LEBEN & YOGA - SRI AUROBINDOS EWIGE GEGENWART 20. AUSGABE | AUGUST 2021

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LEBEN & YOGA - SRI AUROBINDOS EWIGE GEGENWART 20. AUSGABE | AUGUST 2021
LEBEN & YOGA

20. AUSGABE | AUGUST 2021

SRI AUROBINDOS
EWIGE
GEGENWART
LEBEN & YOGA - SRI AUROBINDOS EWIGE GEGENWART 20. AUSGABE | AUGUST 2021
LEBEN & YOGA

eMagazin LEBEN & YOGA
Berchtesgaden
www.auro.press

Herausgeber
SRI AUROBINDO BHAVAN
BERCHTESGADENER LAND
www.sriaurobindo.center

Redaktion
Wilfried Schuh
editor@auro.press
Verlag AURO MEDIA
verlag@auro.media
www.auro.media

Das eMagazin LEBEN & YOGA ist Sri Aurobindo und
der Mutter gewidmet. Es beinhaltet Artikel verschie-
dener Autoren zum Integralen Yoga und erscheint
viermal im Jahr zu den Darshan-Tagen:

•21.   Februar: „The Mother’s birthday“
•24.   April: „The Mother’s final arrival in Pondicherry“
•15.   August: „Sri Aurobindo’s birthday“
•24.   November: „Siddhi day or the day of Victory“

Wir danken Autoren, Fotografen, Künstlern und an-
deren Mitarbeitern für ihre Hilfe bei der Herausgabe
dieses eMagazins.

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LEBEN & YOGA - SRI AUROBINDOS EWIGE GEGENWART 20. AUSGABE | AUGUST 2021
Die Mutter

S   ri Aurobindo kam auf die Erde, um die
    Manifestation der supramentalen Welt zu
verkünden. Er verkündete diese Manifestation
nicht nur, er verkörperte auch zum Teil die sup-
ramentale Kraft und zeigte durch sein eigenes
Beispiel, wie man sich selbst für die Manifes-
tierung vorbereiten muss. Das Beste, das wir
tun können, ist, all seine Werke zu studieren,
seinem Beispiel zu folgen und uns selbst auf
die neue Manifestation vorzubereiten.

Das gibt dem Leben seine wahre Bedeutung
und es wird uns helfen, alle Hindernisse zu
überwinden.

Lasst uns für die neue Schöpfung leben und
wir werden immer stärker wachsen, indem wir
jung und fortschrittlich bleiben.

                                                          3
                                    (CWM Vol 13, S. 17)
LEBEN & YOGA - SRI AUROBINDOS EWIGE GEGENWART 20. AUSGABE | AUGUST 2021
Inhalt
Die Mutter über Sri Aurobindo        06
Die Bedeutung des 15. August         10
Die Uttarpara-Rede                   16
Sri Aurobindo – Der moderne Avatar   26
„Lies Sri Aurobindo“                 44

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Sri Aurobindo 1950

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LEBEN & YOGA - SRI AUROBINDOS EWIGE GEGENWART 20. AUSGABE | AUGUST 2021
Die Mutter
    über
    Sri Aurobindo
    W     as Sri Aurobindo in der Weltgeschichte repräsen-
          tiert, ist keine Lehre, nicht einmal eine Offenba-
    rung; es ist ein entscheidendes Wirken unmittelbar vom
    Höchsten.
                                                 (CWM Vol 13, S. 4)

                                 *

    Sri Aurobindo gehört weder der Vergangenheit noch der
    Geschichte an.

    Sri Aurobindo ist die Zukunft, die auf ihre Verwirklichung
    zuschreitet.

    Deshalb müssen wir uns die für einen raschen Fort-
    schritt erforderliche ewige Jugend bewahren, um nicht
    zu Nachzüglern auf dem Weg zu werden.
                                                 (CWM Vol 13, S. 5)

                                 *

    Sri Aurobindo kam, um der Welt von der Schönheit der
    Zukunft zu berichten, die verwirklicht werden muss.

    Er kam, nicht um Hoffnung zu geben, sondern die Ge-
    wissheit einer Herrlichkeit, auf die sich die Welt hin-
    bewegt. Die Welt ist kein unglücklicher Zufall, sie ist ein
    Wunder, das sich auszudrücken beginnt.

    Die Welt braucht die Gewissheit von der Schönheit der
    Zukunft. Und Sri Aurobindo hat uns diese Zusicherung

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    gegeben.
                                                (CWM Vol 13, S. 15)

                                 *
{           „Sri Aurobindo ist die Zukunft,
                         die auf ihre Verwirklichung zu-
                         schreitet.“

  Du hast gesagt, Sri Aurobindos Geburt            Es wird gesagt, dass Sri Aurobindo in
  sei etwas „Ewiges“ in der Geschichte             einem seiner früheren Leben aktiv an
  des Universums. Was genau bedeutet               der Französischen Revolution teilge-
  dieses „Ewige“?                                  nommen hat. Ist das wahr?

Der Satz kann auf vier unterschiedliche          Man kann sagen, dass Sri Aurobindo
Weisen, auf vier aufsteigenden Bewusst-          durch die ganze Geschichte hindurch
seinsebenen verstanden werden:                   eine aktive Rolle gespielt hat. Er war be-
                                                 sonders in den bedeutendsten Bewe-
1. Physisch hat die Konsequenz der Ge-           gungen der Geschichte anwesend – und
burt eine ewige Bedeutung für die Welt.          spielte die bedeutendste, die leitende
                                                 Rolle. Aber er war nicht immer sichtbar.
2. Mental ist es eine Geburt, der man                                       (CWM Vol 13, S. 10)

sich auf ewig erinnern wird in der uni-
versalen Geschichte.                                                  *

3. Seelisch ist es eine Geburt, die sich         Sri Aurobindo ist permanent unter uns
von Zeitalter zu Zeitalter auf Erden wie-        und offenbart sich jenen, die bereit sind,
derholen wird.                                   ihn zu sehen und zu hören.
                                                                            (CWM Vol 13, S. 11)

4. Spirituell ist es die Geburt des Ewigen
auf Erden.                                                            *
                           (CWM Vol 13, S. 10)
                                                 Sri Aurobindo ist auf der feinstofflichen
                     *                           Ebene. Du kannst ihm dort während dei-
                                                 nes Schlafes begegnen, wenn du weißt,
Seit Beginn der Erd-Geschichte, waltete          wie man dorthin gelangt.
Sri Aurobindo stets über alle großen irdi-                                  (CWM Vol 13, S. 12)

schen Umwandlungen, in der einen oder
anderen Gestalt, unter dem einen oder                                 *
anderen Namen.

                                                                                        7
                           (CWM Vol 13, S. 10)   Sri Aurobindos Hilfe ist immer da: es
                                                 obliegt uns, zu wissen, wie man sie
                     *                           empfängt.
                                                                            (CWM Vol 13, S. 13)
Sri Aurobindo

Sri Aurobindo ist immer bei uns – erleuchtend, führend, schüt-        In der Ewigkeit des Werdens ist jeder Avatar nur der Verkünder
zend. Wir müssen auf seine Gnade mit einer vollkommenen               und Vorläufer einer vollkommeneren zukünftigen Verwirkli-
Ergebenheit antworten.                                                chung.
                                                (CWM Vol 13, S. 13)

                                                                      Die Menschen neigen jedoch stets dazu, den Avatar der Ver-
                               *                                      gangenheit zu vergöttlichen und dem Avatar der Zukunft ent-
                                                                      gegenzustellen.
Sri Aurobindo ist immer gegenwärtig. Sei aufrichtig und voller
Vertrauen. Das ist die erste Bedingung. Meinen Segen.                 Sri Aurobindo ist gekommen und hat der Welt die Verwirkli-
                                                (CWM Vol 13, S. 15)   chung von morgen verkündet. Wieder stößt seine Botschaft
                                                                      auf denselben Widerstand wie bei allen, die ihm vorausgegan-
                               *                                      gen sind.

Sri Aurobindo verkörperte in einem menschlichen Leib das              Die Zukunft wird aber die Wahrheit von dem erweisen, was er
supramentale Bewusstsein. Er offenbarte uns nicht nur die Art         offenbart hat und sein Werk wird vollbracht werden.
des zu folgenden Pfades und der zu befolgenden Methode,                                                              (CWM Vol 13, S. 21)

um zum Ziel zu gelangen, vielmehr hat er durch seine eigene
persönliche Verwirklichung uns das Beispiel gegeben. Er hat                                         *
uns den Beweis geliefert, dass es getan werden kann, und dass

8
jetzt die Zeit gekommen ist, es zu tun.
                                                (CWM Vol 13, S. 21)

                               *
Viele sagen, die Lehre Sri Aurobindos sei eine neue Religion.             Aber die Menschen sind so verrückt, dass sie alles zu einer
  Würdest du auch sagen, sie sei eine Religion?                             Religion machen können, so sehr benötigen sie einen Rahmen
                                                                            für ihr enges Denken und ihr begrenztes Handeln. Sie fühlen
Die das sagen sind Dummköpfe, die nicht einmal wissen,                      sich erst sicher, wenn sie behaupten können: Dies ist wahr und
wovon sie reden. Es genügt, alles zu lesen, was Sri Aurobindo               jenes nicht. Aber solch eine Aussage ist jedem unmöglich, der
geschrieben hat, um zu wissen, dass es unmöglich ist, eine                  Sri Aurobindo gelesen und begriffen hat. Religion und Yoga
Religion auf seinem Werk zu begründen, weil er für jedes Prob-              gehören nicht zur gleichen Ebene des Seins, und das spirituelle
lem, für jede Frage alle Aspekte darstellt und die in jeder Sicht-          Leben kann nur dann in seiner ganzen Reinheit bestehen, wenn
weise enthaltene Wahrheit aufzeigt; und er erklärt, dass man,               es von allem mentalen Dogma frei ist.
um die Wahrheit zu erreichen, eine Synthese leisten muss, die                                                             (CWM Vol 10, S. 95-96)

alle mentalen Begriffe übersteigt, und in einer Transzendenz
jenseits des Denkens auftauchen muss.                                                                      *

Der zweite Teil deiner Frage hat also keinen Sinn. Hättest du               Um Sri Aurobindo unsere Dankbarkeit zu zeigen, können wir
im übrigen gelesen, was im letzten Bulletin erschienen ist, so
                                                 1
                                                                            nichts Besseres tun, als ein lebendiges Beispiel seiner Lehre zu
würdest du die Frage nicht gestellt haben können.                           sein.
                                                                                                                             (CWM Vol 13, S. 28)

Ich wiederhole, wenn wir von Sri Aurobindo sprechen, kann
von Lehre nicht die Rede sein, ja nicht einmal von Offenbarung,                                           ***

                                                                                                                                         9
sondern von einem Wirken des Höchsten; und darauf kann
keine Religion begründet werden.
     1    Was Sri Aurobindo in der Weltgeschichte repräsentiert, ist kei-
ne Lehre, nicht einmal eine Offenbarung; es ist ein entscheidendes Wir-
ken unmittelbar vom Höchsten. (Bulletin, April 1961, S. 169)
Die Bedeutung des 15. August
Sri Aurobindos Rede am 15. August 1926

Ich werde heute einige Worte zum 15. Au-
 gust sagen. Es geht um eine Frage, die mir
kürzlich gestellt wurde und auf die ich eine
                                                  naheliegenden Gründen nicht auf den persönli-
                                                  chen Aspekt beziehen, sondern möchte etwas
                                                  Allgemeines darüber sagen, was es in Bezug
negative Antwort gab, um gewisse mentale          auf den Yoga, auf das gemeinsame Ziel, das
und konventionelle Meinungen zur Sache aus        wir alle anstreben, bedeuten kann und sollte.
dem Weg zu räumen.
                                                  Was dieses Ziel – dieser Yoga – ist, wisst
Ich werde jetzt von der positiven Seite der       ihr im Prinzip. Es ist das Herabbringen eines
Sache sprechen. Es gibt eine andere Seite von     Bewusstseins, einer Macht, eines Lichts, einer
ihr, und wenn es diese andere Seite nicht gäbe,   Wirklichkeit, die anders ist als das Bewusst-

10
wäre diese Feier nutzlos. Ich werde mich aus      sein, mit dem sich der gewöhnliche Mensch
Photo Title: Tiusda debis ende estde volorep erionemsit

auf Erden zufriedengibt: Ein Bewusstsein, eine
Macht und ein Licht der Wahrheit, eine Gött-
liche Wirklichkeit, die dazu bestimmt ist, das
irdische Bewusstsein zu erheben und alles
hier zu transformieren.

Das kann nur stattfinden, wenn es eine Ent-
scheidung von Oben ist. Aber es kann auch
erst dann stattfinden, wenn das Erdbewusst-
sein in irgendeinem Teil, in einigen von denen,
die hier auf diesen niederen Ebenen leben,
­empfangsbereit ist. Wenn dieses Bewusstsein,

                                                          11
diese Macht, erst einmal hier herabkommt,
dann ist es für alle Zeiten und jeden Tag für
diejenigen vorhanden, die willens und fähig
sind, es zu empfangen.
Aber wir haben diesem Tag         All das können wir nicht tun,                             Das ist die eine Bedeutung

                                                                        {
eine besondere Bedeutung          wenn wir an diesem Tag nach                               des 15. August vom Stand-
beigemessen, und das ist be-      außen gekehrt sind, sondern                               punkt unseres Yoga aus
rechtigt, wenn wir im Licht der   nur durch eine intensive Kon-
                                                                     „Was den Stand         gesehen.
Wahrheit leben, das er sym-       zentration, so dass das innere
bolisiert. Wir können diesen      Wesen bereit und nach oben
                                                                     der Arbeit betrifft,   Was den Stand der Arbeit
Tag als eine Wegmarke im          gerichtet ist, um das Licht zu                            betrifft, um zu sehen, wo ihr
Stadium des individuellen und     empfangen. In dem Maße,
                                                                     um zu sehen, wo
                                                                                            steht und wie weit die Arbeit
generellen Fortschritts sehen.    wie wir irgendeine nach au-
                                                                     ihr steht und wie      getan ist usw., dazu muss
Es ist ein Tag, der ein Tag der   ßen gerichtete Bewegung zu-                               man sich an bestimmte Dinge
Weihung sein sollte, ein Tag      lassen, stören wir das höhere
                                                                     weit die Arbeit ge-    erinnern. Mit dem Verstand
der Selbst-Prüfung, der Vor-      Wirken und verschwenden die                               kennt ihr sie.
bereitung auf den zukünftigen     Energie, die für die Arbeit des    tan ist usw., dazu
Fortschritt und wenn möglich      inneren Wandels notwendig                                 Als Erstes erinnert euch dar-
auf den Empfang einer be-         ist. Was immer anders getan        muss man sich an       an, dass die Ziele der anderen
sonderen Macht, welche die        wird als an gewöhnlichen                                  Yoga-Systeme für uns nur
Arbeit der Weiterentwicklung      Tagen, sollte entweder als         bestimmte Dinge        die ersten Stufen oder ersten
fortsetzen wird.                  ein Teil der Bewegung selbst                              Voraussetzungen sind. In den
                                  getan werden oder als etwas,       erinnern.“             früheren Yoga-Disziplinen
Dies kann in jedem Einzel-        das am Rande des Wesens                                   waren die Menschen zufrie-
nen nur gelingen, wenn er die     gehalten wird und die innere                              den, wenn sie das Brahmani-
wahre Haltung einnimmt und        Bewegung nicht stören kann.                               sche Bewusstsein oder das
an diesem Tag unter den rich-     Alle üblichen Umstände des                                kosmische Bewusstsein oder
tigen Voraussetzungen lebt.       Tages müssen für den Fort-                                irgendein herabkommendes
                                  schritt genutzt werden.                                   Licht und eine Macht, irgend-
Eben das meinte ich, als ich                                                                eine Andeutung des Unend-
anderntags davon sprach. Wir      Als ihr heute morgen zu                                   lichen spüren konnten.
sind es, die ihn in diesem Sin-   mir kamt, hätte sich das
ne zu einem entscheidenden        in Erfüllung einer üblichen                               Man gab sich damit zu-
Tag werden lassen können,         Zeremonie vollziehen sollen,                              frieden, wenn das mentale
und wir sind es, die helfen       jedoch mit eurer Seele und                                Wesen gewisse spirituelle Er-
können, ihn zu erfüllen.          eurem Mental in Bereitschaft                              fahrungen machte und einer
                                  zu empfangen. Wenn für euch                               partiellen Transformation
Dazu bedarf es einer Weihung      das, was ihr jetzt von mir hört,                          unterzogen wurde, die auch
im Voraus und eines Blicks        nur etwas ist, das euer menta-                            das vitale Wesen berührte.
nach innen in die Vergangen-      les Interesse berührt, und ein
heit, um zu sehen, wie weit       mentales Interesse befriedigt,                            Sie strebten nach einem sta-
wir gekommen sind, was in         dann würde ich es vorziehen                               tischen Zustand, und für sie
uns bereit ist, was sich noch     zu schweigen. Nur wenn es                                 war die Erlösung das letzte
nicht geändert hat, was noch      irgendwo das innere Wesen                                 Ziel, die äußerste Absicht.
geändert werden muss, was         berührt, die Seele, dann hat
noch hinten ansteht und auf       dieser Tag seinen Nutzen und                              All das zu verwirklichen, offen
eine vollständige Transforma-     Zweck erfüllt. Auch die Me-                               zu sein für das Unendliche
tion wartet und sich immer        ditation sollte unter solchen                             und die Universale Macht,
noch widersetzt und immer         Voraussetzungen stattfinden,                              ihre Berührung zu empfangen
noch dunkel ist. Eine Aspi-       so dass selbst, wenn nichts                               und Erfahrungen zu machen,
ration ist notwendig und ein      Entscheidendes herabkommt,                                vollkommen über das Ego
Herabrufen der Macht, um die      sie dennoch eine gewisse                                  hinauszugehen und das Uni-

12
Veränderung zu bewirken, die      Infiltration bewirkt, deren Aus-                          versale Mental, die Universale
wir als notwendig betrachten.     wirkung sich später zeigen                                Seele, den Universalen Geist
                                  wird.                                                     zu empfangen, das alles ist
                                                                                            nur die erste Voraussetzung.
{   „Dieser Yoga-Prozess beinhaltet ein
    umfassendes Ganzes, und jeder ein-

                                          13
    zelne Teil hängt vom anderen ab.“
Wir müssen dieses größere          verändern, wenn der äußere
     Bewusstsein direkt in unser        Mensch nicht transformiert
     vitales Wesen und in das           ist. Dieser Yoga-Prozess
     physische Wesen herabrufen,        beinhaltet ein umfassendes
     damit die höchste Ruhe und         Ganzes, und jeder einzelne
     Universalität hier in ihrer gan-   Teil hängt vom anderen ab.
     zen Fülle von oben bis unten       Deshalb wäre ein plötzliches
     gegenwärtig ist.                   Stehenbleiben auf dem Weg
                                        zwar eine Vorbereitung auf
     Wenn das nicht getan werden        ein anderes Leben, aber nicht
     kann, dann ist die erste Vor-      der Sieg. Alles muss verän-
     aussetzung der Transforma-         dert werden, bevor irgend-
     tion nicht erfüllt.                etwas auf Dauer geändert
                                        werden kann.
     Das Zweite, das wir wissen
     und an das wir uns erinnern        Das Dritte, an das wir uns
     müssen, ist, dass nichts           erinnern müssen, ist, dass es
     vollkommen getan ist, wenn         einer vollständigen Hingabe
     nicht alles vollkommen getan       bedarf, wenn alles verändert
     wird. Es genügt nicht, das         und getan werden soll.
     mentale und das vitale Wesen
     zu öffnen und das physische        Das bedeutet, dass es keinen
     Wesen seiner Dunkelheit zu         Vorbehalt geben darf, in
     überlassen.                        keinem Teil des Wesens,
                                        keinen Kompromiss mit ge-
     So kann im Zuge der Trans-         wöhnlichen Gedanken und
     formation auch das Mental          mit der menschlichen Art, die
     nicht transformiert werden,        Dinge zu tun. Wo auch immer
     sofern das Vital nicht trans-      irgendetwas zurückbehalten
     formiert ist. Und wenn das         wird, bedeutet das, dass die
     Vital nicht transformiert          Wahrheit nicht akzeptiert wor-
     ist, kann nichts verwirklicht      den ist und wir erneut in den
     werden; denn es ist das            alten Fehler einer nur teilwei-
     vitale Wesen, das verwirk-         sen Errungenschaft verfallen.
     licht. Wenn also das men-          Wir sollten das Feld nicht der
     tale Wesen nur teilweise           Unwissenheit überlassen.
     verändert ist und das vitale
     Wesen offen und auch nur           Für uns hier kann es keine
     teilweise verändert ist, dann      solchen Theorien, keine
     genügt dies nicht für unsere       solchen Kompromisse zwi-
     Absicht. Denn der gesamte          schen der Unwahrheit und
     Bereich des vitalen Wesens         der Wahrheit, zwischen dem
     kann nicht gewandelt werden,       Höchsten und der Niederen
     solange nicht auch das phy-        Natur geben.
     sische Wesen geöffnet und
     verändert ist, weil das gött-      Daran müssen wir uns er-
     liche Vital sich nicht in einem    innern, um den Stand unserer
     für es unpassenden Lebens-         Arbeit richtig einzuschätzen,

14
     milieu verwirklichen kann.         damit wir sehen, wie viel noch
                                        zu tun ist; dies jedoch nicht in
     Es genügt auch nicht, das          einem pessimistischen Geist,
     innere physische Leben zu          denn der Weg ist lang und
hart und führt uns nicht wie durch ein Wunder
                                                       zum Erfolg. Es kann nur durch eine weite und
                                                       umfassende Bewegung gelingen. Jeden Schritt
                                                       müsst ihr wie ein Zeichen setzen, wie eine Er-

Daran müssen wir                                       mutigung zu einem Schritt zu dem, was über uns
                                                       hinaus weist. Auf der einen Seite darf es nicht an

uns erinnern                                           Entschlossenheit und Strebsamkeit fehlen, um
                                                       den Sieg zu gewinnen, auf der anderen Seite darf
                                                       keine hastige Ungeduld oder Depression herr-
                                                       schen, sondern die ruhige Gewissheit des Gött-
                                                       lichen Willens, der ruhige Wille, dass es „in uns
All das zu verwirkli-       Das Zweite, das wir        getan werde“, und die Aspiration, dass es „für uns
chen, offen zu sein für     wissen und an das wir      getan werde, damit es für die Welt getan wird“.
das Unendliche und die      uns erinnern müssen,                               (Evening Talks with Sri Aurobindo -

Universale Macht, ihre      ist, dass nichts voll-                            A. B. Purani, third edition, S. 489-92)

Berührung zu empfan-        kommen getan ist,
gen und Erfahrungen         wenn nicht alles voll-
zu machen, vollkom-         kommen getan wird.
men über das Ego            Es genügt nicht, das
hinauszugehen und           mentale und das vitale
das Universale Mental,      Wesen zu öffnen und
die Universale Seele,       das physische Wesen
den Universalen Geist       seiner Dunkelheit zu
zu empfangen, das           überlassen...
alles ist nur die erste
Voraussetzung.              Das Dritte, an das wir
                            uns erinnern müssen,
Wir müssen dieses           ist, dass es einer voll-
größere Bewusstsein         ständigen Hingabe
direkt in unser vitales     bedarf, wenn alles
Wesen und in das phy-       verändert und getan
sische Wesen herabru-       werden soll.
fen, damit die höchste
Ruhe und Universalität
hier in ihrer ganzen Fül-
le von oben bis unten
gegenwärtig ist...

                                                                                                    15
Die Uttarpara-Rede
Diese berühmte Rede wurde am 30. Mai 1909 in Uttarpara bei einer Veran-
staltung des Dharma Rakshini gehalten, unmittelbar nachdem Sri Aurobindo
aus der Haft in Alipore entlassen worden war.

A   ls man mich einlud, hier bei der
    Jahresversammlung eures Sabha
zu sprechen, wollte ich eigentlich etwas
                                              verkünden muss. Zuerst ist es mir im
                                              Gefängnis mitgeteilt worden und ich bin
                                              aus dem Gefängnis gekommen, um es
                                                                                        Er war es, der damals aus seiner Abge-
                                                                                        schiedenheit herauskam, in die Gott ihn
                                                                                        gesandt hatte, damit er in der Stille und
zum heutigen Thema sagen: zur Hindu-          meinem Volk zu verkünden.                 Einsamkeit seiner Zelle das Wort hören
Religion. Nun weiß ich aber nicht, ob ich                                               möge, das Er ihm zu sagen hatte. Ihn

16
das tatsächlich tun soll, denn als ich hier   Vor mehr als einem Jahr war ich das       willkommen zu heißen, wart ihr damals
saß, da kam mir ein Wort in den Sinn,         letzte Mal hier. Damals war ich nicht     zu Hunderten gekommen. Jetzt ist er
dass ich euch mitteilen muss, ein Wort,       allein. Einer der mächtigsten Propheten   weit weg von uns, durch Tausende von
das ich der ganzen indischen Nation           des Nationalismus saß an meiner Seite.    Meilen von uns getrennt. Auch andere,
„Als ich ins Ge-
                                                                                                                               fängnis ging, war
                                                                                                                               das ganze Land
                                                                                                                               erfüllt vom Ruf
                                                                                                                               Bande Mataram,
                                                                                                                               voller Hoffnung,
                                                                                         Sri Aurobindo in der Mitte stehend.

                                                                                                                               eine Nation zu
                                                                                                                               werden...“
                                                                                        {
die ich bei der Arbeit neben mir zu finden   ist ein Gefangener in Burma. Ein anderer
gewohnt war, sind nicht anwesend. Der        befindet sich im Norden und schmachtet
Sturm ist über das Land gefegt und hat       in der Haft. Als ich heraus kam, sah ich
sie weit und fernhin verstreut. Heute bin    mich um. Ich sah mich nach jenen um,
ich es, der ein Jahr in der Abgeschieden-    zu denen ich für gewöhnlich empor-

                                                                                                                                           17
heit verbrachte. Und nun, nach meiner        schaute, um Rat und Inspiration zu
Freilassung, finde ich alles verändert.      erhalten. Ich fand sie nicht. Es war noch
Einer, der immer an meiner Seite saß und     mehr als dieses. Als ich ins Gefängnis
eng mit meinem Werk verbunden war,           ging, war das ganze Land erfüllt vom Ruf
Bande Mataram, voller Hoffnung, eine Nation zu werden, voller       Ich wusste um meine Freilassung. Dieses eine Jahr der Haft
hoffnungsvoller Menschen, die erst aus der Entwürdigung             war nur als ein Jahr der Abgeschiedenheit und des Trainings
aufgestanden waren. Als ich aus dem Gefängnis kam, lausch-          bestimmt. Wie konnte auch jemand mich länger im Gefäng-
te ich nach diesem Ruf, aber stattdessen herrschte Stille. Ein      nis festhalten, als es für Gottes Absicht notwendig war? Er
Schweigen war auf das Land gefallen und die Menschen waren          hatte mir aufgetragen, ein Wort zu verkünden und ein Werk
wie bestürzt; denn nun schien statt Gottes hellem Himmel, der       zu tun. Ich wusste, dass keine menschliche Macht mich zum
von der Schau der Zukunft erstrahlte, über unserem Haupt eine       Schweigen b
                                                                              ­ ringen konnte, bis dieses Werk getan war, dass
bleierne Wolkendecke zu sein, aus der menschlicher Donner           keine menschliche Macht Gottes I­nstrument stoppen konnte,
und Blitze niederzuckten. Keiner schien den einzuschlagenden        wie schwach oder klein auch dieses Instrument sein mag. Nun,
Weg zu kennen. Von allen Seiten tauchte die Frage auf: „Was         nach meiner Freilassung, ja sogar gerade in diesen wenigen
sollen wir als nächstes tun? Was können wir überhaupt noch          Minuten, ist mir ein Wort nahegelegt worden, das ich gar
tun?“ Auch ich wusste nicht, welchen Weg ich einschlagen soll-      nicht hatte sagen wollen. Das, was in meinem Sinn war, hat Er
te. Auch ich wusste nicht, was man als nächstes tun könnte.         hinausgeworfen, und was ich nun sage, geschieht unter einem
Aber eine Sache wusste ich: es war die Allgewaltige Macht Got-      inneren Drang und Zwang.
tes gewesen, die diesen Ruf und diese Hoffnung erweckte, und
so war es auch dieselbe Macht, die jene Stille herniedersandte.     Als man mich verhaftete und eilends in das Untersuchungsge-
Er, der in den Rufen und in den Bewegungen war, war nun auch        fängnis von Lal Bazar brachte, war ich eine Zeit lang in meinem
im Innehalten und in der Stille. Er sandte sie über uns, damit      Glauben erschüttert gewesen, denn ich konnte Seine Absicht
die Nation sich einen Augenblick lang in sich zurückziehen und      nicht erkennen. Darum schwankte ich für einen Augenblick und
in ihr Inneres schauen sollte, um Seinen Willen zu erkennen. Ich    flehte Ihn in meinem Herzen an: „Was geschieht da mit mir?
bin durch dieses Schweigen nicht entmutigt worden, da ich ja        Ich habe geglaubt, eine Aufgabe für mein Land, für mein Volk
in meinem Kerker mit dem Schweigen vertraut geworden war,           zu haben, und bis diese Aufgabe erfüllt wäre, stünde ich unter
und weil ich wusste, dass ich nur im Innehalten und in der Stille   Deinem Schutz. Warum bin ich dann hier und stehe unter solch
während des langen Jahres meiner Haft diese Lehre gelernt           einer Anklage?“ Ein Tag verging, ein zweiter und ein dritter Tag
hatte. Als Bipin Chandra Pal aus dem Gefängnis kam, kam er          vergingen, bis eine innere Stimme zu mir sprach: „Warte und
mit einer Botschaft, mit einer inspirierten Botschaft. Ich erin-    sieh“. Da wurde ich ruhig und wartete ab; ich wurde vom Lal
nere mich an die hier gehaltene Rede. Es war in ihrer Tragweite     Bazar nach Alipore gebracht und für einen Monat in eine Ein-
und in ihrer Absicht keine allzu politische Rede, als vielmehr      zelzelle gesperrt, abgesondert von den Menschen. Dort habe
eine religiöse Rede. Er sprach von seiner Verwirklichung im         ich Tag und Nacht auf Gottes Stimme in mir gewartet, um zu
Gefängnis, von Gott im Inneren von uns allen, vom Herrn im In-      hören, was Er mir zu sagen hatte, und zu lernen, was ich zu tun
neren der Nation, und in seinen darauffolgenden Reden sprach        hätte. In dieser Abgeschiedenheit hatte ich die erste Lektion,
er auch von einer Kraft in der Bewegung, die größer ist als         die erste Verwirklichung. Damals erinnerte ich mich, dass ich
die gewöhnliche, sowie von einem Ziel dieser Bewegung, das          einen Monat oder noch früher vor meiner Inhaftierung einen
größer ist als das gewöhnliche. Nun treffe auch ich wieder mit      inneren Ruf empfangen hatte, alle Aktivitäten ruhen zu lassen,
euch zusammen. Auch ich komme aus dem Gefängnis. Und                mich zurückzuziehen und nach innen zu gehen, um in innigere
wieder seid ihr es aus Uttarpara, die mich zuerst willkommen        Kommunion mit Ihm zu treten. Doch ich war schwach und
heißen, und zwar nicht bei einer politischen Versammlung, son-      konnte die Aufforderung nicht akzeptieren. Mein Werk war mir
dern bei der Tagung einer Gesellschaft für den Schutz unserer       sehr lieb und im Hochmut meines Herzens bildete ich mir ein,
Religion. Dieselbe Botschaft, welche Bipin Chandra Pal im           dass sie ohne mich leiden oder sogar scheitern und beendet
Gefängnis von Buxar e
                    ­ mpfangen hat, gab Gott mir in Alipore.        sein würde; deshalb konnte ich nicht von ihr lassen. Und dann
Dieselbe Erkenntnis schenkte Er mir Tag für Tag während der         schien mir, dass Er wieder zu mir sprach und dass Er sagte:
zwölf Monate meiner Inhaftierung, und diese Botschaft hat er        „Die Bindungen, die zu zerbrechen du nicht die Kraft besessen
mir geboten, euch nach meiner Freilassung zu verkünden.             hattest, habe ich für dich zerbrochen. Denn es ist nicht mein

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Wille, noch war es je meine Absicht, dass    Schwachen herumzutrampeln. Es erhebt
dieses so weitergehen solle. Ich habe ein    sich, um das ihm anvertraute ewige Licht
anderes Werk für dich zu tun. Für dieses     über die Welt hinaus strahlen zu lassen.
Werk habe ich dich hierher gebracht,         Indien hat immer für die Menschheit
um dich das zu lehren, was du nicht für      existiert, und nicht für sich selbst. Für die
dich allein lernen konntest, und um dich     Menschheit muss Indien groß werden
für mein Werk zu trainieren.“ Dann legte     und nicht für sich selbst.
Er die Gita in meine Hände. Seine Kraft
drang in mich ein und so konnte ich die      Als nächstes ließ Er mich die zentrale
Sadhana der Gita praktizieren. Ich konnte    Wahrheit der Hindu-Religion verwirk-
nicht nur intellektuell das verstehen, was   lichen. Er wandte mir die Herzen der Ge-
Sri Krishna von Arjuna verlangte, und        fängniswärter zu, und sie sagten zu dem
was Er von denen verlangt, die danach        Engländer, der für das Gefängnis ver-
trachten, Sein Werk zu tun, sondern ich      antwortlich war: „Er leidet in dieser Enge;
sollte ganz und gar frei werden vom Wi-      lassen sie ihn wenigstens morgens und
derwillen und Begehren, das Werk für Ihn     abends eine halbe Stunde draußen her-
tun ohne einen Anspruch auf die Frucht       umgehen.“ So geschah es, und während
des Wirkens, dem Eigenwillen entsagen,       meiner Spaziergänge trat Seine Kraft
ein passives und vertrauensvolles Werk-      wieder in mich ein. Ich schaute auf das
zeug in Seiner Hand werden, ein ausge-       Gefängnis, das mich von den Menschen
glichenes Herz besitzen gegenüber dem        trennte, und ich war nicht mehr in seinen
Hohen und dem Niederen, Freund und           hohen Mauern gefangen; nein, es war
Feind, Erfolg und Niederlage und doch        Vasudeva, der mich umgab. Ich wandelte
Sein Werk nicht nachlässig ausführen.        unter den Zweigen des Baumes meiner
Da verstand ich erst wirklich, was die       Zelle gegenüber; aber es war nicht der
Hindu-Religion bedeutet. Wir sprechen        Baum: ich erkannte Vasudeva, es war
oft von der Hindu-Religion, vom Sana-        Sri Krishna, den ich dort stehen und
tana Dharma [dem ewigen Gesetz]. Nur         mir seinen Schatten spenden sah. Ich
wenige unter uns wissen aber wirklich,       schaute auf die Gitterstäbe meiner Zelle,
was diese Religion ist. Andere Religio-      das Gitterwerk, das eine Tür darstellen
nen sind überwiegend Religionen des          sollte: und wieder sah ich Vasudeva. Es
Glaubens und des Bekenntnisses. Aber         war Narayana, der mich beschützte und
das Sanatana Dharma ist das Leben als        bewachte. Oder ich lag auf den rauen
solches. Es ist eine Sache, die man nicht    Decken, die man mir als Lagerstätte
so sehr glauben als leben muss. Das          gegeben hatte: und ich fühlte die Arme
ist das Dharma, das für die Rettung der      Sri Krishnas um mich, die Arme meines
Menschheit in der Abgeschlossenheit          Freundes, meines Geliebten. Auf diese
dieser Halbinsel seit alten Zeiten hoch-     Weise verwendete ich zunächst die
gehalten worden ist. Um diese Religion       tiefere Schau, die Er mir gab. Ich schaute
weiterzugeben, erhebt sich Indien. Es        auf die Inhaftierten im Gefängnis, die
erhebt sich nicht wie die anderen Natio-     Diebe, Mörder und Betrüger, doch als ich
nen um seiner selbst willen, um dann,        sie ansah, erblickte ich Vasudeva: es war
wenn es stark geworden ist, auf den          Narayana, den ich in diesen verfinster-

                                                                                             19
ten Seelen und misshandelten Körpern         und riefst du mich nicht an: „Wo ist Dein
fand. Unter diesen Dieben und Banditen       Schutz?“ Sieh dir jetzt den Richter an,
waren viele, die mich durch ihre Sym-        schau dir jetzt den Vertreter der Anklage
pathie und Freundlichkeit beschämten,        an.“ Ich schaute hin, und es war nicht der
und durch ihre Menschlichkeit, die über      Richter, den ich wahrnahm: es war Vasu-
solch widrige Umstände triumphierte.         deva, es war Narayana, der dort auf der
Besonders einen sah ich unter ihnen, der     Bank saß. Ich schaute auf den Staats-
mir ein Heiliger zu sein schien, ein Bauer   anwalt, und es war nicht der Anwalt,
aus meinem Volke, der weder lesen noch       den ich wahrnahm: es war Sri Krishna,
schreiben konnte, angeblich ein Bandit,      der dort saß, es war mein Freund und
der zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt      Geliebter, der dort saß und lächelte.
war, jemand, auf den wir in unserem pha-     „Fürchtest du dich noch?“ fragte Er. „Ich
risäischen Klassenstolz herabblicken als     bin in allen Menschen. Ich beherrsche
auf einen Ausgestoßenen. Und wieder          ihre Taten wie ihre Worte. Mein Schutz
sprach Er zu mir und sagte: „Schau dir       ist immer noch bei dir, und du sollst
die Menschen an, zu denen ich dich ge-       dich nicht fürchten. Überlasse diesen
schickt habe, um ein wenig von meiner        Prozess, der gegen dich angestrengt
Arbeit zu tun. Das ist das Wesen des         wird, meinen Händen. Er gilt nicht dir. Ich
Volkes, das ich erhebe, und der Grund,       habe dich nicht für die Gerichtsverhand-
warum ich es erhebe.“                        lung hierher gebracht, sondern wegen
                                             etwas anderem. Der Prozess selbst dient
Als der Prozess vor dem Unteren Ge-          nur meinen Absichten, mehr nicht.“ Als
richtshof eröffnet wurde und wir dem         der Prozess später vor dem Obersten
Richter vorgeführt wurden, war ich von       Gerichtshof eröffnet wurde, fing ich an,
der gleichen Einsicht begleitet. Er sprach   meinem Anwalt allerlei Instruktionen zu
zu mir: „Als du ins Gefängnis geworfen       schreiben, in welcher Hinsicht z.B. etwas
wurdest, stockte dir da nicht das Herz       in einer Zeugenaussage gegen mich

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nicht stimmte, und über welche Punkte         und wann immer ich etwas gefragt
die Zeugen ins Kreuzverhör genommen           wurde, stellte ich fest, dass meine Ant-
werden sollten. Da passierte etwas, was       worten dem Prozess nicht dienten. Ich
ich nicht erwartet hatte. Die Vorkehrun-      habe es Ihm überlassen, und Er hat es
gen, die zu meiner Verteidigung ge-           ganz und gar in Seine Hände genommen
troffen worden waren, wurden plötzlich        – das Resultat kennt ihr. Während des
geändert, und ein anderer Anwalt stand        ganzen Prozesses wusste ich, was Er
da, mich zu verteidigen. Er kam unerwar-      für mich bestimmt hatte, denn ich habe
tet, war einer meiner Freunde, aber ich       es immer wieder gehört; immer hörte
hatte nicht gewusst, dass er kam. Ihr alle    ich die innere Stimme: „Ich lenke die
habt den Namen des Mannes erfahren,           Geschicke, deshalb fürchte dich nicht.
der alles andere stehen und liegen ließ,      Widme dich deiner eigenen Arbeit, wofür
seine Praxis aufgab, monatelang Tag           ich dich ins Gefängnis gebracht habe,
für Tag und die halbe Nacht dasaß und         und wenn du herauskommst, erinnere
seine Gesundheit aufs Spiel setzte, um        dich daran: fürchte dich niemals, zögere
mich zu retten, Srijut Chittaranjan Das.      niemals. Erinnere dich, dass ich es bin,
Als ich ihn sah, war ich beruhigt, hielt es   der handelt, nicht du noch irgendjemand
aber immer noch für notwendig, Instruk-       sonst. Deshalb ist nichts unmöglich,
tionen zu erteilen. Dann wurde all das        nichts schwierig, gleich welche Wolken
von mir weggeschoben, denn ich hörte          auch aufziehen mögen, welche Gefahren
die innere Botschaft: „Dies ist der Mann,     und Leiden, welche Schwierigkeiten, ja
der dich von allen Fußangeln befreien         welche Unmöglichkeiten. Ich bin im Volk
wird. Leg deine Notizen beiseite. Nicht       und seinem Aufbruch, und ich bin Va-
du, sondern ich werde ihn instruieren.“       sudeva, bin Narayana; und was ich will,
Von da an habe ich zu meinem Anwalt           wird sein, nicht, was andere wollen. Was
kein Wort mehr zu dem Prozess gesagt,         ich will, kann keine menschliche Macht
noch einen einzigen Hinweis gegeben,          verhindern.“

                                                                            21
Inzwischen hatte Er mich aus der Abge-       das Werk doch getan werden. Wenn
     schiedenheit herausgenommen und zu           du morgen außen vor bist, hier sind die
     meinen Mitangeklagten verlegt. Ihr habt      jungen Männer, die deine Arbeit auf-
     heute viel von meiner Selbstaufopferung      nehmen werden und sie werden sie viel
     und von meiner Hingabe an das Land           machtvoller tun, machtvoller als du es
     gesprochen. Diese Reden höre ich seit        je getan hast. Du hast von mir lediglich
     ich aus dem Gefängnis bin, aber ich höre     eine gewisse Stärke bekommen, um zu
     sie mit einem Gefühl der Verlegenheit,       dieser Nation ein Wort zu sprechen, dass
     einem Schmerz. Denn ich weiß um mei-         sie emporzuheben vermag.“ Das war das
     ne Schwäche, ich bin ein Opfer meiner        Nächste, was Er zu mir sprach.
     eigenen Fehler und meiner Rückfälle.
     Schon früher waren sie mir bewusst,          Dann geschah es plötzlich, dass ich
     aber als sie sich während der Abgeschie-     augenblicklich wieder in die Abgeschie-
     denheit gegen mich erhoben, da fühlte        denheit meiner Einzelzelle verlegt wurde.
     ich sie äußerst stark. Da wusste ich,        Was während dieser Zeit mit mir ge-
     dass ich, der Mensch, nur eine schwäch-      schah, muss ich nicht sagen, außer dass
     liche Masse war, ein fehlerhaftes und        Er mir Tag für Tag seine Wunder zeigte
     unvollkommenes Instrument, das nur           und dass Er mich die tiefste Wahrheit
     dann stark war, wenn eine höhere Macht       der Hindu-Religion wirklich erfahren ließ.
     von mir Besitz ergriff. Und dann fand        Früher hatte ich viele Zweifel gehabt.
     ich mich unter diesen jungen Männern         Ich war in England mitten unter fremden
     wieder, und entdeckte in vielen von ihnen    Gedankengut und in einer völlig fremden
     einen kraftvollen Mut, eine kraftvolle       Atmosphäre erzogen worden. Bei vielen
     Zurückhaltung, gegen die ich einfach ein     Dingen im Hinduismus war ich einst
     Nichts war. Einen oder zwei sah ich dort,    geneigt anzunehmen, sie seien reine Ein-
     die mir nicht nur an Kraft und Charakter     bildungen, viel Träumerei, viel Irrglauben
     überlegen waren – das waren sehr viele       und Maya. Jetzt aber erfuhr ich wirklich
     von ihnen –, sondern auch an jener viel-     in meinem Verstand die Wahrheiten
     versprechenden intellektuellen Befähi-       der Hindu-Religion, ich realisierte sie in
     gung, auf die ich so stolz war. Da sagte     meinem Herzen und ich realisierte sie in
     Er mir: „Das ist die junge Generation, die   meinem Körper. Sie wurden für mich zu
     neue und mächtige Nation, die sich auf       lebendigen Erfahrungen. Es wurden mir

22
     mein Gebot erhebt. Diese jungen Leute        Dinge geoffenbart, die keine materielle
     sind größer als du. Was hast du noch         Wissenschaft erklären könnte. Als ich
     zu fürchten? Auch wenn du daneben            mich Ihm zuerst nahte, geschah das
     stehen oder schlafen würdest, so würde       ganz und gar nicht im Geiste des Bhakta,
auch nicht im Geiste des Jnani. Ich kam       in dem, was ich am meisten begehrte,
zu Ihm vor langer Zeit in Baroda, einige      wurde ich nicht befriedigt. Dann habe ich
Jahre bevor die Swadeshi-Bewegung be-         in der Abgeschiedenheit des Gefängnis-
gann und ich in der Öffentlichkeit stand.     ses in der Einzelzelle wiederum darum
                                              gebeten. Ich sprach: „Gib mir Deinen
Als ich mich damals Gott nahte, hatte         Adesh [Weisung]. Ich weiß nicht, was für
ich kaum einen lebendigen Glauben an          ein Werk ich tun soll, oder wie ich es tun
Ihn. In mir steckte der Agnostiker, in mir    soll. Gib mir eine Botschaft.“ In der Ge-
steckte der Atheist, der Skeptiker steckte    meinschaft mit Ihm im Yoga kamen zwei
in mir, und ich war mir absolut nicht         Botschaften. Die erste Botschaft sagte:
sicher, ob Gott überhaupt existierte. Ich     „Ich habe dir ein Werk übertragen; es soll
fühlte Seine Gegenwart nicht. Und doch        dazu beitragen, diese Nation emporzu-
zog mich etwas hin zur Wahrheit des           heben. Bald wird die Zeit kommen, da
Veda, zur Wahrheit der Gita, zur Wahr-        du das Gefängnis verlassen sollst, denn
heit der Hindu-Religion. Ich fühlte, dass     es ist nicht mein Wille, dass du verurteilt
irgendwo in diesem Yoga eine mächtige         wirst, oder wie die anderen die Zeit im
Wahrheit sein musste, eine mächtige           Leiden für ihr Land verbringen musst.
Wahrheit in dieser Religion, die sich auf     Ich habe dich für ein Werk berufen, und
den Vedanta gründete. Als ich mich dann       das ist die Weisung, um die du gebeten
dem Yoga zuwandte und entschlossen            hast. Ich gebe dir die Weisung, voran-
war, ihn zu praktizieren, um herauszu-        zuschreiten und mein Werk zu tun.“ Die
finden, ob meine Idee richtig sei, da tat     zweite Botschaft kam mit den Worten:
ich es in diesem Geist und mit diesem         „Es ist dir in diesem Jahr der Abgeschie-
Gebet an Ihn: „Wenn Du bist, dann kennst      denheit etwas gezeigt worden, etwas
Du mein Herz. Du weißt, dass ich nicht        worüber du deine Zweifel hattest, und
um Mukti [persönliche Erlösung] bitte.        das ist die Wahrheit der Hindu-Religion.
Ich bitte Dich nicht um etwas, was die        Es ist diese Religion, die ich vor der Welt
anderen erbitten. Ich bitte Dich nur um       emporhebe. Es ist diese Religion, die ich
die Kraft, diese Nation emporheben zu         durch die Rishis, Heiligen und Avatare
können. Ich bitte Dich nur, dass es mir er-   vervollkommnet und entfaltet habe, und
laubt werde, für dieses Volk, das ich liebe   jetzt kommt sie hervor, um mein Werk
und verehre, zu leben und zu wirken und       unter den Nationen zu tun. Ich erhebe

                                                                                            23
dass ich ihm mein Leben weihen darf.“         jetzt diese Nation, um mein Wort auszu-
Ich habe lange um die Verwirklichung          senden. Das ist das Sanatana Dharma,
des Yoga gerungen. Schließlich hatte ich      das ist die ewige Religion, die du bisher
sie bis zu einem gewissen Grad. Aber          nicht wirklich gekannt hast, die ich dir
„Das ist also die
     Botschaft, die ich
     euch zu verkün-
     den habe...“

     {
                          aber nun enthüllt habe. Dem Agnosti-
                          ker und Skeptiker in dir ist geantwortet
                          worden, denn ich habe dir sowohl in
                          deinem Inneren wie in deinem Äußeren
                          subjektive und physische Beweise ge-
                          geben, die dich zufrieden gestellt haben.
                          Wenn du nun nach außen trittst, sprich
                          zu deiner Nation stets dieses Wort, dass
                          sie sich für das Sanatana Dharma erhebt,
                          dass es für die Welt geschieht und nicht
                          für sich selbst. Ich gebe ihr Freiheit, um
                          der Welt zu dienen. Wenn man also sagt,
                          Indien solle wieder auferstehen, dann ist
                          es das Sanatana Dharma, das auferste-
                          hen soll. Wenn man sagt, Indien soll
                          groß werden, dann ist es das Sanatana
                          Dharma, das groß werden soll. Wenn
                          man sagt, Indien soll sich über die Welt
                          ausweiten und ausdehnen, dann ist es
                          das Sanatana Dharma, das sich über die
                          Welt ausweiten und ausdehnen soll. Für
                          dieses Dharma und durch dieses Dharma
                          existiert Indien. Die Religion groß zu
                          machen bedeutet, dass man das Land
                          groß macht. Ich habe dir gezeigt, dass
                          ich überall bin, in allen Menschen und in

24
                          allen Dingen, dass ich in dieser Bewe-
                          gung bin und nicht nur in jenen wirke, die
                          für das Land k
                                       ­ ämpfen, sondern auch in
                          jenen wirke, die ihnen Widerstand leisten
wie wir unsere Rolle in diesem Lila am
                                                                                            besten spielen können, und uns dessen
                                                                                            subtilsten Gesetze und edelsten Regeln
                                                                                            enthüllt. Sie ist die einzige Religion, die
                                              hat, weil sie in diesem heiligen und alten    selbst im kleinsten Detail das Leben
                                              Land der arischen Rasse als Vermächt-         nicht von der Religion trennt. Sie weiß
                                              nis übergeben wurde, damit diese sie          was Unsterblichkeit ist, und hat darum
                                              durch die Epochen hindurch erhält. Diese      die Wirklichkeit des Todes völlig von uns
                                              ewige Religion wird aber nicht durch          weggenommen.
und ihnen im Wege stehen. Ich wirke           die Grenzen eines einzelnen Landes
in jedermann. Was die Menschen auch           umschrieben, sie gehört nicht für immer       Das ist das mir in den Mund gelegte
denken und tun mögen, sie können gar          einem bestimmten umgrenzten Teil der          Wort, um es heute zu verkünden. Was
nichts anderes tun als mir bei meinem         Welt. Was wir die Hindu-Religion nennen,      ich eigentlich sagen wollte, wurde mir
Plan zu helfen. Auch sie tun mein Werk;       ist in Wirklichkeit die ewige Religion,       genommen und über das mir Gegebe-
sie sind nicht meine Feinde, sondern          denn sie ist die universale Religion, die     ne hinaus, habe ich nichts zu sagen.
meine Instrumente. Bei all euren Aktio-       alle anderen umfasst. Ist eine Religion       Denn ich kann nur das Wort verkünden,
nen bewegt ihr euch vorwärts, ohne den        nicht universal, dann kann sie nicht ewig     was mir gegeben wurde. Dieses Wort
Weg zu kennen. Ihr meint eine bestimm-        sein. Eine enge Religion, eine sektiereri-    ist gesprochen. Ich habe früher einmal
te Sache zu tun, und dabei tut ihr eine       sche Religion, eine ausschließende Reli-      mit derselben Kraft in mir geredet und
ganz andere. Ihr arbeitet auf ein Ergebnis    gion kann nur für eine begrenzte Zeit und     damals gesagt, dass diese Bewegung
hin, und dabei dienen eure Bemühungen         nur für einen begrenzten Zweck leben.         keine politische Bewegung und der Nati-
einem ganz anderen wenn nicht gar ent-        Dies ist die einzige Religion, die über den   onalismus keine Politik sei, sondern eine
gegengesetztem Ziel. Es ist die Shakti,       Materialismus triumphieren kann, da sie       Religion, eine Überzeugung, ein Glaube.
die hervorgekommen ist und vom Volk           die Entdeckungen der Wissenschaft und         Heute sage ich das wieder, drücke es
Besitz ergriffen hat. Seit langer Zeit habe   die Spekulationen der Philosophie in sich     aber anders aus. Ich sage nicht mehr,
ich diese Erhebung vorbereitet. Jetzt ist     einbezieht und vorwegnimmt. Es ist die        dass Nationalismus eine Überzeugung,
die Zeit für sie gekommen und ich allein      einzige Religion, die der Menschheit die      eine Religion, ein Glaube sei. Ich sage,
werde sie zu ihrer Vollendung bringen.“       Nähe Gottes zu uns vermittelt, und die        es ist das Sanatana Dharma, das für
                                              alle möglichen Mittel einbezieht, durch       uns zum Nationalismus geworden ist.
Das ist also die Botschaft, die ich euch      die der Mensch sich Gott nahen kann.          Diese Hindu-Nation ist mit dem Sana-
zu verkünden habe. Der Name eurer             Sie ist die einzige Religion, die in jedem    tana Dharma geboren worden, und mit
Vereinigung heißt „Gesellschaft für           Augenblick auf der von allen Religionen       diesem bewegt sie sich und mit diesem
den Schutz der Religion“. Sehr wohl:          anerkannten Wahrheit besteht, dass Er         wächst sie. Wenn das Sanatana Dharma
der Schutz der Religion, der Schutz der       in allen Menschen und in allen Dingen         untergeht, dann geht auch die Nation
Hindu-Religion und ihre Erhebung vor          ist, und dass wir uns in Ihm bewegen          unter, und wenn das Sanatana Dharma
der Welt, das ist die vor uns liegende        und sind. Sie ist die einzige Religion,       zugrunde gehen würde, dann müsste
Arbeit. Was aber ist die Hindu-Religion?      durch die wir diese Wahrheit nicht nur        auch die Nation zusammen mit dem
Was ist diese Religion, die wir Sanatana,     verstehen und glauben, sondern sie mit        Sanatana Dharma zugrunde gehen. Das
ewig, nennen? Es ist nur aus dem Grund        jedem Teil unseres Wesens verwirklichen       Sanatana Dharma, das ist der Nationalis-

                                                                                                                         25
die Hindu-Religion, weil die Hindu-Na-        können. Sie ist die einzige Religion, die     mus. Das ist die Botschaft, die ich euch
tion sie bewahrt hat, weil sie sich in der    der Welt zeigt, was die Welt ist: dass        zu verkünden habe.
Abgeschlossenheit auf dieser Halbinsel        sie das Lila [Spiel] von Vasudeva ist. Sie                               (CWSA Vol 8, S. 3-12)

zwischen Meer und Himalaya entwickelt         ist die einzige Religion, die uns zeigt,
Nirodbharan
SRI AUROBINDO –
DER MODERNE AVATAR
            Eine Ansprache von Nirodbharan

26
Freunde, ihr werdet mir den                                              „Ihr werdet zwei Dinge se-
                       auffälligen Titel, den ich
                       meiner Rede gegeben habe,                                                hen: die Lockerheit meiner
                       verzeihen. Doch ich hoffe, ihn
                       begründen zu können.                                                     Ausdrucksweise und die

                       Ich beginne mit einigen                                                  Tonart von Sri Aurobindos
                                                        Sri Aurobindo: Was? Wel-
                       unveröffentlichten Teilen
                       meines Briefwechsels mit
                                                        ches? Wo? Wie? Welche                   Antwort, die beide unsere
                                                        Krankheit? Welche Medizin
                       Sri Aurobindo, irgendwann
                       in 1936, als eine unerklärlich
                                                        wird gebraucht?                         gute Beziehung bezeugen.“
                       gute Beziehung zwischen der
                       Supramentalen Gottheit und       Am nächsten Tag musste ich

                                                                                         {
                       dem mentalen Hundekopf           Sri Aurobindo meine kryp-

                       hergestellt worden war, der      tische Ausdrucksweise ein

                       gleichwohl der ersteren eige-    wenig erläutern:

                       ner menschlicher Teil war.
                                                        Frage: Ich schicke Euch Euer

                       Zur Zeit des folgenden Brief-    großes Foto; es ist Euer Foto,   bedeuten hier die Zeitform
                       wechsels war ich für die Apo-    das von Sanjiban gemalt          und der psychologische und
                       theke verantwortlich:            werden würde.                    metaphysische Beiklang des
                                                                                         „werden würde“?
                       Frage: Mein großes Foto be-      Sri Aurobindo: Du stürzt

                       nötigt Sanjibans Bearbeitung.    mich in immer neue Myste-        Ihr werdet zwei Dinge sehen:
                       Erlaubnis gewährt?               rien. Wenn es ein Foto ist,      die Lockerheit meiner Aus-
                                                        wie kann es von jemandem         drucksweise und die Tonart
                                                        gemalt werden? Und was           von Sri Aurobindos Antwort,
                                                                                         die beide unsere gute Be-
                                                                                         ziehung bezeugen. Im Laufe
                                                                                         der Zeit verstärkte sich diese
                                                                                         gute Beziehung allmählich,
                                                                                         bis sie eines Tages ganz
                                                                                         ungezwungen wurde, – alle
                                                                                         guten Beziehungen entwi-
                                                                                         ckeln sich so, – und ich ihn
                                                                                         donnern hörte: „Warum zum
                                                                                         Teufel willst du Dinge aus
                                                                                         meinem Leben wissen?“ Nun,
                                                                                         statt eingeschüchtert zu sein,
                                                                                         hüpfte mein Herz vor Freude
                                                                                         und sprang mir fast aus der
                                                                                         Brust! Weil dieses Donnern
                                                                                         keine Schärfe hatte, – es war
                                                                                         voller Süße. Dann folgte eine
                                                                                         Reihe solcher Ausdrücke
                                                                                         aus dem niederen Sprachge-
                                                                                         brauch wie „Verdammt“, „Zur
                                                                                         Hölle“, „Zum Teufel“ et cetera
Sri Aurobindo Ashram

                                                                                                                          27
                                                                                         und ihrer Gegensätze „Ewi-
                                                                                         ger“, „Zum Jehova“, „Shoban
                                                                                         Allah“ [Allah sei gepriesen;
                                                                                         Anm. d. Übers.], „Gütiger Him-
„Diese wenigen Auszüge aus unserem Briefwech-
 sel sollten euch von der Angemessenheit des
 Titels meiner Rede überzeugen, denn Sri Auro-
 bindo ist ein moderner Avatar ... und nur weil Sri
 Aurobindo ein moderner Avatar ist, bin ich hier.
 Ein Materialist wie ich konnte in einer spirituellen
 Institution keinen Platz finden, außer es war ein
 moderner Ashram...“

28
mel“, „Oh Gott“ und so weiter. So könnt ihr an          Tatsache. Nehmt z. B. die
                                                    diesen Ergüssen die Tiefe, die Intensität und           Tennis spielende Mutter. Und
                                                    das Ausmaß unserer guten Beziehung sehen.               doch lachten wir über Anni
                                                    Nicht nur „Hundekopf“, sondern viele andere             Besants Messias, Krishna-
                                                    Schimpfnamen warf er mir an den Kopf: Holz-             murthy, als er anfing Tennis
                                                    kopf, Depp, Esel, Idiot. Ich machte gute Miene          zu spielen. Oder nehmt Sri
                                                    zum ‚bösen Spiel‘ und wartete auf den Tag, an           Aurobindos Korrespondenz,
                                                    dem ich es ihm mit witzelndem Spott über sei-           die umfangreiche Korrespon-
                                                    nen Supermind zurückzahlen könnte. Dieser               denz, die er Jahr um Jahr, Tag
                                                    Tag kam. Aber die verbale Lockerheit hörte              für Tag weiterführte und in
                                                    hier nicht auf, gewiss – ich hatte sie ziemlich         der er verschiedenen Leuten
                                                    oft verbrochen, und er musste mich immer                dasselbe Thema ausführlich
                                                    wieder hochholen.                                       erklärte. Er versuchte, sie zu
                                                                                                            überzeugen, mit ihnen Punkt
                                                    Diese wenigen Auszüge aus unserem Brief-                um Punkt zu besprechen, sie
                                                    wechsel sollten euch von der Angemessenheit             auf seine Sicht der Dinge ein-
                                                    des Titels meiner Rede überzeugen, denn Sri             zustimmen. Einige Leute, wie
                                                    Aurobindo ist ein moderner Avatar. Er mag un-           ich selbst, griffen seinen Yoga
                                                    ter verschiedenen Gesichtspunkten betrachtet            an und bestritten seine Ava-
                                                    werden; aber meine eigene Sicht ist diese: nur          tarschaft, und trotzdem ver-
                                                    weil Sri Aurobindo ein moderner Avatar ist, bin         suchte er mit unendlicher Ge-
                                                    ich hier. Ein Materialist wie ich konnte in einer       duld das moderne Mental und
                                                    spirituellen Institution keinen Platz finden,           den Zeitgeist zu verstehen
                                                    außer es war ein moderner Ashram und der                und uns die Dinge zu erklä-
                                                    Guru war ebenfalls modern – in der Gestalt              ren, bis wir überzeugt waren.
                                                    Sri Aurobindos. Und ich bin glücklich sagen             Oder, wenn es nicht mög-
                                                    zu können, dass es viele andere gibt, die diese         lich war, uns zu überzeugen,
                                                    Ansicht teilen. Wegen dieses Beweises bin ich           tolerierte er uns, bis er eines
                                                    sicher, alle werden einstimmig zugestehen,              Tages in einem seiner Briefe
                                                    dass es keinen moderneren Ashram als die-               über die Sadhaks in seinem
                                                    sen gibt. Vergleicht ihn mit Ramana Mararshis           Ashram schrieb: „Es ist so, als
                                                    Ashram oder der Ramakrishna Mission, –                  ob uns durch ihr Hierbleiben
                                                    unsere Modernität ist eine zu offensichtliche           ein Gefallen getan würde!“

                                                {
                                                                                                            Und ein anderes Mal schrieb
                                                                                                            er in einer Anwandlung von
                                                                                                            selbstentlarvender Heiterkeit
                                                                                                            oder was immer es war: „Die
                                                    „Wozu ich euch eingeladen habe, ist, mit mir zu-        bloße Tatsache, dass ich mit
Photo Title: Sri Aurobindo Ashram Pondicherry

                                                                                                            den Sadhaks jede Nacht über
                                                    sammen in unserem Briefwechsel, der verschiedene
                                                                                                            acht bis neun Stunden einen
                                                    Themen umfasst – spirituelle, medizinische, poeti-      Briefwechsel führe, sollte zur
                                                    sche et cetera, – ein Fest Supramentaler Leichtigkeit   Genüge beweisen, dass ich
                                                                                                            ein Avatar bin.“
                                                    zu teilen und sich daran zu erfreuen.“

                                                                                                                               29
Dann gab es den Fall eines Sadhaks, der in den frühen Ashram-
tagen die Aufgabe bekam, auf das Eingangstor zu achten. Statt
die Pforte im Auge zu behalten, beschäftigte er sich immer mit
Lesen, und wenn er nicht las, schlief er. Er kümmerte sich nicht
darum, wer kam und ging. Dies wurde der Mutter berichtet,
die jemanden schickte um ihn zu fragen: „Es scheint, Du liest,
statt deine Pflicht tu tun?“ Der Mann antwortete: „Nun, ich kann
nichts dafür, es ist meine Schwäche.“ Hier hörte die Sache auf.
Und ich habe in einem oder zwei Fällen gesehen, wie Sadhaks
die Mutter direkt beschimpften, – was uns alle entsetzte. Aber
sie blieb ruhig, verdaute all die Beleidigungen, die ihr entgegen-
geschleudert wurden.

Nun, ich will nicht auf eine tiefgründige Philosophie des Avatar-
Seins eingehen, um zu zeigen, dass Sri Aurobindo ein Avatar
ist. Oder um ihn auf die Liste der Avatare zu setzen oder um
den modernen Charakter seines Yoga darzulegen. Das ist
alles nicht mein Gebiet. Ich bin ein einfacher Mann und ich
beschäftige mich mit einfachen Dingen. Wozu ich euch ein-
geladen habe, ist, mit mir zusammen in unserem Briefwechsel,
der verschiedene Themen umfasst – spirituelle, medizinische,
poetische et cetera, – ein Fest Supramentaler Leichtigkeit zu
teilen und sich daran zu erfreuen. Die Auszüge, die ich gewählt
habe, sind kurz, scharf wie ein Wasserstrahl und funkelnd
vor Humor. In diesem Zusammenhang werden wir an eine
mächtige Feder erinnert, – jene Shakespeares. Sri Aurobindo
schrieb mir einmal: „Nicht jeder Speer erschüttert.“ Ich würde
mir erlauben zu sagen, Sri Aurobindos Speer erschütterte
stärker als Shakespeares! Ich würde sogar weitergehen und
sagen, dass Sri Aurobindo sein eigenes Selbst übertroffen hat,
denn ich glaube fest, dass Sri Aurobindo Shakespeare war.
Über Shakespeare wurde auch berichtet, dass er nie eine Zeile
durchstrich. Dasselbe kann mit noch mehr Fug und Recht und
größerer Anerkennung von Sri Aurobindo gesagt werden, denn
der ganze Band seiner Korrespondenz wurde in Blitzgeschwin-
digkeit verfasst, – manchmal wie in einer Flut des Ganges oder
Brahmaputras. Es gibt einen modernen Zug, den unser Freund
Purani hervorgehoben hat. Während der frühen Ashramjahre
berührte Sri Aurobindos Fuß versehentlich den Amritas. Sri
Aurobindo richtete sich auf seinem Stuhl auf und sagte: „Ich

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bitte um Entschuldigung.“ Nun, ein Guru, der sich bei seinem         Sri Aurobindo: Guter Gott! Welch` ein Falstaff von Füllfederhal-
Schüler entschuldigt, – wenn das nicht modern ist, weiß ich          ter! Aber es ist nicht der Füller, der für die Knauserigkeit verant-
nicht, was es ist!                                                   wortlich ist; die Zeit ist der Verbrecher, und mit einem dicken
                                                                     Füller kann sie genauso geizig sein wie mit einem mageren.“
Um weiterhin die Lockerheit meiner Ausdrucksweise zu veran-
schaulichen, biete ich das Folgende an: „Das Wort ‚Fokus‘ war                                         *
unverständlich? Aber Ihr versteht es richtig. Ich bediene mich
dieses Mittels und ‚Eurer Aufmerksamkeit‘, um Euch und mir           Nun kommen wir zum Thema ‚Pranam‘. Ich bin sicher, viele
Zeit zu sparen, wie offensichtlich ist.“                             von euch sind mit den zahlreichen Briefen vertraut, die Sri
                                                                     Aurobindo über die Schmähung und den Missbrauch des
Sri Aurobindo schrieb als Antwort: „Guter Gott! Ist das Hebrä-       Pranams durch die Sadhaks und Sadhikas geschrieben hat.
isch oder Aramäisch oder Suaheli? Ich kann kein Wort ver-            In der neuesten Ausgabe von Mother India gibt es einen Brief
stehen. Welches Mittel? Welche Aufmerksamkeit? Irgendein             zu genau diesem Thema. Aus dem Pranam als spirituelle
Bezug zu etwas, das ich geschrieben habe? Wenn das so ist,           Funktion haben wir zu unserer Schande eine dramatische Auf-
ist es völlig aus meinem Kopf verschwunden. Das ist übrigens         führung gemacht. Weit davon entfernt, das aufzunehmen, was
eine Redensart, denn ich habe nie etwas in meinem Kopf.“             Mutter uns gab, versuchten wir, ihr Verhalten jedem Sadhak
                                                                     und jeder Sadhika gegenüber zu beobachten: ob sie einen
Am nächsten Tag schrieb ich ihm eine Entschuldigung: „Dies           Sadhak anlächelte oder überhaupt nicht lächelte; wie sehr sie
letzte Weglassen tut mir leid. Ich wollte schreiben – ‚ich ver-      lächelte; ob sie einen Sadhak mit einem oder mit zwei Fingern
wendete das Mittel‘ und ließ das „Eure Aufmerksamkeit“ weg,          oder nur mit der Fingerspitze berührte; ob sie ihn überhaupt
um Zeit zu sparen. Ich sehe, dass ich das Wort ’weggelassen‘         nicht angeschaut hatte; ob sie mich angeschaut hatte; warum
ganz rausgeworfen habe. Daher ist es Hebräisch, Aramäisch            sie mich nicht angeschaut hatte, welches Verbrechen hatte ich
oder …? geworden. Ich kann das letzte Wort nicht lesen.“             begangen? et cetera. Und das ganze Pranam und der ganze
                                                                     Tag waren verdorben. Ich war keine Ausnahme, und hier ist ein
Seine Antwort: „Suaheli. Afrikanische Sprache, Sir, irgendwo in      Brief, der dies beweist:
Westafrika.“
                                                                     Frage: Guru, ich weiß nicht, warum Mutter mich so angeschaut
Soviel zu meinen Flüchtigkeitsfehlern. Eines Tages entdeckte         hat. Habe ich irgendetwas falsch gemacht?
ich so einen Fehler in seinem Schreiben. Ich schrieb ihm: „Was,
Sir! ‚Expect‘ [dt. erwarten] ist zu ‚except‘ [dt. außer] geworden.   Sri Aurobindo: Mutter weiß nichts davon.
Ist dies ein supramentaler Flüchtigkeitsfehler? Hurra!“
                                                                     Frage: Ich habe alles noch einmal überdacht und konnte
Sri Aurobindo antwortete: „Willst du sagen, es ist der erste, den    nirgendwo sehen, dass ich Tatsachen in der Apotheke falsch
du gefunden hast? Früher machte ich in der Eile des Schrei-          dargestellt habe.
bens zehn pro Seite. Offenbar erreiche ich eine supramentale
Fehlerfreiheit, – spontan und sorglos trotz der Blitzgeschwin-       Sri Aurobindo: Nein.
digkeit meiner Schreibbewegung.“
                                                                     Frage: … Oder war es, weil ich mich und Euch wegen einer
Eines Tages schickte ich ihm einen Füllfederhalter und schrieb:      Kleinigkeit plagte?
„Ihr werdet etwas in meiner berühmten Tasche finden, Sir, das
Euch erstaunen mag. Die Größe wird richtig für Euch sein, aber       Sri Aurobindo: Nein.

                                                                                                                            31
die Feder vielleicht nicht. Ich schicke Euch den Füller, damit
Euer Schreiben in Strömen in mein Notizbuch fließen möge, –          Frage: Es war keine Einbildung. Es lag eine Bedeutung darin.
nicht nur in einigen mageren Zeilen.“
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