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barrierefrei
            DIE ESSL FOUNDATION IN KOOPERATION MIT                     2018

          26

                                                     22
                                                     Weltweite Beispiele
                                                     für inklusive
                                                     Stadtplanung

            50 innovative und                        06
            umsetzbare Ideen aus aller               Expertendiskussion:
                                                     Was bedeutet Barriere-
            Welt, wie auch Ihre Stadt                freiheit im öffentlichen
            barrierefreier für alle wird             Verkehr?

bari 09.10.18 bari-cover.indd 1                                        24.09.2018 15:42:03
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H E N  K E N
         SC            N N T
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            K  E I N E
                     E N Z E N .
                GR

Bei LIBRO ist für alle Platz.
Denn noch vielseitiger als die Auswahl
an tollen Geschenkideen sind die                          HIN.
                                                    ST’
Menschen, denen wir damit Freude bereiten.   DA MUS

24h   CLUB
      APP

SCHULE SCHENKEN STAUNEN
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inhalt                                                                 Round Table: ÖBB-
                                                                                                                                                 Vorstandsdirektorin
                                                                                                                                                                                                                       Titelstory: Wer Kundenorien-
                                                                                                                                                                                                                        tierung und Barrierefreiheit
                                                                                                                                             Silvia Angelo im Gespräch.                                                  unter einen Hut bekommt.

                                                                                                                               06                                                                                                        14

                                                                              Coverfoto: Christian Zehet-
                                                                           gruber (Videbis), erfolgreicher Be-
                                                                          ratungs- und Handelsunternehmer.

                                                                                                                               22                                                                                                       26
                                                                                                                                          Stadtentwicklung: Wie man den                                            Good Practices: Von A wie App
                                                                                                                                           Lebensraum plant, der für alle                                          bis Z wie Zoo: 50 weltweite Bei-
                                                                                                                                             Menschen zugänglich ist.                                                 spiele zeigen, wie es geht.

                                                                                                          Vorwort
                                                                          W
                                                                                            enn es um Barrierefreiheit geht, fällt wohl den                          Unfällen. Daher ist Barrierefreiheit auch wirtschaftlich sinn­
                                                                                            meisten von uns sofort ein: Rampen für Roll­                             voll. Und sie schließt alle Lebensbereiche ein, sei es Wohnen,
                                                                                            stuhlfahrer. Vielleicht noch: größere Toilet­                            Einkauf, Freizeitgestaltung, Mobilität oder Kommunikation,
                                                                                            ten, breitere Türen und Duschtassen ohne                                 mit neuen Technologien als einem der wichtigsten Antriebs­
                                                                          Stufe. Und wer aus der Baubranche kommt, verbindet das                                     faktoren.
       Fotos Cover und Seite 3: Beigestellt, Akos Burg, Fotolia/jasckal

                                                                          Thema mit Vorschriften und Zwang. Dabei ist Barrierefreiheit                               Die Essl Foundation hat sich mit dem Zero Project ganz der
                                                                          (Accessibility) eine der faszinierendsten Entwicklungen unse­                              weltweiten Erforschung und Verbreitung von Innovationen
                                                                          rer Zeit. Nimmt man alle Menschen zusammen, dann kommt                                     verschrieben, die Barrierefreiheit – oder auch Bildung und Be­
                                                                          man ohne viel Nachrechnen auf ein Viertel aller Österreicher,                              schäftigung – unterstützen (www.zeroproject.org). Das Magazin
                                                                          die irgendwie eingeschränkt sind: 15 Prozent haben nach                                    „barrierefrei“ stellt 50 Innovationen aus aller Welt in den Mit­
                                                                          Selbsteinschätzung eine Behinderung, dazu die Einschränkun­                                telpunkt, die speziell das Leben in den Städten für alle einfacher
                                                                          gen im Alter, aufgrund von sprachlichen Barrieren (Kinder, Mi­                             und zugänglicher machen, und empfiehlt sie zur Nachahmung.
                                                                          gration) oder auch nur als Eltern von Kleinkindern oder nach                                                    Martin Essl, Gründer der Essl Foundation

                                                                          impressum: Medieninhaberin und Herausgeberin: Essl Foundation, c/o Haus der Philanthropie, Schottenring 16/3, 1010 Wien. • Produktion: „Die Presse“-Verlags-GmbH & Co
                                                                           KG, Hainburger Straße 33, 1030 Wien. • Geschäftsführung: Mag. Herwig Langanger, Rainer Nowak, Dr. Rudolf Schwarz • Umsetzung: „Die Presse“-Spezialredaktion, Mag. Astrid
                                                                          Müllner, Mag. Michael Köttritsch, MA. • Redaktion und Koordination: Wolfgang Pozsogar, Mag. Nikola Miksovsky. • Koordination Essl Foundation: Dr. Michael Fembek • Artdirection:
                                                                          Matthias Eberhart. Grafik/Produktion: Thomas Kiener, Christian Stutzig, Alexander Schindler. • Druck: DruckStyria GmbH & Co KG, Styriastraße 20, 8042 Graz. Die in diesem Ma-
                                                                          gazin angeführten Informationen zu den Good-Practice-Beispielen beruhen auf Angaben der jeweiligen Unternehmen. Das Magazin „barrierefrei“ entsteht in Kooperation mit der
                                                                                          „Presse“ und der Stadt Graz, es wird mit einer Gesamtauflage von über 200.000 Stück sowohl der „Presse“ als auch dem Grazer „BIG“ beigelegt.

                                                                                                                                                          Barrierefrei
                                                                                                                                                                 3

bari 09.10.18 bari-vorwort.indd 3                                                                                                                                                                                                                 24.09.2018 15:42:00
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WIEDER AUF
           ZWEI BEINEN
           Ein neuer                                     hat, ist ein batteriebetriebener, über der
                                                         Kleidung tragbarer bionischer „Anzug“.                   Salzburg hat
           bionischer                                    Seine elektrischen Motoren bewegen
                                                         die Beine und ergänzen oder ersetzen
                                                                                                                  Etappenplan für
                                                                                                                  Barrierefreiheit
           Anzug in                                      Muskelfunktionen. Benützt wird das
                                                         Hightech-Gerät im Zuge eines ambulan-

           Österreich                                    ten Trainings mit Physiotherapeuten.
                                                         Nicht zuletzt seine eigenen Erfahrungen
                                                         mit dem Exoskelett haben Demblin zur
                                                                                                                 D      as in der Salzburger Altstadt gele-
                                                                                                                        gene Schloss Mirabell wurde
                                                                                                                  Anfang des 17. Jahrhunderts errichtet.
                                                         Initiative tech2people bewegt. Sie soll in               Gute hundert Jahre später baute es der
                                                         den nächsten Jahren innovative Techno-                   berühmte Baumeister Johann Lucas von
                                                         logien nach Österreich holen, die es                     Hildebrandt zu einer prächtigen barocken
                                                         Menschen mit Behinderung ermögli-                        Schlossanlage um.
                                                         chen, ein anderes Leben zu führen.                       Heute ist Mirabell ein Fixpunkt für Salz-
                                                         Das Exoskelett-Training war der erste                    burg-Touristen, aber auch ein wichtiger
                                                         Schritt. Demblin brachte das Exoskelett                  Veranstaltungsort. Dank einer kürzlich
                                                         des Herstellers Ekso Bionics für eine                    realisierten induktiven Höranlage werden
                                                         Woche nach Wien. Menschen mit Läh-                       dort künftig auch Hörgeräteträger stö-
                                                         mung oder Schwächung der Beine                           rungsfrei Audiosignale empfangen und
                                                         konnten Anfang Oktober das Exoskelett                    damit besser an den Veranstaltungen
                                                         des Herstellers Ekso Bionics im Rah-                     teilnehmen können.
                                                         men eines jeweils 1,5-stündigen Trai-                    Das Pegasuszimmer ist nach Panorama-

          E     in batteriebetriebener, über der Klei-
                dung tragbarer bionischer „Anzug“
           hatte Unternehmensberater Gregor
                                                         nings, das von Physiotherapeut Dennis
                                                         Veit geleitet wurde, ausprobieren. Den
                                                         meisten Teilnehmern ging es wie Dem-
                                                                                                                  bar, Stadt:Bibliothek, TriBühne Lehen,
                                                                                                                  Marmorsaal und Rathaussaal der sechs-
                                                                                                                  te Veranstaltungsort, den die Stadt mit
           Demblin – der seit zwanzig Jahren eine        blin: Sie waren von den Möglichkeiten                    einer induktiven Höranlage ausgestattet
           Querschnittlähmung hat – ein einzig-          des neuen Gerätes begeistert. Gespon-                    hat. Damit wurde eine weitere Forderung
           artiges Erlebnis beschert: „Als ich das       sert wurde die Aktion von den Österrei-                  des sogenannten Salzburger Etappen-
           Exoskelett 2017 zum ersten Mal auspro-        chischen Lotterien. Die Reed Messen                      plans umgesetzt. Dieser Maßnahmenka-
           biert habe, hat es mein Leben verändert.      steuerten den Veranstaltungsort in der                   talog listet 100 Maßnahmen auf, wie sich
           Ich konnte zum ersten Mal nach                Messe Wien bei.                                          die Stadt Salzburg als Lebensraum für
           20 Jahren wieder gehen. Das Gefühl ist                                                                 alle Personengruppen mit unterschiedli-
           unbeschreiblich“, erzählt er.                 Gregor Demblin im Exoskelett: Nach 20 Jahren             chen Beeinträchtigungen lebenswerter
           Das Exoskelett, das ihn so begeistert         erstmals wieder gehen.                                   gestalten lässt.

           Der Access City
                                                         I m Jahr 2020 werden in der
                                                           Europäischen Union 120
                                                                                           schaft, die Fähigkeit und die
                                                                                           Bemühungen einer Stadt,
                                                                                                                              alle Menschen – unabhängig
                                                                                                                              von Alter, Mobilität oder
                                                                                                                                                                Fotos: Achim Bieniek, Jorit Aust, beigestellt

           Award der EU ist                              Millionen Menschen mit Be-        barrierefreier zu werden, an-      Fähigkeit – den gleichen
           eine Auszeichnung                             hinderung leben. Um ihnen         erkennen. Damit will die EU        Zugang zu allen Ressourcen
                                                         optimale Lebensqualität zu        Städte auszeichnen, die vor-       und Freizeitangeboten
           für barrierefreie                             sichern, fördert die EU auf       bildliche Aktivitäten für Bar-     haben. Bis Mitte September
           Städte                                        verschiedensten Ebenen            rierefreiheit gesetzt haben.       konnten sich Städte mit
                                                         Chancengleichheit und Bar-        Ziel soll es sein, die Lebens-     mehr als 50.000 Einwohnern
                                                         rierefreiheit. Eine von vielen    qualität von Menschen mit          für den Preis 2019 bewer-
                                                         Maßnahmen ist der Access          Behinderung zu verbessern          ben. Die Sieger werden im
                                                         City Award. Er soll die Bereit-   und dafür zu sorgen, dass          kommenden Jahr geehrt.

                                                                                Barrierefrei
                                                                                      4

bari 09.10.18 bari-Kurzmeldungen.indd 4                                                                                                             24.09.2018 16:14:19
Barrierefrei - netdna-ssl.com
Behindertenrechte:
            UN prüft Österreich

         I
                n einem guten Jahr kommt der Umgang Österreichs
                mit den Rechten von Menschen mit Behinderung auf
                den Prüfstand: Im Herbst 2019 steht eine sogenann-
                te Staatenprüfung unseres Landes auf dem Pro-
           gramm des zuständigen UN-Ausschusses. Die erste der-
           artige Prüfung fand im Jahr 2013 statt. Die Vorbereitungen
           für das Monitoring sind angelaufen. Wie Martin Ladstät-      Beethovenfries von Klimt ist
           ter auf bizeps.or.at berichtete, trafen am 6. und 7. Sep-    jetzt barrierefrei zugänglich
           tember Vertreter der österreichischen Zivilgesellschaft,
           des Monitoringausschusses und der Volksanwaltschaft
           in Genf Mitglieder des UN-Ausschusses.
           Johanna Mang ging bei den Gesprächen am Schweizer
                                                                        D     ie Secession, ein unver-
                                                                              kennbares Symbol der ös-
                                                                        terreichischen Kunst- und Kul-
                                                                                                           eines neuen Aufzugs, mit dem
                                                                                                           jetzt erstmals das weltberühm-
                                                                                                           te Beethovenfries von Gustav
           UN-Sitz – so der Bericht von Martin Ladstätter – auf         turlandschaft, erstrahlt zum       Klimt barrierefrei zugänglich
           strukturellen Probleme ein, insbesondere das schwierige      120-Jahr-Jubiläum in neuem         ist. Außerdem wurden die be-
           Verhältnis der Zusammenarbeit von Bund und Ländern.          Glanz. Und die Sanierung           stehenden Aufzugsanlagen
           Volksanwalt Günther Kräuter forderte verstärkte An-          betraf nicht nur die Optik und     erneuert und letztlich auch ein
           strengungen, um Gleichstellung zu garantieren. Der Prä-      die Bausubstanz des markan-        barrierefreies WC eingebaut.
           sident des Österreichischen Behindertenrats erläuterte       ten Jugendstilgebäudes. Im         Die Neugestaltung wurde von
           die aktuelle Situation von Menschen mit Behinderungen        Zuge umfangreicher Erneue-         der Vereinigung bildender
           in Österreich. Bereits vor diesem Treffen wurden schrift-    rungsarbeiten wurde auch die       Künstler Wiener Secession
           liche Berichte übermittelt. Für den UN-Ausschuss sind        Barrierefreiheit des einzigarti-   und unter der Federführung
           diese Informationen die Basis für die Befragungen im         gen Bauwerks verbessert. Das       von Architekt Adolf Krischanitz
           Rahmen der Staatenprüfung Österreichs 2019.                  geschah durch den Einbau           durchgeführt.

bari 09.10.18 bari-Kurzmeldungen.indd 5                                                                                            25.09.2018 10:43:48
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„ES IST EINE HOHE LATTE,
           DIE DA GELEGT WIRD“
           Spannendes Diskussionsthema: Öffentliche Verkehrsmittel sollen für alle Men-
           schen leicht und ohne fremde Hilfe zugänglich sein. In welchen Bereichen ist das
           heute schon gelungen, welches Optimierungspotenzial gibt es noch?

                                                                                                                                                                   Foto: Akos Burg

                             Die Diskussionsrunde: Hansjörg Hofer, Michael Fembek, Manuela Bauer, Klaus Höckner, Silvia Angelo und Christian Keimel.

                                                                                      Barrierefrei
                                                                                            6

bari 09.10.18 bari-Diskussion.indd 6                                                                                                                   24.09.2018 15:43:50
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I
                m Haus der ÖBB am Praterstern         nen mit Behinderungen gerecht wer-          ten-Ombudsman, mit welchen Themen
                wurde über das Thema Barriere-        den. Wir müssen unsere Bahnhöfe mit         kommen die Menschen zu Ihnen?
                freiheit diskutiert. Neben Lob gab    Rampen, Aufzügen, Blindenleitsyste-         Hofer: Da geht’s zum Beispiel um Men-
                es von den Diskussionsteilnehmern     men und vielen anderen ausstatten.          schen mit einer grundlegenden Ein-
           auch viele Anregungen, wie man Bar-        All das bemühen wir uns umzusetzen.         schränkung, lernbehinderte Menschen,
           rierefreiheit im öffentlichen Verkehr      Die Basis bildet ein Etappenplan, der       die sich schwertun, sich am Bahnhof
           noch weiter ausbauen könne. An der         nach Prioritäten aufgebaut wurde.           zu orientieren, herauszufinden, wel-
           Diskussion nahmen teil: Silvia Angelo,     Wichtig ist zuerst die Frequenz, also       cher Zug wohin, auf welchem Bahn-
           Vorstandsdirektorin der ÖBB Infra-         wie viele Menschen den betreffenden         steig wann jetzt wirklich fahren wird.
           struktur AG, Manuela Bauer, Tast-          Bahnhof nützen. Und natürlich werden        Es geht also auch darum, Informatio-
           untersucherin bei Discovering Hands,       Maßnahmen dann durchgeführt, wenn           nen so bereitzuhalten, dass sie für alle
           Hansjörg Hofer, österreichischer Bun-      wir einen Bahnhof ohnehin sanieren          Menschen verständlich sind. Das heißt,
           desbehindertenanwalt, Klaus Höckner,       müssen, weil er entweder in die Jahre       mehr mit Symbolen und Piktogrammen
           Geschäftsführer der Hilfsgemeinschaft      gekommen ist oder weil wir dort neue        zu arbeiten, statt nur mit Text- und
           der Blinden und Sehschwachen, und          Anlagen bauen.                              Zeitangaben.
           Christian Keimel, Microsoft-Kunden-        Hofer: Es gibt in Österreich etwa           Auch Menschen mit Hörbehinderun-
           berater für den modernen Arbeitsplatz.     1,3 Millionen Menschen, die eine Be-        gen haben besondere Bedarfe, auf die
           Das Gespräch leitete Michael Fembek        hinderung haben. Das stellte die Statis-    ebenfalls eingegangen werden sollte.
           von der Essl Foundation.                   tik Austria im Rahmen einer Mikrozen-       Das Bundesbehindertengleichstellungs-
                                                      suserhebung fest. Dabei wurde gefragt,      gesetz sagt ja deutlich, was barrierefrei
                                                      ob sich jemand wegen einer körperli-        heißt: Dass alle technischen Einrich-
           Fembek: Beginnen wir hier im Haus der      chen, geistigen, psychischen oder           tungen, Anlagen, Gebäude, Verkehrs-
           ÖBB mit dem Thema Barrierefreiheit         Sinnesbehinderung selbst im täglichen       einrichtungen und Ähnliches für Men-
           der Bahn. Frau Angelo, was hat die         Leben als benachteiligt fühlt. Und          schen mit Behinderungen in
           Bahn auf diesem Gebiet bisher geleistet,   diese Frage haben ungefähr 18 Prozent       dergleichen Weise wie für andere
           was werden die ÖBB in den nächsten         bejaht. Das heißt, Barrierefreiheit ist     grundsätzlich ohne fremde Hilfe und
           Jahren tun?                                nicht Thema von wenigen Hundert             ohne besondere Erschwernis zugäng-
           Angelo: Wir sind innerhalb der ÖBB für     oder Tausend Menschen, es sind viele        lich und nutzbar sein müssen. Das ist
           Infrastrukturausbau und -erhalt, also      betroffen. Dazu kommt die demografi-         eine hohe Latte, die da gelegt wird. Da
           für Bahnhöfe und Haltestellen sowie                                                    wird noch einiges zu tun sein.
           für Gleisanlagen, Tunnelausbauten und                                                  Angelo: Kommunikation hat immer
           Brücken, zuständig. Unser Ziel ist es,     „In Österreich                              zwei Seiten. Ich gebe eine Information
           den Zugang zu Bahnhöfen und Halte-                                                     weiter und ich muss sicherstellen, dass
           stellen auch für Menschen mit Ein-         gibt es etwa 1,3                            mein Gegenüber etwas mit der Infor-
           schränkungen jeder Art zu ermögli-                                                     mation anfangen kann. Das ist ein ganz
           chen. Das wollen wir deshalb, weil es      Millionen Men-                              wesentlicher Punkt in jeder Form von
           unser Ziel ist, dass möglichst viele                                                   Kommunikation und wir kommunizie-
           Menschen am öffentlichen Verkehr           schen mit einer                             ren auf Bahnhöfen mit unseren Kun-
           teilnehmen können und allen unseren                                                    dinnen und Kunden. Wenn die Infor-
           Kundinnen und Kunden eine Infra-           Behinderung.“                               mation nicht bei allen ankommt, dann
           struktur ohne Barrieren zur Verfügung                                                  müssen wir nachdenken, wie wir die
           steht. Wir haben dazu einen Etappen-       Hansjörg Hofer                              Kommunikation verbessern können.
           plan ausgearbeitet und uns vorgenom-                                                   Neue Technologien werden dabei eine
           men, dass bis zum Jahr 2027 rund                                                       wichtig Rolle spielen. Das ist auch für
           90 Prozent unserer Kundinnen und                                                       uns ein wichtiges Thema.
           Kunden von barrierefreien Verkehrs-                                                    Bauer: Ich bin nicht blind, aber stark
           stationen profitieren. Heute benutzen                                                   sehbeeinträchtigt. Mir ist aufgefallen,
           80 Prozent der Fahrgäste und Besucher      sche Entwicklung, die Menschen wer-         dass Bahnhöfe und auch viele andere
           barrierefreie Anlagen.                     den älter, aber wenn man älter wird,        öffentliche Gebäude entweder roll-
           Fembek: Was bedeutet „barrierefrei“ für    wird man nicht mobiler. Das heißt, es       stuhlgerecht oder blindengerecht adap-
           die ÖBB?                                   geht für Sie um einen großen Kunden-        tiert sind oder im besten Fall beides.
           Angelo: Es bedeutet, Personen mit          kreis. Ich sehe es nicht nur als eine He-   Aber sehbeeinträchtigten Menschen,
           unterschiedlichen Einschränkungen,         rausforderung, sondern als eine große       wie ich es bin, hilft das nicht, ich sehe
           sei es durch Sehen, sei es durch andere    Chance, sich so aufzustellen, dass Sie      Glaswände nicht, Spiegel, zu grelle Be-
           körperliche Einschränkungen, einen         Ihre Kunden in zehn oder zwanzig Jah-       leuchtung – das ist alles irritierend für
           erleichterten Zugang zu bieten. Das        ren genauso gut servicieren, wie Sie das    mich, das ist eine Reizüberflutung und
           heißt, wir brauchen Parkplätze, die        jetzt machen.                               dann kann ich mich nicht mehr orien-
           speziell den Bedürfnissen von Perso-       Fembek: Aus Ihrer Praxis als Behinde-       tieren. Wenn keine Kontraste da sind

                                                                       Barrierefrei
                                                                            7

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Behindertenanwalt Hans-
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                                                                           so bereithalten, dass sie für
                                                                              alle verständlich sind.

                                                                                  Silvia Angelo: Bis 2027 wer-
                                                                                   den rund 90 Prozent aller
                                                                                  Bahnhöfe barriereferei sein.
                                                                                   Heute sind es 80 Prozent.

                                       Klaus Höckner (l.): Ein
                                        wichtiges Thema bei
                                       Öffis – wie kann ich ein
                                            Ticket kaufen.

                                                                                      Christian Keimel: Lob für
                                                                                      die Öffis. Manuela Bauer:
                                                                                      Bahnhöfe werden meinen
                                                                                     Bedürfnissen nicht gerecht.
                                                                                                                               Fotos: Akos Burg

                                                                  Barrierefrei
                                                                       8

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und ich nicht sehe, wo der Boden an­
           fängt und die Wand aufhört, wird es
                                                       „Es ist uns                                sehr intensiv.
                                                                                                  Dieses jetzt gehörte Feedback, die Mei­
           schwierig für mich. Gerade Sehbehin­
           derung hat sehr viele Abstufungen und
                                                       wichtig, immer                             nung, wie Sie unsere Aktivitäten von
                                                                                                  Ihrer Warte einschätzen, sind für uns
           die betroffenen Menschen haben ver­
           schiedene Bedürfnisse.
                                                       mehr Menschen                              ganz wesentlich. Wir führen auch
                                                                                                  Stakeholder­Dialoge durch, um im
           Angelo: Das Thema Beleuchtung ist bei
           uns unter dem Sicherheitsaspekt stark
                                                       zur Bahn zu                                direkten Gespräch mit Menschen mit
                                                                                                  Behinderung zu bleiben. Die Zahl von
           diskutiert worden. In einem hellen
           Bahnhof fühlen sich vor allem Frauen
                                                       bringen.“                                  1,3 Millionen ist wirklich beeindru­
                                                                                                  ckend und zeigt, um welch große
           wohler – das stärkt das subjektive                                                     Gruppe es geht. Dazu kommen Men­
                                                       Silvia Angelo
           Sicherheitsempfinden. Aber das kann                                                     schen, die oft nur temporär einge­
           natürlich nicht bedeuten, alles so grell                                               schränkt sind. Die Bahn ist ein ökolo­
           zu erleuchten, dass das für manche                                                     gisches Verkehrsmittel und damit auch
           eine Beeinträchtigung ihrer Wahrneh­                                                   das Verkehrsmittel der Zukunft. In die­
           mungsfähigkeit darstellt. Das ist eine                                                 sem Sinne ist es uns wichtig, dass wir
           Debatte, die wir führen, wir müssen die     Menschen ist es durch die Menge an         mehr Menschen zur Bahn bringen.
           unterschiedlichen Bedürfnisse gut zu­       Optionen nahezu unmöglich, Tickets         Fembek: Wie schaut es denn abseits der
           sammenbringen und gangbare Lösun­           im Nahverkehrsbereich zu kaufen.           ÖBB punkto Barrierefreiheit beim öf­
           gen finden.                                  Technologie kann ein Treiber sein, um      fentlichen Verkehr aus. Was sind hier
           Höckner: Geburtsblinde Menschen gibt        viele Sachen einfacher zu machen. Sie      die Probleme und wie könnte man sie
           es in Österreich relativ wenige. Aber wir   kann allerdings nur ein unterstützen­      lösen?
           haben sehr viele altersblinde Menschen      des Mittel sein, weil es natürlich auch    Keimel: Für mich mit meiner Beein­
           und sehbehinderte Menschen wie Sie,         etwa ältere Menschen gibt, die mit die­    trächtigung punkto Mobilität ist die
           Frau Bauer. Blindenleitlinien, Stockbe­     ser Technologie nicht mehr umgehen         Nutzung der Öffentlichen Verkehrsmit­
           gehbarkeit und alle diese Dinge sind für    können. Aber die nachwachsende             tel in Österreich und besonders in
           eine kleine Gruppe von Menschen, die        Generation ist den Umgang mit Smart­       Wien sehr angenehm, da muss ich ein
           sie nutzen können, von großer Wichtig­      phone und Internet gewohnt. Deshalb        Lob aussprechen. In vielen anderen
           keit. Aber die allergrößte Gruppe von       sollte man schon einen Fokus darauf        Ländern und Städten habe ich schlech­
           Menschen mit Sehbehinderungen und           legen bis hin zur Website, die eine        tere Situationen vorgefunden. Bessere
           blinde Menschen haben keinerlei Trai­       große Informationsmöglichkeit dar­         gibt es natürlich auch, etwa in den
           ning, was das betrifft, und sollten sich    stellt. Es ist absolut notwendig, dass     USA. Für mich persönlich wäre es an­
           ebenfalls im normalen Alltag zurecht­       man diese Technologien auch barriere­      genehm, wenn ich eine Bahnreise ge­
           finden.                                      frei gestaltet, damit sich ein blinder     nerell nicht im Vorfeld lange planen
           Ein anderes Thema im Zusammenhang           Mensch Tickets bestellen oder Infor­       müsste, sondern spontan reisen könn­
           mit öffentlichen Verkehrsmitteln: Wie       mationen holen kann, wie er von            te. Für andere Formen der Einschrän­
           kann ich ein Ticket kaufen, wie kann ich    A nach B kommt.                            kung gibt es von Microsoft assistieren­
           von den ÖBB zum Beispiel auf lokale         Der dritte Punkt ist der Handshake         de Apps wie Seeing AI, ein Auge für
           Verkehrsmittel wie Busse wechseln. Wir      quasi zu anderen Verkehrssystemen, zu      blinde Menschen, oder Sound Scape,
           leben im Zeitalter des Internets, des       lokalen Verkehrssystemen. Wenn ich         wo die Umgebung gescannt wird und
           Smartphones, der digitalen Revolution.      aus dem Zug aussteige, und ich möchte      man Informationen bekommt, was sich
           Da ist es notwendig, dass man Men­          zur U­Bahn gehen, zum Bus, zur             wo befindet, wie weit es weg ist und so
           schen auch die Möglichkeiten gibt, die      Straßenbahn, dann möchte ich gern          weiter. Solche Entwicklungen sollten
           solche Hilfsmittel bieten.                  wissen, wie komme ich da hin und wo        meines Erachtens in einer langfristigen
           Fembek: Smartphones und Smart­              bekomme ich mein Ticket. Also ein          Vision für barrierefreie Mobilität oder
           phone­Apps sind hier gute Lösungen,         durchgängiges Verkehrssystem wäre          barrierefreie Öffentliche Verkehrsmittel
           oder nicht?                                 der Wunsch.                                berücksichtigt werden. Hilfreich sein
           Höckner: Wir sind hier in mehrere na­       Angelo: Natürlich ist es in großen Städ­   kann auch künstliche Intelligenz, die
           tionale und internationale Projekte ein­    ten unser Bemühen, gute Übergänge          erkennt, welche Einschränkung ein
           gebunden, die versuchen, etwa über          zwischen den Verkehrssystemen zu           Fahrgast hat und automatisch zum
           Apps Orientierung im Gebäude zur er­        schaffen. Das gelingt überall dort bes­    Beispiel beim Ticket­Dialog auf hohen
           möglichen. Außerdem wurde mit uns           ser, wo wir neu bauen. Beim Neubau         Kontrast umschaltet. Das sind natür­
           auch ein neuer Kiosk zum Einkaufen          sprechen wir uns in Wien etwa mit den      lich langfristige Perspektiven.
           für sehbehinderte Menschen entwi­           Wiener Linien, in den Landeshaupt­         Hofer: Ein Kritikpunkt – die U­Bahn in
           ckelt, wo sie Tickets sehr einfach          städten und den ländlichen Regionen        Wien. Bei den älteren Zügen ist auf­
           kaufen können. Das ist natürlich auch       mit den dortigen Nahverkehrsbetrei­        grund des „Bahnsteigspaltes“ ein Ge­
           immer ein großes Thema, denn für            bern ab, um durchgängige Mobilitäts­       fahrenpotenzial für Menschen gegeben,
           einen sehbehinderten oder blinden           ketten zu schaffen. Daran arbeiten wir     die nicht so fit sind. Warum kann nicht

                                                                       Barrierefrei
                                                                            9

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Barrierefrei - netdna-ssl.com
„Das Thema
                                                                                                       Barrierefreiheit
                                                                                                       gehört in alle
                                                                                                       Curricula.“
                                                                                                       Klaus Höckner

             Angeregte Diskussion: Welches Potenzial bietet moderne Technik, um
                 Barrieren für Menschen mit Behinderung weiter abzubauen.

           auf der Anzeigetafel stehen, ob und             sagen wird, neben dir steht diese oder      Menschen mit Behinderung zu
           wann ein geeigneter Zug kommt. Das              jene Linie. Die Frage, wie stelle ich In­   verbessern.
           müsste sich doch mit einer Software             formationen barrierefrei zur Verfügung,     Hofer: Es sind nicht allein die techni­
           lösen lassen. Bei den Wiener Linien             damit alle Nutzergruppen damit etwas        schen Lösungen. Wie schon gesagt,
           hört man als Auskunft, dann müssen              anfangen können, ist ganz wesentlich.       Barrierefreiheit beginnt in den Köpfen
           sie halt einen anderen Fahrgast fragen          Dafür ist es notwendig, dass man „De­       und dort muss auch angesetzt werden.
           oder sich helfen lassen – ja, was mache         sign for all“ macht, nicht für eine be­     Ein wichtiger Punkt dabei ist die Aus­
           ich dann am Abend, wenn ich allein im           stimmte Zielgruppe, alle sollen es be­      bildung. Immer noch kann jemand
           Zug bin, wer hilft mir denn dann? Fast          nutzen können.                              Architekt in Österreich werden, ohne
           alle Barrieren haben ihre Ursache in            Keimel: Vieles, was einem Menschen          dass er das Wort Barrierefreiheit hören
           den Köpfen und von dort bekommt                 mit Einschränkungen in irgendeiner          musste, denn das ist kein Pflichtgegen­
           man sie am schwersten weg. Die Betrof­          Form hilft, ist auch für jeden anderen      stand.
           fenen sollten viel mehr einbezogen wer­         nützlich und vereinfacht das tägliche       Höckner: Da stimme ich zu: Barriere­
           den, und zwar alle Gruppen und bereits          Leben. Wenn wir über den öffentlichen       freiheit gehört in alle Curricula, sei es
           bei der Planung. Man sollte Rollstuhl­          Verkehr und barrierefreie Informatio­       an der Schule, sei es an der Universität.
           fahrer, Gehörlose, Menschen mit Lern­           nen sprechen, möchte ich wieder visio­      Eines der größten Probleme beim
           behinderung fragen, was sind eure drei          när werden: Es werden automatisierte        Thema Barrierefreiheit ist die Design­
           wichtigsten Wünsche. Dann wird jeder            Informationssysteme kommen, kleine          verliebtheit, nicht „form follows func­
           Bau, jeder Bahnhof barrierefrei und             Roboter, die sowohl visuell als auch        tion“, sondern „function follows form“
           eine Freude für alle Fahrgäste sein.            audiotechnisch Informationen übermit­       heißt es nur allzu oft. Es muss immer
           Bauer: Wenn es um Straßenbahnen, um             teln. Auskunftssysteme auf diese Weise      alles schön ausschauen, aber ob das
           Busse geht, habe ich auch diese Erfah­          zu automatisieren und durch digitale        wirklich funktionell ist, ist eine andere
           rungen gemacht. Da höre ich, Sie müs­           Intelligenz zu ergänzen, sehe ich           Frage. Und das hat auch etwas mit der
           sen halt schauen, es steht eh alles da.         durchaus als Möglichkeit, dass Men­         Barriere in den Köpfen zu tun.
           Ich bekomme keine Informationen und             schen Verkehrsmittel benützen kön­          Angelo: Schön ausschauen und Funk­
           deshalb fahre ich nicht gerne Straßen­          nen, ohne Angst zu haben, falsch aus­       tionalität müssen in diesem Zusam­
           bahn und nirgends mehr hin, wo ich              zusteigen oder nicht ans Ziel zu            menhang aber kein Widerspruch sein.
           mich nicht auskenne. Weil ich weiß, ich         kommen. Eine weitere sehr hilfreiche        Wenn man das Thema Barrierefreiheit
           kriege diese Infos nicht. In der App            Technologie ist die Spracherkennung,        im Kopf hat und weiß, wie es zu erfül­
           steht zwar, wo welche Straßenbahn               ich kann meine Wünsche verbal einge­        len ist, dann habe ich klare Vorgaben
           fährt, aber ich weiß nicht, welche Stra­        ben, das Gerät verarbeitet sie und ant­     und Prioritäten und schließe schön ja
           ßenbahn neben mir stehen bleibt und             wortet mir wieder mit Sprache.              nicht aus.
           in welche Richtung sie fährt.                   Künstliche Intelligenz, Robotik,            Fembek: Schön und barrierefrei. Das
                                                                                                                                                      Foto: Akos Burg

           Höckner: Die Wiener Linien arbeiten an          Automatisierung von Informationsbe­         kann man ja als Wunsch und als
           einem Bildschirm für die Stationen, der         reitstellung, da liegt noch ganz viel       Schlusswort so stehen lassen. Danke
           eine Vorlesemöglichkeit hat und auch            Potenzial drinnen, um die Situation für     für das Gespräch.

                                                                           Barrierefrei
                                                                                  10

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ENTGELTLICHE EINSCHALTUNG

                                   Weil es wirklich wichtig ist
                                   Die Österreichische Post sorgt für ein barrierefreies Umfeld sowohl für
                                   ihre Mitarbeiter als auch für ihre Kunden.

                                                                                                                                DI Walter Hitziger, Vorstand Brief,
                                                                                                                                Werbepost & Filialen Österreichische
                                                                                                                                Post AG.

                                                                                                                                     DI Walter Hitziger:
                                                                                                                                     „Die Österreichische Post ist tag-
                                                                                                                                     täglich für die Menschen im Land
                                                                                                                                     spürbar und trägt damit soziale
                                                                                                                                     und gesellschaftliche Verantwor-
                                                                                                                                     tung – für Kunden ebenso wie für
                                                                                                                                     ihre Mitarbeiter.“

                                   A    ls Universaldienstleister und einer der
                                        größten Arbeitgeber des Landes trägt
                                   die Österreichische Post eine besondere Ver­
                                                                                  1230 Mitarbeiter, die eine Form der Behin­
                                                                                  derung haben, geeignete Arbeitsbedin­
                                                                                  gungen geschaffen. Ein gelungenes Bei­
                                                                                                                                unterstützen insbesondere auch behin­
                                                                                                                                derte Menschen, ihre Sendungen bequem
                                                                                                                                und schnell zu empfangen. Aber auch
                                   antwortung, auch im sozialen Bereich. Da­      spiel ist die Unternehmenszentrale „Post      andere Produkte werden bereits in der
                                   rum ist dem Unternehmen der korrekte Um­       am Rochus“. Das Gebäude ist nicht nur         Konzeption mit Experten – wie beispiels­
                                   gang mit Menschen mit Behinderung beson­       baulich völlig barrierefrei, sondern zeich­   weise dem Blinden­ und Sehbehinderten­
                                   ders wichtig – sowohl was Mitarbeiter als      net sich u. a. durch eine optimierte Raum­    verband Österreich – entwickelt, um
                                   auch was Kunden betrifft. Das Unternehmen      akustik zur Verbesserung der Sprachver­       einen barrierefreien Zugang zu ermögli­
                                   ist der festen Überzeugung, dass alle Men­     ständlichkeit oder durch eine kontrast­       chen. Bereits 90 Prozent aller Filialen
                                   schen die Chance auf einen guten Arbeits­      reiche Gestaltung bei den Farben der          sind barrierefrei, die übrigen werden suk­
                                   platz verdienen. Darum schafft die Post für    Möblierung aus, wovon vor allem seh­          zessive umgebaut. Die bauliche Barriere­
                                   ihre Mitarbeiter mit Behinderung ein pas­      oder hörbehinderte Menschen profitieren.      freiheit ist auch Grundbedingung für
                                   sendes Arbeitsumfeld. Für Kunden wird                                                        Post Partner, die flächendeckend in ganz
                                   durch Barrierefreiheit und neue Services der   Für ihre Kunden                               Österreich für ihre Kunden da sind.
                                   Zugang zur Post erleichtert.                   Viele neue Angebote und Services, wie
   Foto: Österreichische Post AG

                                                                                  zum Beispiel die Paketempfangsboxen,
                                   Für ihre Mitarbeiter
                                   Rund 18.000 Mitarbeiter beschäftigt die
                                   Post österreichweit. Das Thema Inklusion
                                   am Arbeitsplatz hat deshalb einen beson­
                                   ders hohen Stellenwert. So wurden für

                                                                                                 Barrierefrei
                                                                                                      11

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ENTGELTLICHE EINSCHALTUNG

           Im Sinne der Bewohner
           Graz nimmt in Sachen Barrierefreiheit eine führende Rolle ein – und plant dabei
           mit den Betroffenen.

           S  iegfried Nagl, Bürgermeister von Graz,
              und sein Stellvertreter Mario Eustacchio
           im Gespräch über die Stadt und umgesetz­
           te Maßnahmen in Sachen Barrierefreiheit.

           Herr Bürgermeister Nagl, Herr
           Bürgermeister-Stellvertreter
           Eustacchio! Graz ist eine echte
           Vorreiterstadt, wenn es um Inklu-
           sion geht. Woher kommt das?
           Nagl: Für Graz sind die Themen „Inklu­
           sion“ und Barrierefreiheit tatsächlich seit
           einem Vierteljahrhundert besonders
           wichtige Anliegen. Denn Barrieren sind
           nichts anderes als Hindernisse, die Men­
           schen aus Bereichen unserer Gesellschaft
           ausschließen, weil sie körperlich oder
           geistig beeinträchtigt sind, weil sie älter
           und teils gebrechlich werden oder einen
           Unfall hatten oder, für viele wohl noch                                                     Bürgermeister Siegfried Nagl und Isabella
           naheliegender, weil sie Eltern geworden       Nagl: Ein Leitmotto des Kulturhaupt­          Ritz: Graz ist Vorreiter in Sachen Inklusion.
           sind und jetzt ihre Stadt mit einem Kin­      stadtjahres war: Kultur soll für ALLE
           derwagen bereisen.                            Menschen erlebbar sein. Es wurden
                                                         Machbarkeitsstudien für die Kulturbau­
           Wo liegt das Geheimnis, dass auch             ten in Bezug auf barrierefreie Nutzung
           die politischen Barrieren für das             erstellt. Diese Studien hatten doppelte       bis 2017 politisch für diesen Bereich
           Thema „Inklusion“ überwunden                  Wirkung. Einerseits wurden die Ergebnis­      verantwortlich. Die Busse sind bereits
           wurden?                                       se dieser Studien bei den Kulturbauten        seit einigen Jahren zu 100 Prozent mit
           Eustacchio: Eine Stadt kann nur barrie­       (Neubau und Sanierungen) umgesetzt            Niederflurtechnologie ausgestattet und
           refrei werden, wenn es dazu ein breites       und gleichzeitig fand eine Sensibilisie­      die Straßenbahnen werden bis 2020
           politisches Bekenntnis der Politik, also      rung der beteiligten Architekten auf Bar­     vollständig barrierefrei nutzbar sein. Die
           des Grazer Gemeinderates und der Stadt­       rierefreiheit statt, die bei nachfolgenden    Haltestellen des Öffentliches Verkehrs
           regierung, gibt. Graz hat schon sehr früh     Projekten auch wirksam wurde. Zum Bei­        verfügen über taktile Wartefelder, die die
           begonnen, systematisch und konkret mit­       spiel sind das Kunsthaus, das Kindermu­       Halteposition der ersten Tür kennzeich­
           tels Beschlüssen, Menschen mit Behinde­       seum, das Literaturhaus, der Schloßberg­      nen und somit Sehbehinderten und blin­
           rung die Teilhabe am öffentlichen Leben       lift und die Murinsel alle barrierefrei zu­   den Menschen die Kontaktaufnahme mit
           zu ermöglichen. Erste konkrete Schritte       gänglich und erlebbar. Graz verfügt zu­       dem Fahrer für eventuelle Hilfe er­
           zur barrierefreien Stadt waren daher bar­     dem über Tastmodelle von historischen         möglichen.
           rierefreie Verwaltungsgebäude. Dies war       Gebäuden, wie dem Grazer Uhrturm oder         Aber auch viele Sport­ und Freizeitein­
           für die Bevölkerung wichtig, aber auch        dem Rathaus. Was aber besonders span­         richtungen in Graz sind barrierefrei nutz­
           insgesamt sehr spannend, da einige da­        nend ist, es gibt auch spezielle Führun­      bar. Die Auster, das große Hallenbad in
           von denkmalgeschützt sind. Unsere Maß­        gen in unserem Grazer Zeughaus und            Graz, verfügt über taktile Leiteinrichtun­
           nahmen haben in Abstimmung mit dem            auch spezielle Opernaufführungen für          gen, barrierefreie Umkleiden und Sanitär­
           Denkmalschutz aber gezeigt, dass Denk­        Menschen mit Sehbehinderungen.                anlagen, mobile Hebelifte in allen
           malschutz und Barrierefreiheit vereinbar                                                    Schwimmbecken und tastbare Nummern­
                                                                                                                                                            Foto: kanizaj-marija

           sind.                                         Das alles wären nur Halblösungen,             schilder der Kästchen für sehbehinderte
                                                         wenn nicht der öffentliche Verkehr            Menschen. Im Übrigen verfügen bereits
           Graz ist eine „Kulturhauptstadt“. Ist         barrierefrei gestaltet ist?                   alle öffentlichen Freibäder über mobile
           sie auch als solche barrierefrei?             Eustacchio: Das ist so! Ich war von 2013      Hebehilfen in den Schwimmbecken.

                                                                             Barrierefrei
                                                                                  12

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ENTGELTLICHE EINSCHALTUNG

           Die vielen Maßnahmen klingen her-                                    Wohnen Graz: Ein großes Plus bei der Schaffung von
           vorragend, aber gehört zur Inklu-                                    barrierefreien Gemeindewohnungen
           sion nicht, dass man nicht nur für,
           sondern mit den Betroffenen plant?
                                                                                Bei barrierefreien Wohnungen spielen      ters wurde zur Unterstützung von
           Nagl: Selbstverständlich! Partizipation
                                                                                neben der Lage und Ausstattung von        Bauwerbern, Architekten und Planern
           von Menschen mit Behinderungen ist die
                                                                                Wohnobjekten auch die Erreichbarkeit      in Kooperation mit dem Referat für
           Voraussetzung, dass Barrierefreiheit ge-                             im städtischen Umfeld, die Mobilitäts-    barrierefreies Bauen gemeinsam ein
           lingt. Die Stadt Graz hat seit fast zwei                             anforderungen und die Nutzung bei         umfassender Kriterienkatalog für
           Jahrzehnten einen Behindertenbeirat und                              individuellen Beeinträchtigungen eine     einen einheitlichen Standard von be-
           auch einen Behindertenbeauftragten. Der                              zentrale Rolle. Bürgermeister-Stellver-   hindertengerechten Wohnungen aus-
           Behindertenbeirat trifft vierteljährlich im                          treter und politisch zuständiger Refe-    gearbeitet. Um aber auch den Ansprü-
           Grazer Rathaus im Rahmen von „Round                                  rent für Wohnen Mario Eustacchio be-      chen vieler älter werdender Mieter
           Tables“ für Menschen mit Behinderung                                 tont: „Ein zeitgemäßer Wohnbau soll-      hinsichtlich der Erreichbarkeit von
           mit den Leitern der diversen Fachabtei-                              te sich den unterschiedlichen An-         mehrgeschoßigen Nachkriegs-Wohn-
           lungen des Haus Graz zusammen. Es                                    forderungen des Lebensalltags best-       gebäuden nachzukommen, werden
                                                                                möglich und unkompliziert anpassen        laufend neue Aufzugsanlagen einge-
           finden auch regelmäßig Begehungen mit
                                                                                können. Mein Ziel ist, ALLEN Grazern      baut.
           den Sehbehindertenvereinen der Stadt
                                                                                einen modernen und qualitativ hoch-       Vor allen Dingen ist es aber erforder-
           Graz und der Stadtbaudirektion bei                                   wertigen, aber auch leistbaren Wohn-      lich, den bedürftigen Menschen den
           großen städtischen Straßenbauvorhaben                                bau anbieten zu können!“                  Zugang zu den Wohnungen zu ver-
           statt. Dabei werden neue Bauvorhaben                                 Gemeinsam mit Wohnen Graz wird            mitteln und sie von der Bewerbung bis
           erklärt und auch von Menschen mit                                    mehr als das geforderte Soll umge-        zur Förderung von Hilfseinrichtungen
           unterschiedlichen Sehbehinderungen                                   setzt. Neben den gesetzlich vorge-        entsprechend zu begleiten. „Wohnen
           evaluiert. Nur noch ein Wort zum wich-                               schriebenen Grundsätzen hat sich          Graz“ ließ daher bereits 2012 eine
           tigsten Stadtentwicklungsprojekt von                                 Wohnen Graz bereit erklärt, eine aus-     eigene fachkompetente Stelle zur
           Graz, der „Smart City Reininghaus“. Hier                             reichende Anzahl an voll ausgestatte-     Beratung und Begleitung von Woh-
           entsteht ein neuer Stadtteil für rund                                ten Behindertenwohnungen im Grazer        nungssuchenden mit Behinderung
                                                                                Gemeindewohnbau zu errichten. Wei-        einrichten.
           25.000 Bewohner. Das 100 ha große Areal
           liegt sehr nahe am alten Stadtzentrum
           und soll Platz für das Arbeiten und Woh-
           nen im 21. Jahrhundert bieten. Unser
           Ziel in der Koalition ist, dass dieser
           Stadtteil in jeder Hinsicht barrierefrei
           wird, was mit dem Wissen, das wir haben,
           und den vielen „Best Practice“-Beispielen
           mit Sicherheit auch gelingen wird!

           Das Grazer Rathaus aus dem
           Jahr 1889 bzw. das Amtshaus
           verfügen über:
            Taktile Leitsysteme für Menschen mit
             Sehbehinderung (Taststöcken)
            Induktive Höranlagen für Menschen mit
             Hörbehinderung
            Automatische Türöffner in Abstimmung
             mit dem Denkmalschutz
            Barrierefreie Erreichbarkeit der Gescho-
                                                         Foto: Oliver Leitner

             ße durch nachträglich errichtete Lifte
            Barrierefreie Sanitäranlagen

                                                                                Bürgermeister-Stv. Mario Eustacchio und Werner Wiechenthaler im neu errichteten
                                                                                Gemeindewohnbau in der Grazer Max-Mell-Allee (errichtet durch die
                                                                                Gemeinnützige Wohn- und Siedlungsgenossenschaft Ennstal).

                                                                                     Barrierefrei
                                                                                          13

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DAMIT ALLE
            LEICHTER LEBEN
            Ob Internet, Einkauf, Straßenbahn, Ge-
            sundheit oder Museum – unbehinderter
            Zugang für Menschen mit Behinderung
            ist überall notwendig und möglich.

                                                                                                                                                   Foto: Beigestellt

                                        Kunst für alle erlebbar machen: Führung für Menschen mit Demenz im Kunsthistorischen Museum.

                                                                               Barrierefrei
                                                                                     14

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W
                               ollte ein Mensch mit Sehbehinderung vor              Texte ohne Gliederung, Formulare, die Ausfüllfehler nicht er-
                               Internetzeiten ein Buch lesen, hat er jeman-         klären, kleine Schriften, wenig Kontraste – es gibt Dutzende
                               den gebraucht, der sich Zeit nimmt und ihm           Hindernisse auf unzähligen Websites, die deren Nutzung für
                               vorliest. Heute macht das das Smartphone,            viele erschweren oder unmöglich machen.
            wann und wo er oder sie will.“ Mit diesen Worten beschreibt
            Klaus Höckner von der Hilfsgemeinschaft der Blinden und                 15 Prozent brauchen es, für zwei Drittel ist es hilf-
            Sehschwachen einen Quantensprung, den die Informations-                 reich. Internet-Barrieren ärgern nicht nur blinde und sehbe-
            und Kommunikationstechnologie in Sachen Barrierefreiheit                hinderte Menschen, Menschen mit Lernschwierigkeiten oder
            für Millionen Menschen mit Behinderung brachte.                         Senioren, sondern einen großen Teil der User. Selbst Profis, die
            Blinde und sehbehinderte Menschen können sich heute dank                keine Zeit und keine Geduld haben, die Eigenheiten einer
            moderner Technik nicht nur ein Buch vorlesen lassen. Die ak-            Website zu ergründen, fluchen mitunter über schlecht nutzbare
            tuellen News im Internet sind für sie ebenso jederzeit und an           Seiten. Shadi Abou-Zahra ist als Accessibility-Spezialist im
            jedem Ort zugänglich, wie das umfangreiche Wissen von Wiki-             World Wide Web Consortium (W3C), einem Gremium zur
            pedia und Millionen andere Informationen. Sie können sich               Standardisierung der Techniken im Internet, auch für Barriere-
            an Diskussionen in verschiedensten Foren beteiligen oder be-            freiheit zuständig. Er zitiert in diesem Zusammenhang gern das
            quem von zu Hause im Webshop einkaufen. Unterwegs erläu-                Ergebnis einer Studie von Microsoft: „15 bis 20 Prozent der
            tert ihnen das Smartphone akustisch Wege oder die Bedienung             User benötigen Barrierefreiheit im Internet, aber tatsächlich
            des Bankomats.                                                          profitieren bis zu zwei Drittel davon.“ Seitdem investiert dieser
            Für Christian Zehetgruber ermöglicht die moderne Technolo-              Software-Konzern vermehrt in barrierefreie Produkte, wobei
            gie das Managen seiner Firma. Sein Unternehmen Videbis be-              Microsoft viele Funktionen nicht unter diesem Titel verkauft,
            schäftigt 31 Mitarbeiter und ist spezialisiert auf Sehbehelfe           sondern elegant von „Einfachheit der Bedienung“ spricht: „Mit
            sowie Beratung. Der Manager mit einem Visus von 0,01 – also             Barrierefreiheit im Internet ist es wie mit der Gehsteigabschrä-
            faktisch blind – hat selbst das Rechnungswesen im Griff: „So-           gung, davon profitieren Rollstuhlfahrer ebenso wie Leute, die
            bald die Belege gebucht und digital verfügbar sind, bin ich live        einen Koffer, einen Einkaufswagen oder einen Kinderwagen
            dabei, ich kann mir alles vorlesen lassen                                                       führen“, erläutert Abou-Zahra.
            und das gesamte Controlling machen“,
            erläutert er. All das war vor etwas mehr
                                                         Von Barriere-                                      Barrierefreie Seiten lassen sich oft prob-
                                                                                                            lemlos realisieren und erfordern meist
            als einem guten Jahrzehnt noch unmög-
            lich. Eine ähnlich revolutionäre Verän-
                                                         freiheit im Inter-                                 nur minimalen zusätzlichen Aufwand.
                                                                                                            W3C hat dafür genaue Regeln ausge-
            derung brachte die IT-Technologie für
            Menschen mit Hörbehinderungen.
                                                         net profitieren                                    arbeitet und die dazugehörigen Informa-
                                                                                                            tionsmaterialien entwickelt. Die Infor-
            Heute können sie mit den Message-
            Diensten von Internet und Mobilfunk
                                                         bis zu zwei                                        mationen dazu finden sich im Internet:
                                                                                                            https://www.w3.org/WAI/fundamen-
            live mit Hörenden kommunizieren oder
            übers Internet eine Pizza oder ein Taxi
                                                         Drittel der User.                                  tals/accessibility-intro/. Warum es trotz-
                                                                                                            dem oft nicht funktioniert? „Viele Fak-
            bestellen. Videochats ermöglichen vie-                                                          toren spielen eine Rolle“, mutmaßt
            len die Unterhaltung in ihrer Mutter-                                                           Abou-Zahra, „ein Grund ist sicher, dass
            sprache, dem Gebärden. Selbst Bera-                                                             in Österreich Kinder mit Behinderung in
            tung in Geldangelegenheiten erhalten                                                            den Schulen lange Zeit exkludiert
            gehörlose und hörbehinderte Menschen jetzt in der für sie am            waren. Menschen ohne Behinderungen haben aufgrund der
            besten verständlichen Gebärdensprache.                                  wenigen Kontakte später Berührungsängste und es fehlt Ver-
            Ist die Welt nun bereits barrierefrei? Nicht ganz, meinen Be-           ständnis für die Inklusion von Menschen mit Behinderung.“
            troffene und Experten: „Denn die wahren Barrieren sind nach
            wie vor in den Köpfen der Menschen“, urteilt einer, der es aus          Menschen mit Behinderung sind keine Minderheit.
            tagtäglicher Erfahrung weiß: der österreichische Bundesbehin-           Die 2006 von der UNO-Generalversammlung in New York
            dertenanwalt Hansjörg Hofer. Unwissenheit baut neue Barrie-             verabschiedete und 2008 in Kraft getretene UN-Behinderten-
            ren auf. Klaus Höckner von der Hilfsgemeinschaft der Blinden            rechtskonvention (siehe Kasten) bringt langsam, aber sicher ei-
            und Sehschwachen macht solche Hindernisse an einem Bei-                 niges in Bewegung. Außerdem erkennen immer mehr Unter-
            spiel bewusst: „Wenn sich Blinde die Angebote mancher Web-              nehmen, dass Menschen mit Behinderung keine Minderheit
            shops vom Computer vorlesen lassen, hören sie Bild 1: 99                sind. Bereits vor mehr als zehn Jahren hat das Sozialministe-
            Euro, Bild 2: 145 Euro, Bild 3: 129 Euro.“                              rium mit erhoben, dass 20,5 Prozent aller Österreicher nach
            Der Grund für solche skurrilen Angebote: Beim Erstellen der             eigenen Angaben in irgendeiner Form im Alltagsleben dauer-
            Website wurde schlicht auf Bildtexte vergessen. Sehende benö-           haft beeinträchtigt sind. Das wären hochgerechnet heute
            tigen sie nicht unbedingt, aber für Blinde ist ein solcher Web-         knapp 1,8 Millionen Menschen – die Konsumenten sind, die
            shop nicht benutzbar. Und das ist nur ein Beispiel, wie aus Un-         Verkehrsmittel benützen, die Gesundheitsversorgung in An-
            wissenheit neue Barrieren im Internet aufgebaut werden. PDF,            spruch nehmen. Dass diese Zielgruppe immer stärker in den
            die als Grafik gescannt wurden und deshalb nicht lesefähig               Fokus großer Unternehmen rückt, zeigen Aktivitäten von Han-
            sind, Buttons, die sich nur mit der Maus anklicken lassen,              delsbetrieben. Die REWE Group beschäftigt sich seit drei Jah-

                                                                        Barrierefrei
                                                                               15

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Ein großer Teil des öffentlichen Verkehrs in Wien ist bereits barrierefrei.

                       Eine Zielgruppe sind Menschen mit Behinderung
                       – das trifft sich gut mit sozialer Verantwortung.

                                                                                                                                                                        Fotos: Beigestellt

                      Neue Screens am Flughafen: Wesentlich bessere Information nicht nur
                                       für Menschen mit Behinderung.
                                                                                                            Geldgeschäfte: Unicredit Bank Austria will allen Kunden
                                                                                                                          optimales Service bieten.

                                                                                 Barrierefrei
                                                                                       16

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ren intensiv mit dem Thema Disability, hat eine eigene Disabi-           telefon die geplante Fahrt zusammenstellen. Das System er-
            lity-Strategie mit zahlreichen Maßnahmen entwickelt und eine             klärt, wo umgestiegen werden muss, ebenso wie den Weg in
            Disability-Managerin, die die Umsetzung der Aktivitäten vo-              den Stationen bis hin zum richtigen Ausgang und dann noch
            rantreibt. Beim Unternehmen wird betont, dass bereits alle Fi-           bis zu einigen Points of Interest“, erläutert Krpata. Krpata be-
            lialen barrierefrei zugänglich sind. Damit gibt man sich aber            tont, dass viele Einrichtungen nicht nur für Menschen mit Be-
            nicht zufrieden und will mit vielen weiteren Maßnahmen für               hinderung Vorteile bringen.
            barrierefreien Einkauf sorgen. So werden in allen neu und um-
            gebauten Filialen extrabreite Durchgangskassen mit unterfahr-            Barrierefreie Stationen für Bahnreisende. Ähnlich
            barer und abgeschrägter Wanne eingesetzt. Demnächst werden               sieht man das auch bei einem anderen großen Player des öf-
            Waagen und Kassen auf kontrastreichere Bildschirmschrift                 fentlichen Verkehrs, den ÖBB: „Stufenlos erreichbare Ver-
            umgestellt.                                                              kehrsanlagen und Verkehrsmittel, aber auch barrierefreie
            Auch beim Internetangebot legt REWE auf Barrierefreiheit                 Kommunikation bieten allen Kundinnen und Kunden Vortei-
            Wert. „Wir beschäftigen uns seit drei Jahren damit“, erzählt             le“, argumentiert Silvia Angelo, Vorstandsdirektorin der ÖBB-
            Dagmar Niemann von der REWE-Pressestelle. So wurde mit                   Infrastruktur AG (siehe auch Diskussion Seite 6 bis 10). Die
            der Österreichischen Computer Gesellschaft OCG ein Pilot-                Bahn bemüht sich um eine einfache und komfortable Benüt-
            projekt durchgeführt. Das Handelsunternehmen wird dem-                   zung ihres Verkehrsmittels: „Seit Ende 2017 profitieren bereits
            nächst das erste unabhängige Qualitätssiegel in Österreich für           knapp 80 Prozent aller Reisenden von modernen, barrierefrei-
            barrierefreie Websites erhalten. Das Web Accessibility Certifi-           en Stationen. Und auch in den nächsten Jahren gestalten wir
            cate Austria WACA wurde von der OCG in Kooperation mit                   pro Jahr rund zehn weitere Bahnhöfe barrierefrei“, resümiert
            einem Expertenkonsortium entwickelt.                                     Angelo. Bei viele Maßnahmen sind Menschen mit Behinde-
                                                                                     rung einbezogen. So führten die ÖBB heuer eine sogenannte
            Bankservice für Gehörlose. Auch Banken setzen auf Bar-                   Stakeholder-Tournee durch, bei der Vertreter von Behinderten-
            rierefreiheit. Die Unicredit Bank Austria konnte bereits mehre-          organisationen ebenso wie interessierte Privatpersonen die
            re Auszeichnungen für Barrierefreiheit erringen, unter ande-             Möglichkeit hatten, Ideen und Anregungen zum Thema Bar-
            rem für die Beratung von Gehörlosen in Gebärdensprache. Vor              rierefreiheit direkt mit den Verantwortlichen der Bahngesell-
            Kurzem wurde in der neuen Zentrale eine weitere in allen De-             schaft zu besprechen. Dass Kooperation auf Augenhöhe mit
            tails barrierefreie Filiale eröffnet: „Hier kann man nicht nur zu        Behindertenorganisationen der richtige Weg ist, um optimale
            den Selbstbedienungsgeräten mit dem Rollstuhl zufahren, den              Barrierefreiheit zu schaffen, hat man auch am Flughafen Wien
            Touchscreen über die Tastatur bedienen oder sich mittels                 erfahren. Im Juni 2012 wurde dort der neue Terminal 3 in Be-
            Brailleschrift orientieren, es gibt auch absenkbare Tische im            trieb genommen. „Bald nach der Inbetriebnahme hat sich al-
            Kundenbereich, Induktionsschleife und sogar Halterungen für              lerdings gezeigt, dass Menschen mit besonderen Bedürfnissen
            den Stock“, erzählt Christian Schinko, Disability Manager der            einige notwendige Einrichtungen vermissten und auch andere
            Bank Austria. Auch er betont, dass abgesehen von der sozialen            Lösungen kritisierten“, so Flughafen-Pressesprecher Peter
            Verantwortung des Unternehmens Menschen mit Behinderung                  Kleemann.
            eine wichtige Zielgruppe sind: „Wir haben frühzeitig erkannt,
            dass 17 bis 20 Prozent der Bevölkerung irgendeine Art von Be-            Große Aufsteller anstatt Deckenmonitore. In Schwe-
            einträchtigung haben, und diese als Mitarbeiter und Kunden-              chat nahm man die mitunter durchaus harsche Kritik ernst.
            gruppe außen vorzulassen wäre ein Wettbewerbsnachteil.                   Bereits im August 2012 wurde ein Round-Table-Gespräch or-
                                                                                     ganisiert, bei dem die Betroffenen ihre Kritik artikulieren
            Die neue „Flexity“-Straßenbahn. Bei den Wiener Linien                    konnten. „Daraus entstand eine Arbeitsgruppe, die seitdem re-
            ist Roland Krpata für Barrierefreiheit verantwortlich. Er kann           gelmäßig zusammenkommt, um die Barrierefreiheit am Flug-
            ebenfalls auf eine Reihe von Preisen stolz sein, die das Unter-          hafen zu optimieren“, berichtet Kleemann weiter. Die Ergeb-
            nehmen für Forschungsarbeiten in diesem Bereich eingeheimst              nisse der konstruktiven Zusammenarbeit können sich sehen
            hat. „Heute ist in Wien das Bus- und U-Bahn-Betriebssystem               lassen. So wurde ein völlig neues Informationssystem entwi-
            zu hundert Prozent barrierefrei, das der Straßenbahn zu 60               ckelt. Anstelle der von der Decke hängenden Monitore, deren
            Prozent, da es hier aufgrund der Lebensdauer der Fahrzeuge               Informationen aufgrund der Entfernung und der Schriftgröße
            eine wesentlich längere Übergangsphase gibt“, berichtet Krpa-            schwer lesbar waren, finden sich jetzt großflächige Aufsteller
            ta. Bei den neuen Wiener Straßenbahnzügen „Flexity“, die ab              mit eingebauten Monitoren auf Augenhöhe sowie zusätzlichen
            Ende des Jahres eingesetzt werden, wird die Barrierefreiheit             Orientierungssymbolen.
            nochmals verbessert.                                                     „Auch das ursprüngliche Leitsystem, das mit schwarzer Schrift
            Die Wiener Linien tun aber noch mehr. Die taktilen Leitsyste-            auf grauem Untergrund zwar sehr ästhetisch, aber nicht opti-
            me in den U-Bahn-Stationen, ursprünglich nur Hinweis auf die             mal lesbar war, wurde geändert“, berichtet Kleemann. Das
            Bahnsteigkante, wurden mittlerweile zu Orientierungssyste-               neue Leitsystem nutzt weiße Schrift auf schwarzem Unter-
            men im gesamten Stationsbereich weiterentwickelt. Dazu                   grund und ist selbst bei Einschränkungen der Sehleistung sehr
            kommt mit POPTIS (Pre-On-Post-Trip-Information) ein Sys-                 gut zu lesen. Eine bauliche Verbesserung nahm man ebenfalls
            tem, das nicht nur Blinden, sondern auch Besuchern der Stadt             vor: Beim Übergang zwischen den Terminals 2 und 3 wurden
            im wahrsten Sinn des Wortes den Weg weist. „Alle Fahrgäste               die Stufen mit einer Rampe ergänzt. Sowohl der Wiener Flug-
            können sich mit POPTIS zu Hause und unterwegs am Mobil-                  hafen als auch die ursprünglichen Kritiker sind mit dem Er-

                                                                         Barrierefrei
                                                                                17

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K     laus Miesenberger ist Universitäts-
                 professor an der Kepler-Uni in
            Linz, Leiter des Instituts „Integriert
            Studieren“ und forscht unter anderem
            in den Bereichen Nutzung von Infor-
            mations- und Kommunikationstechno-
            logien (IKT) für Barrierefreiheit sowie
            Assistierende Technologien.

            Weshalb sind so viele Websites nicht
            barrierefrei?
            Miesenberger: Die Notwendigkeit ist
            vielen nicht bewusst. Barrierefreiheit ist
            keine technische Frage mehr. Grund-
            sätzlich lässt sich mit allen Werkzeugen
            zur Erstellung von Websites auch Bar-
            rierefreiheit realisieren. In den USA gibt   Kommunizieren mit        reichten zufrieden: „Aus der sehr konstruktiven Zusammen-
            es sehr strenge Gesetze, dort sind be-           Kunden in            arbeit entstanden viele Lösungen, die letztlich allen Passagieren
            reits alle Websites der öffentlichen         Gebärdensprache:         mehr Komfort und Servicequalität bringen“, fasst Kleemann
            Hand barrierefrei.                            Apotheker Sreco         die Ergebnisse zusammen.
            Wann wird es bei uns so weit sein?              Dolanc und
            Die Situation verbessert sich sehr             Cornelia Zacek.        Apothekenservice für gehörlose Menschen. Auf eine
            schnell. Dazu wird die jetzt älter wer-                               völlig andere Form der Barrierefreiheit setzt die Marienapothe-
            dende Bevölkerungsgruppe beitragen.                                   ke in Wien. Seit 2013 arbeitet dort ein gehörloser Apotheker,
            Diese Menschen werden etwa bei                                        der mit seinen gehörlosen Kunden perfekt in der Gebärden-
            altersbedingter Sehbehinderung das                                    sprache kommunizieren kann. Das ist deshalb von Bedeutung,
            Internet weiter nützen wollen. Macht                                  weil für viele Gehörlose – nicht zuletzt durch ein veraltetes
            dann die Website fürs E-Banking Prob-                                 Unterrichtsprinzip, das auf Lautsprache und Lippenlesen setzt
            leme, werden sie zum nächsten Geld-                                   – die deutschen Schriftsprache eine Fremdsprache ist, in der
            institut gehen, wo das funktioniert.                                  sie sich nicht optimal verständigen können.
            Der Druck des Marktes zwingt zum Um-                                  Die Marienapotheke hat deshalb mit der Produktion von Vi-
            denken?                                                               deos begonnen, in denen in der Gebärdensprache über wichti-
            Natürlich, auf einer gut strukturierten                               ge Gesundheitsthemen von Grippe über Reiseapotheke bis zu
            Website finden sich nicht allein Men-                                  Allergien und Wechseljahren informiert wird. „Sie werden auf
            schen mit Sehbehinderung zurecht,                                     unserer Homepage, auf einem eigenen You-Tube-Kanal und
            sondern jeder. Wenn Texte einfach und                                 auf Facebook angeboten“, erzählt Cornelia Zacek, die für die
            gut verständlich formuliert sind, verste-                             Kommunikation der Apotheke verantwortlich ist. Darüber hi-
            hen sie Menschen mit Lernschwierig-                                   naus wurden gemeinsam mit zwei in der Gebärdensprache
            keiten ebenso besser wie jene mit ande-                               kompetenten Psychotherapeuten Dialoggespräche zu Themen
            rer Muttersprache. Barrierefreiheit ist                               wie Depression, Sucht, Burn-out oder Mobbing durchgeführt.
            nicht allein eine Sache, die Menschen                                 Um auch Ältere anzusprechen, werden regelmäßig Vorträge im
            mit Behinderung betrifft. Sie macht für                               Pensionistenklub für Gehörlose abgehalten.
            viele das Leben leichter.                                             Die Kommunikation mit dem Arzt ist für viele Patienten mit
            Was muss geschehen, damit das mehr                                    Hörbeeinträchtigungen – sofern sie nicht, was nur gegen Vor-
            Menschen bewusst wird?                                                bestellung möglich ist, von einem Gebärdendolmetsch beglei-
            Was wir in Österreich brauchen, ist eine                              tet werden – nach wie vor ein Problem. Selbst eine Terminver-
            Curriculum-Initiative. Barrierefreies                                 einbarung ist oft schwierig, da viele Praxen auf SMS oder
            Bauen muss sich ebenso in den Curri-                                  WhatsApp nicht reagieren. Zumindest hier kann bald die Tech-
            cula von Universitäten, Fachhochschu-                                 nik helfen. Einfache Übersetzungssysteme, die Anrufe tätigen
            len und HTL für Bauen und Architek-                                   und geschriebene Worte am Handy in Sprache umwandeln
            tur finden wie die barrierefreie Website                               und vice versa, sollen noch heuer auf den Markt kommen.
            in der Informatikausbildung. Jeder
            muss lernen, wie man mit Office-Pro-                                   Damit Informationen richtig verstanden werden.
            grammen und Web-Editoren barriere-                                    Nicht nur beim Arztbesuch heißt Barrierefreiheit auch, Infor-
                                                                                                                                                        Foto: Beigestellt

            freie Dokumente erstellt. Alle Funktio-                               mationen richtig zu verstehen. Das ist das Fachgebiet von Ca-
            nen sind in den Programmen enthalten                                  pito. Vertriebsleiterin Alexandra Schäfer. „Es gibt immer mehr
            und einfach zu nutzen.                                                Menschen, die nicht sinnerfassend lesen können.“ In Deutsch-

                                                                     Barrierefrei
                                                                             18

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