Die Alt-Katholische Zeitschrift in Deutschland + 64. Jahrgang April 2020 - alt-katholische Kirche
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Christen heute 2020/4 Di e A lt-K at holisch e Zei tsch r i f t i n Deu tsch l a n d + 64 . Ja h rg a ng · A pr i l 2020 auf Seite 32 4 Sühneopfer – ein alter Hut? 11 Im Zeichen des Kreuzes 25 Wer starb am Kreuz? von Francine Schwertfeger von Jutta Respondek von John Grantham 6 Im Kreuz ist Heil 13 Kreuz-Beschwerden 26 Poesiesammlung zum Titelthema von Theresa Hüther von Harald Klein 32 Wort des Bischofs zur Coronakrise 7 Die Magdalenerin im Garten 15 Ritter der Straße in Aktion von Bischof Matthias Ring von Sebastian Watzek von Francine Schwertfeger 9 Das Kreuz mit dem Kreuz 22 Den Glauben bekennen von Sebastian Watzek von Andreas Krebs
Neuer Vorsitzender der Ernesto Cardenal verstorben Baptistischer Oncken-Verlag wird Bischofskonferenz Im Alter von 95 Jahren ist am von Methodisten übernommen Der Limburger Bischof Georg 1. März der nicaraguanische Dichter, Im Dezember vergangenen Jah- Bätzing (58) ist neuer Vorsitzender Befreiungstheologe und römisch-ka- res hatte der baptistische Namen & Nachrichten der Deutschen Bischofskonferenz tholische Priester Ernesto Cardenal Oncken-Verlag in Kassel Insolvenz der römisch-katholischen Kirche. Er verstorben. Cardenal galt als einer angemelden müssen. Jetzt wurde er wurde am 3. März bei der Frühjahrs- der bedeutendsten Vertreter der von der durch Methodisten geführ- vollversammlung der Bischofskonfe- Befreiungstheologie, mit der sich ten Firma Blessings 4 you GmbH renz in Mainz gewählt und folgt dem lateinamerikanische Geistliche in den aus Stuttgart übernommen. Dadurch Münchner Erzbischof und Kardinals 60er Jahren auf die Seite der Armen konnten die Arbeitsplätze am Stand- Reinhard Marx (66), der sich aus gestellt hatten. Für sein Engagement ort des Oncken-Verlages erhalten wer- Altersgründen nicht erneut zur Wahl erhielt er u. a. 1980 den Friedenspreis den. Die Geschäftsführerin Angela stellte. Seine Hauptaufgaben sieht des Deutschen Buchhandels. 1985 May und ihr Kollege Tobias Blessing Bätzing nach eigenen Angaben in der wurde dem 1965 zum Priester geweih- machten deutlich, dass die Produktpa- Aufarbeitung der Missbrauchsverbre- ten Theologen wegen seines politi- lette des Oncken-Verlages durch Bles- chen und in der Fortführung des so schen Einsatzes als Kulturminister sings weitergeführt werde, zu der auch genannten synodalen Weges innerhalb der ersten sandinistischen Regierung der freikirchliche Andachtskalender der römisch-katholischen Kirche. nach der Revolution 1979 in Nicara- „Wort für heute“ gehöre, der gemein- Gleichzeitig legt er Wert auf die Öku- gua vom damaligen Papst Johannes sam vom Bund Freier evangelischer mene, denn das Christentum könne Paul II. die Ausübung des priester- Gemeinden, den Baptisten und der nur gemeinsam eine Wirkung in der lichen Dienstes verboten; erst im Evangelisch-methodistischen Kirche säkularen Gesellschaft haben. Deswe- Februar des vergangenen Jahres war herausgegeben werde. gen blicke er auch mit Optimismus dieses Verbot vom derzeitigen Papst auf die Planungen zum 3. Ökumeni- Franziskus wieder aufgehoben wor- Trauung für alle schen Kirchentag 2021 in Frankfurt den. Cardenal wurde am 7. März in Nach einer Umfrage des Evange- am Main, der für ihn ein „starkes und seiner Heimat auf den Archipel-Inseln lischen Pressedienstes (epd) unter den eindeutiges Zeichen des ökumeni- Solentiname beerdigt. 20 evangelischen Landeskirchen lassen schen Miteinanders“ sei. Der Rats- sich nur wenige gleichgeschlechtliche vorsitzende der Evangelischen Kirche Gemeinsamer interreligiöser Ehepaare nach ihrer standesamtlichen in Deutschland (EKD), Heinrich Religionsunterricht Eheschließung auch kirchlich segnen. Bedford-Strohm, würdigte Bätzing Die stellvertretende Ratsvor- Dabei ist die Regelung in den Landes- als ökumenisch aufgeschlossen. Auch sitzende der Evangelischen Kirche in kirchen allerdings unterschiedlich: römisch-katholische Reformgruppen Deutschland (EKD), Präses Annette Nachdem im vergangenen Jahr gleich wie „Wir sind Kirche“ begrüßten die Kurschus, hat sich für einen gemein- sechs Landeskirchen die Trauung für Wahl des Limburger Bischofs zum samen Religionsunterricht von christ- alle eingeführt haben, sind nun in 14 neuen Vorsitzenden der Bischofskon- lichen und muslimischen jungen Men- Landeskirchen Segnung und Trauung ferenz. Als Vorsitzender der Bischofs- schen ausgesprochen. Im Austausch grundsätzlich gleichgestellt, während konferenz hat Bätzing vor allem mit Schülern anderer Religion wür- sich in fünf Landeskirchen die Paare repräsentative Aufgaben und vertritt den sich junge Menschen nicht nur in einem Gottesdienst weiterhin die römisch-katholischen Bischöfe als mit der religiösen Vielfalt im Land lediglich segnen lassen können. In der Sprecher nach außen. Er wird für eine auseinandersetzen, sondern auch den zweitkleinsten Landeskirche Schaum- Amtszeit von sechs Jahren gewählt. eigenen Glauben besser kennenler- burg-Lippe ist eine Segnung bislang nen. Sie sei der Überzeugung, dass der nur in einem privaten Rahmen, nicht Dialog mit anderen das eigene Profil aber in einem Gottesdienst möglich; schärfen und zur Entwicklung einer im Herbst soll das Kirchenparlament Kirche im Radio religiösen Identität beitragen könne. dort allerdings über die Einführung „Positionen“ Diesbezügliche Modellversuche gäbe einer öffentlichen Segnung im Got- Titelfoto: Fotokollage von John Grantham Bayern 2 Radio es bereits in Gelsenkirchen, wo evan- tesdienst abstimmen. Im Jahr 2017 26. April, 6:45 Uhr gelische, römisch-katholische und hatte der Deutsche Bundestag die Pfarrer Daniel Saam muslimische Lehrkräfte gemeinsam „Ehe für alle“ beschlossen und damit Regensburg Religion unterrichten würden. Lebenspartnerschaft und Ehe gleich- gestellt. Vom 1. Oktober 2017 bis Ende 2018 schlossen nach Angaben des Statistischen Bundesamtes knapp 33.000 schwule und lesbische Paare die Ehe; davon waren allerdings 21.500 Umwandlungen von Lebenspartner- schaften in Ehen. fortgesetzt auf Seite 31 5 2 Christen heute
Editorial dann auch noch ein oder zwei scharfe, hochauflösende und prägnante Fotos dazu liefern können, bei denen die darauf möglicherweise abgebildeten Personen Ihre Zustimmung für den Abdruck im Zusammenhang mit dem Artikel Walter gegeben haben, freuen wir uns noch mehr. E-Mail-Adresse: Jungbauer ist redaktion@christen-heute.de kommissarischer Ein Zweites: Wenn Ihnen auffällt, dass in der Ter- Chefredakteur von Christen minübersicht hier in Christen heute – oder auch im Ter- heute und Pfarrer minüberblick auf der Bistumswebsite – ein Termin von der Gemeinde bistumsweitem Interesse aus Ihrer Gemeinde oder Ihrem Hamburg Vo n Walt er J un gbauer Dekanat fehlt: Dann senden Sie die Information mit Datum bzw. Zeitraum, Thema, Veranstalter und Veranstal- L iebe Leserinnen und Leser, der Chefredak- tungsort an die E-Mail-Adresse termine@christen-heute.de teur von Christen heute, Pfarrer Gerhard Ruisch, zu, damit der entsprechende Termin berücksichtigt werden ist erkrankt und wird für die nächsten Ausgaben kann. Gehen Sie bitte immer davon aus, dass ich nur davon nicht zur Verfügung stehen können. Für diesen Zeitraum erfahre, wenn Sie mich über einen entsprechenden Termin habe ich kommissarisch die Aufgabe als Chefredakteur informieren. übernommen. Und ein Letztes: Wenn Sie überlegen, einen Arti- Gerhard Ruisch sei von dieser Seite aus ein herzlicher kel zum Schwerpunkt-Thema eines Heftes zu verfassen, Gruß gesendet und die besten Wünsche für eine baldige wäre es sehr gut, wenn Sie dies möglichst frühzeitig – am Genesung. besten schon Mitte des Monats vor Redaktionsschluss – Wenn nun nicht alles so glatt läuft, wie Sie es bislang mit einer kurzen E-Mail an redaktion@christen-heute.de unter der Chefredaktion von Pfr. Ruisch gewohnt waren, ankündigen. Dann bekomme ich einen Eindruck davon, so bitte ich dies zu entschuldigen. Ich werde mich in diese ob noch nach Autorinnen und Autoren für ein Schwer- neue Rolle erst noch ein wenig einfinden müssen. Aber punkt-Thema gesucht werden müssen oder ob mögli- Foto: Saad Shakil, „Easy there infection“, Flickr dank der Mitarbeit zahlreicher Autorinnen und Autoren cherweise eine so große Fülle an thematischen Beiträgen sowie der hervorragenden Arbeit unseres Layouters John vorliegen wird, dass es – wie beim vorliegenden Heft – kei- Grantham habe ich wenig Sorge, dass allzu viele Probleme nen Sinn macht, noch zusätzliche Beiträge zu verfassen; auftreten werden. wenn vor allem Letztes frühzeitig klar ist, hilft dies sehr, Ein paar Hinweise, die ich gerne noch geben möchte: mögliche Enttäuschungen darüber zu vermeiden, dass der Wenn Sie Bericht von Ereignissen oder Veranstaltun- eigene Beitrag dann nicht (mehr) berücksichtigt werden gen aus Ihrer Gemeinde vermissen, dann liegt das ganz konnte. einfach daran, dass von Ihrer Seite niemand einen Bericht Herzlich grüßt Ihr verfasst hat. Anders gesagt: Wenn Sie wollen, dass auch aus Pfr. Walter Jungbauer Ihrer Gemeinde in Christen heute berichtet wird, fühlen kommissarischer Chefredakteur Sie sich ermutigt, einen Beitrag zu verfassen. Und wenn Sie ■ 6 3 . J a h r g a n g + A p r i l 2 0 2 0 3
Sühneopfer – ein alter Hut? Zum Widerstreit in der Theologie Von Fr a n cin e Schwert feger C hristus ist für unsere in uns, da er mit uns redete auf dem Sünden gestorben. Mit dem Wege, als er uns die Schrift öffnete?“ Satz ist Klein-Erna groß Was ist denn in der Schrift bei geworden. Hat es Klein-Erna aber den Propheten von ihm gesagt? Bei Francine von ihren Schuldgefühlen befreit, ein Deuterojesaja heißt es vom leidenden Schwertfeger ist Mitglied sündiger Mensch zu sein, für dessen Gottesknecht ( Jes 53,4 ff ): der Gemeinde Erlösung Jesus Christus angeblich sein Hannover Blut am Kreuz vergossen hat, oder ist Fürwahr, er trug unsere um ihn klagen, wie man klagt um die Sühneopfertheologie nicht viel- Krankheit und lud auf sich ein einziges Kind, und werden sich mehr seit Jahrtausenden als Geißel der unsere Schmerzen. Wir aber um ihn betrüben, wie man sich Menschheit verwendet worden? hielten ihn für den, der geplagt betrübt um den Erstgeborenen. und von Gott geschlagen und Hinterfragen der gemartert wäre. Aber er ist um Meint das nicht: Der Geist der Gnade Sühneopfertheologie unserer Missetat (Abtrünnigkeit) und des Gebets ermöglicht Reue? Inzwischen haben es – nach Kant willen verwundet und um unserer in der Aufklärung – auch moderne Sünden willen zerschlagen. Kreuzestheologie von Theologen wie Klaus-Peter Jörns u. a. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass Ostern her denken gewagt, diese maßgeblich vom Apo- wir Frieden hätten, und durch Nikolaus Schneider hielt 2009 stel Paulus entworfene Lehre zu hin- seine Wunden sind wir geheilt. in seiner Funktion als Präses der terfragen, da sie im Kontrast steht zur evangelischen Kirche im Rheinland Lehre Jesu, seinen Aussagen über sich Was ist das für ein Widerspruch? einen Vortrag zum Jahresempfang selbst. „Wir hielten ihn für den – der wäre der griechisch-orthodoxen Metropo- Als zwei Jünger nach Jesu Tod …“ – „Aber er ist um unserer Missetat lie von Deutschland, Exarchat von von Jerusalem nach Emmaus wan- willen …“ Das heißt doch: Nicht Gott Zentraleuropa. Darin schlüsselt er dern (Lukas 24,13 ff ), gesellt sich Jesus will das Opfer. Die Menschheit hat die Bedeutung des Kreuzestodes Jesu unerkannt zu ihnen, die noch rätseln ihn ans Kreuz gebracht. auf über die verschiedenen Epochen über die Geschehnisse um seine Hin- Auch lesen wir beim Propheten von Schleiermacher, Kant, Bultmann, richtung und Auferstehung. Seine Sacharja (Sach 12,10) in der Klage Aulén, Jörns und Luther und dem Antwort: „Musste nicht Christus sol- über den Durchbohrten: Heidelberger Katechismus, die alle ches leiden und zu seiner Herrlichkeit versucht haben, dem Kreuzestod Jesu eingehen? (…) Und fing an bei Mose Aber über das Haus David und Sinn abzugewinnen. und allen Propheten und legte ihnen über die Bürger Jerusalems will Schneider selbst kommt in sei- die ganze Schrift aus, was darin von ich ausgießen den Geist der Gnade nem Vortrag dazu, dass erst das ihm gesagt war.“ Als er nach dem Brot- und des Gebets [sic!]. Und sie Widerfahrnis der Auferstehung den brechen vor ihnen verschwand, sagen werden mich ansehen, den sie Emmaus-Jüngern ein neues Licht auf die beiden: „Brannte nicht unser Herz durchbohrt haben, und sie werden den Tod wirft, daher Kreuzestheologie 4 Christen heute
nur von Ostern her gedacht wer- Dennoch bleibe die sich in der ihre Schuld immer wieder den könne. Eine These sei, dass das Menschwerdung gezeigte Liebe vergibt. Hier gehört Schuld zum „für uns gestorben“, also das stell- Gottes wie die menschliche Natur Menschsein genau wie Liebe vertretende Handeln, als Tat der unbestimmt, wenn in Kreuz und und Vergebungsbereitschaft – Liebe gedeutet werden könne. „Für Auferstehung Jesu nicht mehr der und ist keineswegs Anlass die Menschen, die man liebt, nimmt Zuspruch der Vergebung unserer Sün- zum göttlichen Zorn. man den Tod auf sich. Es ist darum den vernommen werde. ganz unsinnig, an dieser Stelle einen So führt Mulack aus: Gegensatz zwischen ‚anstelle von‘ und Wiederbelebung alter Opfer- und ‚zugunsten‘ zu konstruieren.“ Sühnetheologie durch Paulus Nach Jesu Vorstellung erfährt der In der Metapher des Lösegeldes, Einen radikal anderen Weg Mensch eine enorme Vorleistung wie es bei Luther und im Heidelberger schlägt die feministische Theologin an göttlicher Vergebung, bevor Katechismus vorkomme, komme zum Christa Mulack ein in ihrem Buch er selbst anderen gegenüber Ausdruck, dass Gott mitten unter uns Der veruntreute Jesus, in dem sie scharf dazu verpflichtet wird. ist. Er zitiert als Quelle den evange- mit dem Glaubensgerüst des Apostels lischen Theologen Eberhard Busch Paulus abrechnet, mit dem dieser sich (Ihr Beispiel ist das Gleichnis vom (1998): konträr zu Jesu Evangelium gestellt König, der seinem Untertan Schul- und es verfälscht habe, ja, er sogar sei- den erlässt, dieser wiederum seinem Wenn im Blick auf das Kreuz nen eigenen Glauben entworfen und Untergebenen nicht.) von einem Opfer zu reden ist, vermittelt hätte: Jesus habe damit ausgedrückt: dann ist es zuerst in dem Sinn, „Als Beschenkter, der sich der Verge- dass hier Gott – ohne aufzuhören Die Vorstellung aber, dass die bung gewiss sein kann, soll sich der Gott zu sein – sein Unberührtsein Gläubigen „durch sein Blut gerecht Mensch die göttliche Vergebungsbe- von Leid und Tod opfert. gemacht sind“, vergiftet bis heute reitschaft zum Vorbild nehmen und das Gottesbild und mit diesem selbst ein Vergebender werden.“ An Schneider folgert weiter: den ganzen christlichen Glauben. Stelle von Liebe und Vergebung rücke aber Paulus die Versöhnung zwischen Was hier geschieht, kann niemals Paulus habe den zornigen, richtenden Gott und Mensch in den Mittelpunkt. der Mensch selbst tun. Gott ist Gott zurückgebracht und in Verbin- Jesus kenne dagegen nur zwischen- menschliche Versöhnung, zu der er verfeindete Menschen – auch mit dem Gebot der Feindesliebe – aufrief. Paulus habe die alte jüdische Opfer- und Sühnetheologie wiederbe- lebt, die ihm als Pharisäer und Schrift- gelehrten nur allzu vertraut gewesen sei. Gerade dieser Theologie aber habe Jesus vehement widersprochen, indem er Tierhändler und Geldwechsler aus dem Tempel jagte mit dem Vor- wurf, sie würden das Haus Gottes entweihen, „das er als stille Stätte des Gebets geheiligt wissen wollte (Mk 11,15-19…) Eigentlich habe Jesus damit die Priesterkaste und alle gemeint, die sich durch Opfergaben bereicher- ten. Daher hätten diese ihn ans Kreuz gebracht und Paulus durch seinen Opferkult diese – auch seine eigene – Schuld verzerrt. vielmehr für uns. In Jesu Leiden, dung mit männlichen Machtansprü- Klein-Erna hat also heute viel Tod und Gottverlassensein ist chen etabliert. mehr Möglichkeiten, sich ein eigenes Gott selbst anwesend. Am Kreuz Bild zu machen vom Sühnetod Jesu, zeige sich, was Gott für uns ist. Auf diese Weise wurden die der anscheinend einfach nur auf dem Es zeige sich in dem, was Gott Quellen der Liebe verstopft, die schlechten Gewissen der Menschheit für uns tut: „Er nimmt das, in Jesu Gottesbild so reichlich gedeihen konnte. Eine letzte Antwort was uns von ihm trennt, weg, sprudeln, beinhaltet es doch eine aber finden wir vielleicht nur in unse- indem er es sich selbst zumutet – göttliche Kraft, die den Menschen rem Herzen. ■ aus Liebe zu uns Menschen. aus liebender Barmherzigkeit 6 3 . J a h r g a n g + A p r i l 2 0 2 0 5
Im Kreuz ist Heil geflohen, als er gesucht wurde. Er ließ sich verhaften und starb schließlich qualvoll am Kreuz. Dieser Tod Jesu kann theologisch unterschiedlich gedeutet werden. Der Franziskaner Richard Rohr spricht mit Blick auf die mittelalterliche Theologie seines Ordens davon, dass die Welt als Schöpfung Gottes nie verloren war. Jesus ist ein freies Geschenk Gottes, die ihre Liebe zu den Menschen nochmal in ganz besonderer Weise leibhaf- tig aufzeigen möchte. Es ging Jesus um das, was dem Leben dient, gerade innerhalb von gewalttätigen Strukturen – Leben in einer Welt voller Spannung auch wenn er dafür sein Leben verlor. Von T her es a Hü t her Auch heute gibt es viele Menschen, die sich für ein Theresa gutes Leben für alle einsetzen und deshalb verfolgt wer- „I Hüther ist m Kreuz ist Heil“ – Das mag auf den ersten den, die sogar ihr Leben riskieren. So wie Bischof Alberto wissenschaftliche Blick seltsam erscheinen. Ein Folterinstrument soll Ramento von der Unabhängigen Philippinischen Kirche, Mitarbeiterin am Alt-Katholischen heilbringend sein? Verherrlicht das nicht Gewalt der wegen seines Engagements für Frieden und Gerechtig- Seminar der oder rechtfertigt sie sogar? Es gibt diese Gefahr in Theo- keit erstochen wurde. Viele weitere Menschen, die wegen Universität Bonn logie und kirchlicher Praxis: Beispielsweise, wenn sich ihres Einsatzes für andere ermordet wurden, bleiben unbe- und Mitglied der Ordensleute im Mittelalter geißelten, um dadurch dem kannt. Auch die Krankenschwester, die eine ansteckende Gemeinde Bonn leidenden Christus nahe zu kommen. Bei Pogromen, als Kranke pflegt, obwohl sie selbst erkranken und daran ster- dieser Satz dazu herhalten musste, um die Verfolgung von ben könnte; auch derjenige, der einen Job nicht annimmt, Jüdinnen und Juden zu begründen. Oder wenn Menschen, bei dem er gegen sein Gewissen handelt, und sich dann die im kirchlichen Raum sexuelle Gewalt erlebt haben, zu weder Nahrung noch Medikamente leisten kann: Auch hören bekommen, dass sie dadurch doch Anteil am Leiden sie geben ihr Leben für andere. Sie alle durchbrechen die Christi hätten. Spirale aus Gewalt, Angst und Anpassung – und leben Foto: Jim Choate, „ChimayoMemorial“, Flickr stattdessen aus einer inneren Freiheit heraus, die tiefer ver- Die leibhaftige Liebe Gottes geht bis in den Tod wurzelt ist und sogar eine Hoffnung über den eigenen Tod „Im Kreuz ist Heil. Im Kreuz ist Leben. Im Kreuz hinaus kennt. strahlt die Liebe auf “, so wird dieser Satz in einem Musical über das Leben von Dominikus weitergeführt. Hier zeigt Ein gutes Leben für alle! sich eine andere Perspektive: Jesus ging es um Menschen, „Im Kreuz ist Heil“ – das hat uns oft auch im Alltag denen er ganz konkret geholfen hat. Aber er wollte auch etwas zu sagen. In vielen Situationen stehen wir vor der eine Veränderung der Rahmenbedingungen erreichen, Frage, ob wir Schmerz auf eine Art und Weise vermeiden, innerhalb derer Menschen ihr Leben gestalten können. die andere Menschen leiden lässt. Hier war Jesus radikal und kompromisslos, wie bei der Ver- Setzen wir uns mit unserem eigenen verdrängten oder treibung der Händler und Geldwechsler aus dem Tempel. abgespaltenen Schmerz auseinander, halten wir alte Angst Dieses politische Handeln hatte unter der Besatzung aus, geben wir Trauer ihren Platz, geben wir Wut ihren der Römer Folgen, die Jesus in Kauf nahm. Schon um notwendigen (ungefährlichen) Ausdruck? Dann nämlich seine Jüngerinnen und Jünger zu schützen, ist Jesus nicht 6 Christen heute
können wir alte, einengende Strukturen aufbrechen und Spannungen, aus nie auflösbaren Gegensätzen. Und anders mit uns und mit unseren Mitmenschen umgehen. für jeden Menschen stellt sich die Frage, wie wir damit Stehen wir zu Menschen, die ausgegrenzt, gemobbt umgehen. Foto: Pom’, „The Cloisters, New York City“, Flickr oder beleidigt werden, auch wenn wir selbst angegriffen Als Jüngerinnen und Jünger Jesu sind wir eingeladen, werden könnten? gemeinsam in seinen Fußspuren unterwegs zu sein: Diese Kaufen wir Lebensmittel, Kleidung, Kosmetik und Welt mit all ihren Menschen und mit der ganzen Schöp- andere Dinge, bei denen sichergestellt ist, dass sie ohne fung zu lieben. Uns nicht vor ihr zu verschließen, sondern Menschenrechtsverletzungen, Tierversuche und Umwelt- Unterschiede auszuhalten – und vielleicht sogar Fülle verschmutzung hergestellt wurden? Sonst arbeiten Kinder darin zu entdecken. Offen, verletzlich, verwundbar zu sein, auf Kakaoplantagen für unsere billige Schokolade, erkran- um dem Schmerzhaften in uns und um uns herum Wider- ken junge Inderinnen an den Arbeitsbedingungen in den hall in uns zu geben – und es hinhalten und verwandeln zu Fabriken, in denen unser neues T-Shirt hergestellt wird. lassen. Uns nicht zu verschließen, sondern offen zu bleiben, Für die Creme sterben Versuchstiere und gelangt Mikro- um handeln zu können. plastik ins Meer. Und im Kongo werden Frauen vergewal- All das können wir in dem Wissen tun, dass wir selbst tigt, um sie von ihrem Land zu vertreiben, auf dem Kobalt und diese ganze Welt getragen sind, dass alles bei Gott auf- für das neueste Handy abgebaut werden soll. gehoben ist. Darin verwurzelt, können wir für unser Han- „Im Kreuz ist Heil“ – im Kreuzungspunkt deln Verantwortung übernehmen. Denn es geht um ein herrscht Spannung. Auch wir leben in einer Welt voller gutes Leben für alle! ■ Die Magdalenerin im Garten Vo n Sebast i an Wat zek J edes geschriebene wie auch sonst geäußerte Wort sollte von sich aus verständlich sein. Dies gilt insbesondere für die Heiligen Umgang, um Assoziationen. Wenn Schriften in den verschiedenen Reli- durch diese dann biblischen Bezüge gionen. Jedes Buch, jeder Abschnitt und Variationen auffallen, kann es sollte etwas von sich heraus mitzutei- vorkommen, dass eine Bibelstelle len und zu sagen haben. Etwas, was noch einmal abgerundeter wird. jemand etwas mit auf den Weg geben Wie ein schon in sich stimmiges kann – auch ohne große theologische Gericht durch das eine oder andere Vorkenntnisse. Spannend und inte- Gewürz noch einmal mehr Pfiff und ressant kann es aber werden, wenn Geschmack bekommen kann. Anrede, der Körperkontakt zwischen die verschiedenen Schriften einer Maria und Jesus sowie ihre Sendung Religion miteinander kommunizie- Der Garten und die Geliebte als Apostolin zu den Aposteln – zu ren. Wie es bei einer Oper oder einer Ein Beispiel für solch eine Bibel- seinen „Brüdern“ ( Joh 20,17), wie Symphonie immer wieder Bezug zu stelle ist die Begegnung zwischen Jesus hier bei Johannes zum ersten Sebastian Watzek einigen musikalischen Themen gibt – Maria von Magdala und dem aufer- seine „Jünger“ aus dem Zwölferkreis ist Pfarrvikar in ob in dem betreffenden Werk selbst standenen Jesus im Johannesevange- bezeichnet. Das allein genügt schon der Gemeinde Berlin oder in Bezug zu anderen Komposi- lium (Kapitel 20,11–18). Schon für für einen fesselnden und in sich tionen— trifft dies auch auf die Bibel sich allein genommen sagt diese Stelle geschlossenen Kurzfilm. zu. Keine Schrift ist hier in sich abge- so viel aus: wir werden förmlich in Spannend wird es jetzt, wenn drei schlossen, sondern verweist immer diese Szene mit all ihren Gefühlen Motive hinzukommen, welche sich wieder auch auf andere Schriften, wie- und Wendungen mithineingezogen. in der Hebräischen Bibel – oder im derholt und verstärkt einige biblische Die weinende Maria vor dem Grab, christlich so genannten „Alten“ oder Themen und Aussagen. So schaut zum die Begegnung mit dem „Gärtner“, „Ersten“ Testament— finden: der Beispiel die jüdische Tradition auf die das Erkennen des Auferstandenen in Garten, Sulamith, die Geliebte und Schrift; es geht um einen spielerischen einer sehr intimen und bewegenden der Gärtner. Während in den anderen 6 3 . J a h r g a n g + A p r i l 2 0 2 0 7
Begegnungen mit dem Auferstande- Bäume, schön zum Anblick und als Der Gärtner und der neue Adam nen nur von einem Felsengrab erzählt schattiges Plätzchen in der prallen Dies zeigt der Dialog zwischen wird, befindet sich bei dem Evange- Mittagssonne, Blumen, die mit ihrer Maria und Jesus, welcher erst einmal listen Johannes Maria, die Magdale- Farbenpracht bezaubern, Blüten, wel- eine gewisse Verwunderung zurück- nerin, in einem Garten, einem sehr che ihren intensiven Duft verströmen, lässt. Es ist eine Sache, dass Maria symbolischen und aussagekräftigen süße und saftige Früchte, Nektar und Jesus, den Christus, den am Kreuz Ort. In biblischen Schriften ist immer Honig, welche Menschen und Tiere Erhöhten, nicht erkennt. Wieso aber wieder von Gärten die Reden. So ernähren. In einem solchen Garten geht sie davon aus, dass er der „Gärt- gleich am Anfang der Bibel im Buch steht auch Sulamith aus dem Lied der ner“ sei? Eine mögliche Antwort Genesis oder 1. Buch Mose. Diese Lieder bzw. Hohelied der Liebe/Hohe- liegt ebenfalls im Garten in Eden. Assoziation liegt nahe, da Johannes lied Salomons und hält in der Nacht Gott schafft Adam, den Erdling, aus schon am Anfang seines Evangeliums nach ihrem Geliebten Ausschau: dem roten Ackerboden, der Adamah. in dem sogenannten Johannesprolog Nachdem er diesem so geschaffenen auf den Anfang des Buches Genesis Du Trauter meiner Seele, und geformten Erdklumpen seine verweist: „Im Anfang …“ ( Joh 1,1). Dein bin ich, du bist mein, göttliche Geistkraft durch die Nasen- Foto: Aaron Stidwell, „Asylum“, Flickr Der Garten in der Auferstehungss- O komm in unsern Garten, löcher eingehaucht hat, gibt er diesem zene kann deswegen sehr wohl auf Der Blumen dich zu freun! neu geschaffenen Menschenwesen den Garten im sogenannten 2. Schöp- O komm in den einen Auftrag: es soll den Garten in fungsbericht anspielen: lauschigen Garten, Eden im Osten, bearbeiten und beauf- Wo Thymian duftend winkt, sichtigen. Es spricht für die Intui- Nun legte Gott, der Herr, einen Deine Linke stütze das Haupt mir, tion von Maria aus Magdala, dass sie Garten in Eden an, das ist im Die Rechte mich fest umschlingt! „Jesus“ als „Gärtner“ anspricht. Für Osten […]. Aus dem Acker ließ Übertragung bzw. Nachdichtung die Alte Kirche ist Jesus der neue bzw. Gott, der Herr, sodann alle von Max A. Klausner der zweite Adam. Somit folgt er sei- Bäume, schön zum Anblick und nem Vorgänger nach, den Garten in gut zum Essen, wachsen […] Maria von Magdala stellt somit so Eden, das Paradies zu hüten und zu Gen 2,8 etwas wie eine neue Sulamith dar, bewahren. deren Herz sich in der Dunkelheit Ich kann nicht einschätzen, wie des Todes und des Grabes nach dem es Ihnen mit diesen drei biblischen Geliebten verzehrt – und sei es nur, Motiven des Gartens, der Sulamith dass sie den Aufenthaltsort seines und des Gärtners geht. Mir jedenfalls Leichnams kennt. Und sie steht dabei erschließen sie noch einmal mehr das in einem Garten, welcher schon am Ostergeschehen, diese tiefe Liebesbe- Anfang der Beziehung Gottes mit der ziehung zwischen Maria, der Magda- Menschheit eine entscheidende Rolle lenerin und Jesus sowie Gott und der gespielt hat! Menschheit. Der Abschnitt aus dem Johannesevangelium zieht mich so einmal noch tiefer in das Geschehen mit hinein. Mehr Facetten kommen zum Klingen und das Ostergeschehen wird noch einmal bunter für mich. Genau das, was ich mir von einem hei- ligen Text wünsche. ■ 8 Christen heute
Foto: Billy Lopue, „Crucifix“, Flickr frühen Kirche zwar immer Kreuzsym- bole gegeben haben, aber den Cor- pus – also Darstellungen von Jesus am Kreuz – gibt es in der christlichen Kunst nachweislich erst ab dem 10. Jahrhundert! Das Kreuz mit dem Kreuz Dennoch haben sehr viele Chris- ten und Angehörige anderer Religi- onen über die Jahrhunderte hinweg Orientierung und Heilung durch das Zeichen des Kreuzes erfahren. Einige Stimmen und Sichtweisen möchte ich als Zitate hier im Folgenden vor- stellen. Bevor ich dies mache, will ich mich aber dezidiert und nachdrück- lich von einigen Auffassungen über das Kreuz distanzieren. Die heuti- gen sexuellen und spirituellen Miss- brauchsfälle in nahezu allen Kirchen haben uns die Augen geöffnet, wie schwer und brutal Missbrauch im Namen einer Religion sein kann. So wurde das Kreuzzeichen politisch und militärisch als Siegesfahne gegen Andersgläubige oder auch gegen andere Christen wie in den Kreuz- zügen zu Felde getragen. Unter dem „Siegeszeichen des Kreuzes“ wur- den andere Völker und Kulturen zu Zwangstaufen gezwungen oder abgeschlachtet. Zu anderen Zeiten herrschte eine Leidensmystik vor, in der Leiden und Opfer fast selbst- Das Kreuz mit zerstörerisch als „Ziel in sich selbst“ angesehen worden und als Tugend verherrlicht worden sind – als Auf- dem Kreuz opfern/stellvertretendes Opfer und Anteilnahme am Leiden und Kreuz Jesu in diesem irdischen Jammertal der Tränen. All dies ist ausdrücklich nicht damit gemeint, wenn ich mich jetzt durch Zitate von Männern und Frauen aus den verschiedensten Jahr- hunderten dem Zeichen des Kreuzes Vo n Sebast i an Wat zek annähern möchte. Vielleicht bringt bei Ihnen irgendein ein Wort über das D as Symbol für die ganze eine Frau, welche entweder von isla- Kreuz etwas zum Klingen. Oder es Christenheit ist unbestrit- mistischen Fundamentalisten geköpft eröffnet sich eine neue Sichtweise, wie ten das Kreuz. Ein Zeichen, wird oder bei einer Foltermethode wie wir mit Leiden und Schmerz umge- mit dem sich sehr viele Christen sehr Waterboarding in Guantánamo stirbt, hen können, so dass das Kreuz wirk- schwergetan haben oder immer noch begründet durch ihre Anhängerschaft lich zu einem Zeichen des Heils und tun. Das mag schon in der Tötungs- eine neue Religion. Der Vergleich der Erlösung werden kann. art der Kreuzigung begründet liegen. mag drastisch sein, aber er bringt das Diese Art des Todes war zur damali- „Ärger oder die Torheit des Kreuzes Kreuzzitate gen Zeit der schändlichste Tod über- bzw. der Kreuzigung“ – von welchen Dieser himmelweite Baum ist von der haupt. Wenn wir es in unsere heutige der Apostel Paulus immer wieder an Erde empor zum Himmel gewachsen. Zeit übertragen würden, würde es seine Gemeinden schreibt— sehr Unsterbliches Gewächs, reckt er sich vielleicht so aussehen: ein Mann oder gut zum Ausdruck. So mag es in der auf mitten zwischen Himmel und 6 3 . J a h r g a n g + A p r i l 2 0 2 0 9
Erde. Er ist der feste Stützpunkt des die Weissagung erfüllt worden, oder Geschwister zu lieben wie Christus sie Alls, der Ruhepunkt aller Dinge, wo wäre die Größe meiner Geduld geliebt hat. die Grundlage des Weltenrunds, der gewesen? Und wäre ich in Wirklichkeit Hl. Alberto Hurtado kosmische Angelpunkt. Er fasst in vom Kreuz herabgestiegen, hätten sich zur Einheit zusammen die ganze dann alle geglaubt? Hätten sie nicht Das Wort „Kreuz“ ist im Hebräischen Vielgestalt der menschlichen Natur. gesprochen: Ich handle aus zauberischer „zlaw“, 90-30-2. Es ist die Form der Von unsichtbaren Nägeln des Geistes Kraft? Wenn sie schon daran Anstoß Vierheit zur Einheit. Aller Vierheit ist er zusammengehalten, um sich aus genommen hatten, dass ich Tote im Leben; der im Raum, in der seiner Verbindung mit dem Göttlichen erweckte und Kranke heilte, so hätten Zeit, im Namen des Herrn, im nicht zu lösen. Er rührt an die höchsten sie noch viel Ärgeres gesagt, wenn ich Tetragramm also, der 4 Erz-Mütter Spitzen des Himmels und festigt mit vom Kreuz herabgestiegen wäre. (Sarah, Rebecca, Lea und Rahel), der seinen Füßen die Erde, und die weite Hl. Birgitta von Schweden 4 Erzengel (Uriel, Raphael, Michael mittlere Atmosphäre dazwischen und Gabriel) der 4 Wesen um Gottes umfasst er mit seinen unermesslichen Wenn der Sohn Gottes nicht am Kreuze Thron, der 4 Evangelien, der 4 Ecken Armen. gelitten hätte, würde es diese Finsternis der Welt, der 4 Ecken des menschlichen Hippolyt von Rom, Kirchenvater keinesfalls zulassen, dass der Mensch Kleides, der 4 Wenden im Leben […]. zur himmlischen Herrlichkeit gelangt. Die Grenze dieses Lebens ist erreicht, Hl. Hildegard von Bingen, Mystikerin die Zeit der Taufe, des Eintauchens ins Wasser, in die Zeit, ist vollendet; nun kommt die Taufe mit Feuer, dem Entgegengesetzten, die Taufe mit dem Heiligen Geist. Das ist es, was wir das Geheimnis des Kreuzes nennen: der Eintritt in ein neues Leben. Friedrich Weinreb, jüdischer Mystiker Glauben und Kreuz, das tut’s. Der Körper ist das Kreuz. Jesus der Denn Glaube kann nicht besteh’n Menschensohn, ist das Ego oder die ohne Kreuz. Vorstellung: „Ich bin der Körper“. Martin Luther, Reformator Wenn der Menschensohn an das Kreuz geschlagen wird, geht das In Trost und Süßigkeit Ego zugrunde, und was überlebt, kennst du dich selbst nicht, Christ, ist das absolute Sein. Das ist die Das Kreuze zeigt dir erst, Auferstehung des glorreichen Selbst, wer du im Innern bist. das ist Christus — der Gottessohn. Angelus Silesius, Mystiker Ramana Maharshi, indischer Weisheitslehrer Eine Gotteskraft aber ist das Wort Kreuz und Nacht sind der Weg zum vom Kreuze, weil uns dadurch die himmlischen Licht: das ist die Frohe Du brauchst kein Christ zu sein, um die Kraft Gottes oder der Sieg über den Botschaft vom Kreuz…Ich bin mit tiefe universelle Wahrheit zu verstehen, Tod kundgemacht ward oder weil allem zufrieden. Eine „Scientia Crucis“ die das Kreuz beinhaltet. Das Kreuz durch die Kraft Gottes die Höhe und kann man nur gewinnen, wenn ist ein Folterinstrument. Es steht Tiefe, Länge und Breite, das heißt alle man das Kreuz gründlich zu spüren für das Leidvollste, das ein Mensch sichtbare und unsichtbare Schöpfung, bekommt. Davon war ich vom ersten überhaupt erfahren kann, für absolute zusammengehalten wird, gleichwie die Augenblick an überzeugt und habe von Hilflosigkeit und Ohnmacht. Und vier Kreuzesenden durch das mittlere Herzen: Ave Crux, spes unica, gesagt! dann gibt sich der betreffende Mensch Zentrum gehalten und verbunden sind. Hl. Edith Stein, Märtyrerin plötzlich bewusst und bereitwillig Johannes von Damaskus, dem Leiden hin, wie es in den Worten Kirchenlehrer Es gibt viele Christen, die das Kreuz zum Ausdruck kommt: „Nicht mein, Christi zu lieben glauben, aber sondern dein Wille geschehe.“ In dem Ich starb und wurde begraben, aber das Kreuz in ihrem eigenen Leben Augenblick offenbart das Kreuz, dieses meine Gottheit blieb unverletzt. hassen sie. So hassen sie in Wahrheit Folterwerkzeug, sein verborgenes Hätte ich aber bei meinem Tod die auch das Kreuz Jesu Christi. Gesicht: Es ist auch Symbol der Macht meiner Gottheit offen gezeigt, Dietrich Bonhoeffer, Märtyrer Heiligkeit, ein Symbol des Göttlichen. wer hätte noch gewagt, mich vom Hingabe an das, was dem Leben Kreuz abzunehmen und ins Grab Das Zeichen des Christen ist nicht das jede transzendente Dimension zu zu legen? Es wäre für mich etwas Schwert, Symbol der Stärke. Es ist nicht verweigern schien, eröffnet den Zugang sehr Geringes gewesen, vom Kreuz die Waage, Symbol der Gerechtigkeit. zu ebendieser Dimension. herabzusteigen und meine Kreuziger Sondern es ist das Kreuz, Symbol der Eckhart Tolle, spiritueller Lehrer ■ niederzuschlagen, wie aber wäre dann Liebe. Christsein bedeutet, unsere 10 Christen heute
Im Zeichen des Kreuzes Vo n J u tta R esp on dek W ohl die meisten oder doch viele Chris- ten heute-Leserinnen und Leser haben in ihrem Leben wahrscheinlich schon hunderte Male das Kreuzzeichen gemacht, „sich bekreuzigt“, wie man sagt: beim Betreten einer Kirche, zum persönlichen oder gemeinschaftlichen Gebet, im Gottesdienst, – mal mit Bedacht, mal mehr oder weniger gedankenlos, weil man es so gewohnt ist und fast automatisch macht, wenn man spricht: Im Namen des Vaters, und des Sohnes, und des Hei- gelitten und ist elendiglich daran erstickt und verblutet. ligen Geistes. Müsste uns vor einem Kreuz nicht das Grauen packen?! Das Kreuz symbolisiert auch in unserer Gesellschaft Das Kreuz: Gegenwärtig und vertraut Leiden und Tod. Wir drucken es auf Todesanzeigen und Das Kreuz ist uns gegenwärtig und vertraut, man stellen es auf Gräbern auf. Wir sprechen von durchkreuz- begegnet ihm an vielen Orten, sei es in Kirchen, an Wegga- tem Leben, oder sagen, dass jemand ein Kreuz zu tragen belungen, an Wänden christlicher Schulen und Kranken- oder einen Kreuzweg zu gehen hat, wenn er von einem Jutta Respondek häuser, auf Todesanzeigen, Gräberfeldern und Friedhöfen, schweren Schicksalsschlag getroffen wird und viel zu leiden ist Mitglied der oder als Schmuckstück, das nicht nur Kinder zur Erstkom- hat. All das sind negative Assoziationen. Ein Sternchen für Gemeinde Bonn munion geschenkt bekommen. Manch einer trägt einen Geburt, ein Kreuz für Tod: ganz allgemein übliche Zei- Kreuzanhänger an einer Halskette oder hat zu Hause ein chen, unabhängig von Religion oder Konfession. Foto: Егор Журавлёв, „A Sun Under The Cross“, Flickr Wandkreuz über der Wohnungstür oder in einem oder gar mehreren Räumen, – ich kenne es jedenfalls aus meiner Das Kreuz: Heils- und Siegeszeichen der Auferstehung Kindheit so, und auch jedes unserer Kinder hatte in seinem Ausgerechnet das Kreuz, dieses schreckliche Todes- Zimmer sein eigenes Kreuz. Segnungen und Sakramente werkzeug, „für die Juden ein Ärgernis und für Heiden sind mit dem Kreuzzeichen verbunden und Gemeindegot- eine Torheit“ wie Paulus es in 1 Kor 1, 23 ausdrückt, ist tesdienste beginnen und enden im Zeichen des Kreuzes. zum Erkennungszeichen der Christen geworden. Wie Das Kreuz und die Bezeichnung damit ist für Chris- der Davidstern die Juden, und der Sichelmond islami- ten eine Selbstverständlichkeit. Wir wundern uns nicht sche Moscheen, so kennzeichnet bis heute das Kreuz die darüber und erschrecken und entsetzen uns nicht im Christenheit. Sie sieht darin nicht, oder eben nicht nur, Anblick des Kreuzes, das doch eigentlich und ursprüng- ein antikes Folter- und Hinrichtungsinstrument, sondern lich ein grausames Folter- und Hinrichtungsinstrument ist, das Holz, an dem Jesus Christus, Gottes- und Menschen- ein besonders abschreckendes und schändliches Mittel für sohn und Herr der Welt, den Tod erlitt und überwand und einen langsamen, qualvollen Tod schlimmer Verbrecher. dadurch der Welt Heil und Erlösung brachte. So jedenfalls wurde es zur Zeit Jesu verwendet. Jesus hat, Das Kreuz also als Heils- und Siegeszeichen, als Sym- so wie viele andere zu Recht oder Unrecht Verurteilte, an bol für Überwindung von Leiden und Tod. Als solches einem solchen Schand- und Marterpfahl größte Qualen ist das Kreuz den Christen heilig und verehrungswürdig. „O du hochheilig Kreuze, daran mein Herr gehangen, in 6 3 . J a h r g a n g + A p r i l 2 0 2 0 11
Schmerz und Todesbangen“ heißt es im Lied EG 390. Darin nicht vernichtet, alles hat sich ins Gegenteil verkehrt. Jesus wird das Kreuz als sichere Leiter zum ewigen Leben, als hat die Todesqualen des Kreuzes überwunden und damit Brücke über die Fluten, als Siegeszeichen, als Pilgerstab, ein Hoffnungszeichen in die Welt gesetzt. als Himmelsschlüssel, besungen. Hätte man nicht dementsprechend statt des Kreuzes Das Kreuz: Zeichen für Gottes Mitleiden z. B. eine Brücke, einen Pilgerstab, einen Schlüssel, oder Wer könnte besser dem Menschen in seinem Lei- aber eine Friedenstaube oder aufgehende Sonne als Zei- den nahe sein und Halt und Trost geben sein als einer, der chen der Auferstehung wählen können…? Warum beten selbst gelitten und jeglichen menschlichen Schmerz am Foto: Fr Lawrence Lew, O.P., „Sign of Victory“, Flickr wir und erinnern wir uns an Jesus im Zeichen des Kreu- eigenen Leib erfahren hat?! Für mich ist Jesus, der Gekreu- zes? Warum ein so anstößiges und irrsinniges Symbol und zigte und Auferstandene, der, der auch in meinen dunklen Gedenkzeichen? Wenn ich mich an einen lieben Menschen Stunden da ist, der mit mir ausharrt und alle Tränen mit- erinnern möchte, den mir der Tod genommen hat, so stelle weint. Einer, der die tiefste Nacht durchlitten und über- ich ein schönes Bild von ihm auf, eines, das typisch für lebt hat und somit die Abgründe menschlichen Daseins ihn ist, auf dem er zu sehen ist, wie er gelacht und gelebt kennt. An ihm kann ich mich festhalten. Nicht, weil er sich hat, – und nicht das Autowrack, in dem er ums Leben kam, als „Lamm Gottes“ für meine Sünden und die Sünden der oder sein Kranken- und Sterbebett, in dem er litt, oder Welt geopfert hat, weil der himmlische Vater das so wollte den Krückstock oder die Prothese, mit deren Hilfe er sich (?), sondern weil er konsequent seinen Weg der Liebe ging mühsam fortbewegte. Neben all diesen traurigen Dingen und seiner Sache treu blieb, auch wenn es ihn das Leben und Realitäten, die mir unvergessen bleiben, möchte ich kostete. doch vor allem eine positive und frohe Erinnerung an den Diese Sicht mag vielleicht theologisch nicht ganz kor- geliebten Menschen bewahren, für den ich dankbar bin rekt sein, aber nur so kann ich für mich das Kreuz betrach- und den ich schmerzlich vermisse. ten und versuchen, mich ihm anzunähern. Es ist und bleibt Von Jesus hingegen haben wir das Kreuz an dem er ein Zeichen des Todes und der Grausamkeit und steht mit- starb. Er ist und bleibt der Gekreuzigte. Der auferstandene ten in der Welt. In einer Welt, die ihre Schrecken nicht ver- Gekreuzigte. Von seiner Auferstehung gibt es nichts Hand- loren hat und bis heute geprägt ist von Tränen, Leid und Ungerechtigkeit. Menschen leiden unter Verfolgung und Verleumdung, unter Grausamkeit, Unterdrückung, Aus- beutung und Bedrohung oder Vernichtung ihres Lebens. Jesus ist dieser Realität nicht ausgewichen, sondern hat sich in seinem Kreuzestod mit allen Leidenden solidarisiert. Er ist mittendrin, er leidet mit, und er gibt durch seine Todes- überwindung Hoffnung, dass Unrecht, Tränen, Schmerz und Tod nicht das letzte Wort haben. Das Lied EG 384 vom empor wallenden Königsbanner, unter dem das heilige Kreuz aufstrahlt, „daran den Tod das Leben litt und Leben durch den Tod erstritt“, greift diesen Aspekt auf. Dort wird in der 6. Strophe das Kreuz als Trost im Leid gegrüßt „O Kreuz, du einziger Trost im Leid, Gruß dir in dieser Leidenszeit!“ Gerade wegen seiner Beinhaltung von Qual und Tod konnte und kann das Kreuz im allgegenwärtigen Leid der Welt Trost-, Heils- und Hoffnungszeichen sein. Sein Geheimnis ist die Verwandlung. An ihm vollzieht sich die Wandlung von Angst und Pein, Not, Tod und Schrecken, in Auferstehung und neues Leben. Es ragt aus dem Leid des irdischen Daseins empor in den Himmel und weist auf festes, keine Bilder und keine Beweise, außer den Aussagen eine andere Wirklichkeit. Es umfängt mit seinen Armen seiner Jüngerinnen und Jüngern, denen er sich als Lebender die ganze Welt. Deshalb kann es Mut und Kraft geben, zeigte. Das leere Grab ist ein Hinweis, aber nicht griffig, deshalb kann es retten (1 Kor 1,18), deshalb können wir das um als Heils- und Erkennungszeichen zu dienen. Bleibt Kreuz als Heilszeichen betrachten und verehren, wie es die also das Kreuz, als harte und brutale Tatsache, unleugbar Karfreitagsliturgie vorsieht: und provokativ. Ausgerechnet das Mittel, mit dem man diesen Jesus ein für alle Mal loswerden und aus der Welt Im Kreuz ist Heil schaffen wollte, hat ihn unsterblich gemacht. Der Plan sei- Im Kreuz ist Leben ner Gegner ist nicht aufgegangen, der Kreuzestod hat ihn Im Kreuz ist Hoffnung ■ 12 Christen heute
Kreuz- Beschwerden Vo n H ar ald K lein E s gehört zu den meist genannten Gesund- heits-Problemen in der heutigen Zeit: das Kreuz mit dem Kreuz. Gemeint ist der Rücken, der so oft dem heutigen Menschen Sorgen macht. Mag es mit fal- scher Körperhaltung zusammenhängen, falscher Ernäh- rung oder mangelnder Übung: Viele Menschen klagen heute über Kreuz-Beschwerden. Mitunter ist es allerdings auch ein psychisches Problem. Dann ist der jeweilige Mensch seelisch überladen, überfordert. Vielleicht ist sein Rücken noch ganz gesund, aber die Psyche meldet sich über Rückenschmerzen. Das Problem ist eben, dass beim „Kreuz“ zwei Richtungen, zwei Dimensionen zusammen- kommen, die waagerechte und die senkrechte, und eben das erzeugt Belastung. Kreuze gibt es vielerlei Natürlich bezeichnet das Wort „Kreuz“ auch Wirk- lichkeiten in anderem Sinn. Da ist es heutzutage zum Dekan i. R. Beispiel in demokratischen Ländern üblich, von Zeit zu Kreuze stellen in Frage Harald Klein Zeit sein Kreuz zu machen. Und auch da kommen zwei Insofern hat auch die christliche Kirche von allem ist Mitglied der Gemeinde Richtungen zusammen, auch da wird etwas getragen, wird Anfang an gewaltige Probleme mit dem Kreuz gehabt. Rosenheim Verantwortung wahrgenommen. Und weil es eine kriti- Man könnte tatsächlich sagen: das Christentum hat Zeit sche Angelegenheit ist, ergeben sich dann manchmal im seines Lebens „Kreuz“-Beschwerden gehabt. Die Christen Nachhinein Probleme, Kreuz-Beschwerden. So denke haben geklagt, getrauert, sie haben nachgefragt, gezweifelt, ich, hat ganz Deutschland unter den Kreuzen zu leiden, sie haben nicht gewusst, wie sie diesen Tod Jesu am Kreuz die die Thüringer bei ihrer letzten Landtagswahl gemacht verstehen und einordnen sollten. Da hatte jemand sein haben. Viele Kreuze waren im Feld der AfD eingetragen. Signum gemacht, sein Kreuz der Entscheidung: Pilatus, die Damit war etwas entschieden oder ausgelöst, das schwer zu Bosheit von Menschen und vor allem der Tod hatte sein tragen ist. Auch im sonstigen Leben gibt es Kreuze, Ent- Kreuz gemacht. scheidungsmale, die im Nachhinein zum Unglück werden Es hat durchaus einige Zeit gedauert, bis die frühen können. Gott hat uns Menschen als freie Wesen gewollt, Christen eine Idee, einen Verstehenshorizont für Jesu Ster- die sich selbst und ihre Welt verantwortlich mitgestalten. ben am Kreuz gefunden hatten. Dabei war es nicht unbe- Also musste von vorn herein auch damit gerechnet werden, dingt von vorn herein ein überzeugender Zusammenhang. Foto: Ivan Radic, „A young woman having back pain dass es Fehlentscheidungen, fatale Irrtümer und Versagen „Der Jesus ist gar nicht richtig gestorben,“ haben man- geben würde. che gesagt, „der hatte nur einen Scheinleib; es sah nur so Römische Befehlshaber pflegten unbequeme oder aus, als hätte er gelitten und den Kreuzestod erlebt.“ Eine systemkritische Menschen kurzerhand an ein Holzkreuz andere Theorie besagte, Jesus sei der neu lebende Pro- while sitting at the desk in her office“, Flickr zu nageln und dort für alle sichtbar zu Tode zu foltern. phet Elias gewesen und durch den Tod wieder ins Reich Das Kreuz als Todesholz hat zum einen seine Entstehung der Scheol (Totenreich) zurückgekehrt. Ganz allmäh- und Form der Gestalt des Menschen zu verdanken. Aber lich gab es erste Theorien, die versuchten das Geschehen zum andern steckt darin auch ein Symbol, eine Botschaft, theologisch mit Jahwe (Gott Vater) zu verbinden. Häufig dass da nämlich etwas entschieden war und jemand defi- geschah das mit der Idee, dass eben Gott diesen schlimmen nitiv sein „Kreuz“ gemacht hatte, quer über das Leben Tod befohlen hätte. Jesus musste so sterben, sonst hätte es und Lieben eines anderen. Und die da angenagelt oder keine Erlösung gegeben; er musste so sterben, sonst wäre angebunden wurden, hatten entsprechend mehr als nur Gott nicht zufrieden gewesen. Das Bild des „Freikaufens“ Beschwerden, sie wurden blutig ausgelöscht. Die Beschwer- tauchte auf: Jesu Kreuzestod als Wiedergutmachung, als den und entsprechende Trauer hatten dann mehr die Zahlung für die Schuld der gesamten Menschheit. Das Freunde und Angehörigen der Gekreuzigten. ergab für viele damals einen Sinn: Jesu Tod war dann ein Sühnetod, wie ja auch der Tod der Opfertiere im Tempel ein Stellvertreter- und Sühnetod war. 6 3 . J a h r g a n g + A p r i l 2 0 2 0 13
Das Wort „Kreuz“ wurde in der Folge zum Symbol diese Grundeinstellung gegenüber den Lebenslasten fin- für das Opfer, das ein Mensch im Geiste Jesu auf sich zu den. Er ist zu den Kleinen und Benachteiligten gegangen nehmen hat. Es entstanden Verse in den Evangelien, die und hat ihnen Befreiung gebracht. All die Wunder, die in die Jüngerschaft an die Bereitschaft knüpften, das Kreuz zu den Evangelien berichtet werden, haben doch genau den tragen. Und das „Herrenmahl“ zur Erinnerung und Ver- Sinn gehabt, den Menschen ihr Kreuz zu erleichtern oder gegenwärtigung Jesu entwickelte sich langfristig zu einem gar abzunehmen. Jesu Einstellung gegenüber den Lasten kultisch immer neuen Vollzug des „Kreuzesopfers“ Jesu. des Gesetzes, den Lasten der Vorurteile war revolutionär und eben nicht ein Aufruf des Duldens. Das ist ganz wich- Das Kreuz erhöht (in der Notenschrift) tig festzuhalten. Jesu Botschaft war nicht depressiv, nicht Zusammen mit der Erfahrung und Botschaft der Auf- bedrückend. Er hat aus dem Kreuz der kleinen Leute kein erstehung erhielt mit der Zeit das „Kreuz“ eine positive Heiligtum, keinen Erlösungsweg gemacht. Bedeutung. So konnte man eben mit ihm umgehen, es deu- ten und in die neue Lehre einbeziehen. Es ist kein Wun- Ein neues Bild von Gott der, dass irgendwann die Antiphon des Karfreitags den Aber ganz ohne Zweifel ist dann irgendwann Jesus Satz enthielt: „Im Kreuz ist Heil.“ Spätestens von Paulus an selber den Weg des Kreuzes gegangen. Es heißt zwar in den wurde der Kreuzestod Jesu als womöglich unumgängliches, Evangelien, er habe aufmüpfig Gott gefragt: „Warum, hast aber unbedingt erlösendes Geschehen in der Mitte der Zeit du mich verlassen?“ (Mk 15,34), und auch sein letztes Wort gedeutet. sei ein Aufschrei gewesen, aber er ist zweifellos dem Kreuz Nur – stimmt das? Ist der Satz wahr, dass im Kreuz nicht ausgewichen. Vielleicht wird das Wort vom Kreuz Heil ist? bei Jesus viel zu speziell nur auf den Karfreitag angewen- Ich erinnere mich an meine römisch-katholischen Spi- det. Jesus hat auch schon vorher seine Begegnung mit dem rituale in Studium und Priesterseminar. Allesamt maßen Kreuz gehabt. Dass er seinen Heimatort und seine Familie sie dem „Kreuz“ eine ganze spezielle und tiefgründige verlassen hat, dass er sich für einen anderen Weg als Johan- Mystik zu. Und natürlich ging dieser Denkansatz über den nes der Täufer entschieden hat, dass er immer neu sich zu Bezug auf den Tod Jesu hinaus. „Jeder Mensch muss sein total Einfachen und Bedürftigen zugewendet hat, dass er Kreuz finden und tragen,“ sagten sie, „jeder muss darin solche Donnersöhne, Versager und Verleugner als Schü- seinen Lebenssinn finden.“ Nur über das Kreuz, so meinen ler hatte, all das ist Last gewesen. Und sich immer neu auf auch heute noch viele Lehrer des Christentums, kann man diesen Weg der Unterscheidung und der Liebe zu begeben, Gott zufrieden stellen. Im Kreuz ist Heil. hatte mit dem Kreuz zu tun. Ich habe mich damals innerlich, da kann ich mich Jesus hat das Kreuz nicht gescheut, er hat es angenom- noch gut erinnern, dagegen aufgebäumt. Vor allen Dingen men, aber (!) zutiefst aufrecht. Jesus hat sich nicht zum merkte ich, dass dieses Reden vom Kreuz im Predigen der Sklaven machen lassen. Und auch sein Sterben am Kreuz Spirituale eine Funktion bekam: es lenkte hin zu Demut hatte historisch damit zu tun, dass er zuvor mit Wucht und Gehorsam. Und wenn man diese doch durchweg mir und Selbstbewusstsein die Frevler aus dem Tempel vertrie- sympathischen Menschen beim Sprechen vom Kreuz beob- ben hatte. Jesus hat nicht das Kreuz um des Kreuzes willen achtete, erhielt man den Eindruck einer gewissen depres- akzeptiert, lediglich als einzig verbliebene Chance, sich siven Haltung: „Es ist schlimm, dieses Gesetz des Kreuzes, und der Liebe treu zu bleiben. das Gott seinem Sohn und auch uns aufgebürdet hat; aber Es stimmt nach meinem Empfinden nicht, dass wenn man es befolgt, findet man genau darin die seelische Jesus sein Leben und Blut als Opferpfand Gott hingeben Erfüllung.“ musste. Weder Jesus noch wir sind Untertanen, die einem herrischen Gott ihre Gaben bringen müssen. Das war eben Das Kreuz ist kein schmucker Anhänger das neue Gottesbild, das Jesus gelehrt hat: Gott ist nicht Ich möchte zumindest zuerst einmal sagen dürfen: Im außerhalb von Leid und Kreuz und schaut erwartungsvoll Kreuz ist Elend! Im Kreuz ist Vernichtung, im Kreuz ist darauf herab, sondern er nimmt solidarisch an unserm Leid Widersinn! Das Kreuz als Ort des Schmerzes und Unter- teil. Gott ist mitten drin als Mitleidender, so wie Jesus Mit- gangs ist grausig und lieblos. Wer grundsätzlich predigt, leidender war. Das ist die Botschaft des Christentums und dass Menschen ihr Kreuz finden und tragen müssten, der wird von Matthäus am Ende der Zeit Jesus in den Mund handelt eigentlich gegen alles, was die Überlieferung unse- gelegt: Was ihr dem/der Geringsten unter euch getan habt res Glaubens geprägt hat. Hätten dann nicht die Israeliten (gegen sein Kreuz der Armut, des Hungers, der Krank- im verhassten Ägypten bleiben müssen und als Sklaven die heit), habt ihr mir getan (Mt 25,40). Fron tragen müssen? Aber nein, wir feiern bis heute ihren Seit Jesus und seinem Kreuzweg ist das klar: Im Kreuz Mut, diesem auferlegten Kreuz Lebewohl zu sagen und ist nicht deshalb Heil, weil das Kreuz so mystisch wertvoll aufzubrechen in bessere Zeiten? Und hat sie Gott dabei wäre, sondern nur weil Gott da bei uns ist. Gott gibt uns nicht unterstützt?! innerlich Mut, aufrecht auch durch schlimmste Momente Immer wieder kann man im Alten Testament Men- zu gehen, glaubend, revolutionär. Seit Jesus ist das deut- schen begegnen, die gerade nicht alles geduldet und demü- lich wie nie zuvor. Im Kreuz ist Heil, weil Gott gegen die tig ertragen haben. Und erst recht bei Jesus kann man Schwerkraft des Kreuzes liebend an unserer Seite steht. ■ 14 Christen heute
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