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Österreichische Post AG, MZ 02Z031731M, ÖGB-Verlag, Johann-Böhm-Pl. 1, 1020 Wien, Retouren an PF 100 1350 Wien KOMPETENZ AUSGABE 2/2020 KOMPETENZ MAGAZIN DER GEWERKSCHAFT DER PRIVATANGESTELLTEN, DRUCK, JOURNALISMUS, PAPIER www.gpa-djp.at www.kompetenz-online.at
INHALT 4 KOMPETENZ Ausgabe 2/2020 3 EDITORIAL von Martin Panholzer 4 Sicher mit deiner Gewerkschaft Das Coronavirus hat unsere Gesellschaft radi- kal verändert. Wir zeigen, was es jetzt braucht, damit in der Krise niemand zurück bleibt. 8 Kollektivvertrag Chemische Industrie 9 KOMMENTAR von Barbara Teiber 10 „ Jetzt alle Unternehmen und Beschäftigten durch die Krise tragen“ Die Ökonomin Ulrike Herrmann im KOMPETENZ-Interview 10 12 Hier wird jetzt neu gehandelt Wie der Handel den Weg zurück in die „neue Normalität“ schafft 14 #Lostgeneration Jugend ohne Job Illustration: Titelseite, S 4: Peter M. Hoffmann , Foto: S. 10: Westend Verlag, Seite 20: Nurith Wagner-Strauss, S 26: Adobe Stock Halfpoint 15 FOTOGRAMM Nur jeder zehnte hat eine Chance auf einen Job 16 Sonnen- und Schattenseiten Wie Corona die Einstellung zum Home-Office verändert hat 18 „In der Krise kneift man nicht“ Josef Scheuchenegger, Betriebsratsvorsitzender der Firma Engel, über seine Erfahrungen mit Kurzarbeit 19 KURZMELDUNGEN 20 20 Mit Teamgeist und Urlaubssperren durch die Krise Jürgen Schamberger, Betriebsratsvorsitzender des Kolpinghauses, über seine Corona-Erlebnisse 22 Journalismus unter Corona-Einfluss Wie die Krise die Medien verändert 24 FAKTENCHECK ArbeitnehmerInnenschutz in Coronazeiten 26 RECHT Arbeitsrecht in Zeiten von Corona 30 Konsumentenschutz Reisen und Corona 26 31 Impressum 2 2/2020 KOMPETENZ
EDITORIAL Sei dabei - sicher mit deiner Gewerkschaft von Martin Panholzer D ie Arbeit, sie bewegt die Welt!“, heißt es am Ende des Liedes der Arbeit, dem wohl bekanntesten Lied der österreichischen ArbeiterInnenbewegung. Eine der Folgen der Corona-Krise ist, dass wir wieder stärker vor Au- gen geführt bekommen haben, wie wichtig Arbeit für das Funktionieren und den Zusammenhalt der Gesellschaft ist – nämlich gerade Arbeit, die in der Vergangenheit nicht jene Wertschätzung erfahren hat, die ihr eigentlich zustehen würde. Tätigkeiten, die oft verächtlich gemacht wurden, erfahren plötzlich Applaus und Wertschätzung. Wir haben in dieser Ausgabe der KOMPETENZ Menschen aus jenen Branchen zu Wort kommen lassen. Sie schildern hautnah, wie massiv sich die Pan- demie auf die Arbeitsbedingungen ausgewirkt hat und wie schwierig es oft war, den Betrieb aufrecht zu erhalten. Klar wurde in der Krise auch, wie wichtig ein entwickelter Sozialstaat und ein funktionierendes Gesundheitssystem sind und dass sozialpart- nerschaftliche Lösungskompetenz plötzlich wieder gefragt ist – etwa bei der Etablierung des Kurzarbeitsmodells. Die Frage ist: Was macht die Gesellschaft, was macht die Politik mit diesen Erkenntnissen? Schaffen wir ein Wirtschaftssystem, das wieder stärker vom Gedanken der Solidarität und der Gerechtigkeit geprägt ist, in dem Superreiche und Großkonzerne – etwa im Onlinebereich, die Martin Panholzer gerade in der Krise ihre Gewinne sogar noch steigern konnten – ihre ist Leiter der Abteilung Beiträge zum Gemeinwohl leisten? Öffentlichkeitsarbeit in der Diesen notwendigen Kurswechsel für mehr Gerechtigkeit wird es GPA-djp und Chefredakteur nicht im Selbstlauf geben. Auch nicht, wenn wir ihn herbeiwünschen der KOMPETENZ. und propagieren. Ganz wesentlich wird es auch davon abhängen, ob Or- ganisationen wie Gewerkschaften ihre organisatorische und politische Stärke ausspielen können und weiter durchsetzungsstark bleiben. Eine aktuelle IFES-Befragung, deren Ergebnisse in dieser Ausgabe nachzu- lesen sind, zeigt, dass die Mehrheit der Bevölkerung die aktuellen Ziele der Gewerkschaften unterstützt. Foto: Nurith Wagner-Strauss Danke, dass Sie Teil unserer Gemeinschaft sind und werben Sie bitte dafür, unsere Ziele zu unterstützen. ● KOMPETENZ 2/2020 3
COVERSTORY Sicher mit deiner Gewerkschaft Reichesnt-euer jetzt! Sicher mit deiner Gewerkschaft 4 2/2020 KOMPETENZ
Sicher mit deiner Gewerkschaft COVERSTORY Die COVID-19-Pandemie hat unser gesellschaftliches Zusammenlebens radikal verändert. Noch stecken wir mitten in einem großen Veränderungsprozess und wissen nicht, wie die Welt aussehen wird, wenn wieder so etwas wie Normalität einzieht. Eines steht jedoch fest: Lösungen, die den Menschen in den Mittelpunkt stellen, müssen vom Geist der Solidarität und Gerechtigkeit getragen sein. I n der Phase des Zurückfah- fentliches Gesundheits- und Pfle- rens unserer Wirtschaft hat gesystem zur Verfügung zu stel- sich gezeigt, welche Berufe len. Zweifellos war ein intaktes und Tätigkeiten für das Aufrecht- Gesundheitssystem ein Faktor erhalten des Systems besonders dafür, dass Österreich die Pande- wichtig sind. Es waren die Be- mie vergleichsweise gut bewäl- schäftigten im Gesundheitssys- tigt. Bei den sozialen Folgen der tem, im Handel, im Transport und Krise besteht akuter Handlungs- in der Produktion lebensnotwen- bedarf: Mit einem Arbeitslosen- diger Güter, die das Land am Lau- geld von 55 Prozent des letzten fen gehalten haben. Der Applaus Nettobezugs liegt Österreich im für ihre Leistungen war mehr als internationalen Vergleich am un- gerechtfertigt. Gerade unter die- teren Ende. Ein Arbeitslosengeld sen Beschäftigten befinden sich von 70 Prozent wäre ein wichti- viele Menschen mit unterdurch- ger Schritt, um Armut und indi- schnittlichen Einkommen - viele viduelle Notlagen zu vermeiden. davon sind Frauen. Sie brauchen Mehr Geld für Arbeitslose wäre mehr als Applaus, nämlich eine aber auch wegen der gesamtwirt- Anerkennung, die sich auch in ei- schaftlichen Effekte zur Nachfra- nem nachhaltig höheren Einkom- gesteigerung enorm wichtig. men manifestiert. DER MARKT HAT VERSAGT SOZIALSTAAT WICHTIG Die Coronakrise hat uns vor Länder mit einem hoch ent- Augen geführt, dass eine aus- wickelten Gesundheitssystem schließlich auf kurzfristigen Pro- und Sozialstaat haben die Krise fit ausgerichtete Unternehmens- viel besser bewältigt als Länder, strategie nicht nachhaltig ist und die aufgrund angeblicher Effizi- Unternehmen ohne ausreichen- enzsteigerungen das System zu- de Reserven am schnellsten ge- rückgefahren und privatisiert ha- fährdet sind. Diese Defizite wur- ben. Die dramatischen Bilder ei- den in der aktuellen Krise scho- nes völlig überlasteten Systems in nungslos aufgezeigt, als etwa in Illustration: Peter M. Hoffmann den USA, in Großbritannien, Ita- Europa nicht in ausreichendem lien oder Frankreich werden wir Maße Masken und Schutzausrüs- nicht vergessen. Eine der Lehren tungen vorhanden waren. Staats- der Coronakrise muss sein, mehr hilfen für Unternehmen müssen Geld und Ressourcen für ein öf- daher darauf ausgerichtet sein, KOMPETENZ 2/2020 5
COVERSTORY Sicher mit deiner Gewerkschaft dass gesamtwirtschaftliche Ziele, europaweit abgestimmte höhere Nach der Coronakrise wird das auch ökologische, stärker in den Gewinnsteuern, die Besteuerung umso deutlicher. Vordergrund gerückt werden. In von Vermögenserträgen und Fi- gesellschaftlich wichtigen Unter- nanztransaktionen sowie fair UND WAS TUN DIE GEWERK- nehmen ist auch eine dauerhaf- ausgestaltete Ökosteuern sinn- SCHAFTEN? te strategische Beteiligung des voll. Die Gewerkschaften haben „Wir können mit Fug und Staates sinnvoll. Zudem muss schon länger darauf verwiesen, Recht behaupten: Gewerkschaf- Österreich und auch Europa dass mangelnde Verteilungsge- ten haben einen enorm wichti- langfristig in die Ansiedlung von gen Beitrag zur wirtschafts- und gesellschaftspo- Krisenbewälti- litisch wichtigen Produktions- gung geleistet. Sei betrieben investieren, um die le- „GEWERKSCHAFTEN HABEN es bei der raschen benswichtigen Güter vor Ort her- EINEN ENORM WICHTIGEN Umsetzung von stellen zu können und stabilere entsprechenden Lieferketten zu etablieren. BEITRAG ZUR KRISENBE- Schutzmaßnah- WÄLTIGUNG GELEISTET.“ men für die Be- VERMÖGENSSTEUERN schäftigten oder Um die Wirtschaft Europas BARBARA TEIBER bei der Abwick- wieder aufzubauen, werden in lung des nun ver- ganz Europa gigantische Sum- längerten Systems men an Geld investiert und der Kurzarbeit, Schulden aufgenommen. Der- rechtigkeit negativ auf die gesell- das viele Menschen vor Kündi- zeit können diese Schulden un- schaftliche Entwicklung wirkt. gungen bewahrt hat“, bringt es ter sehr günstigen Konditionen GPA-djp-Vorsitzende Barbara zurückgezahlt werden. Bereits Teiber auf den Punkt. Überhaupt jetzt müssen aber die Weichen gibt es Anzeichen, dass die Sozial- dafür gestellt werden, dass die partnerschaft wieder eine stärke- Finanzierung der jetzigen Maß- re Rolle bei der Gestaltung der So- nahmen verteilungsgerecht er- zial- und Wirtschaftspolitik spielt. folgt. Steuererhöhungen nach Ob das dauerhaft so bleiben der Krise dürfen nicht die Kauf- wird, hängt auch davon ab, ob es kraft der Menschen schwächen. uns gelingt, unsere organisato- Daher sind Vermögenssteuern, rische Stärke und Unabhängig- keit zu bewahren. Der Erhalt ei- nes funktionierenden Kollektiv- vertragssystems etwa ist enorm wichtig, um den Beschäftigten und der gesamten Wirtschaft Be- rechenbarkeit und Zukunftsge- wissheit zu geben. Es gilt die alte Weisheit: Schwierige Situationen bewältigt man gemeinsam und solidarisch besser als jede/r einzelne für sich allein. Warnten noch zum Jahres- wechsel PolitikerInnen vor der „Renaissance kollektivistischer Ideen“ (Sebastian Kurz beim Weltwirtschaftsform), so erleben wir heute angesichts einer welt- Illustration: Peter M. Hoffmann weiten unvergleichbaren Krise genau diese Wiederkehr. Es ist Zeit für mehr Gerechtigkeit! ● Martin Panholzer 6 2/2020 KOMPETENZ
Befragung COVERSTORY Höhere Steuern für Reiche und Konzerne Eine von der GPA-djp in Auftrag gegebene Befragung des IFES-Instituts bestätigt, dass viele gewerkschaftliche Positionen breite Zustimmung erfahren. Finanzierung der Krise Digitalsteuern für Unternehmen wie Amazon, die bis jetzt kaum Steuern in Österreich gezahlt haben. 86% 11% 3% Erbschafts- und Vermögenssteuer ab 1 Million Euro. 73% 22% 5% Steuersenkung Steuersenkung für kleine und mittlere Einkommen. 88% 9% 3% Steuersenkung auf Konzerngewinne. 23% 69% 8% Hoffmann Quelle: Ifes Befragung unter 1000 ÖsterreicherInnen Dafür Dagegen Keine Angaben Illustration: Peter M. Hoffmann, KOMPETENZ 2/2020 7
Kollektivvertrag Chemische Industrie CHEMISCHE INDUSTRIE Aktionen trotz Corona in dutzenden Betrieben in ganz Österreich Nach dem Scheitern der dritten Runde der Kollektivvertragsverhandlungen für die rund 45.000 Beschäftigten der Chemischen Industrie fanden in ganz Österreich in dutzenden Betrieben Pro- testaktionen statt. „Der Unmut der Beschäftigten über das Verhalten der Arbeitgeber und auch die Bereitschaft, weitere Aktionen zu setzen, kam eindrucksvoll zum Ausdruck. „Corona zwingt uns zum Abstand, aber die Branche der chemischen Industrie rückt näher zusammen“, sagen die Verhandlungsleiter Alfred Artmäuer (PRO-GE) und Günther Gallistl (GPA-djp). Die Arbeit- geber boten zuletzt 1,45 Prozent Lohn- und Gehaltserhöhung und damit einen realen Einkom- mensverlust an. Bis jetzt (Redaktionsschluss) haben sich die Arbeitgeber nicht an den Verhand- lungstisch zurückbegeben und es liegt kein neues Angebot der Arbeitgeber vor. Für die Bewältigung der Krise können die ArbeitnehmerInnen nicht doppelt und dreifach zah- len, durch Kurzarbeit, Steuerleistung und Reallohnverluste. Wirtschaftlich ging es der Branche im letzten Jahr so gut wie selten zuvor. Auch Dividenden wurden und werden ausgeschüttet. Die Beschäftigten haben in dieser Zeit ein hohes Ausmaß an Flexibilität und großen Einsatz gezeigt und haben sich eine reale Einkommenserhöhung verdient. ● Foto: Edgar Ketzer 8 2/2020 KOMPETENZ
KOMMENTAR Eine Krise, tausend Facetten Ein Kommentar von Barbara Teiber, Vorsitzende der GPA-djp Mit diesen Worten könnte man die Corona- immer ein Ass im Ärmel. Überall wo es zu Krise beschreiben. Während es in den arbeitsrechtlichen Ungerechtigkeiten kam, ersten Tagen vor allem um die Eindämmung haben wir unsere Mitglieder vertreten. Alle der Pandemie ging, wurde schnell klar: neuen Gesetze und Verordnungen wurden von Das Virus wird unvorhergesehene uns geprüft und bewertet, wir haben der Politik wirtschaftliche Auswirkungen haben. Rückmeldung gegeben und Druck im Sinne der Arbeitnehmerinnen und Als Gewerkschaft haben Arbeitnehmer gemacht. wir von Beginn der Krise an unseren Beitrag Wir bleiben weiter geleistet. Gemeinsam „IN EINER AKTUELLEN UMFRAGE dran, denn die Krise mit der Arbeiterkammer SAGEN DREI VIERTEL, DASS ist noch lange nicht hat der ÖGB eine STARKE GEWERKSCHAFTEN vorbei. Auf die Arbeitsrechts-Hotline WICHTIG SIND.“ gesundheitliche Krise samt zugehöriger folgt eine soziale Krise, Homepage innerhalb BARBARA TEIBER wie sie dieses von Stunden auf Land selten erlebt die Beine gestellt. hat. Kurzarbeit, Gemeinsam mit Arbeitslosigkeit, eine der Wirtschaftskammer haben wir die schwer angeschlagene Wirtschaft verlangen Corona-Kurzarbeit verhandelt und damit fürs nach neuen Antworten und vor allem Taten. Erste 1,3 Millionen Jobs gerettet. Für die In einer aktuellen Umfrage des Meinungs- Handelsangestellten konnten wir umfassende forschungsinstituts IFES sagen drei Viertel, Schutzmaßnahmen durchsetzen, wie dass starke Gewerkschaften wichtig eingeschränkte Öffnungszeiten, Freistellung sind, damit auch in einer Krise auf die von Schwangeren, Plexiglasscheiben, Interessen der Arbeitnehmerinnen und Abstandsregelungen und Desinfektionsmittel. Arbeitnehmer geschaut wird. Vier von Für viele Pflegekräfte haben wir eine Corona- fünf meinen, dass die Gewerkschaften künftig Zulage erreicht. Es ist viel gelungen. eine wichtige Rolle spielen werden. Ebenso viele schätzen die Bedeutung der Sozialpartnerschaft Viele hatten schwere Schicksale zu bewältigen als hoch ein. Wir bedanken uns für in den letzten Wochen und Monaten, dieses Vertrauen und arbeiten hart sowohl menschlich wie auch beruflich. daran, dem weiter gerecht zu werden. l Klar ist: Gewerkschaftsmitglieder hatten Foto: Michael Mazohl KOMPETENZ 2/2020 9
INTERVIEW Wirtschaftskrise „Jetzt alle Unternehmen und Beschäftigten durch die Krise tragen“ Die renommierte deutsche Wirtschaftsjournalistin Ulrike Herrmann plädiert im Interview mit der KOMPETENZ für einen starken Staat als „Blasebalg“. KOMPETENZ: Stellt die Corona-Pandemie unseren ist das ein Skandal. Wenn man sie ordentlich bezahlt kapitalistischen Lebensstil in Frage? und sie anwirbt, um etwa die Lücke bei den Pflege- Ulrike Herrmann: Der Kapitalismus ist globalisiert und kräften zu füllen, dann ist das tendenziell in Ordnung. zudem darauf angewiesen, dass permanent produ- ziert wird, so dass es keine Stockung in den Liefer- Durch die Corona-Krise sind Armut und Arbeitslo- ketten gibt – beides findet im Augenblick nicht statt. sigkeit deutlich gestiegen, viele Unternehmen wer- Trotzdem werden wir auch nach Corona eine globa- den vermutlich nicht überleben, speziell Ein-Perso- lisierte Wirtschaft haben. Denn die Globalisierung nen-Unternehmen wünschen sich in Österreich we- macht die Produktion am billigsten. Bei fast allen Gü- sentlich mehr staatliche Unterstützung. Was wäre tern und Dienstleistungen zählen die sogenannten jetzt aus sozio-ökonomischer Sicht zu tun, ist die Skalenerträge: Je mehr man herstellt, desto billiger diskutierte Steuersenkung ein richtiger Weg? wird es pro Stück. Also werden wir weiterhin sehr gro- Aus meiner Sicht wäre die richtige Strategie, alle Un- ße Fabriken haben, die dann einen großen Weltmarkt ternehmen und Beschäftigten durch die Krise zu beliefern müssen, damit sich diese großen Fabriken schleppen. überhaupt rechnen. Durch staatliche Unterstützung? In Österreich werden Billigarbeitskräfte wie Ernte- Ja. Jetzt ist es der falsche Moment, um als Staat zu helferInnen aus der Ukraine und PflegerInnen aus sparen. Man müsste versuchen, alle Unternehmen - Rumänien angekarrt, weil sie offenbar kostengüns- ob Restaurants, KünstlerInnen oder Großunterneh- tiger sind. Finden Sie das vertretbar? men – und eben alle Beschäftigten möglichst ohne Egal, ob die Arbeitskräfte aus der Ukraine oder aus große Verluste durch die Krise zu tragen. Dazu muss Österreich kommen – entscheidend ist, wie viel sie sich der Staat stark verschulden. Das ist an sich kein verdienen. Bei der Ernte und in der Pflege muss der Problem. Länder wie Österreich oder Deutschland Foto: Westend Verlag österreichische Mindestlohn gezahlt werden und können im Augenblick fast beliebig viele Schulden eigentlich mehr. Dann spricht nichts dagegen, dass aufnehmen: Die Zinsen sind bei null, und eine In- Menschen aus dem Ausland hier arbeiten. Wenn aber flation droht nicht – da kann man Geld ausschütten. die Pflegekräfte aus Osteuropa ausgebeutet werden, Wenn man hingegen in einzelnen Branchen sparen 10 2/2020 KOMPETENZ
Wirtschaftskrise INTERVIEW würde, hätte man anschließend das Problem, dass die lativ zu ihrem Einkommen besonders wenig – das Nachfrage fehlt. Oder dass Firmen und Solo-Selbst- ist absurd. ständige damit beschäftigt sind, die Notkredite zu be- zahlen, die sie aufnehmen mussten, so dass sie nicht Beide Länder sind Verfechter eines staatlichen neu investieren können. Das alles behindert den Auf- Null-Defizits. Ist das ein Denkfehler? schwung. Man kann die Staatsschulden nicht so betrachten, als wäre der Staat eine Firma. Die Idee der schwarzen Wie soll der Staat langfristig helfen, soll es Ihrer Null ist, dass man sagt, Familien oder Betriebe dürfen Meinung nach etwa Verstaatlichungen geben? sich auch nicht verschulden, also darf der Staat das Ich bin keine Freundin ebenfalls nicht. Das ist der von Verstaatlichungen. Ich zentrale Denkfehler, weil der hielte es für eine schlech- te Idee, die Produktion von „DIE SCHULDEN, DIE EIN Staat keine Familie und kein Betrieb ist. Sondern er ist das Konsumgütern zu ver- STAAT JETZT MACHT, Gegenüber, das in dieser Si- staatlichen; es gäbe keinen UM DIE CORONA-KRISE tuation die Wirtschaft sta- Grund, warum Österreich zum Beispiel die Auto-Zu- ZU BEWÄLTIGEN, KANN bilisieren muss. Deswegen muss er wie ein Blasebalg ar- lieferindustrie verstaatli- MAN NICHT ZURÜCK- beiten: Wenn die Wirtschaft chen sollte. In Ost-Deutsch- ZAHLEN.“ sehr gut läuft und überhitzt, land haben wir damit sehr darf der Staat keine Schul- schlechte Erfahrungen ULRIKE HERRMANN den machen – das wäre ja ein gemacht, in der DDR wa- Wahnsinn, wenn noch zu- ren ja sogar die Imbissbu- sätzliche Nachfrage erzeugt den staatlich. Das funktioniert nicht. Der Staat kann würde. Wenn man aber tendenziell in der Krise sitzt nur die Bereiche sinnvoll betreiben, wo die priva- und die Kapazitäten nicht ausgenützt sind, muss der te Lösung eine schlechtere wäre. Dies gilt für die Staat Schulden machen. Seit der Euro-Krise 2010 war sogenannten „natürlichen Monopole“, wo es am Europa ständig asthmatisch und wirtschaftsschwach. billigsten ist, nur ein Netz zu haben, also bei der In dieser Zeit hätte man Schulden machen müssen, Eisenbahn, Elektrizität oder Wasserleitung. Oder stattdessen hat man die schwarze Null beschlossen. auch für Branchen, wo die KundInnen erpressbar Das war totaler Unsinn. sind, bei Wohnungen und ganz besonders bei der Gesundheit. Das deutsche Höchstgericht hat jüngst dem Gesundheit ist das Wichtigste, das der Mensch hat. EU-Höchstgericht widersprochen und kritisiert, Die Menschen würden alles dafür ausgeben, um wie- dass die Europäische Zentralbank (EZB) Staatsan- der gesund zu werden. Deshalb gibt es die staatli- leihen kauft, ohne dies angemessen zu begründen. che Honorarverordnung für ÄrztInnen und die Phar- Sie haben das heftig kritisiert und befürworten Co- maindustrie, damit die Menschen nicht ausgeplün- rona-Bonds, warum? dert werden. Ähnliches gilt für die Pflege: Hier kann Die Corona-Bonds wären Papiere, die von der Eu- es auch keinen Markt geben, sondern der Staat müss- rozone oder der EU gemeinsam ausgegeben wür- te dafür sorgen, dass die Alten angemessen versorgt den, dahinter würde die gesamte Wirtschaftskraft der werden. Private Pflegedienste lehne ich ab. Eurozone oder der EU stehen. Es würde dafür kein Steuergeld fließen, wie das in Deutschland oder Ös- In Diskussion ist derzeit vielerorts eine Vermögens- terreich oft befürchtet wird. Sondern die Zinsen für steuer. Wie stehen Sie dazu? diese Papiere wären sehr niedrig – auch in Italien und Man muss das auseinanderhalten. Die Schulden, Spanien, so dass diese beiden Länder von einem Privi- die ein Staat jetzt macht, um die Corona-Krise zu leg profitieren, das Österreich und Deutschland ganz bewältigen, kann man nicht zurückzahlen. Dies ist selbstverständlich für sich in Anspruch nehmen. End- kein Problem, weil die Zinsen fast bei null sind. Man lich würden gleiche Wettbewerbsbedingungen herr- darf jetzt nicht Steuern fordern nach dem Motto, „da- schen. Wenn man nämlich zulässt, dass es innerhalb mit zahlen wir die Schulden zurück“. So würde man der Währungsunion so hohe Zinsunterschiede gibt, die Wirtschaft wieder abwürgen, weil Nachfrage feh- sprengt man den Euro von innen. ● len würde. Wenn man aber, sobald Corona vorbei ist, Das Interview führte Heike Hausensteiner den Staat angemessen finanzieren möchte, ist ganz klar, dass die Reichen mehr zahlen müssen. Sowohl in Österreich wie in Deutschland zahlen Reiche re- KOMPETENZ 2/2020 11
ARBEIT Handel Hier wird jetzt neu gehandelt Die COVID-19-Krise hat von jedem Opfer verlangt. Langsam nähert sich der Alltag einer gewissen Normalität an. Für den Wiedereinstieg ins Berufsleben im Handel setzen sich Betriebsräte und Gewerkschaft mit viel Energie ein. D as gab es noch nie – sieben oder auf einen Kurzarbeits-Dienstzet- der COVID-19-Pandemie. Doch das Wochen stand im Land beina- tel. brachte die Belegschaft in kurzer Zeit he alles still. Auch die meisten an ihr Limit. Geschäfte abseits des Lebensmittel- SPÄTE INFORMATIONEN handels waren davon betroffen. Um Die Bundesregierung sorgte auch QUÄLENDER MUND-NASEN-SCHUTZ diese Krise abzufedern, vereinbar- für viel unnötigen Stress, denn sie ver- Sicherheitstechnische Ausrüstung ten die Sozialpartner gemeinsam mit öffentlichte ihre Verordnungen meist wie Plexiglasabdeckungen, Handdes- der Regierung eine zeitlich befristete sehr spät. Das führte zu vielerlei Miss- infektionsmittel, Sprays und antisep- Kurzarbeitsregelung. Viele Arbeits- verständnissen und großen Organisa- tische Tücher für Bildschirme und plätze konnten dadurch gerettet wer- tionsproblemen. „Am 30. April um 23 Tastaturen wurden vom Unternehmen den, rund 1,3 Millionen Beschäftigte Uhr wurde die Verordnung zur Öff- zur Verfügung gestellt. Allein, auch haben davon profitiert. Anita Palko- nung am 2. Mai verkündet“, erinnert die ständige Nutzung der Schutz- vich, Wirtschaftsbereichssekretärin sich Palkovich. maßnahmen, bringt das Verkaufsper- der GPA-djp, erklärt: „Mit Kurzarbeit Für Monika Schöngruber, Betriebs- sonal an neue Grenzen. „Ständig mit wird der Arbeitsplatz gesichert – als Ar- rätin der Firma Sports Direct, war das der Maske im Verkauf zu arbeiten, das beitnehmerIn bin ich neben zeitlicher Aufsperren mit einer großen Porti- ist eine Katastrophe“, erklärt Schön- Flexibilität auch bereit, auf einen Teil on Adrenalin verbunden: „Wir hatten gruber. „Speziell an den Kassen muss meines Einkommens zu verzichten, sieben Wochen geschlossen und nie- viel gesprochen werden – vom per- damit der Betrieb durch diese Krise mand wusste, ob wir gleich überrannt manenten Tragen des Mund-Na- steuern kann.“ werden oder es ein entspannter Ar- sen-Schutzes hat eine Kollegin eine Wie bei anderen Corona-Hilfsmaß- beitstag wird.“ Der enorme Zulauf bei aufgeschürfte Nasenspitze und auch nahmen auch, gab es bei der Kurzar- der Öffnung überraschte: „Durch die wenn sie alle zwei bis drei Stunden beit Probleme und Unklarheiten. Die Kurzarbeit hatten wir nicht die Res- eine Pause macht, ist die Maske im- nun bis Ende August verlängerte Re- sourcen und mussten mit den weni- mer feucht.“ gelung wurde nachgebessert. Dabei gen Leuten Umsätze stemmen, die Da viele MitarbeiterInnen unglück- wurde die Berechnung vereinfacht, wir zuvor nicht hatten – der 2. Mai lich mit den MNS-Masken waren, die Arbeit auf Abruf verboten (Unter- war besser als jeder Weihnachtssams- wurde im Betriebsrat beschlossen, nehmer müssen jetzt zumindest drei tag“, erinnert sich Schöngruber, die im so genannte Face Shields des ober- Tage im Voraus eine Erhöhung des Headoffice am Standort Linz tätig ist. österreichischen Unternehmens vereinbarten Arbeitszeitausmaßes be- „Dort arbeite ich – obwohl freigestellt Rosenbauer zu ordern. „Unter den Foto: Adobe Stock, Halfpoint kanntgeben) und die Beschäftigten be- – stets mit, wenn Not am Mann oder BetriebsrätInnen sind wir gut vernetzt kommen mindestens die tatsächlich der Frau ist.“ Für den Sportartikel-Dis- und haben einfach angefragt“, geleistete Arbeit bezahlt. Auch haben konter hat sich verwirklicht, wovon ist Schöngruber erleichtert. Die alle Beschäftigten Anspruch auf eine andere Geschäfte immerhin geträumt Anschaffung wurde durch den Kopie der Sozialpartnervereinbarung haben: Die Umsätze sind höher als vor Betriebsratsfonds finanziert, alle 12 2/2020 KOMPETENZ
Handel ARBEIT MitarbeiterInnen, die ein Plexiglasvi- ten den Abschluss. So konnten etwa die MNS-Masken. „Viele Leute sind sier wollten, haben eines bekommen. zu Beginn der Pandemie die Anträge froh, dass sie wieder arbeiten können. auf Corona-Kurzarbeit nicht gestellt Etwa 90 Prozent unserer Mitarbei- KRAFTAKT FÜR BETRIEBSRÄTiNNEN werden, weil sie beim Arbeitsmarkt- terInnen arbeiten in Teilzeit“, macht Während des Corona-Shutdowns service für den Download nicht ver- Betriebsrätin Kreuzer, an die sich die und den vielen Wochen der Unge- fügbar waren. Daneben war es auch Belegschaft auch mit privaten Proble- wissheit, waren auch die Betriebs- wichtig auf die Belegschaft zu schau- men wendet, deutlich. „Es ist richtig rätInnen besonders gefordert. Nicht en: „Wir BetriebsrätInnen haben jede schwierig, wenn MitarbeiterInnen zu anders ist es auch Ingrid Rindler, Be- Woche bei den MitarbeiterInnen an- mir kommen, die mit einer Lohnpfän- triebsratsvorsitzende einer großen gerufen und gefragt, wie es ihnen geht dung leben und deshalb umso mehr Textilkette, ergangen. Seit dem 16. und ob sie etwas brauchen. Und wir auf ihren gesamten Lohn angewiesen März hatte sie kaum Freizeit. haben sie darauf hingewiesen, dass sie sind.“ An den stressigsten Tagen hat sie bei Bedarf den Corona-Familienhär- GPA-djp-Expertin Anita Palkovich um sechs Uhr morgens mit ihrer Ar- teausgleich nutzen können“, erzählt hofft, dass die Auswirkungen der CO- beit begonnen: „Ich bin für beinahe 80 Rindler. VID-19-Pandemie auf den Handel BetriebsrätInnen zuständig, musste Intensiv war diese Zeit auch für sich auf Dauer in Grenzen halten: „Es sie alle mit ins Boot holen und natür- Barbara Kreuzer, Betriebsrätin der muss aber Konjunkturmaßnahmen lich gab es auch regelmäßig Telefon- Handelskette Pagro Diskont. Rund geben, damit der Handel sich in allen konferenzen mit der Unternehmens- 2.100 MitarbeiterInnen arbeiten in Bereichen stabilisieren kann.“ Dazu leitung“, weiß Rindler. „Oft habe ich Österreich für das Unternehmen, zu zählt auch der versprochene Coro- nicht einmal aufgelegt, da kam schon dem auch die Libro-Kette gehört. „Ich na-Tausender. Denn gerade viele Teil- der nächste Anruf, und das letzte komme aus der Steiermark und muss zeitbeschäftigte würden von ihm E-Mail des Tages habe ich meist um permanent nach Guntramsdorf in die profitieren und das Geld direkt in den 22 Uhr geschrieben.“ Die Betriebs- Zentrale fahren“, erklärt Kreuzer. Die Konsum investieren. Davon profitiert vereinbarung zur Kurzarbeit musste Arbeitsabläufe haben sich seit der Öff- wieder der Handel. l auf den Weg gebracht werden, doch nung am 2. Mai aber kaum geändert – Christian Resei die ständigen Neuerungen blockier- freilich bis auf das Desinfizieren und Bundesforum und Bundesfrauenforum 2020 Vom 17. bis 19. November 2020 findet das GPA-djp-Bundesforum im Austria Center Vienna statt. Im Rahmen des Forums werden die inhaltlichen, strukturellen und personellen Weichen für die gewerkschaftspolitische Arbeit der nächsten fünf Jahre gestellt. Grundlage für die Beschlüsse sind die eingebrachten Anträge der Mitglieder und BetriebsrätInnen der GPA-djp. Die Anträge zum Bundesforum stehen Ende September auf www.gpa-djp.at zum Download bereit. Am 17. November 2020 findet, ebenfalls im Austria Center Vienna, das GPA-djp Bundesfrauenforum 2020 statt. Nähere Infos und Downloads dazu gibt es Ende September unter www.gpa-djp.at/frauen KOMPETENZ 2/2020 13
AKTUELLES Jugend ohne Job #Lostgeneration – Jugend ohne Job Die Jugendarbeitslosigkeit hat sich durch die Krise verdoppelt. Die Folge: eine verlorene Generation auf dem Arbeitsmarkt. Die Gewerkschaftsjugend schlägt Alarm. Die Wirtschaftskrise in Folge der Vorschlag der Regierung ist untauglich Unternehmen bei der Ausbildung von Corona-Pandemie ließ die Arbeitslo- und wendet die Katastrophe nicht ab“, Lehrlingen finanziell unterstützen soll. sigkeit bei jungen Menschen drama- kritisiert Hofer. Sie fordert einen Run- Die bisher dafür vorgesehenen 140 tisch ansteigen. Laut AMS sind über den Tisch, um dringend nötige Sofort- Millionen Euro sollen mit weiteren 140 80.000 junge Menschen unter 25 Jah- maßnahmen umzusetzen. Millionen aus dem Budget der Bundes- ren als arbeitslos gemeldet bzw. in einer Bereits seit den 1990er-Jahren ha- regierung aufgestockt werden. Darü- Schulung des AMS. ben sich die Chancen junger Men- ber hinaus muss ein eigener Fonds ge- „Das sind absolut alarmierende Zah- schen am Arbeitsmarkt kontinuierlich schaffen werden, um eine qualitätsori- len, wir haben doppelt so viele Jugend- verschlechtert. Die Corona-Krise hat entierte Lehrlingsausbildung auch in liche ohne Job wie im Vorjahr, es fehlen diese Entwicklung nochmals massiv Zukunft garantieren zu können. 8.400 Lehrstellen und die Regierung verstärkt „In der aktuellen wirtschaft- „Die Wirtschaft muss alle Kräfte hat bis jetzt noch viel zu wenig unter- lichen Lage geht die Anzahl der freien aufbieten, damit mehr Ausbildungs- nommen“, kritisiert Susanne Hofer, Lehrstellen stark zurück“, erklärt Hofer. plätze geschaffen werden“, fordert Ho- Vorsitzende der GPA-djp Jugend. „Wenn nun auch noch im Juli die Schul- fer. „Wir appellieren auch an große Aus- Die Gewerkschaftsjugend hat die absolventen auf den Arbeitsmarkt bildungsbetriebe und an den öffentli- Kampagne ‚#Lostgeneration – Jugend drängen, führt das zu einer ‚Lost Gene- chen Bereich, über Bedarf auszubilden. ohne Job’ gestartet. Gefordert wird ration’ – einer Generation von jungen Die Regierung muss dafür verstärkt von der Bundesregierung ein Maßnah- Menschen, die am Arbeitsmarkt kei- Anreize schaffen!“ Der Spruch der Re- menpaket gegen die drohende Ausbil- ne Chance haben. Eine tickende Zeit- gierung ‚Koste es, was es wolle’ muss dungskatastrophe. Kernstück des For- bombe, die dringend entschärft werden ganz besonders für die Jugend und die derungspakets ist die Schaffung eines muss!“ Lehrlinge gelten. „Denn nur so vermei- Corona-Notausbildungsfonds von 140 den wir enorme soziale Folgekosten Millionen Euro. FÜRS ARBEITSSYSTEM VERLOREN und einen Fachkräftemangel, der in der „Junge Menschen dürfen in dieser Auch Johann Bacher, Soziologe an Zukunft für die Wirtschaft zum Desas- wichtigen Lebensphase nicht das Ge- der Johannes Kepler Universität Linz, ter würde.“ ● fühl haben, dass sie niemand braucht. warnt vor dieser drohenden „Lost Ge- Barbara Lavaud Die Regierung muss handeln, bevor es neration“. Junge Menschen werden in zu spät ist“, betont Hofer. einer Rezession meist als erstes ent- Als Reaktion auf die Kampagne lassen. Die Zahl der Jugendlichen, die verkündete die Regierung nun einen komplett für das Ausbildungs- und Ar- „Lehrlingsbonus“ von bis zu 2.000 beitssystem verloren sind, könnte um Kampagnenwebseite Euro für jene Firmen, die Lehrlinge auf- über 40 Prozent steigen, rechnet Ba- https://jugendohnejob.com/ nehmen und ausbilden. Das wären bei cher vor. 31.000 Lehrlingen im ersten Lehrjahr Die Kampagne ‚#Lostgeneration - Foto: ÖGB 62 Millionen Euro – nicht mal die Hälf- Jugend ohne Job’ fordert ein Maßnah- te der geforderten 140 Millionen. „Der menpaket, das v.a. kleine und mittlere 14 2/2020 KOMPETENZ
FOTOGRAMM Nur jede/r 10 hat die Chance auf einen Job 517.221 Arbeitslose stehen 57.597 sofort verfügbaren offenen Stellen gegenüber. Seit Mitte März ist die Arbeitslosigkeit in Österreich extrem angestiegen. Den Höhepunkt erreichte sie im April mit nahezu 600.000 Arbeitslosen und AMS-SchulungsteilnehmerInnen. Seitdem ist sie leicht zurückgegangen, aber immer noch um 50 Prozent höher als im Vorjahr. Stellt man die Zahl der Menschen ohne Job den offenen Stellen gegenüber, sieht man sofort, dass sich das nicht ausgehen kann: Auf zehn Arbeitslose kommt nur ein Stellenangebot. Dazu kommt, dass immer noch mehr als eine Million Beschäftigte in Kurzarbeit sind. Wie und ob es in diesen Unternehmen nach der Kurzarbeit weitergeht, ist längst noch nicht überall klar. Um eine soziale Krise abzufangen, brauchen wir daher rasch ein höheres Arbeitslosengeld. Foto: Lucia Bauer Eine Einmalzahlung von 450 Euro, wie von der Regierung geplant, ist zu wenig um arbeitslosen Menschen und Regierung nachhaltig zu helfen. KOMPETENZ 2/2020 15
ARBEIT Home-Office Julia Böhm ist stellvertretende Betriebsratsvorsitzende bei der Erste Bank, wo bereits 2004 eine Betriebsvereinbarung zum Arbeiten im Home-Office abgeschlossen wurde. Sonnen- und Schattenseiten Viele Unternehmen haben im Zuge der Coronakrise gesehen, dass die MitarbeiterInnen im Home-Office ebenso effizient arbeiten können wie im Betrieb. Doch für die Beschäftigten ergeben sich aus dieser Arbeitssituation nicht nur Vorteile. H ome-Office ist seit dem Shut- nicht taten, war es 82 Prozent in ihrem heit war insgesamt hoch, 58 Prozent down zur Eindämmung der Beruf überhaupt nicht möglich, dies bezeichneten sie als sehr oder etwas Verbreitung des Coronavirus zu tun. positiv. Für 49 Prozent war die Mög- Mitte März in aller Munde. Viele, die Hoch war die Anzahl der von zu lichkeit, selbstbestimmt zu arbeiten, schon vor Ausbruch der aktuellen Pan- Hause aus Arbeitenden in den Berei- zu Hause höher als im Betrieb, 43 Pro- demie den Großteil ihres Arbeitstages chen Telekommunikation, IT und Me- zent gaben hier „weder noch“ an. am Schreibtisch und vor einem Com- dien, hier werkten ab Mitte März in Doch die Umfrage förderte auch puter verbrachten, wurde nun per Re- mehr als zwei Drittel der Unterneh- Schattenseiten zu Tage: Während vie- gierungsempfehlung vom Arbeitgeber men so gut wie alle Beschäftigen im le vom Arbeitgeber mit Notebooks gebeten, zu Hause zu arbeiten. Rasch Home-Office. Weit weniger wurde da- ausgestattet wurden (66 Prozent), waren neue Tools etabliert: von der gegen naturgemäß in Industrie, Ge- bekamen nur neun Prozent einen morgendlichen Teambesprechung via werbe und Produktion von zu Hause ergonomischen Schreibtischsessel Zoom bis zur Möglichkeit, auch von aus gearbeitet. zur Verfügung gestellt und lediglich zu Hause aus auf für die Arbeit nöti- 13 Prozent einen Drucker. Die klare ge Daten zuzugreifen. Aus Unterneh- UNGESTÖRTER ARBEITEN Trennung zwischen Arbeit und Frei- menssicht lief das in vielen Fällen sehr Manches wurde von den nun im zeit gelingt 66 Prozent der Befragten rasch sehr gut. Doch wie sieht das aus Home-Office Tätigen als angenehmer im Betrieb besser, für 56 Prozent ist der Perspektive der Beschäftigten aus? als bei der Arbeit im Betrieb empfun- auch das Abstimmen von Arbeitsauf- Foto: Nurith Wagner-Strauss Wie eine IFES-Befragung von 2.200 den. So gaben 56 Prozent der Befrag- trägen mit KollegInnen und Vorge- Personen im April im Auftrag der Ar- ten an, sie könnten im Home-Office setzten im Unternehmen leichter. beiterkammer Wien zeigte, nutzten 42 ungestörter arbeiten als im Betrieb. Die Umfrage spiegelt im Wesent- Prozent der Befragten die Möglichkeit Auch die Auswirkung des von zu Hau- lichen wieder, was auch Julia Böhm des Home-Office. Von jenen, die dies se Werkens auf die Arbeitszufrieden- – sie ist stellvertretende Betriebsrats- 16 2/2020 KOMPETENZ
Home-Office ARBEIT vorsitzende der Erste Bank – aus ih- auf Grund der guten Erfahrungen BETRIEBSVEREINBARUNG ZU ren Erfahrungen und einer Umfrage mit dem Home-Office noch mehr an HOME-OFFICE des Betriebsrats zum Arbeiten im Ho- Platz, an Flächen zu sparen, dann wird In jedem Fall ist es wichtig, dass die me-Office berichten kann. Die Erste man als Betriebsrat gefordert sein.“ Rahmenbedingungen des Home-Of- Bank gehört in Österreich zu den Vor- Hier hakt auch Michael Gogola, Ju- fice im Betrieb durch eine Betriebs- reitern in diesem Bereich: Schon 2004 rist in der GPA-djp, ein. „Viele Unter- vereinbarung geregelt werden, be- wurde hier eine Betriebsvereinbarung nehmen, die sich bisher gegen das tont Gogola. Flankierend gibt es aber zum mobilen Arbeiten abgeschlossen. Home-Office gewehrt haben, sehen, auch gesetzliche Maßnahmen, die Seit Jahren können MitarbeiterInnen dass die Leute zu Hause genauso ef- man sich nun, da Home-Office durch in vielen Aufgabenbereichen, wenn fizient oder unter den passenden Be- die Coronakrise an Zulauf gewonnen sie dies wünschen, ein bis zwei Tage dingungen möglicherweise sogar ef- habe, genau ansehen müsse. Positiv in der Woche von zu Hause aus tätig fizienter arbeiten als im Betrieb. Da sei etwa der nun ausgeweitete Unfall- sein. Mit der Coronakrise arbeiteten wird dann nachgedacht: Könnte man versicherungsschutz auch für die Ar- ab Mitte März beit zu Hause. In seiner derzeitigen 95 Prozent der Form läuft er mit Jahresende aus, bei Beschäftigten „WENN DER DIENSTGEBER NUN einer Verlängerung könnte man viel- im zentralen Be- leicht noch klarer definieren, was in reich, aber auch AUF DIE IDEE KOMMT, AUF GRUND diesem Schutz alles erfasst ist und sehr viele der DER GUTEN ERFAHRUNGEN MIT was nicht. MitarbeiterIn- DEM HOME-OFFICE NOCH MEHR Aber auch das Thema Arbeitszeit – nen in den Filia- AN PLATZ ZU SPAREN, DANN WIRD und deren Aufzeichnung – müsse man len von zu Hau- MAN ALS BETRIEBSRAT GEFOR- sich noch einmal genau ansehen. Die se. „Hier hat sich gezeigt, dass es DERT SEIN.“ Abgrenzung von Arbeits- und Freizeit werde im Home-Office erschwert. An- auch im Filial- JULIA BÖHM ders als im Betrieb muss beim Arbei- betrieb möglich ten zu Hause nur die Dauer der tägli- ist, Dinge von chen Arbeitszeit notiert werden, nicht zu Hause aus zu erledigen.“ vielleicht Büroflächen einsparen?“ So aber deren genaue Lage. So kann es werde versucht, einen Teil des wirt- auch dazu kommen, dass Ruhezeiten LANGFRISTIGE NACHTEILE schaftlichen Risikos auf die Mitarbei- nicht eingehalten werden, weil etwa BEDENKEN terInnen abzuwälzen. Das betreffe jemand bis Mitternacht am Schreib- Dennoch meint Böhm: Seitens des dann auch Fragen wie: Wer kommt für tisch sitzt und morgens um sieben Betriebsrats wird keinesfalls empfoh- die zu Hause verwendeten Drucker- Uhr schon wieder. „Da bräuchte es ein len, dass MitarbeiterInnen nur mehr patronen auf, wer für das Papier, wer objektives System, das garantiert, dass von zu Hause aus arbeiten. Das sei in zahlt die Internetverbindung, wer Mindestruhezeiten eingehalten wer- der Krisensituation eine gute Lösung kümmert sich um einen ergonomi- den.“ l gewesen – langfristig gelte es aber schen Arbeitsplatz? Hier könnte eine Alexia Weiss Dinge wie den fehlenden Teamaus- Abgeltung in Form einer Pauschale tausch, die Vereinzelung und das ent- eine Lösung sein. grenzte Arbeiten zu bedenken. „Man sitzt alleine zu Hause und kriegt vie- le Infos nicht mit.“ Wenn neue Kolle- Home-Office-Studie von ÖGB und AK gInnen im Unternehmen zu arbeiten anfangen, sei es zum Beispiel wich- Die AK Wien wollte wissen, wie es den Beschäftigten im Home-Office geht, tig, dass sie eine PatIn, und MentorIn welche Probleme es gibt, aber auch welche Vorteile es mit sich bringt oder vor Ort hätten. Und grundsätzlich sei wie es um die technische Ausstattung bestellt ist und hat daher bei IFES eine der persönliche Austausch etwas, was zwar über Videokonferenz möglich Umfrage in Auftrag gegeben. Die gesamten Befragungsergebnisse und ei- sei, von Angesicht zu Angesicht aber nen Überblick über die Schlüsse, die daraus zu ziehen sind, finden Sie auf der doch besser funktioniere. Website der Arbeiterkammer unter: www.arbeiterkammer.at/homeoffice Foto: Nurith Wagner-Strauss BETRIEBSRAT GEFORDERT Noch eines gibt Böhm zu beden- ken: schon jetzt bestehe in der Ers- te Bank das Desksharing. „Wenn der Dienstgeber nun auf die Idee kommt, KOMPETENZ 2/2020 17
INTERVIEW Kurzarbeit „In der Krise kneift man nicht!“ Josef Scheuchenegger, Betriebsrats- vorsitzender des Spritzgießmaschinenprodu- zenten und Autoindustrie-Zulieferbetriebes Engel im Interview. KOMPETENZ: Die Angestellten kann, wenn das Virus auf unser Un- Kurzarbeit für alle Beschäftigten ge- der Firma Engel sind seit 1. April in ternehmen trifft. startet. Kurzarbeit. Wie läuft es? Am Sonntag, den 15. März wurde Josef Scheuchenegger: Die die Belegschaft des Stammwer- Alles hat reibungslos geklappt? Kurzarbeit hat uns in der Kri- kes Schwertberg vorsorglich nach In Summe ja, wir haben die erste se sehr geholfen. Die gesamte Hause geschickt. Die Werke in St. Stunden-Monatsabrechnung im Belegschaft – inklusive Leasing- Valentin und Dietach wurden nur April gut über die Runden gebracht. kräfte – konnte gehalten werden. Tage später geschlossen. Der Be- Wir haben in der Metallbranche Aktuell wickeln wir mit einem ho- trieb stand vier Wochen still, alle eine gute Basis bestehender Re- hen Personalstand bestehende Auf- Werke waren bis 14. April geschlos- gelungen. Bestehende Passagen träge ab. sen. Die KollegInnen aus der Werk- des Kollektivvertrages und der Be- statt arbeiten zwecks Risikomini- triebsvereinbarungen in die Kurzar- Lassen sich durch Kurzarbeit die mierung derzeit noch im Schicht- beitsregelung hineinzuarbeiten war Auftragsrückgänge abfangen? betrieb. dennoch keine leichte Aufgabe. Wir stellen hauptsächlich Spritz- gießmaschinen für die Automobil- Wie war es bei Büroangestellten? Wo hat es sich gespießt? industrie her, unsere Auftragslage Wir haben im Stammwerk Schwert- Es war schwierig, die tatsächliche ist daher stark an den Absatz am berg ca. 2.200 MitarbeiterInnen, an Auslastung in den jeweiligen Werk- Automarkt gebunden. Auftragsein- allen Standorten zusammen – in- standorten abzubilden. Einige ste- brüche sehen wir seit Herbst klusive Leasingkräfte – ca. 3.500 Be- hen aufgrund der Auftragslage bei letzten Jahres. Seit Weihnachten schäftigte. Wir haben es geschafft, 50 Prozent, andere bei 70 Prozent 2019 haben wir daher einen Sozi- alle 1.500 Büroangestellten inner- Arbeitsleistung. alplan laufen. Das hilft uns zusätz- halb von 24 Stunden auf Home-Of- lich, gut durch die Krise zu kom- fice umzustellen – mit aller Hard- Dein Resümee über die Krisenzeit? men. Auftragseinbrüche können ware. Die Konstrukteure haben ihre Diese Zeit ist irrsinnig anstrengend aber langfristig nicht ausgeblendet Arbeitsgeräte im Büro abgebaut, zu- aber auch sehr gewinnbringend und werden. hause wieder aufgebaut und alles lohnend. In Krisen kneift man nicht, hat funktioniert. da steht man vorne. ● Wie hat das Unternehmen auf die Das Interview führte Andrea Rogy COVID-19-Pandemie reagiert? Wie war die Zusammenarbeit mit Mitte Februar wurde eine eigene dem Management in dieser Zeit? ZUR PERSON: „Health Management Gruppe“, be- Es gab ein sehr gutes Miteinan- Josef Scheuchenegger ist seit 24 Jahren stehend aus Führungskräften und der. Die Verhandlungen wurden Betriebsratsvorsitzender in der Engel Foto: Engel Gruppe Gruppe. Der ausgebildete Techniker wohnt BelegschaftsvertreterInnen, einge- über den Zentralbetriebsrat für in Schwertberg. Privat unternimmt der richtet. So haben wir uns frühzei- alle Standorte geführt. Mit 1. April verheiratete Familienvater viel mit seinen drei Kindern und sechs Enkelkindern. tig darauf vorbereitet, was passieren waren wir startklar und haben die 18 2/2020 KOMPETENZ
KURZMELDUNGEN SOZIALVERSICHERUNG Reformbedarf bei Privatkliniken PRIKRAF. Der private Krankenanstalten-Finan- zierungs-Fonds (PRIKRAF) wurde im Jahr 2002 von der schwarzblauen Regierung ins Leben ge- rufen und unterstützt mit Beträgen von bis zu 150 Millionen Euro im Jahr ausschließlich Pri- vatspitäler. Dieses Geld wäre gerade in diesen finanziell schwierigen Zeiten viel besser im öf- fentlichen Gesundheitssystem aufgehoben. Es ist daher dringend notwendig, diesen über- flüssigen und undurchsichtigen Fonds umfas- send zu reformieren oder, wenn eine Reform nicht gelingt, überhaupt abzuschaffen. Da die Krankenversicherungsträger den PRI- KRAF zu annähernd 100 Prozent finanzieren, müssen sie auch entscheiden und kontrollieren können, was mit dem Geld im Fonds finanziert wird. Daher muss das PRIKRAF-Gremium auf VertreterInnen der KV-Träger reduziert werden. Der Bund soll wie in der gesamten Sozialversi- rifen mitwirken. Zusätzlich ist eine strenge Qua- cherung ein Aufsichtsrecht bekommen. litätskontrolle der erbrachten Leistungen nötig. Die zusätzlichen 14,7 Millionen Euro, die jähr- Es kommt immer wieder vor, dass PatientInnen lich durch Türkis-Blau an den PRIKRAF fließen aus Privatkliniken auf Grund von Komplikati- sollen, müssen zurückgenommen werden. onen in öffentliche Spitäler überstellt werden Privatspitäler müssen außerdem auch an der öf- müssen. Dann bezahlen die BeitragszahlerInnen fentlichen Gesundheitsversorgung zu Kassenta- doppelt. ● SONNTAGSÖFFNUNG 71 Prozent der ÖsterreicherInnen sind gegen eine Sonntagsöffnung im Handel Umfrage. Nicht nur die Beschäftigten im Handel lehnen eine Sonntagsöffnung ab. Eine aktuelle Befragung des IFES-Instituts zeigt, dass auch Sonntagsöffnung im Handel in der Gesamtbevölkerung eine überwältigende Mehrheit von 71 Prozent nicht möchte, dass Ge- schäfte am Sonntag aufsperren dürfen. „Es wäre absurd, für eine Beschäftigtengruppe, die Unglaubliches während der Corona-Krise geleistet hat, großteils Frauen, die Arbeitsbedin- sind dagegen gungen jetzt zu verschlechtern“, bringt es die GPA-djp-Vorsitzende Barbara Teiber auf den 71% Punkt. „Die Menschen wissen auch sehr genau, dass durch die Sonntagsöffnung keine zusätz- lichen Umsätze erzielt werden, sondern höchs- Foto: iStock, ipopba tens Umsatzverschiebungen stattfinden.“ ● KOMPETENZ 2/2020 19
ARBEIT Pflege Mit Teamgeist und Urlaubssperren durch die Krise Fehlende Schutzausrüstung, geschlossene Grenzen und verunsicherte BewohnerInnen: Für die Beschäftigten im Kolpinghaus in Wien-Favoriten waren die vergangenen Monate keine leichten. Wenigstens wurde geklatscht. K „Das Arbeits- und Sozial- staben am Eingang des Kolping- wie wir damit umgehen sollten“, gericht wird in den nächs- hauses in der Maria-Rekker-Gasse erzählt Schamberger beim Besuch ten Monaten und Jahren 9. Und gleich darunter: „Es gelten in seinem Büro. Anrufe der An- einiges aufzuarbeiten haben“, jedoch strenge Regeln“. Bis es ein- gehörigen häuften sich: „Was ist schätzt Jürgen Schamberger. Der mal so weit war, war es ein weiter da los?“. Auch die rund 220 Ange- 37-jährige ist seit 2006 Betriebs- Weg. Von 13. März bis 4. Mai galt stellten waren nervös: „Was, wenn ratsvorsitzender im Kolpinghaus hier im Haus ein Besuchsverbot, ich selbst infiziert bin?“ „Für die „Gemeinsam leben“ in Wien-Fa- mit Ausnahme der Palliativpatien- ZUR PERSON: Bewohnerinnen und Bewohner voriten. In den knapp eineinhalb tInnen durfte niemand im Haus Jürgen Schamberger, war von einem Tag auf den ande- 37, ist in Oberösterreich, Jahrzehnten hat Schamberger so Angehörige empfangen. Eine Her- Bezirk Braunau, geboren. ren plötzlich alles anders“, erklärt einiges erlebt, „aber in dieser Kri- ausforderung für BewohnerInnen, Nachdem er eine Aus- Schamberger. Kein Besuch mehr, bildung zum Einzel- se ist vieles passiert, von dem ich Angehörige – und MitarbeiterIn- handelskaufmann keine Gruppenaktivitäten, kein nie geglaubt hätte, dass das mög- nen. abgebrochen hatte, gemeinsames Essen im Speisesaal, machte er eine Aus- lich ist.“ bildung zum Pflegehelfer kein Kontakt zu anderen Bewoh- 198 Menschen leben im Kol- PLÖTZLICH WAR ALLES und Altenfachbetreuer. nerInnen. Das habe vielfach Ängs- ANDERS Seit 2004 lebt er in Wien pinghaus in stationärer Pflege, te, auch Depressionen, bei den Be- Foto: Nurith Wagner-Strauss und arbeitet im hinzu kommen 50 Wohnplätze Der Ausbruch der Corona-Pan- Kolpinghaus in Favoriten. troffenen ausgelöst. Seit 2006 ist er für Mütter und Kinder sowie 33 demie stellte das Leben im Kol- Betriebsratsvorsitzender. Hinzu kam, dass man auf so Plätze für betreutes Wohnen. pinghaus auf den Kopf. „Anfangs eine Situation nur unzureichend „Ab 4 Mai: Besuche wieder haben wir vieles aus den Medien vorbereitet war. „Denn bei uns hat möglich“, heißt es in roten Buch- erfahren und selbst nicht gewusst, anfangs alles gefehlt“, erzählt der 20 2/2020 KOMPETENZ
Pflege ARBEIT Betriebsrat. Teilweise hätten Pfle- schlossen wurden. Sie durften die ker-Gasse arbeiten. Der Oberös- gerInnen einen ganzen Tag lang Grenze zwar passieren, hätten terreicher war 2004 nach Wien dieselbe Maske getragen, einfach sich aber zurück in der Slowakeigekommen und sollte 2006 den weil nicht mehr auf Lager waren 14 Tage in Heimquarantäne be- scheidenden Betriebsratsvorsit- – und es auch am Markt keine zu geben müssen. Das stellte auch zenden im Kolpinghaus ablösen. kaufen gab. „Hätte es wirklich In- das Kolpinghaus vor Herausfor- „Ich habe dann angefangen, mei- fektionsfälle im Haus gegeben, derungen, denn plötzlich fielen ne Leute zusammen zu suchen wären wir mit unserer Schutzaus- rund ein Dutzend PflegerInnen und die Wahl zum Wahlvorstand rüstung nicht lange ausgekom- weg, die meisten von ihnen diplo- einzuleiten. Am Tag der Wahl, ich men“, meint Schamberger. miert, also nicht ohne Weiteres zu kam gerade vom Nachtdienst, ersetzen. Innerbetrieblich konn-bekam ich die Kündigung“. Of- „ICH SCHLEICHE MICH NICHT te man das kompensieren, meint fiziell eine unbegründete Kün- INS HOME-OFFICE, VERSTECKE Schamberger, mit viel „Teamgeist“ digung. „Das habe ich mir nicht MICH NICHT DAHEIM“ – und Urlaubssperren. Für die slo- gefallen lassen.“ Die Wahlen ließ Es blieb bei einigen Verdachts- wakischen PflegerInnen bedeuten er trotzdem abhalten, zog vors fällen. An den ersten Verdacht zwei Wochen Quarantäne zwei Arbeits- und Sozialgericht und kann sich Schamberger noch ge- Wochen ausgefallene Arbeitszeit.bekam nach sechs Monaten die nau erinnern. „Das war ein sehr Aber wer bezahlt dafür? „Für mich Bestätigung: Die Kündigung ent- intensives Erlebnis.“ Schamber- ist das eine Dienstverhinderung“, hält einen Formfehler und ist da- ger, als Betriebsratsvor- mit nichtig. Kurz darauf sitzender eigentlich frei- wechselte die Geschäfts- gestellt, entschloss sich „HÄTTE ES WIRKLICH INFEKTI- führung, das Verhältnis daraufhin, wieder in die ONSFÄLLE IM HAUS GEGEBEN, zwischen Betriebsrat Pflege zurückzukehren. WÄREN WIR MIT UNSERER und Leitung sei seither Rund sieben Wochen half deutlich harmonischer. er beim betreuten Woh- SCHUTZAUSRÜSTUNG NICHT Im Kolpinghaus in nen mit aus. „Mir war LANGE AUSGEKOMMEN.“ Wien-Favoriten kehrt wichtig“, erklärt er, „ein JÜRGEN SCHAMBERGER langsam wieder Norma- Zeichen zu setzen, ein Si- lität ein. In einem eigens gnal für Kolleginnen und eingerichteten Besuche- Kollegen, um ihnen die Angst stellt Schamberger klar. Doch Geld rInnenzentrum dürfen Bewoh- etwas zu nehmen: Ich schleiche aus dem Quarantänefonds gebe es nerInnen ihre Angehörigen emp- mich nicht ins Home-Office, ver- dafür nicht. fangen. Für die Beschäftigten im stecke mich nicht daheim, son- Für den Betriebsrat Schamber- Haus waren diese außergewöhn- dern ich bin bei euch. Wir machen ger waren März und April heraus- lichen Wochen auch auf eine an- das gemeinsam.“ fordernde Zeiten. Von einem Tag dere Weise außergewöhnlich: auf den anderen wurden Über- Erstmals wurde man in der brei- NUN BEGINNT DIE stunden und Ruhezeitverletzun- ten Masse als „systemrelevant“ AUFARBEITUNG gen möglich. „Und als Betriebsrat wahrgenommen; eine Zuschrei- Seit Anfang Mai ist der 37-Jäh- hatte ich nicht viele Möglichkei- bung, mit der bis dato nur Banken rige wieder freigestellt. Und be- ten, das zu kontrollieren, denn und milliardenschwere Großkon- ginnt vermutete arbeitsrechtli- es war in diesem Fall rechtens, zerne bedacht wurden. „Das hat che Verstöße aufzuarbeiten, die weil das Arbeitszeitgesetz ent- vielen gut getan“, erzählt Scham- in den Turbulenzen der letzten sprechend geändert wurde.“ Laut berger. Plötzlich waren sie es, die Wochen und Monate untergin- Schamberger werden solche und beklatscht wurden, im Fokus der gen. Dabei geht es um gängige Sa- ähnliche Fälle wohl demnächst Öffentlichkeit standen. „Umso chen, wie um die Frage, ob Über- vor dem Arbeits- und Sozialge- deprimierender und ernüchtern- stunden auch korrekt verrechnet richt landen. der, dass jetzt, da der Jubel weg wurden. Und um kniffligere Fäl- ist, die finanzielle Wertschätzung le, wie jene seiner 22 KollegInnen WENN DER APPLAUS VER- nicht kommt, dass das jetzt schon aus der Slowakei. Viele von ihnen HALLT… wieder alles vergessen ist“. ● sind PendlerInnen und standen Ohne das Arbeits- und Sozial- Johannes Gress vor einem Problem, als am 13. gericht würde wohl auch er selbst März plötzlich die Grenzen ge- nicht mehr in der Maria-Rek- KOMPETENZ 2/2020 21
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