Die Alt-Katholische Zeitschrift in Deutschland + 64. Jahrgang April 2020 - alt-katholische Kirche

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Die Alt-Katholische Zeitschrift in Deutschland + 64. Jahrgang April 2020 - alt-katholische Kirche
Christen heute 2020/4

                        Di e A lt-K at holisch e Zei tsch r i f t i n Deu tsch l a n d       +   64 . Ja h rg a ng · A pr i l 2020

                                                                                                        auf Seite 32

                        4   Sühneopfer – ein alter Hut?   11   Im Zeichen des Kreuzes            25 Wer starb am Kreuz?
                            von Francine Schwertfeger          von Jutta Respondek                  von John Grantham

                        6   Im Kreuz ist Heil             13 Kreuz-Beschwerden                   26 Poesiesammlung zum Titelthema
                            von Theresa Hüther               von Harald Klein
                                                                                                 32 Wort des Bischofs zur Coronakrise
                        7   Die Magdalenerin im Garten    15   Ritter der Straße in Aktion          von Bischof Matthias Ring
                            von Sebastian Watzek               von Francine Schwertfeger

                        9   Das Kreuz mit dem Kreuz       22 Den Glauben bekennen
                            von Sebastian Watzek             von Andreas Krebs
Die Alt-Katholische Zeitschrift in Deutschland + 64. Jahrgang April 2020 - alt-katholische Kirche
Neuer Vorsitzender der                   Ernesto Cardenal verstorben               Baptistischer Oncken-Verlag wird
                                           Bischofskonferenz                        Im Alter von 95 Jahren ist am             von Methodisten übernommen
                                           Der Limburger Bischof Georg              1. März der nicaraguanische Dichter,      Im Dezember vergangenen Jah-
                                           Bätzing (58) ist neuer Vorsitzender      Befreiungstheologe und römisch-ka-        res hatte der baptistische
              Namen & Nachrichten
                                           der Deutschen Bischofskonferenz          tholische Priester Ernesto Cardenal       Oncken-Verlag in Kassel Insolvenz
                                           der römisch-katholischen Kirche. Er      verstorben. Cardenal galt als einer       angemelden müssen. Jetzt wurde er
                                           wurde am 3. März bei der Frühjahrs-      der bedeutendsten Vertreter der           von der durch Methodisten geführ-
                                           vollversammlung der Bischofskonfe-       Befreiungs­theologie, mit der sich        ten Firma Blessings 4 you GmbH
                                           renz in Mainz gewählt und folgt dem      lateinamerikanische Geistliche in den     aus Stuttgart übernommen. Dadurch
                                           Münchner Erzbischof und Kardinals        60er Jahren auf die Seite der Armen       konnten die Arbeitsplätze am Stand-
                                           Reinhard Marx (66), der sich aus         gestellt hatten. Für sein Engagement      ort des Oncken-Verlages erhalten wer-
                                           Altersgründen nicht erneut zur Wahl      erhielt er u. a. 1980 den Friedenspreis   den. Die Geschäftsführerin Angela
                                           stellte. Seine Hauptaufgaben sieht       des Deutschen Buchhandels. 1985           May und ihr Kollege Tobias Blessing
                                           Bätzing nach eigenen Angaben in der      wurde dem 1965 zum Priester geweih-       machten deutlich, dass die Produktpa-
                                           Aufarbeitung der Missbrauchsverbre-      ten Theologen wegen seines politi-        lette des Oncken-Verlages durch Bles-
                                           chen und in der Fortführung des so       schen Einsatzes als Kulturminister        sings weitergeführt werde, zu der auch
                                           genannten synodalen Weges innerhalb      der ersten sandinistischen Regierung      der freikirchliche Andachtskalender
                                           der römisch-katholischen Kirche.         nach der Revolution 1979 in Nicara-       „Wort für heute“ gehöre, der gemein-
                                           Gleichzeitig legt er Wert auf die Öku-   gua vom damaligen Papst Johannes          sam vom Bund Freier evangelischer
                                           mene, denn das Christentum könne         Paul II. die Ausübung des priester-       Gemeinden, den Baptisten und der
                                           nur gemeinsam eine Wirkung in der        lichen Dienstes verboten; erst im         Evangelisch-methodistischen Kirche
                                           säkularen Gesellschaft haben. Deswe-     Februar des vergangenen Jahres war        herausgegeben werde.
                                           gen blicke er auch mit Optimismus        dieses Verbot vom derzeitigen Papst
                                           auf die Planungen zum 3. Ökumeni-        Franziskus wieder aufgehoben wor-         Trauung für alle
                                           schen Kirchentag 2021 in Frankfurt       den. Cardenal wurde am 7. März in         Nach einer Umfrage des Evange-
                                           am Main, der für ihn ein „starkes und    seiner Heimat auf den Archipel-Inseln     lischen Pressedienstes (epd) unter den
                                           eindeutiges Zeichen des ökumeni-         Solentiname beerdigt.                     20 evangelischen Landeskirchen lassen
                                           schen Miteinanders“ sei. Der Rats-                                                 sich nur wenige gleichgeschlechtliche
                                           vorsitzende der Evangelischen Kirche     Gemeinsamer interreligiöser               Ehepaare nach ihrer standesamtlichen
                                           in Deutschland (EKD), Heinrich           Religionsunterricht                       Eheschließung auch kirchlich segnen.
                                           Bedford-Strohm, würdigte Bätzing         Die stellvertretende Ratsvor-             Dabei ist die Regelung in den Landes-
                                           als ökumenisch aufgeschlossen. Auch      sitzende der Evangelischen Kirche in      kirchen allerdings unterschiedlich:
                                           römisch-katholische Reformgruppen        Deutschland (EKD), Präses Annette         Nachdem im vergangenen Jahr gleich
                                           wie „Wir sind Kirche“ begrüßten die      Kurschus, hat sich für einen gemein-      sechs Landeskirchen die Trauung für
                                           Wahl des Limburger Bischofs zum          samen Religionsunterricht von christ-     alle eingeführt haben, sind nun in 14
                                           neuen Vorsitzenden der Bischofskon-      lichen und muslimischen jungen Men-       Landeskirchen Segnung und Trauung
                                           ferenz. Als Vorsitzender der Bischofs-   schen ausgesprochen. Im Austausch         grundsätzlich gleichgestellt, während
                                           konferenz hat Bätzing vor allem          mit Schülern anderer Religion wür-        sich in fünf Landeskirchen die Paare
                                           repräsentative Aufgaben und vertritt     den sich junge Menschen nicht nur         in einem Gottesdienst weiterhin
                                           die römisch-katholischen Bischöfe als    mit der religiösen Vielfalt im Land       lediglich segnen lassen können. In der
                                           Sprecher nach außen. Er wird für eine    auseinandersetzen, sondern auch den       zweitkleinsten Landeskirche Schaum-
                                           Amtszeit von sechs Jahren gewählt.       eigenen Glauben besser kennenler-         burg-Lippe ist eine Segnung bislang
                                                                                    nen. Sie sei der Überzeugung, dass der    nur in einem privaten Rahmen, nicht
                                                                                    Dialog mit anderen das eigene Profil      aber in einem Gottesdienst möglich;
                                                                                    schärfen und zur Entwicklung einer        im Herbst soll das Kirchenparlament
                                             Kirche im Radio                        religiösen Identität beitragen könne.     dort allerdings über die Einführung
                                             „Positionen“                           Diesbezügliche Modellversuche gäbe        einer öffentlichen Segnung im Got-
Titelfoto: Fotokollage von John Grantham

                                             Bayern 2 Radio                         es bereits in Gelsenkirchen, wo evan-     tesdienst abstimmen. Im Jahr 2017
                                             26. April, 6:45 Uhr                    gelische, römisch-katholische und         hatte der Deutsche Bundestag die
                                             Pfarrer Daniel Saam                    muslimische Lehrkräfte gemeinsam          „Ehe für alle“ beschlossen und damit
                                             Regensburg                             Religion unterrichten würden.             Lebenspartnerschaft und Ehe gleich-
                                                                                                                              gestellt. Vom 1. Oktober 2017 bis
                                                                                                                              Ende 2018 schlossen nach Angaben
                                                                                                                              des Statistischen Bundesamtes knapp
                                                                                                                              33.000 schwule und lesbische Paare
                                                                                                                              die Ehe; davon waren allerdings 21.500
                                                                                                                              Umwandlungen von Lebenspartner-
                                                                                                                              schaften in Ehen.

                                                                                                                              fortgesetzt auf Seite 31           5

      2                                                                                                                                       Christen heute
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Editorial
                                                               dann auch noch ein oder zwei scharfe, hochauflösende und
                                                               prägnante Fotos dazu liefern können, bei denen die darauf
                                                               möglicherweise abgebildeten Personen Ihre Zustimmung
                                                               für den Abdruck im Zusammenhang mit dem Artikel                  Walter
                                                               gegeben haben, freuen wir uns noch mehr. E-Mail-Adresse:         Jungbauer ist
                                                               redaktion@christen-heute.de                                      kommissarischer
                                                                    Ein Zweites: Wenn Ihnen auffällt, dass in der Ter-          Chefredakteur
                                                                                                                                von Christen
                                                               minübersicht hier in Christen heute – oder auch im Ter-          heute und Pfarrer
                                                               minüberblick auf der Bistumswebsite – ein Termin von             der Gemeinde
                                                               bistumsweitem Interesse aus Ihrer Gemeinde oder Ihrem            Hamburg
Vo n Walt er J un gbauer                                       Dekanat fehlt: Dann senden Sie die Information mit
                                                               Datum bzw. Zeitraum, Thema, Veranstalter und Veranstal-

L
       iebe Leserinnen und Leser, der Chefredak-               tungsort an die E-Mail-Adresse termine@christen-heute.de
       teur von Christen heute, Pfarrer Gerhard Ruisch,        zu, damit der entsprechende Termin berücksichtigt werden
       ist erkrankt und wird für die nächsten Ausgaben         kann. Gehen Sie bitte immer davon aus, dass ich nur davon
nicht zur Verfügung stehen können. Für diesen Zeitraum         erfahre, wenn Sie mich über einen entsprechenden Termin
habe ich kommissarisch die Aufgabe als Chefredakteur           informieren.
übernommen.                                                         Und ein Letztes: Wenn Sie überlegen, einen Arti-
     Gerhard Ruisch sei von dieser Seite aus ein herzlicher    kel zum Schwerpunkt-Thema eines Heftes zu verfassen,
Gruß gesendet und die besten Wünsche für eine baldige          wäre es sehr gut, wenn Sie dies möglichst frühzeitig – am
Genesung.                                                      besten schon Mitte des Monats vor Redaktionsschluss –
     Wenn nun nicht alles so glatt läuft, wie Sie es bislang   mit einer kurzen E-Mail an redaktion@christen-heute.de
unter der Chefredaktion von Pfr. Ruisch gewohnt waren,         ankündigen. Dann bekomme ich einen Eindruck davon,
so bitte ich dies zu entschuldigen. Ich werde mich in diese    ob noch nach Autorinnen und Autoren für ein Schwer-
neue Rolle erst noch ein wenig einfinden müssen. Aber          punkt-Thema gesucht werden müssen oder ob mögli-                        Foto: Saad Shakil, „Easy there infection“, Flickr
dank der Mitarbeit zahlreicher Autorinnen und Autoren          cherweise eine so große Fülle an thematischen Beiträgen
sowie der hervorragenden Arbeit unseres Layouters John         vorliegen wird, dass es – wie beim vorliegenden Heft – kei-
Grantham habe ich wenig Sorge, dass allzu viele Probleme       nen Sinn macht, noch zusätzliche Beiträge zu verfassen;
auftreten werden.                                              wenn vor allem Letztes frühzeitig klar ist, hilft dies sehr,
     Ein paar Hinweise, die ich gerne noch geben möchte:       mögliche Enttäuschungen darüber zu vermeiden, dass der
     Wenn Sie Bericht von Ereignissen oder Veranstaltun-       eigene Beitrag dann nicht (mehr) berücksichtigt werden
gen aus Ihrer Gemeinde vermissen, dann liegt das ganz          konnte.
einfach daran, dass von Ihrer Seite niemand einen Bericht                                                 Herzlich grüßt Ihr
verfasst hat. Anders gesagt: Wenn Sie wollen, dass auch aus                                          Pfr. Walter Jungbauer
Ihrer Gemeinde in Christen heute berichtet wird, fühlen                                      kommissarischer Chefredakteur
Sie sich ermutigt, einen Beitrag zu verfassen. Und wenn Sie                                                                 ■

6 3 . J a h r g a n g + A p r i l 2 0 2 0 3
Die Alt-Katholische Zeitschrift in Deutschland + 64. Jahrgang April 2020 - alt-katholische Kirche
Sühneopfer –
                 ein alter Hut?
                 Zum Widerstreit in der Theologie
                 Von Fr a n cin e Schwert feger

                 C
                         hristus ist für unsere               in uns, da er mit uns redete auf dem
                         Sünden gestorben. Mit dem            Wege, als er uns die Schrift öffnete?“
                         Satz ist Klein-Erna groß                  Was ist denn in der Schrift bei
                 geworden. Hat es Klein-Erna aber             den Propheten von ihm gesagt? Bei
      Francine   von ihren Schuldgefühlen befreit, ein        Deuterojesaja heißt es vom leidenden
 Schwertfeger
  ist Mitglied   sündiger Mensch zu sein, für dessen          Gottesknecht ( Jes 53,4 ff ):
der Gemeinde     Erlösung Jesus Christus angeblich sein
    Hannover     Blut am Kreuz vergossen hat, oder ist            Fürwahr, er trug unsere                  um ihn klagen, wie man klagt um
                 die Sühneopfertheologie nicht viel-              Krankheit und lud auf sich               ein einziges Kind, und werden sich
                 mehr seit Jahrtausenden als Geißel der           unsere Schmerzen. Wir aber               um ihn betrüben, wie man sich
                 Menschheit verwendet worden?                     hielten ihn für den, der geplagt         betrübt um den Erstgeborenen.
                                                                  und von Gott geschlagen und
                 Hinterfragen der                                 gemartert wäre. Aber er ist um       Meint das nicht: Der Geist der Gnade
                 Sühneopfertheologie                              unserer Missetat (Abtrünnigkeit)     und des Gebets ermöglicht Reue?
                      Inzwischen haben es – nach Kant             willen verwundet und um unserer
                 in der Aufklärung – auch moderne                 Sünden willen zerschlagen.           Kreuzestheologie von
                 Theologen wie Klaus-Peter Jörns u. a.            Die Strafe liegt auf ihm, auf dass   Ostern her denken
                 gewagt, diese maßgeblich vom Apo-                wir Frieden hätten, und durch             Nikolaus Schneider hielt 2009
                 stel Paulus entworfene Lehre zu hin-             seine Wunden sind wir geheilt.       in seiner Funktion als Präses der
                 terfragen, da sie im Kontrast steht zur                                               evangelischen Kirche im Rheinland
                 Lehre Jesu, seinen Aussagen über sich        Was ist das für ein Widerspruch?         einen Vortrag zum Jahresempfang
                 selbst.                                      „Wir hielten ihn für den – der wäre      der griechisch-orthodoxen Metropo-
                      Als zwei Jünger nach Jesu Tod           …“ – „Aber er ist um unserer Missetat    lie von Deutschland, Exarchat von
                 von Jerusalem nach Emmaus wan-               willen …“ Das heißt doch: Nicht Gott     Zentraleuropa. Darin schlüsselt er
                 dern (Lukas 24,13 ff ), gesellt sich Jesus   will das Opfer. Die Menschheit hat       die Bedeutung des Kreuzestodes Jesu
                 unerkannt zu ihnen, die noch rätseln         ihn ans Kreuz gebracht.                  auf über die verschiedenen Epochen
                 über die Geschehnisse um seine Hin-               Auch lesen wir beim Propheten       von Schleiermacher, Kant, Bultmann,
                 richtung und Auferstehung. Seine             Sacharja (Sach 12,10) in der Klage       Aulén, Jörns und Luther und dem
                 Antwort: „Musste nicht Christus sol-         über den Durchbohrten:                   Heidelberger Katechismus, die alle
                 ches leiden und zu seiner Herrlichkeit                                                versucht haben, dem Kreuzestod Jesu
                 eingehen? (…) Und fing an bei Mose               Aber über das Haus David und         Sinn abzugewinnen.
                 und allen Propheten und legte ihnen              über die Bürger Jerusalems will           Schneider selbst kommt in sei-
                 die ganze Schrift aus, was darin von             ich ausgießen den Geist der Gnade    nem Vortrag dazu, dass erst das
                 ihm gesagt war.“ Als er nach dem Brot-           und des Gebets [sic!]. Und sie       Widerfahrnis der Auferstehung den
                 brechen vor ihnen verschwand, sagen              werden mich ansehen, den sie         Emmaus-Jüngern ein neues Licht auf
                 die beiden: „Brannte nicht unser Herz            durchbohrt haben, und sie werden     den Tod wirft, daher Kreuzestheologie

   4                                                                                                                Christen heute
Die Alt-Katholische Zeitschrift in Deutschland + 64. Jahrgang April 2020 - alt-katholische Kirche
nur von Ostern her gedacht wer-          Dennoch bleibe die sich in der                  ihre Schuld immer wieder
den könne. Eine These sei, dass das      Menschwerdung gezeigte Liebe                    vergibt. Hier gehört Schuld zum
„für uns gestorben“, also das stell-     Gottes wie die menschliche Natur                Menschsein genau wie Liebe
vertretende Handeln, als Tat der         unbestimmt, wenn in Kreuz und                   und Vergebungsbereitschaft –
Liebe gedeutet werden könne. „Für        Auferstehung Jesu nicht mehr der                und ist keineswegs Anlass
die Menschen, die man liebt, nimmt       Zuspruch der Vergebung unserer Sün-             zum göttlichen Zorn.
man den Tod auf sich. Es ist darum       den vernommen werde.
ganz unsinnig, an dieser Stelle einen                                                So führt Mulack aus:
Gegensatz zwischen ‚anstelle von‘ und    Wiederbelebung alter Opfer- und
‚zugunsten‘ zu konstruieren.“            Sühnetheologie durch Paulus                     Nach Jesu Vorstellung erfährt der
      In der Metapher des Lösegeldes,         Einen radikal anderen Weg                  Mensch eine enorme Vorleistung
wie es bei Luther und im Heidelberger    schlägt die feministische Theologin             an göttlicher Vergebung, bevor
Katechismus vorkomme, komme zum          Christa Mulack ein in ihrem Buch                er selbst anderen gegenüber
Ausdruck, dass Gott mitten unter uns     Der veruntreute Jesus, in dem sie scharf        dazu verpflichtet wird.
ist. Er zitiert als Quelle den evange-   mit dem Glaubensgerüst des Apostels
lischen Theologen Eberhard Busch         Paulus abrechnet, mit dem dieser sich       (Ihr Beispiel ist das Gleichnis vom
(1998):                                  konträr zu Jesu Evangelium gestellt         König, der seinem Untertan Schul-
                                         und es verfälscht habe, ja, er sogar sei-   den erlässt, dieser wiederum seinem
    Wenn im Blick auf das Kreuz          nen eigenen Glauben entworfen und           Untergebenen nicht.)
    von einem Opfer zu reden ist,        vermittelt hätte:                                 Jesus habe damit ausgedrückt:
    dann ist es zuerst in dem Sinn,                                                  „Als Beschenkter, der sich der Verge-
    dass hier Gott – ohne aufzuhören         Die Vorstellung aber, dass die          bung gewiss sein kann, soll sich der
    Gott zu sein – sein Unberührtsein        Gläubigen „durch sein Blut gerecht      Mensch die göttliche Vergebungsbe-
    von Leid und Tod opfert.                 gemacht sind“, vergiftet bis heute      reitschaft zum Vorbild nehmen und
                                             das Gottesbild und mit diesem           selbst ein Vergebender werden.“ An
Schneider folgert weiter:                    den ganzen christlichen Glauben.        Stelle von Liebe und Vergebung rücke
                                                                                     aber Paulus die Versöhnung zwischen
    Was hier geschieht, kann niemals     Paulus habe den zornigen, richtenden        Gott und Mensch in den Mittelpunkt.
    der Mensch selbst tun. Gott ist      Gott zurückgebracht und in Verbin-          Jesus kenne dagegen nur zwischen-
                                                                                     menschliche Versöhnung, zu der er
                                                                                     verfeindete Menschen – auch mit dem
                                                                                     Gebot der Feindesliebe – aufrief.
                                                                                           Paulus habe die alte jüdische
                                                                                     Opfer- und Sühnetheologie wiederbe-
                                                                                     lebt, die ihm als Pharisäer und Schrift-
                                                                                     gelehrten nur allzu vertraut gewesen
                                                                                     sei. Gerade dieser Theologie aber habe
                                                                                     Jesus vehement widersprochen, indem
                                                                                     er Tierhändler und Geldwechsler
                                                                                     aus dem Tempel jagte mit dem Vor-
                                                                                     wurf, sie würden das Haus Gottes
                                                                                     entweihen, „das er als stille Stätte des
                                                                                     Gebets geheiligt wissen wollte (Mk
                                                                                     11,15-19…) Eigentlich habe Jesus damit
                                                                                     die Priesterkaste und alle gemeint,
                                                                                     die sich durch Opfergaben bereicher-
                                                                                     ten. Daher hätten diese ihn ans Kreuz
                                                                                     gebracht und Paulus durch seinen
                                                                                     Opferkult diese – auch seine eigene –
                                                                                     Schuld verzerrt.
    vielmehr für uns. In Jesu Leiden,    dung mit männlichen Machtansprü-                  Klein-Erna hat also heute viel
    Tod und Gottverlassensein ist        chen etabliert.                             mehr Möglichkeiten, sich ein eigenes
    Gott selbst anwesend. Am Kreuz                                                   Bild zu machen vom Sühnetod Jesu,
    zeige sich, was Gott für uns ist.        Auf diese Weise wurden die              der anscheinend einfach nur auf dem
    Es zeige sich in dem, was Gott           Quellen der Liebe verstopft, die        schlechten Gewissen der Menschheit
    für uns tut: „Er nimmt das,              in Jesu Gottesbild so reichlich         gedeihen konnte. Eine letzte Antwort
    was uns von ihm trennt, weg,             sprudeln, beinhaltet es doch eine       aber finden wir vielleicht nur in unse-
    indem er es sich selbst zumutet –        göttliche Kraft, die den Menschen       rem Herzen.                            ■
    aus Liebe zu uns Menschen.               aus liebender Barmherzigkeit

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Die Alt-Katholische Zeitschrift in Deutschland + 64. Jahrgang April 2020 - alt-katholische Kirche
Im Kreuz ist Heil

                                                                                                                   geflohen, als er gesucht wurde. Er ließ sich verhaften und
                                                                                                                   starb schließlich qualvoll am Kreuz.
                                                                                                                        Dieser Tod Jesu kann theologisch unterschiedlich
                                                                                                                   gedeutet werden. Der Franziskaner Richard Rohr spricht
                                                                                                                   mit Blick auf die mittelalterliche Theologie seines Ordens
                                                                                                                   davon, dass die Welt als Schöpfung Gottes nie verloren
                                                                                                                   war. Jesus ist ein freies Geschenk Gottes, die ihre Liebe zu
                                                                                                                   den Menschen nochmal in ganz besonderer Weise leibhaf-
                                                                                                                   tig aufzeigen möchte. Es ging Jesus um das, was dem Leben
                                                                                                                   dient, gerade innerhalb von gewalttätigen Strukturen –
                                                   Leben in einer Welt voller Spannung                             auch wenn er dafür sein Leben verlor.
                                                   Von T her es a Hü t her                                              Auch heute gibt es viele Menschen, die sich für ein
         Theresa                                                                                                   gutes Leben für alle einsetzen und deshalb verfolgt wer-

                                                   „I
      Hüther ist                                           m Kreuz ist Heil“ – Das mag auf den ersten              den, die sogar ihr Leben riskieren. So wie Bischof Alberto
wissenschaftliche                                          Blick seltsam erscheinen. Ein Folterinstrument soll     Ramento von der Unabhängigen Philippinischen Kirche,
Mitarbeiterin am
Alt-Katholischen                                           heilbringend sein? Verherrlicht das nicht Gewalt        der wegen seines Engagements für Frieden und Gerechtig-
     Seminar der                                   oder rechtfertigt sie sogar? Es gibt diese Gefahr in Theo-      keit erstochen wurde. Viele weitere Menschen, die wegen
Universität Bonn                                   logie und kirchlicher Praxis: Beispielsweise, wenn sich         ihres Einsatzes für andere ermordet wurden, bleiben unbe-
und Mitglied der                                   Ordensleute im Mittelalter geißelten, um dadurch dem            kannt. Auch die Krankenschwester, die eine ansteckende
Gemeinde Bonn                                      leidenden Christus nahe zu kommen. Bei Pogromen, als            Kranke pflegt, obwohl sie selbst erkranken und daran ster-
                                                   dieser Satz dazu herhalten musste, um die Verfolgung von        ben könnte; auch derjenige, der einen Job nicht annimmt,
                                                   Jüdinnen und Juden zu begründen. Oder wenn Menschen,            bei dem er gegen sein Gewissen handelt, und sich dann
                                                   die im kirchlichen Raum sexuelle Gewalt erlebt haben, zu        weder Nahrung noch Medikamente leisten kann: Auch
                                                   hören bekommen, dass sie dadurch doch Anteil am Leiden          sie geben ihr Leben für andere. Sie alle durchbrechen die
                                                   Christi hätten.                                                 Spirale aus Gewalt, Angst und Anpassung – und leben
     Foto: Jim Choate, „ChimayoMemorial“, Flickr

                                                                                                                   stattdessen aus einer inneren Freiheit heraus, die tiefer ver-
                                                   Die leibhaftige Liebe Gottes geht bis in den Tod                wurzelt ist und sogar eine Hoffnung über den eigenen Tod
                                                        „Im Kreuz ist Heil. Im Kreuz ist Leben. Im Kreuz           hinaus kennt.
                                                   strahlt die Liebe auf “, so wird dieser Satz in einem Musical
                                                   über das Leben von Dominikus weitergeführt. Hier zeigt          Ein gutes Leben für alle!
                                                   sich eine andere Perspektive: Jesus ging es um Menschen,             „Im Kreuz ist Heil“ – das hat uns oft auch im Alltag
                                                   denen er ganz konkret geholfen hat. Aber er wollte auch         etwas zu sagen. In vielen Situationen stehen wir vor der
                                                   eine Veränderung der Rahmenbedingungen erreichen,               Frage, ob wir Schmerz auf eine Art und Weise vermeiden,
                                                   innerhalb derer Menschen ihr Leben gestalten können.            die andere Menschen leiden lässt.
                                                   Hier war Jesus radikal und kompromisslos, wie bei der Ver-           Setzen wir uns mit unserem eigenen verdrängten oder
                                                   treibung der Händler und Geldwechsler aus dem Tempel.           abgespaltenen Schmerz auseinander, halten wir alte Angst
                                                        Dieses politische Handeln hatte unter der Besatzung        aus, geben wir Trauer ihren Platz, geben wir Wut ihren
                                                   der Römer Folgen, die Jesus in Kauf nahm. Schon um              notwendigen (ungefährlichen) Ausdruck? Dann nämlich
                                                   seine Jüngerinnen und Jünger zu schützen, ist Jesus nicht

           6                                                                                                                                           Christen heute
Die Alt-Katholische Zeitschrift in Deutschland + 64. Jahrgang April 2020 - alt-katholische Kirche
können wir alte, einengende Strukturen aufbrechen und           Spannungen, aus nie auflösbaren Gegensätzen. Und
anders mit uns und mit unseren Mitmenschen umgehen.             für jeden Menschen stellt sich die Frage, wie wir damit
      Stehen wir zu Menschen, die ausgegrenzt, gemobbt          umgehen.

                                                                                                                               Foto: Pom’, „The Cloisters, New York City“, Flickr
oder beleidigt werden, auch wenn wir selbst angegriffen              Als Jüngerinnen und Jünger Jesu sind wir eingeladen,
werden könnten?                                                 gemeinsam in seinen Fußspuren unterwegs zu sein: Diese
      Kaufen wir Lebensmittel, Kleidung, Kosmetik und           Welt mit all ihren Menschen und mit der ganzen Schöp-
andere Dinge, bei denen sichergestellt ist, dass sie ohne       fung zu lieben. Uns nicht vor ihr zu verschließen, sondern
Menschenrechtsverletzungen, Tierversuche und Umwelt-            Unterschiede auszuhalten – und vielleicht sogar Fülle
verschmutzung hergestellt wurden? Sonst arbeiten Kinder         darin zu entdecken. Offen, verletzlich, verwundbar zu sein,
auf Kakaoplantagen für unsere billige Schokolade, erkran-       um dem Schmerzhaften in uns und um uns herum Wider-
ken junge Inderinnen an den Arbeitsbedingungen in den           hall in uns zu geben – und es hinhalten und verwandeln zu
Fabriken, in denen unser neues T-Shirt hergestellt wird.        lassen. Uns nicht zu verschließen, sondern offen zu bleiben,
Für die Creme sterben Versuchstiere und gelangt Mikro-          um handeln zu können.
plastik ins Meer. Und im Kongo werden Frauen vergewal-               All das können wir in dem Wissen tun, dass wir selbst
tigt, um sie von ihrem Land zu vertreiben, auf dem Kobalt       und diese ganze Welt getragen sind, dass alles bei Gott auf-
für das neueste Handy abgebaut werden soll.                     gehoben ist. Darin verwurzelt, können wir für unser Han-
      „Im Kreuz ist Heil“ – im Kreuzungspunkt                   deln Verantwortung übernehmen. Denn es geht um ein
herrscht Spannung. Auch wir leben in einer Welt voller          gutes Leben für alle!                                    ■

Die Magdalenerin im Garten

Vo n Sebast i an Wat zek

J    edes geschriebene wie auch
     sonst geäußerte Wort sollte von
     sich aus verständlich sein. Dies
gilt insbesondere für die Heiligen         Umgang, um Assoziationen. Wenn
Schriften in den verschiedenen Reli-       durch diese dann biblischen Bezüge
gionen. Jedes Buch, jeder Abschnitt        und Variationen auffallen, kann es
sollte etwas von sich heraus mitzutei-     vorkommen, dass eine Bibelstelle
len und zu sagen haben. Etwas, was         noch einmal abgerundeter wird.
jemand etwas mit auf den Weg geben         Wie ein schon in sich stimmiges
kann – auch ohne große theologische        Gericht durch das eine oder andere
Vorkenntnisse. Spannend und inte-          Gewürz noch einmal mehr Pfiff und
ressant kann es aber werden, wenn          Geschmack bekommen kann.                   Anrede, der Körperkontakt zwischen
die verschiedenen Schriften einer                                                     Maria und Jesus sowie ihre Sendung
Religion miteinander kommunizie-           Der Garten und die Geliebte                als Apostolin zu den Aposteln – zu
ren. Wie es bei einer Oper oder einer            Ein Beispiel für solch eine Bibel-   seinen „Brüdern“ ( Joh 20,17), wie
Symphonie immer wieder Bezug zu            stelle ist die Begegnung zwischen          Jesus hier bei Johannes zum ersten               Sebastian Watzek
einigen musikalischen Themen gibt –        Maria von Magdala und dem aufer-           seine „Jünger“ aus dem Zwölferkreis              ist Pfarrvikar in
ob in dem betreffenden Werk selbst         standenen Jesus im Johannesevange-         bezeichnet. Das allein genügt schon              der Gemeinde
                                                                                                                                       Berlin
oder in Bezug zu anderen Komposi-          lium (Kapitel 20,11–18). Schon für         für einen fesselnden und in sich
tionen— trifft dies auch auf die Bibel     sich allein genommen sagt diese Stelle     geschlossenen Kurzfilm.
zu. Keine Schrift ist hier in sich abge-   so viel aus: wir werden förmlich in             Spannend wird es jetzt, wenn drei
schlossen, sondern verweist immer          diese Szene mit all ihren Gefühlen         Motive hinzukommen, welche sich
wieder auch auf andere Schriften, wie-     und Wendungen mithineingezogen.            in der Hebräischen Bibel – oder im
derholt und verstärkt einige biblische     Die weinende Maria vor dem Grab,           christlich so genannten „Alten“ oder
Themen und Aussagen. So schaut zum         die Begegnung mit dem „Gärtner“,           „Ersten“ Testament— finden: der
Beispiel die jüdische Tradition auf die    das Erkennen des Auferstandenen in         Garten, Sulamith, die Geliebte und
Schrift; es geht um einen spielerischen    einer sehr intimen und bewegenden          der Gärtner. Während in den anderen

6 3 . J a h r g a n g + A p r i l 2 0 2 0 7
Die Alt-Katholische Zeitschrift in Deutschland + 64. Jahrgang April 2020 - alt-katholische Kirche
Begegnungen mit dem Auferstande-         Bäume, schön zum Anblick und als        Der Gärtner und der neue Adam
                                         nen nur von einem Felsengrab erzählt     schattiges Plätzchen in der prallen           Dies zeigt der Dialog zwischen
                                         wird, befindet sich bei dem Evange-      Mittagssonne, Blumen, die mit ihrer     Maria und Jesus, welcher erst einmal
                                         listen Johannes Maria, die Magdale-      Farbenpracht bezaubern, Blüten, wel-    eine gewisse Verwunderung zurück-
                                         nerin, in einem Garten, einem sehr       che ihren intensiven Duft verströmen,   lässt. Es ist eine Sache, dass Maria
                                         symbolischen und aussagekräftigen        süße und saftige Früchte, Nektar und    Jesus, den Christus, den am Kreuz
                                         Ort. In biblischen Schriften ist immer   Honig, welche Menschen und Tiere        Erhöhten, nicht erkennt. Wieso aber
                                         wieder von Gärten die Reden. So          ernähren. In einem solchen Garten       geht sie davon aus, dass er der „Gärt-
                                         gleich am Anfang der Bibel im Buch       steht auch Sulamith aus dem Lied der    ner“ sei? Eine mögliche Antwort
                                         Genesis oder 1. Buch Mose. Diese         Lieder bzw. Hohelied der Liebe/Hohe-    liegt ebenfalls im Garten in Eden.
                                         Assoziation liegt nahe, da Johannes      lied Salomons und hält in der Nacht     Gott schafft Adam, den Erdling, aus
                                         schon am Anfang seines Evangeliums       nach ihrem Geliebten Ausschau:          dem roten Ackerboden, der Adamah.
                                         in dem sogenannten Johannesprolog                                                Nachdem er diesem so geschaffenen
                                         auf den Anfang des Buches Genesis            Du Trauter meiner Seele,            und geformten Erdklumpen seine
                                         verweist: „Im Anfang …“ ( Joh 1,1).          Dein bin ich, du bist mein,         göttliche Geistkraft durch die Nasen-
Foto: Aaron Stidwell, „Asylum“, Flickr

                                         Der Garten in der Auferstehungss-            O komm in unsern Garten,            löcher eingehaucht hat, gibt er diesem
                                         zene kann deswegen sehr wohl auf             Der Blumen dich zu freun!           neu geschaffenen Menschenwesen
                                         den Garten im sogenannten 2. Schöp-          O komm in den                       einen Auftrag: es soll den Garten in
                                         fungsbericht anspielen:                          lauschigen Garten,              Eden im Osten, bearbeiten und beauf-
                                                                                      Wo Thymian duftend winkt,           sichtigen. Es spricht für die Intui-
                                             Nun legte Gott, der Herr, einen          Deine Linke stütze das Haupt mir,   tion von Maria aus Magdala, dass sie
                                             Garten in Eden an, das ist im            Die Rechte mich fest umschlingt!    „Jesus“ als „Gärtner“ anspricht. Für
                                             Osten […]. Aus dem Acker ließ            Übertragung bzw. Nachdichtung       die Alte Kirche ist Jesus der neue bzw.
                                             Gott, der Herr, sodann alle              von Max A. Klausner                 der zweite Adam. Somit folgt er sei-
                                             Bäume, schön zum Anblick und                                                 nem Vorgänger nach, den Garten in
                                             gut zum Essen, wachsen […]           Maria von Magdala stellt somit so       Eden, das Paradies zu hüten und zu
                                             Gen 2,8                              etwas wie eine neue Sulamith dar,       bewahren.
                                                                                  deren Herz sich in der Dunkelheit             Ich kann nicht einschätzen, wie
                                                                                  des Todes und des Grabes nach dem       es Ihnen mit diesen drei biblischen
                                                                                  Geliebten verzehrt – und sei es nur,    Motiven des Gartens, der Sulamith
                                                                                  dass sie den Aufenthaltsort seines      und des Gärtners geht. Mir jedenfalls
                                                                                  Leichnams kennt. Und sie steht dabei    erschließen sie noch einmal mehr das
                                                                                  in einem Garten, welcher schon am       Ostergeschehen, diese tiefe Liebesbe-
                                                                                  Anfang der Beziehung Gottes mit der     ziehung zwischen Maria, der Magda-
                                                                                  Menschheit eine entscheidende Rolle     lenerin und Jesus sowie Gott und der
                                                                                  gespielt hat!                           Menschheit. Der Abschnitt aus dem
                                                                                                                          Johannesevangelium zieht mich so
                                                                                                                          einmal noch tiefer in das Geschehen
                                                                                                                          mit hinein. Mehr Facetten kommen
                                                                                                                          zum Klingen und das Ostergeschehen
                                                                                                                          wird noch einmal bunter für mich.
                                                                                                                          Genau das, was ich mir von einem hei-
                                                                                                                          ligen Text wünsche.                   ■

      8                                                                                                                                 Christen heute
Die Alt-Katholische Zeitschrift in Deutschland + 64. Jahrgang April 2020 - alt-katholische Kirche
Foto: Billy Lopue, „Crucifix“, Flickr
                                                                                 frühen Kirche zwar immer Kreuzsym-
                                                                                 bole gegeben haben, aber den Cor-
                                                                                 pus – also Darstellungen von Jesus
                                                                                 am Kreuz – gibt es in der christlichen
                                                                                 Kunst nachweislich erst ab dem 10.
                                                                                 Jahrhundert!

                                                                                 Das Kreuz mit dem Kreuz
                                                                                       Dennoch haben sehr viele Chris-
                                                                                 ten und Angehörige anderer Religi-
                                                                                 onen über die Jahrhunderte hinweg
                                                                                 Orientierung und Heilung durch das
                                                                                 Zeichen des Kreuzes erfahren. Einige
                                                                                 Stimmen und Sichtweisen möchte
                                                                                 ich als Zitate hier im Folgenden vor-
                                                                                 stellen. Bevor ich dies mache, will ich
                                                                                 mich aber dezidiert und nachdrück-
                                                                                 lich von einigen Auffassungen über
                                                                                 das Kreuz distanzieren. Die heuti-
                                                                                 gen sexuellen und spirituellen Miss-
                                                                                 brauchsfälle in nahezu allen Kirchen
                                                                                 haben uns die Augen geöffnet, wie
                                                                                 schwer und brutal Missbrauch im
                                                                                 Namen einer Religion sein kann. So
                                                                                 wurde das Kreuzzeichen politisch
                                                                                 und militärisch als Siegesfahne gegen
                                                                                 Andersgläubige oder auch gegen
                                                                                 andere Christen wie in den Kreuz-
                                                                                 zügen zu Felde getragen. Unter dem
                                                                                 „Siegeszeichen des Kreuzes“ wur-
                                                                                 den andere Völker und Kulturen
                                                                                 zu Zwangstaufen gezwungen oder
                                                                                 abgeschlachtet. Zu anderen Zeiten
                                                                                 herrschte eine Leidensmystik vor,
                                                                                 in der Leiden und Opfer fast selbst-

Das Kreuz mit                                                                    zerstörerisch als „Ziel in sich selbst“
                                                                                 angesehen worden und als Tugend
                                                                                 verherrlicht worden sind – als Auf-

dem Kreuz                                                                        opfern/stellvertretendes Opfer und
                                                                                 Anteilnahme am Leiden und Kreuz
                                                                                 Jesu in diesem irdischen Jammertal
                                                                                 der Tränen. All dies ist ausdrücklich
                                                                                 nicht damit gemeint, wenn ich mich
                                                                                 jetzt durch Zitate von Männern und
                                                                                 Frauen aus den verschiedensten Jahr-
                                                                                 hunderten dem Zeichen des Kreuzes
Vo n Sebast i an Wat zek                                                         annähern möchte. Vielleicht bringt
                                                                                 bei Ihnen irgendein ein Wort über das

D
          as Symbol für die ganze       eine Frau, welche entweder von isla-     Kreuz etwas zum Klingen. Oder es
          Christenheit ist unbestrit-   mistischen Fundamentalisten geköpft      eröffnet sich eine neue Sichtweise, wie
          ten das Kreuz. Ein Zeichen,   wird oder bei einer Foltermethode wie    wir mit Leiden und Schmerz umge-
mit dem sich sehr viele Christen sehr   Waterboarding in Guantánamo stirbt,      hen können, so dass das Kreuz wirk-
schwergetan haben oder immer noch       begründet durch ihre Anhängerschaft      lich zu einem Zeichen des Heils und
tun. Das mag schon in der Tötungs-      eine neue Religion. Der Vergleich        der Erlösung werden kann.
art der Kreuzigung begründet liegen.    mag drastisch sein, aber er bringt das
Diese Art des Todes war zur damali-     „Ärger oder die Torheit des Kreuzes      Kreuzzitate
gen Zeit der schändlichste Tod über-    bzw. der Kreuzigung“ – von welchen       Dieser himmelweite Baum ist von der
haupt. Wenn wir es in unsere heutige    der Apostel Paulus immer wieder an       Erde empor zum Himmel gewachsen.
Zeit übertragen würden, würde es        seine Gemeinden schreibt— sehr           Unsterbliches Gewächs, reckt er sich
vielleicht so aussehen: ein Mann oder   gut zum Ausdruck. So mag es in der       auf mitten zwischen Himmel und

6 3 . J a h r g a n g + A p r i l 2 0 2 0 9
Die Alt-Katholische Zeitschrift in Deutschland + 64. Jahrgang April 2020 - alt-katholische Kirche
Erde. Er ist der feste Stützpunkt des      die Weissagung erfüllt worden, oder         Geschwister zu lieben wie Christus sie
      Alls, der Ruhepunkt aller Dinge,           wo wäre die Größe meiner Geduld             geliebt hat.
      die Grundlage des Weltenrunds, der         gewesen? Und wäre ich in Wirklichkeit       Hl. Alberto Hurtado
      kosmische Angelpunkt. Er fasst in          vom Kreuz herabgestiegen, hätten
      sich zur Einheit zusammen die ganze        dann alle geglaubt? Hätten sie nicht        Das Wort „Kreuz“ ist im Hebräischen
      Vielgestalt der menschlichen Natur.        gesprochen: Ich handle aus zauberischer     „zlaw“, 90-30-2. Es ist die Form der
      Von unsichtbaren Nägeln des Geistes        Kraft? Wenn sie schon daran Anstoß          Vierheit zur Einheit. Aller Vierheit
      ist er zusammengehalten, um sich aus       genommen hatten, dass ich Tote              im Leben; der im Raum, in der
      seiner Verbindung mit dem Göttlichen       erweckte und Kranke heilte, so hätten       Zeit, im Namen des Herrn, im
      nicht zu lösen. Er rührt an die höchsten   sie noch viel Ärgeres gesagt, wenn ich      Tetragramm also, der 4 Erz-Mütter
      Spitzen des Himmels und festigt mit        vom Kreuz herabgestiegen wäre.              (Sarah, Rebecca, Lea und Rahel), der
      seinen Füßen die Erde, und die weite       Hl. Birgitta von Schweden                   4 Erzengel (Uriel, Raphael, Michael
      mittlere Atmosphäre dazwischen                                                         und Gabriel) der 4 Wesen um Gottes
      umfasst er mit seinen unermesslichen       Wenn der Sohn Gottes nicht am Kreuze        Thron, der 4 Evangelien, der 4 Ecken
      Armen.                                     gelitten hätte, würde es diese Finsternis   der Welt, der 4 Ecken des menschlichen
      Hippolyt von Rom, Kirchenvater             keinesfalls zulassen, dass der Mensch       Kleides, der 4 Wenden im Leben […].
                                                 zur himmlischen Herrlichkeit gelangt.       Die Grenze dieses Lebens ist erreicht,
                                                 Hl. Hildegard von Bingen, Mystikerin        die Zeit der Taufe, des Eintauchens
                                                                                             ins Wasser, in die Zeit, ist vollendet;
                                                                                             nun kommt die Taufe mit Feuer, dem
                                                                                             Entgegengesetzten, die Taufe mit dem
                                                                                             Heiligen Geist. Das ist es, was wir das
                                                                                             Geheimnis des Kreuzes nennen: der
                                                                                             Eintritt in ein neues Leben.
                                                                                             Friedrich Weinreb, jüdischer Mystiker

                                                 Glauben und Kreuz, das tut’s.               Der Körper ist das Kreuz. Jesus der
                                                 Denn Glaube kann nicht besteh’n             Menschensohn, ist das Ego oder die
                                                 ohne Kreuz.                                 Vorstellung: „Ich bin der Körper“.
                                                 Martin Luther, Reformator                   Wenn der Menschensohn an das
                                                                                             Kreuz geschlagen wird, geht das
                                                 In Trost und Süßigkeit                      Ego zugrunde, und was überlebt,
                                                 kennst du dich selbst nicht, Christ,        ist das absolute Sein. Das ist die
                                                 Das Kreuze zeigt dir erst,                  Auferstehung des glorreichen Selbst,
                                                 wer du im Innern bist.                      das ist Christus — der Gottessohn.
                                                 Angelus Silesius, Mystiker                  Ramana Maharshi,
                                                                                             indischer Weisheitslehrer
      Eine Gotteskraft aber ist das Wort         Kreuz und Nacht sind der Weg zum
      vom Kreuze, weil uns dadurch die           himmlischen Licht: das ist die Frohe        Du brauchst kein Christ zu sein, um die
      Kraft Gottes oder der Sieg über den        Botschaft vom Kreuz…Ich bin mit             tiefe universelle Wahrheit zu verstehen,
      Tod kundgemacht ward oder weil             allem zufrieden. Eine „Scientia Crucis“     die das Kreuz beinhaltet. Das Kreuz
      durch die Kraft Gottes die Höhe und        kann man nur gewinnen, wenn                 ist ein Folterinstrument. Es steht
      Tiefe, Länge und Breite, das heißt alle    man das Kreuz gründlich zu spüren           für das Leidvollste, das ein Mensch
      sichtbare und unsichtbare Schöpfung,       bekommt. Davon war ich vom ersten           überhaupt erfahren kann, für absolute
      zusammengehalten wird, gleichwie die       Augenblick an überzeugt und habe von        Hilflosigkeit und Ohnmacht. Und
      vier Kreuzesenden durch das mittlere       Herzen: Ave Crux, spes unica, gesagt!       dann gibt sich der betreffende Mensch
      Zentrum gehalten und verbunden sind.       Hl. Edith Stein, Märtyrerin                 plötzlich bewusst und bereitwillig
      Johannes von Damaskus,                                                                 dem Leiden hin, wie es in den Worten
      Kirchenlehrer                              Es gibt viele Christen, die das Kreuz       zum Ausdruck kommt: „Nicht mein,
                                                 Christi zu lieben glauben, aber             sondern dein Wille geschehe.“ In dem
      Ich starb und wurde begraben, aber         das Kreuz in ihrem eigenen Leben            Augenblick offenbart das Kreuz, dieses
      meine Gottheit blieb unverletzt.           hassen sie. So hassen sie in Wahrheit       Folterwerkzeug, sein verborgenes
      Hätte ich aber bei meinem Tod die          auch das Kreuz Jesu Christi.                Gesicht: Es ist auch Symbol der
      Macht meiner Gottheit offen gezeigt,       Dietrich Bonhoeffer, Märtyrer               Heiligkeit, ein Symbol des Göttlichen.
      wer hätte noch gewagt, mich vom                                                        Hingabe an das, was dem Leben
      Kreuz abzunehmen und ins Grab              Das Zeichen des Christen ist nicht das      jede transzendente Dimension zu
      zu legen? Es wäre für mich etwas           Schwert, Symbol der Stärke. Es ist nicht    verweigern schien, eröffnet den Zugang
      sehr Geringes gewesen, vom Kreuz           die Waage, Symbol der Gerechtigkeit.        zu ebendieser Dimension.
      herabzusteigen und meine Kreuziger         Sondern es ist das Kreuz, Symbol der        Eckhart Tolle, spiritueller Lehrer ■
      niederzuschlagen, wie aber wäre dann       Liebe. Christsein bedeutet, unsere

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Im Zeichen des Kreuzes

Vo n J u tta R esp on dek

W
             ohl die meisten oder doch viele Chris-
             ten heute-Leserinnen und Leser haben in ihrem
             Leben wahrscheinlich schon hunderte Male
das Kreuzzeichen gemacht, „sich bekreuzigt“, wie man
sagt: beim Betreten einer Kirche, zum persönlichen oder
gemeinschaftlichen Gebet, im Gottesdienst, – mal mit
Bedacht, mal mehr oder weniger gedankenlos, weil man
es so gewohnt ist und fast automatisch macht, wenn man
spricht: Im Namen des Vaters, und des Sohnes, und des Hei-   gelitten und ist elendiglich daran erstickt und verblutet.
ligen Geistes.                                               Müsste uns vor einem Kreuz nicht das Grauen packen?!
                                                                   Das Kreuz symbolisiert auch in unserer Gesellschaft
Das Kreuz: Gegenwärtig und vertraut                          Leiden und Tod. Wir drucken es auf Todesanzeigen und
     Das Kreuz ist uns gegenwärtig und vertraut, man         stellen es auf Gräbern auf. Wir sprechen von durchkreuz-
begegnet ihm an vielen Orten, sei es in Kirchen, an Wegga-   tem Leben, oder sagen, dass jemand ein Kreuz zu tragen
belungen, an Wänden christlicher Schulen und Kranken-        oder einen Kreuzweg zu gehen hat, wenn er von einem           Jutta Respondek
häuser, auf Todesanzeigen, Gräberfeldern und Friedhöfen,     schweren Schicksalsschlag getroffen wird und viel zu leiden   ist Mitglied der
oder als Schmuckstück, das nicht nur Kinder zur Erstkom-     hat. All das sind negative Assoziationen. Ein Sternchen für   Gemeinde Bonn
munion geschenkt bekommen. Manch einer trägt einen           Geburt, ein Kreuz für Tod: ganz allgemein übliche Zei-
Kreuzanhänger an einer Halskette oder hat zu Hause ein       chen, unabhängig von Religion oder Konfession.

                                                                                                                                 Foto: Егор Журавлёв, „A Sun Under The Cross“, Flickr
Wandkreuz über der Wohnungstür oder in einem oder gar
mehreren Räumen, – ich kenne es jedenfalls aus meiner        Das Kreuz: Heils- und Siegeszeichen der Auferstehung
Kindheit so, und auch jedes unserer Kinder hatte in seinem        Ausgerechnet das Kreuz, dieses schreckliche Todes-
Zimmer sein eigenes Kreuz. Segnungen und Sakramente          werkzeug, „für die Juden ein Ärgernis und für Heiden
sind mit dem Kreuzzeichen verbunden und Gemeindegot-         eine Torheit“ wie Paulus es in 1 Kor 1, 23 ausdrückt, ist
tesdienste beginnen und enden im Zeichen des Kreuzes.        zum Erkennungszeichen der Christen geworden. Wie
     Das Kreuz und die Bezeichnung damit ist für Chris-      der Davidstern die Juden, und der Sichelmond islami-
ten eine Selbstverständlichkeit. Wir wundern uns nicht       sche Moscheen, so kennzeichnet bis heute das Kreuz die
darüber und erschrecken und entsetzen uns nicht im           Christenheit. Sie sieht darin nicht, oder eben nicht nur,
Anblick des Kreuzes, das doch eigentlich und ursprüng-       ein antikes Folter- und Hinrichtungsinstrument, sondern
lich ein grausames Folter- und Hinrichtungsinstrument ist,   das Holz, an dem Jesus Christus, Gottes- und Menschen-
ein besonders abschreckendes und schändliches Mittel für     sohn und Herr der Welt, den Tod erlitt und überwand und
einen langsamen, qualvollen Tod schlimmer Verbrecher.        dadurch der Welt Heil und Erlösung brachte.
So jedenfalls wurde es zur Zeit Jesu verwendet. Jesus hat,        Das Kreuz also als Heils- und Siegeszeichen, als Sym-
so wie viele andere zu Recht oder Unrecht Verurteilte, an    bol für Überwindung von Leiden und Tod. Als solches
einem solchen Schand- und Marterpfahl größte Qualen          ist das Kreuz den Christen heilig und verehrungswürdig.
                                                             „O du hochheilig Kreuze, daran mein Herr gehangen, in

6 3 . J a h r g a n g + A p r i l 2 0 2 0 11
Schmerz und Todesbangen“ heißt es im Lied EG 390. Darin       nicht vernichtet, alles hat sich ins Gegenteil verkehrt. Jesus
                                                         wird das Kreuz als sichere Leiter zum ewigen Leben, als       hat die Todesqualen des Kreuzes überwunden und damit
                                                         Brücke über die Fluten, als Siegeszeichen, als Pilgerstab,    ein Hoffnungszeichen in die Welt gesetzt.
                                                         als Himmelsschlüssel, besungen.
                                                               Hätte man nicht dementsprechend statt des Kreuzes       Das Kreuz: Zeichen für Gottes Mitleiden
                                                         z. B. eine Brücke, einen Pilgerstab, einen Schlüssel, oder          Wer könnte besser dem Menschen in seinem Lei-
                                                         aber eine Friedenstaube oder aufgehende Sonne als Zei-        den nahe sein und Halt und Trost geben sein als einer, der
                                                         chen der Auferstehung wählen können…? Warum beten             selbst gelitten und jeglichen menschlichen Schmerz am
Foto: Fr Lawrence Lew, O.P., „Sign of Victory“, Flickr

                                                         wir und erinnern wir uns an Jesus im Zeichen des Kreu-        eigenen Leib erfahren hat?! Für mich ist Jesus, der Gekreu-
                                                         zes? Warum ein so anstößiges und irrsinniges Symbol und       zigte und Auferstandene, der, der auch in meinen dunklen
                                                         Gedenkzeichen? Wenn ich mich an einen lieben Menschen         Stunden da ist, der mit mir ausharrt und alle Tränen mit-
                                                         erinnern möchte, den mir der Tod genommen hat, so stelle      weint. Einer, der die tiefste Nacht durchlitten und über-
                                                         ich ein schönes Bild von ihm auf, eines, das typisch für      lebt hat und somit die Abgründe menschlichen Daseins
                                                         ihn ist, auf dem er zu sehen ist, wie er gelacht und gelebt   kennt. An ihm kann ich mich festhalten. Nicht, weil er sich
                                                         hat, – und nicht das Autowrack, in dem er ums Leben kam,      als „Lamm Gottes“ für meine Sünden und die Sünden der
                                                         oder sein Kranken- und Sterbebett, in dem er litt, oder       Welt geopfert hat, weil der himmlische Vater das so wollte
                                                         den Krückstock oder die Prothese, mit deren Hilfe er sich     (?), sondern weil er konsequent seinen Weg der Liebe ging
                                                         mühsam fortbewegte. Neben all diesen traurigen Dingen         und seiner Sache treu blieb, auch wenn es ihn das Leben
                                                         und Realitäten, die mir unvergessen bleiben, möchte ich       kostete.
                                                         doch vor allem eine positive und frohe Erinnerung an den            Diese Sicht mag vielleicht theologisch nicht ganz kor-
                                                         geliebten Menschen bewahren, für den ich dankbar bin          rekt sein, aber nur so kann ich für mich das Kreuz betrach-
                                                         und den ich schmerzlich vermisse.                             ten und versuchen, mich ihm anzunähern. Es ist und bleibt
                                                               Von Jesus hingegen haben wir das Kreuz an dem er        ein Zeichen des Todes und der Grausamkeit und steht mit-
                                                         starb. Er ist und bleibt der Gekreuzigte. Der auferstandene   ten in der Welt. In einer Welt, die ihre Schrecken nicht ver-
                                                         Gekreuzigte. Von seiner Auferstehung gibt es nichts Hand-     loren hat und bis heute geprägt ist von Tränen, Leid und
                                                                                                                       Ungerechtigkeit. Menschen leiden unter Verfolgung und
                                                                                                                       Verleumdung, unter Grausamkeit, Unterdrückung, Aus-
                                                                                                                       beutung und Bedrohung oder Vernichtung ihres Lebens.
                                                                                                                       Jesus ist dieser Realität nicht ausgewichen, sondern hat sich
                                                                                                                       in seinem Kreuzestod mit allen Leidenden solidarisiert. Er
                                                                                                                       ist mittendrin, er leidet mit, und er gibt durch seine Todes-
                                                                                                                       überwindung Hoffnung, dass Unrecht, Tränen, Schmerz
                                                                                                                       und Tod nicht das letzte Wort haben.
                                                                                                                             Das Lied EG 384 vom empor wallenden Königsbanner,
                                                                                                                       unter dem das heilige Kreuz aufstrahlt, „daran den Tod das
                                                                                                                       Leben litt und Leben durch den Tod erstritt“, greift diesen
                                                                                                                       Aspekt auf. Dort wird in der 6. Strophe das Kreuz als Trost
                                                                                                                       im Leid gegrüßt „O Kreuz, du einziger Trost im Leid, Gruß
                                                                                                                       dir in dieser Leidenszeit!“
                                                                                                                             Gerade wegen seiner Beinhaltung von Qual und Tod
                                                                                                                       konnte und kann das Kreuz im allgegenwärtigen Leid
                                                                                                                       der Welt Trost-, Heils- und Hoffnungszeichen sein. Sein
                                                                                                                       Geheimnis ist die Verwandlung. An ihm vollzieht sich die
                                                                                                                       Wandlung von Angst und Pein, Not, Tod und Schrecken,
                                                                                                                       in Auferstehung und neues Leben. Es ragt aus dem Leid
                                                                                                                       des irdischen Daseins empor in den Himmel und weist auf
                                                         festes, keine Bilder und keine Beweise, außer den Aussagen    eine andere Wirklichkeit. Es umfängt mit seinen Armen
                                                         seiner Jüngerinnen und Jüngern, denen er sich als Lebender    die ganze Welt. Deshalb kann es Mut und Kraft geben,
                                                         zeigte. Das leere Grab ist ein Hinweis, aber nicht griffig,   deshalb kann es retten (1 Kor 1,18), deshalb können wir das
                                                         um als Heils- und Erkennungszeichen zu dienen. Bleibt         Kreuz als Heilszeichen betrachten und verehren, wie es die
                                                         also das Kreuz, als harte und brutale Tatsache, unleugbar     Karfreitagsliturgie vorsieht:
                                                         und provokativ. Ausgerechnet das Mittel, mit dem man
                                                         diesen Jesus ein für alle Mal loswerden und aus der Welt          Im Kreuz ist Heil
                                                         schaffen wollte, hat ihn unsterblich gemacht. Der Plan sei-       Im Kreuz ist Leben
                                                         ner Gegner ist nicht aufgegangen, der Kreuzestod hat ihn          Im Kreuz ist Hoffnung                                  ■

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Kreuz-
Beschwerden
Vo n H ar ald K lein

E
       s gehört zu den meist genannten Gesund-
       heits-Problemen in der heutigen Zeit: das Kreuz
       mit dem Kreuz. Gemeint ist der Rücken, der so oft
dem heutigen Menschen Sorgen macht. Mag es mit fal-
scher Körperhaltung zusammenhängen, falscher Ernäh-
rung oder mangelnder Übung: Viele Menschen klagen
heute über Kreuz-Beschwerden. Mitunter ist es allerdings
auch ein psychisches Problem. Dann ist der jeweilige
Mensch seelisch überladen, überfordert. Vielleicht ist sein
Rücken noch ganz gesund, aber die Psyche meldet sich
über Rückenschmerzen. Das Problem ist eben, dass beim
„Kreuz“ zwei Richtungen, zwei Dimensionen zusammen-
kommen, die waagerechte und die senkrechte, und eben
das erzeugt Belastung.

Kreuze gibt es vielerlei
     Natürlich bezeichnet das Wort „Kreuz“ auch Wirk-
lichkeiten in anderem Sinn. Da ist es heutzutage zum                                                                         Dekan i. R.
Beispiel in demokratischen Ländern üblich, von Zeit zu        Kreuze stellen in Frage                                        Harald Klein
Zeit sein Kreuz zu machen. Und auch da kommen zwei                 Insofern hat auch die christliche Kirche von allem        ist Mitglied
                                                                                                                             der Gemeinde
Richtungen zusammen, auch da wird etwas getragen, wird        Anfang an gewaltige Probleme mit dem Kreuz gehabt.             Rosenheim
Verantwortung wahrgenommen. Und weil es eine kriti-           Man könnte tatsächlich sagen: das Christentum hat Zeit
sche Angelegenheit ist, ergeben sich dann manchmal im         seines Lebens „Kreuz“-Beschwerden gehabt. Die Christen
Nachhinein Probleme, Kreuz-Beschwerden. So denke              haben geklagt, getrauert, sie haben nachgefragt, gezweifelt,
ich, hat ganz Deutschland unter den Kreuzen zu leiden,        sie haben nicht gewusst, wie sie diesen Tod Jesu am Kreuz
die die Thüringer bei ihrer letzten Landtagswahl gemacht      verstehen und einordnen sollten. Da hatte jemand sein
haben. Viele Kreuze waren im Feld der AfD eingetragen.        Signum gemacht, sein Kreuz der Entscheidung: Pilatus, die
Damit war etwas entschieden oder ausgelöst, das schwer zu     Bosheit von Menschen und vor allem der Tod hatte sein
tragen ist. Auch im sonstigen Leben gibt es Kreuze, Ent-      Kreuz gemacht.
scheidungsmale, die im Nachhinein zum Unglück werden               Es hat durchaus einige Zeit gedauert, bis die frühen
können. Gott hat uns Menschen als freie Wesen gewollt,        Christen eine Idee, einen Verstehenshorizont für Jesu Ster-
die sich selbst und ihre Welt verantwortlich mitgestalten.    ben am Kreuz gefunden hatten. Dabei war es nicht unbe-
Also musste von vorn herein auch damit gerechnet werden,      dingt von vorn herein ein überzeugender Zusammenhang.

                                                                                                                                Foto: Ivan Radic, „A young woman having back pain
dass es Fehlentscheidungen, fatale Irrtümer und Versagen      „Der Jesus ist gar nicht richtig gestorben,“ haben man-
geben würde.                                                  che gesagt, „der hatte nur einen Scheinleib; es sah nur so
     Römische Befehlshaber pflegten unbequeme oder            aus, als hätte er gelitten und den Kreuzestod erlebt.“ Eine
systemkritische Menschen kurzerhand an ein Holzkreuz          andere Theorie besagte, Jesus sei der neu lebende Pro-            while sitting at the desk in her office“, Flickr
zu nageln und dort für alle sichtbar zu Tode zu foltern.      phet Elias gewesen und durch den Tod wieder ins Reich
Das Kreuz als Todesholz hat zum einen seine Entstehung        der Scheol (Totenreich) zurückgekehrt. Ganz allmäh-
und Form der Gestalt des Menschen zu verdanken. Aber          lich gab es erste Theorien, die versuchten das Geschehen
zum andern steckt darin auch ein Symbol, eine Botschaft,      theologisch mit Jahwe (Gott Vater) zu verbinden. Häufig
dass da nämlich etwas entschieden war und jemand defi-        geschah das mit der Idee, dass eben Gott diesen schlimmen
nitiv sein „Kreuz“ gemacht hatte, quer über das Leben         Tod befohlen hätte. Jesus musste so sterben, sonst hätte es
und Lieben eines anderen. Und die da angenagelt oder          keine Erlösung gegeben; er musste so sterben, sonst wäre
angebunden wurden, hatten entsprechend mehr als nur           Gott nicht zufrieden gewesen. Das Bild des „Freikaufens“
Beschwerden, sie wurden blutig ausgelöscht. Die Beschwer-     tauchte auf: Jesu Kreuzestod als Wiedergutmachung, als
den und entsprechende Trauer hatten dann mehr die             Zahlung für die Schuld der gesamten Menschheit. Das
Freunde und Angehörigen der Gekreuzigten.                     ergab für viele damals einen Sinn: Jesu Tod war dann ein
                                                              Sühnetod, wie ja auch der Tod der Opfertiere im Tempel
                                                              ein Stellvertreter- und Sühnetod war.

6 3 . J a h r g a n g + A p r i l 2 0 2 0 13
Das Wort „Kreuz“ wurde in der Folge zum Symbol            diese Grundeinstellung gegenüber den Lebenslasten fin-
      für das Opfer, das ein Mensch im Geiste Jesu auf sich zu       den. Er ist zu den Kleinen und Benachteiligten gegangen
      nehmen hat. Es entstanden Verse in den Evangelien, die         und hat ihnen Befreiung gebracht. All die Wunder, die in
      die Jüngerschaft an die Bereitschaft knüpften, das Kreuz zu    den Evangelien berichtet werden, haben doch genau den
      tragen. Und das „Herrenmahl“ zur Erinnerung und Ver-           Sinn gehabt, den Menschen ihr Kreuz zu erleichtern oder
      gegenwärtigung Jesu entwickelte sich langfristig zu einem      gar abzunehmen. Jesu Einstellung gegenüber den Lasten
      kultisch immer neuen Vollzug des „Kreuzesopfers“ Jesu.         des Gesetzes, den Lasten der Vorurteile war revolutionär
                                                                     und eben nicht ein Aufruf des Duldens. Das ist ganz wich-
      Das Kreuz erhöht (in der Notenschrift)                         tig festzuhalten. Jesu Botschaft war nicht depressiv, nicht
           Zusammen mit der Erfahrung und Botschaft der Auf-         bedrückend. Er hat aus dem Kreuz der kleinen Leute kein
      erstehung erhielt mit der Zeit das „Kreuz“ eine positive       Heiligtum, keinen Erlösungsweg gemacht.
      Bedeutung. So konnte man eben mit ihm umgehen, es deu-
      ten und in die neue Lehre einbeziehen. Es ist kein Wun-        Ein neues Bild von Gott
      der, dass irgendwann die Antiphon des Karfreitags den                Aber ganz ohne Zweifel ist dann irgendwann Jesus
      Satz enthielt: „Im Kreuz ist Heil.“ Spätestens von Paulus an   selber den Weg des Kreuzes gegangen. Es heißt zwar in den
      wurde der Kreuzestod Jesu als womöglich unumgängliches,        Evangelien, er habe aufmüpfig Gott gefragt: „Warum, hast
      aber unbedingt erlösendes Geschehen in der Mitte der Zeit      du mich verlassen?“ (Mk 15,34), und auch sein letztes Wort
      gedeutet.                                                      sei ein Aufschrei gewesen, aber er ist zweifellos dem Kreuz
           Nur – stimmt das? Ist der Satz wahr, dass im Kreuz        nicht ausgewichen. Vielleicht wird das Wort vom Kreuz
      Heil ist?                                                      bei Jesus viel zu speziell nur auf den Karfreitag angewen-
           Ich erinnere mich an meine römisch-katholischen Spi-      det. Jesus hat auch schon vorher seine Begegnung mit dem
      rituale in Studium und Priesterseminar. Allesamt maßen         Kreuz gehabt. Dass er seinen Heimatort und seine Familie
      sie dem „Kreuz“ eine ganze spezielle und tiefgründige          verlassen hat, dass er sich für einen anderen Weg als Johan-
      Mystik zu. Und natürlich ging dieser Denkansatz über den       nes der Täufer entschieden hat, dass er immer neu sich zu
      Bezug auf den Tod Jesu hinaus. „Jeder Mensch muss sein         total Einfachen und Bedürftigen zugewendet hat, dass er
      Kreuz finden und tragen,“ sagten sie, „jeder muss darin        solche Donnersöhne, Versager und Verleugner als Schü-
      seinen Lebenssinn finden.“ Nur über das Kreuz, so meinen       ler hatte, all das ist Last gewesen. Und sich immer neu auf
      auch heute noch viele Lehrer des Christentums, kann man        diesen Weg der Unterscheidung und der Liebe zu begeben,
      Gott zufrieden stellen. Im Kreuz ist Heil.                     hatte mit dem Kreuz zu tun.
           Ich habe mich damals innerlich, da kann ich mich                Jesus hat das Kreuz nicht gescheut, er hat es angenom-
      noch gut erinnern, dagegen aufgebäumt. Vor allen Dingen        men, aber (!) zutiefst aufrecht. Jesus hat sich nicht zum
      merkte ich, dass dieses Reden vom Kreuz im Predigen der        Sklaven machen lassen. Und auch sein Sterben am Kreuz
      Spirituale eine Funktion bekam: es lenkte hin zu Demut         hatte historisch damit zu tun, dass er zuvor mit Wucht
      und Gehorsam. Und wenn man diese doch durchweg mir             und Selbstbewusstsein die Frevler aus dem Tempel vertrie-
      sympathischen Menschen beim Sprechen vom Kreuz beob-           ben hatte. Jesus hat nicht das Kreuz um des Kreuzes willen
      achtete, erhielt man den Eindruck einer gewissen depres-       akzeptiert, lediglich als einzig verbliebene Chance, sich
      siven Haltung: „Es ist schlimm, dieses Gesetz des Kreuzes,     und der Liebe treu zu bleiben.
      das Gott seinem Sohn und auch uns aufgebürdet hat; aber              Es stimmt nach meinem Empfinden nicht, dass
      wenn man es befolgt, findet man genau darin die seelische      Jesus sein Leben und Blut als Opferpfand Gott hingeben
      Erfüllung.“                                                    musste. Weder Jesus noch wir sind Untertanen, die einem
                                                                     herrischen Gott ihre Gaben bringen müssen. Das war eben
      Das Kreuz ist kein schmucker Anhänger                          das neue Gottesbild, das Jesus gelehrt hat: Gott ist nicht
           Ich möchte zumindest zuerst einmal sagen dürfen: Im       außerhalb von Leid und Kreuz und schaut erwartungsvoll
      Kreuz ist Elend! Im Kreuz ist Vernichtung, im Kreuz ist        darauf herab, sondern er nimmt solidarisch an unserm Leid
      Widersinn! Das Kreuz als Ort des Schmerzes und Unter-          teil. Gott ist mitten drin als Mitleidender, so wie Jesus Mit-
      gangs ist grausig und lieblos. Wer grundsätzlich predigt,      leidender war. Das ist die Botschaft des Christentums und
      dass Menschen ihr Kreuz finden und tragen müssten, der         wird von Matthäus am Ende der Zeit Jesus in den Mund
      handelt eigentlich gegen alles, was die Überlieferung unse-    gelegt: Was ihr dem/der Geringsten unter euch getan habt
      res Glaubens geprägt hat. Hätten dann nicht die Israeliten     (gegen sein Kreuz der Armut, des Hungers, der Krank-
      im verhassten Ägypten bleiben müssen und als Sklaven die       heit), habt ihr mir getan (Mt 25,40).
      Fron tragen müssen? Aber nein, wir feiern bis heute ihren            Seit Jesus und seinem Kreuzweg ist das klar: Im Kreuz
      Mut, diesem auferlegten Kreuz Lebewohl zu sagen und            ist nicht deshalb Heil, weil das Kreuz so mystisch wertvoll
      aufzubrechen in bessere Zeiten? Und hat sie Gott dabei         wäre, sondern nur weil Gott da bei uns ist. Gott gibt uns
      nicht unterstützt?!                                            innerlich Mut, aufrecht auch durch schlimmste Momente
           Immer wieder kann man im Alten Testament Men-             zu gehen, glaubend, revolutionär. Seit Jesus ist das deut-
      schen begegnen, die gerade nicht alles geduldet und demü-      lich wie nie zuvor. Im Kreuz ist Heil, weil Gott gegen die
      tig ertragen haben. Und erst recht bei Jesus kann man          Schwerkraft des Kreuzes liebend an unserer Seite steht. ■

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