KUNST UND LIEBE - ebensperger rhomberg

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L ON D ON

           KUNST
            UND
           LIEBE

Maria Thurn und Taxis und Hugo Wilson teilen nicht nur ihr Leben, sondern
       auch ihr Atelier im Südwesten von London. Ein Gespräch über
Routinen von Künstlerpaaren, falsche Erwartungen und die Last eines Namens

                VON                                       FOTOS
      SI MON E S ON DE R M A N N                A L E X A N DE R C O G G I N
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F
                                                  Wie haben Sie sich kennengelernt?                hatten. Sie kamen wegen deiner Porträts,
                                                  HW: Über einen gemeinsamen Freund. Wir           und du musstest ihnen sagen: Nein, das ist
                                                  haben uns verabredet, um in die Tate zu gehen.   nicht mehr das, was ich mache.
                                                  Ich erzählte ihr, was ich über die Zeichnun-
                                                  gen dort wusste, sie hat nicht zugehört. Ich           Maria Thurn und Taxis spricht langsam
                                                  war sofort verliebt. Englische Männer, die       und überlegt, ihr Englisch hat einen feinen
                                                  von exotischen europäischen Frauen igno-         Regensburger Einschlag. Es geht eine ange-
                                                  riert werden, verlieben sich schnell. (lacht)    nehme Ruhe von ihr aus. Die älteste Tochter
Fulham im Südwesten Londons sieht aus wie         MT: Wir waren einige Jahre zusammen, be-         von Fürstin Gloria von Thurn und Taxis
ein englisches Bilderbuchstädtchen: kleine,       vor wir geheiratet haben. Ich erinnere mich      agiert im Gegensatz zu ihrer Mutter sehr zu-
dicht gedrängte Häuser mit roten Klinkerfas-      an eines unserer ersten Dates. Du hattest die-   rückhaltend und meidet öffentliche Auftritte.
saden und handtuchgroßen Vorgärten, Pubs,         ses Studio, wo war es noch mal? Du hast dich     Die 38-Jährige wirkt wie ein Mensch, der sich
in denen Fußballschals über dem Tresen hän-       mit Tierkadavern beschäftigt, deshalb gab es     viel hinterfragt, dem wenig selbstverständ-
gen, und kleine Gewerbebetriebe. Natürlich        dort einen sehr intensiven Geruch. Wir           lich ist. Ihr Mann ist deutlich extrovertierter,
ist auch Fulhams Pflaster teuer und gentrifi-     konnten dort also nicht bleiben. Es war mit-     lacht laut und gern, streut Flüche ins Ge-
ziert wie der Rest der britischen Hauptstadt,     ten im Winter. Und so sind wir mit dem Mo-       spräch ein, das er pointiert und in hohem
dennoch scheint sich hier etwas von good old      torroller ins Kino gefahren.                     Tempo führt.
England erhalten zu haben. In den Bögen un-       HW: Es erstaunt mich bis heute, dass du dich
ter der Tube, die hier oberirdisch verläuft, in   auf einen Scooter gesetzt hast. (lacht) Damals   Was ist mit Ihnen, Frau Thurn und Taxis,
der Nachbarschaft von Autowerkstätten be-         habe ich noch kaum Geld verdient mit mei-        beeinflusst die Art, wie Sie aufgewachsen
finden sich die Ateliers von Maria Thurn und      ner Kunst, und ich war sehr besorgt darüber.     sind, Ihre Kunst?
Taxis und Hugo Wilson. In zwei großen kar-                                                         MT: Es ist immer schwer zu sagen, wie viel in
gen Räumen mit gewölbten Decken und               Als Sie angefangen haben, als Künstler zu        einem steckt und welche Rolle die Erfahrun-
schäbiger Küchenzeile, die im zum Glück           arbeiten, waren Sie noch sehr jung.              gen spielen. Wenn es um Erfahrung geht: Als
meist milden englischen Winter schlecht be-       HW: Ich habe mit 18 Jahren die Schule verlas-    ich jung war, hat meine Mutter intensiv
heizbar sind, arbeitet das Ehepaar Seite an       sen und hatte keinerlei Unterstützung. Ich       Kunst gesammelt, Keith Haring zum Beispiel
Seite. An den Wänden hängen Tierporträts          bin dann nach Florenz gegangen und habe          oder die Chapman-Brüder.
in irritierend grellen Ölfarben, und Radie-       mich als Porträtmaler ausbilden lassen. Ich
rungen, die die alten Meister zitieren, im Ne-    war ja vorher auf einer sehr guten Privatschu-
benraum warten massive Bronzeskulpturen           le, die mein Onkel bezahlt hat, und von dort
auf den Abtransport. Hugo Wilsons impo-           kannte ich Leute, die mich unterstützt haben,
santes Werk dominiert diese Arbeitswelt,          indem sie Porträts von mir gekauft haben.
doch es gibt hier auch eine andere Sprache.
Die Aquarelle von Maria Thurn und Taxis           Sie waren ein professioneller Porträtmaler?
zeigen seltsame, sich selbst verzehrende          HW: Ja, ich wusste einfach nichts über Kunst.
Zwitterwesen aus Vogel und Schlange und           Ich hatte kein Geld und die altmodische Ein-
sind trotz ihres großen Formats zart im Ver-      stellung: Du musst dir das, was du tun willst,
gleich zu Wilsons Wucht. Sie ist erst seit ein    verdienen. Heute weiß ich, es gibt auch öf-
paar Monaten in diesem Studio. Nach der           fentlich unterstützte Wege, Künstler zu wer-
Geburt der zweiten Tochter im September           den, Stipendien, Kunsthochschulen. Mein
vergangenen Jahres hat sie zunächst nur spo-      erstes Studio war gerade mal 300 Meter von
radisch zu Hause gearbeitet, jetzt widmet sie     hier entfernt. Während meine Freunde da-
sich wieder verstärkt ihrer Kunst.                mals um die Welt gereist sind, saß ich da und
                                                                                                   Li. Seite: Im Studio von Hugo Wilson herrscht
                                                  habe schlechte Porträts von Leuten gemacht.
                                                                                                   kreatives Chaos, das Gemälde »Zebra Hell«
Sie leben zusammen, Sie arbeiten zusam-           MT: Sie waren nicht schlecht …                   von 2018 ist derzeit in der Nicodim Gallery in
men: Wie funktioniert das?                        HW: Die ersten waren ziemlich schlecht. Mit      Los Angeles zu sehen. Thurn und Taxis’
MARIA THURN UND TAXIS: Der Vermieter              Anfang zwanzig wurde mir klar, dass ich das      Aquarelle darunter stehen säuberlich an die
unserer Studios ist ein lustiger Typ, er macht    nicht will. Ich habe mir Geld geliehen, um       Wand gelehnt. Vorige Doppelseite: das
immer Sprüche. Vor Kurzem habe ich ihn            eine erste Ausstellung in einer kleinen Gale-    Paar in seinem Atelier, das unter einer Bahn-
getroffen, und er meinte zu mir, ich soll ihm     rie zu machen und noch mal zwei Jahre hier       strecke im Stadtteil Fulham liegt
Bescheid sagen, wenn Hugo mich nicht gut          in London zu studieren, was teuer war. Es
behandelt, schließlich wären wir ständig          war ein seltsamer Start, wenn ich heute, mit
zusammen. Ich war tatsächlich besorgt am          36 Jahren, zurückblicke, mit meinen vier Ga-
Anfang, wie es funktioniert. Aber wir sind        lerien, einem Studiomanager und allem            Die Werke von Jake und Dinos Chapman
beide sehr diszipliniert. Und wir haben un-       Drum und Dran. Ich mache seit zwanzig            sind oft sehr hart und provokant.
terschiedliche Tagesabläufe.                      Jahren Kunst, eine sehr lange Zeit für jeman-    MT: Ja, daher stammt, glaube ich, meine Vor-
HUGO WILSON: Wir versuchen, uns nicht             den meines Alters.                               liebe für das Dunkle, Aggressive in der Kunst.
zu stören. Wir sagen nicht Tschüss oder           MT: Es war einfach dein Weg. Bis Menschen        Ich mag das allerdings nur, wenn es ein Ele-
Hallo, wenn einer kommt oder geht, dafür          bereit waren, für deine Vision zu bezahlen,      ment von Schönheit oder Humor darin gibt.
sehen wir uns ja morgens und abends und           hast du dir eine Nische gesucht. Es gab dann     Dann kommt zum Ausdruck, wie das Leben
nachts (lacht). Wir machen das seit vier          irgendwann nur die Schwierigkeit, dass die       ist. Die Gegenwartskunst, die meine Mutter
Monaten etwa, und es geht gut.                    Menschen bestimmte Erwartungen an dich           gesammelt hat, stand in starkem Kontrast zu

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HW: Und Aristokraten aus Europa zählen            Zurück zum Thema Künstlerpaar: Beein-
                                                 hier nicht. (lacht)                               flussen Sie sich gegenseitig? Wenn ja, wie?
                                                 MT: Ja, viele Engländer sind vor allem an ihrer   HW: Auf jeden Fall. Unsere Interessen und
                                                 eigenen Geschichte interessiert. Das ist wun-     unser kritisches Verständnis sind ähnlich.
                                                 derbar. Dadurch können wir anonym sein.           MT: Wir haben darüber kürzlich mit einem
                                                 HW: Es gibt so viele verrückte Leute in Lon-      Sammlerpaar gesprochen, die bei uns im Stu-
                                                 don, die berühmt sein wollen. Was den Vor-        dio waren. Das ist ja vor allem Hugos Raum.
                                                 teil hat: Wenn du nicht berühmt sein willst,      Aber weil unsere Arbeiten visuell so gegen-
                                                 musst du es nicht sein. Als wir anfangs zu-       sätzlich sind, gibt es einen klaren Schnitt
                                                 sammen waren, gab es viele Presseanfragen.        zwischen unser beider Sphären.
                                                 Aber wir haben immer Nein gesagt, dann ha-        HW: Ich finde sie nicht gegensätzlich. Sie
                                                 ben sie schnell aufgehört zu fragen. Es gibt      sind nur unterschiedlich.
                                                 in England noch viele andere europäische          MT: Der Gegenstand, der Inhalt ist sehr ähn-
                                                 Prinzessinnen, es tut mir leid, das sagen zu      lich, aber unser künstlerischer Zugang ist
                                                 müssen, Darling. (lachend zu seiner Frau)         sehr unterschiedlich. Da gibt es auch eine
                                                                                                   Konkurrenz …
Maria Thurn und Taxis hat das adlige »von«       Was sagen Sie zu dem Klischee, dass ein gu-
aus ihrem Namen gestrichen, ihn ganz abzule-     ter Künstler arm sein muss? Ist das eine          Das wäre meine nächste Frage gewesen.
gen hat sie verworfen. Rechte Seite: In          abwegige Vorstellung, wenn man den heu-           MT: Oh, wirklich? (lacht) In einer Beziehung
Wilsons Bronzen explodieren geometrische         tigen Kunstmarkt betrachtet?                      gibt es natürlicherweise ein Element von
Formen und Körperfragmente, eine große           HW: Das ist ein seltsames 19.-Jahrhundert-        Konkurrenz. Das liegt in der menschlichen
Skulptur stand diesen Sommer im Londoner         Überbleibsel. In früheren Zeiten war das ir-      Natur. Ich verstehe mehr und mehr, dass die
Regent’s Park. Die Fabelwesen von Maria          relevant. Peter Paul Rubens ist dafür ein         Karriere eines Künstlers nicht linear verläuft.
Thurn und Taxis darunter sind noch in Arbeit     großartiges Beispiel. Wenn ein Künstler des       Das macht es sehr aufregend. Vor einigen
                                                 17. Jahrhunderts erfolgreich war und ein          Jahren war Hugo an dem Punkt, an dem ich
                                                 großes Haus gebaut hat, dann sagte jeder:         jetzt bin, er hat sein eigenes Ding gemacht.
dem historischen Kontext meiner Familie,         Gut gemacht!                                      Dieses Jahr war er hingegen sehr in Projekte
mit beidem bin ich aufgewachsen. Mein                                                              involviert, seine Skulptur wurde auf der
Background hat mir Türen geöffnet, aber bei           In Hugo Wilsons Werk ist seine intensi-      Frieze gezeigt, im Regent’s Park, und vieles
meiner Arbeit macht er es mir nicht leicht.      ve Auseinandersetzung mit der Kunst der al-       mehr. Aber auch ich habe in diesem Jahr
                                                 ten Meister unverkennbar. Er collagiert de-       mehr Sammler auf mich aufmerksam ge-
Glauben Sie, dass es für Sie schwieriger ist     ren Bildthemen und dreht sie mitunter ins         macht. Und dann gibt es wieder Phasen, wo
als für andere, als Künstlerin akzeptiert zu     Absurde, als suchte er Antworten auf alte Fra-    es ruhig wird. Hugo hat hart dafür gearbei-
werden? Stehen Ihnen die Vorurteile we-          gen in unserer postmodernen, digitalen Welt.      tet, wo er jetzt steht, und ich erwarte nicht
gen Ihrer Herkunft im Weg?                       Auch Maria Thurn und Taxis bereitet ihre          von mir, auf demselben Level zu sein. Und
MT: Es ist nun mal ein in Deutschland sehr       Arbeiten oft mithilfe von Collagen vor. In ih-    dann kommt noch der Frauenaspekt dazu.
bekannter Name, dadurch wird schneller           rer künstlerischen Welt dominieren Maske-         Wenn man sich für Kinder entscheidet, geht
über mich geurteilt, denke ich. Ich kenne das    raden und bizarre Verwandlungen. Eine Art         es allein zeitlich nicht, die gleiche Menge an
ja auch von mir selbst, wenn man ein Maga-       grimmiger Humor, den man auch im Werk             Arbeit zu bewältigen. Ich kenne nicht so vie-
zin durchblättert, man urteilt einfach sehr      ihres Mannes findet.                              le Details über andere Künstlerpaare, aber es
schnell über die, von denen man da liest.                                                          passiert öfter, glaube ich, dass die Frauen ihre
Dennoch bin ich in Deutschland künstle-                                                            Karrieren aufgeben, um ihren Partner zu un-
risch präsenter als in England. Damit hatte                                                        terstützen. Die Frage ist, inwieweit sich die
                                                           MARIA THURN UND TAXIS &
ich nicht gerechnet, das hat sich so entwi-                 HUGO WILSON, LONDON                    Frau selbst aufgibt, inwieweit es ihre eigene
ckelt. Auch unterstützt durch meine Galerie                                                        Entscheidung ist oder eine sehr dominante
Ebensperger, die in Berlin und Salzburg sitzt.             DER WEG ZU IHREM WERK                   männliche Figur sie dort hineindrängt.
                                                       Arbeiten von Maria Thurn und Taxis
                                                           sind bis 6. Januar im Centre
Haben Sie einmal überlegt, Ihren Namen                    Régional d’Art Contemporain              Haben Sie über diese Option nachgedacht?
zu ändern?                                              Occitanie in Sète, Südfrankreich,          MT: Es gab einen Punkt mit den Kindern, an
                                                          zu sehen, ab April hat sie eine
MT: Ja, das habe ich, es gab einen Moment,                                                         dem ich sehr erschöpft war, da habe ich mich
                                                       Schau bei Siegfried Contemporary
da wollte ich es. Aber dann hatte ich das Ge-            in London. Hugo Wilsons neue              schon gefragt, ob ich in der Lage bin, mein
fühl, nicht ehrlich zu mir selbst zu sein. Und           Werke werden bis 22. Dezember             künstlerisches Werk weiterzutreiben. Aber
in der heutigen Zeit, bedingt durch das Inter-             bei Nicodim in Los Angeles              ich hatte immer das Bedürfnis, etwas zu
                                                        und ab März bei der Galerie Isa in
net, sehe ich nicht, wie man es schaffen soll,                   Mumbai gezeigt.                   schaffen. Ich fühle mich besser damit. Ich
nicht identifiziert zu werden.                                                                     hatte in den vergangenen Jahren viel Bestäti-
                                                               UNSER LONDON-TIPP                   gung, dass ich weitermachen soll, und Hugo
                                                            Fulham Palace am Nordufer
Ist Ihr Name in England so bekannt wie in
                                                        der Themse ist der historische Sitz
                                                                                                   war da ein wichtiger Einfluss.
Deutschland?                                                 der Bischöfe von London,              HW: Ich würde es hassen, wenn du aufhörst.
MT: Nein, nicht annähernd. Hier gibt es                     seine Geschichte reicht ins            Das ist ganz egoistisch.
                                                            11. Jahrhundert zurück. Der
noch ein stärkeres Klassensystem als in                                                            MT: Ich arbeite also für dein Wohl? (lacht)
                                                        dazugehörige Bishops Park ist ein
Deutschland. Ich fand das manchmal gera-                        zauberhaftes Beispiel              HW: Ja! Du bist Künstlerin. Du wirst ver-
dezu schockierend.                                        englischer Landschaftskunst.             rückt, wenn du nicht arbeitest.             ×
KUNST UND LIEBE - ebensperger rhomberg
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KUNST UND LIEBE - ebensperger rhomberg
REISEN
ZUR KUNST
   Spezial 01
     2019

                           E in Ja hr für
                E n t d e c ke r u
                                   n d G e nie ße
                                                  r
                   Bauhaus , Bu
                                      k
                London , B as owina ,
                                   e l, Te l Aviv
                  und die Am
                                    alfiküste
                     Plus : Die gr
                                       oße
                Ku n s t v o r s c
                                   hau 2019

                                                    € 11,80 (D)
                                                SFR 20,– (CH)
                                           € 13,– (A, I, LUX, NL)
KUNST UND LIEBE - ebensperger rhomberg
UNSER
                                                                                                                                                           TITELBILD
TITELBILD: Malika Favre für WELTKUNST; Bilder rechts: Zoltan Kluger; Amit Geron/Courtesy Bar Orian Architects, Tel Aviv

                                                                                                                                                                   Zoltan Kluger fotografierte Tel Aviv in den 1930er-Jahren, als die
                                                                                                                                                                  »Weiße Stadt« Gestalt annahm. Das Bruno House des Architekten
                                                                                                                                                                       Ze’ev Haller von 1936 (re.) wurde saniert und erweitert

                                                                                                                          Ze’ev Haller hieß früher Wilhelm Haller und      forderungen. In kürzester Zeit entstanden           auf dem zentralen Dizengoff-Platz sehen die
                                                                                                                          hatte in Leipzig expressionistische Bauten ge-   dicht gedrängt Wohn- und Verwaltungsge-             Häuser so aus. Den hat übrigens 1934 eine
                                                                                                                          schaffen: Kirchen, Synagogen und eine viel       bäude, für die trotz der Dringlichkeit eine         Frau entworfen, Genia Awerbuch – da war
                                                                                                                          beachtete Feierhalle für den jüdischen Fried-    bis heute begeisternde Architektursprache           man fortschrittlicher als das Bauhaus.
                                                                                                                          hof. Im Jahr 1933 ging er ins Exil nach Paläs-   entwickelt wurde. Das Bauhaus war ein                    Die rund 4000 Gebäude der »Weißen
                                                                                                                          tina und änderte dort nicht nur seinen Vor-      wichtiges Vorbild, aber auch Le Corbusier,          Stadt« stehen als Unesco-Welterbe unter
                                                                                                                          namen, sondern auch seinen Baustil.              dessen Pfeilerkonstruktionen mit den fließen-       Denkmalschutz, doch in Israel geht man da-
                                                                                                                          Funktionelle Klarheit war fortan sein Pro-       den Übergängen von innen und außen per-             mit pragmatisch um. Die meisten der stark
                                                                                                                          gramm. Haller ist einer von vielen Emigran-      fekt zu den klimatischen Bedingungen des            renovierungsbedürftigen Häuser sind in Pri-
                                                                                                                          ten aus Europa, die Tel Aviv, die »Weiße         Nahen Ostens passten. Ein »Internationaler          vatbesitz. Um den Inhabern einen Anreiz zur
                                                                                                                          Stadt«, geformt haben. Diese war in den          Stil« entstand. Ze’ev Hallers Bruno House,          Sanierung zu geben, erlaubt man ihnen, zwei
                                                                                                                          1920er-Jahren als luftige Gartenstadt geplant    das unsere Illustratorin Malika Favre beim          Stockwerke anzubauen, um mit den künfti-
                                                                                                                          worden, mit viel Grün und Platz für die er-      Cover inspirierte, weist die geschwungenen          gen Mieten oder Verkaufserlösen die Reno-
                                                                                                                          frischende Mittelmeerbrise. Doch die massi-      Balkone auf, die für viele Bauten Tel Avivs         vierungskosten auszugleichen. Das Modell
                                                                                                                          ve Einwanderung in den Folgejahren stellte       typisch sind und sie von der Kantigkeit des         funktioniert – die »Weiße Stadt« strahlt hell
                                                                                                                          die Baumeister von Tel Aviv vor neue Heraus-     klassischen Bauhauses unterscheiden. Auch           wie vor 80 Jahren.       SIMONE SONDERMANN

                                                                                                                                                                                                  5
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