Gesundheitsfürsorge Lehrkräfte für ihren Job stärken - GEW ...
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12. 18. Februar 14. April 2022 2021 2022 | 76.| 75. 76. Jahrgang Jahrgang Jahrgang | 4 Euro || 44 Euro Euro Ausgabe Ausgabe 01– 01–02 04 02 / 2022 2021 bildung und wissenschaft – Zeitschrift der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Baden-Württemberg Gesundheitsfürsorge Lehrkräfte für ihren Job stärken Ukrainische Flüchtlingskinder Arbeitsbedingungen Sportlehrkräfte Deutsch lernen Kitas brauchen Gemeinsam Spaß an und Abschluss machen sofort Entlastung der Bewegung haben
BRAUCHEN WIR KUNFTIG NOCH AUTOS? n c e oder Fiction? erkeh r – S c ie Komplett autofreier V www.technoseum.de 2 bildung & wissenschaft 04 / 2022
N Editorial K R I SDEU S MO Monika Stein, Landesvorsitzende Foto: Evi Maziol Immer wieder für Frieden einsetzen Liebe Kolleg*innen, liebe Leser*innen, in Europa findet durch den Angriff Russlands Friedensbildung beteiligt. Wir sehen mehr auf die Ukraine seit dem 24. Februar ein völker- denn je, wie fragil der Frieden ist, in dem die rechtswidriger Krieg statt. Das löst bei vielen meisten von uns aufgewachsen sind. Gerade von uns großes Entsetzen aus. Viele Menschen deshalb bleibt es wichtig, dass wir uns immer aus der Ukraine bringen sich auch in Deutsch- und immer wieder für Frieden und Verstän- land in Sicherheit. Die Hilfsbereitschaft in digung einsetzen. In Kitas und Schulen muss der Bevölkerung und bei den Regierenden ist gewaltfreie Konfliktlösung gelernt und gelebt enorm. Das ist wunderbar. Auch viele Mitglie- werden. Wir müssen alles dafür tun, dass das der der GEW engagieren sich ehrenamtlich Glück in Frieden zu leben, den Kindern und und zum Teil bis an ihre Belastungsgrenze. Jugendlichen in Baden-Württemberg erhal- Gleichzeitig sterben und leiden Menschen aus ten bleibt und denjenigen, die zu uns geflohen vielen Ländern der Welt an den Außengrenzen sind, endlich zuteil wird. der EU. Das ist schwer auszuhalten. Wir in der In Russland erfahren Menschen, die gegen den GEW sind der festen Überzeugung, dass das Angriffskrieg auf die Ukraine auf die Straße Grundrecht auf Asyl nicht an Herkunft, Haut- gehen, Polizeigewalt, und werden verfolgt und farbe, Religion, sexuelle Identität, Gesundheit verhaftet. Die dortigen Demonstrant*innen oder Bildung geknüpft werden darf. Solida- sind mutig, riskieren ihre körperliche Unver- rität, Menschlichkeit und Hilfsbereitschaft sehrtheit und haben jedes Recht, Frieden gelten gegenüber allen Menschen in Not. und Freiheit zu fordern. Sie verdienen unsere Bei vielen Menschen erschüttert der Krieg Hochachtung. Ich wünsche mir unterstützen- ihre pazifistische Einstellung. Für uns als de Demonstrationen und Solidarität für diese pazifistische Gewerkschaft ist Friedensbil- Menschen. Ich wünsche mir Solidarität und dung ein wichtiger pädagogischer Grund- unterstützende Demonstrationen für die Men- pfeiler. Wir sind gegen die Werbung durch schen in der Ukraine, für den Frieden und die Jugendoffizier*innen der Bundeswehr in den Rechte von Geflüchteten. Vor allem wünsche Schulen. Schule ist ein pädagogischer Schutz- ich uns allen aus tiefstem Herzen, dass der raum. Unter 18 nie gilt unverändert für uns. Angriffskrieg gegen die Ukraine so schnell wie In unseren Augen darf die Bundeswehr junge möglich beendet wird, damit das Sterben und Menschen nicht rekrutieren, bevor sie voll- die Zerstörung ein Ende findet. jährig sind. Jedes Jahr bekommen Jugendli- che um den 18. Geburtstag herum Werbung von der Bundeswehr, wenn sie dem nicht Herzliche Grüße aktiv widersprechen. Das ist in Deutschland, Ihre dem Land, in dem Datenschutz viele – auch nützliche – Dinge erschwert oder unmöglich macht, bemerkenswert. Die GEW war maß- geblich an der Gründung der Servicestelle bildung & wissenschaft 04 / 2022 3
26 Erhöhung Leitungszeit: Schulleitungen bekommen etwas mehr Zeit 6 Was Schulleitungen vom Kultusministerium erwarten dürfen 8 Kabarett: Zur Sache Frau! S.12 Titelthema Gesundheitsfürsorge Lehrkräfte für ihren Job stärken 4 bildung & wissenschaft 04 / 2022
Inhalt In dieser Ausgabe Titelthema Rubriken Arbeits- und Gesundheitsschutz 3 Editorial 12 Mühsamer Weg aus dem 6 Aktuell Schattendasein ist noch lang 7 Glosse 17 Gesundheitsfürsorge: 32 Kurz berichtet Lehrkräfte für ihren Job stärken 35 GEW vor Ort 22 Erfahrungsbericht: Mein Weg in den 35 Jubilare Burnout und wieder hinaus 36 Totentafel 37 Impressum 38 Termine Arbeitsplatz Schule / Kindertageseinrichtung 10 Ukrainische Flüchtlingskinder: Deutsch lernen und Abschluss machen 11 Wissenschaftlicher Beirat des Kultusministeriums: Professorin Havva Engin neu berufen 24 Arbeitsbedingungen in der Kita: Kitas brauchen sofort Entlastung 26 Erhöhung Leitungszeit: Schulleitungen bekommen etwas mehr Zeit 28 Perspektiven trotz Pandemie: Gemeinsam Spaß an der Bewegung haben Aus der Arbeit der GEW 9 Tarifrunde Sozial- und Erziehungsdienst: Keine konstruktiven Verhandlungen – Streiks notwendig 30 Beamtenrecht: Landeregierung will ihrer Fürsorgepflicht gerecht werden Titel: una.knipsolina / Photocase.com Foto: imago Redaktionsschluss für die nächste b&w-Ausgabe: 11. April 2022 bildung & wissenschaft 04 / 2022 5
Aktuell GE W-SCHULLEITUNGSTAG Was Schulleitungen vom Kultusministerium erwarten dürfen Foto: Evi Maziol Podiumsdiskussion mit Schulleitungsmitglieder Thomas Reck, Angela Keppel- Michael Hirn, stellvertretender Bildungsforscher und Allgaier, Michael Hirn, Ruth Zacher (von links) und Marcel Helbig (Mitte) GEW-Landesvorsitzender Soziologe Prof. Marcel Helbig weiß, der Laden brennt lichterloh, Sie verloren gehen. Zur Entlastung von Schul- brauchen Unterstützung an den SBBZ leitungen sollen Absprachen mit den und in der Inklusion“, versicherte die kommunalen Landesverbänden für mehr Kultusministerin. Sie kennt die Prob- Sekretariatsstellen getroffen werden, leme beim Qualitätskonzept, weiß um auch Stellen für Schulpsycholog*innen die coronabedingten Lerndefizite der und Schulsozialarbeiter*innen sollen Schüler*innen und sorgt sich um den aufgestockt werden. Wann und wie viele sozial-emotionalen Nachholbedarf vieler sagte sie nicht. Kinder und Jugendlicher. „Schulleitungen sind seit März 2020 im Dank, Lob und Empathie sind groß bei Dauerstress und brauchen mehr Unter- Schopper. Deutlich kleiner und sehr stützung. Schule ist auch ein Arbeitsplatz vage sind ihre Lösungen. Große Erwar- für Schulleitungen, die nicht verheizt tungen sollen gar nicht erst aufkommen. werden dürfen, weil sie ihre Aufgaben „Ihren Wunschzettel kann ich nicht so ernst nehmen, dass sie für ihre eige- erfüllen“, erklärte sie noch bevor jemand nen Bedürfnisse nicht lautstark eintre- Wünsche geäußert hat. Der finanzielle ten. Die Aufgabe des Landes als Arbeit- Spielraum für Entlastungen sei gering. geber der Schulleitungen ist es, schnell Kultusministerin Theresa Schopper, Verbindlich wurde sie an keiner Stelle. für zusätzliches Personal zu sorgen live zugeschaltet beim GEW-Schulleitungstag In der zweiten Phase des schon von ihrer und durch mehr Freistellungen von der Vorgängerin versprochenen Schullei- Unterrichtsverpflichtung die Chefinnen tungskonzepts (siehe Seite 26) waren über und Chefs in den 4.500 Schulen zu 360 Deputate für Leitungszeit der Schul- entlasten“, sagte Monika Stein, GEW- Kultusministerin Theresa Schopper leitungen zugesagt, beschlossen hat der Landesvorsitzende bei der Tagung in bedankte sich am Schulleitungstag der Landtag lediglich 160. „Das ist nur ein Stuttgart. GEW Mitte März ausdrücklich bei allen erster Schritt und wird weiter eine Rolle Schulleitungen für ihren Einsatz. „Sie spielen“, äußerte sie sich unbestimmt. Wissenschaft und Praxis haben in den vergangenen Jahren Groß- 2019 wollte Kultusministerin Eisenmann Prof. Marcel Helbig referierte zu „Coro- artiges geleistet“, lobte sie. „Ich weiß, dass auch die Kürzung des Allgemeinen Ent- na-Folgen linden: Ein unlösbares Prob- Sie seit 2 Jahren im Corona-Modus jeden lastungskontingents zurücknehmen. Die lem für das System Schule“ (siehe b&w Tag den Stundenplan ändern müssen dafür notwendigen 230 Stellen hat Schop- 03/2022 S. 13). Wie es den Kindern und und ihr Workload hoch ist“, sagte sie. Die per auch nicht erwähnt. Sie möchte aber Jugendlichen geht, welcher Belastung Ministerin weiß auch, wenn jetzt ukrai- Bedarfe im Haushalt anmelden und für Lehrkräfte und Schulleitungen ausgesetzt nische Schulkinder an die Schultür klop- mehr Stellen kämpfen. sind und welche Lösungen aus den viel- fen, ist der Personalmangel noch höher Zum Abbau des Lehrkräftemangels fältigen Krisen führen könnten, diskutier- als bei der letzten Flüchtlingsbewegung werde sie mit Wissenschaftsministerin ten Schulleitungsmitglieder der GEW mit vor 7 Jahren. Und es treibe ihr Sorgen- Theresia Bauer über weitere Studienplätze dem Wissenschaftler Marcel Helbig. falten auf die Stirn, wenn es um die feh- reden und mit ihr schauen, wo Studie- Maria Jeggle lenden Sonderpädagog*innen gehe. „Ich rende während der Lehramtsausbildung b&w Redakteurin 6 bildung & wissenschaft 04 / 2022
Glosse / Aktuell Glosse Der Orden der grünen Masken CORONA GEW kritisiert, dass alle Man nimmt als Lehrkraft mit der Zeit Auflagen wegfallen seltsame Gewohnheiten an. Immer, wenn ich jemanden sehe, der die Maske Die bundesweite Rechtsgrundlage unter der Nase trägt, muss ich die Lip- für Corona-Auflagen ist am 20. März pen zusammenkneifen. Sonst würde ausgelaufen. Wegen der hohen Infek- ich sagen: „Es ist eine Mund- UND tionszahlen nutzte Baden-Würt- Nasenbedeckung! Und! Für beides!“ temberg eine Übergangsfrist bis zum Denn genau so sage ich das auch zu 2. April. So konnten Maßnahmen Schüler*innen, wenn die Nase im Frei- wie die Maskenpflicht an den Schu- en hängt und fröhlich Aerosole in den len noch aufrecht erhalten bleiben. Raum dampfen. Danach hätten die Länder die neuen Als ich mal beim Bäcker in der Warte- „Hotspot-Regelungen“ nutzen müs- schlange stand, haben mich gleich zwei sen, um landesweite Schutzmaßnah- professionelle Deformationen erwischt. men anordnen zu können. Baden- Ein schnaufender Mann ist einfach an erkannte man bei jedem Einkauf die Württemberg hält die Regelung der Schlange vorbeigegangen und hat Kolleg*innen. Auch irgendwie gemein- allerdings für nicht rechtssicher und sich vor mich gestellt. Und das mit der schaftsstiftend. Vielleicht sollte man verzichtete am 29. März auf weiter- Maske unter dem Kinn! Und wie ein künftig nicht mehr von Lehrkräften spre- gehende Auflagen. Damit fielen ab Reflex kamen die Worte aus mir heraus: chen, sondern vom „Orden der Grünen 3. April in Schulen und Kitas unter „He, es ist eine Mund- UND Nasenbede- Masken“? anderem die Kohortenregelung, die ckung! Und die Schlange fängt da hinten Dann tauchten die ersten Schüler*innen Abstands- und Maskenpflicht weg. an!“ Ich zeigte in die entsprechende Rich- mit bedruckten Masken auf. Erste Men- Alle Veranstaltungen sind wieder tung. Der Mann zog seine Maske über schen trugen Rosa, statt OP-Blau. Dann erlaubt. Die zweimalige Testung wird Mund und Nase. Sie war bedruckt mit kamen die Masken mit Haifischgebiss, bis zu den Osterferien fortgeführt. den Worten „#Diktatur“. Er murmelte Regenbogenfarben oder Tarnfleck. Auf Diskutiert wird noch (Stand 3. April), irgendwas von „Systemschaf “ und reih- einer Maske stand das Wort „Prinzessin“. wie die Quarantäne-Regeln gelockert te sich am Ende der Schlange ein. Wenn Auf einer anderen war ein Einhorn abge- werden können. An der Regelung ich im Beisein meines Vaters solche Lehr- druckt. Die Impfgegner*innen ließen für Schwangere ändert sich vorerst kraft-Ausbrüche hatte, kicherte er immer Masken für sich herstellen mit dem Auf- nichts. und sagte: „Die Welt ist voller ungezoge- druck „#Corona-Diktatur“ und mach- „Natürlich sehen wir den Bedarf nach ner Kinder, oder, Herr Lehrer?“ ten es einem so leicht, zu entscheiden, maskenlosen Kontakten. Die Anste- Ich glaube, ich werde die Masken ver- mit wem man nicht mehr zu diskutie- ckungsgefahr in geschlossenen Räu- missen, wenn wir sie (eines fernen ren brauchte. Bei einer Antikriegsdemo men ist derzeit aber weiter so hoch, Tages) nicht mehr brauchen. Die Stoff- trugen die Menschen blau-gelbe Mas- dass wir zumindest bis zum Beginn masken, die am Anfang der Pandemie ken. Die Menschen haben ihre Mimik der Osterferien am 14. April weiter voller Euphorie genäht wurden, waren durch ausdrucksstarke Masken ersetzt.. eine Maskenpflicht bräuchten. Jetzt Kunstwerke. Plötzlich trugen alle ihre Ich habe darüber nachgedacht, mir für werden noch mehr Schüler*innen alten Schlafanzüge oder Kissenbezüge die Schule Masken bedrucken zu las- und Lehrkräfte erkranken und der im Gesicht. Eine Schülerin trug ein glit- sen. „Habe heute schlechte Laune, also schon hohe Unterrichtsausfall wird zerndes, mit Strass benähtes, gefüttertes Vorsicht!“ oder „Hättest du vorhin auf- weiter zunehmen. In vielen Schulen Kunstwerk im Gesicht, um das ich sie gepasst, müsstest du jetzt nicht fragen!“ stehen die Abschlussprüfungen bevor, sehr beneidete. Unter den Lehrkräften könnte darauf stehen. Mal sehen. da kann niemand weitere Ausfälle nannten wir die Maske heimlich „die Corona werde ich nicht vermissen. Die gebrauchen. Wieder einmal machen Discomaske“. Masken schon ein bisschen. Beschäftigte sowie die Kinder und Dann kamen die medizinischen Masken. Jens Buchholz Jugendlichen mit ihren Eltern in die- Modisch ein echter Rückschritt. „Jetzt ser Pandemie die Erfahrung, dass den sehen alle plötzlich aus wie Professor Verantwortlichen in Berlin und Stutt- Brinkmann im OP!“, sagte ich zu einer gart gute und sichere Bildung wenig jüngeren Kollegin. Sie schaute mich ver- wert ist“, sagte die GEW Landesvorsit- ständnislos an: „Wie wer?“ Da wurde mir zende Monika Stein am 29. März. klar, dass sie zur Zeit der Schwarzwald- b&w klinik noch nicht einmal geboren war. Darauf folgten die grünen MP3-Masken, oder wie immer die Abkürzung dafür lautete: FFP2? An den grünen Masken bildung & wissenschaft 04 / 2022 7
Aktuell TARIFRUNDE SUE 2022 UND INTERNATIONALER FR AUENTAG Kabarett: Zur Sache Frau! Fotos: Evi Maziol MARLIES BLUME – Kabarettistin Mutmacherin will sie sein. Und das war sie. Marlies Blume machte als Kabarettis- tin in Stuttgart viel Wind und appellierte an die Frauen am Frauentag, es ihr gleich- zutun. Sie meinte vor allem die Frauen, die zurzeit im Sozial- und Erziehungsdienst in Tarifauseinandersetzungen stecken. „Ihr Frauen habt nicht gelernt, auf den Putz zu hauen. Dafür habt ihr auch keine Zeit, nicht mal Zeit zum Luftholen, ihr rennt atemlos durch die Kita. Das Wohl der Kinder hat eure oberste Prio- rität und wenn ihr das nicht hinkriegt, dann stellt ihr eure eigenen Bedürfnisse hinten an. Das ist edel, aber nicht nach- haltig.“ So redete sich Marlies Blume warm und forderte die Frauen auf, ihren Mädchentraum, Dornröschen zu sein, aufzugeben: „Ihr solltet nicht ein großer Prinzessinnenclub sein: goldig, verschla- „Das wichtigste für den fen und blöd. Ein Leben als Prinzessin Streik ist der Laubbläser. ist langweilig. Ihr seid geballte Relevanz auf zwei Beinen.“ Machen Sie richtig Wind!“ So ähnlich ging das über eine ganze Stunde. Die Zuhörerinnen fühlten sich „Sie alle sind einzigartig. ertappt, belustigt und vor allem ermu- Männer auch, aber tig, selbstbewusst für mehr Wertschät- zung, bessere Arbeitsbedingungen und denen muss man es nicht mehr Geld einzustehen. „Nehmt euch so dringend sagen.“ wichtig! Die eigene Größe auszuhalten ist schwierig. Geht erhobenen Hauptes in die Tarifverhandlungen!“, rief Marlies Nachschauen auf: www.gew-bw.de/aufwertung-jetzt Blume. Die GEW sei nicht die Gewerk- schaft des ewigen Wartens. Kabarett – live buchen unter: www.marliesblume.de Maria Jeggle 8 bildung & wissenschaft 04 / 2022
Aus der Arbeit der GEW TARIFRUNDE SOZIAL- UND ERZIEHUNGSDIENST Keine konstruktiven Verhandlungen – Streiks notwendig Die Arbeitgeber ducken sich am Verhandlungstisch weg. Auch nach zwei Verhandlungsrunden haben sie keine Ideen für eine Aufwertung des Sozial- und Erziehungsdienst. Argumente allein werden nicht reichen – es ist Zeit für Streiks. Auch in der zweiten Verhandlungsrunde am 21. und 22. März hat die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) zu keiner der gewerkschaftlichen Forderungen ein konkretes Angebot vorgelegt. Die wichtigsten Forderun- gen nach einer besseren Bezahlung und Entlastung der Beschäftigten lehnen die Arbeitgeber rundweg ab. Auch bei den weiteren Themen, die in der zweiten Verhandlungsrunde zur Sprache kamen, gab es keine Bewegung. Nicht bei der Foto: Evi Maziol Eingruppierung von Kita-Leitungen, nicht bei den Tätigkeitsmerkmalen der Sozialarbeiter*innen und auch nicht bei den Forderungen für die Beschäftigten „Wir sind die Profis“, lautete die Protestaktion von GEW-Frauen am Frauentag zur Tarifauseinander- in der Behindertenhilfe. setzung im Sozial- und Erziehungsdienst. Der Frust auf gewerkschaftlicher Seite war nach der Verhandlungsrunde groß und noch größer die Verwunderung Wie geht es weiter? die direkten Verhandlungen mit der über die starre Haltung der Arbeitgeber- Die nächste Verhandlungsrunde für die VKA führt, braucht die Unterstützung seite. In der Gesellschaft ist es Konsens, bundesweit mehr als 300.000 Beschäf- der GEW und ihrer Mitglieder. Die dass die Gehälter und die Arbeitsbedin- tigten im Sozial- und Erziehungsdienst GEW-Spitze steht mit der Verdi-Spitze gungen im Sozial- und Erziehungsdienst der Kommunen soll am 16. und 17. Mai in einem engen Austausch über den Ver- besser werden müssen. Die Beschäftig- 2022 erneut in Potsdam stattfinden. Die handlungsstand. ten haben diese Wertschätzung schon Zeit sollten die Arbeitgeber nutzen, end- Jetzt ist große gewerkschaftliche Solida- längst verdient. Und nur so werden wir lich konstruktiv auf die Forderungen der rität gefordert. Alle GEW-Mitglieder, wie ausreichend Nachwuchskräfte für diese Gewerkschaften einzugehen und Vor- Lehrkräfte oder Hochschulbeschäftigte, Arbeit gewinnen können. All das scheint schläge für eine bessere Eingruppierung können sich in ihrer Freizeit an den die Arbeitgeber nicht zu interessieren. und für die Entlastung der Beschäftigten Aktionen und Streiks beteiligen. Auch Dieses Desinteresse gipfelte in der Aus- etwa durch eine tarifliche Regelung der im Netz, denn auch in der digitalen Welt sage der VKA-Präsidentin Karin Welge, Vor- und Nachbereitungszeit vorzulegen. organisiert die GEW den Protest. bei der Bezahlung der Erzieher*innen Aber nicht nur die VKA hat Hausauf- Martin Schommer und Kinderpfleger*innen gäbe es kei- gaben. Die GEW hat ihre Mitglieder im GEW-Referent für Tarif-, Beamten- nen Handlungsbedarf. Karin Welge ist Sozial- und Erziehungsdienst der Kom- und Sozialpolitik Oberbürgermeisterin von Gelsenkirchen munen aufgerufen, sich an den Streiks in und Verhandlungsführerin der VKA. Sie den nächsten Wochen zu beteiligen und sollte es eigentlich besser wissen. die Gewerkschaften zu unterstützen. Nur wenn viele mitmachen, wird der @ Werde aktives Mitglied Druck auf die Arbeitgeber groß genug, im Tarifteam (BaWü) – melde dich: damit sie endlich ihre Blockadehaltung info@gew-bw.de aufgeben und vernünftig verhandeln. Mitmachmöglichkeiten auf: profis.gew.de Verdi, die für die DGB-Gewerkschaften bildung & wissenschaft 04 / 2022 9
Arbeitsplatz Schule und Kita UKR AINISCHE FLÜCHTLINGSKINDER Deutsch lernen und Abschluss machen In Baden-Württemberg kommen immer mehr Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine an. Neben der Flüchtlingsunterbringung geht es auch darum, wie Kinder und Jugendliche aus der Ukraine hier möglichst schnell in die Schule und Kita gehen können. Foto: imago KMK und dem Bildungsministerium der Perspektive zur Festanstellung“, verlangt Ukraine zusammenarbeiten. Inzwischen Daniel Wunsch. „Es ist Ausbeutung, den ist ein Portal des Kultusministeriums frei- Lehrkräften nur einen Vertrag bis zum 31. geschaltet. Dort können sich Studierende, Juli zu geben, obwohl man genau weiß, Lehrkräfte im Ruhestand, Erzieher*innen dass man sie auch im neuen Schuljahr wie- oder andere mit passenden Vorerfahrun- der braucht.“ Der Personalrat kennt die gen registrieren, die helfen möchten, ukra- Einstellungspraxis seit Jahren. „Die Lehr- inische Schüler*innen zu unterrichten. kräfte mit nur einem Fach hoffen immer, Auch ukrainische Lehrkräfte und andere irgendwann eine Festanstellung zu bekom- Menschen, die ukrainisch sprechen, kön- men. Das passiert aber nie. Sie bekommen nen sich dort anmelden. Sie werden als keine Qualifizierung und keine Perspek- Vertretungslehrkräfte eingestellt und ent- tive. Nach rund 7-jähriger unbefristeter sprechend bezahlt. Schopper betonte aller- Tätigkeit verlieren sie oft ihren Job. Das ist dings, dass in Deutschland kein paralleles eine riesige Sauerei“, ärgert sich Wunsch. Schulsystem aufgebaut werde. „Wir wollen den geflüchteten Schulkin- Monika Stein begrüßte, dass ukraini- Große Not in den Kitas dern unbürokratisch die Schultür öffnen. sche Schüler*innen hier ihren Abschluss In den Kitas herrscht bereits jetzt Platz- Das ermöglicht ihnen wieder Struktur machen können. Viele hofften, dass der und Personalmangel. Fürs Erste sollen und Ablenkung“, sagte Kultusministerin Krieg schnell ein Ende finde und alle Kinder aus der Ukraine auch dort unkom- Theresa Schopper auf dem Schulleitungs- wieder zurück in ein freies Land gehen pliziert aufgenommen werden, selbst tag der GEW Mitte März. Im Kultusmi- könnten. „Wir wissen aber auch, dass der wenn damit vorgeschriebene Gruppen- nisterium geht man bislang davon aus, Wunsch nicht immer Realität ist. Des- größen überschritten werden. Auf der dass es genug Plätze in Vorbereitungs- halb wäre es falsch, die Kinder nur auf Suche nach dauerhaften Lösungen finden klassen (VKL) gibt, um Kindern aus der Ukrainisch zu unterrichten. Sie müssen derzeit Gespräche mit Städten, Gemein- Ukraine Deutsch beizubringen. Es gebe in unser Schulsystem integriert werden.“ den und weiteren Kita-Trägern statt. noch die Strukturen aus der Flüchtlings- Die GEW hält das für kurzsichtig. Das bewegung 2015/16, und auf 1.165 Stellen Erfahrungen aus beruflichen Schulen würde den Fachkräftemangel sogar ver- für VKL und Sprachförderung könne Daniel Wunsch (siehe S. 33) hat viel stärken. „Wie sollen junge Menschen für man aufbauen, erklärte die Ministerin. Erfahrung mit geflüchteten Jugendlichen. diesen Beruf begeistert werden, wenn die Monika Stein erwiderte: „Die Klassen Er unterrichtet seit 2013 in VABO-Klassen, Arbeitsbedingungen weiter verschlech- existieren, aber da sind Schüler*innen in denen schulpflichtige Menschen mit tert werden? Wir können den Mangel drin, und vor allem in beruflichen Schu- keinen oder geringen Deutschkenntnissen nicht beseitigen, wenn wir die Situation len sind die Klassen teilweise schon seit ab 16 Jahren aufgenommen werden und der Beschäftigten und der Kinder weiter Januar voll.“ Zusätzliche Klassen und verstärkt Sprachförderung erhalten. Er verschlechtern. Höchste Priorität sollten Personal seien dringend nötig. findet es ganz wichtig, dass die Kinder und jetzt Maßnahmen zur Gewinnung von Schopper kündigte an, dass die KMK vor- Jugendlichen sehr schnell in den Schulen Fachkräften haben. Dafür muss Geld in habe, Jugendlichen die Chance zu eröff- ihren Platz finden. „Sie brauchen Struk- die Hand genommen werden. Erzieher*- nen, ukrainische Abschlüsse (hauptsäch- turen und Kontakte und sollen so schnell innen könnten zum Beispiel durch lich das Lyceum nach der 11. Klasse, was wie möglich Deutsch lernen“, erklärt er. zusätzliche Expert*innen für Gesund- der ukrainischen Hauptschule entspricht) Damit das Schulsystem mit den weiteren heit, Sprache oder Inklusion entlastet in Deutschland mit Online-Unterricht zu Herausforderungen nicht kollabiere, sei es werden. Diese dürften genauso wenig auf machen. Die Digitalisierung in der Ukrai- jetzt angesagt, dass schnell Lehrkräfte mit den Fachkraftschlüssel angerechnet wer- ne sei viel weiter fortgeschritten als bei uns. Deutsch als Zweitsprache bzw. Fremdspra- den, wie zusätzliches Personal für Ver- „Dort trägt kein Kind mehr schwere Schul- che (DaZ und DaF) eingestellt werden. waltung und Hauswirtschaft“, erwartet bücher mit nach Hause“, sagte die Ministe- „Sie müssen aber über die Sommerferi- die GEW-Referentin Heike Herrmann. rin. Für die Abschlüsse wolle man mit der en bezahlt werden und sie brauchen eine Maria Jeggle 10 bildung & wissenschaft 04 / 2022
Arbeitsplatz Schule WISSENSCHAFTLICHER BEIR AT DES KULTUSMINISTERIUMS Professorin Havva Engin neu berufen Ende Februar wurde Prof. Dr. Havva Engin in den wissenschaftlichen Beirat des Kultusministeriums berufen. Als Expertin für Sprachförderung, interkulturelle Pädagogik und Bildungsintegration ge- hört sie nun zum fünfköpfigen Beirat des KM, der sein Sachverständnis in die Qualitätsentwicklung des baden-württembergischen Schulsystems einbringen soll. Foto: privat Havva Engin, die GEW Baden-Württem- den Konsulaten gut zusammen und im berg und die SPD-Fraktion im Landtag Übrigen sei die Umstellung auf das staat- haben 2018 der damaligen Kultusministerin liche Modell zu teuer (Landtagsdruck- Susanne Eisenmann (CDU) ein Konzept sache 16 / 4380). zum herkunftssprachlichen Unterricht in Mit der Berufung von Havva Engin in den staatlicher Verantwortung vorgelegt. wissenschaftlichen Beirat setzt Theresa (Siehe: www.gew-bw.de „Herkunftssprachlicher Schopper andere Zeichen: „Professorin Unterricht: Konzept – GEW, SPD und PH Heidelberg“) Engin ist eine Expertin für Sprachför- derung, für interkulturelle und inter- In der b&w 3 / 2018 hat Havva Engin die religiöse Pädagogik und für Bildungsin- pädagogischen und sprachwissenschaft- tegration. Sie ist also genau die richtige lichen Argumente für die Aufnahme der Ergänzung für unseren Beirat, der uns migrantischen Sprachen in den Fächer- bisher immer wieder wertvolle Exper- kanon formuliert: tisen zur Verfügung gestellt hat“. „Eines 1. Mehrsprachigkeit fördert Kompeten- meiner Kernanliegen ist, dass jeder zen im Fach Deutsch und verbessert Schüler und jede Schülerin die besten PROF. DR. HAVVA ENGIN den Schulerfolg, aber nur dann, wenn Möglichkeiten bekommt und dass er der herkunftssprachliche Unterricht oder sie diese auch unabhängig von ihrer „Die Wertschätzung mit den anderen Fächern metho- oder seiner Herkunft wahrnehmen kann. der Familiensprache disch und didaktisch verknüpft ist, so Ich bin sicher, dass wir mit Frau Engin dass ein koordiniertes Sprachenlernen die richtige Person gefunden haben, die ist wichtig für die ermöglicht wird („Koordinierte Zwei- uns bei der Umsetzung dieses Ziels mit Identitätsfindung sprachigkeit“). dem Wissen aus ihrer Forschung weiter- und Lebensentwürfe 2. Da die aus den Herkunftsländern ent- helfen kann.“ sandten Lehrkräfte weder die deut- Bravo! Dem stimmen wir zu, und so der Jugendlichen sche Kultur noch die Migrantenkultur freuen wir uns auf eine weiterhin frucht- in der Migration.“ ausreichend kennen, wird der Kon- bare Zusammenarbeit mit Prof. Engin sulatsunterrichts weder den gesell- und hoffen, dass es gemeinsam gelingt, in schaftlichen noch den lernbiografi- der Migrationspolitik an den Bildungs- schen Realitäten von Schüler*innen einrichtungen neue Wege zu gehen. Die GEW Baden-Württemberg gratuliert mit Zuwanderungsgeschichte gerecht. Havva Engin leitet das Heidelberger Zen- Havva Engin sehr herzlich zu ihrer 3. Die Wertschätzung der Familienspra- trum für Migrationsforschung und Trans- Berufung und verbindet die Glückwün- che hat eine zentrale Bedeutung für kulturelle Pädagogik (HeiMaT) an der PH sche mit der Hoffnung, dass die migrati- Identitätsfindung und Lebensentwürfe Heidelberg. Zu ihren Forschungsschwer- onspolitischen Bildungsversprechen aus der Jugendlichen in der Migration und punkten gehören z. B. „Entwicklung von dem grün-schwarzen Koalitionsvertrag zum Abbau von Diskriminierung. Bildungsinstitutionen in migrationsge- von 2021 vom Kultusministerium in prägten Gesellschaften“, „Interkulturelle Angriff genommen und umgesetzt wer- Die Antwort des Kultusministeriums und interreligiöse Erziehung: Religiöse den. Eines der dort formulierten Ziele auf den Vorschlag war damals sehr lapi- Radikalisierung von muslimischen Jugend- ist: „Den muttersprachlichen Unterricht dar: Der wissenschaftliche Nutzen der lichen“ sowie „Spracherwerb im Kontext wollen wir, nach dem Vorbild anderer „koordinierten Zweisprachigkeit“ werde migrationsbedingter Mehrsprachigkeit“. Bundesländer, in staatliche Verantwor- in der Wissenschaft heterogen bewertet, Monika Gessat tung übernehmen und den Konsulats- es bestehe kein Handlungsbedarf in VB Grundsatzfragen unterricht abschaffen.“ Baden-Württemberg, man arbeite mit bildung & wissenschaft 04 / 2022 11
12 Titelthema Illustrationen: girafchik123 / iStock
Titelthema ARBEIT S- UND GESUNDHEIT SSCHUTZ Mühsamer Weg aus dem Schattendasein ist noch lang Der Arbeits- und Gesundheitsschutz (AGS) an Schulen wurde lange vernachlässigt. Und auch wenn es einige positive Ansätze gibt, ist er auch heute noch lange nicht ausreichend. Die Pandemie hat die Arbeit im AGS weiter erschwert. Betrachtet man den Arbeits- und Gesundheitsschutz aus einer sehr umfassenden Perspektive, fällt die Beurteilung zunächst düster aus. Vor Ort führt die allgemeine Überlastung dazu, dass unter dem systemischen Druck und der Aufrechterhaltung des Tagesgeschäftes wenig Zeit bleibt, sich mit dringend notwen- digen Maßnahmen des Arbeits- und Gesundheitsschutzes zu befassen. Noch immer wird er im schulischen Bereich als etwas „on top“ oder „nice to have“ angesehen, anstatt als Basis der gesetzlich verankerten Fürsorgepflicht des Arbeitgebers. Es fehlen zusätzliche Ressourcen. Doch wer genauer hinschaut, sieht erste Anzeichen eines posi- tiven Wandels – ein Wandel, der auch von der GEW und den Personalrät*innen im steten Austausch mit der Kultusverwal- tung mit auf den Weg gebracht wurde. Zur Erinnerung: Seit 2011 stellt das Kultusministerium jährlich 3 Millionen Euro zusätzlich zur Gesundheitsprävention zur Verfügung, aus der vielfältige Angebote wie das Lehrercoaching nach dem Frei- burger Modell oder vielfältige Workshops zu Themen wie Stress und Stärkung der eigenen Resilienz, gefördert werden. Alle diese Maßnahmen waren Ergebnis der Arbeitsgruppe „Erhalt der Dienstfähigkeit – Lehrergesundheit – Altersermä- ßigung“ mit dem Kultusministerium und Vertreter*innen der GEW und der Lehrerverbände. Das 2019 gegründete Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL) hat die Aufgabe erhalten, eine effiziente Mittelsteuerung dieser Maßnahmen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements zu gewährleisten. bildung & wissenschaft 04 / 2022 13
Titelthema Angebote für Schulen Begleitung in der Berufseingangsphase: Stärkung der Lehrerpersönlichkeit sowie Förderung der individuellen Handlungssicherheit junger Lehr- kräfte in den ersten Dienstjahren im Schulalltag. Prävention „10Plus: Motiviert und gesund bleiben im Lehrberuf“: Tandemfortbildung mit jeweils 1 Stunde Anrechnung für Lehrkräfte ab dem 10. Dienstjahr; Entlastung im B·A·D = Unterricht; Weiterentwicklung des Konstanzer Trai- ningsmodells (KTM). Die B·A·D Gesundheitsvorsorge Wichtige Erkenntnisse haben und Sicherheitstechnik GmbH auch die anlassbezogenen Lehrercoaching nach dem Freiburger Modell: ist vom Kultusministerium mit Gefährdungsbeurteilungen Stärkung der Beziehungskompetenz zum Schutz der der arbeitsmedizinischen und und die Durchführung der Lehrergesundheit. Das Lehrercoaching der Universität sicherheitstechnischen Betreu- COPSOQ-Befragung zur Freiburg wird unter der Leitung von Psycholog*innen ung der öffentlichen Schulen psychischen Belastung der angeboten. Anmeldung unter: und Schulkindergärten sowie Lehrkräfte gebracht. Leider www.lehrer-coachinggruppen.de Siehe Seite (17) der Dienststellen im außer- ist die zweite Befragungs- schulischen Dienst beauftragt. runde (2014 bis 2018) bei Auf dem Weg zur gesunden, Der Vertrag läuft bis 2025. vielen Beschäftigten auf kreativen und leistungsstarken Schule: wenig Begeisterung gesto- „Lehrergesundheit als Führungsaufgabe, Integration ßen. Wahrscheinlich lag von Qualitätsentwicklung und Gesundheitsmanage- dies daran, dass die Lehrkräfte nach der ersten Befragung die ment“, Schulung für Schulleitungen. Erfahrung machten, dass es für festgestellte notwendige Ver- besserungen weder Ressourcen noch Unterstützung gab. Schon Ressource ICH: 2019 hat die GEW gegenüber dem Kultusministerium darauf Der Umgang mit mir selbst und mit anderen im gedrängt, sicherzustellen, dass die Diskussion der Ergebnisse in Schulbetrieb für Kollegien aller Schularten. den Schulen zu wirksamen Maßnahmen führen muss. Positiv zu bewerten ist die neue Rahmendienstvereinbarung Auswertungsgespräche: (RDV) zum Arbeits- und Gesundheitsschutz. Sie wurde 2019 Schulen und Schulkindergärten haben die Möglich- zwischen den schulischen Hauptpersonalräten und dem Kul- keit, ein Auswertungsgespräch mit den zuständigen tusministerium abgeschlossen. Die Vereinbarung soll „zur Schulpsycholog*innen über die Ergebnisse der Gefähr- ganzheitlichen Umsetzung und zur Fortentwicklung von dungsbeurteilung zu den psychosozialen Belastungs- Maßnahmen zum Erhalt und zur Förderung von Gesundheit, faktoren zu führen. An dem Gespräch nehmen die physischer und psychischer Leistungsfähigkeit, Arbeitszufrie- Schulleitung und 3 bis 5 von der GLK ausgewählte denheit und Leistungsbereitschaft“ beitragen. In dieser Verein- Kolleg*innen teil. barung sind alle Maßnahmen und gesetzlichen Aufgaben des Arbeits- und Gesundheitsschutzes zusammengefasst. Dazu Angebote des B·A·D: gehören die Regelbetreuung durch Betriebsärzt*innen und Z. B. Workshops zur Stressbewältigung, Rückengesund- Fachkräfte für Arbeitssicherheit, die Einrichtung von Arbeits- heit, Stimmprävention, Ressourcenstärkung, Konfliktme- schutzausschüssen, Arbeitskreisen für Arbeitsschutz und diation und Vorträge zu diversen Arbeitsschutzthemen. Gesundheitsförderung und projektbezogene Gesundheitszirkel auf freiwilliger Basis an den Dienststellen. Außerdem umfasst Anmeldung über LFB-online die RDV Maßnahmen auf der Grundlage von Gefährdungs- beurteilungen, vertiefende Untersuchungen zu den Ursachen von physischen und psychischen Belastungen einschließlich deren möglicher Abhilfe, die Unterstützung der Dienststellen bei der Vermeidung von Gefährdungen für die Beschäftigten, Beratungsmöglichkeiten und schließlich eine Berücksichti- gung bei der Fortbildung. Die Rahmenvereinbarung wertet 14 bildung & wissenschaft 04 / 2022
Titelthema Illustrationen: DrAfter123 / iStock den Arbeits- und Gesundheitsschutz (ASG) auf und sollte die Im schulischen Bereich wurde die Mehrbelastung der Lehr- Mitbestimmung der Personalräte stärken. Folglich wäre zu kräfte durch Corona schlichtweg nicht gesehen. Schulleitun- erwarten gewesen, dass während der Pandemie der AGS an gen und Kollegien wurden mit ihren Fragen und Anliegen den Bildungseinrichtungen Hochkonjunktur haben und die weitgehend allein gelassen. große Stunde der Mitbestimmung schlagen würde. Tatsächlich In dieser Situation hat sich die GEW-Vorsitzende Monika Stein waren die Beschäftigten mit Maßnahmen, die dem Gesund- im Oktober 2021 mit einem Brief an Kultusministerin heitsschutz dienen (sollen), Theresa Schopper gewandt und Verbesserungen im Arbeits- täglich konfrontiert: Testen, und Gesundheitsschutz eingefordert. Sie hat unter anderem „Unter dem systemi- Masken tragen, Lüften, Impf- die fehlenden Ressourcen für Maßnahmen zur Behebung der schen Druck und der nachweise kontrollieren usw. durch die COPSOQ-Umfragen aufgedeckten Schwachstellen Diese Maßnahmen basie- eingefordert und sich für eine Ausweitung der Aufgaben des Aufrechterhaltung ren jedoch nicht auf den BAD bei den Gefährdungsbeurteilungen ausgesprochen. So soll des Tagesgeschäftes Bestimmungen des Arbeits- dieser auch stärker die Schadstoffbelastung, Belastung durch bleibt wenig Zeit, und Gesundheitsschutzes, Stress, Lärm, Konflikte und Mehrarbeit in den Blick nehmen. sondern dienen dem Infek- Notwendig zur spürbaren Entlastung der Kolleg*innen sind sich mit Maßnahmen tionsschutz. So wurden fak- überdies eine Absenkung des Deputats und eine Anhebung der des Arbeits- und tisch alle Maßnahmen, wie Altersermäßigung, weil dadurch der Erhalt der Dienstfähigkeit Gesundheitsschutzes etwa die Maskenpflicht und gefördert und krankheitsbedingte Ausfälle reduziert werden. die Umsetzung der Corona- Besonders der letzte Punkt beschäftigt die Personalvertretun- zu befassen.“ Tests an den Schulen, an den gen, da wegen Burnout, Dienstunfähigkeit, langer Krankheit Personalräten vorbei umge- und Überlastung immer mehr Beratungen gefragt sind. Die setzt. Deren Forderungen, etwa nach einer Pflicht zur Nutzung Teilzeit-Quote ist wegen der hohen allgemeinen Belastung von FFP2-Masken, verhallten, da sie an keiner Stelle des Ver- unvermindert hoch. Viele Kolleg*innen wollen kein volles fahrens ein Veto aussprechen konnten und das Land auch nicht Deputat und nehmen lieber ein geringeres Gehalt und eine bereit war, die bei der Nutzung von FFP2-Masken notwendigen kleinere Pension oder Rente in Kauf. Das Kultusministerium Pausenzeiten zu ermöglichen. nimmt darauf keine Rücksicht. So werden Teilzeitanträge aus Unter der Pandemie wurde auch die Arbeit der Arbeitsschutz- sonstigen Gründen – zumindest ausschüsse (ASA) stark behindert, in denen die Analyse der in Bereichen, wo die Versorgung Arbeitsbedingungen, die Wirksamkeit von Arbeitsschutzmaß- nicht mehr ausreichend ist – mitt- „Teilzeittätigkeit nahmen (Lärmschutz, Lärmschutzmessung) und sicherheits- lerweile ohne ein ärztliches Attest sollte nicht als technischer Aspekte (etwa in Laboren und Werkstätten) bespro- regelmäßig abgelehnt. In der Tat chen und Verbesserungen angemahnt und angestoßen werden sollte die Teilzeittätigkeit nicht als Maßnahme zum können. Immer wieder weisen die BAD-Sicherheitsfachkräfte Maßnahme zum Gesundheits- Gesundheits- in ASA-Sitzungen auf die Überlastung der Lehrkräfte durch die schutz genutzt werden müssen. schutz genutzt Pandemie hin, die sie bei Begehungen vielfach beobachteten. Vielmehr ist es Angelegenheit des Augenfällig wird dabei, dass es im Schulbereich keinerlei Werk- Arbeitgebers, für einen angemes- werden müssen.“ zeuge zur Erfassung des Krankenstandes, des Personalmangels senen Gesundheitsschutz zu sor- und der daraus abzuleitenden notwendigen Maßnahmen gibt. gen, indem Risiken erkannt und beseitigt, sowie präventiv Vor- In Großbetrieben würden in vergleichbaren Situationen Teile kehrungen getroffen werden. Hierzu gehören sowohl weitere der Produktion zeitweise heruntergefahren oder gar stillgelegt. Angebote wie Gesundheitskurse und Coaching zum Umgang bildung & wissenschaft 04 / 2022 15
Titelthema Wie Schulen an Maßnahmen zum Arbeits- und Gesundheitsschutz kommen Das Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL) verteilt die Mittel des Betriebliches Gesundheits- managements (BGM) auf die sechs Regionalstellen. Diese wiederum informieren über die Angebote und Fortbildungen zum Gesundheitsschutz. Die eine oder andere Schule kann auch von den Angeboten des BAD profitieren. Die Schulen sollten sich frühzeitig Gedanken machen, welche Gesundheitsmaßnahmen (z. B. Gesundheits- mit Belastungssituationen, aber auch strukturelle Maßnahmen, tage oder Präventionskurse, auch digital) an der die an den Wurzeln der Überlastung ansetzen, wie ein Ausbau Schule stattfinden sollen. Über die schulinterne Pla- der Altersermäßigung, zeitliche Entlastung für Zusatzaufgaben nung ist die zuständige Örtliche Vertrauensperson und eine Absenkung des Deputats. Gerade diese strukturellen (ÖVP) zu informieren und vor einer Entscheidung Verbesserungen kosten viel Geld und sind realistischerweise anzuhören. Die letztendliche Entscheidung sollte nur mittelfristig zu erreichen. Angegangen werden müssten sie durch einen Beschluss der GLK getroffen werden. aber heute. Außerdem können sich die Schulen bei den Fach- Belastungen während der Pandemie berater*innen für Arbeits- und Gesundheitsschutz an Besonders während der Pandemie haben die Belastungen den Regionalstellen Rat und Unterstützung bei der Pla- enorm zugenommen. Vor allem ist der Anspruch der Eltern nung und Durchführung von Maßnahmen einholen. gestiegen, und das KM hat diesem weitgehend nachgegeben und die Mehrbelastung der Lehrkräfte einfach ignoriert. Nur Es gibt ein Informationsschreiben des ZSL, das den ein Beispiel: Parallel zum normalen Präsenzunterricht müssen Schulen vorliegt. Dort werden die Beantragung von Lehrkräfte Fernunterricht zusätzlich für Schüler*innen leisten, Maßnahmen im Rahmen des Betrieblichen Gesund- die wegen Absonderungspflicht zu Hause sind. Die GEW und heitsmanagements (z. B. Gesundheitstag an der Schule) die Personalräte müssen dringend darauf achten, dass diese bei den Regionalstellen erklärt. Es gibt zwei Stichtage Art des Umgangs mit den im Jahr, zu denen die Anträge geprüft und bewilligt Kolleg*innen nicht zur werden: 31.5. für das 1. Schulhalbjahr und 31.10. für „Strukturellen Verbesse- Gewohnheit wird. Solche das zweite Schulhalbjahr. rungen kosten viel Geld Anforderungen müssen zurückgefahren oder es und sind realistischer- muss zumindest ein ent- weise nur mittelfristig zu sprechender Ausgleich erreichen. Angegangen geschaffen werden. Das KM hat mit der letz- werden müssten sie aber ten Umorganisation ein heute.“ eigenes Referat Arbeits- Illustration: DrAfter123 / iStock schutz und Gesundheits- förderung geschaffen. Da es noch in seiner Aufbauphase steckt, stehen positive Auswirkungen noch aus. Schnell sollten die Zuständigkeiten geklärt und transparent gemacht werden. Beschäftigte müssen wissen, wohin sie sich bei Problemen wen- den können. Waltraud Kommerell, BPR Gym Stuttgart und im HPR Mitgllied des ASA Martin Schommer, GEW-Referent für Tarif-, Beamten- und Sozialpolitik 16 bildung & wissenschaft 04 / 2022
Titelthema GESUNDHEIT SFÜRSORGE Lehrkräfte für ihren Job stärken In Zeiten mit hohen Anforderungen ist es besonders wichtig, die eigene (psychische) Gesundheit zu schützen und zu stärken. Die Lehrkräfte-Coachinggruppen nach dem Freiburger Modell können einen wichtigen Beitrag dazu leisten. Ziel ist die Förderung individueller Ressourcen und der Beziehungskompetenz. Eine positive Wirkung ist wissenschaftlich nachgewiesen. 97 Prozent der im Rahmen einer forsa-Studie 2021 befragten Auswahl von Fortbildungen zur Gesundheitsförderung sowie Schulleitungen in Deutschland sind der Ansicht, dass sich die präventive Gesundheitsmaßnahmen an. Diese zielen dezidiert Anforderungen an ihr Kollegium in der Zeit der Pandemie auf die spezifischen gesundheitsgefährdenden Belastungen bei noch einmal gesteigert haben. 50 Prozent der Schulleitungen Lehrkräften und Schulleitungen ab und sind mit den Personal- gaben an, dass die Ausfälle im Kollegium durch psychische vertretungen abgestimmt. Die Maßnahmen reichen von ein- und physische Erkrankungen zugenommen haben. Nachdem maligen Angeboten für einzelne Lehrkräfte oder Schulen bis unter Lehrkräften auch schon vor Pandemiebeginn eine hohe hin zu mehrjährigen Fortbildungsreihen und kontinuierlichen berufsbedingte gesundheitliche Belastung zu verzeichnen war, Fallbesprechungsgruppen. stellt sich die Frage, welche Maßnahmen zur Gesunderhaltung Neben Angeboten, die auf ein gesundheitsförderliches Verhal- für Lehrkräfte und Schulleitungen in Baden-Württemberg zur ten der einzelnen Lehrkraft abzielen und z. B. Stressmanage- Verfügung stehen. ment oder Stimmgesundheit thematisieren (Verhaltenspräven- Seit 2011 bietet das Land im Rahmen seines Gesundheits- tion), geraten zunehmend auch Maßnahmen in den Fokus, die managements für die öffentlichen Schulen eine umfangreiche Gesundheitsförderung als integralen Bestandteil von Schul- entwicklung verstehen und eine Schulkultur anstreben, in der Gesundheit und Wohlbefinden der Akteure nicht als Zusatz ver- standen werden, sondern einen zentralen Stellenwert bekommen (Verhältnisprävention). Schulleitungsteams, die an der Fortbildungsreihe „Gesund, kre- ativ und leistungsstark. Ihre Schule in die Zukunft führen" teilnahmen, meldeten auch in der Pandemie vielfach zurück, dass ihnen das vermittelte Hand- werkszeug, wie z. B. zu Führung in Krisensituationen, zu agilem Denken und zur Stärkung eines Wir-Gefühls im Kollegium dabei hilft, trotz der enormen Belastun- gen gesund und handlungsfähig zu bleiben. Auch unabhängig von der Pan- demie wird zukünftig immer mehr ein Gesundheitsmanage- ment gefragt sein, das Schulen auf individueller und organisa- tionaler Ebene mit Angeboten unterstützt, achtsam und flexibel 17
Titelthema auch durch komplexe Krisen und Veränderungsprozesse zu navigieren – indem sie ihre Resilienz fördern. Eine Maßnah- me, die in Baden-Württemberg seit dem Schuljahr 2012/13 einen wichtigen Baustein im Gesundheitsmanagement dar- stellt und auch während der Pandemiezeit digital und in Prä- senz stattfand, sind die Lehrerkräfte-Coachinggruppen nach dem Freiburger Modell. Lehrkräfte-Coaching nach dem Freiburger Modell Lehrkräfte-Coachinggruppen nach dem Freiburger Modell Die Arbeitsgruppe Lehrkräfte-Gesundheit an der Klinik für Die Gruppenarbeit wird von geschulten Expert*innen Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Unikli- geleitet und folgt einem Manual nach Bauer (2007) mit nik in Freiburg entstand unter der Leitung von Prof. Joa- folgenden fünf Modulen: chim Bauer im Jahr 2003. Schon damals war der Anteil an 1. Beziehungserfahrungen und ihre Auswirkungen auf Lehrer*innen unter den Patient*innen der Klinik überdurch- die Gesundheit: Neurobiologische Basisinformationen schnittlich hoch. Studien bestätigen, dass unter Lehrkräften 2. Persönliche Einstellung: Die Bedeutung von Identi- ein erhöhtes Risiko einer psychiatrischen oder psychosoma- tät und Identifikation tischen Erkrankung besteht. Um Lehrkräfte für ihren heraus- 3. Beziehungsgestaltung mit Schüler*innen: Die Bedeu- fordernden Job zu stärken und das mentale Belastungserleben tung der Balance zwischen Empathie und Führung zu senken, entwickelte die Arbeitsgruppe in Zusammenarbeit 4. Beziehungsgestaltung mit Eltern: Gemeinsam für mit Lehrer*innen und Psychotherapeut*innen die „Lehrer- den / die Schüler*in kräfte-Coachinggruppen nach dem Freiburger Modell“. Der 5. Beziehungsgestaltung und Zusammenhalt inner- Fokus liegt auf individuellen Ressourcen und der Stärkung halb des Kollegiums: Spaltungstendenzen versus der Beziehungskompetenz, da diese im Lehrer*innenberuf Kollegialität in herausragender Weise gefordert ist. Außerdem weiß man, dass eine gelingende Beziehungsgestaltung zu Schüler*innen, Zusätzlich wird eine Entspannungsmethode erlernt Eltern und Kolleg*innen eine Voraussetzung für eine erfolg- und in den Sitzungen praktiziert. Zu Beginn jeder Ein- reiche und Gesundheit erhaltende Tätigkeit als Lehrkraft ist. heit erfolgt ein theoretischer Input, der in der Gruppe Die gesundheitsförderliche Wirksamkeit der Lehrkräfte- diskutiert wird. Kernstück bildet danach die Fallarbeit Coachinggruppen nach dem Freiburger Modell wurde schon nach Balint. 2010 in einer wissenschaftlichen Studie von Unterbrink und Kolleg*innen belegt. Auch weiterhin wird die Maßnahme in einer Begleitforschung evaluiert und deren Qualität gesichert. 18 bildung & wissenschaft 04 / 2022
Titelthema „Sobald ich merke, dass ich mich persönlich angegriffen fühle, lasse ich es vielleicht gerade mal so liegen und merke dann, oh hoppla, ich bin persönlich angegriffen, dann versuch ich halt herauszufinden, warum? Also, ich versuche, mich dann zu reflektieren, das kann ich durch das Coaching.“ Rückmeldung einer Teilnehmerin Illustration: Virinka Lehrkräfte-Gesundheit in Deutschland Wie Rückmeldungen aus den letzten beiden Schuljahren „Lehrkräfte zeichnen sich gegenüber der Allgemein- zeigen, empfinden viele Lehrkräfte die Teilnahme an den bevölkerung durch ein gesundheitsförderlicheres Gruppen gerade in einer Zeit, in der soziale Kontakte einge- Verhalten und geringer ausgeprägte kardiovaskuläre schränkt sind und andere Unterstützungsmöglichkeiten weg- Risikofaktoren, ausgenommen Hypertonie, aus. Wie brechen, als entlastend und den Austausch als bereichernd. in anderen Berufsgruppen gehören Muskel-Skelett- Viele Teilnehmer*innen nehmen am Coaching teil, weil sie und Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu den häufigs- das Gefühl haben, für bestimmte Situationen im Schulalltag ten Diagnosen. Psychische und psychosomatische Unterstützung zu brauchen. Das können emotionsgeladene Erkrankungen kommen dagegen bei Lehrkräften und vorwurfsvolle Elterngespräche oder als ungerecht erlebte häufiger vor als in anderen Berufen, ebenso unspezifi- Zurechtweisungen durch die Schulleitung oder konfliktreiche sche Beschwerden wie Erschöpfung, Müdigkeit, Kopf- Grundsatzdebatten im Kollegium sein. Das Spektrum der Fälle schmerzen und Angespanntheit.“ ist weit, wobei eine Chronifizierung der Konflikte zu dauerhaften gesundheitlichen Problemen bis hin zum Burnout führen kann. Lehrergesundheit von Scheuch K., Haufe E., Seibt R. Die Coachinggruppen stehen allen Lehrkräften öffentlicher (2015) Dtsch Arztebl Int. 112:347–356 Schulen offen. In den letzten Jahren kamen die meisten Anmel- dungen aus Gymnasien, Grundschulen, SBBZ und Berufsschu- len, wobei aber auch alle anderen Schularten vertreten sind. Die Gruppen werden verteilt über ganz Baden-Württemberg ange- boten und finden entweder an 6 zweistündigen Terminen oder für Fortsetzungsgruppen, wie sie von vielen Teilnehmer*innen an 1,5 Samstagen (8 + 4 Stunden) statt. Für Lehrkräfte mit Lei- gewünscht werden. Als Antwort auf die Herausforderungen tungsfunktion werden eigene Gruppen angeboten, damit diese der Pandemie werden seit Ende des Schuljahres 2019/20 einige unter sich mit angepassten Schwerpunkten arbeiten können. der Gruppen im Online-Format angeboten. Diese fanden reges Weiterhin finden auch sogenannte Spezialgruppen (z. B. für Interesse und wurden sehr positiv evaluiert. SBBZ-Lehrkräfte) statt. Aktuell entsteht außerdem ein Manual bildung & wissenschaft 04 / 2022 19
Titelthema Fallbeispiel Im Themenkomplex „Beziehung zu Schüler*innen“ stellt Frau Meyer ihren Fall vor. Sie ist seit 14 Jah- ren im Schuldienst und liebt ihren Beruf. Sie berich- tet: „Letzte Woche hatte ich der Klasse 9c eine Still- arbeit gegeben. Nach kurzer Zeit begann Thomas, mit Papierkügelchen zu werfen und die anderen zu stören. Ähnliches hat er schon öfter gemacht, sodass ich gleich auf 180 war. Trotzdem habe ich versucht, mit ihm in Ruhe darüber zu sprechen, und ihn dafür beiseite genommen. Thomas hat sich dumm gestellt und alles abgestritten. Weil ich so wütend war, habe Rückmeldung der Teilnehmer*innen zur Coachingarbeit ich ihm eine Strafarbeit aufgegeben. Er reagierte sehr In jedem Schuljahr melden sich über das Anmeldeportal frech, dass er diese sowieso nicht machen würde. Ich zwischen 500 und 1.000 Lehrkräfte an. Die Ergebnisse der konnte die Unterrichtsstunde kaum mehr zu Ende begleitenden Evaluationen zeigen eine große Zufriedenheit. halten, obwohl ich diese mühevoll vorbereitet hatte Fragen nach der Qualität des Austauschs, der Moderation und und mir das Thema am Herzen liegt. Solche Situa- der gesamten Sitzungen sowie Fragen nach der Relevanz des tionen setzen mir wahnsinnig zu. Ich finde keinen Themas oder dem Lerneffekt werden regelmäßig mit (Schul-) Zugang zu Thomas und fühle mich von ihm nicht Noten zwischen 1 und 2 bewertet. ernst genommen. Anschließend brauche ich lang, um In Interviews mit ehemaligen Teilnehmer*innen von 2017/18 mich wieder zu entspannen. ergaben sich laut einer Studie von Pfeifer und Kolleg*innen als Haupt-Wirkfaktoren für den Coachingerfolg der Aus- Die Moderatorin fragt in die Runde: „Was löst diese tausch innerhalb der Gruppe und die Beziehung mit den Beschreibung in Ihnen aus? Haben Sie so etwas schon Moderator*innen. erlebt?“ Eine Antwort lautet: „Ich habe solche Fälle Der Transfer in den Schulalltag wird oftmals durch struktu- auch schon öfter gehabt und ich kann sehr gut verste- relle Hindernisse wie Zeitdruck, hohe Anforderungen und zu hen, wie dieser Konflikt einen anhaltend ärgert“ Eine kurze Erholungsphasen erschwert. Er gelingt aber z. B. dann, zweite ergänzt: „Wenn ich diese Situation höre, ärgere wenn Teilnehmende beginnen, in schwierigen Situationen das ich mich mit Frau Meyer. Ich kenne das auch und fühle eigene Verhalten schneller zu hinterfragen: mich in solchen Situationen dann ebenso nicht ernst „Sobald ich merke, dass ich mich persönlich angegriffen fühle, genommen. Allerdings würde mich interessieren, ob lasse ich es vielleicht gerade mal so liegen und merke dann, Thomas die Aufgaben vielleicht schon fertig hatte und oh hoppla, ich bin persönlich angegriffen, dann versuch ich ihm nur langweilig war.“ Die Moderatorin fragt später halt herauszufinden, warum? Also, ich versuche, mich dann zu noch, warum gerade Thomas bei Frau Meyer so eine reflektieren, das kann ich durch das Coaching.“ starke emotionale Reaktion und negative Gedanken Das Erfahren von gelingenden zwischenmenschlichen Dyna- hervorrufe. miken im Schulalltag wurde beispielsweise so beschrieben: „Schlüsselmomente sind, wenn man positive Rückmeldungen Im Weiteren besprechen die Teilnehmer*innen mög- bekommt. Egal, ob es Schüler oder Eltern sind, Kollegen oder liche Lösungswege wie z. B.: „Eventuell hätte sie Tho- Schulleitung. Das ist dann so richtig, ja, das tut einem einfach gut.“ mas einfach nur die Papierkügelchen auflesen lassen und die nicht bearbeiteten Aufgaben als Hausarbeit Forschungsergebnisse aufgeben sollen“. „Vielleicht fehlt Thomas Anerken- Vor und nach dem Coaching erhalten die Teilnehmenden nung durch die Lehrerin.“ einen Fragebogen zu „Gesundheit und Belastung“. Die so generierten anonymen Daten werden über einen Code einan- Die Ideen und Gedanken der anderen Lehrer*innen zu der zugeordnet und analysiert. hören, empfindet Frau Meyer als sehr unterstützend. Zur Erfassung der psychischen Gesundheit wird der General Zuhause denkt sie besonders über die Nachfrage der Health Questionnaire (GHQ) eingesetzt, ein international Moderatorin nach. In der kommenden Sitzung berich- gebräuchliches Screening-Instrument. Ab einem bestimmten tet sie, dass ihr Verhältnis zu Thomas sich langsam Skalenwert spricht man von einer medizinisch relevanten bessere. Dies sei ihr gelungen, weil sie mit ihm kon- Belastung. Seit dem Beginn des Coachings im Schuljahr krete Vereinbarungen getroffen und seine Leistungen 2012/13 ergeben die Analysen Jahr für Jahr eine Reduktion des deutlicher anerkannt habe. Sie hat darüber hinaus Anteils an belasteten Lehrkräften unter den Teilnehmenden eigene Triggerpunkte erkannt und sich vorgenom- von etwa 50 auf etwa 20 Prozent, was dem „Normalwert“ in men, diese rechtzeitig zu bedenken, um Eskalationen der Gesamtbevölkerung entspricht. zu vermeiden. Bei Teilnehmer*innen, deren Gesundheit sich verbessert hatte, kam es gleichzeitig zu positiven Änderungen auf der beruflichen 20
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