Kongresse, die wirken - DRG Forum Schweiz - Deutschland 30. & 31. Januar 2020 Zentrum Paul Klee Bern - MediCongress
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Kongresse, die wirken 9. DRG Forum Schweiz - Deutschland 30. & 31. Januar 2020 Zentrum Paul Klee Bern Special 1: clinicum 1-2020 - Sind die fetten Jahre vorbei? www.medicongress.ch
Special 1: DRG Forum Deutschland-Schweiz Das 9. DRG Forum Schweiz-Deutschland von MediCongress begeisterte rundum: Wer überbordet, zahlt eine hohe Zeche Sind die fetten Jahre vorbei? Biblisch sind die sieben fetten und die sieben mageren Jahre. Nach acht Jahren neuer Spitalfinanzierung müssten wir nun schon spürbar in der ungemütlicheren Periode angekommen sein. Auf den ersten Blick scheint dem so zu sein: Zwar sind deutliche Anstrengungen für effizientere Prozesse unverkennbar, aber andererseits verzeichnen etliche Spitäler aller Kategorien dennoch tiefere Erträge, einige erhalten sogar massive Subventionen in Form überhöhter Abgeltungen Gemeinwirtschaftlicher Leistungen. Weiter ist die einheitliche Finanzierung ambulanter und stationärer Spitalleistungen noch nicht unter Dach und Fach. – Zeit also, den Status Quo kritisch zu durchleuchten: Haben die DRGs die nötige Transparenz geschaffen? Dienen sie als Motivation, Angebote kritisch zu hinterfragen? Motivieren sie, neue Struktu- ren und Kooperationen zu bilden? Sind sie das Fundament, auf dem die zahlreichen Neubauten so erstellt werden, dass dabei mehr Wirtschaftlichkeit und Qualität obenaus schwingen oder bestehen da und dort weiterhin Übermut und unrealistische Erwartungen? Letzteres würde ja – undiplomatisch formuliert – einer Veruntreuung anvertrauter Gelder von Prämien- und SteuerzahlerInnen gleich- kommen. – Im 9. DRG Forum gingen ausgewiesene Experten der Sache mit Keynotes, neun Symposien und einem internationalen DRG-Vergleich auf den Grund. Und das gleich fulminant von Beginn weg: ominöse EBITDA-Rate von 10 %, die Berater tal auch zuviel sein, beispielsweise bei faktisch Dr. oec. HSG Willy Oggier, wissenschaftlicher Lei- immer nennen? Vielleicht deshalb, weil damit existierenden Staatsgarantien wie in der Kinder- ter des Forums, sprach ungeschminkt: «An was ein Anpassungsdruck und Beratungsbedarf sug- medizin, für eine Privatklinik mit Shareholder- wird ‹fett› überhaupt gemessen? Ist es diese geriert werden kann? 10 % können je nach Spi- Erwartungen ist es eher zu wenig. Entsteht also Ein voller Saal zeigt eindeutig: Das Thema des 9. DRG Forums fand grossen Anklang. Kommen nun die mageren Jahre? Müssen wir den Gürtel enger schnallen? clinicum 1-20 13
Special 1: DRG Forum Deutschland-Schweiz häuser behandeln aber weit weniger als ein dominierten Regierungen zum Schutz der eige- Drittel der stationären Patienten. Gerade in den nen Spitäler blockiert werden.» Ballungsgebieten könnte man auf diese Einrich- tungen durchaus verzichten. Abgebaut wurden Monistische Finanzierung – sie in der Vergangenheit wenn überhaupt in den der Goldstandard? ländlichen Gebieten. Anders ausgedrückt, in den überversorgten Gebieten blieb alles beim Alten Würde die Abschaffung des dualen Finanzie- und in den unterversorgten Gebieten hat sich rungssystems und die Einführung der Monistik die Versorgungssituation verschlechtert. Mone- einen Weg aus dem Dilemma bedeuten? – täre Aspekte haben die Oberhand über Versor- Oggier mahnt mit Blick zu deutschen Erfahrun- gungsgesichtspunkte gewonnen», schrieben gen zur Vorsicht, denn gerade die monistische Stefan Wöhrmann und Agnes Kübler in f&w , Nr. Finanzierungsform führte dort Mitte der 1960er 11/2019 – da hätten die zahlreich erschienenen Jahre landesweit zu Versorgungsengpässen und ForumsbesucherInnen beinahe meinen können, wachsenden Defiziten der Krankenhäuser durch die Rede sei von der Schweiz. die Unterfinanzierung seitens der Krankenkas- sen und bereitete den politisch Verantwortlichen Woran Dr. Willy Oggier keinen Zweifel liess: «In beträchtliche Kopfschmerzen. Daher wurde der Schweiz geschieht das Gleiche! Regionale 1972 zur dualen Finanzierung gewechselt. Hier Versorgung wird in der Akutmedizin gerade dort sei es aber umso notwendiger, dass die Bundes- abgebaut, wo auch die künftigen Ärztemängel länder nach Jahren der sinkenden Investitions- am stärksten sein dürften. Statt Zentrumsspitä- tätigkeit ihre Verantwortung wahrnehmen. Aktu- ler zurechtzustutzen, werden diese zu kleinen ell bestehe ein massiver Nachholbedarf. Universitätsspitälern ausgebaut (Aarau, Luzern, St. Gallen). Dabei haben wir heute schon zu vie- Wollen wir also die Monistik in der Schweiz trotz- le davon. Rehabilitation auf dem Land droht das dem einführen? Wenn diese Frage mit Ja beant- gleiche Unheil, verbunden mit dem zusätzlichen wortet würde, «wie garantieren wir dann, dass Handicap oft sehr aufwändiger, bürokratischer es nicht zu ähnlichen Entwicklungen wie in Kostengutsprachen.» So sei den Autoren Wöhr- Deutschland kommt? Und wenn es nicht dazu mann und Kübler nur beizupflichten, wenn sie kommt: Wie garantieren wir, dass die Kantone ausführen: «Der Wandel muss in den überver- ihre Spitäler nicht via Hintertür über Art. 49 Abs. sorgten Ballungsgebieten beginnen. In den 3 KVG (GWL) dual finanzieren?» Vordringlich sei unterversorgten Gebieten müssen Umwid- hier Transparenz zu schaffen. Oggier: «Warum mungsprozesse konsequent über die Sektoren- wenden wir bei Art. 49 Abs. 3 nicht eine Beweis- Die Sünden und Sünder beim Namen genannt: grenzen hinweg auf den Weg gebracht werden. Gesundheitsökonom Dr. oec. HSG Willy Oggier Sicherstellungsaufträge gilt es daher künftig spricht Klartext. nicht allein an Sektoren, sondern immer mehr auch an Regionen auszurichten.» Anpassungsdruck durchs KVG oder VVG? Sind Der Bundesrat muss beim KVG handeln es die teilweise stagnierenden Einnahmen oder die zu hohen Ausgaben?» Und hier legte der Gesundheitsökonom den Finger in eine zünftige Wunde: «Echte interkan- Bevor ein Urteil gefällt werden könne, gelte es zu tonale Spitalplanungen und Spitallisten-Erstel- sortieren und nicht Kraut und Rüben zu verglei- lungen sind eben gerade bei uns inexistent. Der chen. Verzerrend wirke immer noch die Vermi- von verschiedenen Kantonen mit tiefen Base- schung kantonaler Rollen als Regulator und Eig- rates – und hintendurch wieder durch GWL ner. Ein weiteres Indiz für Renditeunterschiede aufgebesserte – Heimatschutz führt zu Wett- liege auch in der uneinheitlichen Rehabilitations- bewerbsverzerrungen. Dasselbe gilt für unter- definition und Bevorzugung von low level-Anbie- schiedliche Fallzahlen und unterschiedliche tern vorwiegend in der Westschweiz – Zeichen Leistungsauftrags-Definitionen. Es besteht einer jahrzehntelangen Führung des EDI durch Handlungsbedarf: Der Bundesrat sollte endlich welsche Bundesräte? zur Durchsetzung des KVG eingreifen!» Überversorgung in den Städten, Mangel Oggier fordert unmissverständlich mehr Phan- auf dem Land tasie für eine künftige Spitallandschaft: «Träger- übergreifende Fusionen sind in der Schweiz fast Blicken wir über die Grenze: In Deutschland, wo inexistent. Die wenn überhaupt vorhandenen die DRGs schon länger gelten, ist auffällig, «dass Kooperationen sind lose. Und was sehr stört, ist, etwa zwei Drittel der Krankenhäuser weniger dass Public Private Partnership-Projekte wie als 300 Betten haben. Diese kleinen Kranken- Swiss Medical Network und Flawil von bürgerlich 14 clinicum 1-20
Special 1: DRG Forum Deutschland-Schweiz last-Umkehr für Kliniken wie in Deutschland an? Die Erträge sind jedoch bescheiden: So weisen Oder eine öffentliche Ausschreibung?» die 30 grössten Krankenhausverbünde seit Jah- ren kumulierte Defizite von 130 bis 150 Mio. Euro Bezüglich der Bildung zukunftsgerichteter Ver- auf. Noch bedrohlicher ist die Lage bei den Uni- sorgungsstrukturen wertet er die Tatsache posi- kliniken. Sie gehen nach Expertenschätzung bis tiv, dass in der Schweiz die intersektorale Tren- 2025 auf eine Finanzierungslücke für Moderni- nung nicht so gross ist wie in Deutschland. sierungen und Sanierung von 12 Mrd. Euro zu. Darauf wäre aufzubauen: «Trotzdem fehlen Statt 32 Mrd. stehen höchst wahrscheinlich bloss fluide Spital-Konzepte nach wie vor. Wie schaffen 20 Mrd. Euro zur Verfügung. wir mehr Flexibilität in neuen Spitalplanungs- prozessen? Wie schaffen wir veränderte finan- Sorge zum Gesundheitswesen zu tragen, lohne zielle Anreize? Warum machen die Tarifpartner sich, ist der Referent überzeugt, weil es eine der nicht schneller vorwärts, gerade auch im VVG? bedeutendsten Branchen ist. Nicht weniger als Geht es ihnen (noch) zu gut? Sind sie zu fett?» 5.7 Mio. Menschen finden hier in Deutschland Arbeit, die gesamten Gesundheitsausgaben Massive strukturelle Verzerrungen belaufen sich auf 376 Mrd. Euro – im Vergleich in Deutschland zur immer wieder als wichtigstem Zweig geprie- senen Automobilindustrie («nur» 800 000 Beschäf- Einmal mehr zeigt sich am DRG Forum, wie ein tigte bei 450 Mrd. Euro Umsatz) sieht das hervor- Vergleich der beiden DRG-Länder Schweiz und ragend aus. Deutschland höchst spannend ist: Prof. Dr. Eckhard Nagel, Institut für Medizinmanagement Bedrohliches zeichnet sind indes für die Kran- und Gesundheitswissenschaften der Universität kenversicherer ab. 57 % aller Kosten tragen hier Bayreuth, präsentiert die aktuelle Situation: «Die die gesetzlichen Kassen. Für sie, die heute im Anzahl der Kliniken verzeichnet einen deutlichen Schnitt 15.7 % Lohnbeiträge verlangen, müsste Rückgang, insbesondere bei der Anzahl der Bet- aufgrund verschiedener Prognosen ab 2050 25.3 ten. Dies betrifft sowohl staatliche, gemeinnüt- bis 32.1 % kalkuliert werden, beinahe schon zige sowie auch private Einrichtungen. Gleich- astronomische Werte. Nicht minder inflationär zeitig sind die Kosten deutscher Krankenhäuser zeigen sich die Regulierungen. Hier machte 2015 stark angestiegen.» In unserm Nachbarland das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz das Dut- bestehen 1942 Spitäler. Sie versorgten 2019 zend neuer Regelungen seit 1992 voll. Die Ouver- 19.4 Mio. Patienten und erzeugten Kosten von türe zu einer regelrechten Regulierungsflut 105.7 Mrd. Euro. machte damals das Gesundheitsstrukturgesetz. Prof. Dr. Eckhard Nagel geht auf die deutschen DRGs ein, die einen grossen Investitionsstau ausgelöst haben. Effizienz gesteigert – aber die Zukunft bleibt düster Trotz dieser Entwicklung gelang es den Leis- tungserbringern in den zurückliegenden Jah- ren, mittels Rationalisierungsmassnahmen ihre Abläufe zu verändern. Überall dort, wo dies zu einer effektiveren und effizienteren sowie einer qualitativ besseren Versorgung für den Patienten geführt hat, ist das Engagement aller beteiligten Leistungserbringer gross. «Nichtsdestotrotz», so Prof. Nagel, «sehen sich die Heilberufe unverändert einem wachsen- den Kostendruck ausgesetzt und die Frage der Wirtschaftlichkeit wird bisweilen mindestens so intensiv diskutiert wie medizinische Zusam- menhänge. Das bedeutet: Zahnärzte, Apothe- ker und Psychotherapeuten sollen zeigen, dass sich ihre Unternehmungen ‹lohnen› und Chefärzte einzelner Fachabteilungen werden zu Managern konkurrierender sogenannter Profit Center im gleichen Krankenhaus.» clinicum 1-20 15
Special 1: DRG Forum Deutschland-Schweiz Thomas Christen vom BAG, santésuisse-Direktorin Verena Nold und Beatrix Meyer, FMH (v.l.n.r.), sind sich in vielen Punkten einig: Die Swiss DRGs bewähren sich, aber die Behandlungsqualität gehört besser gesteuert. Darf man an der Krankheit leitender Arzt oder Ärztin oder Geschäftsführer setzen eines deutlichen Zuwachses von Studien- anderer verdienen? ein sogenanntes Managergehalt beziehen?» plätzen in der Medizin; gemäss Masterplan 2020 sollen z.B. 2000 neue Studienplätze in Bayern Gewinnstreben in sozialen Berufen ist immer Ein Überschuss z.B. in einer Abteilung eines Spi- entstehen.» Der Wissenschaftler begrüsst etwas Spezielles: Wie weit ist es legitim oder tals, der durch ein günstiges Verhältnis von not- zudem die Einrichtung von Studiengängen für moralisch vertretbar? Wie gross muss die Ren- wendigem Einsatz und vereinbarter Refinanzie- Pflegeberufe, «trotz der Ausbildungsoffensive dite sein, um nötige Investitionen nachhaltig zu rung entstehen kann, dürfe durchaus dazu bleiben es aber eher ‹magere Aussichten›.» finanzieren? – Prof. Nagel: «Es ist nicht nur ver- genutzt werden, weniger rentable Fachgebiete tretbar, sondern sogar zwingend notwendig, querzufinanzieren. Es obliege aber den verant- Was hat die neue Spitalfinanzierung dass Mitarbeitende des Gesundheitssektors wortlichen Akteuren, solche Schieflagen regel- wirklich gebracht? einen adäquaten Lohn verdienen, den sie z.B. mässig anzupassen. Es sei nicht akzeptabel, auch bei vergleichbaren Arbeiten in anderen wenn Mittel von Versicherten zur Kompensation BAG-Vizedirektor Thomas Christen erteilt gute Branchen der Gesellschaft bekämen. Das finanzieller Verpflichtungen – z.B. des Staates Noten: «Bei der umfangreichsten Revision seit Gesundheitswesen konkurriert mit anderen für die Investitionen im Krankenhaussektor – Schaffung des KVG sind wir gut unterwegs.» Wert- Bereichen um die immer knapper werdenden herangezogen würden. voll sei, dass das definierte Ziel der Kostenstabi- Fachkräfte in einer vom demografischen Wandel lisierung erreicht worden ist. Eine Auswertung geprägten Arbeitswelt. Sind gesamthaft betrachtet doch wieder fette des BAG zeigt, dass 2016 bereits 91 % der statio- Jahre möglich? – Prof. Nagel meint dazu: «Zuerst nären Kosten durch die Pauschalen gedeckt wor- Leicht nachvollziehbar wird hierbei sein, dass besteht bei den Investitionen, wo ein erheblicher den sind. Bei der Einführung war dieser Wert mit eine heute hochqualifizierte Pflegekraft ähnlich und wachsender Investitionsstau vorhanden ist, rund 70 % tiefer. Noch unklar sei allerdings, wie einer Fachkraft verdienen sollte. Doch darf ein Handlungsbedarf! Wichtig ist auch das Durch- lange die positive Kostenentwicklung anhalte. 16 clinicum 1-20
Special 1: DRG Forum Deutschland-Schweiz «Qualitativ ist die Versorgung mindestens gleich werden muss. «Eine Mehrheit der FMH-Mitglie- orientierten Abgeltung bzw. leistungsorientierten hoch geblieben», urteilt Christen. Hier beurteilt der befürwortet Mindestfallzahlen.» Alle drei (Spital)Planung. Die Integrierte Versorgung ver- er die Datenlage aber als noch etwas diffus, weil Symposiums-Akteure wollen zudem die inter- langt jedoch eine versorgungsorientierte Abgel- Indikatoren in unterschiedliche Richtungen zeig- kantonale Zusammenarbeit optimieren. Hier will tung bzw. versorgungsorientierte Planung unter ten. Eines der Probleme bestehe darin, dass die der Bundesrat aktiv werden, wie Christen mit- Einbezug aller Leistungserbringer in einem Ver- Verlagerung in nachgelagerte Bereiche klar teilt. Dabei geht es einmal um Vorgaben zu Wirt- sorgungsgebiet. Die Quintessenz daraus ist: zugenommen habe. Der Vizedirektor sieht in den schaftlichkeit und Qualität. So will der Bundesrat Integrierte Versorgung bzw. neue integrierte Patienten wichtige Entscheider. Sie sollen durch die Spitalplanungskriterien weiter konkretisie- Modelle benötigen auch neue Finanzierungs- ihre Spitalwahl Anbieter mit guter Qualität wäh- ren. Die Vernehmlassung dazu soll schon sehr modelle wie z.B. ein regionales Global-/Univer- len. «So würde Qualität belohnt. Die Patienten bald starten. salbudget.» Für Spitäler sei es daher sinnvoll, gehen allerdings lieber weiterhin ins nächstge- noch verstärkter mit vor- und nachgelagerten legene Spital – Qualität hin oder her.» Weiter stehen Betriebsvergleiche und Bench- Leistungserbringern zu kooperieren: «Verträge marking aufgrund von schweregradbereinigten zwischen Spitälern und Spitex-Betrieben können Direkteste AnsprechpartnerInnen der Patienten Spitalkosten pro Spital im Fokus und schliesslich beispielsweise den Übergang nach Hause bes- sind die freipraktizierenden Ärztinnen und Ärzte. will der Bundesrat Referenztarife definieren. ser sichern, in der Altersbetreuung braucht es Beatrix Meyer, Leiterin Stationäre Versorgung Damit sollen die bekannten Probleme mit ausser- flexiblere Pflege- und Wohnmodelle wie betreu- und Tarife FMH, präsentierte die Auswertung von kantonalen Behandlungen angegangen werden. tes Wohnen. Das elektronische Patientendos- jährlich durchgeführten Umfragen bei der Ärzte- sier ist angedacht, künftig zu einem wichtigen schaft. Eine grössere Anzahl der Reha-Ärztinnen Integrierte Versorgung: K annibalisierung Instrument zu werden, um die Transparenz im und Ärzte findet, dass die Akutspitäler die Patien- der Spitäler oder Verbesserung der Behandlungsprozess zu verbessern.» ten zu früh entlassen. 2019 war ein Drittel der Indikationsqualität? Befragten dieser Meinung. Dem sei mit einem Ganzheitliche Betreuung heisst wachsamen Auge zu folgen. Für Bruno Guggisberg, CEO Spital STS AG, Thun, mehr Behandlungsqualität ist die Integrierte Versorgung etwas Wichtiges. Tödliche Bürokratie Er definiert sie als Idee einer neuen «sektoren- «Die bessere Koordination, Integration und über- übergreifenden» Versorgungsform im Gesund- geordnete Betrachtung von Prävention, kurativer Zu denken gibt der FMH die Bürokratie – wie bei heitswesen, Förderung einer stärkeren Vernet- Medizin, Spitex, Pflege und Rehabilitation führt der DRG-Einführung befürchtet. Meyer bemän- zung der verschiedenen Fachdisziplinen und zu einer ganzheitlichen Betreuung der Patienten: gelt den steigenden administrativen Aufwand. Sektoren (Hausärzte, Fachärzte, Spitäler, Heime, Das bedeutet eine qualitativ bessere und effi Heute verbringe ein Mediziner täglich zwei Stun- Spitex, Notfallversorgung), Verbesserung der zientere Behandlung, welche schliesslich auch den mit Dokumentieren, erschreckende 33 % Qualität der Patientenversorgung und gleich- einen Beitrag zur Kostenstabilisierung leistet.» mehr an Zeit als vor DRG. Am meisten darunter zeitig Senken der Gesundheitskosten. leiden Assistenzärztinnen und -ärzte. Diese ver- Weiter gelte es zu beachten, dass der Versicherte bringen gleich viel Zeit mit Bürokratie wie mit Wie sind nun Integrierte Versorgung und Finan- auch Patient werden könne. Dabei wolle er nicht Therapie – «das sollte nicht sein!» zierung per DRG unter einen Hut zu bringen? – «gemanaged» werden als wäre er Teil einer Guggisberg: «DRG basiert auf einer leistungs- industrialisierten Produktionskette. Guggisberg: Nichtsdestotrotz hat sich die Ärzteschaft mit den Fallpauschalen arrangiert. Darüber ist santé suisse-Direktorin Verena Nold überrascht: «Vor Neun Symposien bildeten eine wertvolle wie vertiefte Ergänzung zu den Plenumsreferaten. der DRG-Regelung war ich im Umfeld von Praxis- ärzten noch froh, nicht mit faulen Eiern bewor- fen zu werden.» Aus Sicht der Krankenversiche- rer sei insgesamt ein positives Fazit zu ziehen. Viele der gesetzten Ziele seien gänzlich oder zumindest teilweise erreicht worden: «Wir haben uns schon immer für mehr Wettbewerb einge- setzt.» Einschränkend meint Nold jedoch, dass der Qualitätswettbewerb noch nicht wie gewünscht funktioniere. Man sei aber auch bei diesem Punkt viel weiter als bei der DRG-Ein- führung. Enttäuscht ist sie aber hinsichtlich der Reaktionen der Versicherten und Patienten, weil die von santésuisse angebotene Spitalver- gleichswebseite auf wenig Interesse stosse. Auffallend ist, dass bei zahlreichen Aspekten grosse Einigkeit besteht und unter den Stake- holdern gute Kontakte gepflegt werden. So sind sich Christen, Meyer und Nold einig, dass die Diagnose- und Indikationsqualität verbessert clinicum 1-20 17
Special 1: DRG Forum Deutschland-Schweiz Bruno Guggisberg, CEO Spital STS AG, Guido Speck, CEO Lindenhofgruppe, und Dr. Werner Kübler, Direktor Unispital Basel (v.l.n.r.), zeigen kreative Wege aus der Kostenklemme und innovative Ansätze für Kooperationen. «Der Patient will bei der Prävention oder im Fal- Vorteile zu erzielen und ihr Image zu fördern. ten Versorgungszentren an gemeinsam ausge- le einer Erkrankung begleitet werden – mit Kom- Für die Patienten schliesslich ergibt sich eine wählten Standorten im Berner Oberland. Die petenz, Empathie und vor allem Achtsamkeit.» qualitativ verbesserte Versorgung, optimierte übergeordnete Zielsetzung liegt in der integrier- Steuerung (Vermeidung von Doppeluntersu- ten Versorgung als zukunftweisendem Ansatz. Integrierte Versorgung könne zwar ein paar chungen, Wartezeiten usw.) sowie eine umfas- Guggisberg: «Die vertikale Integration verfolgt Nachteile mit sich bringen – für die Leistungs- sende prä- und postoperative Betreuung. das Ziel einer bereichs- oder sektorenübergrei- erbringer etwa Unterordnung unter medizini- fenden Vernetzung entlang des Behandlungs- sche und wirtschaftliche Standards, Umstruktu- Innovative Thuner Lösung pfads. Es wird ein innovatives Betreuungskon- rierung und Kostenrisiko für Inanspruchnahme zept durch Verknüpfung und Koordination von von Ärzten ausserhalb des Versorgungsnetzes Die Spital STS AG hat eine Hausarzt- und Notfall- ambulanten und stationären Versorgungsleis- sowie für die Patienten die eingeschränkte Arzt- praxis am Bahnhof Thun (Walk-in) eingerichtet. tungen im Berner Oberland aufgebaut. wahl und nötige Weitergabe von Daten («gläser- Diese ist eine Tochtergesellschaft der Spital STS ner Patient»). AG mit eigenem Auftritt und dient der Entlastung Die jüngere Patientengeneration verfügt über des Notfalls am Spital Thun. Die Öffnungszeiten keinen Hausarzt mehr und wünscht Flexibilität. Die Vorteile überwiegen allerdings deutlich: Für sind Montag bis Freitag von 8 bis 19 Uhr, es So können Patientenbedürfnissen und gesell- die Versicherer sind es Wettbewerbsvorteile besteht ein Zugriff auf das KIS des Spitals Thun schaftlichen Anforderungen der heutigen Zeit durch Qualität und Kosteneinsparungen durch (kein Medienbruch und vollständige Transparenz). entsprochen werden. Verzahnung der Sektoren; für die Leistungser- bringer besteht die Möglichkeit, von üblichen Weiter beabsichtigen die Medbase AG und das Die Spital STS AG verfolgt die Strategie, ihre Vergütungsformen abzuweichen, Technologien Spital mit der Medbase Berner Oberland AG die Patienten in definierten Behandlungspfaden und gemeinsam zu nutzen, eventuelle finanzielle Planung, den Aufbau und Betrieb von ambulan- Qualitätsrichtlinien nachhaltig zu betreuen. Med- 18 clinicum 1-20
Special 1: DRG Forum Deutschland-Schweiz base will sich dabei als ambulanter Health Care- Die Grundidee, die auch Alterswohnen und ein frager, die nur einen geringen Anteil selber Provider weiterentwickeln.» Gesundheitsnetzwerk im Simmental umfasst, ist bezahlen, bestimmen zudem die Wahl an Leis- gut, jedoch der Weg ist lang und steinig, weil tungen im KVG-Bereich nicht auf Basis der Ambulantes OP-Zentrum (AOZ BEO) teilweise in Widerspruch zu den (betriebswirt- Preise; die Preisführerschaft im KVG-Bereich schaftlichen) Zielen der einzelnen Leistungser- würde daher zu keinen wesentlichen Vorteilen Etwas ganz Besonderes ist bereits am 6. Januar bringer. Die aktuellen Anreizsysteme mit DRG/ gegenüber von Konkurrenten führen. in Betrieb gegangen: das ambulante OP-Zent- Tarmed sind suboptimal und torpedieren die rum. Damit findet eine sinnvolle Entflechtung Ansätze der Integrierten Versorgung. Die Zusam- Wohl aber im VVG-Bereich: Hier haben Versiche- der ambulanten und stationären Prozesse im menarbeit braucht Vertrauen und Offenheit, ein rer viel Gestaltungsspielraum bezüglich Produk- Spital Thun durch das AOZ BEO statt, eventuell Aufbrechen bisheriger Denkmuster sowie ein ten und Deckungen sowie keine Restriktionen mit Option eines künftigen Neubaus auf dem gemeinsames Commitment aller Beteiligten.» beim Leistungskatalog – zünftiges Entwicklungs- Spitalareal. Vorgesehen sind 2000 ambulante potenzial für neue Versicherungsprodukte ist Eingriffe (Eingriffe durch Spitalärzte und Beleg- Was bringt Preisführerschaft? vorhanden. Versicherer könnten vermehrt dif- ärzte), 1500 Infiltrationen der Wirbelsäule und ferenzierte VVG-Produkte mit unterschiedlicher 1200 Overnight Patienten (1 Nacht). Möglich sind Den richtigen Preis für Spitalleistungen zu erzie- Wahlfreiheit einführen, ebenso Listen mit aner- künftige ambulante Eingriffe bei Erweiterung der len, ist mitunter schwierig. Bei der Preisfindung kannten Leistungserbringern (Positivlisten), bei 6er-Liste auf eine umfassendere Liste für zwin- im KVG besteht das Ziel der Kostenträger darin, denen die Kosten übernommen werden. Preis- gend ambulante Eingriffe. Speziell in Thun ist, einen gleichen Preis für gleiche Leistung zu fixie- führerschaft im VVG-Bereich kann also zu Vor- dass für Patienten mit Bedürfnis einer Übernach- ren. «Festsetzungen werden auf Basis der Kos- teilen führen wie zum Begünstigen gültiger Ver- tung ein sog. «Selbstzahler-Angebot» entwickelt ten- und Leistungsdaten geführt», erläuterte einbarungen mit den Kostenträgern oder wurde, auf Wunsch bringt der Partner easyCab Guido Speck, CEO Lindenhofgruppe Bern. «Dazu weniger Unsicherheiten und Transaktionskosten, den Patienten bequem zu seiner Operation – ist ein transparenter Kostenausweis nötig: Alle da gültige Verträge bestehen (Handling, Tiers und wieder zurück nach Hause. Anbieter legen die relevanten Kennzahlen offen payant usw.). Je mehr Verträge, desto grösser und die Tarifstruktur gilt für alle Anbieter und werden auch der potenzielle Patientenstamm Gute Idee – steiniger Weg Nachfrager gleichermassen (national einheitli- und das Einzugsgebiet. Möglich wird zudem eine che Tarifstruktur/ Tarifschutz gemäss Art. 44 bessere Auslastung, welche Effizienzgewinne Und wie steht es jetzt? Erfolgt eine Kannibalisie- KVG).» Nach Meinung Specks sollten Benchmar- und eine bessere Rendite erlaubt. rung der Spitäler oder Verbesserung der Indika- king und effiziente Prozesse die entscheidenden tionsqualität? – Guggisbergs Erkenntnis lautet: Kriterien bilden: «Grundsätzlich sollte der ‹effi- Die Zitrone ist ausgepresst, was nun? «Keine Kannibalisierung, wenn die Veränderungen ziente Preis› für alle Anbieter gelten. Der prakti- proaktiv angegangen werden und engagiert nach zierte Ermessensspielraum im 20. – 40. Perzen- Welche weiteren kreativen Ansätze führen aus Lösungen gesucht wird. Die bessere Koordination til führt jedoch zu einer Rechtslücke!» der aktuellen Kostenklemme? Dr. Werner Kübler, zwischen Leistungserbringern suggeriert eine Ver- Direktor Universitätsspital Basel, lud zu einer besserung der (Indikations-)Qualität. Jedoch feh- So mache eine Preisführerschaft bei OKP-Patien- spannenden Tour d'horizon ein: Kooperation len noch der Einsatz moderner Instrumente zur ten eigentlich keinen Sinn, weil hier ein eng oder Fusion? Horizontale oder vertikale Zusam- Qualitätssicherung, z.B. Patient Reported Outcome regulierter Markt besteht und ein entsprechend menarbeit? – Entscheidend sei das Eingehen Measures (PROMs) zur Prüfung. geringer Preiswettbewerb herrscht. Die Nach- auf aktuelle Herausforderungen: Fachkräfteman- Digitalisierung Gesundheitswesen Schweiz: Wo liegen Business Cases? In der integrierten Versorgung? In der Überwindung 25. & 26. Juni 2020 e-healthcare kritischer Grössen? In- und ausländische Praxisbeispiele www.medicongress.ch – Jetzt registrieren! ao.Univ.-Prof. Dipl.-Ing. Dr. Georg Dorffner Antoine Hubert Rehaklinik Bellikon Leiter Institute für Artificial Intelligence & Delegierter des Verwaltungsrates Decision Support Swiss Medical Network Masterstudium Medizinische Informatik Genolier Curriculumdirektor Circle Wien Prof. Dr. Elke Klein Regierungsrat Jean-Pierre Gallati Professur für Digitale Gesundheitswirtschaft Vorsteher Departement Hochschule Hamm-Lippstadt Gesundheit und Soziales (DGS) Aarau e-healthcare Circle Platinpartner Goldpartner Programmverantwortlicher: Dr. Willy Oggier Kongresse, die wirken Gesundheitsökonom Küsnacht clinicum 1-20 19
Special 1: DRG Forum Deutschland-Schweiz Dr. Marc Schulthess, stv. CEO Rehaklinik Bellikon (links), geht auf die Chancen der Digitalisierung ein. Nanda Samimi, CEO Forel Klinik, und Eduard Felber, Pflegedirektor PDGR, sind unterschiedlicher Meinung zu TARPSY. gel, Digitalisierung/Technologie, neue Versor- versorgung sowie intensive Aus- und Weiterbil- Die Digitalisierung stellt die Anwender ins Zen- gungsformen, Regulierung, Personalisierung, dung. Wir wollen die führende Orthopädie in der trum (Patienten wie Mitarbeitende), betrifft die Ambulantisierung und wachsende Patienten- Nordwestschweiz bieten.» Organisations-, Kultur- und Kompetenzentwick- bedürfnisse. lung und soll möglichst standardisiert und durch Mehr Schub dank Digitalisierung? einheitliche, zentrale Hilfsmittel unterstützt wer- Die Strategie des USB besteht in regen Koope- den. Nicht zuletzt soll ein möglichst gutes Kos- rationen mit Spitälern der Nordwestschweiz. Der digitale Wandel ist in aller Munde. Führt er ten-Nutzen-Verhältnis entstehen. Aktuellstes Beispiel ist die Zusammenarbeit mit auch ans verheissene Ziel von mehr Transpa- dem Bethesda Spital Basel. In dessen Orthopädie renz, besseren Entscheidungen und effiziente- Eine erfolgreiche Digitalisierung bedingt eine klinik baut das USB proaktiv die bewährte Part- ren Abläufen? – Dr. Marc Schulthess, stv. CEO digitale Transformation der Führungskräfte, Mit- nerschaft aus. Die gemeinsamen Stärken wer- der Rehaklinik Bellikon, verwies auf die relevan- arbeiter, Patienten und Partner. Digitalisierung den für die Patienten optimal genutzt. Kübler: ten Kriterien zur Beurteilung des IT-Einsatzes: bleibt schwierig, sie ist jedoch ein notwendiger «Wir gestalten die universitäre orthopädische «Ganz sicher ist vorweg, dass digitale Projekte Ansatz gegen den Kostendruck, aber auch zum Medizin aktiv mit. Die Qualität und der Outcome nicht allein Sache der IT-Abteilung sein können, Sicherstellen von Arbeitgeberattraktivität, Qua- für den Patienten bei höchster Transparenz steht sie müssen von der gesamten Geschäftsleitung litätssicherung und Patientenerlebnis.» im Vordergrund. Unsere Ärzte arbeiten dabei im getragen und von den Mitarbeitenden akzeptiert Bethesda Spital. Organisatorisch bestehen eine werden. Wir beachten dabei folgende Elemente: TARPSY – Fluch oder Segen? Trennung der Behandlungspfade von Elektiv- Wir wollen ein digitalisierter, moderner Leis- und Notfallmedizin, ein integrierter Patienten- tungserbringer und Arbeitgeber sein. Die digita- Seit drei Jahren wird auch in der Psychiatrie nach pfad, das Streben nach hoher Qualität, Outcome le Vernetzung mit unseren Partnern wird zu Fallpauschalen abgerechnet. Der Tarif TARPSY und Transparenz, eine optimierte Gesundheits- einem zentralen Bestandteil unserer Tätigkeit. wurde in Bern sehr kontrovers diskutiert. Nanda 20 clinicum 1-20
Special 1: DRG Forum Deutschland-Schweiz Samimi, CEO der auf Suchterkrankungen spe- prinzip. Hier soll das Gebot der Patientenorien- Die Preise von Teil B werden zwischen Versiche- zialisierten Forel Klinik, Ellikon an der Thur, sieht tierung gelten: Alle Entscheidungen müssten rern und Spitälern frei ausgehandelt. Dieser Part ihre Angebote gefährdet, weil der neue Tarif die davon abhängig gemacht werden, dass die Ver- wurde von 10 % (2005) des Gesamtumsatzes auf Heterogenität der Leistungen nicht gebührend sorgung der Patienten besser wird. Mittel dazu 20 % (2008), 34 % (2009) und 70 % (2012) massiv abbilde. «Im Suchtbereich bestehen viele unter- wären patientenbezogene Behandlungspfade erhöht. schiedliche evidenzbasierte Ansätze», so als verbindlicher Massstab und die Umsetzung Samimi. «Genau diese Vielfalt wird mit TARPSY auf Ebene der Landkreise unter Einbezug meh- 2012 wurde die sehr komplexe niederländische in Frage gestellt. Insbesondere sind Belastungs- rerer regionaler, sich ergänzender Spitäler. DRG-Regelung auf 4000 Positionen reduziert. Die proben, bei denen Patienten temporär in ihr fallweise zu wählende DRG-Position wird nun angestammtes Umfeld entlassen werden, ein Niederlande: DRG-System abgespeckt von einem nationalen Grouper berechnet. Problem. Auch nach der erfolgten Tarif-Nachjus- und durch zahlreiche Zusatzentgelte tierung sind die Kosten nicht ausreichend abge- ergänzt Kreatives Patchwork, aber enorme deckt. Daher ist auch die Finanzplanungssicher- Transaktionskosten heit ungenügend. Wir fühlen uns allein gelassen. In den Niederlanden erhielten Ärzte und Kran- Bis dato sind nur Kosten entstanden.» kenhäuser bis 1983 eine Leistungsabgeltung. Bis Aktuell werden komplexe Versorgungen über 2005 wurden sie mit einiger Flexibilität aus glo- ein Patchwork unterschiedlicher Abgeltungen Eduard Felber, Pflegedirektor der Psychiatri- balen Haushalten finanziert. DRG-Zahlungen finanziert: Das sind zum Einen Bedarfsbeschei- schen Dienste Graubünden, sieht die Lage posi- traten ab 2005 schrittweise in Kraft. Das System nigungen für bestimmte komplexe Eingriffe tiv. Seit der TARPSY-Einführung habe sich das bestand aus 30 000 Positionen und umfasste (Neurochirurgie, Transplantation, Herzoperation interdisziplinäre Arbeiten verbessert. Korrektur- auch die ambulante Behandlung. Im Allgemei- usw.), weitere spezifische Zahlungen zur bedarf bestehe nur punktuell, etwa durch nen dauerte eine DRG bis zu einem Jahr an Deckung höherer Kosten für Universitätskliniken, genaue Erfassung der Leistungen anhand der Behandlungen, was später auf sechs Monate spezifische Aufstockungsbeihilfen für bestimm- Chop-Codes. reduziert wurde. Ab 1995 erhielten die Ärzte te Kategorien teurer Infrastrukturen sowie Nach- auch Pauschalbeträge, die jedoch zunehmend zahlungen für teure Medikamente, Intensivpau- Sind leistungsorientierte ergänzt wurden. Im Jahr 2015 wurden die Spitä- schalen usw. Finanzierungssysteme am Ende? ler für alle Abrechnungen verantwortlich, ein- schliesslich der Zahlungen an die Ärzte. «Die jetzige Regelung», so Prof. Patrick Jeurissen, Wie geht es weiter mit den DRGs? Braucht es «wird als zu komplex angesehen und ist mit gründliche Revisionen oder ist das System gar Seit 2008 sind die Spitäler für alle Investitions- hohen Verwaltungskosten verbunden. Sie lenkt ein Auslaufmodell? – Dr. med. Marina Martini, entscheidungen selber verantwortlich, wenn sie die Verhandlungen zwischen Anbietern und Zah- Vorstands-Mitglied AMEOS Gruppe, Prof. Patrick in der Lage sind, diese durch Bankkredite oder lern nur auf sehr begrenzte Weise. Im Allgemei- Jeurissen, Scientific Institute for Quality of Health- einbehaltene Gewinne zu finanzieren. Eine pro- nen wird ein globales Budget festgelegt, bei dem care, Radboudum-Universität Nijmegen, Sven spektive Kapitalfinanzierung war in den DRG- sich das Risiko eines Anbieters reduziert. Die Preusker, Chefredaktor «Klinik Markt inside», und Positionen mit eingerechnet, vergleichbar zur ergänzenden Abgeltungen – auch für elektroni- Dr. med. Thilo Köpfer, Vice-President International Schweiz; diese Sicherheit bestand allerdings nur sche Gesundheitsdienste – gewinnen daher an Markets 3M, beleuchteten die Ausgangslage bis 2015. Als zentrales politisches Thema bilde- Bedeutung. Ein besonderes Augenmerk kommt anhand der aktuellen DRG-Systeme in Deutsch- te sich immer mehr die Liberalisierung der Zah- den Medikamenten zu. Die Finanzierung eines land, den Niederlanden, Finnlands und der USA lungen an die Spitäler heraus. Zu diesem Zweck Spitals hängt nicht zuletzt von dem Pharmaprei- – eine Weltreise quer durch vorwiegend von Ver- wurden die 30 000 DRGs in zwei Teile aufgespal- sen ab. Hier neigen Versicherer mit geringen sicherern getragene wie auch durch rein staatlich ten: Teil A wird von der Marktbehörde festgelegt Marktanteilen im Einzugsgebiet der Anbieter finanzierte Gesundheitssysteme. und deckt die komplexeren Behandlungen ab. vermehrt zu DRG-basierten Abgeltungen. In Deutschland werden die Kliniken stark kriti- siert: Patienten würden aus Gründen wirtschaft- «Fire & Ice» war am Abend Trumpf, dabei entstand eine tolle Eis-Skulptur. licher Optimierung stationär behandelt, obwohl das medizinisch nicht notwendig ist, zu geringer wirtschaftlicher Druck auf die Ärzte, die Mengen- ausweitung betreiben, zu viele und zu teure Spitäler mit mittelmässiger Qualität, zu wenig Pflegende, die keine Zeit für ihre Patienten haben, zu lange Aufenthaltsdauern im Spital und zu geringe Ambulantisierung. Transparenzer- schwerend wirkt das Faktum, dass die Pflege- kosten seit diesem Jahr nicht mehr via DRGs abgebildet werden, die Investionen waren es ohnehin nie. Die Folge ist ein eklatanter Investi- tionsrückstau der öffentlichen Träger. Dr. Marina Martini sieht die Lösung in einem modifizierten DRG-System mit Krankenhausplanung, Capita- tion-Modellen und einem neuen Steuerungs- clinicum 1-20 21
Special 1: DRG Forum Deutschland-Schweiz Sie boten eine höchst informative und lehrreiche DRG-Weltreise (v.l.n.r.): Dr. Marina Martini, Vorstands-Mitglied AMEOS Gruppe, Prof. Patrick Jeurissen, Radboudum-Universität Nijmegen, Sven Preusker, Chefredaktor «Klinik Markt Inside», … Jeurissen bedauert, dass die Qualität der Ver- sein als ihre Mitbewerber. Bernhoven und Rivas Riesige Flächen, schwierige Versorgung sorgung eine sehr untergeordnete Rolle, nota- erhielten von den Versicherern Mehrjahresver- bene auch bei der Übernahme der Medikamen- träge sowie die Garantie geteilter Ersparnisse Finnland ist charakterisiert durch seine grosse tenkosten spiele. Die Vielfalt der DRG-Positionen aufgrund der getätigten Anstrengungen und Ausdehnung von rund 1500 km; im dünnbesie- sei insgesamt immer noch sehr gross: «Das Investitionen. Im Gegenzug müssen die Kranken- delten Norden kann die Entfernung zu einer Zahlungssystem ist von allen Beteiligten auch häuser transparent über operative Reformen Geburtsklinik schon mal 550 km betragen, ein deswegen grosser Kritik ausgesetzt ist, weil es und Ergebnisse informieren. grosser Anteil der Bevölkerung braucht eine bis systemimmanente enorme Transaktionskosten zu drei Stunden Fahr- oder Flugzeit bis zum verursacht.» Jeurissens Fazit ist eindeutig: «Krankenhauszah- nächsten Spital. Um dieser speziellen Situation lungen müssen nicht nur auf Effizienzsteigerung Rechnung zu tragen, besteht eine dreistufige Best Practice für bessere ausgelegt sein, sondern vermehrt auf eine höhe- gesundheitliche Versorgung, wie sie Sven Behandlungsqualität re Qualität. In den Niederlanden haben die DRGs Preusker schilderte: die anfänglich hohen Erwartungen nie erfüllt. Einige Krankenhäuser wollen die Qualität signi- Weiter gefasste Zahlungsmodelle sorgen für – primärärztliche Grundversorgung in Gesund- fikant steigern. Sie erreichten nationale Aufmerk- bessere Leistungen, vor allem dann, wenn es heitszentren (in der Trägerschaft von Kommu- samkeit aufgrund neuer Geschäftsmodelle, die um Strategien zur Qualitätsverbesserung mit nen bzw. kommunalen Zusammenschlüssen) darauf abzielen, die Qualität der Versorgung zu verantwortlichen Ärzten geht. Wirtschaftliche – ambulante und stationäre fachärztliche verbessern und die Kosten der Leistungen zu Anreize sind zwar gut, sie müssen aber in die Betreuung in Spitälern in öffentlicher regiona- senken. Vor allem zwei Spitäler, Bernhoven moralischen und beruflichen Werte eingebettet ler Trägerschaft (Region Uden) und Rivas in der Provinz Südhol- sein, die – zu Recht – zu guter Letzt die Versor- – Universitätskliniken als Maximalversorger: Ver- land, scheinen vergleichsweise erfolgreicher zu gung dominieren müssen.» sorgung besonders seltener und schwieriger 22 clinicum 1-20
Special 1: DRG Forum Deutschland-Schweiz … und Dr. Thilo Köpfer, Vice-President Fakten, Analysen und Meinungen bildeten einen idealen Rahmen für das DRG Forum. Das Gleiche gilt International Markets 3M. fürs abendliche Dinner «Fire & Ice», das begeisterte. Erkrankungen und Verletzungen, Ausbildung einbarungen über Preis und Menge der von der Begrenzte Mittel im Land der und grösster Teil der Spezialisierung der Ärzte Kommune bestellten Leistungen abgeschlossen. unbegrenzten Möglichkeiten? Kommunen können Leistungen auch von öffent- Dazu kommt eine intensive Nutzung von lichen oder privaten Klinken ausserhalb des Dr. med. Thilo Köpfer, Vice-President International Gesundheitstelematik. Es besteht eine landes- eigenen Krankenhaus-Bezirks bestellen. Die Markets 3M aus Meriden (Connecticut), präsen- weite ambulant-stationäre elektronische Patien- Zahlungen der Kommunen decken auch die tierte das US-DRG-System. Die Vereinigten Staa- tenakte, ein landesweites eRezept (inzwischen Investitionsfinanzierung ab. Um Extremkosten- ten sind ja charakterisiert, dass sie das teuerste z.B. auch in Estland einlösbar) und ein landes- fälle abzufedern, besteht ein gemeinsamer Gesundheitswesen weltweit betreiben, aller- weites elektronisches System zur eindeutigen Finanzpool. dings mit unbefriedigendem Outcome: Während Identifikation von Dokumenten, des elektroni- die Prokopf-Kosten 10 207 Dollar betragen schen Patientendossiers, von Personen und Für die Zukunft strebt die öffentliche Hand eine (OECD-Schnitt: 3992 Dollar) und der Anteil am Institutionen. stärkere Konzentration von Spital-Behandlungen BIP 16.9 % (Schweiz: 12.2 %) ausmacht, werden in grossen Zentren an. Im Fokus stehen höhere die US-EinwohnerInnen nur rund 76 Jahre alt, Die Preisfindung im rein staatlich finanzierten Mindestmengen, was gezielt gefördert wird die durchschnittliche Lebenserwartung in der finnischen Gesundheitssystem läuft wie folgt ab: durch entsprechende Investitionsprogramme. Schweiz liegt um rund sieben Jahre höher. Zwischen Krankenhaus-Bezirken und der einzel- Weiter wurden klare Vorgaben zur Strukturqua- nen die Leistung bestellenden Kommune wer- lität (z.B. fachärztlicher Bereitschaftsdienst 24/7; Vier Säulen sichern die Finanzierung der Gesund- den Preise und Mengen pro DRG-Gruppe jeweils OP-Bereitschaft 24/7) festgelegt. Einem besse- heitskosten ab: 55 % werden durch Versicherun- für ein Jahr ausgehandelt. Es sind keine bezirks- ren Verhältnis von Behandlungsqualität und gen getragen, die in höchst unterschiedlichem oder landesweit gültigen Preise definiert. Mit Erreichbarkeit wird ebenfalls grosse Beachtung Splitting von Arbeitgebern und Arbeitnehmern mit Spitälern, die DRG nicht anwenden, werden Ver- geschenkt – Motto: im Zweifel für Qualität. Prämien via Versicherungen finanziert werden, clinicum 1-20 23
Special 1: DRG Forum Deutschland-Schweiz 7 % macht der 2019 von Barack Obama eingeführ- der Leistungen verantwortlich, die medizinische Damit sind auch Initiativen zur Beschleunigung te rein private Versicherungsanteil aus – dessen Fachpersonen während einer Phase der Versor- der Übernahme von Best Practices gemeint. Ausbau mittlerweile von der Trump-Administra- gung realisieren. Zur Vergünstigung sollen im tion wieder eingestellt wurde – , 21 % betragen Weitern Primärversorger beitragen, weil sie eine Lehren für die Schweiz? die direkten Zuschüsse zentraler und bundes- zentrale Anlaufstelle für die Bedürfnisse der staatlicher Ebenen an die Leistungserbringer und Patienten darstellen. Köpfer: «Die Verbesserung Die Weltreise wusste zu begeistern, hat man doch 16 % die sog. Government Capitations (Zahlungen des Zugangs zur Primärversorgung ist entschei- nie ausgelernt. Entsprechend rege fiel die Dis- via Kranken- und Unfallversicherer). dend für die Förderung der Gesundheit und die kussion im Plenum aus. Einig war man sich, dass Senkung der Gesamtgesundheitskosten. Fort- der Überwachung und Steuerung der Behand- Das verarbeitete Volumen ist gigantisch: 2017 geschrittene Hausarztpraxen nutzen einen lungsqualität höchste Priorität einzuräumen sei, wurden landesweit 766 Millionen Operationen teambasierten Ansatz, wobei der Schwerpunkt wenn möglich durch eine Berücksichtigung künf- für 1.74 Trillionen Dollar durchgeführt. Interes- auf Prävention, Gesundheits-IT, Koordination und tiger DRG-Tarife in Form von Boni oder Mali, sant ist allerdings auch hier, dass die ambulante gemeinsamer Entscheidungsfindung zwischen wobei – bisherige Vorstösse beider Krankenver- Versorgung anteilsmässig zulegt: von 2004 bis Patienten und Leistungserbringern liegt.» sicherungsverbände zeigen es überdeutlich – hier 2017 nahm der stationäre Sektor um 0.2 % pro noch ein harter Weg zu beschreiten sein dürfte. Jahr ab, während der ambulante Sektor jährlich Eine wichtigere Rolle dürften künftig die Medic um 2.3 % wuchs. aid Services sowie das CHIP (Children's Health Weitere Diskussionspunkte bildeten die teilweise Insurance Program) spielen. Sie werden von den massiv überhöhten und intransparenten Abgel- Fürs teure Geld sollen die Patienten Bundesstaaten verwaltet, aber gemeinsam von tungen Gemeinwirtschaftlicher Leistungen, mehr profitieren der Bundesregierung und den Bundesstaaten namentlich von Westschweizer Kantonen, welche finanziert. Die Programme für die medizinische den durch die neue Spitalfinanzierung gewollten Das US-System leidet insbesondere an den hor- Versorgung und die medizinische Unterstützung Wettbewerb unter den stationären Leistungser- renden Kosten. «Ein Grund dafür mag sein», wurden mit ganz bestimmten Zwecken konzi- bringern gewaltig verzerren. Zu reden gaben auch meinte Köpfer, «dass nur die reinen Spitalkosten piert. Personen, die sowohl für die medizinische die vielerorts geplanten und schon beschlosse- via DRGs tarifiert sind, während bei den Arzt- Versorgung als auch für die medikamentöse nen grossen Bauprojekte. Hier zweifelt man viel- honoraren unbeschränkte Marktwirtschaft Versorgung (die «doppelten Anspruchsberech- fach an der Notwendigkeit (neue grosse Zentren herrscht.» So erstaunt es nicht, dass Intentionen tigten») zugelassen sind, tragen überproportio- mit möglicherweise unbefriedigender Auslas- bestehen, die Behandlungsqualität zu steigern. nal zu den Ausgaben des Programms bei. Ein tung, aber enorm hohen Fix- und Vorhaltekosten), Dafür machen sich insbesondere die Centers for vollständig integriertes, personenzentriertes sowie am ausreichenden flexiblen Realisieren der Medicare and Medicaid Services (CMS.org) stark. Pflegesystem, das sicherstellt, dass alle Patien- Bauten angesichts der immer kürzer werdenden ten-Bedürfnisse erfüllt werden, könnte die Halbwertszeit des medizinischen Wissens und Sie fordern Folgendes: Accountable Care-Organi- Bevölkerung auf qualitativ hochwertige und der gewaltigen Fortschritte in der Medizintechnik, sationen und ähnliche Pflegemodelle sollen effektive Weise besser bedienen. verbunden mit dem Wandel zu laufend steigen- Gesundheitsdienstleister anregen, für eine Patien- den ambulanten Eingriffen. Gewarnt wurde tenpopulation Rechenschaft abzulegen und in Schliesslich sind Initiativen zur beschleunigten schliesslich auch vor einer Aufweichung des DRG- Infrastruktur und neu gestaltete Pflegeprozesse Entwicklung neuer Zahlungs- und Dienstleis- Systems analog Deutschlands, wo die Pflege zu investieren, die eine koordinierte Versorgung, tungsmodelle vorgesehen. Diese Massnahmen daraus entfernt wurde, denn nur ein System, das höhere Qualität und effizientere Leistungserbrin- werden von den Gemeinden und den Verant- möglichst umfassend alle effizient und qualitativ gung gewährleisten. wortlichen des Gesundheitswesens aus dem einwandfrei erbrachten Leistungen abbilde, gesamten Land durchgeführt. Durch die Partner- sei in der Lage, ein wirksames Instrument für die Es sollen sog. Episodenbasierte Zahlungsinitia- schaft mit diesen lokalen und regionalen Stake- Spitalplanung zu sein ... sofern – und damit tiven gebildet werden: Bei diesen Modellen sind holdern kann CMS dazu beitragen, die Erprobung schliesst sich der Kreis zum einleitenden kämp- die Leistungserbringer für Kosten und Qualität zukunftsträchtiger Modelle zu beschleunigen. ferischen Referat Dr. Willy Oggiers – die Mehr- Hut-Rolle der Kantone endlich kritischer hinter- fragt werde und der Bundesrat dies gemäss KVG-Auftrag ernst zu nehmen beginne. Weitere Informationen www.medicongress.ch Fotos: Peter Brandenberger, www.kongress-foto.ch Save the date Es bleibt spannend: Das nächste DRG-Forum Schweiz-Deutschland findet am 28./29. Januar 2021, wieder im Zentrum Paul Klee in Bern, statt – ein Jubiläums-Forum mit besonderen Über- raschungen! 24 clinicum 1-20
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