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Den Kostenanstieg ausbremsen Seite 4 «Keine andere Zwangsabgabe wird einfach so erhöht» Seite 10 ine c h onl h t au ss.c jetz alog.c dialog di im Wenn das System kippt Im Fokus: Kostenbremsen im Detail Ausgabe 3 / 2018
Echo Editorial/Inhalt Susanne Hochuli Folgen Sie uns auf Twitter: twitter.com/CSSPolitik Weg mit den Scheuklappen Oliver Peters Bloss keine «Sobald irgendein Vorschlag kommt, wissen alle, warum er sicher nicht umgesetzt werden kann.» Präsidentin der Stiftung für Patientenschutz, SRF, 12.7.2018 Angst Den Boom Philomena Colatrella ist Vorsitzende der Konzern- «Das Globalbudget, so wie wir es kennen, endlich brechen leitung der CSS Versicherung. hat keine einzige Patientenbehandlung verunmöglicht.» Stellvertretender Direktor des Es gibt in der Schweiz keine Branche, die dermassen boomt wie Universitätsspitals Lausanne (CHUV), das Gesundheitswesen. In anderen Wirtschaftszweigen würde man sich SRF, 29.4.2018 Inhaltsverzeichnis angesichts jährlicher Wachstumsraten von mehreren Prozenten die Hände reiben. Im Gesundheitsbereich indessen raufen sich Gesellschaft 4 Kostenbremsen im Detail und Politik angesichts des ungebremsten Wachstums verzweifelt die Serge Gaillard Den Kostenanstieg ausbremsen Haare. Und das seit mehr als 20 Jahren. Dass nun – einmal mehr – der Aufwachen! 7 Standpunkt Begriff Kostenbremse auftaucht, vermag deshalb auf den ersten Blick nicht Mehr Druck für mehr Effizienz? zu erstaunen. Wohl aber die Tatsache, dass der Begriff – indirekt – in einem vom Bundesrat in Auftrag gegebenen Expertenbericht auftaucht. 8 Praxis Der Bericht schlägt als zentrale Massnahme eine «verbindliche Ziel- Mit Globalbudgets in Richtung vorgabe für das OKP-Wachstum» vor. Erstmals sollen also auf natio- kantonale Einheitskassen naler Ebene Vorgaben gemacht werden, um wie viel die Kosten in der 10 Im Gespräch obligatorischen Krankenpflegeversicherung jährlich steigen dürfen. «Die Gesundheitskosten sind das grösste finanzpolitische «Keine andere Zwangsabgabe Problem der Schweiz.» wird einfach so erhöht» Aus politischer Sicht und vor allem aus dem Blickwinkel der Leistungs erbringer ein höchst brisanter Vorschlag. Für die Prämienzahler jedoch Leiter Eidgenössische Finanzverwaltung, 14 Hintergrund ein längst überfälliger. Wir sind es nämlich, die den Boom mit jährlich «Bilanz», 29.9.2017 «Globalbudgets» in Deutschland – steigenden Versicherungsprämien berappen müssen. Umso wichtiger ist droht damit die Zweiklassenmedizin? es deshalb, den Vorschlag des Expertengremiums ernst zu nehmen. 15 ie andere Sicht D Denn jede Massnahme, die geeignet ist, Prämien zu senken, verdient Schaden und Nutzen von Revolutionen Aufmerksamkeit. Persönlich 16 Tilman Slembeck Qualitätsorientierter Leistungs- Es ist absehbar, dass in diesem Kontext sofort das Gespenst des wettbewerb als möglicher Ausweg Verlustes der Versorgungssicherheit an die Wand gemalt wird. Doch Kurz und schmerzlos? Santé! 18 Wie viel darf es sein? diesem beliebten Killerkriterium kann entgegnet werden, dass nach weislich eine Über- und Fehlversorgung in beachtlichem Ausmass besteht. Die Gefahr, dass die Schweiz zu einem medizinischen Ödland wird, «Wir haben das schnellste Gesundheitssystem, 19 Wissenschaft ist also unbegründet. Ludwig Peyer die kürzesten Wartezeiten auf der ganzen Managed Care als Kostenbremse? Welt. Das, meine Damen und Herren, das ist Mehr Wissen nicht gratis.» Gesundheitsökonom, «Arena», SRF, 20.4.2018 muss her Die Beiträge finden Sie ab sofort auch online «Ob die Einführung eines Global- unter dialog.css.ch budgets das richtige Instrument ist, um das Kostenwachstum zu bremsen, Impressum lässt sich ohne vertiefte Abklärungen Erscheint dreimal jährlich in deutscher und französischer Sprache. Herausgeber: CSS Versicherung, Tribschenstrasse 21, nicht abschliessend sagen.» CH-6002 Luzern, E-Mail: dialog@css.ch, Internet: www.css.ch, Chefredaktion: Bettina Vogel, Roland Hügi; Redaktionelle Mitarbeit, Produktion und Grafik: Infel AG, Katharina Rilling (Text) und Peter Kruppa (Art Director), Marina Maspoli (Editorial Design) | Bildnachweis: iStock/Kwangmoozaa, Fabian Hugo, zVg, unsplash/rawpixel, Präsident CVP-Fraktion Kanton Luzern, iStock/PicturePartners, iStock/Silvia Jansen | Lithos: n c ag, 8902 Urdorf | Druck: Kromer Print AG, 5600 Lenzburg. «Luzerner Zeitung», 21.6.2018 Diese Publikation wird vollständig aus Mitteln aus dem Zusatzversicherungsgeschäft (VVG) finanziert. 2 im dialog 3/2018 im dialog 3/2018 3
Kostenbremsen im Detail Kostenbremsen im Detail Festgelegt durch Leistungserbringer mit Tarifpartnern (subsidiär Bund) Optional durch Kantone (GDK) Verbände der Kantone und Grafik finden Sie unter Die Kosten im Schweizer Gesundheitswesen steigen und steigen. Tarifpartner Tarifpartner g national rgun Eine Kostenbremse mit verbindlichen Zielvorgaben könnte Die animierte dialog.css.ch Bund so helfen, das Kostenwachstum zu begrenzen. Wie könnte eine solche rver Kostenbremse aussehen, und was würde sie bewirken? Üb e etc. Zielwerte für Leistungserbringergruppen Zielwerte nach OKPLeistungsbereichen ... Von Anna Vettori, Thomas von Stokar (INFRAS) und Tilman Slembeck (ZHAW) Medikamente (Modell von Vettori, von Stokar und Slembeck) Wie können die Zielwerte Schritt z.B. +2,1% für einzelne Leistungserbringer für Schritt festgelegt werden? BE Individuelle Zielwerte Kantonale Zielwerte Den Kostenanstieg Globaler Zielwert Gesamtkosten BS jedoch mit unklarem Effekt auf z.B. +2,1% des Expertenberichts die Fehlanreize eliminieren, Notwendige Massnahmen, z.B. +1,7% Stationär OKP ausbremsen Massnahmen die Kosten. AI AR z.B. +2,4% Ambulant AG D Kostenbremse rechten TARMED-Tarifstruktur. 2018 korrigierte der Bundesrat Teile der nicht mehr sachge- ie steigenden Gesundheitskosten in Sozialversicherungssystemen ein probates Mittel Mit dem TARMED-Eingriff TARMEDEingriff sind seit längerem in allen westlichen dar, um die Gesundheitskosten zu dämpfen. Das Aus- einer Kostenbremse gebrochen werden. Kostenbremse Zielwerte definiert, die je nach Umset- Ebenen herunter- unterschiedliche zungsmodell auf Ländern ein Thema. Eine eigentliche land zeigt uns: In der Praxis fehlt oftmals der politische Überversorgung werden globale Mit Einführung die ineffiziente (2018) Dadurch wird reduziert. Kostenbremse im Sinne eines über- Wille zu einer konsequenten Umsetzung aufgrund des greifenden politischen Steuerungs- Widerstands der Betroffenen und teilweise auch der instruments existiert jedoch nicht. Bevölkerung, sodass die Ziele nicht immer erreicht Der Versuch, das Kostenwachstum zu dämpfen, be- werden. Deshalb ist für die Umsetzung von Kosten- ruht stets auf einer Mischung verschiedener Massnah- bremsen ein hoher Leidensdruck nötig. men, angepasst an das jeweilige Gesundheitssystem. Medikamentenpreise auf ihre Medikamentenpreis (2012/13/14/17/18) Bundesrat periodisch die Dem Bild einer «institutionalisierten Bremse» kommen Mögliche Ausgestaltung von Kostenbremsen Seit 2012 überprüft der Wirtschaftlichkeit. Dreijährliche überprüfung Länder mit einem sozialstaatlichen, steuerfinanzier- Kostenbremsen lassen sich durch zwei Hauptmerk- ten Gesundheitssystem (Beveridge-Modell) wie Eng- male charakterisieren: einen globalen Zielwert und land oder Schweden am nächsten. In diesem System einen Anpassungsmechanismus, der automatisch lässt sich die Kostensteuerung vergleichsweise einfach greift, wenn der Zielwert überschritten wird. Die Fra- durchführen, indem die staatlichen Gesundheitsbud- ge ist nun, wer einen solchen Zielwert nach welchem gets unmittelbar der politischen Kontrolle unterliegen. Massstab für welchen Bereich des Gesundheitswe- Ansätze von Kostenbremsen finden sich auch in sens festlegt und wie genau der Anpassungsme- Technischmedizinischen Fortschritt Ländern wie Deutschland und den Niederlanden, de- chanismus funktionieren könnte, wenn der Zielwert neu über leistungsbezogene Die Vergütung von stationä- ren Leistungen der Spitäler und Geburtshäuser erfolgt Spitalfinanzierung ren Gesundheitssysteme als Sozialversicherungssyste- überschritten wird. Vergangenheit, trotz deren Einführung Fallpauschalen. me (Bismarck-Modell) organisiert sind: In Deutschland Nachfolgend stellen wir zwei denkbare Modelle vor: Seit der Einführung des KVG steigen die Kosten im Durchschnitt die Kosten konstant weiter stiegen hat sich nichts geändert. Eine Kostenbremse hat das Potenzial, Auswahl an Massnahmen aus der (2012) DRG/ jährlich um 4 bis 5 Prozent. Trotz verschiedener Massnahmen bspw. unterliegt ein Anteil von 50 bis 80 Prozent der –Bei der Budgetsteuerung erhalten die Leistungs- Demografischen Wandel Leistungen vieler niedergelassener Ärzte einer Volu- erbringer ein Kostenbudget (Preise mal Mengen) menbegrenzung, indem die kassenärztlichen Verei- zugewiesen, das sie nicht überschreiten dürfen. Er- nigungen in jedem Bundesland jedem Vertragsarzt brachte Leistungen werden nur im Umfang des Bud- Überversorgung quartalsweise ein praxisbezogenes «Regelleistungs- gets entschädigt, darüberhinausgehende Leistungen Kosten steigen durch: volumen» (RLV) zuordnen. Ärzten, die hingegen nicht oder nur teilweise. Wird in der Praxis Belastung der OKP zu vermei- schwierige Situation gewisser finanzierung hatte zwei Ziele: Die Neuordnung der Pflege- Gruppen pflegebedürftiger eine zusätzliche finanzielle den und die sozialpolitisch das RLV überschreiten, werden die Leis- eine Budgetüberschreitung – zumindest in gewis- Pflegefinanzierung Personen zu verbessern. In Kürze tungsbeträge gekürzt. In den Niederlan- sem Masse – akzeptiert, wird von einem Soft Budget den gibt die Regierung Globalbudgets gesprochen, ansonsten von einem Hard Budget. (2011) • Bei der Budgetsteue für die verschiedenen Leistungserbrin- –Bei der Tarifsteuerung erfolgt die Steuerung über rung erhalten die gergruppen vor. Bei einer Überschrei- eine Anpassung der Preise. Die Tarifsteuerung gibt Die Kosten bremsen diese Entwicklung zu bremsen. Leistungserbringer ein tung kann die Regierung ex post lineare zwar einen Zielwert für die Kostenentwicklung vor, nicht zu überschrei Budgetkürzungen gegenüber den Leis- dieser kann aber im Prinzip überschritten werden. stem tendes Kostenbudget tungserbringern durchsetzen. Zu Anpassungen kommt es erst in den Folgejahren, zugewiesen. Kostenbremsen haben prinzipiell indem die Preise im Tarif (z.B. die Taxpunktwerte) leistungstarif. Die einheitliche Struktur erlaubt eine grössere Leistungen in Arztpraxen und TARMEDEinführung itssy Transparenz und somit eine Spitälern mit einem Einzel- dient der Abrechnung von Die Tarifstruktur TARMED bessere Vergleichbarkeit. eine hohe Wirksamkeit im Hinblick auf gesenkt werden. ambulanten ärztlichen e die Kostendämpfung. Sie bedeuten aber h • Die Tarifsteuerung d (2004) gleichzeitig eine Abkehr von der Situati- Bei der Budgetsteuerung ist wegen möglichen «Tritt- esun steuert über eine on, dass alle medizinischen Leistungen brettfahrens» davon auszugehen, dass letztlich bis auf Anpassung der Preise. nG jederzeit und unbegrenzt zur Verfügung die kleinste hierarchische Organisationseinheit (Praxis, te stehen. Insgesamt stellen Volumenbe- Spital etc.) hinunter Budgets für die Leistungserbrin- Kos • Der globale Zielwert grenzungen oder Globalbudgets auch ger festgelegt werden. Bei der Tarifsteuerung erfolgt wird nach vorge- gebenen Kriterien festgelegt. im dialog 3/2018 5
Kostenbremsen im Detail Standpunkt Zielwert global TARMED dann über eine Anpassung der Taxpunktwer- teile. Die Budgetsteuerung wäre in Bezug auf das Ziel — Thomas von Stokar ist dipl. Sozial- und Wirtschafts- te in den Folgejahren erfolgen. Werden Untergruppen der Kostendämpfung sehr wirksam. Sie ist aber in der gebildet, wäre eine Anpassung nach Untergruppen zu Abwicklung komplexer und aufwendiger umzusetzen. geograf und Geschäftsleiter und Partner beim Tarif- steuerung differenzieren. Der Eingriff in die wirtschaftliche Tätigkeit der Leis- Beratungs- und Forschungsbüro INFRAS. Er ist Experte Bei der Budgetsteuerung dürfte letztlich jeder Leis- tungserbringer ist deutlich höher und dürfte auf einen für soziale und ökonomische Wirkungsanalysen, Steuerung Kosten Preise tungserbringer von den zuständigen Verbänden (Fach- höheren politischen Widerstand stossen. Es bleiben Policy-Analysen und Evaluationen, u.a. in den Themen arztgesellschaften, kantonale Spitalverbände etc.) ein einige Fragen offen zu möglichen Nebeneffekten (Un- feldern Gesundheits- und Sozialpolitik. Budget steuerung individuelles Budget zugewiesen erhalten. Basis für die Festlegung auf individueller Ebene sind die durch- terversorgung, Wartezeiten, Verlagerung zu Privat- versicherung) und allfälligen Gegenmassnahmen. Es — Anna Vettori ist Ökonomin und Bereichsleiterin und individuell schnittlichen Kosten in den Vorjahren, bereinigt mit gibt keine Wirkung ohne Nebenwirkung, weshalb eine Partnerin bei INFRAS. Sie ist Spezialistin für ökono- dem Schweregrad der Fälle, oder die Standardkosten sorgfältige Abwägung zwischen beidem notwendig ist. mische Analysen, schwergewichtig in den Bereichen Die Budgetsteuerung pro Leistungserbringer-Einheit, d.h. die durchschnitt- Die Tarifsteuerung durch Anpassung der Preise greift Gesundheit und Energie. lenkt über Kosten und lichen Kosten einer Arztpraxis mit einer bestimmten deutlich weniger in das Gesundheitssystem ein und ist Budgets. Die Tarifsteuerung Grösse (Stellenprozente, Anzahl Patienten) in einer bestimmten Region. Damit bei Budgetüberschreitun- einfacher umzusetzen. Die Möglichkeit, dass Leistungs- erbringer weiterhin Mengenausweitung betreiben, er- — Prof. Dr. et mag. oec. HSG Tilman Slembeck forscht über Preise und Zielvorgaben. gen nicht unnötig Aufwand entsteht, weil die Leis- fordert Begleitmassnahmen, damit die Kostendämp- und unterrichtet als Professor für Volkswirtschafts- tungserbringer einen Teil ihrer Vergütungen zurück- fungsziele erreicht werden können. Denkbar wäre im lehre an der ZHAW und ist Dozent an der Universität erstatten müssen, wird bei allen Leistungserbringern Prinzip, mit einer Tarifsteuerung einen ersten Schritt zu St. Gallen. Er war Mitglied der Expertengruppe des im laufenden Jahr ein Rückbehalt von z.B. 5 Prozent machen, gefolgt von einer Budgetsteuerung, falls sich Bundesrates, die den Bericht zu Kostendämpfungsmass- die Steuerung über die Preise, die Zielvorgaben bleiben vorgenommen. Sobald alle Abrechnungen eines Jah- die Tarifsteuerung als zu wenig wirksam erweist. nahmen zur Entlastung der OKP erarbeitet hat. damit auf der Ebene von Tarifsystemen wie TARMED, res vorliegen, werden die Restbeträge bis maximal zur allenfalls mit einer gewissen Differenzierung nach Budgethöhe ausbezahlt. Ähnliche Mechanismen wur- Leistungserbringergruppen. den bereits bei der Einführung neuer Tarifstrukturen angewandt. Festlegung der Zielwerte Grundsätzlich beinhalten die individuellen Budgets Der globale Zielwert legt fest, wie stark die OKP-Kos- alle Kosten, die von den Leistungserbringern ausgelöst ten insgesamt steigen dürfen. Es dürfte am zweck- werden, also auch Medikamente, Laboranalysen etc. mässigsten sein, wenn der Bund in Anhörung der Kan- Denkbar ist, dass Leistungen, bei denen praktisch kei- Bisherige Reformen konnten die Kostenentwicklung im Gesund tone und Tarifpartner (Leistungserbringer, Versicherer) ne Anreize zur Mengenausweitung bestehen (z.B. Not- einen solchen Zielwert nach vorgegebenen Kriterien fälle), aus dem Budget herausgenommen und separat heitswesen nicht bremsen. Verbindliche Kostenziele sind festlegt, z.B. nach Massgabe der Vorjahreskosten, der vergütet werden. Verlagerungen von Budgets sollten ein Druckmittel, das brachliegende Effizienzpotenzial zu nutzen. Lohn- und Teuerungsentwicklung, der demografi- möglich sein, z.B. wenn Grundversorger ihre Praxis schen Entwicklung und des technisch-medizinischen aufgeben oder Arbeitspensen reduzieren. Fortschritts. Gemäss wissenschaftlicher Literatur er- scheint eine Zielvorgabe in der Schweiz in der Grös- Anreizwirkungen bei der Budgetsteuerung Mehr Druck für mehr Effizienz? senordnung von real 2 bis 2,5 Prozent angemessen. Bei der Budgetsteuerung erhalten Leistungserbringer Die OKP-Kosten umfassen dabei alle Kosten, die im für Leistungen, die das Budget überschreiten, keine Rahmen der Grundversicherung für die Versicherten oder nur eine stark reduzierte Abgeltung. Sie wer- entstehen, d.h. inklusive aller Selbstzahlungen der Ver- den deshalb versuchen, das Budget möglichst nicht sicherten und Beiträge der öffentlichen Hand (v.a. an zu überschreiten. Dies kann Anreize setzen, Behand- Die Gesundheitskosten stiegen in den letzten Mechanismen: Budgetsteuerung (Hard Spitäler). lungen effizienter zu erbringen, indem sie nicht not- zwanzig Jahren konstant an, und dies weit Budget) oder Tarifsteuerung (Soft Budget). In einem ersten Schritt sind die Zielwerte für die wendige Leistungen reduzieren oder günstigere Be- über der Lohnentwicklung. Klar, ist die Eine Kostenbremse ist natürlich möglichst wichtigsten OKP-Leistungskategorien – z.B. ärztli- handlungsmethoden wählen. Sie können aber auch Matthias Schenker ist Leiter Schweizer Bevölkerung gemäss der aktuellen so auszugestalten, dass sie den Akteuren che Leistungen stationär und ambulant, Medikamen- versucht sein, notwendige Leistungen vorzuenthalten Gesundheitspolitik der CSS Versicherung. Wahlumfrage einer grossen Schweizer Anreize gibt, nicht notwendige Leistungen te, Analysen etc. – festzulegen, und zwar sowohl auf (Rationierung durch den Arzt), schwierige Fälle abzu- Mediengruppe darüber am meisten beunru- einzuschränken oder Leistungen bei Ebene der gesamten Schweiz wie auch auf Ebene der lehnen (Risikoselektion) oder ihre Tätigkeit ganz einzu- higt. Alle bisherigen Kostenstabilisierungs- gleicher oder besserer Qualität effizienter einzelnen Kantone. Hier erscheint es zweckmässig, stellen, wenn sie sehen, dass sie das Budget erreicht massnahmen und Reformen konnten die einzusetzen. Um Fehlanreize zu verhindern, den Tarifpartnern und Kantonen die Verantwortung für haben oder nächstens erreichen werden. Denkbar ist Kostenentwicklung kaum beeinflussen. Das sind deshalb die Anzahl der Patienten und die Festlegung der Zielwerte zu übertragen und sich auch, dass die Leistungserbringer vermehrt Leistungen betrifft sowohl die politischen Reformen der Schweregrad der jeweiligen Krankheiten bei den Zuständigkeiten möglichst auf bestehende aus dem Zusatzversicherungsbereich abrechnen. und staatlichen Interventionen wie die Spital bei der Budgetierung zu berücksichtigen. Kompetenzordnungen abzustützen. Der Zuordnung finanzierung oder den TARMED-Tarifeingriff Leistungserbringer, die das Budget unter- könnte eine ähnliche Berechnungsmechanik wie beim Anreizwirkungen bei der Tarifsteuerung als auch die tarifvertraglichen Bottom-up- schreiten, könnten einen Bonus erhalten. globalen Zielwert zugrunde gelegt werden, evtl. er- Werden die Zielwerte bei der Tarifsteuerung über- Bemühungen der Tarifpartner im regulierten Ebenso wichtig wie die Definition positiver gänzt mit weiteren Kriterien wie Patientenströmen und schritten, werden nachträglich die Preise gesenkt. Wettbewerb. Wenn es also wirklich ernst Anreize ist die Einrichtung von Sanktionen, Angebotsspezialisierungen (z.B. Facharztdichte). An- Dies kann zu strategischem Verhalten seitens der Leis- ist mit der Notwendigkeit der Kostenstabilisie- wenn die Kostenziele nicht erreicht werden. schliessend können die Tarifpartner die Zielwerte nach tungserbringer führen, indem sie die Kürzungen anti- rung, dann können verbindliche Kosten- Natürlich ist es einfach, die Angst vor einer Leistungserbringergruppen weiter ausdifferenzieren. zipieren und die Mengen ausweiten. Tarifsenkungen ziele und -bremsen eine interessante Top- Zweiklassenmedizin oder einem Qualitäts- Generell kann gelten: Falls sich die Tarifpartner nicht schaffen somit Anreize für Mengenausweitungen, was down-Ergänzung des bisherigen Regelwerks verlust zu schüren. Die Prämienzahler dürfen innert Frist einigen können, legt subsidiär der Bundes- eine Spirale von Tarifsenkungen und Mengenauswei- sein, um letztlich Effizienz und Qualität zu angesichts des zunehmenden Problemdrucks rat die entsprechenden Zielwerte fest. tungen in Gang setzen kann. steigern sowie Mengen und Preise zu senken. von der Politik und den Akteuren erwarten, Bei der Tarifsteuerung werden die Zielwerte so weit Das brachliegende Effizienzpotenzial – dass sie sich mit Kostenzielen und -bremsen ausdifferenziert, wie es im Rahmen des Tarifsystems Vor- und Nachteile der Modelle gemäss Studien bis zu 20 Prozent – kann nur seriös auseinandersetzen. Denn es ist sinnvoll ist, z.B. für die ganze Gruppe der ambulanten Beide Modelle sind grundsätzlich umsetzbar und realisiert werden, wenn der notwendige durchaus möglich, sinnvolle Kostenziele zu Leistungserbringer unter dem Tarifsystem TARMED dämpfen das Kostenwachstum: die Budgetsteuerung Handlungsdruck da ist. Verbindliche Kosten- definieren und umzusetzen, auch wenn oder für einzelne Untergruppen (z.B. Fachärzte, zielgenau, die Tarifsteuerung in einem gewissen Aus- ziele könnten genau diesen Druck auf die die Rahmenbedingungen komplex sind und Grundversorger etc.). Die Kostenbremse würde beim mass. Beide Modelle verfügen über Vor- und Nach- Akteure aufbauen. Denkbar sind folgende die Umsetzung lange dauert. 6 im dialog 3/2018 im dialog 3/2018 7
Praxis Praxis D Globalbudgets auf Kantonsebene wären ein Fremdkörper im Gesund ie Expertenkommission des Eidge- Akutstationäre Erträge pro Fall in Franken heitswesen. Sie würden die Versorgung ohne zusätzlichen Versicherten nössischen Departements des Innern nutzen bürokratisieren. Dort, wo sie angewendet werden (Genf, empfiehlt in ihrem Gutachten vom 2013 2016 Änderung seit 2013 Herbst 2017 eine Einführung von Glo- abs. rel. Waadt, Tessin) haben Globalbudgets zudem die Kosten nicht gesenkt. Genf DRG 11 546 12 632 1 086 9,4 % balbudgets zur Senkung der Kosten in Von Prof. Dr. Stefan Felder, Universität Basel der obligatorischen Krankenpflegeversicherung. Sie GWL 5 913 3 569 –2 344 –39,6 % verweist auf die Kantone Genf, Waadt und Tessin, die Total 17 459 16 202 –1 257 –7,2 % damit gute Erfahrungen gemacht hätten. Machen Waadt DRG 9 773 10 179 406 4,2 % wir die Probe aufs Exempel und betrachten die Ent- GWL 3 724 4 722 998 26,8 % Mit Globalbudgets wicklung der akutstationären Erträge in diesen Kan- Total 13 498 14 901 1 404 10,4 % Tessin DRG 9 021 9 810 789 8,7 % tonen im landesweiten Vergleich. Wir berücksichtigen GWL 379 113 –266 –70,1 % dabei nebst der Vergütung über die DRG auch die in Richtung kantonale Total 9 400 9 923 523 5,6 % gemeinwirtschaftlichen Leistungen (GWL). Während Schweiz DRG 10 256 10 248 –8 –0,1 % die pauschalierte Vergütung pro Fall in den letzten GWL 1 472 1 262 –210 –14,3 % drei Jahren landesweit praktisch konstant blieb, stieg Total 11 728 11 509 –218 –1,9 % sie in den drei empfohlenen Kantonen um zwischen Einheitskassen 4,2 und 9,4 Prozent (vgl. Tabelle). Bei Berücksichtigung der GWL sieht es für den Kanton Genf bei der zeit- lichen Entwicklung zwar gut aus, nicht aber bei der absoluten Höhe; Genf weist die höchsten akutsta Anmerkung: Berücksichtigt werden alle Spitäler, welche Pflege- tage im akutstationären Bereich erbracht haben, und sämtliche Geburtshäuser. Die Tarife beinhalten die effektiv gezahlten OKP-Tarife (inkl. Kantonsanteil) für grund- und zusatzversicherte tionären Kosten pro Fall auf. Die Waadt schneidet im Patienten. Fehlerhafte Daten aufgrund einer falschen Kontierung landesweiten Vergleich sowohl in der Entwicklung wie wurden nach Möglichkeit korrigiert. absolut betrachtet schlecht ab. Oliver Peters, der ehe- malige Vizedirektor im Bundesamt für Gesundheit und Quelle: Kennziffern der Schweizer Spitäler 2013–2016; heutige stellvertretende Direktor der Universitätsklinik eigene Berechnungen Lausanne, hat am Radio und in Vorträgen verbreitet, sein Kanton habe die Kostenentwicklung dank des Globalbudgets besser im Griff. Das ist, wie die Zahlen zeigen, nicht der Fall. Gegen die Einführung von Globalbudgets sprechen mehrere Gründe. Zunächst sind die Kantone nach Art. 49a Abs. 2 verpflichtet, mindestens 55 Prozent der Ab- geltung stationärer Leistungen zu übernehmen. Die Waadt kann nach aktueller Gesetzeslage nicht, wie behauptet wird, ihren Anteil aussetzen, wenn das Glo- erbringer viel einfacher. Man wird den Verdacht nicht balbudget erreicht wird. Dies wäre auch nicht im Sinne los, dass mit Globalbudgets und Experimentierklausel der Patienten, die damit Gefahr liefen, von den Spitä- versucht wird, das Terrain für kantonale Einheitskassen lern auf eine Warteliste gesetzt oder gar abgewiesen zu zu ebnen. werden. Mengenvereinbarungen mit gestaffelten Tari- Einheitskassen widersprächen der DNA des fen wären genauso wenig sinnvoll, weil dies ebenfalls schweizerischen Krankenversicherungssystems mit die falschen Patienten treffen könnte. Vor allem aber Wettbewerb der Versicherer und Kombination von haben die Kantone auch ohne Globalbudgets die Mög- gesetzlicher Grund- und privater Zusatzversicherung lichkeit, die Kosten der stationären Versorgung zu sen- aus einer Hand. Statt sich in Richtung Einheitskasse ken, in dem sie die GWL reduzieren. Stattdessen trei- zu begeben, sollte man die Versicherer in die Pflicht ben sie bei ihren Einrichtungen Strukturerhaltung und nehmen, ihre Verträge mit den Leistungserbringern so In Kürze verhindern den Marktzugang von privaten Spitälern. zu gestalten, dass Qualität und Preis stimmen. Dazu Für Globalbudgets im ambulanten Bereich fehlt braucht es jedoch die Abschaffung des Kontrahie- • Die Kantone mit den Kantonen schlicht und einfach die Voraussetzung. rungszwanges. Davon will die Expertenkommission Globalbudget haben Arztrechnungen werden durch die Patienten gezahlt, aber nichts wissen. Zwar hält sie wenigstens einen dif- überdurchschnitt- die Kostenerstattung leistet der Versicherer. Die kan- ferenzierten Kontrahierungszwang für denkbar, räumt lich hohe akutstatio tonalen FMH wären nicht in der Lage, individuelle ihm aber keine Priorität ein. Die Experten vertrauen lie- näre Kosten pro Fall. Praxisbudgets festzulegen und zu überwachen, und ber auf das «Top-down»-Instrument der Globalbud- der einzelne Versicherer kann es nicht, weil er nur ei- gets. Damit zeigen sie nicht nur, wessen Geistes Kind • Die Voraussetzung für nen Ausschnitt einer Praxis sieht. Vor allem aber sind sie sind, sondern offenbaren, dass sie die systemischen Globalbudgets im ambulante Budgets nicht zielführend. Die Patienten Verhältnisse in der Schweiz nicht kennen oder nicht könnten sich dabei nicht sicher sein, dass ihr Arzt noch akzeptieren. ambulanten Bereich ein Interesse hätte, sie zu behandeln, wenn dessen fehlt. Budget ausgeschöpft wäre. • Eine Einheitskasse be- Der Vorschlag zur breiten Einführung von Global- budgets kommt aus der Westschweiz. In den Kanto- — Stefan Felder ist Ordinarius für Gesundheitsökonomie günstigt die Vorausset nen Waadt und Genf werden gleichzeitig Volksinitia- an der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät zungen für Kosten tiven zur Einführung einer Einheitskasse vorbereitet, der Universität Basel, Präsident der Schweizerischen bremsen, widerspricht nachdem man auf nationaler Ebene damit gescheitert Gesellschaft für Gesundheitsökonomie und jedoch dem Grund ist. Richtig ist: Mit einer Einheitskasse wäre der Durch- Generalsekretär der Europäischen Gesellschaft für gerüst des schweizeri griff auf die stationären und ambulanten Leistungs- Gesundheitsökonomie. schen Krankenver sicherungssystems. 8 im dialog 3/2018 im dialog 3/2018 9
Im Gespräch Im Gespräch Sind Zielvorgaben und ein Globalbudget wirksame Kostenbremsen? FMH-Präsi dent Jürg Schlup wehrt sich heftig gegen die Vorschläge der vom Bund eingesetzten Expertengruppe. Im Streitgespräch hält der eidgenössische Finanz — Serge Gaillard ist seit 2012 Direktor direktor Serge Gaillard als Mitglied der Expertengruppe dagegen. der Eidgenössischen Finanzver- Interview: Patrick Rohr waltung. Davor war der Volkswirt- schaftler Leiter der Abteilung Arbeit im Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) und Zentralsekretär des «Keine andere Schweizerischen Gewerkschafts- bundes. Zwischen 1998 und 2006 amtete Gaillard zudem als Bankrat der Schweizerischen Nationalbank Zwangsabgabe wird (SNB) und als Mitglied der Wettbe- werbskommission. — Jürg Schlup ist seit 2012 Präsident der einfach so erhöht» Verbindung der Schweizer Ärzte (FMH). Davor war er Präsident der Ärztegesell- schaft des Kantons Bern und Leiter der Sektion Bern des Verbands Schweize- rischer Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzte (VSAO). Zu Beginn seiner Karriere war er während fast zwanzig Jahren als Hausarzt tätig. Patrick Rohr (PR): Herr Schlup, warum negative Teuerung hatten! Die Kostenent- PR: Herr Schlup wendet aber ein, dass dieser Widerstand der FMH gegen die wicklung im Gesundheitswesen belastet genau in diesen Ländern die Erfahrung Idee der Expertengruppe, Zielvorgaben die Haushalte, die privaten und die öffent- zeigt, dass ein Globalbudget nichts und ein Globalbudget einzuführen? lichen. So kann es nicht weitergehen. Und bringt. Sie schauten sich in der Experten Jürg Schlup (JS): Der Expertenbericht weil sehr viele Länder um uns herum das gruppe Deutschland und die Niederlande beinhaltet 38 Massnahmen. Wir sagen zu gleiche Problem haben, haben praktisch genauer an, dort sind die Gesundheits 20 Massnahmen Ja, zu einigen sagen wir alle angefangen, politische Vorgaben zu ausgaben mit etwa 11 Prozent tatsächlich nichts – und nur zu zwei Massnahmen definieren, um wie viel die Kosten wach- ungefähr gleich hoch wie in der Schweiz. sagen wir klar Nein, weil sie zulasten des sen dürfen. SG: Aber die Wachstumsrate der Gesund- Patienten gehen: zum Kostendeckel und heitsausgaben ist in Deutschland während zum Globalbudget. Ein Globalbudget der letzten Jahre deutlich tiefer als in der führt zu Nachteilen für den Patienten, und Schweiz! Im obligatorischen Bereich sind es ist nicht nachgewiesen, dass es Kosten- «Zum Sparen gibt es sie in der Schweiz um jährlich 4,6 Prozent einsparungen gibt. Die Länder, die bereits gestiegen, in Deutschland um 3,3 Prozent. ein Globalbudget eingeführt haben, gar keine Anreize, Das zeigt: Zielwachstumsraten haben haben genau die gleichen Kostenanstie- weil es keine Budget einen Effekt. ge wie wir. Es gibt keine Belege, dass ein Globalbudget hilft, Kosten zu sparen. Es restriktionen gibt.» PR: Warum dann dieser heftige Wider ist ein Medikament mit sehr vielen Neben- Serge Gaillard stand, Herr Schlup? Man könnte ja sagen, wirkungen und mit sehr wenig Wirkung. das Globalbudget ist einen Versuch wert, wenn es zur Minderung des Wachstums PR: Herr Gaillard, Sie waren als Finanz beiträgt? chef des Bundes Mitglied der Experten JS: Es trägt eben überhaupt nichts zur gruppe und haben als Volkswirtschaftler Minderung des Wachstums bei! Ausser- das Globalbudget als wirksame Methode dem gibt es Zusatzbelastungen in der verteidigt. Ihr Hauptargument: Es ist Administration, denn es braucht ja Leute, nicht richtig, wenn die Gesundheitskos die dieses Budget verteilen. Wenn ich die ten im Jahr etwa um 4,5 Prozent steigen, Kosten für diesen Verteilapparat für die das Bruttoinlandprodukt, das BIP, hinge Schweiz hochrechne, dann kostet der uns gen nur um 2,7 Prozent. ein Prämienprozent im Jahr. Einfach so, Serge Gaillard (SG): Ich kam tatsächlich jedes Jahr ein Prämienprozent mehr. Da als Finanzpolitiker in diese Experten- bräuchte es auf der anderen Seite gewal- kommission und nicht als Gesundheits- tige Einsparungen, damit das etwas bringt. spezialist. Das hat damit zu tun, dass das SG: Die obligatorische Krankenpflegever- Kostenwachstum des Gesundheitswesens sicherung ist eine Zwangsabgabe. Es gibt das grösste finanzpolitische Problem der keine andere Zwangsabgabe, die nicht Schweiz ist. Sie haben es gesagt, wir ha- politisch gesteuert ist. Stellen Sie sich vor, ben jedes Jahr einen Zuwachs der Kosten der Bund würde das ganze Jahr Ausga- um 4,5 Prozent, und das in einer Zeit, ben beschliessen, und Ende Jahr gäbe es in der wir keine, ja zeitweise sogar eine Defizit, und es würden ohne Volksbefra- 10 im dialog 3/2018 im dialog 3/2018 11
Im Gespräch Im Gespräch gung einfach die Steuern erhöht. Genau «Wenn Sie Gesundheits JS: Wenn Sie in der Verwaltung Leistun- SG: Doch! Schauen wir, was in den Nie- Wartezeiten in Deutschland. Wartezeit ist 87 Prozent. Die beiden Länder sind also so funktioniert der Krankenversicherungs- gen kürzen, erzeugt das keine ethischen derlanden passiert ist. Als die Zielwachs- Rationierung. Für einen Kardiologietermin gleichauf. bereich! Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten: leistungen kürzen, Konflikte. Aber wenn Sie Gesundheits- tumsrate als Rahmenbedingung feststand, in Nordrhein-Westfalen haben Sie als Entweder man macht Mikroregulierung, dann bekommen Sie leistungen kürzen, dann bekommen Sie einigten sich die Akteure sehr schnell – OKP-Grundversicherter zum Beispiel eine PR: Wir müssen für einen Vergleich nicht indem man zum Beispiel sagt, bestimm- ethische Konflikte. auch auf strukturelle Massnahmen. Wartezeit von 90 Tagen, mit einer Zusatz- zwingend ins Ausland schauen. Es gibt ja te Operationen darf man nicht mehr ethische Konflikte.» JS: Eine Strukturdiskussion würde mehr versicherung sind es 20 Tage. In England auch in der Schweiz bereits Erfahrungen im Spital machen, nur noch ambulant. Jürg Schlup PR: Aber, Herr Schlup, Hand aufs Herz: bringen als Zielvorgaben und ein Global- ist die Wartezeit für eine Hüftoperation mit Globalbudgets: In den Kantonen Solche Ideen gibt es Tausende! Oder man In der Schweiz gibt es eine Überver budget. Das führt nur zu einer Rationierung. zwei Jahre, in der Schweiz wenige Wochen. Tessin, Genf und Waadt arbeitet man im führt eine makroökonomische Steuerung sorgung und viele unnütze Eingriffe, an SG: Eine Zielwachstumsrate ist keine SG: Das sind Behauptungen. stationären Bereich schon heute damit. ein, die den Akteuren erstens Verantwor- denen die Leistungserbringer nicht Rationierung! JS: Der «Spiegel» beruft sich auf die Bun- JS: Ja, und genau diese Kantone haben tung übergibt und zweitens verhindert, ganz unschuldig sind. Hier gäbe es doch desärztekammer. die höchsten Prämien. dass man zu viel mikroregulieren muss. Potenzial? PR: Sie wäre eine Folge des Globalbud SG: Das ist ein Interessenverband. Ich SG: Und die tiefsten Wachstumsraten Das heisst, die Akteure müssen Kosten- JS: Dann müsste man über Strukturen und gets, sagt Herr Schlup. traue der OECD mehr als dem «Spiegel», im stationären Bereich. Nutzen-Überlegungen anstellen. Damit Finanzierung reden. Da haben wir tat- SG: Nein, das stimmt nicht! In den Län- und gemäss Patientenbefragungen durch JS: Nun gut, sie sind einfach schon auf bekommen die Ärzte eine wichtige Rolle, sächlich grosses Potenzial. Aber alle ver- dern, die ich genauer angeschaut habe, die OECD müssen in Deutschland 12 Pro- einem sehr hohen Niveau. Da hat denn nur sie können entscheiden, was meiden die Strukturdiskussion. Warum? haben alle Leute Zugang zu medizinischen zent der Patienten vier Wochen oder man tiefere Wachstumsraten, als wenn eine angemessene Versorgung ist. Weil jeder Gesundheitsdirektor weiss, dass Leistungen. Es gibt keinen Arzt, der im länger auf einen Facharzttermin warten. man auf einem tiefen Niveau ist. es politischer Selbstmord wäre, wenn er Dezember aufhört zu arbeiten, weil das In der Schweiz sind es 20 Prozent! Ich SG: Die Kosten steigen definitiv weniger PR: Herr Schlup, das ist ja genau der diese Diskussion führen würde. Budget aufgebraucht ist. Es gibt nur Ärzte- möchte diese Zahlen nicht überbewerten, im stationären Bereich. Aber sie haben ein Hauptvorwurf an die Ärzte: Sie bieten verbände, die das behaupten. Man hat ja aber ich denke, sie sind etwas neutraler hohes Niveau, da gebe ich Ihnen recht. Hand für viele Veränderungen im Mikro PR: Aber würde ein Globalbudget nicht die Erfahrung vom Vorjahr, da kann man als die der Bundesärztekammer. Und JS: Diese Kantone sind der Beweis, bereich, aber den Mut zum grossen Wurf auch die Strukturdiskussion befördern? ziemlich vernünftig planen. Mit Rationie- was interessant ist: Auf die Frage, ob die dass Globalbudgets nicht funktionieren. haben sie nicht. JS: Überhaupt nicht! Die Interessenkon- rung hat das nichts zu tun. Es geht nur da- Patienten das Gefühl haben, dass der JS: Wir schlagen sogar noch drei weitere flikte, die diese Strukturdiskussion verhin- rum, das Kostenwachstum zu begrenzen. Arzt ihnen genug Zeit widmet, sagen Massnahmen vor! dern, würden Sie mit dem Globalbudget JS: Lesen Sie «Spiegel online», da gab es in der OECD-Erhebung 86 Prozent der nicht lösen. dieses Jahr schon drei Artikel über lange Deutschen Ja, in der Schweiz sind es PR: Aber keine umfassenden, wie das Globalbudget eine wäre. JS: Ich sage es noch einmal: Das Global- budget bringt keinen Nutzen, nur Scha- den. Erstens: Wenn Sie einen Budgetde- ckel haben, ist das Budget irgendwann aufgebraucht. Dann gibt es keine Leis- Dann würde man auf Sie hören mit Ihren tungen mehr. Erklären Sie dem Patienten, Vorschlägen, denn es gäbe einen Zwang. dass Sie kein Budget mehr haben und die JS: Niemand hört auf unsere Vorschläge. Operation auf nächstes Jahr verschie- SG: Weil es eben keine Richtgrösse gibt! ben müssen. Aber wir haben durchaus Vorschläge gemacht, die viel bringen: Im PR: Herr Gaillard, lassen Sie mich noch Spital sind zum Beispiel zwei Drittel der einmal auf das Argument von Herrn ärztlichen Tagesleistungen administrative Schlup zurückkommen, dass der Patient Leistungen, nur ein Drittel findet noch der Verlierer ist. Was passiert, wenn das am Patienten statt. In einer Praxis etwa Budget aufgebraucht ist? die Hälfte, Tendenz abnehmend. Allein SG: Die entscheidende Frage ist doch: wegen des administrativen Mehraufwands Traut man den Ärzten, den Versicherern brauchen wir pro Jahr hundert zusätzli- und den Kantonen zu, das Budget so zu che Ärzte an den Spitälern. Hundert Voll- verteilen, dass wir immer noch eine gute zeitarztstellen, nur um den Zuwachs an Gesundheitsversorgung haben? administrativer Belastung bewältigen zu können! Da könnte man Millionen sparen, PR: Tun Sie es? jedes Jahr! SG: Aber sicher, wer soll es sonst tun? SG: Sie wüssten also, wo man sparen JS: Herr Gaillard, das ist ein Schwarz- müsste, aber man tut es nicht! Peter-Spiel. Sie und ich wissen, dass JS: Weil die Anreize falsch sind. Budgetrestriktionen eine implizite Ratio- SG: Es gibt gar keine Anreize, weil es keine nierung bedeuten. Wenn Sie wirklich ra- Budgetrestriktionen gibt. tionieren wollen, schränken Sie doch den JS: Eine Budgetrestriktion wäre ein fal- Leistungskatalog ein, das wäre transparent scher Anreiz! und fair. Jetzt alles einfach auf uns abzu- SG: Eben nicht! Sie sind Verbandspräsi- schieben, ist unfair. Sie wollen uns zwin- dent. Sie müssten mit den Krankenversi- gen, zulasten des Patienten zu rationieren. cherern und den Kantonen zusammensit- SG: Ich bin überzeugt, dass die Ärzte — zen, Ihren Tarifpartnern, und Massnahmen mehr Einfluss haben und ihre Vorstellung beschliessen, damit die Kosten im nächs- besser durchsetzen können, wenn das in Der Journalist und Fotograf Patrick Rohr leitet ten Jahr nur noch um 3,5 Prozent steigen einem begrenzten Kostenrahmen stattfin- eine eigene Agentur für Kommunikations- und nicht mehr um 4,5. Mit einer Budget- det. Man könnte umgekehrt sagen: Wenn beratung und Medienproduktionen in Zürich. vorgabe könnten Sie alle Punkte, die Sie Sie sich dagegen wehren, entziehen Sie Bis 2007 war er Moderator beim Schweizer erwähnt haben, zur Diskussion stellen. sich der Verantwortung. Fernsehen (u.a. «Arena», «Quer»). 12 im dialog 3/2018 im dialog 3/2018 13
Hintergrund Die andere Sicht Deutschland kennt quantitative Vorgaben für die ambulante und Politische Revolutionen legen eine klar negative stationäre Versorgung. Eine Rationierung ist dabei nicht zu erkennen. Bilanz nahe. Eine wahrhaft hilflose Gesellschaft ist jedoch Wie sieht die Umsetzung in unserem Nachbarland konkret aus? eine, die nicht einmal zu einer Revolution fähig ist. Von Prof. Dr. med. Reinhard Busse Von Prof. Ekkart Zimmermann «Globalbudgets» in Schaden und Nutzen Deutschland – droht damit von Revolutionen die Zweiklassenmedizin? A ngesichts des Vorschlags der Exper- tengruppe, die ungedeckelte Vergü- tung von Ärzten und Spitälern durch ein Globalbudget zu begrenzen, ist ein Blick ins Ausland nützlich, um die Befürchtungen und Erwartungen auf ihren Wahrheits- gehalt hin zu überprüfen. Deutschland hat zwar kein sen müssen. Die weiteren Patienten bzw. Leistungen werden aber deutlich niedriger vergütet. Es gibt ver- schiedene Instrumente, die sicherstellen, dass auch im Dezember noch Geld vorhanden ist. So wird zum Bei- spiel der Betrag für die Arztpraxen in vier Quartale auf- geteilt. Trotzdem gibt es natürlich Patienten, die von Wartezeiten berichten, auch davon, dass ihnen erst ein Z ur Demonstration geht man, zur Revolu- tion nicht: Politische Revolutionen sind das Ergebnis inflexibler gesellschaftli- cher Strukturen und diese korrigierender Handlungsverläufe. Die Macht geht auf neue Eliten über, die Struktur der Herrschaft ändert sich. Revolutionen sind Ergebnis und Folge von gros- Globalbudget, das alle Sektoren in allen Regionen um- Termin im Folgequartal angeboten wird. sen Krisen und revolutionären Situationen, folgen aber fasst, aber die Ausgaben werden für die ambulante (auf Grundsätzlich ähnlich verläuft es bei Spitälern. Hier nicht immer auf diese. Die Herrscher können die Um- der Ebene von Bundesländern bzw. Kassenärztlichen wird auf Basis der erwarteten Leistungen (nach Art und stürzler unterdrücken (Iran 2009), gewinnen einen Bür- Vereinigungen) und die stationäre Versorgung (auf Menge) pro Krankenhaus ein sogenanntes Erlösbudget gerkrieg (Syrien) oder unterliegen in einer Revolution Länder- und dann Spitalebene) auf Basis bundesweiter mit den Krankenkassen vereinbart. Werden dann mehr (Russland 1917–1921, China 1945–1949). Kriege und Vorgaben von vornherein festgelegt. Leistungen erbracht und von den einzelnen Kranken- Bürgerkriege können Revolutionen vorausgehen oder Im ambulanten Sektor ist dabei ungefähr ein Drittel kassen über DRGs vergütet, erhält das Krankenhaus ihnen folgen. Entscheidend ist, dass ungeplante Ent- des «Gesamtvergütung» genannten Budgets für Haus- über verschiedene Instrumente entweder weniger wicklungen zur Entstehung von Revolutionen gehören. ärzte vorgesehen, der Rest für Fachärzte. Jede Praxis Geld pro Fall («Fixkostendegressionsabschlag») oder Für Huntington sind Revolutionen der Versuch, kennt den für sie zur Verfügung stehenden Betrag im muss einen Teil der zusätzlichen Gesamteinnahmen eine Gesellschaft mit rückständigen Institutionen auf in Maos China ca. 30–50 Millionen. Dem steht der Voraus. Er ergibt sich aus der Fachausrichtung, einer zurückerstatten. Umgekehrt erhalten Krankenhäuser, den Stand der Vorreiter zu bringen. Die erste grosse wirtschaftliche Aufstieg von ca. 500 Millionen Chine- kalkulierten Anzahl von Patienten, die die Praxis pro die unter der im Vorjahr vereinbarten Summe aus Er- Revolution der Neuzeit, die Englische Revolution von sen nach den marktwirtschaftlichen Reformen unter Quartal besuchen, und einer bestimmten Menge an lösbudget und -summe bleiben, einen Mindererlös- 1640–1649/1660 und 1688–1689, eiferte keinem Deng seit 1978 entgegen. Einzig in der in Teilen dok- Punkten pro Patient. Die Arztpraxen rechnen dann die ausgleich in Höhe von 20 Prozent. fremden Land nach, die Französische von 1789 der trinären Schulbildung und der medizinischen Versor- erbrachten Leistungen zum vorab vereinbarten Punkt- Sowohl für die Budgets der Arztpraxen als auch der Englischen, die beiden nichtbürgerlichen Revolutio- gung der Bevölkerung können alle kommunistischen wert ab. Haben sie ihre Patientenzahl bzw. ihr Punkt- Krankenhäuser werden jährliche Steigerungen verhan- nen in China und Russland der Französischen mit ih- Revolutionen Beachtliches vorweisen. volumen erreicht, bedeutet das nicht, dass sie schlies- delt. Diese orientieren sich zum einen am Wachstum rem Konzept der Berufsrevolutionäre. Die heutige Revolution ereignet sich durch tech- der Löhne der Versicherten, aber auch an den stei- Das Schicksal gescheiterter Revolutionäre von nischen Fortschritt mit unendlicher Kombinierbar- genden Kosten, speziell für das Personal. Eine solche Robespierre bis Trotzki und das wirtschaftliche Elend keit von Prozessen des Wissens und Materials täglich Budgetierung, die eine angemessene Kostensteigerung im Gefolge von Revolutionen legen eine klar negati- überall in der Welt und verlangt nach Anpassung der Resultate der International-Health-Policy- berücksichtigt, bedeutet also noch lange nicht Ratio- ve Bilanz nahe (nur die Institutionen. Dies ist eine Quelle der «schöpferischen Befragung (IHP) 64% nierung. Was man auch sagen muss: Man spricht viel über die potenziellen Nachteile einer Begrenzung der «Für Huntington sind Mitglieder der Nomen- klatura gewinnen). Nur Zerstörung», die weit über Schumpeters Unternehmer hinausgeht. 58% Gesundheitsausgaben, aber weniger über die Nachteile Revolutionen der die Englische Revolution Gleichwohl gilt der Satz von Huntington, dass die 47% 43% einer unlimitierten Vergütung. Dabei setzt ein System, das unbegrenzt Leistungen zulässt, ebenfalls negative Versuch, eine Gesell fällt anders aus: Schutz der Freiheitsrechte, Ge- wahrhaft hilflose Gesellschaft eine ist, die nicht ein- mal zu einer Revolution fähig ist. Nordkorea wird das Anreize. Unnötige Operationen bergen – ohne dem schaft mit rückstän- waltenteilung und religi- nächste Beispiel liefern, wie schwer eine Reform von 22% Patienten einen gesundheitlichen Nutzen zu bringen – trotzdem die Risiken eines Eingriffs. Ausserdem zeigten digen Institutionen öse Toleranz. Frankreich fällt zurück gegenüber oben gegen Beharrer und Revolutionäre zugleich ist. Die Sowjetunion ist daran gescheitert. 7% Studien, dass von stationären Patienten im Krankenhaus auf den Stand der England und Preussen jeder 1000. durch einen Fehler oder einen Irrtum stirbt. Vorreiter zu bringen.» im 19. Jahrhundert. Die D CH D CH D CH Prof. Ekkart Zimmermann Proklamation der Men- schenrechte, beeinflusst — Ekkart Zimmermann ist em. Professor für Makrosoziolo — ... der Befragten haben ... der Befragten ... der Befragten sagten, gie der Technischen Universität Dresden. Er hat breit keinen Termin fanden es schwierig, dass sie aus Kosten von englischen und am gleichen Tag medizinische gründen auf einen Arzt in der Konfliktforschung publiziert über Modernisierung bekommen. Versorgung ausserhalb besuch, auf ein Prof. Dr. med. Reinhard Busse ist Professor für amerikanischen Vorläufern, bleibt ein dauerhaftes Gut, und Entwicklung, Systemwandel, Globalisierung und der Öffnungszeiten Medikament oder einen Management im Gesundheitswesen an der wohl auch die Trennung von Kirche und Staat 1905. Terrorismus, soziale Ungleichheit, Rechtsextremismus, zu bekommen. diagnostischen Fakultät Wirtschaft und Management der Technischen In der Sowjetunion sind durch Hungersnöte, Staatspo Methodenfragen und andere Themen aus der Grund Test verzichtet haben. Quelle: Commonwealth Fund (2016) Universität Berlin. grome und -terror ca. 20 Millionen Opfer zu beklagen, lagenforschung. 14 im dialog 3/2018 im dialog 3/2018 15
Persönlich Persönlich Wettbewerb alleine genügt nicht, um die stetig steigenden Kosten im Schweizer Gesundheitswesen bremsen zu können. Nur Preferred Provider wenn auch der Qualitätsaspekt mitspielt, zeichnen sich Erfolge ab. Überweisung an ausgewählte, kostenbewusste Leistungserbringer/Spitäler. Von Dr. med. Bernhard Schaller und Prof. Dr. med. Thomas Rosemann Medikamente Generika. Kein «Smarter Medicine» Qualitätsorientierter Medikament ohne klare Diagnose. Keine unnötigen Behandlungen. Leistungswettbewerb Beispiele kostendämpfender, aber qualitätsstei- gernder Massnahmen in als möglicher Ausweg der Grundversorgung, die vor allem auf der Ebene Indikations- und Ergebnisqualität ansetzen. Diagnostik Chronic Care Keine unnötigen Standardisierte Behandlung Mehrfachunter- chronisch Kranker im Team suchungen. zur Vermeidung von Über- D Keine ungerichteten oder Unterversorgung. Suchtests. Klare erzeit wird auf verschiedenen Ebe- den aktuellen medizinischen Wissensstand für den Arzt Indikation/Fragestellung. nen nach Lösungen gesucht, das ste- zusammenfassen. Eine weitere Massnahme in diesem tige Kostenwachstum zu bremsen. In systematischen Qualitätsmanagement stellen «Qua- der Hausarztmedizin werden bereits litätszirkel» dar, in denen komplexe Fälle sowie neue seit Jahren verschiedene kostensen- Studienergebnisse und ihre mögliche Konsequenz für kende Massnahmen umgesetzt. Im Folgenden wird Guidelines und die tägliche Praxis besprochen werden. aufgezeigt, was die Grundpfeiler einer solchen Kos- Im Sinne der Transparenz und Versorgungssicherheit tenbremse in der Hausarztmedizin sind und was dies lassen sich zudem integrierte Versorgungsnetze wie Bereits jetzt besprechen fortschrittliche Ärzte mit ihren zusätzlichen Nutzen für den Patienten bringt. Zudem er- für involvierte Leistungserbringer und Patienten be- auch einzelne Arztpraxen zunehmend durch unab- Patienten systematisch das Kosten-Nutzen-Verhältnis folgen solche Überweisungen nur an Leistungserbringer, deutet: ein qualitätsorientierter Leistungswettbewerb, hängige Zertifizierungsstellen überprüfen. Dies betrifft einer Leistung (siehe Abb. oben). Patienten schätzen welche die kostendämpfende, aber qualitätssteigernde der teilweise in integrierten Versorgungsnetzen wie nicht mehr nur die Strukturqualität wie früher, sondern das, da auf ihre individuellen Bedürfnisse eingegan- Philosophie teilen. beispielsweise dem Ärztenetz Nordwest bereits aktiv zunehmend auch die Ergebnisqualität, die direkt dem gen wird. Aktives Mitentscheiden des Patienten fördert gelebt wird. Patienten zugutekommt. dessen Compliance und senkt die Kosten. Je konse- … ein Therapieansatz quenter diese Patientenorientierung und das Kosten- Gesundheitssysteme, die vor allem den Leistungswett- Qualitätsorientierung Effizienzorientierung Nutzen-Verhältnis unter einen Hut gebracht werden, bewerb als Steuerungsmittel kennen, neigen dazu, teu- Um eine hohe Qualität der Gesundheitsversorgung In konventionellen Versicherungsmodellen verdienen desto besser schneidet das Netz gegenüber anderen er zu werden. In der Schweiz besteht bereits jetzt der sicherzustellen, bilden sich die in integrierten Ver- Leistungserbringer umso mehr, je mehr Leistung sie er- Netzen resp. dem Benchmark ab, und desto zufriede- sehr probate Weg eines qualitätsorientierten Leistungs- sorgungsnetzen zusammengeschlossenen Haus- bringen. Anders verhält es sich in den hausarztzentrierten ner sind die Patienten. wettbewerbs, um der Kostenexplosion im Gesund- ärztinnen und Hausärzte kontinuierlich weiter. Ein Versicherungsmodellen. Hier gilt es, nicht alles Mögliche, heitswesen entgegenzuwirken. Dies wird von den Pa- Instrument dazu sind evidenzbasierte medizinische sondern genau das Richtige zu tun, also eine Unter- oder … und der Arzt tienten in entsprechenden Netzwerken sehr geschätzt Behandlungsrichtlinien, sogenannte «Guidelines», die Überversorgung zu vermeiden (siehe Abb. links). Ärzte wollen ihre Patienten und hilft, den Kostenanstieg ohne Rationierungen oder Da man davon ausgeht, dass die Entwicklung der In Kürze optimal, aber nicht maximal eingeschränkten Zugang zu dämpfen. Dieser geregel- Gesamtkosten des Gesundheitswesens der letzten versorgen. Gezielte Mass- te Wettbewerb sollte deshalb ausgebaut werden. Die Jahre vor allem auf einer Mengenausweitung be- • Der in der Hausarzt nahmen wie die «Smarter zunehmende Digitalisierung kann mithelfen, die Pati- Tagestherapiekosten Säureblocker ruht, ist dieser Ansatz direkt kostensenkend. Solche medizin verbreitete Medicine»-Kampagne der entenpfade noch effizienter und sicherer zu gestalten CHF 2.00 fortschrittlichen Ärzte übernehmen bereits jetzt wirt- qualitätsorientierte Schweizer Allgemeininter- (z.B. Medikamentensicherheit). Wichtig wird sein, einen schaftliche und soziale Verantwortung und werden Leistungswettbewerb nisten, also das Vermeiden eigenen, schweizerischen Weg zu finden und nicht CHF 1.50 entsprechend vergütet; wer effizienter mit den Res- wirkt kostenbremsend. unnützer Behandlungen, sind einfach Modelle aus dem Ausland zu kopieren. sourcen umgeht, verdient auch mehr. eine diesbezügliche mögli- • In hausarztzentrierten che Stossrichtung. Eine ge- — CHF 1.00 … und der Patient Versicherungsmodel lebte vertikale Integration CHF 0.50 Grundsätzlich sind alle für Kosteneffizienz im Gesund- erlaubt es zudem, die medizi- Dr. med. Bernhard Schaller ist Hausarzt, ärztlicher len verdienen Ärzte heitswesen. Ganz anders wird aber die Lage beurteilt, nische Wertschöpfungskette Leiter des Ärztenetzes Nordwest und führt eine sobald man selber oder ein naher Angehöriger auf die mehr, wenn sie mit zu optimieren. Dies bedeutet, Praxis in Muttenz. Er arbeitet mit dem Institut für CHF 0.00 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 Leistungen der Medizin angewiesen ist. Diese parado- Ressourcen effizienter der Hausarzt soll so viel wie Hausarztmedizin der Universität Zürich zusammen. xe Situation macht die angestrebte Solidarität im KVG umgehen. möglich selber machen und Netzärzte nicht Netzärzte schwierig – was zeigt, dass Rationierung oder einge- Überweisungen an Spitäler Prof. Dr. med. Thomas Rosemann ist Institutsleiter Durchschnittliche standardisierte Therapiekosten pro Tag einer sehr schränkter Zugang zu Gesundheitsleistungen in der • Ein aktives Mitent und Spezialisten nur dann am Institut für Hausarztmedizin der Universität Zürich häufig verwendeten Medikamentengruppe. Schweiz kaum durchsetzbar sind. scheiden der Patienten vornehmen, wenn dies einen und führt eine Praxis in Zürich. fördert die Compliance und senkt Kosten. 16 im dialog 3/2018 im dialog 3/2018 17
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