LANDTAGS NACHRICHTEN - Landtag MV
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LANDTAG LANDTAGS NACHRICHTEN Mecklenburg-Vorpommern 29. Oktober 8/ 2020 www.landtag-mv.de 30 Jahre Landtag MV +++ Streit um Corona-Strategie +++ Das abgehängte Zugprojekt +++ Land verlängert Regelstudienzeit +++ Kein Impfgipfel +++ Weltraumbahnhof in MV? +++ Ein Hausherr ohne Schlüssel +++ „Jahreszeitenkinder“ zurück am Teepavillon +++
2 I n h a l t AUS DEM PLENUM 3 Aktuelle Stunde „30 Jahre Mecklenburg-Vorpommern – Starkes Land mit klarem Kurs“ auf An- trag der SPD-Fraktion 4 – 10 Auszüge aus der Thomas Krüger (SPD), Ministerpräsidentin Manuela Schwesig, die erste konstituierende Sitzung des Landtages von Mecklenburg-Vorpommern. (Jens Büttner) Original-Debatte Nikolaus Kramer (AfD), Lorenz Caffier (CDU), Simone Oldenburg (DIE LINKE) 11 - 17 Berichte Leichter zum Zebrastreifen kommen Streit um Corona-Strategie Was macht die Kunst? Titelfoto: Am 26.10.1990 leitete Rainer Prachtl als neu gewählter Landtagspräsident Das abgehängte Zugprojekt 18 - 20 Meldungen Zwei neue Richter am Landesverfassungsgericht Landesverdienstorden wird geschlechtsneutral Land regelt Wahl-Assistenz Land verlängert Regelstudienzeit Mehr Anträge auf Einsicht in Stasi-Akten Wie steht es um die Meinungsfreiheit? „Jung sein in MV“: Bericht liegt vor Kein Impfgipfel Landtag diskutiert über höheren Rundfunkbeitrag 21 Gesetzgebung Laufende und abgeschlossene Gesetzgebung 22 - 24 AUS DEN AUSSCHÜSSEN Videokonferenz zu Wohnungsbau und Stadtentwicklung Petition eingereicht Weltraumbahnhof in MV? Fachkräftemangel Beschluss zu Zwischenbericht gefasst Drohnen im Einsatz 25 – 29 PANORAMA „Jahreszeitenkinder“ zurück am Teepavillon Schweriner Schlossrestaurant 30 Jahre Landtag Mecklenburg-Vopommern 30 – 31 Das Schloss vor 30 Jahren Ein Hausherr ohne Schlüssel 32 Chronik Impressum Herausgeber: Layout: Uwe Sinnecker Namentlich gekennzeichnete Beiträge Landtag mecklenburg-Vorpommern geben nicht in jedem Fall die Meinung des - Öffentlichkeitsarbeit - Druck: produktionsbüro TINUS Herausgebers wieder. Schloss, Lennéstraße 1, 19053 Schwerin Gedruckt auf Recyclingpapier Alle Abbildungen sind urheberrechtlich Fon: 0385 / 525-2113, Fax 525-2151 geschützt. Nachdruck nur mit schriftlicher E-Mail: oeffentlichkeitsarbeit@landtag-mv.de Zugunsten des Leseflusses und aus Platz- Genehmigung des Herausgebers. Internet: www.landtag-mv.de gründen haben wir bei der Bezeichnung von Menschengruppen manchmal nur die Die LANDTAGSNACHRICHTEN können redaktion: Referat Öffentlichkeitsarbeit, männliche Form verwendet. In solchen kostenlos bezogen werden. Bestellungen Anna-Maria Leistner Fällen ist die weibliche Form mitgedacht. sind an den Herausgeber zu richten. Redaktionsschluss 9. Oktober 2020 LandtagsNachrichten Mecklenburg-Vorpommern 8/2020
A u s d e m P l e n u m / A u s z ü g e a u s d e r O r i g i n a l - D e b a t t e 3 Kurz vor Beginn der Aktuellen Stunde ist das Medieninteresse groß. Foto: Uwe Sinnecker 30 Jahre MV – stehe für ihn aber fest: „Mecklenburg- Vorpommern hat sich gut entwickelt.“ deshalb neue Gärtner. Lorenz Caffier warnte als Redner der eine Bilanz Das sei in erster Linie den Menschen im Land zu verdanken, die das zarte Pflänz- chen MV hätten wachsen und erblühen CDU davor, Ursachen und Wirkungen durcheinanderzubringen. „Die wirt- schaftliche Talfahrt war nicht das Ergeb- Eine Aktuelle Stunde über lassen. Auch wenn so manche Heraus- nis von friedlicher Revolution und deut- die Entwicklung des Landes forderung, etwa in Bezug auf niedrige scher Einheit. Sie war das Ergebnis von 40 Löhne und Breitbandversorgung, noch Jahren Misswirtschaft in der damaligen zu bewältigen sei: „Die Menschen identi- DDR.“ MV habe sich aber wunderbar ent- fizieren sich mit unserem Land.“ wickelt. Er warb darum, mit Stolz auf die Neubrandenburg. Rostock. Schwe- erbrachten Leistungen der vergangenen rin. Wer am 2. Oktober 1990 in diesen Ministerpräsidentin Manuela Schwesig 30 Jahre zurückzublicken. DDR-Bezirken schlafen ging, wachte am bezeichnete MV als „starkes Land mit nächsten Morgen – mit wenigen geo- klarem Kurs“. Einem klaren Kurs für eine Holger Arppe (fraktionslos) vermisst grafischen Ausnahmen – im Bundes- starke Wirtschaft, soziale Gerechtigkeit die offene Debattenkultur aus der Wen- land Mecklenburg-Vorpommern auf. 30 und ökologische Verantwortung. „Die dezeit. Das habe damals bei vielen Pro- Jahre Deutsche Einheit bedeuten des- drei Dinge halten wir in der Politik der blemlösungen geholfen. „Heute stehen halb auch: 30 Jahre MV. Wie hat sich der Landesregierung zusammen.“ Der Weg wir wieder vor einer Vielzahl von Proble- Nordosten seither entwickelt? Darüber dahin sei nicht einfach gewesen. Anfang men.“ Doch anstatt offen zu diskutieren, debattierten die Abgeordneten wenige der 1990er-Jahre habe die Treuhand fast würden Andersdenkende diffamiert. Das Tage vor dem Landesgeburtstag in der jeden Betrieb stillgelegt. „Ich halte das müsse sich ändern. Aktuellen Stunde. Das Thema festzule- für einen der Fehler, die in der Wende gen, stand turnusgemäß der SPD-Frak- passiert sind.“ Im Rückblick habe der Os- Simone Oldenburg (Fraktionsvorsitzen- tion zu. Sie blickte in der Debatte eben- ten aber auch dafür gesorgt, dass sich de DIE LINKE) hob hervor, dass es neben so wie CDU und Landesregierung Deutschland modernisiere, vor allem allen Errungenschaften noch immer zahl- vordergründig auf Erfolge. Die Opposi- in Bezug auf die Erwerbstätigkeit von reiche Ungerechtigkeiten gebe, etwa bei tion stellte diesem Blickwinkel Schwach- Frauen und eine gute Kita-Betreuung. Löhnen, Renten und Lebensverhältnis- punkte wie niedrige Löhne und unglei- sen. In vielen wirtschaftlichen Bereichen che Renten gegenüber. Die vielen Freiheiten, die die Wiederver- sei MV nach wie vor Bummelletzter. „Das einigung mit sich gebracht habe, seien ist weder ein Zeichen von Stärke noch Die Anfänge seien alles andere als ein- große Errungenschaften, meinte AfD- von klarem Kurs.“ fach gewesen, blickte Thomas Krüger, Fraktionschef Nikolaus Kramer. „Mit den Fraktionsvorsitzender der SPD, zurück. Freiheiten kamen aber auch die Risiken.“ In der Debatte meldeten sich noch wei- „Vieles wurde zu schnell abgewickelt, zu Sein Fazit falle daher nicht so „schön und tere Redner zu Wort. Die vollständigen schnell privatisiert oder durch Strukturen rosig“ aus. „Ich sehe hier eine Werftenkri- Redebeiträge finden Sie zum Nachlesen aus den alten Bundesländern ersetzt.“ Mit se.“ Hinzu kämen eine Bildungskrise, eine auf der Website des Landtags (Parla- dramatischen Folgen für die Menschen. energiepolitische Krise, eine Migrations- mentsdokumte/Plenarprotokolle) oder Er erinnerte an Deindustrialisierung, Mas- krise, eine Lohnkrise und eine Digitali- zum Nachhören auf dem YouTube-Kanal senarbeitslosigkeit, Abwanderung und sierungskrise. Das zarte Pflänzchen, von unter www.landtag-mv.de. Strukturbrüche. Heute, 30 Jahre später, dem die SPD gesprochen habe, brauche LandtagsNachrichten Mecklenburg-Vorpommern 8/2020
4 A u s d e m P l e n u m / A u s z ü g e a u s d e r O r i g i n a l - D e b a t t e Thomas Krüger, SPD: […] ich möchte mich an dieser Stelle […] für die gesamt- deutsche Solidarität bedanken. Es war keine Selbstverständ- „Heute sind wir lichkeit, dass auch die Menschen aus den alten Bundeslän- dern bereit waren, hier mit einzuzahlen, hier mitzuhelfen, ein selbstbewusstes die ostdeutschen Bundesländer mit aufzubauen, und dafür ein herzliches Dankeschön […]! Bundesland.“ (Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU) Foto: Uwe Sinnecker Einen zweiten Dank möchte ich loswerden. Und zwar ha- ben Menschen, die aus den alten Bundesländern zu uns gekommen sind, hier mit angepackt haben, das Land mit aufgebaut haben, die inzwischen hier eine Heimat gefun- den haben – wir haben sie damals gebraucht, das ist so […] und dafür ein herzliches Dankeschön! (Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD, CDU und DIE LINKE) Heute […] sind wir ein selbstbewusstes Bundesland. Wir stehen ökonomisch, wirtschaftlich im Geflecht der Bundes- republik auf eigenen Beinen. Heute sagen 88 Prozent der […] In der nächsten Woche feiert unser schönes Bundesland Menschen, dass sich Mecklenburg-Vorpommern gut ent- seinen 30. Geburtstag. […] wickelt hat. Heute sind wir das beliebteste Urlaubsland der Deutschen. Heute haben wir im Vergleich zu 2004 nur noch Wer wie ich die Jahre vor der Wende in der DDR erlebt hat, ein Drittel der Arbeitslosen. Heute sind wir das erste Bun- der hat erlebt, wie die Unzufriedenheit der Menschen ge- desland, das Kita- und Krippenangebote ganztags kostenfrei wachsen ist und wie zeitgleich die Erstarrung des Systems anbieten kann. Heute sind wir das Bundesland, das für seine der DDR vorangeschritten ist. Der sogenannte real existie- intakte Natur bewundert wird. Heute haben wir eine starke rende Sozialismus war nicht in der Lage, die wirtschaftlichen Land- und Ernährungswirtschaft. Heute können wir uns als Bedürfnisse der Menschen zu erfüllen. Gleichzeitig haben erstes Bundesland zu 100 Prozent mit Strom aus selbst er- wir erlebt, dass die Grundfreiheiten, die heute gelten, […] zeugten regenerativen Energien versorgen. Wir sorgen mit den Menschen zu gewähren, Grundrechte, die heute im der höchsten Pro-Kopf-Dichte aller Flächenländer an Polizei Grundgesetz der Bundesrepublik festgeschrieben sind, für ein sicheres Mecklenburg-Vorpommern, und […] heute Grundrechte, auf die wir stolz sind. sind wir das Bundesland, was von allen […] am besten durch die […] Corona-Krise kommt. Meine sehr geehrten Damen und Herren, die politische Wende von 1989 und der sich anschließende Prozess der (Beifall vonseiten der Fraktion der SPD) Wiedervereinigung waren nicht frei von Irrtümern, waren nicht frei von Fehlern. Vieles wurde zu schnell abgewickelt, […] richtig ist aber auch, dass wir noch nicht alle Herausfor- zu schnell privatisiert oder durch Strukturen aus den alten derungen gelöst haben. Wir arbeiten beispielsweise daran, Bundesländern ersetzt. Letztlich […] hatte das dramatische unsere Schulen noch besser zu machen, mehr Lehrerinnen Folgen für die Menschen. Wir wissen das, es gab es eine und Lehrer zu gewinnen, ein Problem, was übrigens alle Deindustrialisierung wie zuvor nur durch den Zweiten Welt- Bundesländer haben. Da ist vieles bereits passiert: Wir sind krieg. spitze mit unserer Lehrerwerbungskampagne. Als einziges Bundesland haben wir vier Einstellungstermine für Referen- Meine Damen und Herren, diese schwere Hypothek der dare. Wir bezahlen die Grundschullehrerinnen und Wendefehler in Kombination mit dem maroden Zustand -lehrer besser, machen die Arbeit damit attraktiver und natür- vieler ostdeutscher Betriebe […] hat dieses Land lange ge- lich auch im Kontext aller Bundesländer konkurrenzfähiger. prägt und tut dies […] heute. Wir hatten zu tun mit Massen- Wir haben die Zahl der Studienplätze für das Grundschul- arbeitslosigkeit, […] einer massiven Abwanderung […] und lehramt verdoppelt und für weitere Schulamtsstudiengänge […] permanenten Strukturanpassungen. Heute, 30 Jahre Ressourcen zur Verfügung gestellt. Wir konnten […] so viel später, können wir trotz aller Baustellen, die noch verblei- Lehrer und Referendare einstellen wie in der Geschichte die- ben, behaupten, die Deutsche Einheit ist gelungen. Meck- ses Landes zuvor nicht. lenburg-Vorpommern hat sich gut entwickelt. Das haben die Menschen bei uns im Land erarbeitet. (Beifall vonseiten der Fraktion der SPD) Wir machen damit Schule besser. LandtagsNachrichten Mecklenburg-Vorpommern 8/2020
A u s d e m P l e n u m / A u s z ü g e a u s d e r O r i g i n a l - D e b a t t e 5 Eine weitere Herausforderung […] sind die nach wie vor Ministerpräsidentin Manuela Schwesig: viel zu niedrigen Löhne. […] Wir brauchen […] endlich eine breite Anwendung von Tarifverträgen. Es reicht eben nicht, „Der Osten hat dafür wenn nur ein Bruchteil der Betriebe sich an Tarife hält und der Rest der Branche den Wettbewerb über Niedriglöhne gesorgt, dass sich austrägt. Deshalb fordern wir Tariflöhne und attraktive Ar- beitsbedingungen […]. Deutschland modernisiert.“ Wo wir als Politik die Lohnentwicklung unterstützen können, haben wir das getan. Wir haben als Sozialdemokraten auf Foto: Uwe Sinnecker Bundesebene den Mindestlohn durchgesetzt. Wir haben hier auf Landesebene […] den Vergabelohn entsprechend neu aufgesetzt. […] Aber […] wir Sozialdemokraten wollen mehr. Wir wollen, dass künftig neben dieser Untergrenze auch beim Vergabelohn der jeweilig gültige Tarifvertrag zur Anwendung kommt. Damit stärken wir dann auch die Ar- beitgeber, die sich vorbildlich an Sozialpartnerschaft halten. Tariftreue gehört eben belohnt und nicht bestraft. (Beifall vonseiten der Fraktion der SPD) […] letztlich […] können wir als Politik aber auch nur Druck im Tarifsystem auslösen, denn […] Löhne werden nach wie vor von Arbeitgebern und Arbeitnehmern ausgehandelt. Und es Wir haben es unseren Bürgerinnen und Bürgern zu verdan- ist notwendig, dass sich möglichst viele […] Arbeitnehmerin- ken, dass sich Mecklenburg-Vorpommern die letzten 30 Jahre nen und Arbeitnehmer in Gewerkschaften organisieren, dass gut und stark entwickelt hat und dass wir in der schwersten wir starke Gewerkschaften haben und dass wir darüber auch Krise, die Deutschland, Europa und die Welt gesehen haben die Lohnentwicklung nach oben in Gang setzen. […] am besten durchkommen. Vielen Dank an unsere Bürge- rinnen und Bürger! […] eine weitere Herausforderung ist die immer noch nicht flächendeckend vorhandene Breitbandversorgung. Aus un- (Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU) serer Sicht ist es ein Skandal, dass sich milliardenschwere Telekommunikationsunternehmen seit vielen Jahren wei- 1991 hatten wir ein Bruttoinlandsprodukt von 14 Milliar- gern können, auch die nicht ganz so profitablen Gebiete den Euro, 2019 46 Milliarden Euro. Wir hatten noch 2005 die auszubauen. Ich bin mir sicher, […] wäre das ein bayerisches höchste Arbeitslosigkeit mit 26 Prozent und aktuell, trotz Co- Problem, wäre das CSU-geführte Bundesverkehrsministeri- rona, 7,9 Prozent. Das zeigt, wie gut sich die Wirtschaft und um längst dabei, eine entsprechende Regelung aufzusetzen auch der Arbeitsmarkt entwickelt haben. […]. (Beifall vonseiten der Fraktion der SPD) […] stattdessen müssen wir jetzt Steuergelder in die Hand nehmen und mit Steuergeldern die Lücken schließen. Wir tun […] 1990/1991 lag das Durchschnittsentgelt eines Arbeitneh- das. Gemeinsam mit dem Bund investieren wir in Mecklen- mers in M-V ungefähr bei 13.000 Euro. Heute sind es 36.500 burg-Vorpommern 1,5 Milliarden Euro […]. Das ist das größte Euro […] Es hat sich sehr viel getan beim Thema starke Wirt- Infrastrukturprogramm der Geschichte unseres Landes. […] schaft, beim Thema gute Arbeit, und auch die Löhne haben sich praktisch verdreifacht. Dennoch bleibt das wichtigste Meine sehr geehrten Damen und Herren, in den vergange- Ziel der Landesregierung, weiter dafür zu sorgen, dass unsere nen 30 Jahren ist es den Menschen im Land gelungen, das Wirtschaft sich weiter gut entwickelt und dass das für unsere im ostdeutschen Vergleich zunächst besonders zarte Pflänz- Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gute Löhne bedeutet chen Mecklenburg-Vorpommern wachsen und erblühen zu und dass wir beim Thema Löhne auch vorankommen […]. lassen. […] Die Menschen leben hier gerne und sind stolz auf unser Land. Rückblickend können wir aber auch selbstbewusst sagen, dass es Dinge gab, bei denen der Osten eine Vorbildrolle (Beifall vonseiten der Fraktion der SPD) übernommen hat. Das beginnt mit der Erwerbstätigkeit der Frauen. Waren es in der DDR 90 Prozent erwerbstätige Frauen, Lassen Sie uns […] weiter auf eine lebenswerte Zukunft hin- ging im Westen nur jede zweite Frau arbeiten. Das ging dort arbeiten! […] gar nicht anders, weil es gar keine Infrastruktur gab. Heute haben sie auf 71 Prozent aufgeholt. Das liegt ganz klar an (Beifall vonseiten der Fraktion der SPD dem Ausbau der Infrastruktur der Kinderbetreuung. In Meck- und Torsten Renz, CDU) lenburg-Vorpommern gehen längst mehr als die Hälfte aller LandtagsNachrichten Mecklenburg-Vorpommern 8/2020
6 A u s d e m P l e n u m / A u s z ü g e a u s d e r O r i g i n a l - D e b a t t e Foto: Uwe Sinnecker unter Dreijährigen in eine Krippe oder zur Tagesmutter/ zum Die Aufgaben der nächsten Jahre sind klar: Wir müssen dafür Tagesvater und 94 Prozent aller Drei- bis Sechsjährigen wer- sorgen, dass Wirtschaft und Arbeitsplätze gesichert werden den betreut. und weiter entstehen. Wir wollen ein soziales Land, in dem Familien, Kinder und Ältere Unterstützung bekommen […] Und, meine Damen und Herren, diese Kinder gehen auf frei- und wir wollen das Thema „Gleichberechtigung von Frauen willigen Wunsch der Eltern in Krippe und Kindergarten, weil und Männern“ voranbringen. Wir wollen ein Land, das sich es ein gutes Angebot ist, weil es das überwiegende Lebens- nachhaltig entwickelt, in dem wir unsere schöne Natur und modell ist, dass sich Mütter und Väter wünschen, Beruf und Umwelt erhalten und damit auch zukünftige Generationen Familie vereinbaren zu können […]. Ich bin sicher, hätte es die gesund und glücklich hier leben können. […] deutsche Einheit nicht gegeben, hätte es hier nicht den Os- ten als Vorbildrolle gegeben, müssten die Mütter und Väter im Westen immer noch auf Kitaplätze warten. (Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU) (Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und DIE LINKE) Der Osten hat dafür gesorgt, dass sich Deutschland moder- nisiert […]. LandtagsNachrichten Mecklenburg-Vorpommern 8/2020
A u s d e m P l e n u m / A u s z ü g e a u s d e r O r i g i n a l - D e b a t t e 7 Nikolaus Kramer, AfD: […] Unser Bruttoinlandsprodukt pro Kopf liegt 2019 bei le- diglich 70 Prozent des deutschen Durchschnitts. […] Jeder „Geben wir unseren unserer Bürger hat für seine persönlichen Bedürfnisse rund 2.500 Euro im Jahr weniger als im Bundesdurchschnitt zur eigenen Bürgern eine Verfügung. […] wirtschaftliche und soziale Wenn die Lebensverhältnisse nicht gleichwertig sind, dann gehen die Menschen dorthin, wo es besser ist. Bleibeperspektive!“ (Zuruf von Thomas Krüger, SPD) Die Bevölkerungszahlen in Mecklenburg-Vorpommern sind Foto: Uwe Sinnecker dramatisch zurückgegangen. Im Jahr 1990 hatte M-V 1,9 Millionen Einwohner, heute sind es 1,6. In 30 Jahren also 300.000 Menschen weniger, (Zuruf von Thomas Krüger, SPD) 300.000 Menschen, 300.000 Menschen, die unser Land ver- lassen haben, Herr Krüger. […] Sie reden doch in diesem Zu- sammenhang so gern davon, die Fluchtursachen in anderen Ländern zu beseitigen. Fangen wir doch einfach mal bei uns zu Hause an mit der Beseitigung von Abwanderungsursa- chen! (Beifall vonseiten der Fraktion der AfD – Sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin! Sehr geehrte Damen Zuruf von Patrick Dahlemann, SPD) und Herren Abgeordnete! Liebe Gäste hier im Hohen Hause! Liebe Landsleute! […] Geben wir unseren eigenen Bürgern eine wirtschaftliche und soziale Bleibeperspektive! […] Sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin, […] Seit der Wende haben wir die Institutionen des Rechts- Vor 31 Jahren begann eine Zeitenwende auf dem Gebiet der staates und der Demokratie aufgebaut und mit Leben er- sowjetischen Besatzungszone durch die sogenannten Mon- füllt. Damit darf es aber nicht getan sein, wir dürfen uns nicht tagsdemos, zurücklehnen. (Heiterkeit und Zuruf (Thomas Krüger, SPD: von Peter Ritter, DIE LINKE) Wo sind denn Ihre Vorschläge?) und es gipfelte in den Großdemonstrationen in Leipzig mit Unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung muss täg- einer Menschenkette am 3. Advent, […] lich aufs Neue verteidigt werden. Dies ist uns nur bedingt gelungen. Nach wie vor schaffen es Mitläufer und Mittäter Und wenn es Sie nicht interessiert, brauchen Sie ja auch der alten Diktatur noch in Spitzenpositionen in unserem nicht zuzuhören. Land bis ins Landesverfassungsgericht hinein. (Peter Ritter, DIE LINKE: Ich höre aufmerksam (Beifall vonseiten der Fraktion der AfD – zu, aber es interessiert mich nicht.) Zuruf von Dr. Ralph Weber, AfD) Und heute, rund 30 Jahre später, nach einer Generation wird […] Immer mehr Bürger sehen die Fehlentwicklungen und es Zeit, ehrlich zu bilanzieren. […] Wir haben wirtschaftliche Versäumnisse. Vieles davon kommt ihnen wieder bekannt Freiheiten gewonnen […] Und wir können heute stolz sein vor. […] auf die Zehntausenden Unternehmen und Selbstständigen hier bei uns im Land. Mit den Freiheiten kamen aber auch die (Beifall vonseiten der Fraktion der AfD) Risiken. Wir müssen seit Jahrzehnten unseren Werften unter die Arme greifen. Viele bekannte Unternehmen schlossen Die Bürger hier im Land sehen die vollmundigen Verspre- ihre Pforten, viele vertraute Marken verschwanden. Denken chungen aus diesem Hause in den Medien, aber in ihren wir nur allein in dieser Legislaturperiode an den Rügener Ba- Jackentaschen haben sie nur leere Geldbörsen. dejungen, den Tutower Senf oder die Jarmener Mühle, um nur einige wenige zu nennen. LandtagsNachrichten Mecklenburg-Vorpommern 8/2020
8 A u s d e m P l e n u m / A u s z ü g e a u s d e r O r i g i n a l - D e b a t t e Lorenz Caffier, CDU: „Mir ist aber vor allen Dingen wichtig, was die Menschen in dieser Zeit geleistet haben.“ Fotos: Uwe Sinnecker (Thomas Krüger, SPD: Fangen Sie doch endlich mal an, Alternativen zu präsentieren!) […] Die Lösungen dafür haben wir Ihnen hier immer wieder aufgezeigt. […] Wir haben allen Grund,[…] gemeinsam mit Stolz auf das (Thomas Krüger, SPD: Oh! Das ist aber neu.) zurückzublicken, was die Menschen in diesem Land in den zurückliegenden 30 Jahren für beachtliche Leistungen er- Ändern Sie Ihre Fördermittelpolitik der GRW-Mittel! Hinter- bracht haben. fragen Sie die teure Windenergiepolitik! Stoppen Sie Sozial- experimente wie zum Beispiel die Inklusion! (Beifall vonseiten der Fraktionen der SPD und CDU) (Beifall vonseiten der Fraktion der AfD) Stärken Sie den ÖPNV im ländlichen Raum! Retten Sie unsere […] Der 3. Oktober 1990 war der Neuanfang für unser Bun- Küstenfischer vor den EU-Bürokraten! Schicken Sie ausreise- desland. Aber viel mehr noch, er war der Neuanfang für 1,9 pflichtige Personen endlich nach Hause! Millionen Menschen. Bei aller Freude über das erreichte Ziel, die Wiedervereinigung selbst, war doch auch mehr und (Beifall vonseiten der Fraktion der AfD – mehr spürbar, was den Menschen dabei im Alltag abver- Zuruf von Thomas de Jesus Fernandes, AfD) langt wurde. […] wir müssen uns immer wieder mal an den Zustand der Industrien, unserer Stadtzentren, unserer Stra- Treten Sie für eine bürgernahe, sparsame und effiziente Ver- ßen, unserer Umwelt erinnern, wie er 89/90 war. waltung vor Ort ein und nicht für eine aufgeblähte Staats- kanzlei mit Propagandareferat! (Zuruf aus dem Plenum: Genau.) (Beifall vonseiten der Fraktion der AfD) Die wirtschaftliche Talfahrt war nicht das Ergebnis von fried- licher Revolution und deutscher Einheit, sondern sie war das Herr Krüger sprach zum Abschluss seines Redebeitrages von Ergebnis von 40 Jahre Misswirtschaft in der damaligen DDR einem zarten Pflänzchen, welches in M-V erblühte. Ich sage, […]. es wird Zeit für neue Gärtner. – Herzlichen Dank! (Beifall vonseiten der Fraktion der AfD – […] Die DDR war nicht nur ein politischer Unrechtsstaat, son- Zuruf von Sebastian Ehlers, CDU) dern der Sozialismus war auch ökologisch eine Bankrotter- klärung. (Beifall vonseiten der Fraktionen der CDU und AfD) LandtagsNachrichten Mecklenburg-Vorpommern 8/2020
A u s d e m P l e n u m / A u s z ü g e a u s d e r O r i g i n a l - D e b a t t e 9 Fotos: Uwe Sinnecker […] Ich will gar nicht so sehr vergleichen zwischen 1990 und Nicht zuletzt denke ich eben auch als Europaminister an all heute. Ich bin überzeugt, dass sich die zentrale Aufgabe für das, was sich hier in den letzten 30 Jahren verändert hat. Aus Abgeordnete nicht geändert hat: zuhören vor Ort, Themen der Europäischen Gemeinschaft der 12 ist längst die Europä- mitnehmen und dann handeln – vollkommen egal, aus wel- ische Union der 27 geworden […], zugleich haben wir aber cher Fraktion, einfach mitnehmen und handeln. […] in der Eurokrise 2009 erlebt, dass der immer weiter gehende Weg der Integration auch erstmals auf größere Reserviert- Mir ist aber vor allen Dingen wichtig, was die Menschen in heit stieß. […] dieser Zeit geleistet haben, denn die […] Entwicklung un- seres Landes ist nicht in erster Linie Ergebnis der politischen Ich habe zu Beginn gesagt, wie sehr der 3. Oktober für uns Entwicklung, sondern es ist das Ergebnis der Menschen […] alle ein Neubeginn war. Ja, das stimmt, aber die gesamten die Mecklenburg-Vorpommern zu dem machen wollten, 30 Jahre waren ein weiterer Veränderungsprozess. […] Inso- was es ohne Mauer und Stacheldraht schon längst gewesen fern war die Herausforderung, dass wir im Grunde in einer wäre. Generation gleich zwei Brüche hatten, natürlich eine beson- dere, für alle. Ich erwähne das deshalb, weil ich glaube, dass 30 Jahre Mecklenburg-Vorpommern löst natürlich auch im- dies ein zentraler Grund dafür ist, wie sich die Debatten in mer wieder Erinnerungen aus. Ich denke an die emotionale unserem Land verändert haben. Nicht jeder begreift diese Entscheidung zur Landeshauptstadt zwischen Rostock und Veränderung und diese Geschwindigkeiten immer als einen Schwerin und Güstrow. […] persönlichen Gewinn. Wir haben hier im Landtag deshalb auch die Aufgabe, Ängste und Sorgen ernst zu nehmen. Wir Ich denke aber gerade auch als Innenminister an die Ereig- müssen sie uns nicht immer zu eigen machen, aber wir dür- nisse, die für unser Land beschämend waren. 1992 entlud fen uns nicht einfach arrogant über sie stellen. sich in Rostock-Lichtenhagen der Hass. […] Hass und Hetze mögen heute in einem anderen Gewand daherkommen, Mecklenburg-Vorpommern war auch 1990 eins, wenn nicht aber Lichtenhagen lehrt uns, wie wichtig es ist, nichts zu das schönste Stück Deutschlands. Dank des Zusammenhalts verharmlosen. Der Staat, aber auch die Gesellschaft insge- im Land gilt das heute noch, vielleicht sogar ein bisschen samt müssen gemeinsam zusammenstehen gegen Hass mehr. Und gerade die aktuelle Pandemie zeigt, wie wich- und Gewalt. […] tig Zusammenhalt ist und wie viel Gestaltungskraft in uns allen gemeinsam steckt. Es waren vielleicht gerade die Er- Als Kommunalminister denke ich natürlich auch an die Ge- fahrungen dieser 30 Jahre, die uns auch vor etwas wie einer bietsreform. Die Diskussion um den Zuschnitt der Landkreise Pandemie nicht verzagen lassen, […] ich bin überzeugt, dass hat gezeigt, wie sehr die Frage der Verwurzelung die Men- wir jede Herausforderung meistern werden. Dafür wünsche schen in unserem Land umhertreibt. Und gerade mit Blick ich uns viel Kraft und Gottes Segen. auf die Geschichte bis 1990 habe ich es damals immer als ein Glück begriffen, dass wir solche Debatten offen und ohne (lang anhaltender Beifall vonseiten Ängste miteinander führen können […]. Die Dörfer, Städte der Fraktionen der SPD und CDU) und Landkreise sind eben nicht einfach ein politisches An- hängsel der großen zentralen Parteiführung, wie bis 1990, sondern sie bilden […] den Kern unseres Bundeslandes […]. LandtagsNachrichten Mecklenburg-Vorpommern 8/2020
10 A u s d e m P l e n u m / A u s z ü g e a u s d e r O r i g i n a l - D e b a t t e Simone Oldenburg, DIE LINKE: „Es gibt keine wirtschaft- liche Angleichung und es gibt viel zu wenige Ostdeutsche in Führungs- positionen.“ Fotos: Uwe Sinnecker Sehr geehrte Damen und Herren, verkennen dürfen wir aber auch nicht, dass wir 30 Jahre nach diesem historischen Glücks- fall noch immer genügend Unglück und Ungerechtigkeiten zu verzeichnen haben, die zeigen, dass das Land nicht stark genug ist und der Kurs eben nicht immer der richtige, denn auch nach drei Jahrzehnten gibt es keine gleichen Löhne für gleichwertige Arbeit, es gibt keine gleichen Renten in Ost und Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! […] Dan- West, es gibt keine gleichwertigen Lebensverhältnisse in Ost ke den Frauen und Männern, die für einen friedlichen Weg in und West und auch nicht zwischen Mecklenburg und Vor- die deutsche Einheit so vehement demonstriert haben, dass pommern. Es gibt keine wirtschaftliche Angleichung und es das Verschweigen und die rigiden Maßnahmen des Staates es gibt viel zu wenige Ostdeutsche in Führungspositionen des nicht geschafft haben, den Prozess der Millionen zu unterdrü- Bundes, aber auch der Landesbehörden in Mecklenburg-Vor- cken! Sie haben die Mauer zum Einsturz gebracht, die nicht pommern. Der Osten ist in wirtschaftlicher Hinsicht schwä- nur Familien und Leben trennte, sondern die Hunderte Leben cher als der Westen und dabei ist Mecklenburg-Vorpommern gekostet hat. auch noch am schwächsten. (Beifall vonseiten der Fraktionen (Zuruf von Egbert Liskow, CDU) der SPD und DIE LINKE) […] bleiben wir uns der historischen Dimension der deutschen […] wenn im Großen und Ganzen von uns nicht mehr als der Einheit bewusst und sorgen wir vielleicht auch wieder durch grüne Pfeil und das Ampelmännchen akzeptiert und über- runde Tische dafür, dass nicht über die Menschen bestimmt nommen wurden, müssen wir uns nicht wundern, dass auch und entschieden wird, sondern mit ihnen, damit das Leben nach 30 Jahren die Einheit noch nicht weiter vorangeschrit- eines zufällig in Mecklenburg-Vorpommern Geborenen und ten ist. Hier muss dringend ein Kurswechsel erfolgen, denn ganz bewusst Gebliebenen nicht länger anders, nicht länger die Route ist nicht immer die richtige. schlechter bewertet wird als das eines zufällig in Bayern Gebo- renen und Gebliebenen! (Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE) (Beifall vonseiten der Fraktion DIE LINKE) Aber niemand von uns darf verkennen, dass sehr, sehr viel Geld in den Osten Deutschlands geflossen ist, um die Infrastruktur zu verbessern, um den unermesslichen Sanierungsstau abzu- bauen, um den Städten neuen Glanz zu geben, die Straßen instand zu setzen und neue zu bauen. […] Es gab nicht zu relativierende und nicht zu rechtfertigende Einschränkungen In der Debatte haben noch weitere Redner gesprochen. in der Freiheit – in der Reisefreiheit, in der Pressefreiheit, in der Die vollständigen Redebeiträge finden Sie zum Nachle- Meinungsfreiheit. Kein Staat darf versuchen, den freien Willen sen auf der Website des Landtags (Parlamentsdokumente/ und die freie Entscheidung seiner Bürgerinnen und Bürger zu Plenarprotokolle) oder zum Nachhören auf dem YouTube- unterdrücken und zu verbieten. Kanal unter www.landtag-mv.de LandtagsNachrichten Mecklenburg-Vorpommern 8/2020
A u s d e m P l e n u m / B e r i c h t e 11 Leichter zum Foto: Jens Büttner Zebrastreifen kommen Landtag drängt darauf, die Hürden für Fußgängerüberwege zu senken Ein paar weiße Streifen auf die Fahr- bahn malen, zwei Schilder aufstellen und fertig ist der Fußgängerüberweg? Wenn das so einfach wäre, hätten die Menschen in Jürgenstorf (Landkreis Mecklenburgische Seenplatte) ihr Ziel Die Richtlinien für Fußgängerüberwege sehen Zebrastreifen dort vor, wo in der Spitzenstunde mindestens 50 vielleicht schon erreicht. Sie kämpfen Personen die Fahrbahn überqueren und mindestens 200 Fahrzeuge an dieser Stelle vorbeifahren. seit Langem für einen Zebrastreifen an bisschen Farbe das Leben der Menschen dem Jahr 2001 und enthielten auch keine der B194, der es vor allem Senioren und sicherer zu machen. weiteren Punkte zum Thema Barrierefrei- Kindern erleichtert, die Straße zu über- heit. „Eine Erneuerung dieser Richtlinien queren. Die Anforderungen an solche Verkehrsminister Christian Pegel kün- ist also ratsam.“ In diesem Zuge könnten Überwege sind jedoch hoch. Insbeson- digte an, sich beim Bund für Anpas- dann auch die bereits vorgesehenen dere die vorgeschriebene Mindestan- sungen einzusetzen. „Gerade für kleine Ausnahmefälle für Ortschaften, die auf- zahl an Fußgängern lässt sich in länd- Gemeinden, die nur wenige hundert grund ihrer Einwohnerstruktur durchs lichen Räumen kaum erreichen. Einwohnerinnen und Einwohner haben, Raster fielen, konkretisiert werden. Geregelt sind die Vorgaben in einer ist das häufig eine extrem günstigere Al- bundesweiten Verwaltungsvorschrift. ternative zur der sehr viel teureren Am- Für Dietmar Eifler (CDU) greift der An- Das bedeutet: Land oder Kommunen pel.“ Er machte aber auch deutlich, dass trag einen wichtigen Punkt auf, um die können sie nicht eigenmächtig ändern. es nicht einfach werde, andere, vor allem Lebensverhältnisse der Menschen in Auf Initiative der SPD-Fraktion erteilte viel dichter besiedelte Bundesländer von Stadt und Land anzugleichen. „Insofern der Landtag deshalb der Landesregie- der Notwendigkeit zu überzeugen: Die ist er richtig platziert.“ Ein Großteil der rung einstimmig den Auftrag, sich auf vorgegebenen Mindestzahlen von 50 Dörfer im Land werde durch Bundes- Bundesebene für eine Anpassung der Fußgängern und 200 Autos pro Stunde oder Landesstraßen geschnitten. „Das Vorschriften einzusetzen. Mit dem Ziel, beruhten auf einem bundesdeutschen Verkehrsaufkommen ist in den letzten die Möglichkeiten zur Errichtung von Durchschnitt. Auch abseits von Zahlen Jahren deutlich gestiegen.“ Darauf müs- Zebrastreifen auszuweiten. setze die Verwaltungsvorschrift Maßstä- se reagiert werden. Im Moment seien be an, die viele Gemeinden in MV nicht den Genehmigungsbehörden jedoch Nach den derzeitigen Regelungen müs- erfüllen können – zum Beispiel: auf bei- vielfach die Hände gebunden. Mit den sen in der Spitze mindestens 50 Per- den Seiten Gehwege vorzuhalten. Seiner angestrebten Änderungen hätte die sonen die Straße überqueren, erläuterte Meinung nach müsste die Verordnung kommunale Selbstverwaltung mehr Jochen Schulte (SPD). Er plädierte dafür, deshalb an mehreren Stellen zugunsten Möglichkeiten, Fußgängerüberwege sich nicht vornehmlich an solchen Zah- individueller Gegebenheiten vor Ort ge- zuzulassen. Dabei gehe es vor allem um len zu orientieren. „Ist nicht die Gesamt- ändert werden. „Das wird ein nicht ganz Querungen, die Kindern den Schulweg situation vor Ort das Entscheidende?“ einfaches Unterfangen.“ erleichterten oder älteren Menschen Die bestehenden Regelungen führten den Gang zum Einkauf. Dass im Ergeb- zu der „aberwitzigen Situation“, dass es Mehr Sicherheit für Fußgänger – dem nis wahllos Zebrastreifen entstünden, einfacher sei, eine vergleichsweise viel schließe sich seine Fraktion an, sagte schloss er aus. „Das ist nicht zu befürch- teurere Ampel zu errichten als einen Stephan J. Reuken (AfD). „Unser Bun- ten, weil die Gemeinden die Entschei- Fußgängerüberweg. Dabei biete ein desland ist das am dünnsten besiedelte dungen verantwortlich treffen.“ gut geplanter Fußgängerüberweg laut und wir haben eine große Zahl kleiner Unfallforschung genauso viel Verkehrs- Ortschaften und Siedlungen.“ Das könne „Mit dem Antrag soll mehr Verkehrssi- sicherheit wie eine Fußgängerampel. Für nicht unberücksichtigt bleiben. „Aus un- cherheit erreicht werden. Das ist gut. Alles, die Menschen vor Ort, insbesondere für serer Sicht gibt es zwei Möglichkeiten, die was hilft, Unfälle zu vermeiden und die Familien, Kinder und Senioren, sei das Situation zu ändern: Entweder man än- Sicherheit für alle zu verbessern, begrü- ein ernstes Thema. Der Antrag wolle er- dert die Verwaltungsvorschrift oder die ßen wir“, äußerte Dr. Mignon Schwenke reichen, mit geringem Aufwand und ein Richtlinien.“ Letztere stammten noch aus (DIE LINKE). Zebrastreifen allein könnten LandtagsNachrichten Mecklenburg-Vorpommern 8/2020
12 A u s d e m P l e n u m / B e r i c h t e aber nicht der Weisheit letzter Schluss sein. „Die Prioritäten müssen sich grund- Streit um Von einer Gefährdung der Grundrechte könne keine Rede sein. Alle Einschrän- legend ändern.“ Die Straßenverkehrsord- nung bilde nach wie vor die Interessen Corona- kungen würden ständig überprüft, viele seien inzwischen auch Schritt für Schritt von Autofahrern ab. „Die Autoindustrie war jahrzehntelang die Leitbranche des deutschen Kapitalismus.“ Das könne so Strategie wieder gelockert worden. Das Infektions- schutzgesetz habe am Ende aber immer Vorfahrt. Noch gebe es keinen Impfstoff nicht weitergehen. „Mobilität für alle, Bar- AfD fordert Aufhebung aller und niemand wolle Bilder wie in Italien. rierefreiheit, Umwelt- und Klimaschutz, Beschränkungen „Es geht um den Gesundheitsschutz der Gesundheit und Lebensqualität für die Bevölkerung. Ich glaube, das ist ein ho- Bewohnerinnen und Bewohner – das hes Gut. Jeder hat nur das eine Leben.“ brauchen wir!“ Dazu brachte sie auch Er appellierte an die AfD, die Infektions- eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf Zehn Reden in zwei Stunden, zwei lage objektiv einzuschätzen und nicht 30 Kilometer pro Stunde ins Spiel. Ordnungsrufe, etliche Kurzinterventi- immer denen hinterherzurennen, die bei onen und viele Zwischenrufe: Mit ih- Anti-Corona-Demonstrationen auf den „Natürlich ist es schwierig, Beamte davon rem Antrag, alle coronabedingten Ver- Reichstag zulaufen oder Zahlen von 1,5 zu überzeugen, dass sie etwas anders bote abzuschaffen, hat die AfD eine Millionen Demonstranten nennen. machen sollen“, knüpfte Jochen Schulte hitzige Debatte im Landtag ausgelöst. (SPD) an die Bedenken von Verkehrsmi- Gemessen am Verlauf der Infektion Torsten Koplin (DIE LINKE) glaubte nicht, nister Christian Pegel an. „Auf der ande- seien die Beschränkungen unverhält- dass dieser Appell fruchten werde. „Die ren Seite muss man auch die Chance nismäßig und unverantwortlich, be- AfD hat ganz andere politische Interes- sehen.“ Hier gehe es um eine interne gründete sie ihre Forderung. Wider- sen, die sie mit diesem Antrag verbindet, Verwaltungsanweisung, die das Bundes- spruch kam aus den Reihen aller als Tatsachenbezug und Vernunft.“ Er verkehrsministerium ohne Bundesratsini- anderen Fraktionen. Sie hielten der hielt ihr vor, die Pandemie auf die leichte tiative oder Gesetzgebungsverfahren re- AfD vor, mit der Gesundheit der Men- Schulter zu nehmen und die Gefahren lativ einfach ändern könnte. Das einzige, schen zu spielen. auszublenden. Corona sei ansteckender was es hier brauche, sei ein verwaltungs- und gefährlicher als die Grippe. „Wir interner Wille. Die Strategie der Landesregierung sei ge- haben einen höheren Anteil schwerer prägt von „Corona-Panik und Verbotsex- Krankheitsverläufe.“ Nach wie vor gebe es Antrag SPD/CDU Drucksache 7/5352 zessen“, kritisierte Prof. Dr. Ralph Weber keinen Impfstoff. „Das können Sie nicht in (AfD). „Sie reglementieren ohne Sinn und Abrede stellen.“ Stattdessen komme die Verstand mit der Brechstange.“ Viele Ein- AfD mit einem knapp gefassten, fach- Stichwort Fußgängerüberweg schränkungen seien unverhältnismäßig lich dünnen und „sehr radikalisierenden“ 67 Jahre – so lange gibt es den Fuß- und widersprüchlich: Profi-Fußball mit Antrag daher. „Man könnte meinen, Sie gängerüberweg in Deutschland: im mehreren Tausend Besuchern sei erlaubt, wollten sich an die Corona-Leugner und August 1953 wurde er in die Straßen- zu Konzerten dürften hingegen kaum Verschwörungstheoretiker heranwan- verkehrsordnung der Bundesrepublik Zuschauer kommen. Hier werde Politik zen“ und dort „politisch Honig saugen“. aufgenommen. Die gesetzlichen Re- gegen die Bürger betrieben. „Mit ver- Der Antrag spiele mit der Gesundheit der gelungen verpflichteten Autofahrer heerenden Schäden für die Wirtschaft, Menschen. Doch das sei der AfD egal. zu jener Zeit aber noch nicht, an den die Freiheit der Bevölkerung und unse- „Und was ist der Webstoff einer Politik, im Volksmund Zebrastreifen genann- re Grundrechte.“ Das stehe in keinem der die Menschen egal sind? Das ist der ten Überwegen anzuhalten. Erst 1964 Verhältnis zur Infektionsquote. Diese sei Webstoff totalitärer Ideologie.“ erhielten Passanten den Vorrang. trotz zunehmender Tests nahezu gleich Geregelt ist das in §26 der Straßen- geblieben. „Das, was Sie da immer an Julian Barlen (SPD) sprach von „Men- verkehrsordnung. Unter welchen Zahlen propagieren, sind Kampfbegriffe, schenleben gefährdenden Forde- Voraussetzungen Zebrastreifen an- die mit der realen Durchseuchung der rungen“. Weltweit stiegen die Infekti- gelegt werden können, wird in einer Bevölkerung nichts zu tun haben.“ Er onszahlen derzeit wieder stark an. Dass „Allgemeinen Verwaltungsvorschrift forderte ein Umdenken. „Schluss mit der Deutschland im Vergleich gesehen gut zur Straßenverkehrsordnung“ sowie in staatlichen Reglementierung!“ Der mün- dastehe, liege an seinen klaren und an- begleitenden Richtlinien definiert. Die dige Bürger könne sich selbst schützen. gemessenen Regeln. Ein Weg, hinter Verwaltungsvorschrift besagt unter „Setzen Sie auf die Vernunft der Bürger!“ dem auch mehr als 80 Prozent der Be- anderem, dass Fußgängerüberwege völkerung stünden. Wer das Ende aller nur innerhalb geschlossener Ortschaf- An erster Stelle stehe auch weiterhin der Schutzmaßnahmen fordere, nehme ten angelegt werden dürfen, aber nur Infektionsschutz, entgegnete Gesund- mehr Todesfälle und einen neuen Lock- dann, wenn Fahrzeuge nicht schneller heitsminister Harry Glawe (CDU). Die down billigend in Kauf. „Das ist verant- als 50 km/h fahren dürfen und jede damit verbundenen Maßnahmen hätten wortungslos.“ Er verwies auf eine Studie, Fahrtrichtung nur einen Fahrstreifen geholfen, die Infektionszahlen im Land wonach vorerkrankte Menschen im Falle hat. Zudem müssen auf beiden Stra- sehr niedrig zu halten – auch deshalb, einer Corona-Erkrankung durchschnitt- ßenseiten Gehwege vorhanden sein. weil sich viele Menschen daran hielten. lich neun Jahre ihrer Lebenszeit ver- LandtagsNachrichten Mecklenburg-Vorpommern 8/2020
A u s d e m P l e n u m / B e r i c h t e 13 lieren. „Wer hat das Recht, neun Jahre Foto: Landtag M-V glücklicher Lebenszeit von Menschen infrage zu stellen?“ Niemand habe das Recht, darüber zu richten. „Oder sind neun Jahre glückliches Leben für Sie auch nur ein Fliegenschiss, auf den es nicht ankommt?“ Die AfD kümmere sich „einen feuchten Kehricht um das Wohl des Volkes, wenn in Aussicht steht, mit billigem Populismus etwas Aufmerksam- keit und politischen Profit einfahren zu können“. Nasen-Mund-Bedeckungen prägen während der Corona-Pandemie den Alltag der Menschen. Die hohe Zustimmungsrate der Bürger führte Holger Arppe (fraktionslos) darauf lehnten. „In diesem Spannungsfeld be- Deutschland auch in der bisherigen zurück, dass Politiker und Medien „tag- wegen wir uns. Deswegen gibt es bei Sterbestatistik für 2020 kein außerge- ein, tagaus Angst, Panik und Hysterie“ dem Thema auch kein Schwarz-Weiß. wöhnlich abweichendes Bild. Die Wahr- schürten. Seiner Meinung nach wäre es Und man kann nicht sagen, alle finden nehmung des Risikos sei eine „zutiefst angebrachter, sich um die Risikogruppen die Maske schlecht.“ Über einzelne Maß- psychologische Komponente des Risi- zu kümmern, anstatt das ganze Volk in nahmen könne man immer diskutieren. komanagements“. Die öffentlich-recht- Haftung zu nehmen. Viele Bürger be- Alle Einschränkungen aufzuheben, wäre lichen Medien hätten durch einseitige fürchteten mit Recht, dass die Corona- aber auch mit Blick auf die bevorstehen- Berichterstattung gemeinsam mit Poli- Krise auch dazu „missbraucht wird, um de Grippezeit nicht zu verantworten. Co- tikern und Wissenschaft in der Bevölke- Dinge umzusetzen, die unter normalen rona sei nun mal keine normale Grippe. rung eine übersteigerte Wahrnehmung Umständen so nicht möglich gewesen Wer das nicht glaube, sollte sich einmal erzeugt. Er warnte davor, in Bezug auf wären“ – wie die Einführung einer Perso- mit Betroffenen unterhalten. Corona „als Volk der Hypochonder“ in die nenkennzahl. Geschichte einzugehen. „Wir sollten uns Dr. Gunter Jess (AfD) hielt die Gefahr ein Beispiel an den nüchtern und sach- Christel Weißig (fraktionslos) meinte, durch Corona nicht für real existierend. lich agierenden Schweden nehmen.“ die Ministerpräsidentin habe MV bislang Andernfalls würde sich seine Fraktion Antrag AfD Drucksache 7/5354 gut und souverän durch die Pandemie epidemiologischen Maßnahmen nicht geführt. Verbote als unmenschlich zu verweigern. „Wer will schon krank wer- bezeichnen, sei starker Tobak. Dass Ge- den?“ Die Zahlen der Erkrankten, der In der Debatte meldeten sich noch wei- sundheitsminister Spahn den Nutzen schweren Verläufe und der Verstorbenen tere Redner zu Wort. Die vollständigen der Masken am Anfang der Pandemie in MV seien sehr niedrig. 20 Todesfäl- Redebeiträge finden Sie zum Nachlesen in Abrede gestellt habe, biete Corona- le – das entspreche einem Anteil von auf der Website des Landtags (Parla- Leugnern jedoch eine Steilvorlage. „Dass 0,001 Prozent der Bevölkerung in MV mentsdokumte/Plenarprotokolle) oder er die Menschen bewusst angelogen (Stand: 24.09.2020). Im Vergleich zu den zum Nachhören auf dem YouTube-Kanal hat, weil er keine Masken und Schutz- vergangenen 19 Jahren ergebe sich für unter www.landtag-mv.de. kleidung in ausreichendem Maß hatte, hat bis heute das Gefühl hinterlassen, wir Corona-maßnahmen werden belogen, wenn es gerade passt.“ Die AfD-Fraktion hatte in die Septem- im Einzugsbereich ihrer Schulen, son- Wären tausende Erkrankte, Tote und ber-Sitzung noch einen weiteren An- dern vielleicht in einem Gebiet mit Co- überfüllte Leichenhäuser etwa die besse- trag gegen Corona-Schutzmaßnahmen rona-Infektionen. Wer solle also wie und re Alternative, wandte Sebastian Ehlers eingebracht. Darin forderte sie, Covid- ohne gegen den Datenschutz zu versto- (CDU) ein. Die Argumentation der AfD 19-Einschränkungen an Schulen auf- ßen die Forderung umsetzen? Oberste klinge so, als müsse man sich für die zuheben, sofern in deren Einzugsbe- Priorität habe, den Schulbetrieb am reichen in den vorausgegangenen zwei Laufen zu halten, sagte die CDU. Dafür guten Zahlen im Land entschuldigen. Wochen keine Infektionen feststellt wur- kleine Unbequemlichkeiten wie Masken „Ich kann klar sagen: Wir müssen uns den. In Anbetracht des geringen Infek- auf sich zu nehmen, sei absolut verhält- nicht dafür entschuldigen, dass wir hier tionsgeschehens sei insbesondere die nismäßig: Sie verringerten die Viruslast. als Bundesland bisher am besten durch Maskenpflicht unverhältnismäßig und Dem schloss sich die SPD an. Sie hielt der diese Krise gekommen sind.“ Er halte nicht notwendig. Ein Antrag aus der AfD „populistische Klientelbedienung“ auch im Rückblick betrachtet die Maß- Märchenwelt, kommentierte DIE LINKE. auf Kosten der Gesundheit von Kindern nahmen für verhältnismäßig. Bei allen Jede Schulart habe andere Einzugsbe- und Lehrern vor. Verantwortungsvolle Diskussionen um weitere Lockerungen reiche. Die Infektionszahlen änderten Bildungspolitik sehe anders aus. dürfe man nicht ausblenden, dass es sich täglich, auch örtlich. Schüler und auch viele Menschen gebe, die das ab- Lehrer wohnen zudem nicht zwingend Antrag AfD Drucksache 7/5355 LandtagsNachrichten Mecklenburg-Vorpommern 8/2020
14 A u s d e m P l e n u m / B e r i c h t e Zukunft Hilfsprogrammen reagiert. Gleichwohl fielen gerade solo-selbständige Künstler einen Schutzfonds in Höhe von 20 Mil- lionen Euro einzurichten. „Dieser ist im- der Kunst häufig durchs Raster, weil die Förder- bedingungen nicht passten. „Oft blieb ihnen nur der Gang zum Jobcenter.“ mer noch recht gut gefüllt.“ Nachdem viele Betroffene die ersten Monate über Kurzarbeit oder laufende Zuwendungen DIE LINKE fordert, Kultur zur Angesichts der prekären Situation sei überbrücken konnten, werde der Bedarf Pflichtaufgabe zu machen es wichtig, über die Zukunft der Kultur jetzt steigen. „Wir wissen, dass sehr viele zu sprechen. Vor allem darüber, sie zur Anträge in der Pipeline sind.“ Auch in Be- Pflichtaufgabe zu machen. „Wir können zug auf weitere Lockerungen stünden und dürfen es uns nicht leisten, auch nur die Bereiche Kunst und Kultur ganz weit Das Usedomer Musikfestival. Die Li- ein einziges Kulturangebot über die Klin- oben. „Wir sehen Kultur als Pflicht an.“ teraturtage in Stavenhagen. „Kunst ge springen zu lassen.“ Das Land fördere Und: „Wir müssen aufpassen, dass bei heute“. Drei Beispiele, in denen sich zwar Projekte, aber keine Infrastrukturen. uns in Mecklenburg-Vorpommern keine Kunst und Kultur trotz Corona wieder Das führe zu prekären Beschäftigungen, Leerstellen entstehen.“ zeigen. Anders als gewohnt. Mit Ab- Selbstausbeutung und fehlenden Pers- stand, Maske und weniger Besuchern. pektiven. „Warum? Weil die Pflicht fehlt.“ „Die Kultur im Land leidet Not und Aber live. In anderen Bereichen darf Ihr Appell: „Lassen Sie uns aus der Krise braucht dringend Hilfe und Unterstüt- Kultur noch nicht so weit gehen. Clubs in eine Zukunft schauen, in der politisch, zung, vor allem finanzieller Art“, meinte sind weiterhin geschlossen. Und frei- juristisch und natürlich die Akteure be- Jörg Kröger (AfD). „Das Motto unserer schaffender Künstler zu sein, bleibt in teiligend zugunsten einer Pflichtaufgabe Fraktion lautet: Kultur ist systemrelevant.“ Zeiten wie diesen eine ganz besonders Kultur entschieden wird.“ Gleichwohl dürfe Corona nicht darüber schwere Kunst. Die Pandemie hat die hinwegtäuschen, dass es auch vorher gesamte Kunst- und Kulturszene auch „Kunst und Kultur sind fundamentale schon Probleme gegeben habe. Kultur in MV hart getroffen. Jetzt müsse es Bestandteile unserer Gesellschaft“, pflich- sei ein weites Feld. Jörg Kröger spannte nicht nur darum gehen, Kunst und Kul- tete Kulturministerin Bettina Martin bei. den Bogen dabei auch zur „Cancel-Kul- tur wieder schrittweise zu ermögli- Sie seien nicht nur „Futter für die Seele“, tur“, die seiner Meinung nach den Schutz chen, sondern auch als Pflichtaufgabe sondern auch ein wichtiger Wirtschafts- von Minderheiten zum Vorwand nehme, zu verstehen, forderte DIE LINKE in ei- faktor. Gleichzeitig leide gerade diese „um Meinungsvielfalt und Pluralismus ner von ihr beantragten Aussprache Branche besonders stark unter den mit den Mitteln massiver Diskreditierung zur Zukunft der Kultur im Land. Corona-Auswirkungen. „Viele Künstle- zu unterdrücken“. In den Raum stellte er rinnen und Künstler haben quasi über zudem, „ob die Mauern um jeden Jahr- Corona und die damit verbundenen Nacht ihre Existenzgrundlage verloren.“ markt und verlorene Unbeschwertheit Einschränkungen hätten viele Kultur- Das Land habe deshalb sehr schnell ent- schon vom Kampf der Kulturen zeugen schaffende in eine Notlage gebracht, schieden, einerseits alle Zuwendungen oder zur neuen Normalität gehören veranschaulichte Eva-Maria Kröger weiter fließen zu lassen, auch wenn sollen“. Er appellierte an die Landesre- (DIE LINKE). Das Land habe zwar mit Projekte ausfielen. Und andererseits, gierung, Künstlern jede mögliche Unter- Foto: Cornelius Kettler Im Sommer stellte der Landtag MV im Rahmen der Konzertreihe "AufgeSCHLOSSen" Künstlerinnen und Küstlern eine Bühne im Innenhof des Schweriner Schlosses zur Verfügung. LandtagsNachrichten Mecklenburg-Vorpommern 8/2020
A u s d e m P l e n u m / B e r i c h t e 15 Foto: Jens Büttner Kulturinteressierte müssen wie hier im Großen Saal des Kulturhauses Mestlin auf Abstand sitzen. stützung zu geben. „Aber hinterlassen er anders. „Es gibt immer ein Kommen reichen. „Wir haben eine sehr vielfältige Sie bei den Kulturschaffenden, denen Sie und Gehen.“ Gerade die Kulturszene lebe Kulturlandschaft und müssen aufpas- Hilfe gewähren, nie den Eindruck, dass von Dynamik. sen, dass keiner durchs Raster fällt.“ Die Sie dafür erwarten, dass Ihre fütternde sachliche Debatte zeige, „dass alle hier Hand dafür geleckt wird.“ Das kulturelle Leben in MV sei seit lan- Anwesenden Kultur ernst nehmen, hoch gem chronisch unterfinanziert. Die Co- schätzen und bereit sind, so gut es geht Bernhard Wildt (CDU) verwies darauf, rona-Krise habe diese Entwicklung nun zu unterstützen und zu fördern – auch in dass nicht nur das Bildungs-, sondern aber noch einmal verstärkt, argumen- Krisen, in denen wir alle derzeit stecken“. auch das Wirtschaftsministerium Hilfs- tierte Holger Arppe (fraktionslos). Der angebote aufgelegt habe – für Clubs Kulturszene mit hart erarbeiteten Steu- „Ja, ein Kommen und Gehen, Abwechs- und Live-Spielstätten zum Beispiel ei- ergeldern zu helfen, setze für ihn voraus, lung und Dynamik, Entwicklung und nen zweistelligen Millionenbetrag. Auch dass die Kultur auch alle Bürger anspre- Wechsel – das ist wichtig in der Kultur. daran lasse sich der hohe Stellenwert che. Dem sei vielfach aber nicht so. „Ich Aber wenn Bestehendes durch eine Pan- erkennen, den die Kulturbranche für habe seit langer Zeit ein großes Problem demie ausgemerzt wird, dann ist dieser die Landesregierung habe. „Ich plädiere mit dem Erscheinungsbild der Kultur.“ Er Prozess nicht entwicklungsorientiert, dafür, diesen Status sogar noch zu erhö- wünsche sich Kunst, die auch mal „die sondern destruktiv“, entgegnete Eva- hen.“ Dazu blickte er auf die spanische andere Sicht der Dinge“ darstelle und Maria Kröger (DIE LINKE) der CDU. Sie Stadt Bilbao, die es mit ihrem Guggen- Diskussionen in der Gesellschaft auslöse. bat den Finanzminister und den Wirt- heim-Museum und vielen anderen Kul- „Das passiert ja alles nicht.“ schaftsminister, sich weiterhin sehr inten- tureinrichtungen geschafft habe, eine siv mit der Kultur- und Kreativwirtschaft ganze Region wirtschaftlich nach vorn „Kultur ist wichtig. Und Kultur fehlt“, äu- im Land zu befassen. „Sie sind wichtige, zu bringen. In puncto Förderungen ßerte Nadine Julitz (SPD). Auch viele stabilisierende Faktoren.“ Dazu gehöre sprach auch er sich ebenfalls dafür aus, Vereine fragen sich derzeit, wie es für sie auch eine Debatte darüber, wie die Kre- Zuwendungen weniger an Projekte zu weitergehe. Als Mitglied eines Karnevals- ativwirtschaft im Land aufgestellt sei, binden, sondern stärker als bisher zu ver- vereins kenne sie die täglichen Fragen welche Kulturträger es gebe und ob die stetigen. „Wir brauchen diese dauerhafte und Ängste gut. Von ihrem Stattfinden Zuständigkeiten im Wirtschaftsministeri- Perspektive, um bestimmte Themen und oder Nicht-Stattfinden hänge viel ab. um noch richtig aufgehoben seien oder Angebote überhaupt verlässlich zu be- „Vereinsarbeit, Traditionspflege, Kinder- nicht vielleicht Richtung Kultus wechseln setzen.“ Dass kein einziges Kulturange- und Jugendarbeit.“ So gehe es vielen sollten. bot über die Klippe springen dürfe, sah Künstlerinnen und Künstlern in vielen Be- LandtagsNachrichten Mecklenburg-Vorpommern 8/2020
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