KUNST VII SCHAFFT - FON TAN E_lesen - mach dir ein Bild davon
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LAND S C H A FF T B I E N N A L E L A N D S C H A FF T KU N S T V I I KUNST VII BIENNALE EIN DORF WIRD GALERIE n– FONTANE_lese mach dir ein Bild davon
A N N A A R N S KÖT T E R S KU L P T U R IIIII M A R T I N ASS I G Z E I C H N U N G HARRY MEYER MALEREI I IIII REINHARD OSIANDER SKULPTUR IIIII ERNST BAUMEISTER SKULPTUR IIIII ANDREA BAUMGARTL IIIII WOLF -DIETER PFENNIG MALEREI IIIII SUSANNE RING F OTO G R A F I E I I I I I R A I N E R E H R T M A L E R E I I I I I I M O R I T Z G Ö T Z E I N STA L L AT I O N I I I I I H A N S S C H E I B S KU L P T U R I I I I I C H R I S TO P H MALEREI IIIII KL AUS HACK SKULPTUR IIIII JOHANNES HEISIG S C H O L Z M A L E R E I IIIII L E O S E I D E L F OTO G R A F I E IIIII LOT H A R M A L E R E I IIIII P E T E R H E R R M A N N M A L E R E I IIIII M I C H A E L H I S C H E R S E R U S E T S K U L P T U R I I I I I B E T T I N A VA N H A A R E N Z E I C H N U N G SKULPTUR IIIII ULRIKE HOGREBE MALEREI IIIII HEIKE JESCHONNEK I I I I I A N N E T T E V O I G T I N STA L L AT I O N I I I I I J O S I N A V O N D E R MALEREI IIIII SCHIRIN KRE TSCHMANN INSTALLATION IIIII VOLKER L I N D E N I N STA L L AT I O N I I I I I P O M O N A Z I P S E R S KU L P T U R I I I I I L E H N E R T M A L E R E I I I I I I S E R A P H I N A L E N Z I N STA L L AT I O N I I I I I LANDTAG POTSDAM I NEURUPPIN I NEUWERDER I GALERIE M POTSDAM I KLEINMACHNOW Hans Scheib, Die Dirn Martin Assig, St. Paul AU SST E L L U N G KU N ST V E R E I N K L E I N M AC H N O W
LAND S C H A FF T KUNST VII BIENNALE EIN DORF WIRD GALERIE n– FONTANE_lese mach dir ein Bild davon Galerie am Bollwerk Klosterkirche St. Trinitatis Neuruppin 12.04. –19.05.2019 LAND(SCHAFFT)KUNST VII Neuwerder 15.06. – 30.06.2019 Galerie M, BVBK, Potsdam 19.09. – 20.10.2019 Die Brücke Kleinmachnow Kunstverein e.V. 22.09.– 20.10.2019
Der Hauptgegensatz alles Modernen gegen das Alte besteht darin, daß die Menschen nicht mehr durch ihre Geburt auf den von ihnen einzunehmenden Platz gestellt werden. Sie haben jetzt die Freiheit, ihre Fähigkeiten nach allen Seiten hin und auf jedem Gebiete zu betätigen. Früher war man dreihundert Jahre lang ein Schloßherr oder ein Leinenweber; jetzt kann jeder Leinenweber eines Tages ein Schloßherr sein. Theodor Fontane
GRUSSWORTE Brandenburg begeht in diesem Jahr den 200. Geburtstag Theodor Fontanes – dieses großen märkischen Erzählers und Dichters, der nicht nur in der Mark, son- dern weltweit geschätzt und verehrt wird. Als einer der wichtigsten Vertreter des literarischen Realismus hat er wie kein anderer die preußische Gesellschaft des 19. Jahrhunderts gespiegelt und unvergessliche Werke wie »Effi Briest«, »Der Stechlin« oder »Irrungen, Wirrungen« geschaffen. Vor allem mit seinen »Wanderungen durch die Mark Brandenburg« prägt er bis heute die Identität unseres Landes und vermittelt das Bild von den »Märkern« und ihrer Kulturlandschaft weit über dessen Grenzen hinaus. Ganz besonders freut es mich daher, dass eine Reihe brandenburgischer Kunst- projekte das Jubiläum aufgreift und zum Anlass für neue, zeitgenössische Ausein- andersetzungen mit dem vielseitigen Schaffen des Schriftstellers nimmt. Der Verein LAND(SCHAFFT)KUNST hat seine mittlerweile 7. Kunstbiennale ganz in den Kontext Fontanes gestellt: Ausgehend von dessen Gedichten und Schriften wurden Charakter und Gehalt der Texte bearbeitet und hinterfragt. 27 Künstlerinnen und Künstler haben dazu Bilder, Skulpturen und Installationen erarbeitet. LAND(SCHAFFT)KUNST lädt damit zu einer besonderen Spurensuche ein und eröffnet außergewöhnliche Wege zur Wieder- und Neuentdeckung Fontanes. Wie es bei der Kunstbiennale gute Tradition ist, beziehen die Künstlerinnen und Künstler in ihren Arbeiten die jeweiligen Umgebungen mit ein. Ganz im Sinne von Fontanes Wanderungen macht die Kunstbiennale in diesem Jahr sogar an mehreren Orten Station: Nach Neuwerder und Neuruppin sind die Werke auch in Potsdam und Kleinmachnow zu sehen. Die Ausstellungen ermöglichen es, den Blick auf den Schriftsteller zu weiten, ihn zu hinterfragen und die Relevanz seiner Stoffe heute zu entdecken. LAND(SCHAFFT) KUNST liefert damit einen wertvollen Baustein zum Fontane-Jahr. Mein herzlicher Dank gilt allen, die die diesjährige Kunstbiennale ermöglicht haben, den Künst- lerinnen und Künstlern ebenso wie dem Verein und seinen Förderern. Ich wünsche den Besucherinnen und Besuchern anregende und bereichernde Eindrücke in den Ausstellungen! Dr. Martina Münch Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg
»Ich bin die Mark durchzogen und habe sie reicher gefunden, als ich zu hoffen ge- Im Jahr 2019 feiert das Land Brandenburg Theodor Fontanes 200. Geburts- wagt hatte. Jeder Fußbreit Erde belebte sich und gab Gestalten heraus.« tag und würdigt unter dem Motto fontane.200 seinen großen Autor, der wie Was Theodor Fontane bei seinen Wanderungen durch die Mark Brandenburg in der kein anderer die Identität Brandenburgs geprägt und über dessen Grenzen »Grafschaft Ruppin« widerfuhr, ist gut 160 Jahre später Anlass genug, uns hier heute hinaus vermittelt hat. Zugleich hat er sich der Literaturgeschichte als bedeutends- zu der Eröffnung einer einzigartigen Hommage an den bedeutenden märkischen ter deutscher Realist eingeschrieben. Im Fokus des Jubiläumsjahres 2019 steht Schriftsteller und Dichter zusammen zu finden. neben den populären Romanen und den »Wanderungen durch die Mark Brandenburg« auch das weniger bekannte Œuvre: Fontanes Reise- und Kriegs- »Jeder Fußbreit belebte sich und gab Gestalten heraus!« In unserem Fall sind es berichte, Reportagen, Literaturrezensionen, Kunst- und Theaterkritiken, die vielen derer 27, die nach einer ersten Station in der Galerie am Bollwerk in des Dichters bis heute nicht bekannt sind. Vom 30. März bis zu seinem Geburtstag am Geburtsstadt Neuruppin – nun unserem kleinen, beschaulichen Dorf Neuwerder im 30. Dezember 2019 eröffnet fontane.200 einen Blick »hinter die Kulissen«, insbe Havelland Gestalt geben. Einige, der in den Scheunen, Höfen und Gärten ausge sondere auf die Arbeitsweise Fontanes und die Quellen seines Werkes. stellten Exponate sind inzwischen gute, alte Bekannte von mir geworden. Ich durfte ihre Das Projekt »LAND(SCHAFFT)KUNST VII, Fontane_lesen – mach Dir ein Bild davon« Entstehung vor genau einem Jahr, ebenfalls hier, im Kolonistendorf, während des stellt eine Auseinandersetzung zeitgenössischer bildender Künstlerinnen und Künstler 11. Künstlersymposiums des Landkreises Havelland hautnah miterleben, später im mit dem Werk Theodor Fontanes und damit einen besonderen Beitrag zum Themenjahr Potsdamer Landtag im Rahmen einer Werkschau zu fontane.200 erstmals mit der »fontane.200/Spuren – Kulturland Brandenburg 2019« dar. kunstinteressierten Öffentlichkeit teilen. Zeitlosigkeit und Wandel – in diesem Spannungsfeld bewegen sich die zeitge Besonders freue ich mich deshalb darüber, dass die zeitgenössischen Interpretatio- nössischen künstlerischen Kommentare zu den identitätsstiftenden Texten Theodor nen Fontan‘scher Lyrik, Belletristik und Reiseberichte ihre Wanderung fortsetzen wer- Fontanes. Ausgewählte Schriften und Gedichte bilden die Grundlage für eine kriti- den, um anschließend auch noch in Potsdam und Kleinmachnow den künstlerischen sche Auseinandersetzung und die Vergegenwärtigung der Aktualität und Wirkung Dialog zu suchen. Mein großer, persönlicher Dank richtet sich an den Kurator der Fontanes, mit der die entstandenen Bilder, Skulpturen und Druckgrafiken Fontanes Exposition, Lothar Seruset, der als künstlerische Triebfeder gemeinsam mit den Ver- Werk in neuem Licht zeigen. einsmitgliedern von »LAND(SCHAFFT)KUNST«aufs Neue beweist, dass die Vernet- Die Basis für dieses Projekt wurde in einem Symposium gelegt, das bereits 2018 zung von »Land-Art« und »Urban-Art« eine kongeniale Symbiose zur Überwindung im Havelland durchgeführt wurde. Die entstandenen Werke wurden anschließend pittoresker Klischees vom Landleben herbeiführt. in einer ersten Werkschau im Brandenburgischen Landtag in Potsdam gezeigt und warben somit im Vorfeld des Jubiläums für das Themenjahr. Im Jahr 2019 steht die Erinnert sei an die »Lila-Kuh« des Malers Claudio D´Ambrosio aus der vorigen 7. Biennale in dem havelländischen Kolonistendorf Neuwerder im Zentrum des Biennale oder die Stahl-Plastik »Die Stützen der Gesellschaft« von Gerhard Göschel Projektes, das zudem an drei weiteren Orten, Neuruppin, Potsdam und Kleinmach- aus dem Jahr 2015. Schärfer können gegenseitige Klischees nicht mehr formuliert now, gezeigt wird. Die Ausstellung wird jeweils auf den Ort bezogen konzipiert. werden – die Grundlage für den offensiven Gedankenaustausch über Lebensformen, Vorstellungen und Ahnungen steht dem geneigten Ausstellungsbesucher als Angebot Ich bedanke mich sehr für diesen inspirierenden, zeitgenössischen Beitrag zu unserem offen. Kulturland-Themenjahr, der in besonderer Weise den konzeptionellen Ansatz der Landeskampagne »fontane.200« widerspiegelt und dabei zeigt, welches Potenzial Also hereinspaziert, liebe Gäste, die Wanderschuhe geschnürt, den Regenschirm die bildende Kunst im Land Brandenburg bietet. unter den Arm gesteckt und auf ins Vergnügen Kunst. Ich wünsche Ihnen allen viel Freude an Ihrem Aufenthalt in unserem wunderschönen Landkreis Havelland! Mein Dank gilt insbesondere dem Verein LAND(SCHAFFT)KUNST e.V. und persön- lich Ulrike Hogrebe, Marie-Therese Leopold und Lothar Seruset. Bruno Kämmerling Leiter Referat Kultur, Sport und Tourismus Brigitte Faber-Schmidt Landkreis Havelland Kulturland Brandenburg
EINFÜHRUNG Fontanes Plädoyer für eine Kunst der Gegenwart –1– Der Realismus entsprach in seinen verschiedenen Ausprägungen zunächst dem Ver- such einer Bestandsaufnahme, einer um die Mitte des 19. Jahrhunderts überfälligen Reflexion auf die Erkenntnisfunktion von Kunst. Grundlegende (und systemisch be- rechtigte) Zweifel an der Vollendung des Absoluten in der Kunst hatten zuvor nicht nur Hegel, sondern auch Dichter und Theoretiker der Romantik, allen voran Fried- rich Schlegel und Novalis gesät. Fontane erscheint 1853 in seiner frühen Lesart des Realismus geradezu beseelt von dem Anspruch, im vermeintlich kunst-unwürdigen Alltagsleben die Spuren von Geschichte und überzeitlichen Ideen aufzulesen und die Kunst (Dichtung wie bildende Kunst) zum alleinigen Medium der Kritik zu erhe- ben, einer Kritik, die zum einen Auswahl und Freilegung von Spuren des Ideellen in der unübersichtlich gewordenen Gegenwart für sich beansprucht, zum anderen aber dabei nicht mehr nur kunstimmanent ist, sondern das gesamte Gegenwartsleben und damit auch Äußerungen, die den Romantikern noch nicht als erkenntnis- und damit kritikwürdig gegolten hatten, erfasst. Fontane fasziniert hingegen offenkundig gerade die Gleichzeitigkeit von Vergäng- lichem und Überzeitlichem, der unmittelbare Zugang zum Erkennen des überzeitlich Gültigen im weiten Feld der Gegenwart, für das es keine »romantische Schwärmerei«, keine Kirche und keine Patronage der Höfe mehr braucht, sondern lediglich einen emanzipierten, erkundenden Blick, in dem sich das Geheimnis der Schöpfung auch noch unter den Bedingungen eines immer rasanteren industrialisierten und technolo- gisierten Alltags enthüllen lässt. »Realismus« heißt, wie Fontane es in seinem Essay ausdrückt, als Künstler »von der Realität auszugehen«, sie jedoch auch zu »läutern«.1 Die Läuterung der Realität durch die Kunst ist Fontanes vielleicht deutlichster Fingerzeig auf sein noch plato- ÜBERL ASS ES DER ZEIT nisch gefärbtes Kunstideal. Durch Kunst lässt sich das Wirkliche als das Wahre von »allem Alten, Abgestorbenen, Aufgebauschten, und (...) Lügenhaften« trennen2 – Erscheint dir etwas unerhört, »je frischer, je besser«3 einerseits, doch zugleich nicht »neu« oder »frisch« im Sinn von Bist du tiefsten Herzens empört, Mode, sondern von Erkenntnis. So verstanden ist Realismus das Charakteristikum der Bäume nicht auf, versuch‘s nicht mit Streit, Gegenwart schlechthin, und immer wieder beschäftigt ihn die Frage, wie sich Alt Berühr es nicht, überlaß es der Zeit. und Neu zueinander verhalten. Entsprach Hegels Geschichtsbild einer historischen Am ersten Tag wirst du feige dich schelten, Fortschrittsdialektik, bei der das Neue das Alte im Wissenssubjekt beständig über- Am zweiten läßt du dein Schweigen schon gelten, formt und zum Absoluten fortschreitet, bleibt für Fontane das Alte als Wissensquelle Am dritten hast du‘s überwunden, kostbar, aber stets bedroht. Schon in seinen volksnahen Gedichten wie vom Herrn Alles ist wichtig nur auf Stunden, Ribbeck verbrüdert sich die Vergangenheit mit der Zukunft in der »objektiven« Kraft der Ärger ist Zehrer und Lebensvergifter, Natur gegen das Subjekt der Geschichte, indem der Birnbaum nach dem Tod des Zeit ist Balsam und Friedensstifter. alten Gutsherren die Gaben an die Kinder fortsetzt, die der neue, geizige Gutsherr Theodor Fontane verweigert. In seinem Realismus-Essay vergleicht Fontane das alte, generationenüber-
Ernst Baumeister, Der rote Hahn greifende Wissen mit einer »frischen grünen Weide«, während der Realismus »so alt Lorenzen zu Melusine sagt: »Der Hauptgegensatz alles Modernen gegen das Alte als die Kunst selbst« sei, »ja, noch mehr: Er ist die Kunst. Unsere moderne Richtung ist besteht darin, dass die Menschen nicht mehr durch ihre Geburt auf den von ihnen nichts als die Rückkehr auf den einzig richtigen Weg«4, den er mit (im Vergleich zu sei- einzunehmenden Platz gestellt werden. Sie haben jetzt die Freiheit, ihre Fähigkeiten nen Schriftstellerkollegen in Frankreich) bemerkenswertem Optimismus als »Periode nach allen Seiten hin und auf jedem Gebiete zu betätigen. Früher war man dreihun- ehrlichen Gefühls und gesunden Menschenverstands«5 und damit als Gegenkonzept dert Jahre lang ein Schloßherr oder ein Leinenweber; jetzt kann jeder Leinenweber zu dialektischen Gesellschaftsmodellen preist. eines Tages ein Schloßherr sein.«8 Was aber für die »moderne Freiheit« der Individuen Im postum veröffentlichten »Stechlin«-Roman, in dessen Anlage und Figurentableau gilt, das gilt auch für die Künstler selbst: Es gibt keine Gewähr eines epochenüber- sich diese zentralen Aspekte verdichten, konstruiert Fontane in der Wahl seiner bei- greifenden künstlerischen Geistes mehr, der durch eine klar definierte Zunft tätiger den Protagonisten, des Dubslav von Stechlin, jenes alten, preußisch-liberal einge- Künstler oder Dichter umgesetzt wird. Was immer sie an neuen Werken produziert, stellten Landadeligen, und des in seinen Ansichten internationalistisch-sozialdemo- sie sind nur Bruchstücke im unendlichen Vollzug übergeordneter Erkenntnis, wie es kratisch gefärbten Pastors Lorenzen, einen letztlich versöhnlichen Übergang von alter Friedrich Schlegel bereits vorgedacht hatte: Das einzelne Kunstwerk muss negieren zu neuer Zeit. Der quasi-mythischen, feenhaften Melusine ist es dabei vorbehalten, und vernichtet werden, um der Erkenntnis des Absoluten Raum zu geben. Kein halbes dieser Versöhnlichkeit Ausdruck zu geben: »Alles Alte, soweit es Anspruch darauf hat, Jahrhundert später ist unter den Realisten, auch bei Fontane, die Vorstellung gereift, sollen wir lieben, aber für das Neue sollen wir recht eigentlich leben.«6 Während dass die bisherige Abgrenzung der Romantiker zur flüchtigen Welt der Gegenwart Dubslav von Stechlin, der gegen Ende des Romans verstirbt, die fortwirkende, rät- obsolet ist. Die Selbstbestimmtheit der »modernen« Individuen selbst ist nunmehr schon selhaft eigensinnige und mit der Natur und Sagenwelt verschwisterte Vergangen- ein bildnerischer Akt, nicht mehr in Bezug auf ein Kunst-Werk, sondern in Bezug auf heit verkörpert, steht Pastor Lorenzen für das rationale Bürgertum der industrialisierten das Leben selbst. Dieses Paradox, Beobachter und Vollzug von Leben als Kunst zu- Großstädte, von dem Fontane sich in mehreren seiner Briefe als »Bourgeoisgefühl« gleich zu sein, bleibt den modernen Avantgarden im 20. Jahrhundert als Grundpro- distanziert, das er »grässlich finde«, sich gleichwohl davon »bis zu einem geringen blem erhalten. Grade beherrscht« fühle: »Die Strömung reißt einen mit fort.« (Brief an die Tochter Mete vom 25. August 1891).7 –2– Wortwechsel und Austausch von Meinungen und Zeitansichten, die den Roman be- Auch an Fontanes 200. Geburtstag lässt sich konstatieren, dass diese Grundpro- stimmen, setzen der dialektischen Geschichtslogik ein dialogisches Prinzip entgegen, blematik, wie Kunst sich also als Wissensform zwischen sozialer Involviertheit und das die kritische Reflexion der Kunst in eine vielstimmige Sammlung temporärer Mei- ästhetischer Distanznahme verortet, ungebrochen aktuell ist – auch wenn sich die nungen und Überzeugungen überführt. Fontanes Poetik bündelt im »Stechlin« Ver- politischen und wirtschaftlichen Bedingungen für Kunst und Poesie seither grundle- gänglichkeit und zeitübergreifende Betrachtung im individuellen Zeitgefühl, wenn gend verändert haben. Doch nicht von ungefähr bilden Zitate aus Fontanes spätem
»Stechlin«-Roman mit seinen zahlreichen verdichteten Anspielungen auf die beschleu- und Keramikerin Anna Arnskötter der bei Fontane stets virulenten Reibung des Alten nigte Geschichte und die Frage nach individueller Selbstbestimmung den Hintergrund und Neuen, von »Erbe und Moderne« nach – ein Motiv, das auch bei Reinhard für zahlreiche Werke in der Jubiläumsausstellung. Nicht von ungefähr nehmen auch Osiander eine Rolle spielt, wenn er Schlossarchitektur und »aus Ästen zusammen- fast alle gezeigten Arbeiten Bezug auf die (nicht nur brandenburgische) Landschaft gebaute Landschaft« einander gegenüberstellt und auf drei »Votivtafeln« Szenen – als Geschichts- und Mythenspeicher und als Bühne für die in ihrer natürlichen Eigen- aus dem »Stechlin« einfängt, die in ihrer zweifüßigen Gestalt zugleich an Autobahn- heit gewachsenen Figuren und als gesellschaftliche Metapher. schilder erinnern sollen. Der Grafiker und Maler Rainer Ehrt, der sich in seiner Arbeit FONTANORAMA ganz Lothar Seruset fasst das Thema von Alt und Neu als ein Aufeinandertreffen von ver- explizit zur vergangenheitsaffinen Poetik Fontanes bekennt, entwirft ein Geschichts- schiedenen Welten in der imaginären Zeitreise des Dubslav von Stechlin, »der aus bild des »deutschen 19. Jahrhunderts« und bekundet ganz nach Fontanes Weise: dem Roman hinaus in die heutige Zeit wandert« und als solche die Offenheit von »Schließlich ist der heutige Tag das Resultat des Gestrigen, ergänzt um eine kleine Geschichte repräsentiert. Prise eigener Kunst – Arbeit gegen das Vergessen.« Der Zeichner und Maler Volker Dieser Offenheit der Geschichte widmet sich auf ganz andere Weise auch Schirin Lehnert hat sich für seine wunderbare Serie aus Zeichnungen und Leinwandbildern Kretschmann mit einer Arbeit, die sich metaphorisch mit dem Schreiben und Tilgen zum »Stechlin«-Roman unter anderem von dessen letztem Satz leiten lassen, der auf geschichtlicher Spuren auseinandersetzt. Für ihre Werkserie »Floor Work« hat sie bei eine alles überdauernde »Gedankenlandschaft« verweist: wonach ja »die Stechline« der Reinigung ihres Atelierfußbodens Papiere verwendet, deren Oberflächen durch nicht notwendigerweise weiterleben müssten – »aber es lebe der Stechlin!« den Reinigungsvorgang von Rissen, Schründen und Reibespuren versehrt wurden. Diese Landschaft bildet für den Maler Johannes Heisig durchaus biografisch einen Wie ein bildnerischer »Filter« visuell auffangend, was eigentlich zu einer Ästhetik des Ort der »Heimatfindung«, darin nicht zuletzt berührt von der emotionalen Verbindung Tilgens von Spuren gehört, erlangen mehrere übereinandergelegte Schichten solcher Fontanes mit der Mark Brandenburg. Seine vier Bilder für diese Ausstellung verste- Papiere eine höchst suggestive landschaftliche Anmutung. hen sich so als »eine persönliche Verortung und ein Echo der Fontaneschen (keines- wegs platten) Heimatliebe, wie sie etwa im Gedicht ›Havelland‹ vor dem Band 3 Carsten Probst der Wanderungen anklingt.« Auf eben dieses Gedicht »Havelland« bezieht sich auch Heike Jeschonnek. Auch sie verbindet es mit Begriffen wie Heimat oder Her- 1 Fontane, Theodor, Realismus, in: Literarische Essays und Studien, Teil 1 (Nymphenburger Ausgabe, Band 21, 1), München 1968, S. 7–33. Auszug zitiert in Plumpe, Gerhard (Hg.), Theorie des bürgerlichen Realismus. Eine Textsammlung, Stuttgart 1985/1997, 146. kunft. In ihren Malereien und Zeichnungen thematisiert sie vielfach Landschaften als Ebenso: Fontane, Theodor, Unsere lyrische und epische Poesie seit 1848, in: Literarische Essays und Studien, Teil 1 (Nymphenburger Ausgabe, Band 21, 1), 7ff. den Gegensatz von Natur und Stadt, Vergangenheit und Gegenwart, ornamental 2 Fontane, Theodor, zit. nach: Plumpe, Gerhard (wie Anm. 1), 147. anmutende Strukturen überziehen die Landschaft als Symbole für die Eingriffe des 3 Ebd., 141, 146f. 4 Ebd., 142. Menschen und die Domestizierung der Natur. Interessant im Hinblick auf Fontanes 5 Ebd., 143. Realismus-Begriff ist, dass sich Jeschonnek in ihren Arbeiten oft auf Motive aus Foto- Fontane, Theodor, Der Stechlin, 43. bis 46. Auflage, Berlin 1922, 316. 6 7 Fontane, Theodor, Briefe an seine Familie 1819–1898, 2. grafien bezieht, die sie überträgt und mit verschiedenen Techniken überarbeitet. 8 Fontane, Theodor, Der Stechlin (wie Anm. 6), 317. Die Fotografin Andrea Baumgartl wiederum nähert sich dieser Realismus-Thematik Fontanes gleichsam von der Gegenseite. In ihrer Stechlin-Serie hat sie Dörfer und Landschaften rund um den Stechlinsee aufgesucht und den literarischen Ort in ihren Aufnahmen als Kollage aus teils heruntergekommenen und aus der Zeit gefallenen Geschichtsspuren erforscht, die aus der Fontanezeit und den Regimen des 20. Jahr- hunderts bis in die Gegenwart überdauert haben. Leo Seidel nutzt die Fotografie indes wie eine surreale bildliche Erweiterung des Lite- rarischen, indem er Fontane-Gedichte »Die drei Raben« oder »Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland« als Figurenkollagen inszeniert und ablichtet. Demgegenüber scheint der Holzbildhauer Ernst Baumeister einen ganz anderen Weg zu gehen, des- sen Skulptur »Der Rote Hahn« auf den ersten Blick eher wie eine dynamisch-expressi- ve Formstudie wirkt – tatsächlich aber greift auch sie eine Textstelle im Eingangskapi- tel des »Stechlin« auf, in der der »Rote Hahn« zur Figuration der mythischen Fähigkeit des Gewässers geht, Naturkatastrophen in anderen Weltgegenden anzuzeigen. Auch die Bildhauerin Pomona Zipser bezieht sich mit ihrer konstruktivistisch anmuten- den Skulptur auf eine Repräsentation des Landschaftlichen, nämlich die historischen Wege zwischen den Fontane-Orten »Berlin, Stechlin, Kremmen usw.« mitsamt an- gedeuteten Erweiterungen nach England und Neapel, die als »Grundlage für die annähernd zweidimensionale Konstruktion der Skulptur« dienen. In ihrem Modell der Ruine des Alten Schlosses Freyenstein geht die Bildhauerin
SCHLOSS STECHLIN 1. Kapitel Im Norden der Grafschaft Ruppin, hart an der mecklenburgischen Grenze, zieht sich von dem Städtchen Gransee bis nach Rheinsberg hin (und noch darüber hinaus) eine mehrere Meilen lange Seenkette durch eine menschenarme, nur hie und da mit ein paar Dörfern, sonst aber ausschließlich mit Förstereien, Glas- und Teeröfen besetzte Waldung. Einer der Seen, die diese Seenkette bilden, heißt »der Stechlin«. Zwischen flachen, nur an einer einzigen Stelle steil und kaiartig ansteigenden Ufern liegt er da, rundum von alten Buchen eingefaßt, deren Zweige, von ihrer eignen Schwere nach unten gezogen, den See mit ihrer Spitze berühren. Hie und da wächst ein weniges von Schilf und Binsen auf, aber kein Kahn zieht seine Furchen, kein Vogel singt, und nur selten, daß ein Habicht drüber hinfliegt und seinen Schatten auf die Spiegelfläche wirft. Alles still hier. Und doch, von Zeit zu Zeit wird es an ebendieser Stelle lebendig. Das ist, wenn es weit draußen in der Welt, sei‘s auf Island, sei‘s auf Java zu rollen und zu grollen beginnt oder gar der Aschenregen der hawaiischen Vulkane bis weit auf die Südsee hinausgetrieben wird. Dann regt sich‘s auch hier, und ein Wasserstrahl springt auf und sinkt wieder in die Tiefe. Das wissen alle, die den Stechlin umwohnen, und wenn sie davon sprechen, so setzen sie wohl auch hinzu: »Das mit dem Wasserstrahl, das ist nur das Kleine, das beinah Alltägliche; wenn‘s aber draußen was Großes gibt, wie vor hundert Jahren in Lissabon, dann brodelt‘s hier nicht bloß und sprudelt und strudelt, dann steigt statt des Wasserstrahls ein roter Hahn auf und kräht laut in die Lande hinein.« Das ist der Stechlin, der See Stechlin. Aber nicht nur der See führt diesen Namen, auch der Wald, der ihn umschließt. Und Stechlin heißt eben- so das langgestreckte Dorf, das sich, den Windungen des Sees folgend, um seine Südspitze herumzieht. Etwa hundert Häuser und Hütten bilden hier eine lange, schmale Gasse, die sich nur da, wo eine von Kloster Wutz her heranführende Kastanienallee die Gasse durchschneidet, platzartig erweitert. An eben- dieser Stelle findet sich denn auch die ganze Herrlichkeit von Dorf Stechlin zusammen; das Pfarrhaus, die Schule, das Schulzenamt, der Krug, dieser letztere zugleich ein Eck- und Kramladen mit einem klei- nen Mohren und einer Girlande von Schwefelfäden in seinem Schaufenster. Dieser Ecke schräg gegen- über, unmittelbar hinter dem Pfarrhause, steigt der Kirchhof lehnan, auf ihm, so ziemlich in seiner Mitte, die frühmittelalterliche Feldsteinkirche mit einem aus dem vorigen Jahrhundert stammenden Dachreiter und einem zur Seite des alten Rundbogenportals angebrachten Holzarm, dran eine Glocke hängt. Ne- ben diesem Kirchhof samt Kirche setzt sich dann die von Kloster Wutz her heranführende Kastanienallee noch eine kleine Strecke weiter fort, bis sie vor einer über einen sumpfigen Graben sich hinziehenden und von zwei riesigen Findlingsblöcken flankierten Bohlenbrücke haltmacht. Diese Brücke ist sehr primitiv. Jenseits derselben aber steigt das Herrenhaus auf, ein gelbgetünchter Bau mit hohem Dach und zwei Blitzableitern. Auch dieses Herrenhaus heißt Stechlin, Schloß Stechlin. Theodor Fontane, Der Stechlin Lothar Seruset, Glaube Liebe Hoffnung
S K U L P T U R A N N A A R N S KÖ T T E R
A N N A A R N S KÖ T T E R Sein Hintergrund als Journalist und Kriegsberichterstatter macht Fontane zu einem hell- und weitsichtigen Chronisten 1961 in Greven/Westf geboren. seiner Zeit. Im Stechlin spannt er von der »harmlosen« 1980 –1984 Studium der Bildhauerei an der Freien Glashütte in Neu-Globsow, die Glasballons für Flüssig- Akademie Nürtingen 1993 Kunsthochschule Weissensee, Berlin keiten herstellt, einen Bogen hin zu der vernichtenden 2000 Förderpreis der Darmstädter Sezession Wirkung chemischer Substanzen, die uns an die Schlacht- 2003 Stipendium der Käthe-Dorsch Stiftung, Berlin felder des 20. Jahrhunderts denken lässt. Seit 2012 Mitglied bei Xylon, Deutschland Dieses Weiterverfolgen und Durchleuchten von Phäno 2013 3. Vogtländisches Grafiksymposium menen seiner eigenen Zeit bis hin in unsere Gegen- 2014 Realisierung einer Bank aus Beton für Fehrbellin wart fasziniert mich an Fontanes Denken. Den Faden von Lebt und arbeitet in Lentzke, Brandenburg. Neu-Globsow nehme ich auf, er führt mich zu den gigan- www.annaarnskoetter.de tischen Mengen an Waren, die über die Meere transpor- tiert werden, zu den hochaufgetürmten Stapeln der Container- und Kreuzfahrtschiffe. Die Industriefabrik, zu Fontanes Zeiten lärmende Produktionsstätte, ist nun leer und verlassen, die Produktionskarawane ist längst an neue, ferne Orte gezogen, die Fabrik kommt auf den Sockel und wird zum Kulturtempel. A.A.
ZEICHNUNG MARTIN ASSIG
M A R T I N A SS I G Wer aus Friesack is, darf nicht Raoul heißen. Theodor Fontane, Der Stechlin 1959 in Schwelm geboren. 1979–85 Studium an der Hochschule der Künste, Berlin (heute UdK) 1986 Kunstpreis Zweibrücken 1993 Käthe-Kollwitz-Preis 2001 Ludwig-Gies-Preis Lebt und arbeitet in Berlin und Brädikow.
I N STA L L AT I O N E R N S T B A U M E I S T E R
ERNST BAUMEISTER EFFI BRIEST 1956 in Duisburg geboren. 1977– 82 Studium von Grafik und Industriedesign Nur das Eleganteste gefiel ihr, und wenn sie an der Fachhochschule Krefeld das Beste nicht haben konnte, so verzichtete sie 1989 – 93 Lehrauftrag für Holzbildhauerei an der HdK Berlin auf das Zweitbeste, weil ihr dies Zweite nun Lebt und arbeitet in seit 1986 als Bildhauer in Berlin. nichts mehr bedeutete. Ja, sie konnte verzichten, darin hatte die Mama recht, und in diesem www.ernstbaumeister.de Verzichtenkönnen lag etwas von Anspruchs- losigkeit; wenn es aber ausnahmsweise mal wirklich etwas zu besitzen galt, so musste dies immer was ganz Apartes sein. Und darin war sie anspruchsvoll. Theodor Fontane
F OTO G R A F I E A N D R E A B A U M G A R T L
ANDREA BAUMGARTL »Anstaunen ist auch eine Kunst. Es gehört etwas dazu, Großes als groß zu begreifen.« 1965 in Regensburg geboren. Studium an der UdK in Berlin bei Bernhard Boës Lebt und arbeitet in Berlin und Brädikow. Theodor Fontane, Der Stechlin www.andreabaumgartl.de An Fontanes Schreiben mag ich das Lapidare, Lakonische und Einfache. Er erzählt Geschehnisse und Situationen in einer Beiläufigkeit, schildert sie in einer großen Knappheit. So beschreibt er beispielsweise die politische Befindlich- keit einiger im Stechlin beschriebener Personen mit den Worten: Deutschland obenauf.... Das ist in seiner Verkür- zung deutlich und vielsagend zugleich. An anderer Stelle, und auch dies ist, nach meinem Ver- ständnis, politisch gemeint, ist von: Dunkle Gefühle, die sind fein..., die Rede. Auch hier ist eine Anklage nicht aus- drücklich zu vernehmen, liegt aber doch wahrscheinlich zugrunde. Weiter beklagt er die Veränderungen jener Jahre mit den aus heutiger Zeit natürlich sehr rätselhaften Worten: ...überall sind Fotografen... Vielleicht gibt es eine Ähnlichkeit im Erzählen von Theodor Fontane und dem Ansatz, den ich in der Fotografie verfol ge: Den Eindruck den etwas bei mir hinterlässt, das Ge- fühl, das die sichtbaren Dinge in mir hervorrufen, das halte ich in meinen Fotografien fest, mehr als die Dinge in ihrer Tatsächlichkeit. A.B.
MALEREI RAINER EHRT
RAINER EHRT FONTANORAMA Das deutsche 19. Jahrhundert: Eine dampfgetriebene 1960 in Elbingerode/Harz geboren. Gesellschaft, die auf Fels gebaut schien, aber doch nur 1983–88 Hochschule für Kunst und Design Halle – Burg Giebichenstein auf dünnem Eis stand. Einer, der das von der sanften mär- 1993 Gründung »Edition Ehrt« für originalgrafische Bücher kischen Ebene aus um so genauer bemerkte, um so älter 2007 Brandenburgischer Kunstpreis er wurde, war der schreibende Beobachter, beobachten- 2008 Grand Prix World Press Cartoon Lissabon de Schreiber Fontane (Thomas Mann sprach bewundernd 2010 Grand Prix Satyricon Legnica von seinem »Greisen-Avantgardismus«). Seine vorsichti Lebt und arbeitet in Kleinmachnow. ge Skepsis, seine entschiedene Ironie und sein scharfer www.rainerehrt.de Blick sind auch für mich Essenzen, mit der Gegenwart fertig zu werden, denn der heutige Tag ist schließlich das Resultat des Gestrigen, ergänzt um eine kleine Prise eige- ner Kunst-Arbeit gegen das Vergessen. R.E.
MALEREI MORITZ GÖTZE
MOR I T Z GÖT Z E Einer der Seen, die diese Seenkette bilden, heißt »der Stechlin«. Zwischen flachen, nur an einer einzigen Stelle 1964 in Halle geboren. steil und kaiartig ansteigenden Ufern liegt er da, rundum 1981–83 Lehre als Möbeltischler 1986 freischaffend als Maler und Grafiker in Halle von alten Buchen eingefaßt, deren Zweige, von ihrer Aufbau einer eigenen Grafikwerkstatt eignen Schwere nach unten gezogen, den See mit ihrer 1991–94 Lehrauftrag für Serigraphie an der Spitze berühren. Hie und da wächst ein weniges von Schilf Hochschule Burg Giebichstein, Halle und Binsen auf, aber kein Kahn zieht seine Furchen, kein 1994 Gastprofessur für Serigraphie, Vogel singt, und nur selten, daß ein Habicht drüber École Nationale Supérieure des Beaux-Arts, Paris hinfliegt und seinen Schatten auf die Spiegelfläche wirft. 1996 Kunstförderpreis des Landes Sachsen-Anhalt Lebt und arbeitet in Halle. Alles still hier. Und doch, von Zeit zu Zeit wird es an eben- dieser Stelle lebendig. www.sperlgalerie.de Theodor Fontane, Der Stechlin, 1. Kapitel
SKULPTUR KL AUS HACK
KL AUS HACK Die beiden großformatigen Holzdrucke mit den dazu- gehörigen Drucktrommeln des Bildhauers Klaus Hack 1966 in Bayreuth geboren. sind auf den ersten Blick vielleicht nur schwer mit Fonta- 1989– 91 Akademie der Bildenden Künste in Nürnberg nes »Stechlin« in Einklang zu bringen. Und doch war der 1991–95 Hochschule der Künste Berlin (Meisterschüler) 1996 Stipendium für bildende Kunst der Kulturstiftung Offenburg Künstler vom Gedanken an den großartigen Brandenbur- 2004–05 Lehrauftrag für Bildhauerei an der Kunsthochschule ger See und seinen Chronisten beseelt, als er diese bizar- Berlin-Weißensee ren Formen fand. Eine nicht enden wollende Bewegung, 2005 Lothar-Fischer-Preis für Bildhauerei resultierend aus dem vom Baumstamm abgedruckten 2010 Friedrich-Baur-Preis der Bayerischen Fries, und große Vergeblichkeit stecken sowohl im zwei- Akademie der Schönen Künste teiligen Holzdruck »Reform« als auch im etwas kleineren Lebt und arbeitet in Seefeld/Brandenburg. »Nachtflug«. Der »Stechlin« war Fontanes letzter und viel- www.klaushack.de leicht persönlichster Roman und auch ihm ist das Werden und Vergehen eingeschrieben. Eine Reform im Sinne einer Erneuerung scheint am Ende des Lebens nicht mehr mög- lich. Einzig setzt die Hauptfigur noch zu einem Nachtflug an, einem Flug in die Ewigkeit über die dunklen Weiten des Stechlins. Antje Schultz
MALEREI Johannes Heisig MALEREI JOHANNES HEISIG
JOHANNES HEISIG Ich gestehe, ich habe Schwierigkeiten mit der ritualisier- ten Fontanefeier 2019. Ich glaube nicht, daß sein Werk 1953 in Leipzig geboren. tatsächlich noch so im öffentlichen Bewusstsein ist wie 1973– 77 Studium der Malerei und Grafik an der Hochschule jetzt behauptet. Manchmal beschleicht mich sogar inmit- der Grafik und Buchkunst in Leipzig, Diplom, Mitarbeit in der Werkstatt des Vaters Bernhard Heisig ten der »Würdigungen« der Gedanke, daß es jene neue 1978–80 Meisterschüler bei Gerhard Kettner rückwärtsgewandte Deutschtümelei sein könnte, mit der an der Hochschule für Bildende Künste Dresden (HfBK) in den Milieus seiner Bücher und in seiner Erzählweise 1988 –1991 Professur und Lehrstuhl für Malerei und Grafik das »Gemütliche« und das »Brandenburgische« gesucht HfbK Dresden wird (mit seinem Nachfolger Thomas Mann könnte man 2003 Professur an der Universität Dortmund solche mißbräuchlichen Verirrungen freilich widerlegen). Lebt und arbeitet in Teetz. Das oft leere Abfeiern Fontanes weist wohl in erster Linie www.johannes-heisig.de hin auf ein allgemein nur noch rudimentäres Verhältnis zum Literarischen. Vielleicht ist mein Blatt »Im Gedenkjahr« in diesem Sinne als ein Stück Selbstaufforderung zum Le- sen zu verstehen. Was mich allerdings schon immer zu Fontane gezogen hat, ist seine emotionale innere Verbindung mit der Land- schaft Brandenburgs. Das ist vermutlich einer der Punkte, die die »Wanderungen« trotz allem Einwand noch heu- te populär machen. Wahrscheinlich ist es sein meistge- lesener Text. Und: er berührt mich in meiner »Heimatfin- dung« hier. So sind meine Prignitz-Landschaften durchaus eine persönliche Verortung des Zugezogenen und als solche ein Echo der Fontaneschen Heimatliebe, wie sie etwa auch im Gedicht »Havelland« vor dem Band 3 der Wanderungen anklingt. J.H.
MALEREI PETER HERRMANN
PETER HERRMANN DER STECHLIN 6. Kapitel 1937 in Großschönau/Lausitz geboren. 1953 Teilnahme Malkurs der Volkshochschule bei Jürgen Böttcher-Strawalde seit 1971 freischaffender Maler 1984 Ausreise nach Hamburg, 1985 Aufenthalt bei A. R. Penck in London »Ja, Lorenzen, Sie lachen«, warf Dubslav hier ein. »Aber bei Lichte besehen hat Woldemar doch recht, seit 1986 in Westberlin, 1998 Villa Romana-Preis, Florenz was (und Sie wissen auch warum) eigentlich nicht oft vorkommt. Es ist genauso, wie er sagt. Natürlich 2001 Fred-Thieler-Preis für Malerei der Berlinischen Galerie, Berlin bleibt uns Eva und die Schlange; das ist uralte Erbschaft. Aber so viel noch von guter alter Zeit in dieser Lebt und arbeitet in Berlin. Welt zu finden ist, so viel findet sich hier, hier in unsrer lieben alten Grafschaft. Und in dies Bild richtiger www.galerie-ines-schulz.de Gliederung, oder meinetwegen auch richtiger Unterordnung (denn ich erschrecke vor solchem Worte nicht), in dieses Bild des Friedens paßt mir diese ganze Globsower Retortenbläserei nicht hinein. Und wenn ich nicht fürchten müßte, für einen Querkopf gehalten zu werden, so hätt‘ ich bei hoher Behörde schon lange meine Vorschläge wegen dieser Retorten und Ballons eingereicht. Und natürlich gegen bei- de. Warum müssen es immer Ballons sein? Und wenn schon, na, dann lieber solche wie diese. Die lass‘ ich mir gefallen.« Und dabei hob er die Bocksbeutelflasche. »Wie diese«, bestätigte Czako. »Ja, Czako, Sie sind ganz der Mann, meinen Papa in seiner Idiosynkrasie zu bestärken.« »Idiosynkrasie«, wiederholte der Alte. »Wenn ich so was höre. Ja, Woldemar, da glaubst du nun wieder wunder was Feines gesagt zu haben. Aber es ist doch bloß ein Wort. Und was bloß ein Wort ist, ist nie was Feines, auch wenn es so aussieht. Dunkle Gefühle, die sind fein. Und so gewiß die Vorstellung, die ich mit dieser lieben Flasche hier verbinde, für mich persönlich was Celestes hat... kann man Celestes sagen?...«, Lorenzen nickte zustimmend, »so gewiß hat die Vorstellung, die sich für mich an diese Globsower Riesenbocksbeutelflaschen knüpft, etwas Infernalisches.« »Aber Papa.« »Still, unterbrich mich nicht, Woldemar. Denn ich komme jetzt eben an eine Berechnung, und bei Berechnungen darf man nicht gestört werden. Über hundert Jahre besteht nun schon diese Glashütte. Und wenn ich nun so das jedesmalige Jahresprodukt mit hundert multipliziere, so rechne ich mir alles in allem wenigstens eine Million heraus. Die schicken sie zunächst in andre Fabriken, und da destillieren sie flott drauflos, und zwar allerhand schreckliches Zeug in diese grünen Ballons hinein: Salzsäure, Schwefelsäure, rauchende Salpetersäure. Das ist die schlimmste, die hat immer einen rotgelben Rauch, der einem gleich die Lunge anfrißt. Aber wenn einen der Rauch auch zufrieden läßt, jeder Tropfen brennt ein Loch, in Leinwand oder in Tuch oder in Leder, überhaupt in alles; alles wird angebrannt und angeätzt. Das ist das Zeichen unsrer Zeit jetzt, ›angebrannt und angeätzt‹. Und wenn ich dann bedenke, daß meine Globsower da mittun und ganz gemütlich die Werkzeuge liefern für die große Generalweltan- brennung, ja, hören Sie, meine Herren, das gibt mir einen Stich. Und ich muß Ihnen sagen, ich wollte, jeder kriegte lieber einen halben Morgen Land von Staats wegen und kaufte sich zu Ostern ein Ferkel- chen, und zu Martini schlachteten sie ein Schwein und hätten den Winter über zwei Speckseiten, jeden Sonntag eine ordentliche Scheibe, und alltags Kartoffeln und Grieben.« »Aber Herr von Stechlin«, lachte Lorenzen, »das ist ja die reine Neulandtheorie. Das wollen ja die Sozial- demokraten auch.« »Ach was, Lorenzen, mit Ihnen ist nicht zu reden... Übrigens Prosit... wenn Sie‘s auch eigentlich nicht verdienen.« Theodor Fontane
SKULPTUR MICHAEL HISCHER
MICHAEL HISCHER »Überlaß es der Zeit, Zeit ist Balsam und Friedensstifter.« Bewegung ist in der Physik definiert als Veränderung des 1955 in Pinneberg geboren. Ortes mit der Zeit. Bewegung in der Kunst hat aber auch Studium der Bildhauerei in Hannover und Berlin bei Dietrich Klakow eine metaphysische Dimension. Der Rat Fontanes aus sei- und Rolf Szymanski (Meisterschüler) 1989 Kunstpreis der Stadt Hannover-Langenhagen nem gleichnamigen Gedicht bildet sich auf wunderbare 1991 Stipendium der Karl-Hofer-Gesellschaft in Berlin Art und Weise in kinetischen Skulpturen ab. Deren ruhiger, 1991 Stipendium »Werkstatt Schloss« in Wolfsburg beruhigender und sanfter Charakter entfaltet ebenfalls Lebt und arbeitet in Berlin und Betzin. eine entschleunigende und mässigende, ja sogar starke meditative Wirkung, die an Ausdruckstanz oder an die www.michaelhischer.de fernöstlichen Konzentrations- und Bewegungsformen Tai Chi und Qigong erinnernd auf den Betrachter übergreift. So wie es uns Theodor Fontane für das Leben nahe legt. M.H.
MALEREI Ulrike Hogrebe MALEREI ULRIKE HOGREBE
ULRIKE HOGREBE 1954 in Münster/Westf. geboren. 1975 – 78 Hochschule für Bildende Künste, Prof. Schoenholtz, Prof. Ohlwein 1978 – 82 Studium der Malerei an der Hochschule der Künste Berlin 1991 Stipendium Künstlerdorf Schöppingen 1993 Stipendium Künstlerdorf Schloss Wiepersdorf 2003 Stipendium für Bildende Kunst des Landes Brandenburg Lebt und arbeitet in Neuwerder-Westhavelland. www.ulrike-hogrebe.de
MALEREI HEIKE JESCHONNEK
HEIKE JESCHONNEK Meine Faszination für das Havelland ist eine neue. Ich habe viele beeindruckende Länder bereist, bin auf hohe 1964 in Gummersbach geboren. Berge gestiegen, durch faszinierende Täler gewandert 1993–2001 Hochschule der Künste Berlin (Meisterschülerin) und über weite Meere gesegelt. Das Unspektakuläre am 2006 Karl-Hofer-Stipendium 2013 Ahrenshoop, Künstlerhaus Lukas Havelland hat meinen Blick für das Unscheinbare, das 2015 AOK Kunstpreis, Berlin Leise in der Landschaft und in mir geschärft. In meinen 2016 Künstlerbahnhof Ebernburg e.V., Bad Kreuznach, Kunstpreis Bildern verbinde ich diese sichtbare Landschaft mit mei- Lebt und arbeitet in Berlin und Neuruppin. nem inneren Blick, so dass ein Drittes entsteht. Ich stelle mir gerne vor, dass auch Fontane das sichtbare Havelland mit www.heike-jeschonnek.de seiner inneren Landschaft verband. H.J.
I N STA L L AT I O N S C H I R I N K R E T S C H M A N N
SCHIRIN KRETSCHMANN Für ihre Raumintervention »Archäologie« bei der LAND (SCHAFFT)KUNST-Biennale in Neuwerder hat Schi- 1980 in Karlsruhe geboren. rin Kretschmann den Sandboden eines alten Schuppens 2000 –07 Studium an der Staatlichen Akademie systematisch nach Fundstücken durchsucht. Was sie fand, der Bildenden Künste Karlsruhe, an der Universität Freiburg und am Centro Nacional de las Artes Mexiko City hat sie an der Schwelle des Schuppens geordnet und 2009 Graduiertenkolleg, eikones Institut für Bildkritik die Sandoberfläche des Bodens anschließend mit ihren der Universität Basel Handabdrücken in ein gleichmäßiges Relief verwandelt. 2011–19 PhD Freie Kunst, Bauhaus Universität Weimar Die ausgelegten Fundstücke sind unspektakulär und 2014 Arbeitsstipendium, Stifung Kunstfonds könnten sich auch in jedem anderen Schuppen finden. 2019 Gastprofessur für Malerei, Akademie der Manche von ihnen lassen sich leicht wiedererkennen: Bildenden Künste München Lebt und arbeitet in Berlin. Glasscherben, Fliesen, Walnüsse oder Holzbretter. An- dere erscheinen rätselhaft, wie ein gestreiftes Stück Stoff, www.schirinkretschmann.de das von einem Hausschuh zu stammen scheint, oder ein kleiner Metallfuß mit Schraubgewinde, der ebenso zu ei- ner Lampe als auch die zu einem Dekogegenstand gehört haben könnte. Der Zufall, der diese Funde in Kretschmanns Arbeit vereint und sie zugleich in ihrer geordneten Form als Teil einer unbekannten Erzählung erscheinen lässt, lässt sie wie ein Sinnbild für Fontanes Auffassung des Realismus verstehen, dem sich seine literarischen Texte verpflichtet fühlen. In seinem Essay über den »Realismus« aus den 1850er Jahren schrieb Fontane: Realismus bestehe darin, die Wirklichkeit als »Material« zu verstehen, das durch die Kunst »geläutert« werden müsse. Der Künstler (oder Schriftsteller) wählt also aus dem Material der Realität aus und präsentiert es dem Publikum in »gereinigter« Form, so dass hinter der Oberfläche der Realität die wahren Ideen und geistigen Wirkungen zum Vorschein kämen. Den Zu- fall als Schöpfungsprinzip lehnte Fontane hingegen ab – und damit auch die zu seiner Zeit sich immer stärker als »Realitätsmedium« diskutierte Fotografie, die nach Fonta- nes Auffassung eben nicht auswähle und reinige, sondern alles zeige, was »zufällig« in den Bildausschnitt gerate. Kretschmanns Arbeit nimmt Fontane also auf eine lako nische Weise beim Wort und ergräbt und ordnet buch- stäblich das Material der Realität aus einem Stück des märkischen Bodens, den Fontane in seinen »Wanderun- gen durch die Mark Brandenburg« ja seinem Publikum einst als Bewahrer von Geschichte und Geschichten vorgestellt hatte. Carsten Probst
ZEICHNUNG Volker Lehnert MALEREI VOLKER LEHNERT
VO L K E R L E H N E R T Seit jeher gehört Fontanes »Stechlin«, dieser melancholisch- altersweise Abgesang auf ein Jahrhundert zu meinen Lieb- 1956 in Saarbrücken geboren. lingsbüchern. Insbesondere der letzte Satz aus Fontanes 1976 –81 Studium der Bildenden Kunst, Kunstgeschichte letztem Roman blieb immer in meine Erinnerung einge- und Germanistik an der Kunsthochschule und der Universität Mainz schrieben. Als Künstler beschäftigt mich seit Jahren das 1996 –2000 Professor für Zeichnung an der Hochschule Thema Landschaft. »Ein wenig Argwohn in Waldstücken« Niederrhein in Krefeld heißt eine umfangreiche Werkgruppe von Malereien, Seit 2000 Professor an der Staatlichen Akademie Zeichnungen und Lithographien. Es sind innere Landschaf- der Bildenden Künste Stuttgart ten, eher unwirtliche Orte, erdacht aus Fragmenten von Lebt und arbeitet in Witten und Stuttgart. Beobachtbarem und Versatzstücken medial vermittelter www.volkerlehnert.de Wirklichkeit, Metaphern des Zweifels, der Brüchigkeit. Und immer wieder denke ich an den letzten Satz des »Stechlin«, in dem die Landschaft als etwas gefeiert wird, das Men- schen, Gesellschaften und Zeiten als einzig Bleibenswertes überdauern möge. V.L.
I N STA L L AT I O N S E R A P H I N A L E N Z
SERAPHINA LENZ FONTANEGASTSTÄTTE Die Installation »Fontanegaststätte« entstand 2019 für 1963 in Münster geboren. die Biennale LAND(SCHAFFT)KUNST. 1985 –1986 Ausbildung zur Modelistin, École supérieure Fontanes Name, touristisch wichtig für das Havelland, des arts et techniques de la mode, Esmod, Paris 1987–1994 Studium der Bildhauerei, Kunstakademie Münster, konnte den Niedergang der nach ihm benannten Gast- Meisterschülerin stätte in Ribbeck, dem Dorf seines berühmten Birnbaums, Seit 2001 Projekte im öffentlichen Raum nicht verhindern. Die potemkinsche Attrappe, hineingesetzt 2015 Artist in Residence, Museum SUDOH Odawara City, Japan; in die ländliche Kulisse der Biennale im havelländischen Auszeichnung des Japanischen Außenministers Neuwerder, spielt auf Erwartungen und Enttäuschungen 2010 Realisierung im Wettbewerb Temporäre Kunstprojekte an, die mit einer Landpartie auf den Spuren Fontanes ver- Marzahner Promenade Lebt und arbeitet seit 1997 in Berlin. bunden sein mögen. Wenn auch Standortmarketing oder Kulturförderung dazu www.seraphinalenz.de beitragen können, dass Spuren gefunden werden, hängt beides am banalisierenden und daher leicht angeschmutz- ten Geschäft der Kommerzialisierung der Schriftstellerfigur Fontanes. S.L.
MALEREI HARRY MEYER
HARRY MEYER Seit wann wachsen Bäume aus Büchern? Im Geiste derjenigen, die ein Buch lesen, entstehen 1960 in Neumarkt geboren. Bilder: So unterschiedlich und vielfältig wie die Menschen 1988–93 Studium der Architektur (Diplom) selbst, formt sich der Ribbeck’sche Birnbaum aus ihren 1993 seither freischaffend als Maler bei Augsburg Erfahrungen, Erinnerungen, Vorstellungen zu Formen und 1994 Meisterkurs »Art in Architecture« bei Frank Stella Farben – das Denken ist ein Aufbauen auf dem Legat; 1992 Schwäbischer Kunstpreis 1993 Kunstförderpreis für Malerei der Stadt Augsburg ein Bild, welches im Geist entsteht, wird zum Bild auf der 1996 Arbeitsstipendium Künstlerbahnhof Ebernburg Leinwand, in einem Prozess unendlicher Freiheit: Nichts 1997 Arbeitsstipendium der Stiftung Kulturfonds, muss, alles kann. Die gelbe Sonnenscheibe des hellen Ta- Künstlerhaus Ahrenshoop ges taucht den Baum in warmes Licht, Mond und Sterne Lebt und arbeitet in Augsburg und Gesserthausen. in fahler Nacht lassen die Konturen verschatten und eins werden mit dem Dunkel. Die Chronologie des Baumes und www.harrymeyermalerei.de seiner Früchte liegt im Auge des Betrachters. Und Herr von Ribbeck ist verstorben und kehrt nicht wieder zu den Irdi- schen – jedenfalls nicht wie sein Birnbaum, der nach der winterlichen Ruhe im Frühjahr erwacht zu schönster Blüte und erahnen lässt, welch farbenfrohe reife Früchte er im Herbst hervorbringen wird. Was jedoch bleibt, ist Ribbecks Vermächtnis. Brigitte Herpich
SKLUPTUR REINHARD OSIANDER
REINHARD OSIANDER Kloster Wutz, mit Java … bin verlobt Alles Alte und das Neue 1967 in Bobingen geboren. Da haben Sie die Stelle, die, wenn’s sein muss, mit Java 1992 – 95 Ausbildung zum Holzbildhauer, Berchtesgaden telefoniert. Ein Strudel, ein Kreis aus Ästen zusammenge- 1995 – 2003 Studium der Bildhauerei bei Bernd Altenstein baut, am Bildrand liegend, ist titelgebend für die Arbeit »mit an der Hochschule für Künste, Bremen Java…« Das Gefüge erweitert sich, bildet See und wird zur 2005 – 06 Lehrauftrag an der Hochschule für Künste, Bremen 2013 Kunstpreis ars loci, Nienburg Weser Landschaft, zum Himmel, der zu regnen scheint. In diese Lebt und arbeitet in Bremen. Collage eigentümlicher Naturmaterialität wird grob das Schloss Stechlin hineingeschnitzt. Kein Prunkschloss, mehr www.reinhardosiander.de einer Kaserne gleicht der Bau. Es ist das Alte, das Schloss, das dargestellt ist, verortet in der heimatlichen Landschaft Brandenburgs. Die Form der Arbeit, ein Bildstock mit In- schrift wirkt aber wie aus einer anderen Heimat geborgt. Die Bildtafeln, geschaffen um in der Landschaft platziert an Geschehnisse zu erinnern, finden ihren Ursprung in der religiösen volkstümlichen Kunst im Süden Deutschlands. Wie Sterne funkeln die eingearbeiteten Äste am Himmel als Woldemar, Rex und Czako, im Gespräch vertieft, ver- suchen noch abends das Ziel, Kloster Wutz zu erreichen. Die Troika galoppiert dabei über eine Landschaft, die durch das Zusammenbauen der Äste fast abstrakt wirkt. Auch im dritten Tableau sind die Protagonisten eingebettet in die märkische Landschaft. Eine wässrige Farbigkeit über- zieht auch hier das Bild. Klar ist Holz erkennbar als Träger für Form und Farbe. Äste verbinden sich, werden zu Wol- ken und Hügeln und bleiben doch, Äste. Das Brautpaar, das den knappen Handlungsstrang Fontanes beendet und auf das Neue verweist »zwei Junge heiraten sich« sind hier Zentrum des Bildes. Alle drei Arbeiten zusammen geben fast den Eindruck ei- nes Flügelaltares wieder und verweisen doch mehr auf die Heimat und Wurzeln des süddeutschen Bildhauers, der sie geschaffen hat, als auf die des Brandenburgers Fontane. Ob’s Fontane gefallen hätte seinen Roman als Marterl dar- gestellt wiederzufinden, wer weiß? R.O.
ZEICHNUNG WOLF -DIETER PFENNIG
WOLF -DIETER PFENNIG Fontane war mir immer ein Anreger. Ich stelle ihn mir vor, DER STECHLIN wie er in einem dieser in seiner Zeit vielfach entstehenden 19. Kapitel 1956 in Dresden geboren. Biergärten sitzt, den Gehör- und Augensinn an den Ne- 1980 – 85 Studium Kunsthochschule Berlin Weißensee, bentischen, das Rohmaterial für seine Bilder und Dialoge Grafik; Realisierung baugebundener Aufträge u. a. in Berlin, Düsseldorf und Potsdam aufspürend. Läßt man die Dialoge im »Stechlin« oder in Seit 2002 Professur an der Fachhochschule für Technik, den »Poggenpuhls« laut lesend auf sich wirken, möchte »Ja, schwach ist jeder, und ich mag mich auch nicht für all und jeden verbürgen. Aber in diesem speziel- Wirtschaft und Gestaltung in Wismar, zahlreiche Einzel- man kaum glauben, dass Bürgersfrauen, Offiziere, Dienst- len Falle... Selbst Koseleger schien mir voll Zuversicht und Vertrauen, als er am Donnerstag noch mit mir und Ausstellungsbeteiligungen in Europa und den USA boten u.s.w. so miteinander gesprochen haben. Es ist im- plauderte.« Lebt und arbeitet in Potsdam und Wismar. mer ein luftiger, fast somnambuler Ton, in dem die Men- »Koseleger voll Vertrauen! Na, dann geht es gewiß in die Brüche. Wo Koseleger Amen sagt, das ist schen wie in gelernten Rollen sprechen. Manchmal auch schon so gut wie Letzte Ölung. Er hat keine glückliche Hand, dieser Ihr Amtsbruder und Vorgesetzter.« www.wolf-dieter-pfennig.com ein stolzierender Ton, von Preußensentimentalität durch- »Ich teile leider einigermaßen Ihre Bedenken gegen ihn. Aber was vielleicht mit ihm versöhnen kann, er mischt und getragen von ganz eigener Beobachtungsga- hat angenehme Formen und durchaus etwas Verbindliches.« be. In einem frühen Brief schreibt er: »Ich bin gewiß keine »Das hat er. Und doch, so sehr ich sonst für Formen und Verbindlichkeiten bin, nicht für seine. Man soll dichterische Natur, mehr als tausend andere, die sich sel- einem Menschen nicht seinen Namen vorhalten. Aber Koseleger! Ich weiß immer nicht, ob er mehr Kose ber anbeten, aber ich bin keine große und keine reiche oder mehr Leger ist; vielleicht beides gleich. Er ist wie‘ne Baisertorte, süß, aber ungesund. Nein, Loren- Dichternatur. Es drippelt nur so.« zen, da bin ich doch mehr für Sie. Sie taugen auch nicht viel, aber Sie sind doch wenigstens ehrlich.« In einem anderen Brief charakterisiert er sich folgen »Vielleicht«, sagte Lorenzen. »Übrigens hat Koseleger inmitten seiner Verbindlichkeiten und schönen dermaßen: »Meine ganze Produktion ist Psychographie Worte doch auch wieder was Freies, beinah‘ Gewagtes und ist mir da neulich mit Bekenntnissen gekom- und Kritik, Dunkelschöpfung im Licht zurechtgerückt.« men, fast wie ein Charakter.« Dieses »Drippeln« und diese im Licht zurechtgerück- Dubslav lachte hell auf. »Charakter. Aber Lorenzen. Wie können Sie sich so hinters Licht führen lassen. Ich te »Dunkelschöpfung« macht Fontanes Ausstrahlung bis verwette mich, er hat Ihnen irgendwas über Ihre ›Gaben‹ gesagt; das ist jetzt so Lieblingswort, das die ins Heute so stark. Er ist ein Realist, der sein szenisches Pastoren immer gegenseitig brauchen. Es soll bescheiden und unpersönlich klingen und sozusagen alles Bewußtsein als Schreibender »drippeln« läßt. Fontane auf Inspiration zurückführen, für die man ja, wie für alles, was von oben kommt, am Ende nicht kann. Es ist ein Handwerker im und mit dem Realen und gleich- ist aber gerade dadurch das Hochmütigste... War es so was? Hat er meinen klugen Lorenzen, eh er sich zeitig ein Phantast mit straff gezogenem Zügel. Man darf als ›Charakter‹ ausspielte, durch solche Schmeicheleien eingefangen?« sich viel von ihm abschauen. Ich habe nicht aufgehört, ihn »Es war nicht so, Herr von Stechlin. Sie tun ihm hier ausnahmsweise unrecht. Er sprach überhaupt nicht zu lesen. über mich, sondern über sich und machte mir dabei seine Confessions. Er gestand mir beispielsweise, W-D.P. daß er sich unglücklich fühle.« »Warum?« »Weil er in Quaden-Hennersdorf deplaciert sei.« »Deplaciert. Das ist auch solch Wort; das kenn‘ ich. Wenn man durchaus will, ist jeder deplaciert, ich, Sie, Krippenstapel, Engelke. Ich müßte Präses von einem Stammtisch oder vielleicht auch ein Badedirek- tor sein, Sie Missionar am Kongo, Krippenstapel Kustos an einem märkischen Museum und Engelke, nun der müßte gleich selbst hinein, Nummer hundertdreizehn. Deplaciert! Alles bloß Eitelkeit und Größen- wahn. Und dieser Koseleger mit dem Konsistorialratskinn! Er war Galopin bei ’ner Großfürstin; das kann er nicht vergessen, damit will er‘s nun zwingen, und in seinem Ärger und Unmut spielt er sich auf den Charakter aus und versteigt sich, wie Sie sagen, bis zu Confessions und Gewagtheiten. Und wenn er nun reüssierte (Gott verhüt‘ es), so haben Sie den Scheiterhaufenmann comme il faut. Und der erste, der rauf muß, das sind Sie. Denn er wird sofort das Bedürfnis spüren, seine Gewagtheiten von heute durch irgend- ein Brandopfer wieder wettzumachen.« Theodor Fontane
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