Legitime Leistungspolitiken? Governance und Gerechtigkeit in Schule, Altenpflege und Kreativwirtschaft

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                                                                                        Legitime Leistungspolitiken?
                                                                                        Governance und Gerechtigkeit
                                                                                        in Schule, Altenpflege und
                                                                                        Kreativwirtschaft
                                                                                        Leistungserbringung, sei es staatliche, private oder jene im Zwischenbereich der Gemein-
                                                                                        wirtschaft angesiedelte, vollzieht sich in einem Netz aus gesellschaftlichen, politischen
                                                                                        und organisationalen (Leistungs-)Politiken, welche die alltägliche Arbeit von Beschäftigten
                                                                                        wie auch Selbstständigen prägen. Die zunehmende Verbreitung managerialer Steuerungs-
                                                                                        praktiken hat veränderte Arbeitsanforderungen zur Folge, aber auch neue Berufs-
                                                                                        verständnisse. Für die Beschäftigten gehen Reformen der Governance nicht selten mit
                                                                                        normativen und/oder alltagspraktischen Spannungen einher. Mittels der interdisziplinären
                                                                                        Verknüpfung der Ergebnisse dreier Studien verfolgt der Beitrag diesen Zusammenhang
                                                                                        und zeigt übergreifende Tendenzen des leistungspolitischen Wandels auf.1

                                                                                        MARIA DAMMAYR, THOMAS GEGENHUBER, DORIS GR Aß, HERBERT ALTRICHTER,
                                                                                        BRIGIT TE AULENBACHER, ROBERT BAUER

                                                                                                                                                                    Kreativwirtschaft führen. Was bedeuten solche Umbrüche
                                                                                        1. Einleitung: Neue Governance                                             für Arbeit und Leistungserbringung, wie verändern sich die
                                                                                            und widersprüchliche Leistungs-                                         gesellschaftlichen und organisationalen Leistungspolitiken
                                                                                                                                                                    und die Leistungsanforderungen an die Beschäftigten? Ge-
                                                                                            anforderungen
                                                                                                                                                                    raten diese Veränderungen mit deren Ansprüchen an gute
                                                                                                                                                                    Arbeit in Widerspruch?
                                                                                        In vielen gesellschaftlichen Bereichen setzen sich veränder-                    Der Beitrag wirft Schlaglichter auf die ersten zentralen
                                                                                        te Governancestrukturen, d. h. neuartige politische Steue-                  Ergebnisse unseres gemeinsamen Forschungsprojektes, wel-
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                                                                                        rungsmuster und -mechanismen durch, die einer Ökono-                        che in Dissertationsschriften sowie in weiteren Publikati-
                                                                                        misierungslogik folgen. Sie antworten auf veränderte                        onsprojekten2 vertieft werden. Auf folgende Fragen gehen
                                                                                        gesellschaftliche Bedingungen und Anforderungen: auf                        wir dabei näher ein: Wie verändern sich Berufs- und An-
                                                                                        gestiegene Ansprüche an Bildung und Qualifikationen im                      forderungsprofile? Was bedeuten die neuen Steuerungs-
                                                                                        Schulwesen, auf den demografischen und sozialstrukturellen                  praktiken für das professionelle Selbstverständnis der Be-
                                                                                        Wandel im Altenpflegesektor oder auf die zunehmende Di-                     schäftigten und für die Ansprüche, die sie an ihre Arbeit
                                                                                        gitalisierung, im Zuge derer webbasierte Plattformen glo-                   stellen? Kommt es im Zuge der Veränderungen in den ver-
                                                                                        bale Arbeitsmärkte schaffen, die zu einer weiteren Ausbrei-                 schiedenen Arbeitsfeldern vermehrt zu konfligierenden
                                                                                        tung flexibler und individualisierter Arbeitsformen in der                  Leistungsanforderungen, in deren Folge sowohl normative
 lichung online oder offline) sind nicht gestattet.

                                                                                        1   Der Artikel basiert auf Ergebnissen des gleichnamigen                       Hauptautor des Aufsatzes und als Promovendinnen bzw.
                                                                                            Forschungsprojektes, das als strukturierte Promotions-                      Promovend am Vorhaben beteiligt. Herbert Altrichter,
 © WSI Mitteilungen 2016

                                                                                            förderung (DOC-team 67) von der Österreichischen Aka-                       Brigitte Aulenbacher und Robert Bauer haben ebenfalls
                                                                                            demie der Wissenschaften mit einer Laufzeit von drei                        am Text mitgewirkt und begleiten als Betreuerin und
                                                                                            Jahren im Zeitraum von 2013 bis 2016 finanziert und an                      Betreuer das Vorhaben. Für die konstruktive Beratung
                                                                                            der Johannes Kepler Universität Linz durchgeführt worden                    im Advisory Board des Projektes gilt Birgit Riegraf und
                                                                                            ist. Für die Forschungsunterstützung danken wir der ÖAW                     Uwe Schimank ganz besonderer Dank.
                                                                                            und insbesondere Barbara Haberl und Eva Gutknecht für
                                                                                            zahlreiche wertvolle Hinweise. Maria Dammayr, Thomas                    2   Im Erscheinen bzw. in Vorbereitung begriffen sind die Veröffentli-
                                                                                            Gegenhuber und Doris Graß sind Hauptautorinnen und                          chungen von Graß et al. (2017) und von Aulenbacher et al. (2017).

5 40                                                                                                                    https://doi.org/10.5771/0342-300X-2016-7-540
                                                                                                                 Generiert durch IP '46.4.80.155', am 15.11.2021, 01:16:44.
                                                                                                          Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
wsi mitteilungen 7/ 2016

als auch alltagspraktische Spannungen auftreten? Inwiefern        – die verstärkte Präsentation der eigenen Leistungen insbe-
empfinden die Beschäftigten diese Entwicklungen als ge-              sondere in digitalen Medien;
recht und legitim, woran äußern sie Kritik?                       – und schließlich die Etablierung von Märkten bzw. von
     Um Politiken und Praktiken der Leistungserbringung              marktähnlichen Bedingungen zur Beförderung der „Kun-
aus der Perspektive der Organisationen wie der Beschäftigten         denorientierung“ (Altrichter/Maag Merki 2016; de Boer
zu analysieren, haben wir mit Methoden der interpretativ-re-         et al. 2007).
konstruktiven Sozialforschung gearbeitet. Die Untersu-            Mit diesen Steuerungselementen gehen Veränderungen in
chungen werden entlang der Felder in drei Teilprojekten           den organisationalen Leistungspolitiken und den Leistungs-
durchgeführt. Das Hauptaugenmerk der Analyse liegt auf            anforderungen für die Beschäftigten einher, die im Folgen-
Wahrnehmung und Beurteilung von Leistungspolitiken                den in ihren Grundzügen für die drei Felder Schule, Alten-
und -anforderungen durch die Beschäftigten sowie auf der          pflege und Kreativwirtschaft und am Beispiel Österreichs
Deutung dieser Einsichten im Lichte aktueller Transforma-         vorgestellt werden.
tionsprozesse (Dammayr et al. 2013; Graß et al. 2014). Die
Studien basieren auf episodischen Leitfadeninterviews             2.1 Autonomie, Managerialisierung und
(N = 85) mit Beschäftigten oder Selbstständigen je verschie-           Rechenschaftslogik. Die Modernisierung
dener Funktions- und Arbeitsbereiche. Gegenstand der Be-               schulischer Bildung und ihre Auswirkungen
fragungen waren Arbeitsalltag, berufliche Tätigkeiten und              für Lehrende
Leistungsanforderungen sowie die Einschätzung aktueller
Veränderungen im jeweiligen Arbeitsfeld. Zur Analyse der          In Österreich löste die zweite Welle der international verglei-
feld- und organisationsspezifischen Kontexte wurden außer-        chenden PISA-Untersuchung 2003 eine breite Diskussion
dem Gesetzestexte sowie weitere organisations- und feldre-        über die Qualität und Leistungsfähigkeit des Schulsystems
levante Dokumente herangezogen.                                   aus. Sie führte zu weitreichenden Reformen, u. a. der Einfüh-
                                                                  rung der Neuen Mittelschule und der Etablierung von Bil-
                                                                  dungsstandards, vergleichenden Leistungstests und Zentral-
                                                                  abitur, dem Ausbau der Ganztagesbetreuung, der Veränderung
                                                                  von Schulaufsicht sowie der Einführung einer modularen
2. Transformationen politischer                                  Lehrerinnen- und Lehrerbildung. Untermauert wurden die-
    Steuerung und veränderte                                      se Veränderungen durch die Verbreitung eines neuen bil-
                                                                  dungspolitischen Steuerungsverständnisses, das im Kern die
    Leistungspolitik
                                                                  Ideen der zentralen Vorgabe und Kontrolle von Zielen sowie
                                                                  der Schulautonomie für deren Umsetzung miteinander ver-
Aktuelle politische Reformen und darauf basierende ge-            bindet. Vermittelt durch Elemente wie Lehrplanautonomie,
sellschaftliche und organisationale Umsteuerungen zielen          Budgetgestaltung, die Möglichkeit der Teilrechtsfähigkeit von
auf gesteigerte Systemleistungen, objektiv informierte,           Schulen sowie der Mit- bzw. Selbstbestimmung bei Klassen-
beschleunigte Qualitätsentwicklung und ausgeprägte Re-            größe und Teilungszahlen ist der Aspekt des lokalen Manage-
chenschaftslegung, die mit nachweislicher Leistungser-            ments von Einzelschulen in den Vordergrund getreten
bringung durch die Verantwortlichen verbunden ist. Sie            (Altrichter et al. 2016).
sind nicht selten durch New Public Management-Konzep-                 Dieser „policy mix“ einer Autonomie der Wege mit dem
te unterlegt, im Zuge derer organisationales Handeln vor-         Zentralismus der Ziele (Heid 2003) und ihrer Messung in
rangig an Prinzipien der Effizienz- und Kundenorientie-           lokalen, nationalen wie internationalen Vergleichsuntersu-
rung ausgerichtet werden soll. Die Abkehr vom Modell              chungen hat die Arbeit von Schulleiterinnen und Schulleitern
bürokratisch-administrativer Steuerung erfolgt mit der            sowie von Lehrerinnen und Lehrern – als Vermittlerinnen
Begründung, über Wettbewerbselemente Kosten zu sen-               von Wissen und Werten sowie als Promotorinnen von Schul-
ken, Angebote zu verbessern sowie die Versorgung der              qualität und -entwicklung (OECD 2005) – ins Zentrum der
Bevölkerung mit Kollektivgütern zu gewährleisten (Pollitt/        Aufmerksamkeit gerückt. Die Zielvorstellung der Qualitäts-
Bouckaert 2011; Riegraf 2006). Trotz unterschiedlicher            steigerung wird damit eng an die Leitungsfähigkeit von Di-
Bedingungen in einzelnen Bereichen weisen die neuen               rektoren und die Entwicklung professioneller Handlungs-
Steuerungsformen folgende gemeinsame Charakteristika              kompetenzen von Lehrenden geknüpft (Rothland/Terhart
auf:                                                              2010). Die eingeforderte „Modernisierung und Reform der
– die Fokussierung auf Outputsteuerung;                          Lehrerbildung” (Kreis 2009, S. 87) richtet sich auf pädagogi-
– die Verlagerung der Leistungsverantwortung an einzelne         sche Aspekte, die beispielsweise in Konzepten wie Inklusion,
   Beschäftige, wodurch zwar deren Fach- und Innovations-         Individualisierung und innere Differenzierung angelegt sind
   kompetenzen stärker nachgefragt werden, diese aber auch        und neue Lernformen, Vermittlungs- und Überprüfungs-
   rechenschaftspflichtig werden;                                 strategien beinhalten, aber auch auf neue, außerunterricht-
– die zunehmend standardisierte Kontrolle der Leistungs-         liche Elemente wie die kontinuierliche Evaluation der päda-
   erbringung mittels Kennzahlen;                                 gogischen Tätigkeit und ihrer Wirkungen.

                                                               https://doi.org/10.5771/0342-300X-2016-7-540                                             541
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forschung aktuell

                        Die beschriebenen Entwicklungen der Steuerungsfor-                     von Lehrkräften weiter spannt. Von solchen widersprüch-
                    men beinhalten also sowohl Veränderungen der Anfor-                        lichen Anforderungen können deprofessionalisierende Wir-
                    derungen als auch Erweiterungen der Tätigkeits- und                        kungen ausgehen.
                    Kompetenzprofile von Lehrpersonen und Schulleitungen.
                    Für die Arbeitserwartungen heißt das, dass neben dem                       2.2 Pflegende zwischen dem Anspruch an
                    Unterrichten weitere Anforderungen übernommen wer-                              ganzheitliche Pflege und betrieblicher
                    den (müssen), darunter etwa Reform- und Schulentwick-                           Rationalisierung
                    lungstätigkeiten (Dühlmeier 2004) sowie Administra-
                    tions- und Kooperationsarbeit (Mutzeck/Schlee 2008).                       Im Feld der Altenpflege zeichnen sich Transformationspro-
                    Von den Proponenten neuer Bildungssteuerung wird die-                      zesse ab, die mit Veränderungen im österreichischen wohl-
                    se Erweiterung der Kompetenzprofile als Chance einer                       fahrtsstaatlichen Arrangement, der Auflösung traditioneller
                    weiteren Professionalisierung pädagogischer Tätigkeit                      Lebens- und Wohnformen, der gestiegenen Integration von
                    propagiert. Kritiker betonen dagegen, dass diese neuen                     Frauen in den Erwerbsarbeitsmarkt, dem demografischen
                    Anforderungen gerade nicht den Kern der Profession be-                     Wandel und einer absehbaren Kostensteigerung im Pflege-
                    treffen und neue Konflikte in den Arbeitsalltag importie-                  sektor verbunden sind (Aulenbacher et al. 2014; Graß et al.
                    ren. Besonders deutlich wird dies anhand von Tätigkeiten,                  2014, S. 33ff.). Vor allem mit Blick auf die organisationalen
                    die darauf gerichtet sind, die Sichtbarkeit der Einzelschu-                Arrangements der Leistungserbringung wird eine marktori-
                    le zu erhöhen sowie innerhalb dieser individuelle Leis-                    entierte Reorganisation sichtbar (Aulenbacher/Dammayr
                    tungen hervorzuheben. Die weithin geforderte Öffnung                       2014). Kostensenkungen sollen durch Rationalisierungsmaß-
                    der Schule nach außen bedeutet, dass ein beträchtlicher                    nahmen wie die Auslagerungen von Teilbereichen (z. B. der
                    Energie- und Zeitaufwand in die Außendarstellung inves-                    Medikamentenaufbereitung) oder die Implementierung von
                    tiert wird. Symbolische Arbeit zur Positionierung der Ein-                 Qualitätsmanagementsystemen erzielt werden (Riegraf 2007).
                    zelschule im lokalen Schulgefüge stellt eine Anforderung                   Damit nimmt der Leistungsumfang für die Pflegenden, deren
                    dar, der sich Einzelschulen unter den Bedingungen eines                    Pflegealltag durch knappe Stundenkontingentierung und
                    Wettbewerbs um – insbesondere leistungsstarke – Schü-                      Personalressourcen gekennzeichnet ist, zu. Die im überholten
                    lerinnen und Schüler kaum entziehen können (Altrichter                     Pflegeschlüssel definierten Zeiteinheiten widersprechen dem
                    et al. 2014). Während Tätigkeiten wie Homepage-Gestal-                     professionellen Anspruch an gute Pflege, sich auf die Gege-
                    tung, Musikveranstaltungen, Flohmärkte usw. mit Blick                      benheiten leibseelischer Existenz einzustellen und die Pfle-
                    auf die eigene Schule und die eigene Arbeit zwar eine                      geaufgaben an individuellen Bedürfnissen zu orientieren
                    starke Legitimationsfunktion zukommt, herrscht doch die                    (Aulenbacher/Dammayr 2014; Senghaas-Knobloch 2008).
                    Einsicht vor, dass ein Großteil der nach außen gerichteten                 Die gestiegenen Dokumentationspflichten sowie neue Leis-
                    Aktivitäten lediglich als „window dressing“ fungiert. Hier                 tungsanforderungen in administrativer und managerialer
                    deuten sich Widersprüche zwischen organisationalen An-                     Hinsicht, in denen sich zunehmende Kontrollmechanismen
                    forderungen und professionellen Selbstverständnissen an,                   und Rechenschaftspflichten gegenüber verschiedenen An-
                    die weiterhin um pädagogische Arbeit zentriert und an                      spruchsgruppen (Angehörige, Kontrollorgane etc.) spiegeln,
                    Unterricht, Wissensvermittlung und Erziehung orientiert                    verhindern oftmals eine über die konkrete Pflegetätigkeit
                    sind.                                                                      hinausgehende soziale Betreuung. Pflegende finden sich im
                        Ein ähnlicher Konfliktpunkt zeigt sich auch vor dem                    Spannungsfeld zwischen Ansprüchen an gute Pflege und den
                    Hintergrund der Einführung von Bildungsstandards und                       geringen Handlungsspielräumen der Berufsrealität. Um dem
                    vergleichender Leistungsprüfung. Die Testungen bedeuten                    professionellen Selbstverständnis dennoch gerecht zu werden,
                    nicht nur eine Form bisher unbekannter, zentralisierter                    entwickeln sie Bewältigungsstrategien, die von schnellerem
                    Überwachung pädagogischer Tätigkeit, sie gehen auch mit                    Arbeiten über (mitunter unentgeltliche) Mehrarbeit im Rah-
                    Veränderungen von Lehre und Unterricht einher. Dazu                        men von Überstunden bis hin zur verstärkten Zusammen-
                    zählt insbesondere die Umstellung von Wissens- auf Kom-                    arbeit mit Angehörigen, Zivildienstleistenden und Ehren-
                    petenzvermittlung. Wenngleich viele Lehrende durchaus                      amtlichen reichen.
                    anerkennen, wie wichtig die Aneignung zeitgemäßer Kom-                         Auch Altenpflegeheime sind zusehends um eine konti-
                    petenzen durch die Schülerinnen und Schüler vor dem                        nuierliche Außendarstellung bemüht. Da Pflegebedürftige
                    Hintergrund sich wandelnder Anforderungen an Bildung                       bzw. deren Angehörige ihre Entscheidung für ein Pflegeheim
                    und Arbeit ist, so erwächst aus ihrer Sicht durch die stei-                heute differenzierter und nach recherchierbaren Kriterien
                    gende Bedeutung von Leistungstests dennoch die Gefahr,                     von Qualität und Angebot treffen, wird eine breite Palette
                    Schülerinnen und Schüler verstärkt nur mehr auf jenes                      serviceorientierter Leistungen erstellt, die durch Folder und
                    Wissen vorzubereiten, das durch die Tests abgefragt wird.                  Internetpräsenz publik gemacht, aber etwa auch durch
                    Die Anforderung, gute Testergebnisse zu erzielen und dafür                 heim­eigene Zeitschriften dokumentiert wird. Wenngleich
                    entsprechende Ressourcen aufzuwenden, gerät in Konflikt                    damit neue Leistungsanforderungen einhergehen, die nicht
                    mit einem professionellen Bildungs- und Erziehungsver-                     immer in den Berufsalltag integrierbar sind, kommen eini-
                    ständnis, welches die Aufgabe von Schule und die Arbeit                    ge Beschäftigte diesen Aufgaben dennoch gerne nach. Sie

5 42                                               https://doi.org/10.5771/0342-300X-2016-7-540
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wsi mitteilungen 7/ 2016

begründen dies mit Freude an solchen Tätigkeiten sowie              Die Plattformbenutzer reichen ihre Vorschläge ein; die Ge-
mit der Erfahrung von Anerkennung und damit, dass ihnen             winnerin oder der Gewinner bekommt ein vorher festge-
die Sichtbarkeit der Sorgearbeit wie auch der älteren Men-          legtes Preisgeld zugesprochen.
schen selbst ein wichtiges Anliegen ist.                                 In dem Teilprojekt wurden Daten einer dem sogenann-
    Dass die neuen Leistungspolitiken auch zu neuen Aus-            ten Premium-Segment zuzuordnenden, in Deutschland
handlungsprozessen über die Definition und Anerkennung              ansässigen Intermediärplattform erhoben, welche auf De-
von Leistung führen, zeigt sich besonders im Kontext aktu-          sign und Innovationsthemen spezialisiert ist. Die Plattform
eller Professionalisierungsbemühungen: Eine Aufwertung              verfügt über prestigeträchtige Kunden, die vergebenen Prei-
des bisweilen als semiprofessionell geltenden und femini-           se sind überdurchschnittlich hoch, auch können immer
sierten Pflegeberufes wird u. a. von Berufsverbänden ange-          mehrere Personen bei Wettbewerben gewinnen. Um Ein-
strebt. Das Verständnis von Professionalisierung wird dabei         reichungen abwechslungsreicher Ideen zu fördern, wird ein
nicht selten mit Akademisierung und Verwissenschaftli-              Teil der Gewinner durch die Firmen bestimmt, während
chung assoziiert und orientiert sich an Standards, Dokumen-         parallel auch sogenannte Community-Preise vergeben wer-
tation und Evidenzbasierung der Medizin und der Ökonomie            den, bei denen die Gewinner durch Abstimmung der Platt-
(Mayer 2010). Während für einzelne Berufsgruppen im Rah-            form-Community ermittelt werden.
men tertiärer Bildungswege des Pflegemanagements und der                 Die Analyse des Plattform-Intermediärs zeigt, dass vor
Pflegewissenschaft Aufwertungen möglich sind, bleibt die            allem (professionelle) Designer und Designerinnen, die am
personenbezogene Pflege nachrangig. Sie wird deprofessio-           Beginn ihrer Karriere stehen, aber auch Amateure an Wett-
nalisiert, durch knappe Zeitbemessungen abgewertet und              bewerben teilnehmen. Die Chance auf finanzielle Entloh-
mit Blick auf die Beschäftigungsbedingungen prekarisiert.           nung bildet das Grundmotiv, sich zu beteiligen. Weitere
                                                                    Anreize sind kreative Selbstverwirklichung, Spaß an der
2.3 Crowdsourcing und neue Anforderungen                           Wettbewerbssituation, das Messen der (eigenen) Leistung
     an Kreativarbeit in einer digitalen                            innerhalb einer internationalen Community sowie das Ler-
     Arbeitswelt                                                    nen von anderen (Bauer/Gegenhuber 2015). Betrachtet man
                                                                    die sozio-ökonomische Situation der Teilnehmenden, wird
In der Kreativwirtschaft werden u. a. Produkte immaterieller        sichtbar, dass noch andere Motive relevant sind: Flexibilität
Natur geschaffen (z. B. Werbesujets); der Wert der Arbeit           und freie Arbeitszeitgestaltung sind wichtige Gründe für
wird dabei maßgeblich von der Kundschaft bestimmt (Bilton/          Alleinerziehende. Ähnliches gilt für das Kontakthalten zur
Leary 2002). Der Fokus der Untersuchung in diesem Sektor            Arbeitswelt während Betreuungszeiten und die Möglichkeit
lag auf der Berufsgruppe der Designerinnen und Illustrato-          eines Zuverdienstes (auch neben einer Hauptbeschäftigung)
ren. Für sie bestehen verschiedene Möglichkeiten, ihrer Tä-         sowie Lückenfüllen bei schlechter Auftragslage. Hinzu kom-
tigkeit nachzugehen: So können Designer etwa im Rahmen              men die lokale Unabhängigkeit der Kreativarbeitenden so-
eines Angestelltenverhältnisses in einer Agentur oder auf           wie die Möglichkeit der Beteiligung für Designer aus Län-
selbstständiger Basis als Einzelunternehmer und -unterneh-          dern, in denen es keine ausgeprägte Kreativwirtschaft gibt.
merinnen tätig werden. Eine weitere, zunehmend an Bedeu-                 Ein Grundproblem in der Kreativwirtschaft sind Wider-
tung gewinnende Arbeitsform besteht darin, dass Personen,           sprüche zwischen den professionellen Ansprüchen der De-
die über freie Zeit und kreative Fähigkeiten verfügen, Krea-        signer und Designerinnen und den Kundenerwartungen. Das
tivleistung auf digitalen Märkten anbieten. Charakteristisch        wird vor allem an den Zeitbudgets der Designer sichtbar:
sind hier höchste Flexibilität (Möglichkeit der nur fallweisen      Während aus ihrer Sicht möglichst kreative Lösungen und
Beteiligung), zunehmende Internationalität (steigende Be-           perfektionierte Produkte im Vordergrund stehen, erlauben
teiligung von Kreativen aus Niedriglohnländern) und he-             die Arbeitsbedingungen in den wenigsten Fällen eine zeitin-
terogene Professionalisierungsgrade der Anbieter (von               tensive Entwicklung und Auswertung. Ein weiterer Wider-
hauptberuflichen Kreativen mit facheinschlägigen Bildungs-          spruch tritt in der Diskrepanz zwischen erbrachten Leistun-
abschlüssen bis zu Personen, die der Kreativarbeit ausschließ-      gen und erfolgter Entlohnung zutage. Zum einen wird
lich in ihrer Freizeit nachgehen; Bauer/Gegenhuber 2015).           sichtbar, dass die Beurteilung guter und vor allem passender
     Günstiger werdende technische Ausstattung und der              Arbeit zwischen Kreativen und Auftraggebern mitunter weit
immer niederschwelligere Zugang zu Wissen, etwa durch               auseinander liegt: Während Erstere auf Innovation setzen,
Online-Ressourcen und Lernvideos, führen zu einem hohen             fällt die Entscheidung von Kunden oft konservativer aus.
Arbeitskräfteangebot (Haak/Schmid 2001). Vor diesem                 Durch Crowdsourcing ergeben sich zusätzliche Herausfor-
Hintergrund nimmt die Bedeutung von kreativem Crowd-                derungen: Kreative, die sich als professionelle Designerinnen
sourcing zu. Crowdsourcing bezeichnet einen Prozess, bei            bzw. Designer verstehen, problematisieren die Praktiken, die
dem Akteure einen Auftrag zur Erfüllung einer Aufgabe               hinter der Vergabe der Community-Preise liegen. So wird
oder Lösung eines Problems durch einen Sammelaufruf an              kritisiert, dass gerade hier nicht die eigentliche Kreativarbeit
eine anonyme „Menge“, die sogenannte „Crowd”, vergeben              im Zentrum steht, sondern Erfolg ein hohes Ausmaß an Com-
(Bauer/Gegenhuber 2015). Im kreativen Crowdsourcing                 munity- und Sichtbarkeitsarbeit erfordert, d.h. aktive Kom-
erfolgen diese Aufrufe als Einladungen zu Wettbewerben:             munikation mit anderen Teilnehmenden sowie die (po-

                                                                 https://doi.org/10.5771/0342-300X-2016-7-540                                              543
                                                          Generiert durch IP '46.4.80.155', am 15.11.2021, 01:16:44.
                                                   Das Erstellen und Weitergeben von Kopien dieses PDFs ist nicht zulässig.
forschung aktuell

                    sitive) Beurteilung von deren Einreichungen. Das hat zur                   jekte investiert wird, die zusätzlich und oft außerhalb der
                    Folge, dass qualitativ hochwertige Arbeiten oftmals keine                  Dienstzeiten durchgeführt werden. Die gestiegene Bedeutung
                    Anerkennung auf den Plattformen finden und nur geringe                     von symbolischer Arbeit scheint zunächst auf Wettbewerbs-
                    Gewinnchancen haben, wenn die jeweiligen Kreativen in-                     mechanismen zurückzuführen zu sein, welche die Präsenta-
                    nerhalb der Community schlecht vernetzt sind. Mit anderen                  tion von Leistungen unabdingbar machen. Gelungene Dar-
                    Worten, es lassen sich neue Konfliktlinien in einer Konkur-                stellung kann die Wahrscheinlichkeit von Erfolg und den
                    renzsituation ausmachen zwischen Personen, die sich als                    Status von Individuen oder Organisationen erhöhen. Das
                    Professionelle in einem eher traditionellen Sinn begreifen,                stellt diese vor ein Dilemma: Markterfolg, etwa die Abwer-
                    und Teilnehmern, die durch Aufmerksamkeitsarbeit inner-                    bung besonders guter Schüler und Schülerinnen, steht Ent-
                    halb der Community erfolgreich werden.                                     wicklungen der Arbeitsverdichtung und Vernachlässigung
                                                                                               anderer Organisations- und Bildungsziele gegenüber.
                                                                                                    Und viertens stellen die aktuellen Leistungspolitiken
                                                                                               eine besondere Herausforderung für das professionelle Selbst-
                                                                                               verständnis der Beschäftigten dar. Angestrebte Qualitäts- und
                    3. Feldübergreifende Aspekte                                              Leistungssteigerungen werden besonders durch Professio-
                                                                                               nalisierung sowie Kompetenzveränderungen der Beschäf-
                    Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen greifen wir                       tigten angestrebt. Die Forderung nach Professionalisierung,
                    vier zentrale Themenbereiche heraus, die für alle drei Be-                 wie sie etwa hinsichtlich der Arbeit von Lehrenden vorge-
                    reiche bedeutsam sind. So konnten wir erstens in allen drei                bracht wird, verknüpft die Neudefinition und Vermittlung
                    Arbeitsfeldern Widersprüche zwischen organisationalen Er-                  von Kompetenzen mit einer entsprechenden Ergebnisver-
                    wartungen und professionellen Ansprüchen entdecken, die                    antwortung, in diesem Fall neben der Verantwortung für
                    mit den veränderten Steuerungsformen zusammenhängen.                       die eigenen Leistungen auch für jene der Schüler. Gleich-
                    Anforderungen, die auf Marktprinzipien beruhen (z. B.                      wohl sind aber auch Tendenzen einer Deprofessionalisie-
                    Outputorientierung) oder aber einer bürokratischen Logik                   rung zu verzeichnen, indem Aufgabenbereiche erweitert
                    verpflichtet sind (z. B. Dokumentation), konfligieren nicht                oder aber ausdrücklich beschränkt werden. Die Erfahrung
                    selten mit der professionellen Handlungsorientierung von                   der Deprofessionalisierung teilen auch gut ausgebildete Kre-
                    Beschäftigten. Dies zeigt sich etwa dann, wenn Altenpfleger                ativarbeitende, die in globalen und weitgehend unbe-
                    und -pflegerinnen auf eine Pflegerealität verweisen, die                   schränkten Crowdsourcing-Wettbewerben mit teilweise nur
                    funktionsteiliges Arbeiten erfordert, um den Leistungsan-                  gering qualifizierten Personen in Konkurrenz treten.
                    forderungen zu begegnen. Mit Blick auf die Vorstellungen                        In diesem Zusammenhang scheint uns im Hinblick auf
                    von guter Pflege zeigt sich dann berufliche Unzufriedenheit,               die Kritik aktueller Leistungspolitiken ein Aspekt besonders
                    weil für individuelle Bedürfnisse der Heimbewohner und                     interessant zu sein. Es zeigt sich, dass dem professionellen
                    -bewohnerinnen kaum genügend Zeit bleibt.                                  Selbstverständnis eine bedeutsame Kritik- und Legitimati-
                        Eine zweite Beobachtung verweist auf veränderte Kon-                   onsfunktion zukommt. Dies gilt gerade in Konfliktsituatio-
                    troll- und Rechenschaftsmechanismen, deren Ausprägung                      nen, in denen Standardisierungen und Objektivierungen in
                    und Intensität in allen Feldern neu ist. Die Durchsetzung                  Spannung treten mit einem breit angelegten Bildungsbegriff
                    outputorientierter Kontrollmechanismen zeigt sich bei-                     und individuellem Schülerwohl, mit an Ganzheitlichkeit und
                    spielsweise im Bereich der Schule im Rahmen intensivier-                   Sorgsamkeit orientierter Pflegearbeit sowie mit in individu-
                    ter Berichtslegung und in (standardisierten) Leistungsver-                 ellen Freiräumen entstehender Kreativität. Ob sich die hier
                    gleichstests. Auf Crowdsourcing-Plattformen nimmt                          artikulierte Kritik zu einem echten Widerspruch zwischen
                    dagegen die Peer-Kontrolle eine bedeutende Rolle in der                    professionellen Handlungsorientierungen und den neuen
                    Produktion ein; die Identifizierung von Plagiaten wird so                  Logiken der Effizienz und Konkurrenz zuspitzen oder ob es
                    etwa an die Crowd übertragen, dabei jedoch als professio-                  zur Herausbildung veränderter (integrierter) Professionsver-
                    nelles Eigeninteresse der Kreativen verhandelt.                            ständnisse kommen wird, ist gegenwärtig noch offen.
                        Hinzu kommt drittens die Zunahme von Aktivitäten, die
                    nach außen gerichtet sind und symbolischen Wert besitzen.
                    Im Sinne Erving Goffmans (1956) verstehen wir symbolische
                    Aktivitäten als Performance-Tätigkeiten, die die Wahrneh-
                    mung von Arbeit durch andere zu beeinflussen versuchen.                    4. Legitime Leistungsanforderungen?
                    Die Bedeutung von Außendarstellung nimmt in allen drei                         Fazit und Ausblick
                    Feldern (offenbar unabhängig von ihrer unterschiedlichen
                    institutionellen Verfasstheit) zu, jedoch ohne dass entspre-               Ein Ergebnis unserer Arbeit ist, dass trotz des Bedeutungsge-
                    chende Veränderungen in der Ausstattung mit Ressourcen                     winns von Wettbewerbs- und Marktsteuerung nicht nur von
                    zu verzeichnen wären. Im Feld der Schule, wie zusehends                    einer Ökonomisierungstendenz und einem Zurückdrängen
                    auch in der Altenpflegearbeit, wird dies darin deutlich, dass              bürokratischer und professioneller Strukturen gesprochen
                    beachtlicher Zeitaufwand für öffentlichkeitswirksame Pro-                  werden kann. Vielmehr beobachten wir sowohl neue hybride

5 44                                               https://doi.org/10.5771/0342-300X-2016-7-540
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WSI Mitteilungen 7/2016

Konstellationen unterschiedlicher Steuerungsmechanismen als auch Verschie-                 Aulenbacher, B./Dammayr, M. (2014): Zwischen Anspruch und Wirklichkeit:
                                                                                           Zur Ganzheitlichkeit und Rationalisierung des Sorgens und der Sorgearbeit,
bungen innerhalb des jeweiligen Berufsverständnisses, die wir u. a. als Ma-
                                                                                           in: Aulenbacher, B./Riegraf, B./Theobald, H. (Hrsg.): Sorge: Arbeit, Verhältnis-
nagerialisierung des Professionsethos deuten. Vor diesem Hintergrund gewin-                se, Regime, in: Soziale Welt, Sonderband 20, Baden-Baden, S. 125 – 140
nen Fragen der Legitimität an Brisanz: Wie werden Veränderungen von den                    Aulenbacher, B./Riegraf, B./Theobald, H. (Hrsg.) (2014): Sorge: Arbeit, Verhält-
Beschäftigten beurteilt? Welche Legitimationsmuster oder normativen Ori-                   nisse, Regime. Sonderband 20 der Zeitschrift Soziale Welt, Baden-Baden
                                                                                           Aulenbacher, B./Dammayr, M./Dörre, K./Menz, W./Riegraf, B./Wolf, H. (Hrsg.)
entierungen werden herangezogen? Unter welchen Vorzeichen findet der
                                                                                           (2017): Leistung und Gerechtigkeit. Das umstrittene Versprechen des
Wandel von Arbeit anerkennende Zustimmung oder stille Duldung, und                         Kapitalismus, Weinheim/Basel (im Erscheinen)
wann stößt er auf Kritik oder Widerstand?                                                  Bauer, R./Gegenhuber, T. (2015): Crowdsourcing: global search and the twisted
    Unsere Teilprojekte geben für Antworten auf diese Fragen einige Hin-                   roles of consumers and producers, in: Organization 22 (5), S. 661 – 681
                                                                                           Bilton, C./Leary, R. (2002): What can managers do for creativity? Brokering
weise. Betrachtet man die Alltagskritik der Beschäftigten und wie diese die                creativity in the creative industries, in: International Journal of Cultural Policy
Veränderungen beurteilen, so lassen sich sowohl feldspezifisch als auch ab-                8 (1), S. 49 – 64
hängig von konkreten Situationen und Arbeitsbedingungen Argumentati-                       Dammayr, M./Gegenhuber, T./Graß, D. (Hrsg.) (2013): Legitime Leistungspoli-
                                                                                           tiken? Governance und Gerechtigkeit in Schule, Altenpflege und industrieller
onsfiguren und praktische Handlungsstrategien identifizieren. Gegenstand
                                                                                           Kreativarbeit. Forschungs- und Betreuungskonzept des von der Österreichischen
der Kritik bilden dabei in der Regel weder die Steuerungsinstrumente an sich               Akademie der Wissenschaften bewilligten DOC-teams 67, Working Paper des
noch die ihnen zugrunde liegenden Prinzipien einer Markt- oder Verwal-                     ÖAW DOC-teams 01/2013, Linz, http://www.jku.at/legitimeleistungspolitiken/
tungslogik. Die untersuchten Beschäftigten adressieren vielmehr Ausschnit-                 content/e222094
                                                                                           de Boer, H./Enders, J./Schimank, U. (2007): On the way towards new public
te ihres Arbeitsalltags, die sich aus ihrer Sicht als problematisch darstellen.
                                                                                           management? The governance of university systems in England, the Nether-
Auffallend ist, dass sich vor allem solche Situationen für eine kritische Beur-            lands, Austria, and Germany, in: Jansen, D. (Hrsg.): New forms of governance
teilung als relevant erweisen, in denen Ansprüche an gute Arbeit in Verbin-                in research organizations. Disciplinary approaches, interfaces and integration,
                                                                                           Dordrecht, S. 137 – 152
dung mit einem spezifischen Arbeitsethos verletzt oder in denen Handlungs-
                                                                                           Dubet, F. (2008). Ungerechtigkeiten. Zum subjektiven Ungerechtigkeitsemp-
spielräume und die Realisierung professioneller Ansprüche eingeschränkt                    finden am Arbeitsplatz, Hamburg
werden. Sie werden im Sinne von Ungerechtigkeitserfahrungen artikuliert                    Dühlmeier, B. (2004): Und die Schule bewegt sich doch. Unbekannte Reform-
und kritisiert (Dubet 2008). Das trifft insbesondere auf subjektive Erfahrun-              pädagogen und ihre Projekte in der Nachkriegszeit, Heilbronn
                                                                                           Graß, D./Altrichter, H./Schimank, U. (Hrsg.) (2017): Governance und Arbeit im
gen der Deprofessionalisierung zu, die die Beschäftigten in allen drei Feldern
                                                                                           Wandel: Bildung und Pflege zwischen Staat und Markt, Wiesbaden
machen. Neue Arbeitsteilungen, Arbeitsverdichtungen sowie veränderte und                   (im Erscheinen)
pluralisierte Anforderungen unterminieren das auf einer spezifischen Äqui-                 Graß, D./Dammayr, M./Gegenhuber, T. (2014): Governance und Leistung im
valenzerwartung basierende Entsprechungsverhältnis von Leistung und An-                    Umbruch. Hinweise auf Spannungsverhältnisse in den Feldern Schule, Alten-
                                                                                           pflege und industrielle Kreativarbeit, Working Paper des ÖAW DOC-teams 67
erkennung. Umgekehrt werden steigende Leistungsanforderungen dadurch                       „Legitime Leistungspolitiken“ 01/2014, Linz,
legitimiert, dass sie als „Mittel zum Zweck“ – der Erreichung eines allgemei-              http://www.jku.at/legitimeleistungspolitiken/content/e222094
nen Gutes, der Erhöhung des individuellen und/oder des organisationalen                    Goffman E. (1956): The presentation of self in everyday life: University of
                                                                                           Edinburgh Social Sciences Research Centre
Status – gedeutet oder als individuelle Anerkennungserfahrung erlebt werden
                                                                                           Haak, C./Schmid G. (2001): Arbeitsmärkte für Künstler und Publizisten –
können. Dies hat sich anhand der Zunahme symbolischer Aktivitäten im                       Modelle der künftigen Arbeitswelt, in: Leviathan 29 (2), S. 156 – 178
Berufsalltag gezeigt, die teilweise ausgelagert und im persönlichen Engage-                Heid, H. (2003): Standardsetzung, in: Zeitschrift für Pädagogik, 47. Beiheft,
ment außerhalb der regulären Arbeitszeit erbracht werden.                                  S. 176 – 193
                                                                                           Heinrich, M./Altrichter, H. (2008): Schulentwicklung und Profession. Der Ein-
    Unsere Befunde verweisen somit auf die Ambivalenz von Entwicklungen,
                                                                                           fluss von Initiativen zur Modernisierung der Schule auf die Lehrerprofession,
die sich einer eindeutigen Beurteilung entziehen. Wir können festhalten,                   in: Helsper, W./Busse, S./Hummrich, M./Kramer, R.-T. (Hrsg.): Pädagogische
dass Arbeit und Arbeitswelten weiterhin einen „wichtigen Erfahrungsraum                    Professionalität in Organisationen. Neue Verhältnisbestimmungen am Beispiel
und Resonanzboden für Legitimitätsansprüche und (Un-)Gerechtigkeitser-                     der Schule, Wiesbaden, S. 205 – 221
                                                                                           Kreis, I. (2009): Professionalität im Lehrberuf: Was ist das? Eine Annäherung
fahrungen in entwickelten kapitalistischen Gesellschaften“ bilden (Tullius/                aus Praxis und Theorie. Dissertation, Klagenfurt
Wolf 2015, S. 285). Deren Analyse profitiert von einer interdisziplinären,                 Mayer, H. (2010): „Verwissenschaftlichung“ der Pflege – Chance zur Emanzipa-
feldübergreifenden Betrachtung. Gerade die verbindende gemeinsame Dis-                     tion? Ein Diskurs aktueller Entwicklungen unter professionsspezifischem und
                                                                                           feministischem Blickwinkel, in: Appelt, E./Heidegger, M./Preglau, M./Wolf, M. A.
kussion, die aktuelle Reformen und Transformationen, leistungspolitische
                                                                                           (Hrsg.): Who cares? Betreuung und Pflege in Österreich. Eine geschlechter-
Anforderungen sowie die handlungspraktische Kompetenz der Beschäftigen                     kritische Perspektive, Innsbruck et. al., S. 41 – 51
vergleichend in den Blick nimmt, scheint uns daher sehr lohnend zu sein.                  Mutzeck, W./Schlee, J. (2008): Kollegiale Unterstützungssysteme. Gemeinsam
                                                                                           den Schulalltag bewältigen, Stuttgart
                                                                                           OECD (Organisation for Economic Co-operation and Development) (2005):
                                                                                           Teachers matter: attracting, developing and retaining effective teachers,
                                                                                           Paris
LITER ATUR                                                                                 Pollitt, C./Bouckaert, G. (2011): Public management reform. A comparative
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                                                                   https://doi.org/10.5771/0342-300X-2016-7-540                                                          545
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schaftliche, politische und wissenschaftliche Bruchlinien der Rechtfertigung,             Arbeitsschwerpunkte: Governance des Bildungswesens, qualitative For-
Bielefeld, S. 269 – 287                                                                   schungsmethoden, Lehrerbildung.

                                                                                          @    herbert.altrichter@jku.at

AUTOREN
                                                                                          BRIGIT TE AULENBACHER , Soziologin, Professorin für Soziologische Theorie

MARIA DAMMAYR , Soziologin und Theologin, wissenschaftliche Mitarbeiterin                 und Sozialanalyse an der Johannes Kepler Universität Linz, Institut für
an der Johannes Kepler Universität Linz, Institut für Soziologie. Arbeits-                Soziologie. Arbeitsschwerpunkte: Gesellschaftstheorie, Arbeits-, Care- und
schwerpunkte: Careforschung, Arbeits- und Professionssoziologie.                          Geschlechterforschung.

@   maria.dammayr@jku.at                                                                  @    brigitte.aulenbacher@jku.at

THOMAS GEGENHUBER , Wirtschaftswissenschaftler und Organisationsfor-                      ROBERT BAUER , Wirtschaftswissenschaftler und Organisationsforscher, a.
scher, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Johannes Kepler Universität Linz,            Professor für Organisation und Innovation an der Johannes Kepler Universität
Institut für Organisation und globale Managementforschung. Arbeitsschwer-                 Linz. Arbeitsschwerpunkte: Innovation, Kreativität sowie Kunst und Design in
punkte: Organisationstheorie, Crowdsourcing und Open Innovation.                          Management.

@   thomas.gegenhuber@jku.at                                                              @    robert.bauer@jku.at

5 46                                                              https://doi.org/10.5771/0342-300X-2016-7-540
                                                           Generiert durch IP '46.4.80.155', am 15.11.2021, 01:16:44.
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