieb die Situa- Abstimmungen die Häufigkeit und Vielschichtigkeit tion fragil. von Wahlen wider. Allein von 2010 bis Mitte 2012 In einer weiteren Gruppe von Ländern finden Wah- fanden in 29 afrikanischen Staaten 46 Parlaments- len mittlerweile nicht nur regelmäßig und weit- und Präsidentschaftswahlen statt – von »Wahlfieber« gehend gewaltfrei statt, sondern sie zeigen auch und »Superwahljahren« war daher die Rede. Grund- eine zumindest teilweise verbesserte Qualität. Dies sätzlich zeigen diese Fälle, dass Wahlen aus dem ist beispielsweise in Sambia, Senegal oder Tansania politischen Leben in Afrika nicht mehr wegzudenken der Fall. Hier können Wahlen durchaus positive sind. In der Mehrzahl der untersuchten Länder wur- Strahlkraft auf den politischen Prozess entwickeln. den mindestens die dritten Wahlen in Folge abgehal- In einer dritten Länderkategorie besteht ebenfalls ten. Eine solche Regelmäßigkeit sagt noch nichts über eine Kontinuität von Wahlen, die meist auch nicht die Qualität der Wahlen aus, sie ist aber weder selbst- (mehr) mit einer verschlechterten Sicherheitslage verständlich noch bedeutungslos. Vielmehr verdeut- einhergehen. Allerdings ist die Qualität dieser licht diese Kontinuität, dass zumindest ein Grundbe- Abstimmungen stark eingeschränkt oder deutlich stand an politischen Spielregeln anerkannt wird. rückläufig, und der politische Raum wird von der Bei der Qualität der Wahlen ist das Bild heterogen. Regierung bzw. der Regierungspartei kontrolliert – In einer Gruppe von Staaten dienen sie vor allem als wie etwa im Tschad oder in Äthiopien. Mittel, um die Herrschaft (semi)autoritärer Machtha- Hinzu kommen wenige Fälle wie Nigeria, wo trotz ber abzusichern. Vielfach hat sich der politische Raum regelmäßiger Wahlen mit einer zuletzt verbesser- seit den vorherigen Wahlen sogar weiter verengt, so in ten oder anhaltend guten Qualität wahlbezogene Äthiopien, Burundi und im Tschad. Zugleich zeigt sich Gewalt auftritt. Positive Impulse durch die Urnen- in einer Reihe von Ländern, trotz Mängeln im Wahl- gänge werden so weitgehend verhindert; bei man- prozess, ein gegenläufiger, positiver Trend bei Fakto- gelnder Konfliktbearbeitung und faktischer Straf- ren wie der Wahlfreiheit, dem Wettbewerbscharakter freiheit für Übergriffe steht vielmehr zu befürch- von Wahlen oder der Akzeptanz der Ergebnisse. Dies ten, dass bei den nächsten Wahlen erneut Gewalt gilt für Liberia, Tansania, Senegal oder Sambia. ausbricht. Ebenso wenig wie Wahlen mit Defiziten zwangs- Generell sind Wahlen in allen diesen Fällen relevant. läufig eine reine Fassade sind, führen sie notwendiger- Gerade weil sie in Afrika fest zum politischen Reper- weise zu Gewalt. Zwar war in neun von 29 Ländern toire gehören, werden Wahlen auch weiterhin unter eine wahlbedingte Verschlechterung der Sicherheits- ungünstigen Bedingungen stattfinden und hinter lage zu verzeichnen, besonders massiv in der DR Kon- anerkannten Standards zurückbleiben. Externe Akteu- go, in der Elfenbeinküste, in Guinea und Nigeria. re wie die Bundesregierung sollten keineswegs grund- Allerdings gab es in den betreffenden Ländern eine sätzlich davon abrücken, Wahlen in Afrika zu unter- Vorgeschichte bewaffneter Konflikte in der jüngeren stützen und zu begleiten. Wahlen sind ein durchaus Vergangenheit. Wahlen sind hier – als Kulminations- sinnvoller Ansatzpunkt, trotz oder gerade wegen ihrer punkte politischen Wettbewerbs – besonders störungs- potentiell negativen Auswirkungen. Vorhandene anfällig, aber nicht unbedingt die Ursache von Gewalt- Instrumente wie Wahlbeobachtung sollten aber den ausbrüchen. Dennoch hat wahlbezogene Gewalt jeweiligen Entwicklungssträngen gemäß eingesetzt schwerwiegende Folgen, vor allem in Form einer wei- oder in einigen Fällen auch nicht eingesetzt werden. teren gesellschaftlichen Polarisierung und eines Ver- Vor allem sind Wahlen als Prozess, nicht bloß als trauensverlustes gegenüber dem politischen System. Ereignis zu verstehen. Die größte Herausforderung Insgesamt können Wahlen in Afrika per se weder als besteht zweifellos darin, Maßnahmen zwischen den Fluch noch als Segen gelten. Es gilt vielmehr, zwischen einzelnen Wahlen zu unterstützen, die nicht nur verschiedenen Entwicklungslinien zu unterscheiden: deren demokratische Qualität verbessern, sondern In einer Gruppe von Ländern wurden Wahlen zum auch die Bedingungen für einen glaubwürdigen und ersten oder zweiten Mal nach einem Putsch oder friedlichen Wahlprozess insgesamt. Dazu gehört etwa einem bewaffneten Konflikt abgehalten, so dass die Förderung einer unabhängigen Gerichtsbarkeit, noch keine Kontinuität vorhanden ist. Hier gab es zivilgesellschaftlicher Organisationen und demokra- oftmals deutliche Mängel bei der Qualität, und die tischer Parteien. SWP Berlin Wahlen in Subsahara-Afrika April 2013 6
Einleitung: Die Rolle von Wahlen für Afrikas Regime Einleitung: Die Rolle von Wahlen für Afrikas Regime Seit 2010 ist es in Subsahara-Afrika zu einer wahren Afrika vermeintlich erfasst hatte. Die grundlegende Welle von Wahlen auf nationaler Ebene gekommen. Erwartung war, dass Marktwirtschaft und Demokratie Oftmals fiel die Bilanz negativ aus, wenn die Abstim- auf dem Kontinent – oder jedenfalls Teilen davon – mungen nicht oder nur unvollständig den idealtypi- Fuß fassen würden, nachdem marxistische Ideologien schen Funktionen demokratischer Wahlgänge ent- an Bedeutung eingebüßt hatten und eine neue Gene- sprachen. Tatsächlich können die afrikanischen Staa- ration afrikanischer Eliten aufgerückt war. In der Tat ten in der Mehrzahl nach wie vor nicht als gefestigte hielten zwischen 1990 und 1994 insgesamt 29 afrika- Demokratien bezeichnet werden. 1 Gleichzeitig sind nische Länder 54 Wahlen ab, während es in den fünf Wahlen dort heute nicht mehr die Ausnahme, son- Jahren davor, als noch Militärdiktaturen und Einpar- dern die Regel. Seit 2005 wurden in fast allen Staaten teiensysteme dominierten, gerade einmal neun Urnen- der Region Mehrparteienwahlen 2 abgehalten; Ausnah- gänge gegeben hatte. 3 Durch die Wahlen Anfang der men bilden lediglich Eritrea, Somalia und Swasiland. 1990er Jahre wurden zudem elf Präsidenten friedlich Doch welche Bedeutung haben solche Urnengänge abgelöst, drei weitere verzichteten auf eine Kandi- angesichts von schwierigen Rahmenbedingungen datur. 4 und Defiziten bei der Durchführung? Sind Wahlen Bis Ende der 1990er Jahre stellte sich eine gewisse in Afrika tatsächlich vor allem Fassade für die frag- Konstanz ein. Denn anders als nach der Unabhängig- würdigen Ambitionen von Machthabern und anfällig keit vieler afrikanischer Staaten in den 1960er Jahren für Gewalt? folgten auf erste Wahlen in einer Reihe von Ländern Zweifel an der Sinnhaftigkeit von Wahlen sind weitere Abstimmungsrunden. Deren Qualität fiel aller- nicht erst mit der politischen Krise in Mali aufgekom- dings in vielen Fällen ab. Im Gegensatz zu Osteuropa men – einem vermeintlichen Musterland, in dem bis und Lateinamerika konnten in Afrika jene Parteien, zum Putsch 2012 regelmäßig gewählt wurde. Dass die als Gewinner aus den ersten freien Wahlen der externe Akteure seit einigen Jahren vor allem hohe 1990er Jahre hervorgegangen waren, ihre Dominanz wirtschaftliche Wachstumsraten im Auge haben, be- zusehends absichern. Machtwechsel wurden so bei legt indirekt die Ernüchterung über die politischen den Anschlusswahlen zur Rarität, dagegen stieg die Prozesse auf dem Kontinent. In den 1990er Jahren Zahl der Oppositionsboykotte. 5 Eine geradlinige galten Wahlen noch als sichtbarer Ausdruck einer Demokratisierung, bei der auf die politische Öffnung »dritten Demokratisierungswelle«, die Subsahara- der Durchbruch und dann die Konsolidierung folgten, vollzog sich nur selten. 6 Vielmehr blieb eine Vielzahl 1 Die genaue Einordnung der einzelnen Länder ist umstrit- von Staaten in der Grauzone zwischen demokratischer ten. So zählt man in Afrika je nach Definition und Standards Regierungsform und autokratischer Herrschaft »ste- zwischen 23 vollwertigen Demokratien (Steven Radelet, Emerging Africa: How 17 Countries Are Leading the Way, Washing- cken« und brachte Regime hervor, die als »hybrid« ton, D.C.: Center for Global Development, 2010) und lediglich bezeichnet werden. einer, nämlich Mauritius (Economist Intelligence Unit, Democ- Damit hat sich auch der Blick auf Wahlen in Afrika racy Index 2010: Democracy in Retreat, London: The Economist zunehmend verdüstert. Schon Ende der 1990er Jahre 2010). Unabhängig von der genauen Einstufung sind die 49 sahen Beobachter den Trend »in Richtung einer Rück- Staaten in Subsahara-Afrika aber mehrheitlich keine konso- kehr zur alten Ordnung despotischer politischer Füh- lidierten Demokratien. 2 Der Begriff »Mehrparteienwahlen« bezieht sich auf den for- malen Wettbewerbscharakter von Wahlen. De jure müssen 3 Michael Bratton/Nicolas van de Walle, Democratic Experiments also unterschiedliche Parteien zugelassen sein, unabhängig in Africa: Regime Transitions in Comparative Perspective, Cambridge davon, ob die Wahlen de facto uneingeschränkt kompetitiv 1997, S. 7. sind. Der Ausdruck dient der Abgrenzung gegenüber Einpar- 4 Michael Bratton, »Second Elections in Africa«, in: Journal of teiensystemen oder ähnlichen Ordnungen, in denen ebenfalls Democracy, 9 (1998) 3, S. 51–66 (53ff). Wahlen stattfinden können, aber keine (Oppositions-) Partei- 5 Ebd., S. 65. en erlaubt sind. Nachfolgend sind mit »Wahlen« immer Mehr- 6 Thomas Carothers, »The End of the Transition Paradigm«, parteienwahlen in diesem Sinne gemeint. in: Journal of Democracy, 13 (2002) 1, S. 5–21 (7). SWP Berlin Wahlen in Subsahara-Afrika April 2012 7
Einleitung: Die Rolle von Wahlen für Afrikas Regime rung unter dem Deckmantel ziviler Regierungsfüh- der Übergangsphase stattgefunden haben. Wahlen rung«. 7 Hinter der Fassade demokratischer Abstim- in Afrika sind also nicht allein Instrument der Macht- mungen bestanden meist Elemente autoritärer Herr- haber, sondern auch ein zentraler Baustein von schaft fort. Das öffentliche Amt blieb häufig persona- Friedensprozessen. lisiert, und staatliche Institutionen sicherten vor Zudem gibt es bei aller berechtigten Kritik deut- allem privaten Interessen den Zugang zu wichtigen liche Hinweise auf positive Entwicklungen. Wahlen Ressourcen. in Afrika finden nicht nur häufiger und regelmäßiger In einigen afrikanischen Staaten kam der Reform- statt als früher, sie sind auch härter umkämpft. Hier prozess auch völlig zum Erliegen, meist durch den manifestiert sich die zunehmende Institutionalisie- Ausbruch eines Bürgerkriegs – wie in Burundi, Ruan- rung politischer Macht in Afrika am deutlichsten. 10 da und Sierra Leone. Beobachter haben solche massi- Die Kontinuität von Wahlen ist zudem wichtig, da ven Konflikteskalationen mit dem Prozess der Demo- sich deren demokratische Qualität mit jedem neuen kratisierung und besonders dem voreiligen Abhalten Urnengang verbessern kann. Jedenfalls stellt eine von Wahlen in Verbindung gebracht. 8 Diese verstär- umfassende Studie eine solche Dynamik bei Abstim- ken den politischen Wettbewerb und können Gesell- mungen in Afrika für die Zeit von 1989 bis 2003 fest. 11 schaften schnell polarisieren, in denen ethno-nationa- Demnach hat die wiederholte Durchführung von listische Identitäten zur Mobilisierung dienen und Wahlen, auch wenn sie mitunter Mängel aufweisen, kaum Institutionen zur friedlichen Konfliktaustra- grundsätzlich eine demokratisierende Wirkung. Dies gung etabliert sind. Unter solchen Umständen kann kommt noch keiner Konsolidierung gleich, wider- wahlbedingte Gewalt bis zur weitreichenden Destabi- spricht aber der gängigen Annahme, dass Wahlen mit lisierung eines Landes führen, wie es etwa 2007/2008 Defiziten zwangsläufig das demokratische System in Kenia und 2010 in der Elfenbeinküste geschah. unterminieren. Die gegenteilige Wirkung ist zumin- Es besteht kein Zweifel daran, dass Wahlen in Afri- dest möglich. ka vielfach unter normativen Mängeln litten, dass sie Das grundlegende Dilemma besteht darin, dass teilweise durch (semi)autoritäre Machthaber instru- Wahlen in Afrika einerseits alternativlos sind, anderer- mentalisiert wurden und bisweilen in Gewaltausbrü- seits weiterhin oft in einem fragilen politischen Um- che mündeten. Doch das hat wenig daran geändert, feld stattfinden. Selbst in Ländern, deren Systeme als dass auf dem Kontinent regelmäßig Wahlen abgehal- relativ gefestigt gelten – etwa Ghana oder Senegal –, ten werden – unter anderem deshalb, weil sie weiter- ist es nicht selbstverständlich, dass Abstimmungen hin fester Bestandteil des Peacebuilding-Konzeptes friedlich und fair verlaufen und die Ergebnisse akzep- sind. Sie gehören zur »Exit«-Strategie internationaler tiert werden. Sind Wahlen in Afrika also Fluch oder Akteure, denn die ersten freien Wahlen nach bewaff- Segen? Welche Trends lassen sich dabei für den Zeit- neten Konflikten markieren gemeinhin das offizielle raum von 2010 bis Mitte 2012 ermitteln? Und welche Ende der Transitionsphase. Solche Übergänge vom Konsequenzen ergeben sich daraus für internationale »Krieg zur Demokratie« 9 sind meist schon in ausge- Akteure in Afrika? handelten Friedensverträgen festgeschrieben, damit sich relativ bald eine von der Bevölkerung legitimierte Regierung auf nationaler Ebene einsetzen lässt. Dieses Modell wurde in Fällen wie Liberia und Burundi an- gewandt, wo mittlerweile die zweiten Wahlen nach 7 Said Adejumobi, »Elections in Africa: A Fading Shadow of Democracy?«, in: International Political Science Review, 21 (2000) 1, S. 59–73 (59). 8 Siehe zu dem Argument allgemein: Jack Snyder, From Voting to Violence: Democratization and Nationalist Conflict, New York 2000. Zum Zusammenhang von Demokratisierung und bewaffneten Konflikten in Burundi und Ruanda unter anderem: Peter Uvin, »Ethnicity and Power in Burundi and 10 Daniel N. Posner/Daniel J. Young, »The Institutionaliza- Rwanda: Different Paths to Mass Violence«, in: Comparative tion of Political Power in Africa«, in: Journal of Democracy, Politics, 31 (1999) 3, S. 253–271. 18 (2007) 3, S. 126–140. 9 Anna K. Jarstad/Timothy D. Sisk (Hg.), From War to Democ- 11 Staffan I. Lindberg, Democracy and Elections in Africa, racy: Dilemmas of Peacebuilding, Cambridge 2008. Baltimore 2006, S. 1f. SWP Berlin Wahlen in Subsahara-Afrika April 2013 8
Kontinuität und Umbrüche Trends und Entwicklungslinien afrikanischer Wahlen 2010–2012 Wahlen sind in Subsahara-Afrika zu einem gewohnten balen Veränderungen durch das Ende des Ost-West- Ereignis geworden. Im Zeitraum von Anfang 2010 bis Konflikts ausging. Autoritäre afrikanische Macht- Mitte 2012 fanden besonders viele Abstimmungen haber sahen ihre materielle Unterstützung von außen statt. 12 In 29 afrikanischen Ländern wurden 46 Wah- schwinden und sich zunehmend dem Druck west- len auf nationaler Ebene abgehalten, davon 21 Parla- licher Geber ausgesetzt, die politischen Systeme zu ments- und 25 Präsidentschaftswahlen. 13 Die Regime liberalisieren. Auch wenn die Außenabhängigkeit der einzelnen Staaten (aufgeführt in Tab. 1, S. 10) sind mittlerweile insgesamt abgenommen hat, bleibt sie in dabei im Spektrum zwischen Autokratie und Demo- vielen Fällen beträchtlich. Deshalb herrscht weiterhin kratie – unabhängig von der genauen Kategorisierung der Eindruck vor, dass Wahlen oftmals eher der Pro- – unterschiedlich zu verorten. 14 Ein näherer Blick forma-Legitimierung nach außen dienen und weniger auf Kontinuität und Qualität der Wahlen sowie auf einer echten Legitimierung nach innen. Außerdem gewaltsame Konflikte in ihrem Umfeld gibt Aufschluss gelten ethno-nationalistische Mobilisierung und die darüber, wie Wahlprozesse in Afrika heute verlaufen programmatische Schwäche afrikanischer Parteien bei und welche Auswirkungen sie haben. Vergleicht man zugleich hoher Personalisierung nach wie vor als Ge- das jeweilige Geschehen mit früheren Wahlen, so fahr für glaubwürdige und friedliche Wahlen. Aller- zeigen sich zudem verschiedene Muster und Entwick- dings sind zivilgesellschaftliche Aktivitäten und Orga- lungslinien. Diese werden zudem anhand einiger nisationen in vielen Ländern stärker geworden. Afrika- prominenter Fälle vertieft, um weitere Erkenntnisse nische Wählerinnen und Wähler zeigen zudem ein über die Rolle von Wahlen in Afrika zu gewinnen. hohes Maß an Zustimmung gegenüber der Demokra- Wahlen sind nie einfach bedeutungslos, sondern tie und schätzen vor allem Komponenten wie Frei- stets ein wichtiger Indikator für den Zustand des je- heitsrechte und Wahlen. 15 Auch der Zugang zu Kom- weiligen Regimes und gleichzeitig Triebkraft, positiver munikationsmitteln und Informationen hat sich in wie negativer Art, im politischen Prozess. Eine Beson- Subsahara-Afrika insgesamt verbessert. Ob sich die derheit in Subsahara-Afrika liegt darin, dass – anders Bedeutung afrikanischer Wahlen dadurch verändert als etwa beim »Arabischen Frühling« – der Impuls für hat oder doch eher Stagnation bzw. Rückschläge die Reformen der 1990er Jahre vor allem von den glo- überwiegen, ist für internationale Akteure äußerst relevant. Denn Wahlen bleiben ein wichtiger Bestand- 12 Der Untersuchungszeitraum endet Mitte 2012, da diese teil des liberalen Friedensmodells; sie geben auch Auf- Studie im Sommer/Herbst 2012 angefertigt wurde. Einige schluss darüber, wo Bemühungen in den Bereichen Aspekte der Wahlen von 2010 und 2011 werden auch in Peacebuilding und Demokratieförderung in Afrika an- folgender Kurzanalyse behandelt: Judith Vorrath, Afrikanische setzen sollten. Entwicklungen: Politische Trends der jüngsten Wahlen in Subsahara- Afrika, Bonn: Deutsches Institut für Entwicklungspolitik, 2011 (Analysen & Stellungnahmen 18/2011). 13 Die erste und zweite Runde einer Präsidentschafts- oder Kontinuität und Umbrüche Parlamentswahl zählen dabei als eine Wahl, während Präsi- dentschafts- und Parlamentswahlen am selben Tag als zwei Die regelmäßige Durchführung von Wahlen in Afrika Wahlen gelten. Die folgenden Angaben zu Wahlen, etwa hin- gilt mittlerweile fast als Normalfall. Tatsächlich fan- sichtlich ihrer Kontinuität, beziehen sich immer ausschließ- lich auf jene Art von Wahl, die während des Untersuchungs- den 27 der 46 untersuchten Wahlen seit 2010 zum zeitraums in einem Land stattgefunden hat. Demnach bezie- dritten Mal oder häufiger in Folge statt, darunter 14 hen sich beispielsweise Angaben zu Gabun nur auf Parla- Präsidentschafts- und 13 Parlamentswahlen. Dies ist ments-, nicht auf Präsidentschaftswahlen, da Letztere dort keineswegs selbstverständlich. Auf die ersten post- zwischen 2010 und 2012 nicht abgehalten wurden. kolonialen Wahlen der 1960er und 1970er Jahre folg- 14 Diese Erkenntnisse sind zwar nicht generalisierbar; an- gesichts der Vielzahl an analysierten Wahlen kann aber eine gewisse Relevanz für das übrige Subsahara-Afrika angenom- 15 Michael Bratton, Anchoring the D-word in Africa, Oktober men werden. 2010 (Afrobarometer Working Paper Nr. 122), S. 2. SWP Berlin Wahlen in Subsahara-Afrika April 2013 9
Trends und Entwicklungslinien afrikanischer Wahlen 2010–2012 Tabelle 1: Beständigkeit von Wahlen in Ländern mit Wahlen zwischen 2010 und Mitte 2012 Länder (Art der Wahlen) Anzahl Wahlen seit letztem Umbruch 1 2 3 oder mehr Äthiopien (Parl.) x Benin (Präs.) (Parl.) x Burkina Faso (Präs.) x Burundi (Präs.) (Parl.) x Dschibuti (Präs.) x Elfenbeinküste (Präs.) (Parl.) x Gabun (Parl.) x Gambia (Präs.) (Parl.) x Guinea (Präs.) x Kamerun (Präs.) x Kapverden (Parl.) (Präs.) x Komoren (Präs.)a x DR Kongo (Präs./Parl.) x Lesotho (Parl.) x Liberia (Präs./Parl.) x Mauritius (Parl.) x Niger (Präs./Parl.) x Nigeria (Präs.) (Parl.) x Ruanda (Präs.) x Sambia (Präs./Parl.) x São Tomé und Príncipe (Parl.) (Präs.) x Senegal (Präs.) x Seychellen (Präs.) (Parl.) x Sudan (Präs./Parl.) x Tansania (Präs./Parl.) x Togo (Präs.) x Tschad (Parl.) (Präs.) x Uganda (Präs./Parl.) x Zentralafrikanische Republik (Präs./Parl.) x a Nach einer widerrechtlichen Wahl auf einer der Inseln, die zu den Komoren gehören, kam es 2007 zu einer politischen Krise, der eine durch die AU unterstützte Militärintervention folgte. Dies wird hier aber nicht als Regimebruch gewertet, da die Krise einen separatistischen Charakter hatte und die Verfassung der Union der Komoren dadurch nicht gänzlich außer Kraft gesetzt wurde. Quellen: African Elections Database, ; IFES Election Guide, ; EISA Election Calendar 2010–2011, . SWP Berlin Wahlen in Subsahara-Afrika April 2013 10
Kontinuität und Umbrüche ten in vielen afrikanischen Staaten Einparteiensyste- Grundsätzlich gilt der Kollaps eines Regimes, das me oder Militärdiktaturen. Auch seit dem Wandel in heißt ein Bruch mit der bestehenden verfassungs- den 1990er Jahren gab es immer wieder Rückschläge, mäßigen Ordnung etwa durch einen Militärputsch, vor allem in Form von Bürgerkriegen oder Militär- in Afrika nach drei aufeinanderfolgenden Wahlzyklen putschen. In jüngster Zeit wurden geplante Wahlen als sehr unwahrscheinlich. 19 Gemessen daran ist zu mehrfach verschoben, meist aufgrund einer verlän- erwarten, dass unter den 18 Ländern, die mindestens gerten Übergangsphase nach Putschen. In Maureta- zum dritten Mal nacheinander gewählt haben, auch nien liegen die letzten Parlamentswahlen sechs Jahre künftig Kontinuität überwiegen wird. zurück, obwohl nach einem Putsch 2008 schon wieder Die zweiten Wahlen nach einem politischen Bruch Präsidentschaftswahlen stattfanden. Zu mehrfacher werden gemeinhin als besonders wegweisend ange- Verschiebung von Wahlen für das höchste Staatsamt sehen, da hier erstmals die Abwahl eines Amtsinha- und die Legislative kam es auch in Madagaskar, wo bers möglich und gleichzeitig die Gefahr von Gewalt 2010 nach einem Putsch zumindest ein Verfassungs- weiterhin latent ist. 20 Von den Abstimmungen seit referendum abgehalten wurde und Wahlen nun auf 2010 fanden zwölf zum zweiten Mal in Folge statt. Mitte 2013 terminiert sind. In Mali und Guinea-Bissau Unter den betreffenden sieben Ländern sind mit führten neuere Regimebrüche durch Militärputsche Burundi, der DR Kongo und Liberia drei Staaten, in dazu, dass die für 2012 vorgesehenen Präsidentschafts- denen diese Wahlgänge auf bewaffnete Konflikte und wahlen ausfielen. ausgehandelte Friedensverträge folgten. In Ruanda Dennoch ist seit den 1990er Jahren insgesamt ein und Uganda waren es jeweils die zweiten Urnengänge, Rückgang von Bürgerkriegen und Putschen in Afrika nachdem eine neue Verfassung in Kraft getreten war, zu konstatieren. 16 Wahlen sind aus dem politischen mit der ein Mehrparteiensystem zugelassen wurde. Repertoire nicht mehr wegzudenken, ihre Abschaf- Auch wenn in der Zentralafrikanischen Republik (ZAR) fung oder Aussetzung wird in den jeweiligen Gesell- und in Togo bereits früher mehrfach Wahlen hinter- schaften wie auch von externen Akteuren kaum noch einander stattgefunden hatten, waren dies dort eben- hingenommen. Schon Ende der 1990er Jahre war fest- falls erst die zweiten Abstimmungen nach einem zustellen, dass sich Militärs in Subsahara-Afrika nach Putsch (ZAR 2003) bzw. einer als verfassungswidrig Putschen meist schnell gezwungen sahen, Wahlen eingestuften Machtübernahme (Togo 2005) 21. Grund- abzuhalten und wieder eine (zumindest formal) zivile sätzlich zeigt sich in diesen Staaten nach teilweise Regierung einzusetzen. 17 Die Akzeptanz von Regime- massiven Umwälzungen eine gewisse Festigung durch brüchen in Afrika hat sich seither weiter verringert – die Anschlusswahlen, besonders da ihnen in keinem unter anderem wohl durch Reaktionen der Afrikani- Fall ein Zusammenbruch der verfassungsmäßigen schen Union (AU), die seit 2004 immer wieder verfas- Ordnung folgte. sungswidrige Regierungswechsel geächtet und sank- Die verbleibenden sieben Wahlen des Untersu- tioniert hat. chungszeitraums wurden entweder nach Friedens- Eine ununterbrochene Abfolge von Wahlen ist aus verträgen (Elfenbeinküste und Sudan) 22 oder nach zwei Gründen relevant. Erstens signalisiert sie politi- 19 Ebd., S. 3. sche Beständigkeit, zumindest insofern, als Rückfälle 20 Lars-Erik Cederman/Kristian Skrede Gleditsch/Simon in autoritäre Regime unterbleiben, die die Machtfrage Hug, »Elections and Ethnic Civil War«, in: Comparative Political mit Gewalt oder anderen nicht formalisierten und Studies, 46 (2013) 3, S. 1–31 (5, 22). nicht partizipativen Methoden regeln. Zweitens ver- 21 Nach dem Tod von Präsident Gnassingbé Eyadéma wurde ändern wiederholte Wahlen die Anreize für die betei- dessen Sohn Faure, gegen die Bestimmungen in der togolesi- ligten Akteure. 18 Daher spielt es eine Rolle, wie lange schen Verfassung, vom Militär als Nachfolger eingesetzt. Auf internationalen Druck – ausgeübt auch von der AU, die dies in einem System schon regelmäßig gewählt wird, un- als Militärputsch einstufte – wurde ein Übergangspräsident abhängig davon, ob dies mit einer demokratischen berufen, bevor im April 2005 Wahlen stattfanden. Konsolidierung einhergeht oder nicht. 22 Zwar wurde 2007 auch im Tschad ein als Friedensvertrag bezeichnetes Abkommen geschlossen, das Regierung, Regie- 16 Scott Straus, »Wars Do End! Challenging Patterns of rungspartei und Opposition ausgehandelt hatten. Es konsti- Political Violence in Sub-Saharan Africa«, in: African Affairs, tuierte jedoch keine neue Ordnung, da die vorgesehenen poli- 111 (2012), S. 179–201. tischen Reformen zum großen Teil nicht umgesetzt wurden. 17 Vgl. Bratton, »Second Elections in Africa« [wie Fn. 4], S. 58. Siehe Delphine Djiraibe, Chad’s 2007 Peace Agreement Plagued by 18 Vgl. Lindberg, Democracy and Elections in Africa [wie Fn. 11], Poor Implementation, Washington, D.C.: United States Institute S. 5. of Peace, Dezember 2010 (Peace Brief Nr. 69). SWP Berlin Wahlen in Subsahara-Afrika April 2013 11
Trends und Entwicklungslinien afrikanischer Wahlen 2010–2012 Militärputschen (Guinea und Niger) erstmals durch- Die Qualität der Wahlen geführt. In allen diesen Staaten gab es zuvor schon mehrfach Wahlen. Dies sagt zwar wenig aus über eine An der Qualität von Wahlen offenbart sich, ob sie tat- mögliche Kontinuität in der Zukunft. Die Beispiele sächlich demokratische Substanz haben oder eher unterstreichen allerdings, dass Wahlen fest zum poli- eine Fassade bilden. Die wichtigsten Komponenten tischen Leben in Afrika gehören und von den Eliten sind dabei die Wahlfreiheit für die Bürgerinnen und kaum mehr über einen längeren Zeitraum ausgesetzt Bürger und die Legitimierung staatlicher Herrschaft. 25 werden können. Entsprechend stehen bei der Analyse der afrikani- Grundsätzlich zeigt die Kontinuität von Wahlen, schen Wahlen zwischen 2010 und Mitte 2012 Funk- dass formale Spielregeln über den Zugang zu politi- tionen wie Partizipation und Wettbewerb sowie die scher Macht in Afrika keineswegs irrelevant sind. 23 Sicherung von Legitimität und Verantwortlichkeit Nach dem Tod eines Amtsinhabers etwa werden mitt- (»accountability«) im Fokus. 26 Verschiedene Faktoren lerweile meist nach einer Übergangsphase oder der werden herangezogen, um die Abstimmungen zu be- verbleibenden Amtszeit des Nachfolgers erneut Wah- urteilen – so die Wahlbeteiligung, das Auftreten von len durchgeführt, so zuletzt in Sambia oder Nigeria. Oppositionsboykotten, der Stand der politischen Frei- Das schließt Machtkämpfe vor und nach den jeweili- heitsrechte im Jahr der jeweiligen Wahl, die Macht- gen Abstimmungen nicht aus. Aber ein länger anhal- und Mehrheitsverhältnisse nach der Wahl, der Stim- tendes Machtvakuum oder die völlige Destabilisierung menanteil wiedergewählter Amtsinhaber und die des betreffenden Landes werden doch unwahrschein- Akzeptanz der Wahlergebnisse durch die beteiligten licher. Damit wirken wiederholte Wahlen als Stabili- Akteure. 27 Diese Analysefaktoren werden teilweise satoren, unabhängig davon, wie das aktuelle Regime auch für Wahlen vor dem eigentlichen Untersu- einzuordnen ist. chungszeitraum oder alternativ für den Zeitpunkt Eine hohe Kontinuität von Wahlen kann dement- des letzten Machtwechsels erfasst. Denn neben einer sprechend auch mit (semi)autoritären Praktiken und allgemeinen Betrachtung der Wahlen geht es vor einer niedrigen demokratischen Qualität einherge- allem darum, Trends zu identifizieren. hen. Bisweilen wurde deshalb argumentiert, es könne durchaus »gute« Putsche geben, bei denen Militärs eingreifen, um die verfassungsmäßige Ordnung vor Mängel trotz positiver Einzelaspekte dem Zugriff von Politikern zu schützen, die sich mit fragwürdigen Mitteln an die Macht klammern – wie Die Analyse der Wahlen lässt erkennen, dass deren in Niger, wo es 2010 zum Umsturz kam. 24 Dieser Ein- Qualität in vielen Fällen eingeschränkt war. Nur weni- wand ist zwar problematisch, da eine solche Begrün- ge Wahlen fanden unter einer hohen Beteiligung dung den Putschisten mitunter als Vorwand dient und sie lediglich die bestehende Ordnung kippen – 25 Michael Cowen/Liisa Laakso, »Elections and Election in aller Regel ohne eindeutige, transparente Regelun- Studies in Africa«, in: dies. (Hg.), Multi-party Elections in Africa, gen für den politischen Prozess einzuführen. Dennoch Oxford/New York 2002, S. 1–26 (1ff). 26 Vgl. Lindberg, Democracy and Elections in Africa [wie Fn. 11], verdeutlicht das Argument den begrenzten Wert von S. 2. regelmäßigen Wahlen, solange deren demokratische 27 Dies sind gängige Faktoren aus der einschlägigen Litera- Qualität nicht berücksichtigt wird. tur zu Wahlen in Afrika (siehe u.a. Lindberg, Democracy and Elections in Africa [wie Fn. 11], und Bratton, »Second Elections in Africa« [wie Fn. 4]). Beurteilungen durch internationale Wahlbeobachtungsmissionen werden hier nicht miteinbezo- gen. Dies hat zum einen technische Gründe, da die Einschät- zungen unterschiedlicher Organisationen wie der Afrikani- schen Union, der EU oder des amerikanischen Carter Center schwer vergleichbar sind. Denn letztlich gibt es keine all- gemeine Festlegung, was Begriffe wie etwa »frei und fair« bedeuten. Zudem wird gerade bei Wahlen in Afrika immer wieder betont, dass Manipulationen oftmals nicht am Ab- 23 Vgl. Posner/Young, »The Institutionalization of Political stimmungstag selbst stattfinden, wenn die meisten Beobach- Power« [wie Fn. 10], S. 126ff. ter im Land sind, sondern bereits lange im Vorfeld. Kennedy 24 Arthur A. Goldsmith, »Ballots, Bullets, and the Bottom Ochieng’ Opalo, »African Elections: Two Divergent Trends«, Billion«, in: Journal of Democracy, 23 (2012) 2, S. 119–132 (123). in: Journal of Democracy, 23 (2012) 3, S. 80–93 (81). SWP Berlin Wahlen in Subsahara-Afrika April 2013 12
Die Qualität der Wahlen (60 Prozent plus) und ohne Oppositionsboykott in (64,1 Prozent). 33 Gegen Ende der 1990er Jahre war die einem Kontext mit einem Mindestmaß an politischen Wahlbeteiligung bei den zweiten Urnengängen nach Freiheiten statt. Neben Benin und Liberia (hier auch Entstehen des jeweiligen Mehrparteiensystems im nur bei der Parlamentswahl) trifft dies ausschließlich Schnitt deutlich zurückgegangen – auf nur noch rund auf Wahlen in kleinen Inselstaaten zu. 28 Ein ähnliches 55 Prozent. Ein solcher Wählerschwund lässt sich im Bild zeigt sich beim Blick auf den Wahlausgang. Die- Zeitraum von 2010 bis 2012 nicht beobachten. Dies ist ser war in der Mehrzahl der Fälle umstritten und wichtig, denn die Beteiligung gibt einen ersten Auf- führte meist nicht zu einem Machtwechsel. Der über- schluss über den Grad an Wahlfreiheit, da in den ana- wiegende Teil der Länder mit Wahlen seit 2010 hat lysierten Ländern keine Wahlpflicht besteht. Macht präsidentielle und semi-präsidentielle Systeme, 29 nur nur ein geringer Teil der Bevölkerung vom Stimm- in drei Ländern gibt es parlamentarische Systeme recht Gebrauch, wird dies gemeinhin als Zeichen für (Äthiopien, Lesotho 30 und Mauritius). 31 Bei den jüngs- »Wahlen ohne [echte] Wahl« gedeutet. 34 Dementspre- ten Präsidentschaftswahlen gab es in Sambia und chend ist es zumindest bedenklich, dass bei mehr als Senegal sowie einigen kleinen Inselstaaten unum- der Hälfte der letzten Präsidentschafts- und Parla- strittene Machtwechsel. In der Elfenbeinküste wurde mentswahlen die Beteiligung gegenüber den vorheri- der amtierende Präsident abgewählt, verweigerte je- gen Wahlen abgenommen hat. Besonders auffällig ist doch die Machtübergabe und verursachte so eine der Rückgang um mehr als 10 Prozentpunkte in einer politische Krise mit massiven Gewaltausbrüchen. Die Reihe von Staaten, darunter Kamerun, ZAR, DR Kongo, große Mehrzahl der anderen Amtsinhaber wurde be- Senegal, Tansania und Uganda bei Präsidentschafts- stätigt – fast immer durch umstrittene Wahlen und wahlen sowie ebenfalls DR Kongo und Tansania sowie in vielen Fällen mit einem sehr hohen Stimmenanteil Gambia und die Seychellen bei Parlamentswahlen. im ersten Wahlgang. Nimmt man all diese Faktoren Einen Oppositionsboykott, der die Wahlfreiheit redu- zusammen, bleibt ein sehr kleiner Sockel an Ländern, ziert und zur Wähler-Apathie führen kann, gab es bei denen es klare Anzeichen für einen durchgehend dabei nur in Gambia und auf den Seychellen. In den hohen Grad an demokratischer Qualität bei den letz- meisten Ländern waren dagegen die politischen Frei- ten Wahlen gab. Damit ist die Frage nach den Folgen heitsrechte deutlich eingeschränkt, so dass die Wahl- von defizitären Wahlen in Subsahara-Afrika weiterhin freiheit zwar nominell gegeben, aber real begrenzt äußerst relevant. Gleichzeitig zeigt der Blick auf ein- war. 35 zelne Analysefaktoren aber auch positive Aspekte. Wahlboykotte waren insgesamt seltener und traten Insgesamt sind afrikanische Bürgerinnen und Bür- bei 12 der 46 Abstimmungen auf. Dies war vor allem ger des Wählens nicht müde. Bei den hier untersuch- dort der Fall, wo noch keine Kontinuität von Wahlen ten Wahlen lag die Beteiligung durchschnittlich bei bestand und politische Freiheitsrechte zunehmend etwa 63 Prozent. 32 Dies ist ein relativ hoher Wert, eingeschränkt wurden. Grundsätzlich drückt ein sol- der in etwa dem Durchschnitt der neu eingeführten cher Boykott aus, dass sich die jeweilige Opposition als Wahlen in Afrika zwischen 1989 und 1997 entspricht weitgehend chancenlos sieht. Dabei kann es tatsäch- lich zutreffen, dass der Wahlprozess unter mangeln- 28 Kapverden, Komoren, Mauritius, São Tomé und Príncipe der Fairness leidet oder manipuliert wird. Möglicher- sowie die Seychellen. 29 Zu den Ländern mit semi-präsidentiellen Systemen wer- weise ist der Vorwurf fehlender Chancengleichheit den in der Regel Burkina Faso, die Kapverden, DR Kongo, aber auch weitgehend vorgeschoben – etwa dann, Niger, São Tomé und Príncipe sowie Senegal gezählt. Aller- wenn die Herausforderer ihre Niederlage antizipie- dings ist der Einfluss des Präsidenten in manchen dieser ren. 36 Betrachtet man bei den Staaten mit Oppositions- Staaten größer als in einigen Ländern mit präsidentiellen Systemen, was die Problematik einer solchen Kategorisierung verdeutlicht. Insgesamt zeichnen sich auch die hier einbezo- 33 Vgl. Bratton, »Second Elections in Africa« [wie Fn. 4], S. 63f. genen semi-präsidentiellen Systeme durch eine sehr starke 34 Vgl. Cowen/Laakso, »Elections and Election Studies in Position des Präsidenten aus. Africa« [wie Fn. 25], S. 14. 30 Lesotho ist dabei keine Republik, sondern eine parlamen- 35 Der Stand politischer Freiheitsrechte wird durch die je- tarische Monarchie. weiligen Länderwerte im Freedom House Index abgebildet, 31 Dies entspricht der generellen Dominanz von Systemen . 1 gilt dabei als bester, 7 als schlechtester Wert. 32 Dieser Wert bezieht sich auf die 41 Wahlen, für die Ein Ranking über dem Mittelwert von 4 wird hier als deutli- Angaben zur Wahlbeteiligung vorliegen. Die Summe aller che Einschränkung ausgelegt. Werte wurde durch die Anzahl der Wahlen geteilt. 36 Bratton, »Second Elections in Africa« [wie Fn. 4], S. 53. SWP Berlin Wahlen in Subsahara-Afrika April 2013 13
Trends und Entwicklungslinien afrikanischer Wahlen 2010–2012 boykott den Stand politischer Freiheitsrechte im jewei- – ähnlich wie Oppositionsboykotte – bedeuten für ligen Wahljahr, so zeigt sich, dass die Länder tatsäch- Wahlen gemeinhin einen Legitimierungsverlust. 39 lich allesamt sehr schlechte Werte (zwischen 5 und 7) Dass Resultate so oft bestritten werden, mag darauf aufweisen, mit Ausnahme von Liberia (3,5) und den zurückzuführen sein, dass offener Protest direkt vor Seychellen (3). In Liberia wurde die Stimmverweige- oder nach Ergebnisverkündung für die Opposition rung mit der absehbaren Chancenlosigkeit des Heraus- weniger kostspielig ist als ein Wahlboykott. Anderer- forderers erklärt und von verschiedenen Seiten als un- seits manifestiert der Wahlausgang oftmals die Vor- gerechtfertigt kritisiert. 37 Der Boykott der Parlaments- machtstellung des Amtsinhabers und der Regierungs- wahl auf den Seychellen wiederum war eine Reaktion partei. Hoffnungen auf einen Politik- oder Führungs- des zuvor unterlegenen Präsidentschaftskandidaten, wechsel, wie sie vor den Wahlen – zu Recht oder nicht die in seiner eigenen Partei umstritten war und zu – bestanden haben mögen, werden dadurch zunichte- deren Spaltung führte. 38 In den übrigen Fällen gemacht. bestand jedenfalls ein unausgeglichenes politisches Diese Konstellation findet sich bei den untersuch- Spielfeld, auf dem sich Opposition wie Zivilgesell- ten Wahlen besonders häufig, da es in Afrika weiter- schaft verschiedenen Einschränkungen, teils auch hin selten ist, dass Amtsinhaber abgewählt werden. massiven Repressalien ausgesetzt sahen. Ein Blick auf die Ergebnisse zeigt, dass bei 25 Präsi- Dass in anderen Ländern mit stark beschnittenen dentschaftswahlen achtmal ein Wechsel an der Staats- Freiheitsrechten kein Wahlboykott stattfand, kann spitze stattfand, während in 17 Fällen die Macht in damit zu tun haben, dass eine solche Absage opposi- denselben Händen blieb. 40 Dabei kamen die wenigsten tionelle Kandidaten und Parteien für längere Zeit vom Wechsel durch Abwahl des Amtsinhabers zustande. institutionalisierten Politikbetrieb ausschließt und Auf den Kapverden und São Tomé und Príncipe konn- ihre Aktionsbasis oftmals weiter verringert. So ent- ten die bisherigen Präsidenten aufgrund einer verfas- schloss sich die stärkste Oppositionspartei in der DR sungsmäßigen Begrenzung der Amtszeit gar nicht Kongo nach einem Boykott 2006 zur Teilnahme an mehr antreten. Auf den Komoren war es die Rotation den letzten Wahlen 2011 – trotz eines sehr ungleichen der Präsidentschaft zwischen den verschiedenen politischen Spielfelds. In anderen Fällen haben Regie- Inseln der Union, die den Wechsel bewirkte. In Guinea rung und Regierungspartei den politischen Raum so und Niger stand der personelle Neuanfang ebenfalls fest im Griff, dass kritische Parteien oder Kandidaten schon vor der Abstimmung fest, da diese die Rückkehr schon im Vorfeld weitgehend ausgeschlossen werden. zu einer zivilen Regierung markierte und die bishe- Daher können sie den Wahlgang auch nicht mehr rigen Militärmachthaber nicht zur Wahl standen. offiziell boykottieren, wie etwa in Ruanda. Es ist also Somit haben lediglich die Wahlen in der Elfenbein- nicht unbedingt ein Indiz für Wahlfreiheit, wenn Boy- küste, im Senegal und in Sambia direkt einen Macht- kotte ausbleiben. Wo sie stattfanden, war aber meist wechsel herbeigeführt. In der Elfenbeinküste musste eine Verschlechterung bei den politischen Freiheits- er allerdings militärisch unter Beteiligung externer rechten seit der vorherigen Wahl bzw. dem letzten Akteure durchgesetzt werden. 41 Dagegen verlief Machtwechsel auszumachen. der personelle Übergang in Sambia und im Senegal Besonders problematisch ist das Bild bei der Akzep- reibungslos, was im Vorfeld keineswegs als sicher tanz der Wahlausgänge. Denn die Zahl umstrittener gegolten hatte. Die Wahlverlierer akzeptierten ihre Ergebnisse ist weitaus höher als die von Boykotten. In Niederlage unumwunden, wodurch beide Länder zum diesen Fällen kam es nach Bekanntgabe der Resultate zu Manipulationsvorwürfen der Wahlverlierer und 39 Crawford Young, »The Third Wave of Democratization in teilweise auch zu Protesten (umstritten) oder sogar zu Africa: Ambiguities and Contradictions«, in: Richard Joseph (Hg.), State, Conflict, and Democracy in Africa, Boulder/London massiven Demonstrationen mit gewaltsamen Konfron- 1999, S. 15–38 (26). tationen (äußerst umstritten). Kontroverse Ergebnisse 40 Darunter ist mit Ellen Johnson Sirleaf in Liberia auch die einzige Frau, die (wieder) ins Präsidentenamt gewählt wurde. 37 »Liberia’s President Wins Boycotted Runoff Vote«, in: 41 UN-Blauhelme, unterstützt von Frankreich, gingen gegen The New York Times, 10.11.2011, (eingesehen am 5.10.2012). d’Ivoire: The Challenge of Conflict Prevention«, in: Spotlight, 38 »Seychelles Votes in Parliamentary Poll after Rivals Stimson, 4.4.2011, (eingesehen am 5.10.2012). (eingesehen am 6.10.2012). SWP Berlin Wahlen in Subsahara-Afrika April 2013 14
Die Qualität der Wahlen Tabelle 2 Wahlausgang und Akzeptanz der Wahlergebnisse 2010 bis Mitte 2012 unumstritten umstritten äußerst umstritten kein Macht- / Kapverden (Parl.) Äthiopien (Parl.) DR Kongo (Präs.) Mehrheitswechsel Mauritius (Parl.) Benin (Präs.) Nigeria (Präs.) Burkina Faso (Präs.) Togo (Präs.) Burundi (Präs.) Burundi (Parl.) DR Kongo (Parl.) Dschibuti (Präs.) Gabun (Parl.) Gambia (Präs.) Gambia (Parl.) Kamerun (Präs.) Liberia (Präs.) Nigeria (Parl.) Ruanda (Präs.) Seychellen (Präs.) Seychellen (Parl.) Sudan (Präs.) Sudan (Parl.) Tansania (Parl.) Tansania (Präs.) Tschad (Parl.) Tschad (Präs.) Uganda (Präs.) Uganda (Parl.) ZAR (Präs.) ZAR (Parl.) Macht-/Mehrheitswechsel Benin (Parl.) Elfenbeinküste (Parl.) Elfenbeinküste (Präs.) Kapverden (Präs.) Komoren (Präs.) Guinea (Präs.) Lesotho (Parl.) Liberia (Parl.) Niger (Präs.) Niger (Parl.) Sambia (Parl.) Sambia (Präs.) São Tomé und Príncipe (Parl.) São Tomé und Príncipe (Präs.) Senegal (Präs.) Die Tabelle listet nur die jeweils entscheidende Wahlrunde auf. Bei Parlamentswahlen werden lediglich die Ergebnisse für gewählte Sitze berücksichtigt, nicht für kooptierte, die beispielsweise der Erfüllung von festgelegten Quoten dienen. Quellen: African Elections Database, ; International Institute for Democracy and Electoral Assistance (IDEA), ; verschiedene Nachrichtenquellen aus LexisNexis und Factiva. SWP Berlin Wahlen in Subsahara-Afrika April 2013 15
Trends und Entwicklungslinien afrikanischer Wahlen 2010–2012 zweiten Mal einen friedlichen Machtwechsel durch oftmals auch die Legislative. Umgekehrt gilt eine star- Wahlen vollzogen. 42 ke Präsenz der Opposition im Parlament als Schlüssel Positiv hervorzuheben ist, dass von den relativ zu einer demokratisierenden Wirkung von Wahlen. 44 wenigen Macht- und Mehrheitswechseln, die stattfan- Bei den 21 Parlamentswahlen des Untersuchungszeit- den, die meisten unumstritten waren. Auch wenn die raums kam es in sieben Fällen vor, dass die einfache meisten Wechsel nicht allein durch den Wahlakt be- Mehrheit der Sitze zu einer anderen Partei oder Par- wirkt wurden, ist es keine Selbstverständlichkeit, dass teienkoalition wechselte. Doch auch hier lohnt sich Regeln wie begrenzte Amtszeiten beachtet werden ein genauerer Blick, denn nur in Sambia sowie São oder Militärregime die Macht an eine gewählte zivile Tomé und Príncipe fiel diese Veränderung wirklich Regierung übergeben. Zudem war nur eine relativ zugunsten der Opposition aus. In der Elfenbeinküste kleine Zahl von Wahlen äußerst umstritten, das heißt und in Niger waren die Parlamentswahlen schlicht in den meisten Fällen blieben Dispute eher kurzlebig die ersten nach einer Zäsur durch Putsch oder Bürger- und eskalierten nicht. Die Opposition nutzte bei um- krieg. In Benin und Liberia erlangten die Regierungs- strittenen Wahlergebnissen häufig den Weg des for- parteien eine Mehrheit der Sitze, die sie zuvor nicht malen Einspruchs und ließ das Ergebnis etwa durch gehabt hatten. Dagegen konnte in Lesotho eine Koali- den jeweiligen Obersten Gerichtshof prüfen – was die tion verschiedener Oppositionsparteien einen Regie- Auseinandersetzungen freilich nicht in allen Fällen rungswechsel herbeiführen, obwohl die bisherige beendete. Regierungspartei weiterhin die meisten Sitze im Par- Dass einer Wahl kein Machtwechsel folgt, bedeutet lament hält. naturgemäß nicht automatisch eine mangelnde Qua- Insgesamt zeigt die Analyse der afrikanischen Wah- lität des Abstimmungsprozesses. Allerdings waren fast len positive Einzelaspekte – wie eine relativ hohe alle Präsidentschaftswahlen mit solchem Ausgang Wahlbeteiligung, einige unumstrittene Macht- und umstritten oder sogar äußerst umstritten. Zudem ver- Mehrheitswechsel sowie die geringe Zahl an äußerst buchte die Mehrzahl der wiedergewählten Amtsinha- umstrittenen Ergebnissen. Dennoch bleibt das Gesamt- ber einen sehr hohen Stimmenanteil im ersten Wahl- bild durchwachsen, denn in den meisten Fällen waren gang. 43 Besonders auffällig waren die Ergebnisse in deutliche Abstriche bei der Qualität der Wahlen zu Ruanda (93,1 Prozent), Burundi (91,6 Prozent), Tschad verzeichnen. Nur relativ wenige Länder haben Wahlen (83,6 Prozent), Dschibuti (80,6 Prozent), Burkina Faso abgehalten, die unter allen einschlägigen Gesichts- (80,2 Prozent), Kamerun (78 Prozent) und Gambia punkten positiv bewertet werden können. Dies sagt (71,5 Prozent). In Burundi, Tschad und Dschibuti ist aber noch nichts darüber aus, welche Trends es bei zu berücksichtigen, dass die Opposition die Wahlen Wahlen in Afrika gibt. Auch wenn viele davon nach boykottierte; keinen Boykott gab es dagegen in Staaten wie vor Mängel aufweisen, sind sie deshalb nicht wie Sudan, Tansania, Uganda oder der ZAR. Doch auch unbedingt negativ einzustufen. Vielmehr muss zwi- hier erzielten die amtierenden Präsidenten mit über schen verschiedenen Tendenzen bei der Qualität von 60 Prozent im ersten Wahlgang ein sehr hohes Ergeb- Wahlen unterschieden werden. nis. Derartige Resultate deuten auf eingeschränkte Wahlfreiheit und eine begrenzte Legitimierungsfunk- tion der Wahlen hin. Unterschiedliche qualitative Trends Ein ähnliches Bild ergibt sich bei den Parlaments- wahlen. In den Präsidialsystemen, wie sie für Afrika Wahlen sind nie einfach nur eine »leere Hülle«. Auch charakteristisch sind, dominiert die Regierungspartei wenn sie qualitative Mängel haben, erfüllen sie be- stimmte Funktionen. Die Frage ist, ob in Afrika der Trend eher zu Wahlen als Herrschaftsabsicherung 42 Mit einer solchen Abfolge hat ein Land den von Samuel P. Huntington als Maßstab angelegten »two turnover test« be- (semi)autoritärer Machthaber geht – oder ob Wahlen standen. Samuel P. Huntington, The Third Wave: Democratization eher zu einer besseren Kontrolle und Legitimität von in the Late Twentieth Century, Oklahoma 1993. Herrschaft beitragen. Grundsätzlich wurde politische 43 Zweite Wahlgänge, also Stichwahlen, werden hier nicht Legitimität in Afrika oftmals entlang klientelistischer berücksichtigt, da der Wettbewerb in diesen Fällen auf zwei Strukturen hergestellt, in denen Verantwortlichkeit Kandidaten beschränkt ist. Allerdings traten bei zweiten Wahlgängen ohnehin keine auffällig hohen Stimmenanteile auf den Beziehungen zwischen Patron – der auch als auf, mit Ausnahme der Präsidentschaftswahlen in Liberia, wo der Herausforderer die Stichwahl boykottierte. 44 Ochieng’ Opalo, »African Elections« [wie Fn. 27], S. 82. SWP Berlin Wahlen in Subsahara-Afrika April 2013 16
Die Qualität der Wahlen »Big Man« 45 bezeichnet wird – und Klient basiert. 46 2005 deutlich mehr Sitze gewonnen hatte (der äthio- Häufig wird unterstellt, dass die Politik in vielen afri- pische Premierminister wird vom Parlament gewählt kanischen Staaten weiterhin von »Big Man«-Systemen und hat eine hervorgehobene Stellung neben dem dominiert sei und Wahlen entsprechend instrumenta- vorwiegend repräsentativen Präsidenten). lisiert würden. Zu klären gilt also: Ist eine Abkehr von Wo ein Amtsinhaber mit auffällig hohem Stimmen- dieser Form der Herrschaftsausübung zu erkennen, anteil wiedergewählt wurde, haben sich die politi- oder wird sie durch Wahlen einfach reproduziert? schen Freiheitsrechte fast immer negativ entwickelt 48 Insgesamt zeigen die untersuchten Wahlen positive bzw. verharren seit den vorherigen Wahlen auf nied- wie negative Tendenzen. Zwar ist es nur eine Minder- rigem Niveau. Besonders eklatant zeigt sich dies in heit von Ländern, in denen die Qualität von Wahlen Äthiopien, Dschibuti, Gambia, Kamerun, Ruanda steigt oder sich als anhaltend gut erweist – gegenüber und Tschad – alle diese Länder wurden vom Freedom- jenen Staaten, in denen ein Trend zur qualitativen House-Index im jeweils letzten Wahljahr als »nicht Verschlechterung oder eine Stagnation auf niedrigem frei« eingestuft und wiesen zugleich die höchsten Niveau festzustellen sind. Doch blickt man nur auf die Stimmenanteile der Amtsinhaber auf. Auch in Burun- Länder mit einer höheren Kontinuität an Wahlen, er- di und der ZAR, die noch als »teilweise frei« gelten, weist sich die Bilanz in etwa als ausgeglichen. Zudem besteht dieser Trend, da in beiden Ländern die Frei- wird die Annahme bestätigt, dass ein positiver Trend heitsrechte seit den letzten Wahlen weiter einge- auch dann möglich ist, wenn Defizite beim Ablauf von schränkt wurden. Ähnliches gilt für Uganda, wo der Wahlen auftreten. Anzeichen für klientelistische Herr- Freedom-House-Wert im negativen Bereich verharrt schaft finden sich nach wie vor, aber sie sind unter- und Präsident Yoweri Museveni einen sogar noch schiedlich stark ausgeprägt – und zwar im Wesent- erhöhten Stimmenanteil im ersten Wahlgang erzielte. lichen gemäß den zwei beschriebenen Trends. Dem stehen nicht nur jene Wahlen gegenüber, »Big Man«-Strukturen werden meist mit ausgepräg- in denen Amtsinhaber abgewählt wurden 49 – wie im ten Präsidialsystemen in Verbindung gebracht. Tat- Senegal oder in Sambia –, sondern auch solche, bei sächlich deutet es auf einen eingeschränkten Wettbe- denen der Ausgang deutlich knapper war als zuvor werbscharakter hin, wenn Amtsinhaber häufig wieder- oder der Stimmenanteil für einen wiedergewählten gewählt werden und es dabei nur selten zu knappen Amtsinhaber auf einem moderaten Niveau stagnierte, Ergebnissen kommt. Wichtiger aber ist, wie sich der wie beispielsweise in Liberia, Nigeria und Tansania. Stimmenanteil bestätigter Amtsinhaber gegenüber Nur in Tansania allerdings gab es einen deutlichen den vorherigen Wahlen entwickelt hat. 47 Dort, wo die Rückgang für den amtierenden Präsidenten, von vor- Anteile schon zuvor auffällig hoch waren, blieben sie mals über 80 Prozent auf etwas mehr als 60 Prozent. es vielfach auch bei den jüngsten Wahlen, wenn sie Tatsächlich betonten Beobachter, dass Oppositions- nicht sogar noch weiter stiegen – so am deutlichsten parteien und -kandidaten der ehemaligen Einheits- in Burkina Faso, Kamerun und Ruanda. In Äthiopien partei bei diesen Wahlen erstmals wirklich Konkur- erzielte die Regierung bei der letzten Parlamentswahl renz gemacht hätten. 50 Damit ist deren Dominanz eine erdrückende Mehrheit, nachdem die Opposition nicht gebrochen, doch es deutet sich ein ausgegliche- neres politisches Spielfeld an. 45 Der Begriff »Big Man« kommt ursprünglich aus dem mela- In der Mehrzahl dieser Länder haben sich die Frei- nesischen Zusammenhang und bedeutet, dass die Autorität heitsrechte insgesamt positiv entwickelt. 51 Hier sind einer Person durch ihre persönliche Macht bestimmt wird. Beziehungen zwischen Patron und Klienten basieren dabei 48 Dies bedeutet nicht einfach eine Verschlechterung des auf informellen Netzwerken, die aber durchaus Bestandteile Wertes im Freedom-House-Index, sondern eine Verschiebung von (Fassaden-) Staaten beinhalten können. Mats Utas, »Intro- auf einen Wert über 4. duction: Bigmanity and Network Governance in African Con- 49 Bei keinem Machtwechsel im Präsidentenamt – ob um- flicts«, in: ders. (Hg.), African Conflicts and Informal Power: Big stritten oder unumstritten – wurde der neue Amtsinhaber Men and Networks, London/New York 2012, S. 1–34 (6f). mit einem auffällig hohen Stimmenanteil gewählt. Mit nur 46 Patrick Chabal/Jean-Pascal Daloz, Africa Works: Disorder as einer Ausnahme kamen alle Machtwechsel zudem erst im Political Instrument, The International African Institute, Oxford zweiten Wahlgang zustande. 1999 (African Issues), S. 36ff. 50 Siehe beispielsweise »Tanzania’s Election: The Results Are 47 Die vier Länder, in denen zum ersten Mal Wahlen statt- In«, in: The Economist, 8.11.2010; »Incumbent Wins Spirited fanden (Elfenbeinküste, Guinea, Niger und Sudan) sind Election in Tanzania«, in: The New York Times, 5.11.2010. hier von der Analyse ausgenommen, da es keine Vergleichs- 51 Dies bedeutet einen Aufstieg in den oberen Bereich des werte gibt. Freedom-House-Index oder konstant gute Werte (4 oder besser). SWP Berlin Wahlen in Subsahara-Afrika April 2013 17
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