+plus RICHTIG satt werden - TU Berlin
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+ plus Nr. 3/Februar 2019 DIE HOCHSCHULZEITUNG DER TECHNISCHEN UNIVERSITÄT BERLIN RICHTIG satt werden ©© TU Berlin/PR/Felix Noak
Seite B2 BÜRGER*INNEN fragen + TU intern plus · Nr. 3/Februar 2019 ZUM GELEIT Was Anika Andreßen, Mareike Ippen, Vollkorn-Wissen oder Junkfood- Wissen zu schaffen ist das Ziel jeder Forschung. Wissen mit Ahnung? Nutzen für die Bürger*innen, für eine gesunde und nachhaltige Ernährung. Dazu ist es notwendig, die Bedürfnisse der E s gibt Fragen, die lassen sich nicht mit wenigen Sätzen beantworten. Wie funk- Bürger*innen zu kennen. Wir haben vier gefragt, welche tioniert das Gehirn? Was bedeutet E = mc2? Wie ernähren wir zukünftig die Menschheit Sorgen sie haben und was sie gern wissen möchten gesund und nachhaltig, ohne den Planeten zu ruinieren? Die Autoren der aktuellen Aus- gabe der „TU intern+plus“ waren selbst über- rascht, wie komplex dieses Thema ist. Am Anfang stellen drei Berlinerinnen und ein Berliner konkrete Fragen: Wie kann ich Was heißt das: regional? eigentlich vegan leben, ohne dass mir wichti- ge Nährstoffe fehlen? Wie kann ich mehr Na- tur in die Stadt holen und mein Essen selbst anbauen, und wann werden Lebensmittel als regional bezeichnet? Diese und andere Fragen rund um das Thema Ernährung gaben die Richtung der Recherche vor. So beschäftigen sich Die Kulturanthropologin Anika Wissenschaftler*innen damit, wie aus Erbsen- Andreßen geht gerne auf Wochen- mehl der bessere Burger wird, wie Tomaten in märkte und kauft regionale Produkte. gestapeltem Licht den enormen Flächenver- Ob die wirklich aus der Region brauch der Landwirtschaft minimieren könn- ten und was das mit Urban Gardening zu tun kommen, weiß sie aber nicht hat. Ein großes Thema im Zusammenhang mit Ernährung in Zeiten von Bevölkerungswachs- tum und Klimawandel ist die nachhaltige Produktion von Lebensmitteln. In unserem Magazin werden unterschiedliche Ansätze be- schrieben, aber immer dreht es sich auch um das Stichwort Präzisionslandwirtschaft. Im Leitartikel geben vier Wissenschaftler einen Einblick in die Komplexität des Themas Er- nährung: Sie erklären unter anderem, warum eine vegane Kost zu Zinkmangel führt, dass es ein Irrtum ist, „natürliche“ Nahrungsmittel für gesünder zu halten als „künstliche“, und warum es sich bislang nicht lohnt, Nahrungs- Was fällt Ihnen zum Thema Ernährung und mittel so zu verteilen, dass alle satt werden. Umwelt ein? Wir fragten zwei Experten, was sie unter ge- sunder Ernährung verstehen, und wurden Zeu- Regionalität! Ich versuche, darauf zu achten, ©© Florian Röthig ge eines trefflichen Streits. Auch schauten wir, wie mein Mann und ich uns ernähren. Ich was gesunde Ernährung in der Vergangenheit selber esse kein Fleisch, aber Ei und Milch- bedeutete, welche Trends und Gegentrends es produkte, vor allem Joghurt. Mein Mann isst gab und was von den alten Griechen in Sachen Fleisch, da bemühe ich mich, im Blick zu ha- gesunde Lebensweise zu lernen ist. Und lern- ben, wo es herkommt. Gerade bei Produkten ten, dass Genuss wichtig ist fürs Wohlbefinden, tierischer Herkunft finde ich es wichtig, dass werden. Es lässt sich halt nicht kontrollieren. Anika Andreßen, jedoch nicht zu verwechseln ist mit Völlerei. sie regional sind und nicht aus der Massen- Das ist das Problem. Kulturanthropologin, Dem Blick zurück folgte der Blick nach vorn: tierhaltung kommen. Die Haltung der Nutz- „Regional“ ist kein geschützter Begriff! Ist 35 Jahre alt, Welche Probleme werden sich wohl künfti- tiere lässt sich dabei vergleichsweise einfach das in unserem Fall nur Berlin oder auch Berlin-Friedrichshain gen Generationen stellen, und was könnten nachvollziehen. Aber das Kriterium der Re- Brandenburg? Oder gehört das nächste Bun- Lösungen sein? Einfache Antworten gibt es gionalität festzustellen, ist schwierig, weil der desland auch noch mit dazu? Oder am Ende nicht. Aber keine Bange, beim Essen ist es Begriff ja auch inflationär verwendet wird. ganz Deutschland? Es gibt da keine Kont- wie beim Lernen: Einfache Kost und einfache Da denke ich gleich an Etikettenschwindel. rolle. Es wäre aber schön, wenn es die gäbe, Genüsse halten selten vor, Komplexes hinge- Man kann sich nie sicher sein, ob Dinge, auf wenn man direkt wüsste, wie beim Beelitzer gen bietet längerfristig Energie und zumindest denen „regional“ steht, auch wirklich aus der Spargel, dass der auch wirklich aus Beelitz die Möglichkeit eines nachhaltigen Genusses. Region kommen. Oder aus welcher Region. kommt. Dann wird es für den Konsumenten Den wünschen wir Ihnen beim Lesen. Die Frage ist doch: Wie ist das definiert? nachvollziehbarer. Und nachhaltiger ist es Ich gehe gerne auf dem Wochenmarkt ein- allemal. Michael Metzger und Jochen Müller kaufen und hoffe einfach, dass das dann Freie Journalisten in Berlin regionale Produkte sind, die da angeboten Aufgezeichnet von Jochen Müller Aus dem Inhalt Fragen von vier Bürger*innen Selbstversorger: Gärtnern in Berlin an die Wissenschaft 2–3 Vier Antworten aus der Mareike Ippen würde gerne Obst und Gemüse selbst anbauen, Wissenschaft 4–5 aber mitten in der Stadt ist das gar nicht so einfach Trends und Gegentrends in der Esskultur und die Theorie des guten Lebens 6 Die Ökobilanzierung von Fruchtfolgen Warum würden Sie Lebensmittel gern Schrebergärten hier in der Hauptstadt und warum Bauernwissen selbst anbauen? sind teilweise sehr schön und richtig nicht mehr hilft 7 grüne Oasen, aber es ist schwer, an ei- Das Gärtnern fehlt mir schon ein biss- nen heranzukommen. Ich glaube, wenn Essen für alle 8–9 chen. In den Berliner WGs, in denen ich ich einmal dauerhaft in Berlin wohnen Alles nur Bauchgefühl? während meiner Praktika gewohnt habe, würde, dann würde ich mich einem Ur- Ein Streitgespräch 10 gab es dafür einfach keinen Platz. In Kiel, ban-Gardening-Projekt anschließen, wie Roboter ins Feld schicken und wo ich eigentlich studiere, habe ich mal zum Beispiel den Prinzessinnengärten. mal nicht aus dem Vollen schöpfen 11 auf dem Balkon Erdbeeren angebaut – Allerdings sollte das dann auch nicht so das war super! Die Beeren schmeckten weit entfernt sein von meinem Wohnort: Ein Kochbuch fürs Kaffeerösten und ganz anders als die aus dem Supermarkt, Denn wenn man immer erst eine Stun- über anderes Studentenfutter 12 viel intensiver. Außerdem hatte ich auch de braucht, um in den Garten zu fahren, Vom Bölkstoff zum Power-Drink einen anderen Bezug zu dem Obst, weil dann verdirbt einem das vielleicht die und von der Nützlichkeit der ich mich darum gekümmert und zum Bei- Lust am Gärtnern. Schade, dass es so ©© Robert Hübner Mikroorganismen 13 spiel regelmäßig gegossen hatte. Bei mei- kompliziert ist, das Selbstanbauen von Tröpfchenweise 14 ner Mutter zu Hause auf dem Dorf haben Obst und Gemüse und das Leben in der wir einen richtigen Garten mit Obst und Großstadt miteinander zu verbinden! Berliner Feedback 15 Gemüse. Meine Mutter hat damit viel Ar- Mareike Ippen, Praktikantin, 26 Jahre alt, Berlin- Pinnwand 16 beit, es muss ja alles gepflegt werden. Die Neukölln Aufgezeichnet von Michael Metzger
+ TU intern plus · Nr. 3/Februar 2019 BÜRGER*INNEN fragen Seite B3 Fenja Sürken und Jochen Fey umtreibt Fleischlos leben und trotzdem auf nichts ©© TU Berlin/PR/Felix Noak verzichten? Fenja Sürken ernährt Was erwarten Sie von der angepasst hat, vermisst man es kaum noch. Fenja Sürken, sich zwar vegetarisch, Lebensmittelindustrie hinsichtlich einer Gerade Berlin ist ja die Falafel-Hochburg, Studentin, vegetarischen Ernährung? und sie sind eine attraktive Alternative. Auch 22 Jahre alt, wünscht sich aber immer mehr vegane und vegetarische Ersatz- Potsdam besser schmeckende Vor ein paar Jahren bin ich Vegetarierin ge- produkte finden den Weg in unsere Super- Alternativen worden. Mir tun die Tiere leid und ich kann märkte. Hier gibt es aber auch ein Problem: Massentierhaltung einfach nicht vertreten; Gerade für die Menschen, die sich nicht vor- außerdem weiß ich, dass Fleischkonsum al- stellen können, ohne Fleisch zu leben, sind les andere als ökologisch ist. Bis ein Schwein Falafel oder Tofu meist kein zufriedenstel- gemästet ist und geschlachtet werden kann, lender Ersatz – ich denke zum Beispiel an 80 % hat es eine riesige Menge Wasser verbraucht meine Großeltern, die davon überzeugt sind, und auch für den Produktionsprozess gehen dass man ohne Fleisch nicht leben kann. Es der Befragten Tausende Liter verloren. Eine Ressource, wäre schön, wenn die Lebensmittelindustrie ist die Angabe zur die besser genutzt werden könnte. Und ich weiter an besser schmeckendem Fleisch denke, wenn jeder Mensch auf der Welt auf ersatz forschen würde, damit es für noch Herkunft (Land, Fleisch verzichten würde, dann könnten wir mehr Menschen attraktiv wird, sich fleischlos Region) auf der Lebens- das Hungerproblem deutlich eindämmen. zu ernähren! Vielleicht kann ich Opa dann mittelverpackung wichtig Am Anfang fiel es mir auch nicht leicht, auf heimlich ein „Fake-Steak“ unterjubeln, ohne Fleisch zu verzichten, aber ich glaube, kein dass er es merkt. oder sehr wichtig Fleisch zu essen ist auch eine Sache der Ge- wohnheit. Sobald man seinen Speiseplan Aufgezeichnet von Michael Metzger Ernährungsreport 2019* Was heißt das: gesund? Alle Jahre anders Jochen Fey, Kunstkoch, 69 Jahre alt, Jochen Fey studierte Kochen als Kunstform Berlin-Prenzlauer Berg an der Städelschule in Frankfurt am Main. Der Genuss steht für ihn im Vordergrund. Für den Gesundheitsaspekt von Lebensmitteln wünscht er sich objektive Kriterien Was denken Sie, wenn Sie hören, man solle oder mit Sonnenblumenöl, wenn ich ein Mir geht es um das Essen und das Kochen, das sich gesund ernähren? geschmackfreies Öl brauche. Ansonsten als Kunstform leider unterbewertet ist. Luci- verwende ich Olivenöl, das ist sehr ge- ano Pavarotti soll gesagt haben, dass Kochen Dass man darunter alle paar Jahre etwas ande- sund. Man kann es aber nicht gut zum auch eine Kunst ist, und keine unbedeuten- res versteht. Vor einiger Zeit galt Fett als unge- Braten verwenden, wenn man es zu stark de. Die Kunst liegt im Auge des Betrachters, sund, so wie heute Zucker. Ich wurde 1984 als erhitzt, wirkt es kanzerogen. Zum Bra- doch beim Gesundheitsaspekt sollte das doch einer von 50 000 Bürgern zu einer bundesein- ten verwende ich daher Olio di Sansa di eigentlich nicht so sein. Man bekommt aber heitlichen Untersuchung geladen und ausführ- Oliva, die letzte Pressung, auf Deutsch das Gefühl, dass dem so ist. Früher galt Butter lich zum Thema Ernährung und Krankheiten Oliventresteröl, wenn ich ein Öl möchte, als gesund. Als die nicht mehr zur Verfügung befragt und untersucht. Ich weiß noch, dass das man gut erhitzen kann. Dem Olio di stand, kam die Margarine, ein Erdöl-Produkt, ich seitenweise Angaben machen sollte, welche Sansa di Oliva fehlen der Wasser- und der als Ersatzprodukt auf den Markt. Daraufhin Margarine ich wozu nutze. Da war ich schnell Eiweißanteil, daher spritzt es nicht beim geriet Butter in Verruf und es wurde versucht, fertig, denn die nutze ich nie. Braten, man kann es gut erhitzen und so- die Margarine als ein gesundes Nahrungsmit- Ich koche für den Genuss. Aber der muss gar zum Frittieren nutzen. tel darzustellen. Ich bin gespannt, was als gesund sein. Damals wurde Margarine zwar Im Spreewald heißt es: „Was macht die Nächstes kommt. Objektive Kriterien wären ©© TU Berlin/PR/Felix Noak als gesund angepriesen, wird sie stellenweise Spreewälder stark? Kartoffeln, Leinöl schön! Sonst halte ich es mit dem Spruch heute immer noch, aber das ist nur Fett. Ge- und Quark!“ Leinöl verwende ich auch „Butter kräftigt, Butter nährt, Butter sparen: nau wie Rapsöl, wenn jemand davon spricht, gerne, das ist auch sehr gesund – und grundverkehrt.“ versuche ich das zu überhören. Ich koche Kürbiskernöl, das hat einen fantastischen mit Butter oder Schmalz für den Geschmack Geschmack. Aufgezeichnet von Jochen Müller
Seite B4 WissENschaftler*INNEN antworten + TU intern plus · Nr. 3/Februar 2019 Historischer Mit regionalen Schnappschuss Lebensmitteln Das BANA-Gasthörerstudium gibt es an der TU Berlin seit mehr als 30 Jahren. Es ist an der Zentralein- richtung Wissenschaftliche Weiter- die Welt retten? bildung und Kooperation ange- siedelt und als wissenschaftliches Weiterbildungsstudium konzipiert. Es schließt zwar nicht mit einem ©© TU Berlin/PR/Felix Noak Welche Kriterien verbergen akademischen Grad ab, aber mit einem Zertifikat. Die Abkürzung sich hinter Begriffen wie BANA steht für „Berliner Modell: „regional“ und „nachhaltig“ Ausbildung für Nachberufliche Ak- tivitäten“. Da die Studierenden im und wie transparent sind Verlauf ihrer Pflicht- und erweitern- sie? Studierende des BANA- den Veranstaltungen gemeinsam mit den Dozentinnen und Dozenten Gasthörerstudiums haben neue Themen erarbeiten und im dazu ein Projekt entworfen Team Fragestellungen sowohl theo retisch als auch praktisch behan- und Handlungsrichtlinien deln, bekam die Abkürzung intern für nachhaltigen Konsum eine neue Bedeutung: „Be Active, Not Alone“. Meist entstehen aus abgeleitet Die Mango aus Mexiko, die Erdbeeren aus Ägypten, der Apfel aus BANA-Projekten Flyer, Skripte oder Deutschland für den Fruchtjoghurt. Zusammengerührt wird er in einer Präsentationen, die auf Märkten deutschen Molkerei. Ist es dann ein Joghurt aus der Region? oder den jährlich stattfindenden BANA-Veranstaltungen präsen- tiert werden. Im vorliegenden Fall W er in den Szenevierteln Berlins lebt, kennt diese Frage: „Ist das auch regional?“ Le- bensmittel, die unter diesem Schlagwort an- hängt der CO2-Abdruck stark von der Jahreszeit ab. Im Frühling können in Deutschland Äpfel aus Neuseeland einen besseren CO2-Abdruck haben Herbst kauft, ist auf der sicheren Seite.“ Wenn das so einfach wäre. Denn die Herkunftsregion der Waren ist nicht immer eindeutig zu bestim- wollten die zwei BANA-Studieren- den Helmut Kimling und Manuela geboten werden, gelten als besonders empfeh- als deutsche Äpfel. „Zumindest, wenn der deut- men. So stellten die Studierenden überrascht Priebe-Kahlert den Selbstversor- lenswert. Doch stimmt das? Und was heißt das sche Apfel den Winter über professionell gelagert fest, dass der Begriff „regional“ weder definiert gungsgrad einer Stadt wie Berlin eigentlich: „Regionalität“? wurde“, wie Helmut Kimling betont, einer der noch gesetzlich geschützt ist. Bei Milchprodukten untersuchen. Gelang es in der Ein von BANA-Gasthörerstudierenden gemein- Gasthörerstudierenden, die an dem Projekt be- zählt ohnehin nicht, wo die Kühe grasen, sondern Geschichte schon einmal, Berlin mit sam entwickeltes und durchgeführtes Projekt teiligt waren. Und seine Kommilitonin Manuela wo die Milch abgefüllt wird. Besonders schwer ging der Frage nach, ob regionale Produkte a Priebe-Kahlert erklärt: „Der knapp vierwöchi- wird es, wenn Produkte aus vielen Zutaten zu- regionalen Produkten zu versorgen? priori besser sind oder ob es unter bestimmten ge Transport eines Apfels von Neuseeland nach sammengesetzt werden. Dann kann in Berlin ein Sie recherchierten in Fachzeitschrif- Umständen auch ein Apfel aus Neuseeland sein Deutschland verbraucht weniger Energie als die Fruchtjoghurt aus bayerischer Milch und italieni- ten für Statistik und erhielten dann kann. Sie untersuchten, welche Kriterien den Le- Lagerung eines heimischen über ein halbes Jahr.“ scher Fruchtzubereitung als „regional“ angebo- von den Redaktionen dieser Zeit- bensmitteleinkauf bestimmen. Anna Haas, wis- Es ist also nicht so einfach mit den Handlungs- ten werden. schriften das Angebot, darüber eine senschaftliche Mitarbeiterin und Koordinatorin empfehlungen, wie auch Dr. Gabriele Schae- „Die einfache Wahrheit“ lautet für Schaepers- der TU-Projektwerkstätten, leitete das Projekt: pers-Feese betont, wissenschaftliche Leiterin Feese daher, „dass mit regionalen Lebensmit- Facharbeit zu schreiben. Daraus „Die Studierenden haben Erzeuger von Lebens- des BANA-Gasthörerstudiums: „Wir können teln die Welt nicht zu retten ist.“ Allerdings kann entstand die Veröffentlichung „Die mitteln um Berlin erst ge- und dann besucht. Aus nicht sagen, dass regional immer besser ist. Das man bei Verbraucherinnen und Verbrauchern das Lebensmittelversorgung Berlins den Exkursionen entstand eine Studie zur Regi- erschwert es für die Verbraucher*innen.“ Den- Bewusstsein schärfen. Wie das am besten zu be- von 1925 bis 1928 – ein historischer onalität von Äpfeln und Kartoffeln.“ Im Mittel- noch ließen sich ein paar einfache Faustregeln werkstelligen ist und ob der einzelne Verbraucher Schnappschuss“. jmu punkt standen die Transparenz der Kriterien und ableiten: „Bei jahreszeitlich frischen Produkten mit seiner Kaufentscheidung Einfluss auf die die Möglichkeit, einfache Handlungsempfehlun- ist Regionalität eindeutig im Vorteil.“ Oder an- Hersteller ausüben kann, ist zurzeit Gegenstand www.statistik-berlin-brandenburg.de/ gen für Endverbraucher*innen zu formulieren. ders ausgedrückt: „Wer heimische Kräuter im eines weiteren BANA-Projekts. produkte/zeitschrift/2017/ Zur Überraschung auch einiger Studierender Frühjahr, Kartoffeln im Sommer und Äpfel im Jochen Müller HZ_201704.pdf Tomate in gestapeltem Licht Wenn die Agrarflächen nicht ausreichen, um die Weltbevölkerung zu ernähren, müssen wir Pflanzen stapeln. Wie die Pflanzen dennoch ausreichend Licht erhalten, wird am Fachgebiet Lichttechnik erforscht W as hat ein abgedunkelter Raum im Keller eines Gebäudes der TU Berlin mit der Zu- kunft der Ernährung zu tun? Vielleicht mehr als stäblich zehren. Genau darauf zielt die derzeitige Pflanzenbeleuchtung ab: „In der Pflanzenbe- leuchtung wird viel mit rotem und blauem Licht Eine mögliche Lösung habe der US-amerikani- sche Ökologe Professor Dickson D. Despommier bereits 1999 vorgeschlagen. Sie wurde unter dem all die Quadratkilometer voller Gewächshäuser, gearbeitet. Der Grund ist einfach: Das bringt Mas- Namen „vertical farming“ bekannt und ist denk- die in weiten Teilen Hollands die Nacht zum Tag se.“ Doch Kohlenhydrate sind nicht das Einzige, bar einfach: Wer Pflanzen in Etagen übereinander machen. Zwar ermöglichen es diese Gewächs- was Pflanzen mithilfe von Licht produzieren, und zieht, kann jeden Quadratmeter mehrfach nut- häuser auch in nordeuropäischen Wintermona- schon gar nicht das Einzige, was Menschen brau- zen. In der Realisierung hat die Methode jedoch ten frische Tomaten zu produzieren. Doch für chen. Die Strahlung beeinflusst neben Farbe und ihre Tücken. „Es wird künstliche Beleuchtung Tim Zander, Tutor des Projekts „Indoor Grow Textur viele Inhaltsstoffe der Nutzpflanzen. Bei benötigt“, sagt Tim Zander. Denn die Strahlung Lab“ des Fachgebietes Lichttechnik, bedeutet Zanders Projekt, das von Prof. Dr. Stephan Völker der Sonne, mit der Pflanzen ihre Fotosynthese das nächtliche Leuchten schlicht „sichtbar ver- betreut wird, geht es um die Frage, welche Be- betreiben, kommt ohne unser Zutun vom Him- schwendete Energie“. Heißt es doch, dass zumin- dingungen in Gewächshäusern herrschen müssen, mel. Für Pflanzen, die in Räumen übereinander- dest ein Teil der Beleuchtung an der Pflanze vor- um Pflanzen mit all dem „auszustatten“, was wir gestapelt werden, sind Leuchten notwendig, die bei in die Umgebung strahlt. Und selbst der Teil Menschen benötigen. „Wir analysieren Licht, um wiederum Strom benötigen. Und wenn der durch des Lichts, der die Pflanzen trifft, bewirkt nicht, genau zu verstehen, welche Parameter die Pflan- Kohlekraftwerke erzeugt wird, sei die Energie- was Konsumenten brauchen. „Bei der Pflanzen- zen brauchen, um nicht nur groß, sondern auch und Ökobilanz einer solchen geschlossenen agri- zucht ist es wie in der Tierzucht: Die Priorität gesund, nährstoffreich und lecker oder dekorativ kulturellen Umgebung ein Desaster. liegt allein auf schnellem Wachstum.“ und medizinisch wirksam zu werden. Und wir Die Energie für die Testanlage von Zander und Im Ergebnis schmecken viele Gewächshaustoma- konstruieren Leuchten, um genau diese Parame- seinem Team wird deshalb aus regenerativen ten nach Wasser. Aber der Geschmack ist fNeben- ter mit wenig Energieaufwand zu erzeugen, damit Quellen stammen. So lassen sich die Pflanzen sache angesichts der grotesken Situation, dass in sich die Energiebilanz rechnet.“ mit guter Energiebilanz beleuchten. Aus 100 Europa Übergewicht und Krankheiten wie Di- Hier sind wir bei der zweiten Verschwendung, die Quadratmetern Fläche entstehen bei einer 20-fa- abetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die Zander am Beispiel Holland festmacht. „Weltweit chen Stapelung 2000 Quadratmeter Nutzfläche, auch auf ungesunde Ernährung zurückzuführen wird eine Fläche der Größe von Südamerika für auf der Tomaten nur mit künstlichen Strahlungs- sind, weiter verbreitet sind als Hunger. Auch das Landwirtschaft genutzt. Wenn die Menschheit quellen unterschiedlicher Wellenlängen kultiviert hat mit der Beleuchtung der Pflanzen zu tun. den Prognosen entsprechend weiterwächst, be- werden. Das Projekt läuft seit einem halben Jahr, Zander drückt es so aus: „Pflanzen speichern nötigen wir bis 2050 zusätzlich die Fläche Brasi- steckt also noch in den Kinderschuhen. Mit etwas ©© TU Berlin/PR/Felix Noak Sonnenenergie chemisch und stellen uns dabei liens.“ Es wäre nicht nur lebensbedrohlich, so viel Glück können sie in diesem Jahr die erste Ernte Welches Licht eine Tomate braucht, um netterweise Sauerstoff zur Verfügung.“ Indem Regenwald abzuholzen, es ist nicht möglich, weil einfahren. Es wird das erste Mal sein, dass die nährstoffreich und schmackhaft zu werden, unsere grünen Ernährer das CO2 aus der Luft in es so viel Wald gar nicht mehr gibt. Pflanzen mit natürlichem Sonnenlicht in Berüh- das analysieren TU-Wissenschaftler*innen Kohlenhydrate wie Stärke oder Zucker umwan- Wo sollen dann aber die benötigten Flächen her- rung kommen. deln, legen sie Speicher an, von denen wir buch- kommen, um ausreichend Nahrung zu erzeugen? Jochen Müller
TU intern plus · Nr. 3/Februar 2019 + WissENschaftler*INNEN antworten Seite B5 Das bessere Fleisch „Was? Das soll ein Steak sein?“ Solch ein Ausdruck V iele Menschen, die sich vegan ernähren, tun das nicht, da ist sich die Prozesswissen- schaftlerin Elisabeth Högg sicher, weil sie Fleisch des Entsetzens geht vor allem Vegetariern durch kühlt, und bei diesem Kühlungsprozess passiert Erstaunliches: „Die Proteine werden in ihrer Struktur verändert“, erklärt Högg. „Die zuvor etwa nicht mögen würden. Manche verzichten knäuelartigen Proteine falten sich zu Strängen aus ethischen Gründen auf Fleisch, weil sie Tie- den Kopf, und zwar dann, wenn sie mit veganen auf und die Stränge verbinden sich miteinan- re nicht quälen wollen. Andere verzichten aus gesundheitlichen Gründen – sie glauben, der Fleischersatzprodukten in Berührung kommen. Nicht der.“ Auf diese Weise entstehen faserähnliche Strukturen, die in ihrer Konsistenz an Fleisch übermäßige Verzehr tierischer Produkte würde die Lebenserwartung senken. Und wieder ande- selten schmecken die Klone aus Erbsenmehl, Tofu oder erinnern, fand die Forscherin heraus. Aber wenn der sich anschließende Kühlprozess schiefläuft, re essen der Umwelt zuliebe kein Fleisch, weil Seitan kein bisschen wie Fleisch. Aber woran liegt das? dann wirkt sich das negativ auf das Ausbilden Tierhaltung wesentlich für den Klimawandel der Strukturen aus. „Es kommt enorm auf die mitverantwortlich ist. Aus der Perspektive des Geschwindigkeit der Abkühlung an“, weiß Genusses aber hätten die meisten Vegetarier gar Högg. „Wird zu schnell heruntergekühlt, ist das nichts gegen Fleisch, deshalb kommen ja vegane Ergebnis am Ende ungenügend.“ Ihr Ziel ist es Produkte, die Fleisch imitieren, so gut an. nun, Richtlinien zu erarbeiten, die – abhängig Das Problem der Fleischersatzprodukte ist je- vom Ausgangsprotein – genau vorgeben, welche doch: Viele versprechen etwas, was sie nicht Kühlzeit und -geschwindigkeit zu welcher Aus- halten können. „Wenn Fleischersatz nicht wie bildung von faserähnlichen Strukturen führen. Fleisch wahrgenommen wird, dann liegt das Weil aber für einen befriedigenden Fleischer- meist an der Konsistenz oder am Geschmack“, so satz-Genuss nicht nur die Struktur, sondern Högg. „Außerdem könnten viele Fleischersatz- eben auch der Geschmack eine Rolle spielt, produkte mehr Nährwerte vertragen, um dem plant Elisabeth Högg schon die nächste For- Körper besser Energie zuzuführen.“ An diesen schungsstufe. „Wenn ich in Fleischersatzpro- drei Baustellen forscht Högg seit Jahren. Bei ech- dukte Geschmack bringen will, dann habe ich tem Fleisch, so die Wissenschaftlerin, kenne man zwei Möglichkeiten: Handelt es sich um einen zwei grundsätzliche Varianten in der Konsistenz: trockenen Fleischersatz, kann ich ihn in Gemü- Da ist zum einen die fest-faserige Variante, wie sebrühen oder Emulsionen einlegen und auf die- sie beim Geschnetzelten oder Steak vorzufinden se Weise mit Geschmacksstoffen tränken. Und ist, und zum anderen eine schwammartige homo- feuchten Fleischersatz kann ich auch mit einer gene Konsistenz wie etwa bei Hackfleisch oder Panade ummanteln.“ Sowohl die Emulsionen Bratwurst. Wenn Fleischersatz keine dieser bei- als auch die Panaden lassen sich geschmacklich den Konsistenzen treffend imitiert, dann meint noch optimieren und verfeinern. der Konsument, das Produkt würde ihm nicht Ihre Vorstellung geht aber noch weiter: „Statt ei- schmecken – obwohl es hier gar nicht am Ge- nem Sojaprodukt nur die Eigenschaften ‚scharf‘ schmack liegt, sondern an der Textur. oder ‚würzig‘ zu verleihen, kann man zusätzlich ©© TU Berlin/PR/Felix Noak Um herauszufinden, woran das liegt, hat sich noch Vitamine und Mineralstoffe beimischen.“ Högg mit dem Prozess beschäftigt, in dem Auf diese Weise kommt am Ende vielleicht Fleischersatz hergestellt wird – mit der Extru- ein Fleischersatz heraus, der nicht nur besser sion. Dabei wird der Ausgangsstoff, also Erb- schmeckt, sondern auch gesünder ist als echtes sen- oder Sojaprotein, mit Wasser gemischt, Fleisch. Das, so Högg, wäre ein echtes Verkaufs unter hohem Druck geknetet und auf über 100 argument, mit dem die Ersatzstoffe beliebter Grad Celsius erhitzt. Unmittelbar darauf wird werden könnten als ihr tierischer Zwilling. die Masse in einer angehängten Düse auf eine Eine weich-schwammige Konsistenz soll der vegetarische oder vegane Fleischersatz haben, Temperatur unter 100 Grad Celsius herunterge- wie beim „echten“ Burger. Lebensmitteltechnologinnen der TU Berlin forschen daran Michael Metzger 6 % Nur Rapsodie Ungesättigte Fettsäuren sind gut für den Menschen. Die Lebensmittelchemikerin Sandra der Befragten bezeichnen in Öl Grebenteuch erforscht Mittel und Wege, damit sie sich als VEGETARIER auch nach dem Kochen, Backen und Braten noch gesundheitlich wertvoll sind Ernährungsreport 2019* Viel besser als Butter: das an E in lang haltbares Speiseöl, das sowohl für Salate als auch zum Frittieren ge- nutzt werden und sogar Krankheiten vor- von Kohlenwasserstoffmolekülen, den Fett- säuren. In gesättigten, wie in Butter oder Palmöl, das oft in vegetarischen Lebens- hält. Sandra Grebenteuch: „Wir versuchen ungesättigten Fettsäuren beugen kann? Für Sandra Grebenteuch mitteln enthalten ist, sind die Kohlenstoffe Empfehlungen zu ge- reiche Rapsöl sind das keine leeren Werbeversprechen, einfach miteinander verbunden. Ungesät- ben, wie Produktionsprozesse sondern es ist schlicht Rapsöl. Die Lebens- tigte Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren gestaltet werden können, damit End- mittelchemikerin beschäftigt sich in ihrer weisen Doppelbindungen auf, entweder produkte ein gutes Omega-3-zu-Omega- Promotion „Lipidoxidation in unterschied- an der dritten oder der sechsten Stelle der 6-Verhältnis haben, und wie man sie lagern lichen Matrices“ mit dem Einfluss von Er- Kohlenstoffkette. Diese Doppelbindungen muss, damit es so bleibt.“ Diese Empfeh- nährungsgewohnheiten auf den Erhalt der brauchen wir, daher sind mehrfach ungesät- lungen gelten aber auch für die heimische Gesundheit im höheren Alter. tigte Fettsäuren besonders gesund für uns“, Küche: das Öl dunkel und kühl lagern und Und genau hier kommt das Öl ins Spiel. erklärt Sandra Grebenteuch. Problem: Je beim Zubereiten lieber kürzer oder weni- Die in manchen Speiseölen enthaltenen mehr Doppelbindungen eine Fettsäure hat, ger stark erhitzen. Dann kann Rapsöl einen Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren sind umso schneller kann sie durch Sauerstoff wichtigen Beitrag zum Erhalt der Gesund- für den Menschen essenziell. Er braucht angegriffen werden und oxidiert. Es entste- heit leisten. sie zur Energiegewinnung und für seine hen Abbauprodukte, die ranzig riechen und Jochen Müller Zellmembranen, kann sie aber nicht sel- teilweise sogar gesundheitsschädlich sind. ber synthetisieren und muss sie daher mit Sandra Grebenteuch fand zusätzlich her- der Nahrung aufnehmen. Wen wundert’s, aus, dass Omega-3-Fettsäuren wesentlich Essgewohnheiten und dass diese Fettsäuren nachweislich positi- schneller oxidieren als Omega-6. Und dass ve Effekte auf unsere Gesundheit haben? sich der Effekt mit steigender Hitze noch Gesundheit Allerdings nicht gleichermaßen, denn der verstärkt: „Bei höherer Temperatur wer- Sandra Greben- Mensch, so die Doktorandin, brauche den Omega-3-Fettsäuren 15-fach schneller mehr Omega-3 als Omega-6. Die meisten abgebaut als Omega-6-Fettsäuren“, so die teuch promoviert Menschen nehmen Omega-3- und Omega- 29-Jährige. Wegen seines besonders günsti- im Fachgebiet 6-Fettsäuren im Verhältnis 1 : 10 zu sich. Als gen Verhältnisses von Omega-3- zu Omega- Lebensmittelchemie empfehlenswert gilt ein Verhältnis von 1 : 5, 6-Fettsäuren sei Rapsöl also besonders gut und Analytik am für Multiple-Sklerose- oder Rheumapatien- zum Braten geeignet. Es ist schlicht so viel Institut für Lebens- ten gar 1 : 3. Das Gute: Im Rapsöl kommen Omega-3-Fettsäure im Rapsöl, dass auch mitteltechnologie die Omega-3- und Omega-6-Fettsäuren in nach dem Braten noch ein gesundes Omega- einem Verhältnis von 1 : 2 vor! Im Gegen- 3-zu-Omega-6-Verhältnis besteht. und Lebensmittel- satz zu Butter, die viele gesättigte, dafür Zielgruppe ihrer Forschungen sind laut chemie. Ihr Projekt kaum Omega-3- noch Omega-6-Fettsäuren Grebenteuch jedoch weniger die Endver gehört zu dem vom enthält. Um Lebensmittel ernährungsphy- braucher*innen als vielmehr die Lebensmit- BMBF noch bis 2020 geförderten Kompe- ©© TU Berlin/PR/Felix Noak (2) siologisch zu verbessern, untersucht Gre- telhersteller. Schließlich werden Lebensmit- tenzcluster „NutriAct“, in dem mehrere benteuch deshalb Möglichkeiten, Butter tel im Laufe des normalen technologischen und andere Fette durch Rapsöl zu ersetzen. Produktionsprozesses auch erhitzt. Es kann Forschungsprojekte aus Berlin und Bran- Aber was ist der Unterschied zwischen demzufolge sein, dass Verbraucher*innen denburg dem Einfluss von Ernährungsge- gesättigten und ungesättigten Fettsäuren? ein Produkt kaufen, das schon ranzig ist wohnheiten auf den Erhalt der Gesund- „Öle und Fette bestehen aus langen Ketten und gesunde Fettsäuren gar nicht mehr ent- heit im höheren Alter nachgehen. jm
Seite B6 Blick zurück + TU intern plus · Nr. 3/Februar 2019 Mit Bircher- müsli fing alles an Trends und Gegentrends in der Esskultur ©© TU Berlin/PR/Felix Noak Bierschinken-Brötchen oder Körner und Obst zum Frühstück? So, wie ich esse, so bin ich. Essen sei auch ein Distinktionsmerkmal, sagt der Historiker Uwe Fraunholz W enn sich Menschen danach sehnen, mög- lichst ursprüngliche, unbehandelte und da- her scheinbar gesunde Nahrung zu sich zu neh- erfinden.“ Auf den sprichwörtlichen Geschmack ist zu der damaligen Zeit aber nicht jeder gekom- men – im Gegenteil. „Die Entfremdung von der scher die Jahre 1750 bis 1800 an. „Das war eine Phase relativen Wohlstandes“, so Fraunholz. Die Wirtschaft war gewachsen, durch die beginnen- Heute hingegen steht Europa nicht an der Schwelle einer neuen Malthusianischen Wende, da ist sich Fraunholz ziemlich sicher. In Frank- men, ist das ein Zeichen für einen Wendepunkt. Nahrung führte dazu, dass damals ganz neue ge- de Industrialisierung konnte zunächst auch die reich wird nicht etwa wegen zu hoher Brotprei- Dann nämlich haben sie genug von industriege- sellschaftliche Strömungen entstanden sind“, so Agrarwirtschaft einen neuen Produktivitätsschub se, sondern wegen gestiegener Benzinkosten fertigter Nahrung, von künstlicher Ernährungs- Fraunholz. Schon die Lebensreformer waren die erfahren. Doch an einem gewissen Punkt kam protestiert. Und wie lässt sich mit dem Wissen optimierung, kurz: von all den neumodischen Öko-Hippies des frühen 20. Jahrhunderts, und die Lebensmittelversorgung nicht mehr hinter- aus der Vergangenheit der heutige Trend zu Ve- Errungenschaften der Lebensmittelindustrie. statt Tofu servierten sie Birchermüsli. Den Mega her, weil die Bevölkerung explodierte. ganismus und Öko-Lebensmitteln deuten? „Es- Eine solche Gegenbewegung zu Molekularkü- trend zu industriell gepimpter Nahrung aufhalten Malthusianische Wenden können verschiedene sen war schon immer ein Distinktionsmerkmal“, che, Gentechnik oder industriellem Fleisch be- konnten sie freilich nicht. Bis heute finden sich Folge-Szenarien auslösen. Eine Hungersnot und so Fraunholz. „Wenn ich zu einer bestimmten obachtet Prof. Dr. Uwe Fraunholz, Gastprofessor im Supermarkt proteinreiche Sportlerriegel und der Ausbruch von Krankheiten wären möglich, gesellschaftlichen Schicht gehöre, dann ernäh- für Technikgeschichte, in den Veganer- und Öko- Astronautennahrung. ebenso Migrationsbewegungen in fruchtbarere re ich mich auch deshalb anders als andere Bewegungen der Gegenwart. Und er beobachtet Not macht erfinderisch, das hat Fraunholz aus Regionen. Ende des 18. Jahrhunderts reagierte Schichten, weil ich mich von ihnen abgrenzen Ähnliches auch Anfang und Mitte des 20. Jahr- der Geschichte gelernt.Wenn es zu Innovationen die europäische Bevölkerung auf Hungersnöte will.“ Wer sich heute also vegan ernährt, dem hunderts, als zwei Weltkriege die westliche Welt im Anbau oder in der Produktion von Lebensmit- mit Aufständen, in deren Mittelpunkt häufig sym- ist bestimmt die Umwelt wichtig, und die ei- an den Rand des Zusammenbruchs geführt hatten teln kommt, ist der Grund meist eine Verzweif- bolisch aufgeladene Lebensmittel des täglichen gene Gesundheit ebenso. Aber ein bisschen ist – und Nahrung generell knapp wurde. „Damals lung, nicht mehr alle Menschen ernähren zu Bedarfes standen. „Der Sturm auf die Bastille es doch Berliner Großstadt-Blase, in der man wurde mit Hefepilzen und anderen Zusatzstoffen können. „Wir nennen das eine Malthusianische in Frankreich 1789 wurde auch ausgelöst durch zeigen will: Ich bin zu gebildet und aufgeklärt, experimentiert“, so Fraunholz. „Die Herausfor- Wende, benannt nach dem britischen Ökonomen hohe Brotpreise, über die sich die Bevölkerung um mir für 1,99 Euro Buletten beim Discounter derungen waren einerseits, die Zivilbevölkerung Thomas Robert Malthus“, sagt Fraunholz, „und empörte“, sagt Fraunholz. Daran könne man gut zu kaufen. zu ernähren. Andererseits musste man energierei- paradoxerweise ist sie die Folge einer längeren erkennen, welchen hohen Stellenwert das Brot ches und leicht transportables Essen für Soldaten Wohlstandsperiode.“ Als Beispiel führt der For- zur damaligen Zeit hatte. Michael Metzger Die Theorie des guten Lebens Die Philosophin Birgit Beck verrät, wie eine als „Schweinephilosophie“ verschriene Ethik uns den Weg zum Genuss ohne Reue weisen kann D er Bundestagswahlkampf 2013 ge- riet für die Grünen zum Menetekel. Ihr Vorschlag, einen vegetarischen Tag in die als „Hedonismus“ bekannt wurde. Eine, so Birgit Beck, „vernachlässigte philosophische Theorie“ von brandhei- zu ändern. Das Ergebnis eines solchen Bewusstseinswandels könnte sein, even- tuell gar keine Produkte tierischer Her- öffentlichen Kantinen einzuführen, löste ßer Aktualität. kunft mehr essen zu wollen. Wir wissen Empörung aus. „Lustfeindlich“ sei diese Hedonismus? War das nicht die Lehre zum Beispiel heute, dass Schweine sehr „Partei der Verbote“, hieß es in Medien vom Genuss? „Ja“, bestätigt Beck, um empfindsame Wesen sind, und auch, wel- und sozialen Netzwerken. Im Ergebnis gleich darauf zu betonen, dass meist che bedenklichen Folgen für Menschen, büßte sie deutlich an Stimmen ein. Der falsch verstanden wird, was damit ge- Tiere und Umwelt die gegenwärtige in- „Veggie Day“ gilt seither als Musterbei- meint ist. „Der epikureische Hedonis- dustrielle Nahrungsmittelproduktion hat. spiel linker Bevormundung und als Syn- mus war einer des Genusses und des Unter Umständen fühle ich mich wohler onym für politischen Selbstmord. freudvollen Lebens. Er wurde von philo- damit, solche Praktiken nicht wissentlich Das ist erstaunlich, nicht zuletzt ange- sophischen Gegnern als ‚Schweinephilo- zu unterstützen, sondern Pflanzen zu es- sichts der Tatsache, dass unter Fachleu- sophie‘ diffamiert. Dabei ging es Epikur sen, denen wir keine Empfindsamkeit ten Einigkeit darin herrscht, dass wir nicht um Ausschweifungen, sondern im zuschreiben“, sagt die Juniorprofessorin. Bürger*innen wohlhabender Industriena- Gegenteil darum, sich mit Einfachem Genuss und Entspannung durch das Auf- tionen unseren Fleischkonsum drastisch zu begnügen. Epikur meinte, mit einem lösen von Widersprüchen? „Genau!“ reduzieren müssen. Aus gesundheitlichen, Stück Käse und Brot in Gesellschaft sei- Davon abgesehen entstehen Gaumen- ökologischen und tierethischen Gründen. ner Freunde sei er vollkommen zufrie- freuden und Glück nach Epikurs Theorie Prof. Dr. Birgit Beck, Leiterin des Fach- den. Hedonismus bedeutet also, zu ge- des guten Lebens auch dadurch, dass gebietes Ethik und Technikphilosophie, nießen, was man hat. Mit Maß und Ziel. man sich Zeit für den Genuss nimmt. überraschte die ablehnende Reaktion Denn wer sich moderat verhält, muss auf Statt jedem Ernährungstrend hinterher- der Bevölkerung auf den „Veggie Day“- nichts verzichten.“ zuhecheln und sich unter moralischem Vorstoß der Grünen dennoch nicht: „Der Insofern könne man von dem antiken Druck die Superfood-Bowl im Stehen Vorschlag wurde negativ konnotiert, weil Genießer viel lernen. Statt den Menschen reinzuzwingen, während einem der Ver- er bei oberflächlicher Betrachtung Ver- zu sagen, was sie alles nicht dürften, so zicht bei jedem Happen aufstößt, ist es zicht und Bevormundung suggerierte, Beck, wäre der bessere Weg, aufzuzeigen, allemal gesünder, sein Mahl in Ruhe ein- ©© TU Berlin/PR/Felix Noak und war daher chancenlos.“ dass eine Änderung von Ernährungsge- zunehmen. Dann kann auch eine Stulle Ein Blick in die Philosophiegeschich- wohnheiten lust- und genussvoll sein ein Vergnügen sein. „Sich keinen Stress te offenbart, dass es auch anders geht: kann und keineswegs Verzicht bedeuten zu machen ist, salopp gesagt, eine der „Epikur zeigt, dass es gar nicht um Ver- muss. „Dann entdecke ich vielleicht ganz Hauptbotschaften Epikurs.“ Und neben zicht geht, sondern um ein gutes Leben.“ neue Geschmäcker, jenseits des Schwei- einem Weg zum Genuss ohne Reue viel- Der altgriechische Philosoph lebte um nefilets. Dabei erhalten auch Einstellun- leicht auch ein guter Wahlkampfslogan. Der moderne Mensch macht es im Gehen und Stehen: Mails checken und 300 vor Christus und prägte eine Ethik, gen zu Lebensmitteln die Chance, sich Jochen Müller nebenbei aus dem Pappbecher essen oder umgekehrt
+ TU intern plus · Nr. 3/Februar 2019 Blick nach vorn Seite B7 Weil eine Frucht die andere subventioniert Wie kann eine nachhaltige Lebensmittelproduktion gelingen? Mit der Ökobilanzierung von Fruchtfolgen, sagen Matthias Finkbeiner und Gerhard Brankatschk vom Institut für Technischen Umweltschutz D ie Landwirtschaft ist heute für etwa ein Vier- tel der weltweiten Emission von Klimagasen wie CO2, Lachgas oder Methan verantwortlich. Dieser Wert beinhaltet unter anderem Abgase von Traktoren und Stoffe, die bei der Produktion von Dünger oder Pflanzenschutzmitteln entste- hen. Aber auch Böden können klimaschädliche Gase wie CO2 abgeben – etwa durch häufiges Pflügen. Dies ließe sich verhindern, wenn man zur rechten Zeit Pflanzen anbaute, die es ermög- lichen, den CO2-Fußabdruck der Landwirtschaft zu minimieren. Dass es Effekte zwischen Pflan- zen gibt, ist seit Jahrhunderten bekannt. Daher planen Landwirte sogenannte Fruchtfolgen (siehe Kasten). Wirken sich verschiedene Reihenfolgen angebauter Feldfrüchte auch messbar auf die Umweltbelastung landwirtschaftlicher Produkte aus? Und wenn ja, wie lässt sie sich senken? „Hier kommen die Ökobilanzen ins Spiel“, sagt Prof. Dr. Matthias Finkbeiner, Leiter des Fach- gebiets Sustainable Engineering der TU Berlin, und erklärt: „Hauptaufgabe der Ökobilanz ist es, die Frage, wann ein Produkt bezüglich welcher ©© TU Berlin/PR/Felix Noak Umweltaspekte vorteilhaft oder nachteilig ist, wissenschaftlich so robust wie möglich zu beant- worten und Empfehlungen zur Verbesserung der Produktionssysteme zu geben.Wir betrachten an meinem Fachgebiet bewusst viele unterschiedli- che Produkte – vom Elektroauto über Stahl bis Raps – Weizen – Erbse – Weizen – Gerste: Anhand dieser Fruchtfolge wird erforscht, wie Pflanzen voneinander profitieren, und eine Ökobilanz erstellt zu Inkontinenzartikeln, und eben auch landwirt- schaftliche Produkte.“ viele Jahre in das System der Ökobilanz einbezo- Lebensmittelbedarfs den CO2-Fußabdruck der dem Nachhaltigkeitsforscher bewusst ist. „Wir Bisher waren diese Bilanzen für den landwirt- gen und durch eine neue Methode erreicht, Aus- Landwirtschaft zu verkleinern.“ wissen, dass wir an manchen Stellen ungenau schaftlichen Sektor aber oft „starr“, wie Finkbei- sagen zu den Umweltwirkungen jedes einzelnen Dass Finkbeiner die Ökobilanzierung „sehr auf- sind, wenn wir so große Systeme untersuchen. ner es ausdrückt. Sie bezogen sich auf Zeiträu- Produktes der Fruchtfolge zu ermöglichen. Nur so wendig“ nennt, verwundert nicht. Denn statt Aber wir können immerhin so viel wie möglich me von einem Jahr und entsprachen somit nicht können wir beispielsweise Weizenbrot aus einer eines Ausschnitts bemisst sie letztlich „alles!“ bemessen. Das ist ein wesentlicher Ansatz der der landwirtschaftlichen Realität, weil „einzelne Fruchtfolge bilanzieren und mit Brot aus Weizen „Häufig Lieferketten um die ganze Welt“. Also Ökobilanzforschung: stetig genauer die vielfälti- Feldfrüchte durch andere subventioniert wer- einer anderen Folge vergleichen. Diese Methoden vom Anbau über den Transport bis zur Lagerung. gen Zusammenhänge zu beschreiben.“ den“. Man müsste unterschiedliche Effekte von können dabei helfen, trotz steigenden globalen Ein nahezu unmögliches Unterfangen, was auch Jochen Müller Feldfrüchten über längere Zeiträume betrachten, um sagen zu können, ob sie besser oder schlech- ter abschneiden. Finkbeiner holte daher Dr. Gerhard Brankatschk Fruchtfolge an sein Fachgebiet. Er studierte Landnutzung und Feldfrüchte stellen unterschiedliche Anforderungen an den Boden. Jede Pflanze Wasserbewirtschaftung. Im Rahmen seiner Promo- 68 wurzelt in verschiedenen Tiefen und bedarf anderer Nährstoffe zu anderen tion an der TU Berlin brachte er die Agrarwissen- schaften und das Konzept der Ökobilanzierung zu- sammen. Brankatschk zufolge gab es zwar bereits Zeiten. Manche lockern auch den Boden auf oder hinterlassen Nährstoffe, die eine andere Pflanze braucht. Leguminosen wie die Erbse sind darüber hinaus in % Ansätze, zu berechnen, wie viel Nährstoffe von der Lage, Stickstoff aus der Luft aufzunehmen. Landwirte bepflanzen daher ihre der Befragten erwarten einer Pflanze auf eine nächste übertragen werden. Äcker in einer spezifischen zeitlichen Folge mit Feldfrüchten, um diese Effekte von der Landwirtschaft „Wir haben jedoch die gesamte Fruchtfolge über zwischen Pflanzen optimal auszunutzen: die Fruchtfolge. jmu einen schonenden Umgang mit den natürli- chen Ressourcen Da hilft auch kein Bauernwissen mehr Ernährungsreport 2019* Wie kann eine nachhaltige Lebens- decchi und Tarun Garg, der an der TU Berlin unterschiedlichen Bildern die landwirtschaftlich Klimawandels lebten: „Deshalb beziehen wir Geodäsie und Geoinformationstechnik studier- relevanten Bodenparameter bestimmen. Wie das auch Wetter- und Klimadaten mit ein. Zum Bei- mittelproduktion gelingen? te, gründete er das Start-up „Smart Cloud Far- genau funktioniert, ist Betriebsgeheimnis. Doch spiel, um die Landwirtschaft an die italienischen Durch möglichst präzises ming“, um die räumlich grobe Messung deutlich Bastian Kubsch und seine Start-up-Kollegen be- Verhältnisse anzupassen, die laut manchen Pro- Bestimmen der Bodenparameter, zu verfeinern: „Mit unserem Ansatz können wir haupten, den Landwirten dadurch spezifische gnosen in Deutschland in wenigen Jahrzehnten sagt Bastian Kubsch, Gründer von die Parameter auf den Quadratmeter genau be- und individualisierte Handlungsempfehlungen zu erwarten sind. Bei solch dramatischen Verän- stimmen“, sagt Kubsch. geben zu können, welche Fruchtfolge (siehe Text derungen in so kurzen Zeiträumen hilft auch das „Smart Cloud Farming“ Und zwar ohne dass jemand auf das Feld muss, oben) an welcher Stelle angebaut werden soll, um gesammelte Bauernwissen aus Jahrhunderten um Proben zu entnehmen. Kubsch nennt es optimierte Erträge zu erzielen. Mit, wie Kubsch nicht viel.“ Aber auch die Landwirtschaft selbst E ine alte Bauernweisheit besagt: „Schwarzer Grund trägt gute Frucht.“ Aber wie schwarz muss der Grund sein, um welche Frucht wie „gut „nicht invasiv“. Denn „Smart Cloud Farming“ ist ein reines Software-Produkt. Es funktioniert auf Grundlage von Bilddaten, die von Satelliten und es sagt, „voraussichtlich dramatisch positiven Auswirkungen“ für die Landwirte: „Sie können Fruchtfolgen sehr viel spezifischer lokalisiert an- trägt zum Klimawandel bei. Der in der Erde ge- bundene Kohlenstoff wird bei Erosion zum Teil gasförmig freigesetzt, wodurch weltweit jährlich zu tragen“? Darüber sagt die Bauernweisheit Drohnen aufgenommen und dann cloudbasiert bauen und den Boden sehr viel spezifischer be- Gigatonnen entweichen. Kubsch ist überzeugt, leider nichts aus. Aus diesem Grund charakte- auf zentralen Servern abgespeichert und verar- handeln. Präzisionslandwirtschaft wird möglich: dass diese Menge mit „Smart Cloud Farming“ risieren Landwirte ihre Böden, bevor sie etwas beitet werden. Entscheidend sei, dass die noch präzisierte Düngung und Ausgabe von Saatgut. reduziert werden könne: „Erstens soll der Boden anpflanzen. Wie viel Stickstoff, Phosphor oder unbewirtschaftete Ackerfläche über Lichtspekt- Das reduziert Kosten, optimiert gleichzeitig die geschont werden. Das minimiert die Bodenerosi- Kalium enthält er? Wie viel Humus-, also Koh- ren aufgenommen werde. So könne der von den Erträge und eröffnet die Möglichkeit, den Boden on und damit die CO2-Emission. Zweitens kann lenstoff, und wie viel Feuchtigkeit ist im Boden? Gründern trainierte KI-Algorithmus aus den langfristig gesund zu erhalten.“ durch Präzisionslandwirtschaft die Überdüngung Wer das als Bauer nicht weiß, kann Die Vitalität des Bodens steht beim um die Hälfte reduziert werden. Es wird viel auch nicht wissen, welche Feld- Start-up „Smart Cloud Farming“ im weniger Lachgas freigesetzt, das etwa dreihun- frucht guten Ertrag bringen wird. Auf dem Bildschirm Bilder eines digitalisierten Ackers Fokus: „An kurzfristig maximalem dertmal stärker als das Treibhausgas CO2 wirkt.“ Bislang entnahmen Landwirte Ertrag sind wir nicht interessiert, Die Modelle besagen also, dass Treibhauseffek- jedem Hektar Feld einige Proben denn das ist nicht nachhaltig“, so te durch die Landwirtschaft vermieden werden und schickten sie zur Analyse ins Bastian Kubsch. Schließlich betont können. Ob das stimmt, wird die Praxis zeigen. Labor. Eine Methode, die für Dr. er, dass wir in einem Zeitalter des Jochen Müller Bastian Kubsch viel zu grob ist, denn „Bodencharakteristika kön- nen innerhalb weniger Meter ganz unterschiedlich sein“. Kubsch studierte Biotechnolo- Wagniskapital und Beratung gie an der Brandenburgischen Die Konzeption zu „Smart Cloud Farming“ begann im Sommer Technischen Universität Cottbus- 2017. Seit Februar 2018 beziehen die Gründer über das Centre Senftenberg und promovierte an- for Entrepreneurship (CfE) der TU Berlin eine EXIST-Förderung ©© TU Berlin/PR/Felix Noak schließend im Bereich Biophysik des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie. Bei bis zu drei am Max-Planck-Institut für Kol loid- und Grenzflächenforschung Mitgründern erhalten sie einen Büroraum im CfE, Sachmittel und in Potsdam. Gemeinsam mit dem Coachings für ein Jahr. TU-Professor Dr. Odej Kao, Leiter des Fach- Biotechnologen Michele Ban- gebietes Komplexe und Verteilte IT-Systeme, ist ihr Mentor. jmu
Seite B8 Visionen für die Ernährung der Welt + TU intern plus · Nr. 3/Februar 2019 Essen für alle Ende 2018 lebten knapp 7,7 Milliarden Menschen auf diesem Planeten. Um das Jahr 2035 werden es neun Milliarden sein. Angesichts dieser Zahlen stellt sich eine einfache Frage, deren Beantwortung jedoch alles andere als simpel ist: Wie schaffen wir es, auch in Zukunft alle Menschen mit Lebensmitteln zu versorgen? S pricht man mit Forscherinnen und Forschern über die Zukunft der Lebensmittelversor- gung, gibt es grundsätzlich zwei Ansätze, um eine wachsende Bevölkerung satt zu bekommen – und sie existieren ergänzend zueinander: Der quanti- tative Ansatz lautet: Mehr hilft mehr. Je mehr Es- sen produziert wird, desto mehr Menschen wer- den satt. Der qualitative Ansatz beschäftigt sich hingegen mit der Effizienz, indem bestehende Produkte weiterentwickelt oder besser verteilt werden. „Wir produzieren Jahr für Jahr auf der Welt viel mehr Lebensmittel, als wir verwerten können“, sagt etwa Benjamin Nitsche, wissen- schaftlicher Mitarbeiter am Institut für Logistik der TU Berlin. Das Grundproblem ist allerdings: Es lohnt sich derzeit finanziell nicht, diese auch so zu verteilen, dass alle Menschen satt werden. „Stattdessen beliefern wir wohlhabende Länder mit einem Überschuss an Lebensmitteln und werfen diese dann weg.“ Finanziell, so Nitsche, sei es reizvoller, entwickelte Länder mit Lebens- mitteln zu überschütten und 50 Prozent der Le- bensmittel dann zu entsorgen. „Die Hälfte der Nahrung wird einfach nicht genutzt – und zwar vor allem in Zwischenlagern oder am Point of Sale“, so Nitsche. Er und andere Lebensmittellogistiker wollen das ändern. „Ich will wissen: Wie kann ich Lagerzei- ten minimieren? Also: Wie bekomme ich Nah- rung schneller von A nach B?“ Moderne Tech- nologien ermöglichen hier eine Transparenz, die im letzten Jahrhundert noch undenkbar gewesen wäre. Beispielsweise lassen sich heute Lebens- mittel mit Chips punktgenau verfolgen. Spezielle Sticker können in Echtzeit messen und funken, wie sich der Zustand eines in Auslieferung be- findlichen Lebensmittels verändert. Reifegrad, Fäulnis oder Schädlingsbefall können in Echtzeit gemessen und übermittelt werden. Und speziel- le Lebensmittel-Container sind in der Lage, die Lagerungstemperatur in Abhängigkeit vom Um- gebungsklima eigenständig zu regulieren. Mit solchen Maßnahmen wollen Benjamin Nitsche und seine Kolleginnen und Kollegen dazu bei- tragen, dass in entwickelten Ländern weniger Nahrung weggeworfen wird. Erst wenn hier der Bedarf sinkt, wird es für Erzeuger reizvoller, ihre Produkte auch in bedürftigere Regionen zu ex- portieren. Natürlich versus künstlich• Candle-Light-Dinner mit Zink. Zink ist für den Menschen lebensnotwendig und muss über die Nahrung aufgenommen werden. Dabei ist entscheidend, wie Mineralien in den Körp Für das Foto stellte die Mineralogische Sammlung der TU Berlin Sphalerit, auch Zinkblende genannt, zur Verfügung. Essbar ist es natürlich nicht Der Verschwendung von Lebensmitteln inner- halb der Logistikkette entgegenzuwirken, ist ein „Ein weit möglichen sie dort höhere Erträge durch höhere Thermo-Chemical District Networks) entwickel- möglicher Ansatz. Ein anderer ist, den Transport Umgebungstemperaturen. Doch all das erfordert te Gewächshaus-Gebäude-System „produziert von Lebensmitteln generell zu minimieren. Ideal verbreiteter Irrtum Energie. Um die Produktion von Obst und Ge- Wärme, gewinnt Wasser zurück und reichert den wäre es deshalb also, Obst und Gemüse vor allem müse energieautark zu bewerkstelligen und den Innenraum mit CO2 an, was wiederum den Ertrag auch in den Metropolen anzubauen. Aber wo? ist die Annahme, Wasserbedarf zu verringern, erforscht Steffan der Nutzpflanzen erhöht“, so Buchholz. Professor Claus Steffan, Leiter des Fachgebiets dass nicht- mit seinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Claus Steffan: „Im Prinzip versuchen wir ein Gebäudetechnik und Entwerfen, deutet nach geschlossene Kreisläufe: „In Berlin haben wir Gewächshaus zu entwickeln, das nicht selbst oben: „Unseren Schätzungen zufolge könnte behandeltes ein Gewächshaus entworfen und gebaut, das an Energie zum Heizen braucht, sondern umliegen- Berlin mit Obst und Gemüse versorgt werden, einem anderen Gebäude anliegt. Der Clou: An de Gebäude mit Energie versorgt.“ Wie eine Art wenn wir dazu Gebäude mit Dachflächen von Essen das kalten Tagen heizen Abwärme und Abluft des an- Sonnenkollektor, der neben Energie auch noch mindestens 1000 Quadratmetern nutzten.“ Man gesündeste ist.“ liegenden Gebäudes das Gewächshaus mit. Und Gemüse produziert. Das Beste an diesem Ansatz müsste die Dächer mit Gewächshäusern ausstat- an sonnigen Tagen speist das Gewächshaus Wär- sei, dass die Rechnung nicht mal völlig aufgehen ten, deren Bauweise Steffan seit mittlerweile 20 me in das Gebäudeenergiesystem ein.“ Steffans müsse: „Es reicht, wenn das passive Gewächs- Jahren erforscht: „Unser Fachgebiet beschäftigt Prof. Dr. Eckhard Flöter, wissenschaftlichem Mitarbeiter Martin Buchholz haus in der Stadt wesentlich besser ist als das sich mit klimagerechtem Bauen.“ Das bedeu- Leiter des Fachgebiets für gelang es, Luft-, Wasser- und Wärmekreisläufe beheizte in der Landschaft.“ tet, Gebäude so zu konzipieren und zu errich- Lebensmittelverfahrenstechnik passiv zu gestalten und so miteinander zu verbin- Doch nur satt zu werden, reicht nicht. Schließlich ten, dass sie möglichst wenig Energie brauchen den, dass Wohngebäude und Gewächshaus sich wollen und sollen die Menschen auch ein gesun- und CO2 ausstoßen. Und ebendas gilt auch für ergänzen. Das funktioniert, weil die Feuchtigkeit des Leben führen. Die Wissenschaft kommt also Gewächshäuser, in denen ein Großteil der eu- aus der Atemluft der Bewohner*innen direkt in nicht umhin, auch nach der Qualität der Nah- ropäischen Gemüseproduktion stattfindet. Der eine Salzlösung kondensiert. „So ersetzen wir rung zu fragen. Erweitert man die Ausgangsfra- Grund: In diesen Häusern lassen sich die Um- die konventionellen Heizkörper und verringern ge entsprechend, lautet sie: Wie kriegen wir alle gebungsbedingungen kontrollieren. In beheiz- den Energieverbrauch der Lüftungsanlage. Wenn Menschen satt – ohne sie zu vergiften? „Ein weit ten Gewächshäusern Hollands wachsen auch die Salzlösung Feuchtigkeit aufnimmt, entsteht verbreiteter Irrtum ist die Annahme, dass nicht- im Winter Tomaten, im Sommer in Südspanien Wärme.“ Das im Rahmen des von der EU geför- behandeltes Essen das gesündeste ist“, sagt Prof. sparen die Gewächshäuer Wasser, im Winter er- derten Projekts „H-DisNet“ (Intelligent Hybrid Dr. Eckhard Flöter. Flöter ist Lebensmitteltech-
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