Innovations ORPHAN DRUGS - PHARMA FUTURE FORUM

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                                                                                                                               01
                                                                                                                               15

BIOSIMILARS                            BIOBETTERS                            ORPHAN DRUGS

  „Wir wollen das Potenzial
  der japanischen Grundlagen-
  forschung sowie das Innova-
  tionspotenzial im ganzen Land
  ausschöpfen, um die nächste
  Generation von innovativen
  Arzneimitteln zu entwickeln.“
  Shunichi Takahashi, Ph.D.,
  Leiter des Open Innovation
  Center (ICJ) von Bayer
  HealthCare in Osaka

  Big in Japan                         Anders als Rx                         Von Patienten zu Patient
  Bayer HealthCare hat ein Open In-    Die Personalisierung von Medika-      Seltene Erkrankungen: Wie Patien-
  novation Center in Osaka (Japan)     menten ist ein Trend. Die passenden   tenbotschafter Unternehmen pharma
                                                                                                            dabei
                                                                                                            R E L AT I O N S

                                                                                                        03/15                   15
  gegründet. Dieses soll Forschungs-   Kommunikationsstrategien stecken      helfen, dem Ziel der „Parient Centri-
  kooperationen anbahnen.              aber noch in den Kinderschuhen.       city“ näher zu kommen.
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Report

Personalisierung von Medikamenten benötigt neue Kommunikationsstrategien

Imagetransfer durch Personalisierte Medizin
Die Pharmaunternehmen haben das Potenzial der Personalisierung von Medikamenten bereits vor Jahren erkannt. Ei-
nige von ihnen haben sie sogar mittlerweile zum zentralen Bestandteil ihrer Unternehmensstrategie erklärt. Forschende
Pharmaunternehmen führen mittlerweile 37 Prozent ihrer Entwicklungsprojekte für neue Medikamente mit begleitenden
Studien zu Möglichkeiten der personalisierten Anwendung durch. Und das will auch richtig kommuniziert werden.

�� Um zu verstehen, warum sich die Per-           tenem nicht-kleinzelligem Lungenkrebs                 Arzneimittel, das sich derzeit bei Roche
sonalisierung der Arzneimittel zu einer           (NSCLC). „Die Behörden wollten das Me-                in der späten Entwicklung befindet, ste-
vorteilhaften Strategie für Unternehmen           dikament daher zuerst zurückweisen“,                  he parallel ein diagnostischer Begleittest
entwickelt hat, muss man 20 bis 30 Jah-           setzt Hömke fort, „erst als es einen Test             zur Verfügung, so Schreiber. Bei Brust-,
re zurückblicken. „Seit den neunziger             gab, mit dem sich die wahrscheinlichen                Lungen- und Hautkrebs bietet Roche
Jahren hat ein Umdenken der Industrie             Responder vorab finden ließen, wurde                  bereits personalisierte Therapien. „Aktu-
in diese Richtung stattgefunden“, erklärt         es zur Anwendung bei positiv geteste-                 ell laufen bei uns über 250 gemeinsame
Dr. Rolf Hömke vom Verband forschen-              ten Patienten zugelassen“. Entsprechend               Forschungsprojekte von Diagnostik und
der Arzneimittelhersteller (vfa). Während         wurden auch für Trastuzumab geeignete                 Pharma“, führt er aus, das Thema werde
es früher noch darum gegangen sei, sich           Vortests entwickelt.                                  in den nächsten Jahren einen immer grö-
möglichst große Patientengruppen als                                                                    ßeren Stellenwert erlangen.
potenzielle Anwender eines neuen Medi-               Suche nach Biomarkern integriert                        Neben Roche gehört auch Astra-
kaments offen zu halten, habe sich nach                                                                 Zeneca zu den führenden Anbietern per-
und nach der wissenschaftlich-medizi-                    Aus diesen Erfahrungen hätten die              sonalisierter Medikamente (s. Tabelle S.
nisch begründete Ansatz durchgesetzt,                Pharmaunternehmen gelernt, resümiert               17). „Lynparza“ heißt eines der Arznei-
für Medikamente nach Möglichkeit zu                  der vfa-Experte. Die Firmen hätten ange-           mittel des Unternehmens, das zu dieser
klären, für wen genau sie wirklich geeig-            fangen, in der klinischen Entwicklung von          Gruppe gehört. Ende 2014 zugelassen,
net sind, eben der personalisierte Ansatz.           Medikamenten generell und von Anfang               dient es der Behandlung des Ovarial-
    Begonnen hat diese Entwicklung laut              an nach Biomarkern zu suchen, die Hin-             karzinoms. Der Wirkstoff Olaparib ist der
Hömke mit dem Wirkstoff Tamoxifen (ei-               weise auf das Anschlagen eines Arznei-             erste zugelassene Vertreter seiner Wirk-
nem selektiven Estrogenrezeptormodu-                 mittels liefern könnten. Sei dies der Fall,        stoffklasse, wie Dr. Karl Matussek, Vi-
lator zur Therapie von Brustkrebs, ent-              versuche ein Unternehmen mittlerweile,             ce President Oncology bei AstraZeneca
wickelt von AstraZeneca), bei dem sich               einen passenden Vortest zu entwickeln              Deutschland, erklärt. Medikamente wie
schon in den 1980er Jahren zeigte, dass              oder entwickeln zu lassen.                         „Lynparza“ setzten zwingend eine Tes-
er nur solchen Frauen helfen kann, deren                 Die Statements der Pharmaunter-                tung vor Behandlungsbeginn voraus –
Tumorzellen bestimmte Hormonrezep-                   nehmen bestätigen, dass sich die Per-              und das sei der entscheidende Unter-
toren tragen – was folglich vor der Ver-             sonalisierte Medizin zu einem wichti-              schied zu anderen Produkten, betont er.
ordnung geprüft werden sollte. Darüber               gen strategischen Faktor entwickelt hat.                „Im Rahmen der so genannten ‚mole-
hinaus hat Hömke zufolge auch die Tat-               Jan Schreiber, Head of Communications              kularbasierten stratifizierten Medizin‘ er-
sache zum strategischen Umschwung                    bei der Roche Diagnostics Deutschland              halten zunehmend Arzneimittel die Zulas-
beigetragen, dass gerade Krebsmedika-                GmbH; sagt beispielsweise: „Roche hat              sung, deren Einsatz mit einer vorgelager-
mente in den klinischen Tests oft nur bei            als eines der ersten Unternehmen das               ten diagnostischen Maßnahme verbun-
einem kleinen Teil der Patienten anschlu-            Potenzial der Personalisierten Medizin             den ist“, führt Matussek weiter aus. Mit-
gen. Der in den späten 90er Jahren er-               erkannt. Heute steht dies im Mittelpunkt           tels dieser diagnostischen Tests (Compa-
probte Antikörper Trastuzumab war et-                unserer Innovationsstrategie. Das gilt             nion Diagnostic, CDx) ließen sich unter
wa nur bei rund einem Viertel der Pati-              nicht nur für die Entwicklung und Anwen-           anderem patientenindividuelle Wirksam-
entinnen mit metastasiertem Brustkrebs               dung von wirksamen und sicheren Arz-               keit, Verträglichkeit und Dosierung der
wirksam, Gefitinib sogar nur bei 10 bis 15           neimitteln, sondern auch für unser diag-           neuen Substanzen analysieren. Damit er-
Prozent der Patienten mit fortgeschrit-              nostisches Portfolio.“ Bei jedem zweiten           laubten sie differenzierte, patientenindivi-
                                                                                                                               duelle Therapieent-
                                                                                                                               scheidungen des
                                                                                                                               Arztes und seien
                                                                                                                               sehr oft zwingende
                                                                                                                               Voraussetzung für
                                                                                                                               einen Therapieer-
                                                                                                                               folg. Die rechtzei-
                                                                                                                               tige    Entwicklung
                                                                                                                               und Implementie-
                                                                                                                               rung der Compa-
Dr. Karl Matussek, Vice President Oncology, AstraZeneca Deutschland; Jan Schreiber, Head of Communications Roche Diagnostics   nion     Diagnostics
                      Deutschland GmbH; Caroline Ruthe, Senior Beraterin und Mitglied des Leadership-Teams bei komm.passion.   sei wiederum ent-

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          Zugelassene Arzneimittel für die Personalisierte Medizin
            Firma               Wirkstoff           Arzneimittel              Status
                                                                                             scheidend für die erfolgreiche Marktein-
 Aegerion                       Lomitapid             Lojuxta®           empfohlener Test    führung neuer personalisierter Therapien,
 Amgen                         Panitumumab           Vectibix®              Pflichttest      betont der AstraZeneca-Experte.
                                                                                                 Matusseks Ausführungen nach gibt
 Ariad Pharma                   Ponatinib             Iclusig®              Pflichttest
                                                                                             es aktuell 28 verfügbare Wirkstoffe (da-
 Aspen Pharma                  Azathioprin            Imurek®            empfohlener Test    von 25 Onkologika), für die ein diagnos-
 Aspen Pharma                 Mercaptopurin         Puri-Nethol®         empfohlener Test    tischer Test im Vorfeld verpflichtend ist.
                                                                                             Für weitere 9 Wirkstoffe (davon 4 Onkolo-
 AstraZeneca                    Anastrozol           Arimidex®              Pflichttest
                                                                                             gika) werden derartige Tests empfohlen.
 AstraZeneca                    Fulvestrant          Faslodex®              Pflichttest      Viele weitere vielversprechende Subs-
 AstraZeneca                     Gefitinib            Iressa®               Pflichttest      tanzen seien aber außerdem in der klini-
                                                                                             schen Erprobung, daher geht der Experte
 AstraZeneca                     Olaparib            Lynparza®              Pflichttest
                                                                                             davon aus, dass sich die Personalisierte
 AstraZeneca                    Tamoxifen            Nolvadex®           empfohlener Test    Medizin aufgrund der fortschreitenden
 AstraZeneca                    Tamoxifen            Nolvadex®           empfohlener Test    Entwicklung von molekularen Techno-
                                                                                             logien in den kommenden zehn Jahren
 AstraZeneca                    Vandetanib           Caprelsa®           empfohlener Test
                                                                                             zum Standard entwickeln wird.
 Biogen Idec                   Natalizumab            Tysabri®           empfohlener Test        Insgesamt beläuft sich die Zahl aller
 Boehringer Ingelheim            Afatinib             Giotrif®              Pflichttest      personalisierten Medikamente, die der-
                                                                                             zeit auf dem Markt sind, laut vfa auf 44
 Bristol-Myers Squibb           Dasatinib             Sprycel®              Pflichttest
                                                                                             Produkte und 42 Wirkstoffe. Auch wenn
 Genzyme                        Eliglustat           Cerdelga®              Pflichttest      die meisten davon onkologische Präpa-
 GlaxoSmithKline                Dabrafenib            Tafinlar®             Pflichttest      rate sind, werden allmählich auch andere
                                                                                             Indikationen von der Personalisierten Me-
 GlaxoSmithKline                Lapatinib             Tyverb®               Pflichttest
                                                                                             dizin erschlossen. Biomarkerforschung
 GlaxoSmithKline                Trametinib           Mekinist®              Pflichttest      findet beispielsweise in der Kardiologie
 Janssen                         Ibrutinib           Imbruvica®             Pflichttest      und Neurologie sowie in den Indikationen
                                                                                             Alzheimer, ZNS (Zentralnervensystemer-
 Merck                          Cetuximab             Erbitux®              Pflichttest
                                                                                             krankungen) und Infektionen statt.
 MSD Sharp & Dohme             Simvastatin              N/A              empfohlener Test
 Novartis                     Carbamazepin              N/A              empfohlener Test                      Ein lukrativer Markt
 Novartis                     Carbamazepin              N/A              empfohlener Test
                                                                                                 Die Dimensionen des Marktes für
 Novartis                       Everolimus            Afinitor®             Pflichttest      personalisierte Arzneimittel zeigt Caroli-
 Novartis                        Imatinib             Glivec®               Pflichttest      ne Ruthe auf, Senior Beraterin und Mit-
                                                                                             glied des Leadership-Teams bei komm.
 Novartis                        Letrozol             Femara®               Pflichttest
                                                                                             passion: „Der gesamte Markt belief sich
 Novartis                        Nilotinib            Tasigna®              Pflichttest      2012 auf 61 Milliarden US-Dollar, für das
 Novartis                      Oxcarbazepin          Trileptal®          empfohlener Test    Jahr 2016 wird der Markt auf 92,7 Milli-
                                                                                             arden US-Dollar geschätzt.“ Dies ent-
 Orion Corporation              Toremifen            Fareston®              Pflichttest
                                                                                             spreche einer jährlichen Wachstumsrate
 Pfizer                         Bosutinib             Bosulif®              Pflichttest      von 13 Prozent – „ein hoher Wert, ver-
 Pfizer                         Crizotinib            Xalkori®              Pflichttest      glichen mit dem Wachstum der gesam-
                                                                                             ten Pharmabranche, das bei etwa fünf
 Pfizer                         Exemestan            Aromasin®              Pflichttest
                                                                                             bis sieben Prozent liegt“, vergleicht Ru-
 PTC Therapeutics                Ataluren           Translarna®             Pflichttest      the. Es handele sich um einen lukrativen
 Roche                           Erlotinib            Tarceva®              Pflichttest      Markt, den es zu erschließen gelte. Ihrer
                                                                                             Beobachtung nach fokussieren große
 Roche                         Pertuzumab             Perjeta®              Pflichttest
                                                                                             Pharmaunternehmen ihre Aktivitäten im
 Roche                         Trastuzumab           Herceptin®             Pflichttest      Rahmen ihrer strategischen Neuausrich-
 Roche                     Trastuzumab emtansin       Kadcyla®              Pflichttest      tung deshalb auf Spezialmärkte wie On-
                                                                                             kologie, Autoimmunerkrankungen oder
 Roche                         Vemurafenib           Zelboraf®              Pflichttest      Orphan Diseases, da in diesen hochprei-
 Takeda                    Brentuximab vedotin       Adcetris®              Pflichttest      sigen Märkten noch ein großer Bedarf an
 Teva                          Arsentrioxid          Trisenox®              Pflichttest      innovativen Arzneimitteln besteht. Ruthe
                                                                                             nennt außerdem einen weiteren Vorteil,
 Vertex                          Ivacaftor           Kalydeco®              Pflichttest      der für die Erschließung dieses Marktes
 ViiV Healthcare                 Abacavir             Ziagen®               Pflichttest      spricht: „Die Gefahr einer generischen
 ViiV Healthcare                Maraviroc            Celsentri®             Pflichttest      Konkurrenz durch Biosimilars ist auf-
                                                                                             grund der hohen regulatorischen Anfor-
 Quelle: Verband Forschender Arzneimittelhersteller www.vfa.de/personalisiert.de,            derungen sehr gering.“
 Stand: Februar 2015, die Zulassung der Arzneimittel bezieht sich auf den deutschen Markt.
                                                                                                 Doch auch wenn der Markt lukrativ

innovations 1/15                                                                                                                    17
Innovations ORPHAN DRUGS - PHARMA FUTURE FORUM
Report

und sein Potenzial groß ist, zu bedenken       und Imagetransfer zu schaffen.“ Dabei
ist dennoch, dass die Erfolgsaussich-          spricht die Fachfrau dem Aufbau von
ten, einen Biomarker für einen Begleittest     Netzwerken für die Personalisierte Medi-
schon während der Medikamentenent-             zin eine große Bedeutung zu. Neben ei-
wicklung zu finden, „sehr unterschied-         nem Hand-in-Hand-Arbeiten bieten ihrer
lich“ (O-Ton Hömke) sind. „Während in          Ansicht nach Cluster mit ihrem Plattform-
manchen Fällen tatsächlich entsprechen-        ansatz den richtigen Kontext für medizini-
de Biomarker noch während der Entwick-         sche personalisierte Innovationen, indem
lung identifiziert werden können, ist das      sie neue Kooperationsformen – gerade
in der Mehrzahl der Fälle nicht so“, erklärt   auch für Internationalisierungsstrategien
der vfa-Experte. Manchmal aber würden          in ausgewählten Zielmärkten – ermögli-
Biomarker auch noch Jahre nach der Zu-         chen. Dies eröffne für kleine und mittlere
lassung gefunden. So sei beispielswei-         Unternehmen einen vielversprechenden
se im Fall des Jahrzehnte alten Zytosta-       Markt, denn große Unternehmen ver-
tikums 5-Fluoruracil vor wenigen Jahren        suchten immer früher, in die Forschungs-
ermittelt worden, mit welchem Vortest die      projekte kleiner Biotech-Unternehmen
                                                                                                              Eric Seitz, Partnerseitz Health.
Responder erkannt werden können.               einzusteigen, um Innovationen zu fördern
                                               und für sich zu sichern.                      ven Therapien gerade im onkologischen
                                                   Welche Besonderheiten es im Marke-        Bereich häufig das Risiko der Kannibali-
   Kommunikationsmaßnahmen
                                               ting von Dx-Produkten (Dx steht für „di-      sierung des bestehenden Portfolios be-
 müssen breiter angelegt werden                agnosis“) im Vergleich zu Rx-Produkten        stehe. Vor diesem Hintergrund müssen
                                               gibt, beschreibt Schreiber von Roche Di-      Pharmareferenten seiner Ansicht nach ih-
     Richtet sich ein Pharmaunternehmen        agnostics: „Der Wert der Diagnostik liegt     ren Kunden eine lösungsorientierte Bera-
strategisch in Richtung Personalisier-         bei vielen nicht im Fokus, das ist eine He-   tung bieten und darüber informieren, bei
te Medizin neu aus, dann ist eine Kom-         rausforderung für die Kommunikation.“         welchen Patienten welche Therapien zur
munikationsstrategie von Anfang an un-         Diagnostik sei die Basis für Therapie-        Verfügung stehen beziehungsweise am
abdingbar, ist Ruthe überzeugt, „da das        entscheidungen. Gerade im Kontext der         besten geeignet sind. Das gehe oft weit
Thema komplex ist“. Verschiedene Stake-        Personalisierten Medizin müsse die An-        über das Tätigkeitsprofil eines Sales Reps
holder müssen angesprochen und ein-            sprache daher breiter angelegt werden.        hinaus, weiß der Experte zu berichten.
gebunden werden. Auf dieses Gebiet hat         „Es geht darum, dass Ärzte, Patienten,
sich das Unternehmen komm.passion, in          Leistungszahler und auch Politiker das             Knackpunkt ist die Erstattung
dem Ruthe als Senior Beraterin tätig ist,      Konzept verstehen. Hierfür bedarf es ei-
spezialisiert. Bei innovativen Themen wie      ner sehr aktiven und abgestimmten Kom-             Die Frage der Kostenübernahme stellt
der Personalisierten/Stratifizierten Medi-     munikation unter Berücksichtigung vieler      derzeit offenbar das größte Hindernis für
zin empfiehlt die Agentur ihren Kunden         Kanäle wie Public Policy, Market Access,      die weitere Verbreitung der Stratifizier-
den so genannten PIK-Ansatz (Produkt-          Marketing und Vertrieb“, fordert Schreiber.   ten Medizin dar. „Die Erstattungsfähigkeit
und Imagekommunikation). „Die Kom-                 Im Hinblick auf das Marketing im          von diagnostischen Tests ist nicht gere-
munikationsstrategie ist so angelegt,          Ganzen und den Pharmavertrieb im Be-          gelt, und das ist eine deutliche Hürde“,
dass sich Image-, Portfolio- und Pro-          sonderen identifiziert Matussek einen         sagt Schreiber. Auch die anderen Befrag-
duktkommunikation synergetisch ergän-          noch ungedeckten Bedarf: „Wir müssen          ten stimmen ihm in diesem Punkt zu. „Ein
zen“, erklärt Ruthe. Die Botschaften des       im Feld der Personalisierten Medizin zu-      Arzneimittel wird in einem klar definierten,
Unternehmens und seines Produktport-           sätzlich Kenntnisse zur Diagnostik erwer-     kurzen Zeitraum nach der Zulassung in
folios begleiten dabei produktspezifische      ben und den Beziehungsaufbau zu den           den Leistungskatalog der Krankenkasse
Botschaften und verstärken diese. „Es          relevanten Disziplinen – wie den Patholo-     aufgenommen, bei diagnostischen Tests
ist wichtig, dass die Botschaften aufein-      gen und Humangenetikern – pflegen und         ist das nicht der Fall“, führt Schreiber aus.
ander aufbauen und sich widerspruchs-          aufbauen.“                                    Es könne mitunter Jahre dauern, bis es
frei ergänzen, auch in der Ausgestaltung           Als klassische Zielgruppen nennt Eric     eine entsprechende Vergütungsziffer gibt.
der Maßnahmen“, unterstreicht die Se-          Seitz, Geschäftsführer von Partnerseitz            Mag die Kostenfrage noch ein Pro-
nior Beraterin. Ziel sei es, dass sich Un-     Health, in diesem Kontext Fachärzte und       blem für die Zukunft darstellen, in einem
ternehmensmarke und Produktmarke in            Apotheken, aber auch Pathologen, Labo-        Punkt zeigen sich die befragten Exper-
einem Themenfeld verstärken. Dadurch           re, behandelnde APIs, Dialysezentren und      ten ausnahmslos optimistisch. Sie al-
würde ein Beleg für Vertrauen (Unterneh-       Praxen mit Infusionsplätzen. Er weist da-     le glauben, dass die Entscheidung, die
men) und Leistung (Produkt) geschaffen.        rauf hin, dass derzeit die Relevanz spezi-    Personalisierte Medizin in die Unterneh-
Der PIK-Ansatz funktioniere somit als          alisierter Ansprechpartner aus dem Pra-       mensstrategie einzubinden, einen großen
Umsatz- und Imagetreiber.                      xisteam steige. Als Beispiele führt er die    Imagezugewinn für die Pharmaunterneh-
     Die Erfahrung der Senior Berate-          MS-Nurse oder die Onkologie-Schwester         men bedeutet. „Gerade bei Patienten-
rin zeigt, dass sich die Kommunikation         an. Nicht zuletzt werde auch der Dialog       gruppen wie Kindern und älteren Men-
für Personalisierte Medizin noch im An-        mit Kostenträgern gesucht, um regionale       schen, die ‚unterversorgt‘ sind, bietet es
fangsstadium befindet. „Deshalb sehen          Erstattung oder die Kostenübernahme im        sich für Pharmaunternehmen an, diese
wir hier enormes Potenzial für Pharmaun-       Einzelfall zu klären, so Seitz.               Versorgungslücken zu schließen und da-
ternehmen, sich mit dem nötigen Know-              Der Vertriebsexperte gibt außerdem        mit mittelfristig einen Imagegewinn zu er-
how und Technologie zu positionieren           zu bedenken, dass mit neuen innovati-         zielen“, ist Carolin Ruthe überzeugt. ��

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Interview

Innovationsstrategie: Bayer HealthCare weitet Kooperationen mit externen Partnern aus

Ideenaustausch in Japan
Bayer HealthCare hat am 01.06.2014 in Osaka (Japan) ein Open Innovation Center (ICJ) gegründet. Dessen Team soll
die Vernetzung mit Hochschulforschungszentren, jungen Unternehmen und Risikokapitalgebern in Japan ausbauen
und neue Möglichkeiten für gemeinsame Forschung schaffen. Ein erster Schritt in diese Richtung war die Unterzeich-
nung einer zweijährigen Kooperationsvereinbarung mit dem Office of Society–Academia Collaboration for Innovation der

      Kann man Marktanteile
Universität Kyoto (KU-SACI). Gemeinsam wollen die Partner nun neue Ansätze für Forschungskooperationen identifizie-
ren, vor allem auf den Therapiegebieten mit hohem medizinischen Bedarf, also Kardiologie, Onkologie, Hämatologie, Gy-
näkologie und Ophthalmologie. Die Forschungspartnerschaften von Bayer HealthCare sind Teil der Innovationsstrategie
des Unternehmens. Der Leiter des ICJ, Shunichi Takahashi (Ph.D), gibt ein erstes Update zur Arbeit des ICJ.

     erküssen?
�� Herr Takahashi, wie darf man sich das ICJ vorstellen? Ist es
ein separates Gebäude, beziehungsweise wo ist das ICJ ange-
siedelt? Wie groß ist das Team, das dort tätig ist?
   Das ICJ ist in der Hauptniederlassung von Bayer Yakuhin
angesiedelt, im Zentrum der Stadt Osaka. Es ist kein separa-
tes Gebäude. Mein Team besteht aus fünf erfahrenen Wissen-
schaftlern und mir, wir sitzen im gleichen Gebäude wie unsere
Kollegen von Bayer Yakuhin; zwei meiner Team-Mitglieder ar-
beiten allerdings von unseren Büros in Tokyo aus.
   Das neu gegründete ICJ ergänzt perfekt unsere globale Prä-
senz von Innovations- und Wissenschafts-Zentren in der gan-
zen Welt, wie beispielsweise in Berlin, San Francisco, Beijing
und in Singapur.

Warum haben Sie ausgerechnet Osaka für die Gründung des
ICJ ausgewählt? Hängt das damit zusammen, dass die Haupt-
niederlassung von Bayer Yakuhin hier angesiedelt ist?
    Ein ausschlaggebender Aspekt war in diesem Zusammen-
hang die Nähe zu wichtigen Funktionen innerhalb von Bayer
Yakuhin, zum Beispiel zur Produktentwicklung und zum Ma-
nagement. Es war also die logische Konsequenz dieser Über-
legung, das ICJ in unserer Hauptniederlassung in Osaka an-
zusiedeln. Darüber hinaus befindet sich die Stadt im Zentrum
von Japan und in unmittelbarer Nähe von Städten wie Kobe
oder Kyoto. Im Hinblick auf das Networking und von der Lage
her schien uns dieser Ort daher sehr geeignet. Und, wie bereits
erwähnt, befinden sich auch zwei meiner Kollegen ohnehin in
Tokyo, so dass sie die Netzwerkbildung in dieser Region von
Japan abdecken können.
                                                                    Shunichi Takahashi, Ph.D, Leiter des Open Innovation Center von Bayer
Warum ist gerade Japan als Land attraktiv für neue Forschungs-      HealthCare in Osaka.
projekte und -kooperationen?
    Das hängt auch mit unserer langjährigen Geschichte als Un-
ternehmen in Japan zusammen. Wir sind in Japan seit über 100        gen, die ein starkes Netzwerk aufbaut und die Suche für „Inno-
Jahren präsent und haben in dieser Zeit kontinuierlich für die      vation von außerhalb“ vorantreibt sowie unsere Bemühungen
Entwicklung von innovativen Medikamenten gesorgt. Seit jeher        bündelt, um aktiv Partnerschaften mit akademischen Institutio-
hat sich Bayer also dazu verpflichtet, die Gesundheit und das       nen in Japan einzugehen.
Wohlbefinden der japanischen Bevölkerung zu verbessern.
    Heutzutage gibt es sogar noch einen größeren Bedarf an          Welche wissenschaftlichen Fachgebiete sind an der Universität
innovativen Ideen, die in die Forschung und Entwicklung von         Kyoto für Ihr Unternehmen besonders interessant?
Medikamenten eingebracht werden müssen; Japan kann dazu                 Wir haben unseren Fokus bewusst nicht auf ein bestimmtes
beitragen, diesen Bedarf zu decken, in seiner Rolle als eines der   Fachgebiet beschränkt, vielmehr erstreckt sich unsere Zusam-
Top-Zentren für die Grundlagenforschung weltweit.                   menarbeit mit der Universität Kyoto auf ganz viele verschiedene
    Wir wollen das Potenzial der japanischen Grundlagenfor-         Forschungsgebiete wie Medizin, Pharmazie, Biowissenschaf-
schung sowie das Innovationspotenzial im ganzen Land nut-           ten, Ingenieurwissenschaften und andere. Die Kooperations-
zen, um die nächste Generation von innovativen Arzneimitteln        vereinbarung hat das Ziel, gemeinsam die Expertise der Univer-
zu entwickeln. Dazu soll das ICJ als eine Organisation beitra-      sität sowie ihre innovativen Ansätze auf diesen Fachgebieten

innovations 1/15                                                                                                                            23
Interview

zu fördern und sie mit                                                                                                    Partnerorganisationen
dem Know-how von                                                                                                          zusammenkommen
Bayer in der Medika-                                                                                                      und bestimmte For-
mentenentwicklung zu                                                                                                      schungsthemen dis-
vereinen.                                                                                                                 kutieren, und zwar mit
     In der Vereinbarung                                                                                                  Wissenschaftlern aus
ist festgehalten, dass                                                                                                    ganz      unterschiedli-
die Partner künftig                                                                                                       chen      Fachgebieten
Projekte identifizieren                                                                                                   und Forschungszent-
wollen, in denen die                                                                                                      ren. Die erste “AGORA
vielversprechenden                                                                                                        Bayer”-Konferenz fin-
Ansätze der Universi-                                                                                                     det im März statt.
tätsforscher aus der
Grundlagenforschung                                                                                                       Gibt es Pläne, auch mit
angewandt        werden,                                                                                                  anderen wissenschaft-
um die Medikamen-                                                                                                         lichen Institutionen in
tenentwicklung in den         Das ICJ-Team in Osaka: Tetsuya Kurihara, Gen Shinoda, Shunichi Takahashi, Taruho Kuroda     Japan zusammenzuar-
Forschungsschwer-                                                                                              (v.l.n.r.) beiten, außer der Uni-
punkten von Bayer zu                                                                                                      versität Kyoto?
fördern, also Kardiologie, Onkologie, Hämatologie, Gynäkolo-                  Auf jeden Fall! Wir tauschen uns derzeit sehr intensiv mit ver-
gie und Ophthalmologie. Individuelle Lizenz- oder Forschungs-              schiedenen japanischen Universitäten aus und diskutieren ihre
kooperationsvereinbarungen werden dann für die identifizierten             Forschungsergebnisse mit großem Interesse.
Projekte verhandelt. Wir sind fest davon überzeugt, dass uns
die Zusammenarbeit mit der Universität von Kyoto zu sehr gu-               Bayer HealthCare will auch Risikokapitalgeber finden, um die
ten Ergebnissen auf der Suche nach innovativen Ansätzen und                Entwicklung neuer Therapien und Medikamente zu fördern. Wie
Technologien verhelfen wird, die wir in das Portfolio von Bayer            wollen Sie dabei vorgehen?
integrieren können.                                                           Die Investition in ausgewählte Wagniskapitalfonds ergänzt
                                                                           unsere Innovationsstrategie. Zusätzlich zu unseren F&E-Aktivi-
Das ICJ ist jetzt sechs Monate alt. Was ist bislang geschehen?             täten wollen wir dadurch junge Unternehmen unterstützen und
   Seit der Gründung haben wir zum einen ein hochtalentier-                ihre kreativen Ideen testen. Wir wollen den Ideenaustausch vor-
tes Expertenteam rekrutiert, das über eine große Bandbreite an             anbringen und unsere Expertise dazu beitragen. Deshalb inves-
neuer Expertise verfügt, die unseren Wissenspool ergänzt. Wir              tiert Bayer HealthCare beispielsweise in den deutschen “High-
haben darüber hinaus, wie bereits erwähnt, eine auf zwei Jahre             Tech Gründerfonds II” und in den “Versant Venture Capital V”-
angesetzte Vereinbarung mit der Universität Kyoto unterzeich-              Fonds. Wir glauben, dass diese Art der Förderung von sehr jun-
net – das ist die erste Vereinbarung dieser Art in Japan.                  gen Unternehmen eine sehr wichtige Rolle dabei spielt, Innova-
   Außerdem haben wir angefangen, aktiv die Crowdsourcing-                 tionen in der Healthcare-Branche voranzutreiben.
Initiative “Grants4Targets” (G4T) von Bayer HealthCare in Japan
voranzutreiben. Dieses globale Programm wurde bereits 2009                 Welche finanziellen und personellen Ressourcen erfordert so
eingeführt und fördert innovative Forschungsprojekte. Bayer                ein Projekt wie das ICJ?
bietet dabei finanzielle und technische Unterstützung an. Die                 Das ICJ in Japan zu etablieren erfordert sehr viel Mühe. Der
Rechte an den Ergebnissen der geförderten Projekte bleiben in              finanzielle und personelle Aufwand hängt letztendlich davon ab,
der Regel beim Forscherteam. Bei Einverständnis des Unter-                 wie groß die Projekte der angebahnten Forschungskooperatio-
nehmens und der Forscher ist es auch möglich, dass weitere                 nen sein werden.
Forschung gemeinsam betrieben wird. Die erste Deadline für
die Einreichung der Bewerbungen aus Japan ist der 31. März.                Digital Health steht ebenfalls auf der Agenda des ICJ. Welche
Wir freuen uns übrigens sehr darauf, die Arbeit des ICJ in die-            Themen wollen Sie in dieser Richtung angehen?
sem und in den weiteren Jahren fortzusetzen.                                  Bayer HealthCare gehört zu den führenden Innovatoren bei
                                                                           pharmazeutischen und medizinischen Produkten. In einem
Die Hauptaktivitäten des ICJ sind darauf ausgerichtet, poten-              wissensbasierten Unternehmen wie dem unseren gehören
zielle Forschungskooperationen auf den Schlüsselgebieten von               Innovationen im Healthcare-Bereich zum Tagesgeschäft. Wir
Bayer HealthCare ausfindig zu machen. Welche Kriterien müs-                glauben, dass die IT, die Technologie und die digitalen Denk-
sen die potenziellen Partner erfüllen? Wie viele Kooperationen             ansätze einen wichtigen Teil von integrierten Lösungen für
planen Sie anzubahnen?                                                     Patienten ausmachen. Unsere Herangehensweise an Digital
   Potenzielle Kooperationspartner sollten vor allem auf den               Health in Japan fokussiert sich auf zwei Hauptgebiete: Erstens
gleichen Gebieten forschen, die auch wir im Fokus haben. Ha-               wollen wir Lösungen mit zusätzlichem Mehrwert für Patienten
ben Sie jedoch bitte Verständnis dafür, dass es noch zu früh ist,          und Gesundheitsdienstleister anbieten und dabei vernetzten
um die Anzahl der geplanten Forschungsprojekte zu beziffern.               Geräten und mobilen Apps zum Durchbruch verhelfen. Zwei-
   Eines davon ist aber bereits in Planung: Wir haben im Rah-              tens wollen wir auch Business-Lösungen für interne Zwecke
men der Kooperationsvereinbarung mit der Universität Kyoto                 entwickeln und dabei Methoden der so genannten „Advanced
eine gemeinsame Konferenz mit dem Namen “AGORA Bayer”                      Analytics“ nutzen.
ins Leben gerufen. Diese soll drei bis vier Mal im Jahr statt-
finden. Bei der Konferenz werden Wissenschaftler von beiden                Herr Takahashi, vielen Dank für das Gespräch. ��

24                                                                                                                              innovations 1/15
Know-how

Ausblicke im Markt der Biologika und Biosimilars

Patentklippe 2016?
Die globalen Märkte haben sich nach der Patentklippe zwischen 2009 und 2012 wieder stabilisiert. Die Wachstumskurve zeigt seit
2012 wieder nach oben, nicht zuletzt getrieben vom starken Wachstum der Biopharmazeutika. Doch die nächste Patentklippe naht
bereits. Von dieser betroffen sind biologische Wirkstoffe wie Adalimumab, Etanercept und Infliximab, deren Patent bereits abgelau-
fen ist oder in den nächsten Jahren ablaufen wird. Biosimilars, die Nachahmermedikamente der Biologika, werden daher zukünftig
eine größere Rolle spielen.

�� Ein Blick auf den globalen Pharma-                                        Biologika wachsen stark –                    dukte finden sich 2014 bereits sechs Bio-
markt zeigt ein vergleichsweise schwa-                                       USA und Europa sind die                      logika. Zu diesen gehört auch das seit
ches Wachstum von 2011 auf 2012, was                                                wichtigsten Märkte                    2013 weltweit umsatzstärkste Medika-
auf die großen Patentabläufe in diesem                                                                                    ment „Humira“, dessen Wirkstoff Adali-
Zeitraum zurückzuführen ist (s. Abb. 1).            Einen wichtigen Beitrag zum Wachs-                                    mumab ein monoklonaler Antikörper ge-
Das seit 2012 gestiegene Marktwachs-             tum des Pharmamarktes leisten die bio-                                   gen den Tumornekrosefaktor-alpha ist.
tum wird sich ab 2015 leicht abschwä-            logischen Präparate. So lag das Wachs-                                      Viele der momentan sehr erfolgreichen
chen. Dennoch wird bis zum Jahr 2018             tum von Biologika mit 8 bis 11 Prozent in                                Biologika werden in den nächsten Jahren
eine Gesamtmarktgröße von bis zu 1,3             den letzten Jahren deutlich über dem des                                 ihren Patentschutz verlieren. So wird „Hu-
Billionen US-Dollar mit einem durch-             Pharmagesamtmarktes (s. Abb. 3). Die                                     mira“ (Adalimumab) in den USA 2016 und
schnittlichen jährlichen Wachstum zwi-           USA waren dabei der größte Treiber und                                   in der EU 2018 das Patent verlieren. „En-
schen 4 und 7 Prozent erwartet.                  generierten 2014 mehr als die Hälfte des                                 brel“ (Etanercept) wird in der EU bereits
                                                 gesamten Biologikaumsatzes. Zweiter                                      2015 aus dem Patent laufen, in den USA
   Der globale Pharmamarkt wird                  großer Umsatzträger mit mehr als einem                                   konnte das Patent bis 2028 verlängert
          bis 2018 eine Größe von                Fünftel des Umsatzes sind die EU5-                                       werden. Insgesamt sind bis 2020 Bio-
                                                 Märkte. Auf die Pharmerging Märkte ent-                                  logikaumsätze von rund 80 Milliarden
1,3 Billionen US-Dollar erreichen,
                                                 fallen nur 10 Prozent des Umsatzes, aber                                 US-Dollar von der nächsten Patentklippe
        die Wachstumstreiber sind                14 Prozent des Wachstums.                                                betroffen. Die Auswirkungen der Patent-
           Nordamerika und Asien                    Insgesamt machten Biologika 2014                                      abläufe auf die Umsätze der originalen
                                                 mit einem Umsatz von knapp 200 Milliar-                                  Biologika hängen allerdings stark von der
   Die einzelnen Weltregionen werden             den US-Dollar ein Fünftel des gesamten                                   Entwicklung ihrer Nachahmerprodukte,
sich dabei voraussichtlich unterschied-          Pharmamarktes aus. Die wichtigsten Prä-                                  der Biosimilars, ab.
lich entwickeln (s. Abb. 2). Nordameri-          parate unter den Biologika waren dabei
ka wird bis 2018 mit einer Wachstums-            mit einem gesamten Umsatzanteil von 40                                        Besonderheiten von Biosimilars
rate von 5 bis 8 Prozent weiterhin der           Prozent Immunsuppressiva (TNF-alpha-
größte Pharmamarkt bleiben. Die größ-            Inhibitoren), Onkologieprodukte und In-                                    Biosimilars sind die Nachahmerpro-
ten Wachstumsraten bieten die einkom-            suline.                                                                  dukte originaler Biologika, weisen aber
mensschwächeren, aber wachstums-                    Unter den Top 10 der globalen Pro-                                    Besonderheiten auf, die sie von klas-
starken Pharmerging Märkte1. In Asien
etwa, mit Ausnahme Japans, kann ein
zweistelliges jährliches Wachstum von                                                Globaler Umsatz und Wachstumsraten, 2009-2018
bis zu 11 Prozent erreicht werden. Größ-
ter Treiber dieses Wachstums ist Chi-                                                                                                          2015-18 CAGR, 4-7%

na, dessen Markt sich bis 2018 mit ei-                               1.400                                                                                                        14%
ner Größe von 170 Milliarden US-Dollar                                                                                                                                 3-6%
                                                                                                                                                            4-7%
                                                                     1.200                                                                       4-7%                             12%
zum zweitgrößten nach den USA ent-
                                                                                                                                                                                         Wachstum, % (konst. US$)

                                                                                                                                      5-8%
                                                                                                                            9%
wickeln wird. In Lateinamerika wird das                                                     5%        3%         5%
                                                  Umsatz, Mrd. US$

                                                                     1.000                                                                                                        10%
                                                                                     6%
Wachstum von Brasilien getrieben. Brasi-                                       7%
                                                                      800                                                                                                         8%
lien wird sich bis 2018 als der fünftgröß-
te Pharmamarkt der Welt, nach Deutsch-                                600                                                                                                         6%

land auf Platz vier, etablieren.                                      400                                                                                                         4%

                                                                      200                                                                                                         2%

                                                                        0                                                                                                         0%
                                                                              2009   2010   2011     2012       2013       2014       2015       2016    2017          2018
                                                                                                                                                   Prognose
1) Pharmerging Märkte – Riege 1: China;
Riege 2: Brasilien, Russland, Indien; Riege 3:                                               Globaler Umsatz                                 Wachstum
Mexiko, Türkei, Venezuela, Polen, Argentinien,
Saudi Arabien, Indonesien, Kolumbien, Thai-       Quelle: IMS Health Marktprognose, Okt 2014; 2014 Wachstumsrate basierend auf MIDAS Q3 2014. CAGR: Durchschnittliches jährl. Wachstum

land, Ukraine, Südafrika, Ägypten, Rumänien,
Algerien, Vietnam, Pakistan, Nigeria.            Abbildung 1: Bis 2018 wird der globale Pharmamarkt eine Größe von 1,3 Billionen US-Dollar erreichen.

innovations 1/15                                                                                                                                                                         25
Know-how

sischen Generika unterscheiden.                                                                  2014-2018: Globale Marktdynamik
   Biologika durchlaufen einen komple-
                                                                                                                                   Zentral- & Osteuropa
xen biotechnologischen Herstellungs-                                                                                               Größe: 69-89 Mrd. US$
                                                                   Nordamerika
prozess, der nicht identisch kopierbar ist.                        Größe: 482-502 Mrd. US$
                                                                                                     Westeuropa                    CAGR ’14-18’: 4-7%

Biosimilars und das Original sind daher                            CAGR ’14-18’: 5-8%
                                                                                                     Größe: 215-235 Mrd. US$
                                                                                                     CAGR ’14-18’: 1-4%
                                                                                                                                                                                   Japan

nicht identisch, sondern nur ähnlich. So                                                                                                                                           Größe: 93-113 Mrd. US$
                                                                                                                                                                                   CAGR ’14-18’: 1-4%
müssen Biosimilars aufwendige Zulas-                                                                                              Mittlerer Osten
                                                                                                                                  Größe: 13-33 Mrd. US$
sungsverfahren durchlaufen, wodurch ih-                                                                                           CAGR ’14-18’: 6-9%

re klinische Entwicklung im Vergleich zu
der von Generika teuer ist. Durchschnitt-                                                                                                                                 Asien Pazifik
liche Entwicklungskosten pro Produkt                                                                                  Afrika
                                                                                                                                                                          Größe: 240-260 Mrd. US$

betragen um die 200 Millionen US-Dollar                            Lateinamerika & Karibik                            Größe: 21-41 Mrd. US$
                                                                                                                                                                          CAGR ’14-18’: 8-11%
                                                                   Größe: 90-110 Mrd. US$                             CAGR ’14-18’: 8-11%
mit großer Variationsbreite je nach Prä-                           CAGR ’14-18’: 5 -8%
parat. Für ein herkömmliches Generikum
fallen hingegen nur 1 bis 4 Millionen US-       Globaler Markt                                          Niedriger
                                                                                                                      1-3%        4-6%                       7-9%         10-12%      13-15%
                                                                                                                                                                                                  Hoher
                                                Größe: 1.290-1.330 Mrd. US$                                CAGR                                                                                   CAGR
Dollar Entwicklungskosten an. Auch die          CAGR ’14-18’: 4-7 %                                                 2018 US$ Umsatz und LC$ CAGR 2014-2018
laufenden Herstellungskosten sind auf-
grund des komplexen Herstellungsver-          Quelle: IMS Health Marktprognose, Okt 2014, LC$: Local Currency $, CAGR: Durchschnittliches jährliches Wachstum

fahrens bei Biosimilars im Vergleich zu                                   Abbildung 2: Mit Ausnahme der USA werden die traditionellen Märkte im Vergleich zu den
Generika erhöht.                                                                              Pharmerging Märkten in den nächsten fünf Jahren weniger wachsen.

 Bis 2020 sind globale Umsätze
                                                                   Marktentwicklung Biologika 2008-2014                                                      Biologika – Anteil am Umsatz 2014
        von 11 bis 25 Milliarden
US-Dollar für Biosimilars möglich                                  250                                                          12%                                                             21%
                                                                                                                                                                    51%
                                                                                                                                10%
                                                                   200
   Im Jahr 2014 entfielen gut 1,5 Prozent
                                                                                                                                         Wachstum, % (LC$)
                                               Umsatz, Mrd. US$

                                                                                                                                                                                                  6%
der Umsätze mit Biologika auf Biosimi-                             150
                                                                                                                                8%
                                                                                                                                                                                                10%
lars und andere Kopien der originalen                                                                                           6%                                                 12%
Biologika. Dies entsprach global rund 3                            100                                                                                          EU5                         Japan
Milliarden US-Dollar. Bis 2020 wird der                                                                                         4%                              Pharmerging                 Rest der Welt
                                                                                                                                                                USA
Anteil der Nachahmerprodukte am Bio-                                50
                                                                                                                                2%
logikaumsatz zwischen 4 und 10 Prozent                                                                                                                       Biologika – Anteil am Wachstum
                                                                                                                                                                            (letzte 5 Jahre)
liegen. Dies würde einem Marktvolumen                                0
                                                                         2008    2009    2010   2011    2012   2013     2014
                                                                                                                                0%

von 11 bis 25 Milliarden US-Dollar ent-                                           Umsatz Biologika
                                                                                                                                                                                                15%
sprechen (s. Abb. 4). Die Prognose be-                                                                                                                              55%                          6%
                                                                                  Wachstum Biologika
rücksichtigt dabei das zurzeit in einigen                                         Wachstum niedermolekulare Präparate

Ländern noch unklare Markt- und Regu-                                             Wachstum Gesamtmarkt
                                                                                                                                                                                                 14%
lationsgeschehen für Biosimilars.                                                                                                                                                         11%
                                              Quelle: IMS Health, MIDAS Q3 2014, Rx, LC$: Local Currency $
   Neben den klassischen forschenden
Pharmaunternehmen sind Generikafir-                               Abbildung 3: Der globale Markt für Biologika wächst 2014 um 11 Prozent auf knapp 200 Milliarden
men und auch pharmafremde Player wie                                                                                                                  US-Dollar.
Samsung und Fujifilm im Biosimilars-
markt aktiv. In den Entwicklungsländern       lassungsweg für Biosimilars, bislang wur-                                        similars, allerdings bei steigenden Wachs-
sind zudem lokale Pharmaunternehmen           de über diesen Weg allerdings noch kein                                          tumsraten. Aufgrund abweichender Zu-
sowie Auftragsforschungs- und Entwick-        Produkt zugelassen. Mittlerweile sind be-                                        lassungsbedingungen sind dort neben
lungsfirmen anzutreffen. Durch Speziali-      reits Produkte im Zulassungsverfahren,                                           den Biosimilars zahlreiche Nachahmer-
sierungen entlang der Wertschöpfungs-         deren Zulassung in Kürze erwartet wird.                                          präparate auf dem Markt, die im Gegen-
kette kommen Partnerschaften im Biosi-        Das bisher einzige Biosimilar auf dem                                            satz zu Biosimilars eine weniger deutliche
milarsgeschäft häufig vor.                    amerikanischen Markt ist das 2006 über                                           Vergleichbarkeit mit originalen Biologika
                                              ein anderes Zulassungsverfahren zuge-                                            aufweisen. Über diese häufig lokal produ-
                                              lassene Präparat „Omnitrope“. Um den                                             zierten Nachahmerpräparate sichern sich
    Mit einer Harmonisierung der
                                              Biosimilarsmarkt in den USA weiter zu                                            diese Länder einen Zugang zu innovativen
     Biosimilar-Leitlinien wird der           formen, arbeitet die FDA (U.S. Food and                                          Therapien und sorgen für eine lokale Stär-
 Biosimilarsmarkt global wachsen              Drug Administration) an sechs weiteren                                           kung ihrer Volkswirtschaften.
                                              Entwürfen zu Guidelines für Biosimilars                                            Die EU, Japan und Korea weisen hin-
  Die regulatorischen Anforderungen für       (bereits veröffentlicht), deren Finalisie-                                       gegen mit klar definierten Richtlinien die
Biosimilars sind global noch heterogen,       rung noch nicht abgeschlossen ist.                                               größte Reife im Regulationsprozess auf.
daher kann der Marktzugang in einigen           Die Pharmerging Länder, wie etwa Chi-                                          So sind in Europa die Biosimilarsraten
Ländern anspruchsvoll sein.                   na und Russland, zeigen überwiegend                                              vergleichsweise hoch. Die EU hat bereits
  In den USA, dem größten Pharmamarkt         unklare regulatorische Anforderungen                                             seit 2006 eines der weltweit am besten
weltweit, gibt es seit 2010 zwar einen Zu-    und eine geringe Durchdringung von Bio-                                          ausgearbeiteten Regularien zur Zulas-

26                                                                                                                                                                                    innovations 1/15
Know-how

sung von Biosimilars etabliert. 19 Biosi-                                                      Marktentwicklung Biosimilars, 2014-2020
milars wurden in der EU bereits zugelas-                                                                                                                        Anteil am
sen, darunter 2013 auch das erste Biosi-                                       30                                                                         Biologikamarkt 2020

                                                Größe des Biosimilarsmarkts,
milar eines monoklonalen Antikörpers. In
                                                                               25                                                                    25         10%
Deutschland ist der Markt für Biosimilars
bereits etabliert und wird von den Ko-                                         20                                                                    20          8%

                                                         Mrd. LC$
stenträgern mitgeformt, etwa durch lo-                                         15
kale Mindestquoten für den Einsatz von                                                                                                               11          4%
                                                                               10
Biosimilars, zum Beispiel des Erythropo-
etins. Dennoch ist die automatische Aus-                                        5

tauschbarkeit bei Biosimilars in Deutsch-                                       0
land nicht zulässig. Austauschbar sind                                          2014   2015       2016    2017           2018          2019        2020

nur einzelne identisch produzierte Pro-                                                Minimalszenario   Base Case               Maximalszenario
dukte, sogenannte „im selben Kessel“
                                                    • Zukünftig ist der US Markt Haupttreiber – unter Voraussetzung der Beseitigung regulatorischer Unklarheiten
produzierte Bioidenticals.
                                                    • Europa erlaubt durch sein etabliertes Zulassungsregelwerk ein zügiges Marktwachstum
   Die Marktdurchdringung der Biosimi-
                                                    • Die Entwicklungsländer, besonders Asien, holen auf
lars hängt stark von den jeweiligen Leit-
linien der Länder ab. Mittelfristig wird ei-    Quelle: IMS Health Analyse basierend auf MIDAS Sep 2014, LC$: Local Currency $

ne globale Harmonisierung der Leitlinien       Abbildung 4: Bis 2020 kann der Markt für Biosimilars eine Größe von bis zu 25 Milliarden US-Dollar
angestrebt, wobei die Leitlinien der EMA       erreichen.
(European Medicines Agency) und der
WHO (World Health Organisation) vie-           es häufig bei Kindern eingesetzt. Gerade                                       Neben der unterschiedlichen Marktent-
len Ländern mit weniger ausgearbeiteten        durch den langfristigen Einsatz bei Kin-                                    wicklung einzelner Präparate sind bei Bio-
Regularien als Vorbild dienen.                 dern scheint es eine geringe Bereitschaft                                   similars generell Besonderheiten bei der
                                               zu geben, das Originalpräparat zugun-                                       Vermarktung zu beachten. Da Biosimi-
                                               sten des Biosimilars zu wechseln.                                           lars nicht identisch mit ihrem Vorgänger-
 Der Biosimilarsmarkt unterschei-
                                                 Die monoklonalen Antiköper, komple-                                       produkt und noch relativ junge Produkte
   det sich je nach Präparat stark             xere rekombinante Proteine, könnten                                         sind, muss Vertrauen bei Ärzten und Pa-
                                               sich in ihrer Entwicklung von anderen Bio-                                  tienten aufgebaut und eine Markenmen-
   Der Biosimilarsmarkt ist durch eine         similars unterscheiden. So lassen deren                                     talität geschaffen werden.
stark heterogene Produktlandschaft ge-         Komplexität und damit einhergehendes
kennzeichnet und entwickelt sich je nach       höheres Investment sowie kritische-                                                                                       Fazit
Präparat deutlich verschieden.                 re Prüfung von Sicherheit und Effizienz
   Generell gilt: Bei akuten Therapien mit     eine langsame Marktdurchdringung er-                                           Die Patentklippe der Biologika wird in
großem Einfluss der Kostenträger und           warten. Dennoch zeigt das Biosimilar                                        den nächsten Jahren flacher ausfallen als
schnellen Therapiewechseln können sich         von Infliximab (TNF-alpha-Inhibitor) be-                                    bei den niedermolekularen Produkten. Dies
Biosimilars gegenüber den Originalprä-         reits jetzt, knapp ein Jahr nach der Ein-                                   ist auf besondere Charakteristika der Biosi-
paraten zügiger durchsetzen als bei sen-       führung, in einigen Märkten vergleichs-                                     miliars in Herstellung und Vermarktung so-
siblen Langzeittherapien. Ein Beispiel         weise hohe Durchdringungsraten, bei-                                        wie die unklare globale Regulationssituati-
verdeutlicht, dass es „den“ Biosimiliars-      spielsweise 20 Prozent in Norwegen und                                      on zurückzuführen. Langfristig werden ei-
markt nicht gibt: Die Biosimilars der Fil-     Polen. Jedoch bleibt abzuwarten, wie                                        ne erhöhte Kostensensitivität der Gesund-
grastime und Somatropine haben sich in         sich der Markt zukünftig, etwa nach Pa-                                     heitssysteme, steigendes Vertrauen in Bio-
der EU verschieden entwickelt.                 tentablauf des Originalprodukts in wei-                                     similars sowie die Lernkurve der Hersteller
   Biosimilars von Filgrastim etwa haben       teren EU-Märkten (Februar 2015) entwi-                                      eine Annäherung an eine generische Ent-
in Deutschland, Frankreich, UK, Italien        ckeln wird.                                                                 wicklung der Biosimilars ermöglichen. ��
und Spanien schnell Marktanteile von 60
bis 80 Prozent am Molekül erreicht. Fil-
grastim wird häufig zur Reduktion von
Nebenwirkungen einer Chemotherapie
                                                                Autorin
eingesetzt. Die Behandlung ist eine Akut-
behandlung und stark über Kostenträger                          Mia Reinwald ist Business Develop-
geregelt. Daher ist hier ein sehr schneller                     ment Manager, Central Europe bei IMS
Einsatz des Biosimilars möglich und wird                        Health. Sie ist seit Anfang 2012 bei IMS
aus Kostengründen gefördert.                                    Health tätig, zunächst im Commercial
   Ein anderes Bild zeigt sich bei Biosi-                       Effectiveness Services (CES) Consul-
milars des Wachstumshormons Soma-                               ting für Central Europe, danach als
tropin. Diese weisen nach einem ähnlich                         Business Analyst und Referentin der
langen Zulassungszeitraum in denselben                          Geschäftsleitungen Central Europe und
Ländern Durchdringungsraten von nur 3                           East Europe. Sie ist Diplom-Volkswirtin
bis 12 Prozent auf. Somatropin wird bei                         und hat in Tübingen und Genf studiert.
Wachstumsstörungen über einen lan-                              Kontakt: mreinwald@de.imshealth.com
gen Zeitraum angewendet. Zudem wird

innovations 1/15                                                                                                                                                                27
Know-how

„Patient Centricity“ durch Patientenbotschafter

Patienten als Kompass für Unternehmen
Menschen, die mit ernsten Erkrankungen leben, haben oft das Bedürfnis, sich anderen Personen mitzuteilen, die ihre Lage verste-
hen. Das Gefühl der Isolation ist gerade im Falle von seltenen Erkrankungen in der Regel sehr stark. Storytelling kann auf das Mit-
teilungs- und das Gemeinschaftsbedürfnis eingehen und hilft Unternehmen gleichzeitig, bessere Partner für Patienten zu werden.

�� Die Life-Science-Branche misst sich         kann, ist das Zuhören. Wie die Dänen so            mächtig waren. Ihre Worte waren bei die-
zunehmend am noblen Anspruch, Pati-            schön sagen: Der Mensch hat zwei Oh-               sem Teil des Publikums ein akustischer
enten in den Mittelpunkt zu stellen. Der       ren und nur einen Mund. Und die Firmen             Stimulus, dessen Abbild im Gehirn kein
Trend nennt sich neudeutsch „Patient           wollen ja auch Bescheid wissen: Markt-             erkennbares Muster ergab. Bei Perso-
Centricity“ und verlangt, dass ein Unter-      forschung, Medienbeobachtung, „Soci-               nen, die das Erzählte jedoch verstanden,
nehmen seine Abläufe und Handlungen            al Listening“ und eine Myriade anderer             leuchteten die gleichen Gehirnregionen
am langfristigen Wohl der Patienten aus-       Methoden helfen der Branche, besse-                auf wie bei der Erzählerin. Mit anderen
richtet. Bei den meisten Firmen lässt sich     re Entscheidungen zu treffen. Doch wie             Worten: Zuhörer, die einer Geschich-
dieses Ziel direkt aus der Unternehmens-       steht es um den echten, persönlichen               te folgen können, erleben diese in ver-
mission oder -vision ableiten. Doch auch       Austausch mit Patienten? Wann haben                gleichbarer Art, wie der Erzähler selbst.
sonst kann jede gewinnorientierte Firma        Sie das letzte Mal mit jemandem gespro-            Das funktioniert aber nur bei Geschichten
langfristig nur erfolgreich sein, wenn sie     chen, der mit der Krankheit lebt, für die          – Handlungen, Ereignissen, Dialogen und
für ihre Kunden einen Mehrwert stiftet,        Ihr Produkt gedacht ist?                           Emotionen – nicht bei langfädigen Reden
und so ist es nur vernünftig, wenn die Be-                                                        oder gar abstrakten Präsentationen.
dürfnisse der Kundinnen im Mittelpunkt                     Erlebnisse vervielfältigen
stehen und Patienten zum Kompass für
                                                                                                        Ein Mensch ist mehr als seine
Unternehmen werden.                                Um Patientinnen wirklich gerecht zu
                                               werden, muss man einmal „in ihren Schu-                                              Krankheit
              Zwei Ohren, ein Mund             hen gehen.“ Realistischerweise leben wir
                                               nicht alle mit den Krankheiten, um die es         Wir alle sind Geschichtenerzähler, jeden
     Die Pharmabranche steckt hierbei je-      bei unserer Arbeit geht. Doch diejenigen          Tag, das liegt in der Natur des Menschen.
doch in einer besonderen Situation. Be-        von uns, die aus erster Hand wissen, wie          Geschichtenerzählen hat nichts Anrüchi-
mühen wir hierzu eine bekannte Mar-            sich ein Leben mit ernsthafter Diagnose           ges – Geschichten sind zwar immer sub-
keting-Analogie: Der Kopf der Kundin           anfühlt, haben ein geeignetes Instrument          jektiv, das macht sie aber nicht unbedingt
ist getrennt von ihrem Herzen, und ih-         zur Hand, ihre „Schuhe“ Interessierten            weniger „wahr“. Und ihre Funktion geht
re Brieftasche ist nochmals ganz woan-         zur Verfügung zu stellen: Storytelling.           weit über reine Unterhaltung hinaus. Ei-
ders. Sowohl die Entscheidungsträger           Das Erzählen der eigenen Geschichte ist           ne Studie in den „Annals of Internal Me-
als auch die Bezahler haben selber nichts      viel mehr als die Wiedergabe von Infor-           dicine“ von 2011 hat untersucht, was
von dem Produkt, um das es geht. Letzt-        mation oder Fiktion. Als älteste, zutiefst        passiert, wenn Personen mit Hyperto-
lich stehen dem Hersteller also drei ver-      menschliche Kommunikationsform ist es             nie zusätzlich zu den üblichen Behand-
schiedene „Teilkunden“ gegenüber: Die          eine Methode, Unbeteiligte zu Beteiligten         lungsmethoden auch in den Genuss von
verschreibende Ärztin, die Versicherung        zu machen, Empathie zu erzeugen, ja, Er-          Storytelling durch „Vorbild-Patienten“
und der Patient. Das regulatorische Um-        lebnisse im wahrsten Sinne des Wortes             kamen. Um größtmögliche Identifikation
feld lenkt zudem die Kommunikation mit         zu vervielfältigen.
jedem dieser Teilkunden in enge Bahnen,            Wissenschaft -
sodass sich im Laufe der Zeit bei den          ler an der Universi-
meisten Firmen die Routine eingenistet         tät Princeton haben
hat, sich lediglich mit den Profis, den Ärz-   mit Hilfe eines MRI
ten, auszutauschen. Die Folge: Die Phar-       die Hirnströme in
maindustrie hat einen verschlossenen, ja       Storytelling-Situati-
schlechten Ruf, der Zyniker dazu bringt,       onen gemessen. Die
den Patient-Centricity-Trend als bloßes        Erzählerin sprach in
Feigenblatt abzutun.                           ihrer Muttersprache
     Und tatsächlich kann Patient Cen-         (Russisch) über ei-
tricity grandios scheitern, wenn Firmen        ne wahre Begeben-
das Konzept in ein Silo sperren und so         heit, die sie selber
vom Rest des Unternehmens isolieren.           einmal erlebt hat. Ih-
Oder wenn sie es rein intellektuell mit ein    re Hirnströme waren
paar Brainstorming-Sitzungen abhandeln,        grundverschieden            Die Brustkrebs-Botschafterin Nancy erzählt ihre Geschichte im Rahmen
                                                                          eines Video-Shootings. Der persönliche Kontakt mit Patienten, die bereit
als ob die teilnehmenden Mitarbeiter al-       von denjenigen Zu-
                                                                       sind, ihre Geschichte zu erzählen, führt zu einem besseren Verständnis und
le Antworten auf Patientenfragen hät-          hörern, die der russi-                        motiviert, mehr zum Wohl von Patienten beizutragen.
ten. Der erste Schritt, den eine Firma tun     schen Sprache nicht                                                         Bild: Snow Companies

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Know-how

zwischen Zuhörern und Erzählern herzu-            Agenturen wie die Snow Companies            tern können sie der Öffentlichkeit helfen,
stellen, kamen alle Teilnehmenden aus ei-     stellen den ersten Kontakt zwischen den         ein patientengerechtes Umfeld zu schaf-
ner vergleichbaren Gesellschaftsschicht,      Firmen und den Patienten her und be-            fen. Gerade in Deutschland gibt es etli-
in diesem Fall waren es Afroamerikaner.       gleiten Botschafterprogramme logistisch         che Beispiele von Firmen, die etwa Road-
Es stellte sich heraus, dass die Storytel-    sowie mit Agenturdienstleistungen wie           shows veranstalten, in denen Patienten
ling-Gruppe messbar bessere Werte als         Grafikdesign oder Videoproduktion. Der          ihre Geschichte an einem öffentlichen Ort
die Kontrollgruppe hatte. Man nimmt an,       regelmäßige Austausch mit Patienten-            erzählen, zusammen mit einer Moderato-
dass ein Großteil dieses Erfolgs von ver-     botschaftern geht mit der Zeit oft über         rin, einem Arzt, sowie gelegentlich The-
besserter Adhärenz herrührt, dass sich        das reine Teilen seiner Geschichte hin-         rapeutinnen. Solche Aktionen können
also die Patienten, die sich Erfolgsge-       aus. Firmen, die gute Beziehungen mit           die Leute für wenig bekannte oder stig-
schichten angehört haben, besser an das       Patienten pflegen, wissen genau, wen sie        matisierte Krankheiten sensibilisieren.
ärztlich verordnete Regime halten.            fragen können, wenn sie an Innovatio-           Viel zu oft werden Kranke als Simulanten
     Auch in Europa fasst das Konzept von     nen interessiert sind. Ein Hersteller eines     oder Verrückte abgetan. Gerade bei sel-
Storytelling durch Patientenbotschafter       Medikaments, das zur Behandlung ei-             tenen Erkrankungen, etwa den lysoso-
allmählich Fuß: „Als Patientenbotschaf-       ner neurodegenerativen Erkrankung zum           malen Speicherkrankheiten, fehlt es oft
ter bin ich wieder stolz auf mich, und ich    Einsatz kommt, stellte etwa eine Fokus-         genug auch an der ärztlichen Expertise,
kann anderen Betroffenen zeigen, dass         gruppe aus seinen Patientenbotschaf-            um Betroffene zur korrekten Diagnose
Multiple Sklerose nicht das Ende ist, son-    tern zusammen. Die Firma wollte wissen,         zu verhelfen. Patientenbotschafter, die
dern ein Neuanfang; eine neue Gelegen-        welche Informationen und Hilfsmittel sich       auf Ärztekongressen von ihren Erfahrun-
heit, für sein Glück zu kämpfen, sagt Nu-     in einem Starterkit für neu Diagnostizier-      gen berichten, können das Bewusstsein
no aus Portugal. Nuno lebt mit MS und         te befinden sollten. Was hätten die Pa-         für ihre Krankheit wirksam schärfen.
teilt seine Geschichte regelmäßig mit         tienten gerne gewusst, als sie mit der              Im Bereich der seltenen Krankhei-
anderen Betroffenen sowie mit Pharma-         Behandlung anfingen? Was hätte ihnen            ten besonders wichtig ist aber auch die
firmen, die verstehen, dass hinter jedem      geholfen, die Routine besser einzuhalten        Gemeinschaft: Nichts isoliert mehr, als
„Patienten“ ein ganzer Mensch steckt,         und motiviert zu bleiben? Die Rückmel-          der Glaube, allein zu sein mit seinem
in dessen Leben mehr Dinge vor sich           dungen halfen, ein Set zusammenzustel-          Schicksal. Storytelling und der Aufbau
gehen als eine Krankheit. Die Kraft von       len, das den tatsächlichen Bedürfnissen         einer Gemeinschaft von Menschen, die
Geschichten liegt einerseits darin, dass      echt Betroffener entspricht.                    alle etwas Ähnliches durchgemacht ha-
Menschen sie gerne hören und deshalb              Für eine andere neurologische Er-           ben, kann für betroffene Patienten Wel-
intrinsisch motiviert sind, Aufmerksam-       krankung hat ein Unternehmen eine ähn-          ten bewegen. Es kann ihnen die Kraft
keit zu schenken. Und immer, wenn wir         liche Fokusgruppe dazu befragt, wie man         geben, nachzuforschen, Fragen zu stel-
unsere Gehirne einschalten, verstehen         das Erleben der Krankheit Nichtbetroffe-        len, und selber für andere Betroffene
wir die Inhalte besser und erinnern uns       nen am besten näherbringen kann. Das            zum kompetenten Ratgeber und Bei-
später besser ans Gesagte. Ein anderer        Resultat war ein „Erlebniskit“, welches         stand zu werden.
Vorteil von Geschichten ist der Appell an     das Leben mit der Krankheit simuliert,              Entscheidend für den Erfolg von Pa-
unsere Emotionen. Die Psychologie hat         mit allen sensorischen, sozialen und fi-        tientenbotschafter-Programmen ist die
lange erkannt, dass die überwältigende        nanziellen Auswirkungen, die im echten          richtige Motivation der Beteiligten. Als
Mehrheit unserer Entscheidungen nicht         Leben den Ernstfall darstellen. Die Firma       Patientenbotschafter macht man Frei-
rational, sondern emotional begründet         verschickt das Kit jetzt in alle ihre Länder-   willigenarbeit, motiviert durch die Aus-
ist. Durch emotionale Überzeugung kann        gesellschaften, so dass vor Ort alle Mitar-     sicht, anderen Betroffenen wirksam hel-
Storytelling den Anstoß geben, das eige-      beitenden im geschützten Rahmen einer           fen zu können, sowie dadurch, mit wich-
ne Verhalten anzupassen.                      internen Schulung einmal die Herausfor-         tigen Akteuren und Experten in direktem
                                              derungen einer Erkrankten erleben.              Austausch zu stehen. Eine Firma, die ein
                        Fokusgruppen                                                          solches Programm aufbaut, ist bestrebt,
                                                                                              Patient Centricity nicht nur zu predigen,
                                                    Seltene Krankheiten bekannt
     Durch das Engagement von Patien-                                                         sondern wirklich zu leben. Solche Fir-
ten, die ihre Geschichte teilen, haben Fir-                             machen                men geben Betroffenen eine Stimme.
men also eine Gelegenheit, zu lernen, in                                                      Und sie geben damit anderen Patienten
welchem Kontext ihre Produkte und Be-              Patientenbotschafter helfen Unter-         Hoffnung und die Erkenntnis, dass das
treuungsangebote zum Einsatz kommen.          nehmen, intern dem Ziel der Patient Cen-        Leben tatsächlich aus mehr besteht als
Sie sehen, welch wichtigen Beitrag sie        tricity näher zu kommen. Doch auch ex-          aus ihrer Krankheit. ��
zum Wohl der Patientinnen bereits leisten,
und wo sie mehr tun könnten, um das Los
eines Menschen, der mit einer ernsthaf-        Autor
ten Diagnose lebt, zu verbessern. Nichts       Oliver Portmann ist Director of Communications bei Snow
motiviert Mitarbeitende mehr, als das Ver-     Companies und hilft Patienten in Europa und Nordamerika,
ständnis dafür, warum man eigentlich je-       ihre Geschichte authentisch und wirkungsvoll aufzusetzen
den Tag zur Arbeit geht. In klinischer Hin-    und zu präsentieren. Der ehemalige Journalist ist spezialisiert
sicht sind Mediziner die Experten. Aber        auf mehrsprachige und interkulturelle Patienten- und Medien-
niemand hat mehr Expertise über die Re-        kommunikation.
alität des Lebens mit einer Krankheit als
                                               Kontakt: oportmann@snow-companies.com
die Betroffenen und ihre Angehörigen.

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