Lebendige Vergangenheit - Boris Christoff II
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Boris Christoff wurde am 18. Mai 1914 in Plovdiv bei Sofia geboren. Die Familie war äußerst wohlhabend und ermöglichte dem Sohn die bestmögliche Erziehung und Bildung. Bereits in sehr frühen Jahren zeigte sich seine Liebe zur Musik, die auch ge- fördert wurde. Als Zehnjähriger sah er seine erste Opernaufführung (Webers „Freischütz“) und seit jener Vorstellung fand man ihn, wann immer es sein Taschen- geld erlaubte, wie hypnotisiert auf der Galerie sitzend. Im Alter von achtzehn Jahren schloß er sich dem Gusla Chor an und trat im Rahmen zahlreicher Tourneen in verschiedenen bulgarischen Städten sowie im benachbarten Ausland auf. Er schloß sein Jura-Studium ab und begann nach dem Militärdienst seine Karriere als Anwalt, war aber weiterhin als Solist in der Alexander Nevsky Kathedrale in Sofia zu hören. Während eines Festgottesdienstes zeigte sich König Boris von Bulgarien von seiner Stimme derart beeindruckt, daß er ihm ein Stipendium für ein Gesangsstudium in Italien verschaffte. Nachdem Christoffs Vater seinen Widerstand gegen diese Auslandsreise aufgegeben hatte, brach Christoff im Mai 1942, im Alter von 23 Jahren, nach Rom auf. Giuseppe De Luca stellte ihn Riccardo Stracciari vor, der großes Interesse an Christoff zeigte und ihn als Schüler annahm. Im darauffolgenden Jahr wurde Italien besetzt und Christoff mußte nach Bulgarien zurückkehren, konnte aber wenig später seine Studien bei Muratti in Salzburg fortsetzen. Als Bulgarien Deutschland den Krieg erklärte mußte er als feindlicher Ausländer den Rest des Krieges in einem Arbeitslager an der Österreichisch Schweizerischen Grenze verbringen. Bereits kurz nach Kriegs- ende befand er sich in einem Zug nach Rom, wo er seine Studien mit Stracciari fort- setzte. Eine der wichtigsten Begegnungen fur den angehenden Sänger war jene mit Alexander Sanin, einem Schüler Stanislawkis, der die Jahrhundert-Inszenierung dieser Oper mit Feodor Chaliapin erarbeitet hatte, mit dem er die Rolle des Boris Godunov studierte. Sein erster professioneller Konzertauftritt fand im Dezember 1945 in einem Konzert in der Accademia Santa Cecilia statt. Sein Bühnendebut gab er 1946 als Colline in „La Bohème“ am Teatro Reggio Calabria. Der Durchbruch gelang ihm 1947 an der Oper von Rom als Pimen in „Boris Godunov“. Er gastierte kurz darauf als Gurnemanz
in „Parsifal“ am Teatro La Fenice in Venedig und debütierte im September desselben Jahres an der Mailänder Scala als Pimen in „Boris Godunov“ (neben Tancredi Pasero in der Titelrolle) - 1949 übernahm er die Hauptrolle, den Boris, der eine seiner Glanz- partien werden sollte. 1947/48 war er an der Scala weiters als Pater Guardian in „La Forza del Destino“, Rocco in „Fidelio“ und Dositeo in „Khovanchina“ zu hören und hatte dort während der folgenden Jahrzehnte eine große Karriere. Am 19. November 1949 debütierte er ebenfalls als Boris Godunov an der Covent Garden Opera in London. Zwischen 1949 und 1950 und später wieder zwischen 1958 und 1974 trat er dort mit großem Erfolg auf. Ebenfalls 1949 wirkte er bei den Salzburger Festspielen unter Herbert von Karajan im Verdi-Requiem (PR 90445) und in Beethovens 9. Symphonie mit; 1960 hatte er in Salzburg einen weiteren großen Erfolg als König Philipp in Verdis „Don Carlo“. 1950 war er beim Maggio Musicale in Florenz als Agamemnon in „Iphigenie in Aulis“ von Gluck zu hören. In Florenz sang er 1951 auch den Procida in „I Vespri Siciliani“ mit Maria Callas unter der Leitung von Erich Kleiber und trat dort erstmals als König Philipp in „Don Carlo“ auf. Für die Partie des König Philipp war Christoff 1950 Rudolf Bings Wunschkandidat für dessen erste Saisoneröffnung als General Manager der Met. Trotz aller Bemühungen er- hielt der Sänger jedoch keine Einreisegenehmigung in die USA (da er aus einem kom- munistisch regierten Land stammte) und wurde schließlich durch Cesare Siepi ersetzt. Spätere Angebote der Metropolitan Opera lehnte er alle ab oder stieg, wie bei „Faust“ aus der Inszenierung aus, weil Regisseur Peter Brook vorsah, den Teufel in Straßenkleidung auftreten zu lassen. In Amerika war er vor allem in San Francisco, wo er 1956 als Boris sein Amerika-Debut gab, und an der Oper von Chicago (1958-63) zu hören. Weitere Stationen seiner großen Karriere waren unter anderem Paris, die Arena in Verona, Edinburgh, Rio de Janeiro, Buenos Aires und die Wiener Staatsoper. Christoff war auch hinter und abseits der Bühne eine starke Persönlichkeit und kein ganz einfacher Charakter. 1955 kam es am Teatro dell’Opera in Rom nach dem zweiten Akt einer „Medea“ mit Maria Callas zu einem Eklat: die Callas bestand auf Solovorhängen, der Bassist aber blockierte ihr den Weg: „Entweder wir gehen alle -
oder keiner.“ Die Vorstellung wurde zwar zu Ende gebracht, aber die beiden Sänger traten nie wieder gemeinsam auf. Mit Franco Corelli kam es während einer „Don Carlo“ Produktion, wiederum an der Römischen Oper, zu einem Zusammenstoß. In der „Auto- dafé“ Szene, wenn Vater und Sohn aneinandergeraten, kam es während der Proben tatsächlich zu einem kurzen und wütenden, aber unglaublich effektvollem Schwerter- Gefecht, wie sich der Marquis Posa, Tito Gobbi, erinnert. Christoff warf Corelli mangelnde künstlerische Integrität vor und zog sich aus der Produktion zurück. Auch mit Tito Gobbi, dessen Schwester er geheiratet hatte, verband Christoff ein schwieriges Verhältnis, auch wenn beide in späteren Jahren ihre „Fehden“ verharmlosten. Einen der größten Erfolge seiner Karriere feierte er 1958 als König Philipp unter der musikalischen Leitung von Carlo Maria Giulini und der Regie von Luchino Visconti an der Covent Garden Opera. 1960 kehrte Christoff als König Philipp an die Mailänder Scala zurück. Als Großinquisitor war ein Landsmann, der Newcomer Nicolai Ghiaurov angesetzt, mit dem Christoff, auch aufgrund verschiedener politischer Überzeugungen, heftig aneinandergeriet. Dem Ultimatum, es sei an der Scala nur für einen von ihnen beiden Platz, wollte sich die Direktion nicht beugen und nach einer „Parsifal“ Vor- stellung schlossen sich die Türen der Scala für immer hinter dem Sänger. 1964 erkrankte er an einem Gehirntumor und mußte sich einer schweren Operation unterziehen. Mit nahezu übermenschlicher Energie nahm er 1965 als Boris Godunov an der Londoner Covent Garden Oper seine Karriere wieder auf, die auf dem Konzert- podium noch bis in die achtziger Jahre dauerte. Bis zuletzt behielt seine Stimme eine erstaunliche Qualität. Unter den etwa 120 Rollen seines Repertoires waren seine berühmtesten wohl der Boris Godunov (den er an die 600 Mal gesungen haben soll), der Mephisto im „Faust“ von Gounod und der König Philipp in Verdis „Don Carlo“. Auch war er ein hoch geschätzter Konzert- und Liedersänger. Sein Abschiedskonzert gab er am 22. Juni 1986 in Rom an der Bulgarischen Akademie. In der italienischen Hauptstadt starb der große, wenn auch nicht gänzlich unumstrittene, Sänger am 23. Juni 1993. Laura Semrau
Boris Christoff was born on May 18th 1914 in Plovdiv near Sofia. His family was very well to do and their son was given the best possible education. His love for music showed at a very early age and was strongly encouraged. At the age of ten he saw his first opera (Weber’s „Freischütz“) and from that evening on he could be found sitting spellbound on the gallery whenever his pocket money would allow it. When he was eighteen years old he joined the Gusla Choir and appeared in several Bulgarian cities as well as in neighbouring countries. After finishing his law studies and military service he began a career as a lawyer but continued to sing during services at the Alexander Nevsky Cathedral in Sofia. During one service, King Boris of Bulgaria was so impressed by Christoff’s voice that he offered him a scholarship to study in Italy. Once his father’s resistance had been overcome in May 1942 Christoff sailed for Rome at the age of 28. Giuseppe de Luca introduced him to Riccardo Stracciari, who showed great interest in Christoff and accepted him as a pupil. When Italy was occupied by the Germans in the following year he had to return to Bulgaria but a little later was able to continue his studies in Salzburg with Muratti. When Bulgaria declared war on Germany he became an enemy alien and was detained in a Nazi labour camp on the Austrian-Swiss border. As soon as the war was over he returned to Rome and continued to study with Stracciari. One of the most important acquaintances the aspiring singer made was with Alexander Sanin, a pupil of Stanislavsky, who had directed the legandary “Boris Godunov” production with Feodor Chaliapin in 1908. With Sanin, Christoff studied the role of Boris. His first professional concert appearance took place in December 1945 at the Accademia Santa Cecilia, followed in 1946 by his first operatic appearance at the Teatro Reggio Calabria as Colline in “La Bohème”. His breakthrough was a performance in the role of Pimen in “Boris Godunov” at the Rome Opera House in 1947. As Gurnemanz in “Parsifal” he made a guest appearance at the Teatro La Fenice in Venice and in September of the same year he appeared for the first time at the Teatro alla Scala in Milan, again in the role of Pimen (with Tancredi Pasero as Boris). – He first attempted the title role, which was to become one of his most celebrated portrayals, at the Scala
in 1949. During the 1947/48 season at the Scala he was also heard as Abbot Guardia- no in „La Forza del Destino“, Rocco in “Fidelio” and Dositeo in “Khovanchina” and was to enjoy a glorious career there over the forthcoming years. On November 19th 1949 he made his debut at Covent Garden as Boris Godunov. Between 1949 and 1950 and later from 1958 to 1974 he appeared there often with enormous success. Also in 1949 he sang in Verdi’s Requiem under Herbert von Karajan at the Salzburg Festival (PR 90445) and in Beethoven’s Ninth Symphony; another major success in Salzburg was his King Philip in “Don Carlo” in 1960. At the Maggio Musicale in Florence he sang Agammemnon in “Iphigenie en Aulide” in 1950 and one year later Procida in “I Vespri Siciliani” under the direction of Erich Kleiber with Maria Callas. In Florence he sang the role of King Philip for the first time. Christoff had been Rudolf Bing’s first choice for the role of King Philip in the opening night production of his first season as General Manager of the Met in 1950/51. Despite all efforts it proved impossible to obtain a visa for the US (Christoff came from a communist country) and he had to be replaced by Cesare Siepi. Later offers from the Met Christoff either turned down or abandoned as in the case of “Faust” when Christoff left the production because the director Peter Brook wanted him to play the role in street clothes. In America he mainly sang at the San Francisco Opera, where he made his US debut in 1956 as Boris, and at the Chicago Opera (from 1958 to 1963). Further important stages of his career included, among others, Paris, the Arena di Verona, Edinburgh, Rio de Janeiro, Buenos Aires and the Vienna State Opera. Both on and off stage Christoff was a strong-willed personality and not always easy to get along with. After the second act of a performance of “Medea” with Maria Callas at the Opera House in Rome in 1955 Callas demanded to take a solo curtain. Christoff simply blocked her way saying: “Either we all go out together or none of us will go.” The performance was ended but Christoff and Callas never sang together again. Again at the Rome Opera House, in 1958, he clashed with Franco Corelli during a rehearsal of “Don Carlo”. In the heated atmosphere of the Auto da fe scene, where Philip is con- fronting his son, Corelli actually lifted his sword against his “father” and some fierce
blows were exchanged. As the Marquis Posa, Tito Gobbi recalled, it was a gripping and all too realistic scene. Christoff withdrew from the production accusing Corelli of lacking artistic integrity. Even the two brothers-in-law (Christoff was married to Gobbi’s sister) did not get along too well, although later both tried to play down their feuds. One of the greatest successes of Christoff’s career was his Philip at Covent Garden in 1958 under Carlo Maria Giulini, with Luchino Visconti as director. In 1960 he returned to the Scala in the same role and a newcomer, his compatriot Nicolai Ghiaurov, sang the role of the Grand Inquisitor. The two basses did not get along at all, also because of differing political convictions, and Christoff gave an ultimatum stating that there was not enough room at the Scala for both of them. The Management would not have this and after a performance as Gurnemanz in “Parsifal” the doors of the Scala closed forever behind the singer. In 1964 it was discovered he was suffering from a brain tumour, which resulted in a difficult operation. With incredible will power Christoff worked on his comeback, which took place a year later as Boris at Covent Garden. His stage career – and later his career on the concert platform – lasted well into the Eighties. Even in his later years his voice lost little of its original quality. Among the 120 roles in his repertoire, the most famous ones were Boris Godunov (which he reportedly sang close on 600 times), Mephistopheles in “Faust” and King Philip in “Don Carlo”. Christoff was also an acclaimed lied-singer. On June 22nd 1986 he gave his farewell concert in Rome at the Bulgarian Academy and on June 23rd 1993 the great, but not uncontroversial singer died in the Italian capital.
MONO 89684
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