Unver gängliche Augen blicke - Jahresmagazin 2020 - Badisches Landesmuseum

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Unver gängliche Augen blicke - Jahresmagazin 2020 - Badisches Landesmuseum
Unver
Jahresmagazin 2020

gängliche
Augen
blicke
Unver gängliche Augen blicke - Jahresmagazin 2020 - Badisches Landesmuseum
Unver gängliche Augen blicke - Jahresmagazin 2020 - Badisches Landesmuseum
Jahresmagazin 2020

                                                            Inhalt
                                                        1   Editorial

                       Sonderausstellungen 2020         4   Kaiser und Sultan – Nachbarn in Europas Mitte 1600–1700
                                                        8   Humanimal – Das Tier und Wir
                                                       12   Die Perser – Am Hof der Großkönige
                                                       16   Räuber Hotzenplotz – Mitmachausstellung

                                Museum der Zukunft     20   Audienz im Schloss – Eine Zeitreise ins Barock
                                                       22   Archäologie in Baden – Expothek¹
                                                       28   Creative Collections 2.0

                         Blick hinter die Kulissen     30   Das künftige Publikum im Blick – Dr. Elke Kollar im Gespräch
                                                       32   Verborgene Schätze – Bilder einer Polarexpedition

                                    Unsere Museen      34   Picasso & Co – Berühmte Künstler*innen und ihre Keramiken
                                                       35   Schwarzwald-Geschichten in Schloss Neuenbürg
                                                       36   Erinnerungen an Bruchsal – Animationsfilm
                                                            und Förderverein des Deutschen Musikautomaten-Museums

                                       Social Media    38   Museen und Instagram – Liebe auf den zweiten Blick

                                   Gemeinsam stark     40   Die Freunde des Badischen Landesmuseums

                                     Auf einen Blick   42   Veranstaltungshighlights
                                                       44   Von Karlsruhe bis Salem
                                                       46   Service und Impressum

Impression Schloss
© Bruno Kelzer

Titelmotiv sowie S. 2/3:
Das „Blaue Zelt“ aus Krakau,
osmanisch, 1. Hälfte 17. Jh.,
Krakau Schloss am Wawel
© ARTIS – Uli Deck

Alle weiteren Copyrightnachweise
sind im Impressum aufgeführt.
Unver gängliche Augen blicke - Jahresmagazin 2020 - Badisches Landesmuseum
Dauerhaft im Schloss Karlsruhe

Archäologie in Baden               Expothek¹

            7. Februar 2020 – 29. November 2020 Keramikmuseum Staufen

                  Picasso & Co
      Berühmte Künstler*innen und ihre Keramiken

  21. Februar 2020 – 14. Februar 2021 Volontär*innenausstellung im Schloss Karlsruhe

                   Humanimal
                             Das Tier und Wir

                  19. Oktober 2019 – 19. April 2020 Schloss Karlsruhe

Kaiser und Sultan
             Nachbarn in Europas Mitte 1600–1700

                  10. Oktober 2020 – 11. April 2021 Schloss Karlsruhe

            Die Perser  Am Hof der Großkönige

                 24. Oktober 2020 – 25. April 2021 Schloss Karlsruhe

     Räuber Hotzenplotz
    Mitmachausstellung für Kinder und ihre Familien
Unver gängliche Augen blicke - Jahresmagazin 2020 - Badisches Landesmuseum
Liebe
Leser*innen
  — Das Badische Landesmuseum sieht sich gro-
  ßen Aufgaben gegenüber: Es geht um umfang-
  reich zu planende Bau- und Sanierungsmaß-
  nahmen, die schrittweise Neueinrichtung der
  Schausammlungen und den entschlossenen
  Aufbruch in die digitale Welt. Organisatorisch
  und finanziell stellt uns dies vor neue Heraus-
  forderungen. Hierfür haben wir ein Gesamt-
  konzept entwickelt, das die strategische und
  inhaltliche Ausrichtung des Hauses für ein
  Museum der Zukunft beschreibt. Unser neu
  entwickeltes Museumskonzept „Museums­
  besucher*innen werden zu Nutzer*innen“                    Das Badische Landesmuseum versteht sich
  bezieht alle Arbeitsbereiche des Museums mit              als Teil der internationalen Gemeinschaft zur
  ein und hat Auswirkungen auf alle organisato-             digitalen Verbreitung des kulturellen Erbes und
  rischen und finanziellen Belange.                         möchte auch die jungen und künftigen Genera-
                                                            tionen erreichen. Der digitale Zugang zu allen
  Sichtbar ist das Konzept in unserer Sammlungs­            Sammlungsobjekten und die Schaffung einer
  ausstellung Archäologie in Baden. Fortan erhal-           digitalen Community rund um das Museum
  ten Sie einen ganzjährig gültigen Nutzerausweis           mit den Besucher*innen ist dabei das Ziel. Mit
  als „Eintrittskarte“. Mit ihm können Sie die Ab-          Projekten, die vom Ministerium für Wissen-
  teilungen des Hauses besuchen, Objekte von                schaft, Forschung und Kunst Baden-Württem-
  zuhause digital einsehen und einige sogar in              berg unterstützt werden, wie Creative Collec­
  die Expothek zur Vorlage bestellen. Sich eine             tions und museum x, lassen wir Bürger*innen
  4.000 Jahre alte Dolchklinge persönlich vorlegen          an diesen Prozessen teilhaben und öffnen das
  zu lassen und sogar anfassen zu können, ist ein           Haus zum partizipativen Umgang mit den
  in der Museumslandschaft einzigartiges Erleb-             Sammlungen und dem Museum als Ganzes.
  nis. In der Archäologie in Baden wird erprobt
  und evaluiert, wie nach einer Neueinrichtung              Besuchen Sie uns im Jahr 2020 und überzeugen
  digitale Formate im Museum umgesetzt und                  Sie sich von unseren neu geschaffenen Forma-
  von den Nutzer*innen angenommen werden.                   ten. Dabei erleben Sie im Schloss auch unsere
  Die daraus gewonnenen Erkenntnisse und Er-                Sonderausstellungen. Die Große Landes­
  gebnisse fließen in unsere künftigen Planungen            ausstellung Kaiser und Sultan – Nachbarn in
  mit ein.                                                  Europas Mitte 1600–1700 läuft noch bis April.
                                                            Im Oktober eröffnen wir dann gleich zwei
   Wie stellen wir uns das Museum der Zukunft               Präsentationen: die Sonderausstellung über
   vor? Und wie vermitteln wir das kulturelle               Die Perser – Am Hof der Großkönige und die
   Erbe? Diese Fragen führen unweigerlich auch              Mitmachausstellung für Kinder und Familien
   zu den Themen Digitaler Wandel und Partizi­              Räuber Hotzenplotz.
  pation. Digitalisierung durchdringt alle Lebens-
  ­bereiche. Mittlerweile ist eine ganze Genera­t ion       Begleiten Sie uns auf unserem Weg und seien
   herangewachsen, die sich als digital natives in          Sie unser Gast!
   ihrer eigenen digitalen Welt eingerichtet haben
   – teilen, bewerten, mitgestalten, zusammen­              Prof. Dr. Eckart Köhne, Direktor
   arbeiten und individualisieren.                          Susanne Schulenburg, Kaufmännische Direktorin

                                                        Editorial   1
Unver gängliche Augen blicke - Jahresmagazin 2020 - Badisches Landesmuseum
Unver gängliche Augen blicke - Jahresmagazin 2020 - Badisches Landesmuseum
Kapiteltitel — Titel   3
Unver gängliche Augen blicke - Jahresmagazin 2020 - Badisches Landesmuseum
Eisernes Wechselvisier
    zum Huszarischen Turnier vom Hofe
Erzherzogs Ferdinands II. Prag, um 1557,
       Kunsthistorisches Museum Wien
Unver gängliche Augen blicke - Jahresmagazin 2020 - Badisches Landesmuseum
Kaiser
       und Sultan
        Große Landesausstellung
        Zu seinem 100-jährigen Jubiläum widmet das Badische Landesmuseum
        der sogenannten Karlsruher Türkenbeute eine Sonderausstellung unter
        einer neuen, hochaktuellen Frage­stellung. Dieser liegen die jüngsten
        Forschungsergebnisse zur Entangled History zugrunde, die von einer
        miteinander verflochtenen gemeinsamen Geschichte der Welt ausgeht.

Schloss Karlsruhe                                            Asien nach Europa. Neben Kriegern nutzten
                                                             Kaufleute, Handwerker, Reisende, Gesandte
                                                             sowie Flüchtlinge und Migranten die vorhande-

19. Oktober 2019 —                                           nen Wege. Multikulturellen und vielsprachigen
                                                             Menschen kam eine wichtige Aufgabe als Ver-
                                                             mittler*innen zwischen den Kulturen zu. Damit

19. April 2020                                               schlägt die Ausstellung einen Bogen von der Ver-
                                                             gangenheit zu den gesamtgesellschaftlichen
                                                             Entwicklungen unserer globalen Gegenwart.

        — Der innovative Ansatz der Großen Landes-           Zur Großen Landesausstellung in Karlsruhe
        ausstellung Kaiser und Sultan – Nachbarn in          wurden zum ersten Mal Exponate der Karls­
        Europas Mitte 1600–1700 eröffnet neue Perspek-       ruher Türken­beute mit einer Vielzahl an Leih­
        tiven auf ein vermeintlich bekanntes Thema und       gaben aus der Türcki­schen Cammer der Rüst­
        zielt darauf, sich von einem eindimensionalen        kammer der Staatlichen Kunstsammlungen
        Konfrontationsgedanken zwischen der christ-          Dresden zusammengeführt. Beide Samm-
        lichen und islamischen Welt zu verabschieden.        lungen gelten als die größten osmanischen
        Im Fokus stehen die historischen wie kulturel-       Museums­bestände Deutschlands. Erstmalig
        len Verflechtungen zwischen dem Heiligen             in Karlsruhe zu sehen ist das sogenannte Blaue
        Römischen Reich Deutscher Nation einerseits          Zelt aus Krakau – das mit über 28 qm Umfang
        und dem Osmanischen Reich anderer­seits. Im          große Zelt ist ein Juwel osmanischer Textil-
        kriegerischen 17. Jahrhundert dienten die Ge-        kunst und zählt zu den größten und beeindru-
        biete in Ostmittel- und Südosteuropa während         ckendsten Zelten seiner Art. Zusammen mit
        der sog. Türkenkriege als Transit- und Grenz-        weiteren hochkarätigen Exponaten u. a. aus
        räume zwischen den Großmächten. Wichtige             Österreich, Polen, Ungarn, der Schweiz und Slo-
        Handelsrouten führten durch dieses Gebiet von        wenien beleuchtet die Ausstellung eine Epoche,

                                                         Sonderausstellung — Kaiser und Sultan   5
Unver gängliche Augen blicke - Jahresmagazin 2020 - Badisches Landesmuseum
die trotz der kriegerischen Auseinandersetzungen in besonderem Maße für
    kulturelle Wechselbeziehungen und Biografien mit multiethnischer, multi-
    religiöser sowie multilingualer Prägung steht. Ausgewählte Objekte belegen
    einen künstlerischen Mischstil oder stehen für Phänomene der gegenseiti-
    gen kulturellen Durchdringung, so auch das Zepter von Karl Friedrich von
    Baden. Selbst Rüstungen und Waffen gehörten in dieser Zeit zu Prestige­
    objekten, die in der kriegerischen Epoche des 17. Jahrhunderts als Trophäen,
    Gesandtschaftsgeschenke oder als Tributzahlungen den Weg an die Höfe
    fanden.Wer hätte gedacht, dass die großherzogliche Kroninsignie ursprüng-
    lich gar nicht aus Baden stammt?

    Ein Zepter für den Großherzog
    1806 – zwei Jahre nachdem er von dem Weltenumkehrer Napoleon zum
    Großherzog ernannt worden war – erteilte Karl Friedrich von Baden den Auf-
    trag für neue Kroninsignien. Zepter, Krone und Zeremonienschwert sollten
    künftig von seiner neuen Stellung künden und deshalb mit den erlesensten
    Edelsteinen verziert werden. Durch die kurz zuvor erfolgte Säkularisation
    waren zahlreiche Goldschmiedearbeiten aus dem kirchlichen in den staat-
    lichen Besitz übergegangen. Karl Friedrich ordnete an, dass man die Steine
    des reich verzierten Kirchengerätes, darunter Messkelche und Monstranzen,
    „zur Fertigung seiner königlichen Crone und Scepter anwende“. Vor allem
    der Rastatter Hofkirchenschatz sollte als Materialfundus dienen.

    Auch für das Zepter griff man auf Bestehendes zurück. Erst bei genauerem
    Hinsehen verrät es seine Herkunft: Unter dem Diamantbesatz geben sich
    in Kartuschen eingebettete Arabesken zu er­kennen, die tiefer Ausdruck

Impression: Gemälde u. a. Türkische Tänzerin, Steiermark (?), spätes 17. Jh., Regionalmuseum Ptuj-Ormož
des islamischen Weltverständnisses sind. In vergoldetes Silber getrieben,
    verzieren sie den einfachen hölzernen Schaft. Die Punzierung belegt, dass
    es sich hierbei um eine ostmitteleuropäische Arbeit aus dem Jahr 1625 han-
    delt: Bartholomäus Igell, ein siebenbürgischer Goldschmied aus Kronstadt
    (heute Braşov, Rumänien), verewigte sich hier als Schöpfer. Das Zepter Karl
    Friedrichs gibt sich damit eindeutig als Buzogan bzw. siebenbürgischer
    Streitkolben zu erkennen.

    Im Osmanischen Reich galten Streitkolben als militärische Waffe. Im Ver-
    lauf des 16. Jahrhunderts wandelte sich der Streitkolben in Ostmitteleuropa
    zunehmend zu einem Standessymbol. Vor allem im damals dreigeteilten
    Ungarn und dem angrenzenden Polen-Litauen gehörte er zum Kennzeichen
    der militärischen wie gesellschaftlichen Elite, wie zahlreiche Fürsten­
    portraits belegen.

    Möglicherweise gelangte der Karlsruher Streitkolben einst als Kriegsbeute
    in den Besitz der Markgrafen von Baden-Durlach. Er erfuhr indes im neu
    gekürten Großherzogtum Baden eine völlig neue Deutung und wurde zum            Zischägge von Nikolaus IV. Zrínyi, Ban von Kroatien
    Zepter als Teil der badischen Kroninsignien umfunktioniert. Bis zur Um-        ungarisch, 1562, Kunsthistorisches Museum Wien

    arbeitung des Buzogans in ein Zepter für den badischen Großherzog Karl
    Friedrich verging noch fast ein weiteres Jahrhundert. Der fälschlicherweise
    als Reichsapfel interpretierte Schlagkopf des Buzogans wurde dabei durch
    eine Krone ausgetauscht.
                                                                                       Ungarn, das osmanische Zentral­u ngarn und
    Das großherzogliche Zepter konnte Karl Friedrich leider nicht mehr selbst          Siebenbürgen als relativ auto­nomem Vasallen­
    in Augenschein nehmen. Es wurde in aller Eile erst nach dessen Tod am              staat der Osmanen bildete die Region den frucht-
    10. Juni 1811 innerhalb weniger Tage hergestellt. So konnte das reich aus-         baren Nährboden für einen wechselseitigen
    staffierte Zeichen fürstlicher Regierungsgewalt ihm zumindest noch als             kulturellen Austausch abseits der Kriege bis ins
    pompe funèbre, als standesgemäße Dekoration seiner Beisetzungsfeier-               Badische hinein. Dass dieser Kulturtransfer die
    lichkeiten, dienen.                                                                Region Ostmittel- und Südosteuropa zu einer
                                                                                       Brücke zwischen den Kulturen aus­bildete, zeigt,
    Gemeinsam mit weiteren Exponaten in der Großen Landesausstellung zeigt             wie kulturell vielfältig Europa tatsächlich schon
    das Zepter, wie gerade das ungarische Gebiet im 17. Jahrhundert zu einem           lange ist.
    kulturellen Schmelztiegel der Kulturen wurde. Aufgeteilt in das Königliche
                                                                                       Die Große Landes­ausstellung nimmt ihren
                                                                                       Ausgang in den neuesten wissenschaftlichen
                                                                                       Forschungen zu transkultureller Geschichte.
Abb. links oben: Buzogan / Zepter
Siebenbürgen (Kronstadt), 1625, Umarbeitung zum Zepter: Karlsruhe, 1811
                                                                                       Sie stellt die Austauschbeziehungen zwischen
                                                                                       den Kulturen in den Mittelpunkt und betont
Kriegskasse des Sari Süleyman Paşa, 2. Hälfte 17. Jh.
Bayerisches Armeemuseum Ingolstadt
                                                                                       den Mehrwert plurikultureller Gesellschaften
                                                                                       für Europa. Mit einer Vielzahl an Beispielen
                                                                                       deckt sie die engen Beziehungen zwischen den
                                                                                       europäischen Höfen unter der Habsburger­
                                                                                       monarchie und ihre Berührungspunkte mit
                                                                                       dem Osmanischen Reich auf. Im Unterschied
                                                                                       zu thematisch vergleichbaren Ausstellungen
                                                                                       der Vergangenheit werden zivilisatorische
                                                                                       Neuerungen in den Mittelpunkt gestellt, die im
                                                                                       Schatten von Machtpolitik und kriegerischen
                                                                                       Auseinandersetzungen entstanden. Innova-
                                                                                       tionen in Architektur, Kunst und Mode oder
                                                                                       die Einführung neuer technischer Verfahren
                                                                                       künden von einem wechselseitigen Austausch
                                                                                       der Kulturen, dessen Grundstein nicht in der
                                                                                       vermeintlichen östlichen Peripherie, sondern
                                                                                       im Herzen Europas gelegt wurde.

                                                                                   Sonderausstellung — Kaiser und Sultan    7
Humanimal
Das Tier und Wir

Sprechende Furbys,
Spielzeuge der Millennial-Generation, 1998/99
Sie ist so alt wie unsere Geschichte selbst und geprägt von kontrastreichen
Ambivalenzen: die Beziehung zwischen Mensch und Tier. Egal, ob ‚bester
Freund‘ oder ertragreiches Schlachtvieh, zugkräftiges Arbeitstier oder
modisches Luxusgeschöpf – die Sicht des Menschen auf andere Lebe­
wesen ist von unterschiedlichen Interessen geleitet und erweist sich
mal mehr und mal weniger ‚human‘. Die Volontär*innenausstellung
Humanimal – Das Tier und Wir präsentiert an exemplarischen Highlight­
stationen zentrale Aspekte dieses wechselvollen Verhältnisses von der
Antike bis zur Gegenwart. Unter Berücksichtigung neuester Forschungs-
ergebnisse aus dem Bereich der Animal Studies werden dabei auch tier­
ethische Perspektiven eröffnet, die zum Nachdenken anregen.

                                     Sonderausstellung — Humanimal   9
— Die Frage nach den humanimalistischen Relationen rührt dabei an
                                                             nichts Geringerem als dem menschlichen Eigen- und Weltverständnis
                                                             selbst. Ist das Tier nur ein Mitgeschöpf des Menschen, ihm an emotionalen
                                                             Fähigkeiten und Intelligenz unterlegen? Ist das Tier in mancherlei Hinsicht
                                                             gar ein menschliches Ebenbild oder vielleicht sogar der bessere Mensch?
                                                             Der Erkenntnis über den gemeinsamen evolutionären Ursprung mit dem
                                                             Affen folgten bis heute weitreichende philosophische, politische und juris-
                                                             tische Konsequenzen: Doch die Frage, welche Stellung dem Menschen
                                                             im Tierreich tatsächlich zukommt, stellt uns noch immer vor ungelöste
                                                             ethische Probleme.

                                                             Die aus dem Verhältnis zu Tieren abgeleiteten Verhaltensnormen prägen
                                                             schließlich den Alltag eines jeden Menschen und definieren so unter ande-
                                                             rem Nahrungsgewohnheiten, Kleidungsstile und Lebensweisen. Vegetaris-
                                                             mus oder Veganismus auf der einen sowie Fleischkonsum auf der anderen
                                                             Seite avancieren zu modernen Glaubensbekenntnissen der westlich ge-
                                                             prägten Konsumgesellschaft. Ähnlich verhält es sich mit der Einstellung
                                                             zur Haustierhaltung: Sehen die einen Hund, Katze oder Maus als treue
                                                             Wegbegleiter und Mitbewohner, die sich positiv auf die menschliche Ge-
Tierhaut als Prestigeobjekt: Eine Handtasche aus Krokodil­   sundheit auswirken, so monieren die anderen Qualzuchten und unzulässi-
leder der Firma Goldpfeil, um 1960                           ge Vermenschlichung. Ist das Tragen von Pelz oder Leder für die einen ein
                                                             prestigeträchtiger Ausdruck ihrer Persönlichkeit, so lehnen es die anderen
                                                             in Zeiten synthetischer Alternativen kategorisch ab. Selbst die Wahl von
                                                             Freizeitbeschäftigungen berührt Fragen der individuellen Mensch-Tier-
                                                             Beziehung, wie nicht zuletzt Diskussionen um Jagdverbote oder den Ein-
                                                             satz exotischer Tiere in Wanderzirkussen zeigen.

                                                             Humanimal – Das Tier und Wir präsentiert 35 Exponate aus dem Samm-
                                                             lungsbestand des Badischen Landesmuseums, die die Mensch-Tier-
                                                             Beziehung material- und variantenreich illustrieren. Die Ausstellung
                                                             belegt, dass die Beschäftigung des Menschen mit dem Tier nicht erst ein
                                                             Phänomen jüngster Tier- und Klimaschutzbewegungen ist. Zu den High-
                                                             lights der Ausstellung zählen unter anderem ein Wandteller mit der Dar-
                                                             stellung einer Stierkampfszene von Pablo Picasso sowie ein Elfenbein-
                                                             Prunkdolch aus der großherzoglich-badischen Waffenkammer.

Ein Schaustück der badischen Großherzöge:
Elfenbein-Prunkdolch mit Scheide, 2. Hälfte 19. Jh.

                                                             Schloss Karlsruhe
                                                             21. Februar 2020 —
Eine sog. Käfermenagerie zum Halten von Käfern,
Anfang 20. Jh.                                               14. Februar 2021
Wer tiefer in die ‚haarige‘ Beziehung der Zwei-
und Vierbeiner eintauchen möchte, kann dies
in einem eigens für die Ausstellung konzipier-
ten Podcast. Dank der Zusammenarbeit mit
Querfunk – Freies Radio Karlsruhe bietet er
monatlich wechselnde Hintergrundgeschichten
zu den insgesamt vierzehn Schwerpunktthemen
der kulturhistorischen Schau. Neue Perspek­
tiven auf die spannende und oft unbekannte
Welt der heimischen Tiere ermöglicht darüber
hinaus eine Ferienaktion, die gemeinsam mit
dem Waldklassenzimmer e. V. angeboten wird.
Wie schützenswert unser lokales – aber auch
globales – tierisches Lebensumfeld ist, zeigt
die Kooperation mit dem Zoologischen Stadt­
garten Karlsruhe. Zoodirektor Dr. Matthias
Reinschmidt verdeutlicht in einem öffentlichen
Vortrag über den Artenschutz die immense
Bedeutung des Erhalts unserer biologischen
Diversität für uns alle.

Die Ausstellung Humanimal – Das Tier und
Wir wird durch den wissenschaftlichen Nach­-
wuchs des Badischen Landesmuseums
kuratiert. Beteiligt sind Volontär*innen aus
den Bereichen Kulturvermittlung, Direktion,
Öffentlichkeitsarbeit, Controlling, Projekt­
koordination und den Referaten Volkskunde,
Antike Kulturen sowie Kunst- und Kulturge-
schichte.

                           Populäre Katzengottheit:
                            die Maneki-neko, 2019

                                                      Sonderausstellung — Humanimal   11
Die
Perser
Am Hof
der Großkönige

Die persischen Großkönige herrsch-
ten über ein Weltreich, das ein Gebiet
vom Indus und den Wüsten Zentral­
asiens im Osten bis zum Bosporus im
Westen und nach Ägypten im Süden
umfasste. Die Ausstellung in Karls­
ruhe veranschaulicht die kulturelle
Blütezeit des Perserreiches und seine
Rolle als früher Global Player zwi-
schen den Kulturen.

Naqsch-e Rostam, Felsgräber der Großkönige aus der
Achämeniden-Dynastie in der iranischen Provinz Fars

Sonderausstellung — Die Perser   13
„Dareios, der große König, König der Könige, König der Länder,
                               des Hystapes Sohn, ein Achämenide. Es kündet Dareios, der
                               König: Dies (ist) das Reich, das ich innehabe von den Saken
                               jenseits Sogdiens (Zentralasien) bis hin nach Nubien, vom
                               Indus(land) bis nach Sardes (Lydien).“
                                                                    — Inschrift des Dareios I. auf den Gründungstafeln aus Persepolis

                                                          Armee und einer hoch entwickelten Infrastruk-
                                                          tur, die bis in die entferntesten Provinzen
                                                          reichte. Bemerkenswert ist die politische und
                                                          religiöse Toleranz der Eroberer gegenüber den
                                                          Besiegten: Unterworfene behielten ihr einhei-
                                                          misches Recht und ihre regional spezifische
                                                          Verwaltungsstruktur, die einer reichsübergrei-
                                                          fenden Administration unterstellt war, bei.
                                                          Dafür gewährten die Großkönige ihnen Schutz
                                                          und wirtschaftliches Auskommen. So gelang es
                                                          den Achämeniden, in relativ kurzer Zeit ein
                                                          ethnisch und kulturell heterogenes Reich von
                                                          enormen Ausmaßen zu begründen und über
                                                          fast zwei Jahrhunderte aufrecht zu erhalten –
                                                          bis zur Eroberung durch Alexander den Großen
                                                          330 v. Chr.

                                                          Das kulturelle Spektrum des Vielvölkerstaates
                                                          spiegelt sich in der Kunst wider. Monumentale
Gewandapplikation in Form silbervergoldeter Löwenköpfe,   Bauwerke und meisterhaft gearbeitetes Kunst-
Perserreich, um 500–300 v. Chr.                           handwerk dienten der Verherrlichung und dem
                                                          Ruhm der Herrscher. Dabei integrierte der
                                                          achämenidische Stil erfolgreich Einflüsse aus
    — Im Zentrum der Ausstellung steht das                Nachbar- und Vorgängerkulturen, nahm unter
    Herrscherhaus der Achämeniden: ihr Aufstieg,          anderem assyrische und ägyptische Elemente
    ihr Machtanspruch und das Leben am könig­             auf. Mit kostbaren Leihgaben aus iranischen
    lichen Hof in Residenzstädten wie Persepolis,         Museen zeichnet die große Sonderausstellung
    Pasargadae und Susa. Der Erfolg der persischen        das Portrait einer faszinierenden Weltmacht
    Großkönige beruhte auf einer schlagkräftigen          und ihrer Könige.

                               Schloss Karlsruhe
                               10. Oktober 2020 —
                               11. April 2021
Relief, achämenidisch,
um 500 v. Chr.

Die Ausstellung entsteht in Kooperation
zwischen dem Badischen Landesmuseum
und dem Nationalmuseum in Teheran.

Sonderausstellung — Die Perser   15
Räuber
Hotzenplotz
Mitmachausstellung für Kinder und Familien

 Großmutters Kaffeemühle ist weg!
 — Unerhört! Räuber Hotzenplotz hat Großmutters heißgeliebte Kaffeemüh-
 le gestohlen! Sofort gehen Kasperl und sein Freund Seppel auf Verfolgungs-
 jagd. Doch bald geraten sie in einen gemeinen Hinterhalt und Kasperl wird
 an den bösen Zauberer Petrosilius Zwackelmann verkauft …

 Mithilfe der verzauberten Fee Amaryllis gelingt es Kasperl, den Zauberer
 zu besiegen. Räuber Hotzenplotz wird gefangen genommen und die über-
 glückliche Großmutter erhält ihre Kaffeemühle zurück. Am Ende gibt es für
 alle Pflaumenkuchen mit Schlagsahne, obwohl doch gar kein Sonntag ist.

                                                   Schloss Karlsruhe
                                                   24. Oktober 2020 —
                                                   25. April 2021
„Ich habe die Überzeugung gewonnen, dass Kinder das beste
                          und klügste Publikum sind, das man sich als Geschichten­
                          erzähler nur wünschen kann. Kinder sind strenge, unbe­
                          stechliche Kritiker.“
                                                                                                            — Otfried Preußler

Mitten im Abenteuer
In der Ausstellung Räuber Hotzenplotz tauchen
Kinder in Otfried Preußlers Kinderbuchklassi-
ker ein. Auf den Fersen des beliebten Schurken
unter­stützen sie Wachtmeister Dimpfelmoser
und erleben die Abenteuer von Kasperl und
Seppel hautnah. Sie können an vielen Mitmach­
stationen aktiv sein, spielen und entdecken.
Es gilt, eine Goldkiste zusammenzupuzzeln,
Sandspuren zu folgen und eine eigene Höhle
zu bauen, einen magischen Spiegel auszupro-
bieren, kreativ mit Wörtern zu spielen oder
selbst Theater zu machen. Dabei bewegen sich
die Kinder in liebevoll eingerichteten Räumen:
Sie besuchen Großmutters Küche und streu-
nen durch den Wald. Auf ihrem Weg durch die
Geschichte machen sie auch einen Abstecher in
die Höhle des Räubers Hotzenplotz und in das
Studierzimmer des Zauberers Petrosilius Zwa-
ckelmann. Richtig aufregend wird es dann in
der Küche des Zauberers und im Unkenkeller …

                                                 Der Autor Otfried Preußler
                                                 Eigentlich hatte Otfried Preußler gar nicht vor, gleich drei Geschichten um
                                                 den Räuber Hotzenplotz zu schreiben – doch das Drängen und Bitten der
                                                 Kinder nach dem ersten Buch 1962 ließen ihm keine andere Wahl. Da bereu-
                                                 te er es schnell, dass er den bösen Zauberer Petrosilius Zwackel­mann bereits
                                                 im ersten Band hatte sterben lassen. Inzwischen ist Räuber Hotzenplotz in
                                                 38 Sprachen übersetzt und weltweit bekannt. Die Illustrationen von F. J.
                                                 Tripp, die 2012 von Mathias Weber koloriert wurden, trugen viel zum Erfolg
                                                 des Kinderbuches bei und bilden den Ausgangspunkt der Ausstellungs­
                                                 gestaltung.

                                                                         Sonderausstellung — Räuber Hotzenplotz   17
Auch für Eltern und Groß­eltern
                          Generationen von Kindern wuchsen mit dem berühmten Räuber Hotzen­
                          plotz auf. Wer die Geschichten als Kind mühsam Buchstabe für Buchstabe
                          entziffert hat, liest diese Abenteuer heute seinen Kindern oder Enkelkindern
                          vor. Hörspiele, Verfilmungen und Theaterstücke zeugen seit Jahrzehnten
                          vom anhaltenden Interesse am ausgebufften Räuber. Ein eigener kleiner
                          Museumsraum in der Ausstellung widmet sich dem Autor Otfried Preußler
                          und fragt danach, wie seine einfachen und doch raffinierten Geschichten
                          entstanden sind – und welchen Anteil daran die Kinder selbst haben.

                                                                                                         Produziert von

                                                                                                         In Kooperation mit dem
                                                                                                         Thienemann-Esslinger
                                                                                                         Verlag

Für die Hotzenplotz-Ausstellung erhielten die Ausstellunggestalter Bernotat & Co
den German Design Award 2020 in der Kategorie Fair & Exhibition.
Kapiteltitel — Titel   19
Audienz
                im Schloss
Ein Traum, so alt wie die Menschheit: einmal in
vergangene Epochen reisen. Im Badischen Landes-
museum ist das mit Virtual Reality (VR) möglich.
Die Besucher*innen sind zur Audienz im Schloss
geladen und erleben am Originalschauplatz mit
einer VR-Brille den Marmorsaal im Wandel der Zeit.

                  
                  — 76 Jahre nach der Zerstörung des Karlsruher
                  Schlosses erstrahlt der historische Marmorsaal
                  wie ehedem. Ein rund sechsminütiger 360°-
                  Film, der auf vier VR-Brillen zu sehen ist, zeigt
                  den einstigen Ball- und Audienzsaal in drei
                  prägenden Phasen seiner Geschichte.

                  Im Barock feiern hier die badischen Mark­g rafen    Bis in die 60er-Jahre wird das Schloss wieder
                  im Glanz von Kronleuchtern, Gold und Marmor         aufgebaut und erneut als Sitz des Badischen
                  feudale Feste. In diesem Rahmen empfängt die        Landesmuseums eingerichtet. Während man
                  bekannte Opernsängerin, Kabarettistin und           die barocke Fassade originalgetreu rekonstru-
                  Entertainerin Annette Postel in der Rolle eines     iert, weichen im Innern die ursprünglichen
                  der legendären Tulpen­mädchen die Besu-             barocken Zimmerfluchten einer modernen
                  cher*innen. Die Gespielin des Markgrafen Karl       Raumaufteilung. Der im Mittelbau angesiedelte
                  Wilhelm plaudert dabei manche Anekdote über         Marmorsaal wird zum schicken und licht-
                  das Schloss und seine Bewohner*innen aus.           durchfluteten Aufenthaltsort für die Besu-
                                                                      cher*innen im Museum.
                  Auch in die jüngere Vergangenheit tauchen die
                  Zeitreisenden ein: Im Zweiten Weltkrieg blei-       Audienz im Schloss ist eine Arbeit des renom-
                  ben vom Karlsruher Schloss und seinen               mierten Darmstädter Studios Faber Courtial,
                  repräsentativen Räumen nur noch die Grund-          das sich auf die virtuelle Animation geschicht-
                  mauern stehen. Ein Luftangriff vom 27. Septem-      licher Ereignisse und berühmter Bauwerke
                  ber 1944 hatte das Schloss und den Marmorsaal       spezialisiert hat. Für den VR-Film wurden
                  als ausgebrannte Ruine und Mahnmal des              historische Fotografien nach Angaben aus
                  Krieges zurückgelassen.                             zeitgenössischen Berichten und Inventarlisten
                                                                      koloriert und anschließend in ein dreidimen­
                                                                      sionales Umgebungsmodell übertragen. So
                                                                      konnte ein authentisches Bild des einstigen
                                                                      Marmorsaals virtuell rekonstruiert werden – als
                                                                      Festsaal, als Ruine und als modernes Museum.
„Der Wunsch, etwas vom ehemaligen barocken Schloss sehen
zu können, wurde schon oft an uns herangetragen. Wir sind
sehr stolz, den Besucher*innen des Badischen Landesmuseums
mit der virtuellen Zeitreise nunmehr ein weiteres Highlight
im Schloss Karlsruhe präsentieren zu können.“
                    — Prof. Dr. Eckart Köhne, Direktor des Badischen Landesmuseums

                                                               Gefördert durch die
                                                               Freunde des Badischen
                                                               Landes­museums e. V.
                                                               und eine Spende der
                                                               BBBank aus Mitteln des
                                                               Gewinnspar­vereins e. V.

                                  Museum der Zukunft — Audienz im Schloss   21
Das Museum
der Zukunft
Die neu eingerichtete Sammlungsausstellung
Archäologie in Baden – Expothek¹ folgt einem revolu-
tionären Konzept: In der Expothek, dem Herzstück
der Ausstellung, können Nutzer*innen ihr kulturelles
Erbe im wahrsten Sinne des Wortes mit den Händen
greifen. Sich Jahrtausende alte Objekte persönlich
vorlegen zu lassen oder als 3D-Scan für die Zukunft
zu sichern, sorgt für ein einzigartiges und unmittel-
bares Museumserlebnis. Schlüssel zu allem ist der
Nutzerausweis: Mit ihm werden Besucher*innen zu
Museumsnutzer*innen.

                 Kapiteltitel — Titel   23
Erlebnis Expothek:
                                                                               Eine Nutzerin hält ein über 3.000 Jahre altes
                                                                               Schwert aus der Bronzezeit in den Händen.

                                                                                   Die Authentizität von alten, seltenen, kostbaren
                                                                                   oder ungewöhnlichen Exponaten persönlich
                                                                                   zu erleben, ist das eine. Das andere geht noch
                                                                                   ein Stück weiter: Nutzer*innen helfen mit, ihr
                                                                                   ausgewähltes Objekt digital zu dokumentieren.
Magische Momente                                                                   Zusammen mit dem Explainer geht es in der
                                                                                   Expothek zur 3D-Scan-Station. Die Axtklinge
— Die Finger, die in blauen Handschuhen stecken, berühren die steinerne            aus dem Rhein bei Maxau hat Wolny zentral
Axtklinge. Sie lässt sich drehen, wenden und ganz genau betrachten. Es ist         platziert, bevor der Roboterarm live in Aktion
ein magischer Moment. Der bearbeitete Stein stammt aus der Zeit um 4.000           tritt. In genau definierten Bewegungen führt er
v. Chr. und wurde im Rheinbett bei Maxau entdeckt. Heute ist die Axtklinge         die Kamera immer wieder rund ums Objekt her-
eines von rund 1.500 Objekten in der Ausstellung Archäologie in Baden. Auf         um. Nach und nach entsteht ein hochaufgelöster
dem ExpoDesk präsentiert sie Dr. Alexander Wolny und ermöglicht auf diese          dreidimensionaler Scan. Am Ende steht der
Weise Archäologie zum Anfassen. Wolny ist Leitender Explainer und hat eine         3D-Scan zusammen mit Informationen, etwa
für ein Museum völlig neue Aufgabe. Zusammen mit vier Kolleg*innen steht           dem Fundort und der Datierung, sowie Links zu
er den Nutzer*innen mit Rat und Tat zur Seite und legt ihnen die bestellten        verwandten Exponaten allen zur Verfügung: in
Objekte vor. Das Besondere an der Arbeit ist für ihn die emotionale Nähe zu        der Ausstellung Archäologie in Baden ebenso wie
den Exponaten. Die Nutzer*innen müssen lediglich das Objekt einige Tage            über das Internet im Digitalen Katalog – für viele
vor ihrem Besuch online bestellen und sich mit ihrem Ausweis identifizieren.       magische Momente im Museum und zuhause.
Digitale und analoge Erlebniswelten –                                             Hell erleuchtet ist die sich anschließende Expo­
                                                                                  thek, die an ein Forschungslabor erinnert und
ein Rundgang                                                                      Wirkungsort der Explainer*innen ist. Mit Expo-
Beim Eintritt in die neue Sammlungsausstellung Archäologie in Baden –             Phones lassen sich die hier präsentierten Objek-
Expothek1 werden die Besucher*innen an der Welcome Wall zunächst per-             te auch selbstständig erkunden. Die ExpoPhones
sönlich begrüßt. Über eine Baden-Karte auf dem Boden führt der Rund-              sind so etwas wie eine digitale Lupe. Wer das
gang in abgedunkelter, mystischer Atmosphäre vorbei an 13 Highlight-              Display auf die Vitrinen richtet, die beide Seiten
Vitrinen. So erfolgt Schritt für Schritt eine zeitliche und räumliche Veror-      des rund 300 Quadratmeter großen Raumes
tung der Objekte. Dicht aneinandergereihte schmale Holzleisten an den             säumen, erhält über Augmented Reality Infor-
Wänden machen auf einen Blick deutlich, um welch riesigen Zeitraum es             mationen zu den Objekten. So erfährt man etwa
für den Menschen geht: von rund 650.000 v. Chr. bis heute. Die Informatio-        den Fundort und die einstige Funktion. Zudem
nen werden in deutscher und in englischer Sprache angeboten. Und Kinder           bieten insgesamt 14 Arbeitsplätze an Medien­
nimmt Roboter Expi.1 mit auf eine Zeitreise, in der Wissen unterhaltsam           tischen in der Ausstellung Recherche-Tools,
und spielerisch vermittelt wird.                                                  Quizspiele oder digitale Puzzles. Ein vorbei­
                                                                                  fließender Strom von Objekten führt Nutzer*in-
                                                                                  nen diese virtuell vor Augen und erzählt multi-
                                                                                  medial aufbereitete Geschichten über sie.

                                                                                  Kinder und Schüler*innen können sich auf die
                                                                                  Suche nach Werkzeugen begeben, mit denen
                                                                                  man Kleidung herstellte. Ältere Besucher*innen,
                                                                                  die als Hobby­forscher*innen unterwegs sind,
                                                                                  bewaffnen sich virtuell mit Schwert, Dolch,
                                                                                  Lanzen- und Pfeilspitzen. Wer schon tiefer
                                                                                  in die Geschichte eingetaucht ist, geht im
                                                                                  Expert*innen­modus daran, keltische Schmuck-
                                                                                  stücke aus der Hallstatt- und Latènezeit auf-
                                                                                  zuspüren. Und wer will, kann auch nach virtu-
                                                                                  ellen Tierchen suchen, die sich zwischen den
                                                                                  Exponaten in den Vitrinen verstecken.

                                                                               Museum der Zukunft — Archäologie in Baden   25
Moderne Werkzeuge ermöglichen den Nut-
zer*innen im Badischen Landesmuseum diese
intensive Auseinandersetzung mit Geschichte                              Mit dem Nutzerausweis: Objekte scannen und altersgerechte
und Geschichten. Geöffnet werden kann der                                Informationen abrufen

Werkzeugkasten durch den neuen Nutzeraus-
weis, der die Distanz zwischen Museumsma-
cher*innen und bisherigen Besucher*innen
aufhebt. Er ermöglicht den Zugang zu individu-    Einfach Nutzer*in werden
ell zugeschnittenen Informationen und bietet
auch die Möglichkeit zur persönlichen Zusam-      Das Eintauchen in die Geschichte beginnt an der Kasse im Badischen Lan-
menstellung von Lieblingsobjekten.                desmuseum. Hier gibt es den neuen Nutzerausweis, der zum ständigen Be-
                                                  gleiter durch die Ausstellung Archäologie in Baden wird. Zunächst werden
Im dritten Raum der Ausstellung, dem Expo-        Daten wie Sprache und Postleitzahl des Wohnortes ins Profil eingegeben.
Lab, sorgen zum Abschluss VR-Brillen dafür,       So erhält man persönlich zugeschnittene Informationen beim Rundgang
dass alle Nutzer*innen selbst in die Geschichte   in deutscher, englischer bzw. kindgerechter Fassung. Für alle, die sich na-
eintauchen können. In drei Varianten lässt sich   mentlich registrieren, wird der neue Nutzerausweis zur Jahreskarte für alle
Alltag lange vor unserer Zeit im 360-Grad-Blick   Sammlungsausstellungen des Badischen Landesmuseums. Wie geschildert
erleben: als Krieger, als Handwerker*innen und    ist es dann auch möglich, sich Originalobjekte zu bestellen und von den Ex-
in einem typischen Langhaus.                      plainer*innen vorlegen zu lassen. Registrierung: www.landesmuseum.de
„Der Laborcharakter und dass man die Objekte in die Hand nehmen kann,
             ermöglicht ein völlig neues Museumserlebnis.
         Das Digitale spricht besonders Jugendliche an.“ — Matej Pavlicek, 16 Jahre, Rheinstetten

                „Ich bin ein totaler Fan von Virtual Reality und freue mich,
                     dass es dieses Angebot in der Ausstellung gibt.“ — Gudrun Springer, 68 Jahre, Karlsruhe

Museumskonzept – Digitaler Katalog
Der Ministerpräsident des Landes Baden-Württemberg Winfried Kretsch-          werden intuitiv erschließbar und tragen da-
mann übernahm die Schirmherrschaft für die Ausstellung Archäologie in         mit zur Öffnung des Museums bei. Durch die
Baden. Sie ist Pilotprojekt für das neue Museumskonzept, das vom Badi-        digitale Vermittlungsform von Inhalten kann
schen Landesmuseum im Vorfeld einer Generalsanierung des Karlsruher           das Angebot stetig erweitert, an aktuelle For-
Schlosses für seine künftigen Sammlungsausstellungen entwickelt wur-          schungsstände angepasst sowie nach eigenen
de. „Es ist unsere Interpretation des modernen digitalen und analogen         individuellen Interessen und Bedürfnissen
Museums mit einer besonderen Emotionalität“, erläutert Direktor Prof.         genutzt werden. Die Erfahrungen aus dem
Dr. Eckart Köhne das neue Konzept. Es ermöglicht Besucher*innen, ihr          Pilotprojekt werden in die künftige Umsetzung
eigenes kulturelles Erbe zu nutzen. Dies alles wäre nicht denkbar ohne        des Museumskonzepts einfließen – somit ist
den neuen Digitalen Katalog des Badischen Landesmuseums, der mit              die neue Ausstellung der Start für das Museum
Eröffnung der Ausstellung 2019 online ging und nun beständig erweitert        der Zukunft.
wird. Hierzu wurden Objekte digital fotografiert, in 3D gescannt, allge-
mein verständlich beschrieben und verschlagwortet. Sukzessive sollen          Michael Dostal
alle Objekte des Museums für alle zugänglich werden. Die Sammlungen           VielPfalz

                                                                           Museum der Zukunft — Archäologie in Baden   27
Creative
Collections 2.0
Die Museumswelt ist im Wandel. Sie stellt sich einer Kultur der Digitalität,
die fortwährend neue Möglichkeiten und damit auch Erwartungshaltungen
schafft: Nutzer*innen von Museen vernetzen sich in den sozialen Medien,
generieren im Netz ihre eigenen Inhalte und haben mit Suchmaschinen jeder-
zeit Zugriff auf für sie relevante Informationen. Im Projekt Creative Collections
setzt das Badische Landesmuseum daher gemeinsam mit den Nutzer*innen
des Museums auf neue digitale Konzepte und hat für den kreativen Austausch
einen offenen Ort geschaffen: das museum x.

                                                                                   Das museum x ist Teil
  Creative Collections                                                              des Projekts Creative
                                                                                    Collections, das vom
  Bereits seit 2018 führt das Badische Landes-
  museum mit dem Projekt Creative Collections                                        Ministerium für
                                                                                  Wissenschaft, Forschun
  einen Dialog mit seinen Nutzer*innen. Zu-
                                                                                                           g
  nächst wurde ein Bürger*innen­beirat ins Leben                                 und Kunst seit Mär z
                                                                                                       2019
                                                                                  im Programm „Digital
  gerufen. 50 Bürger*innen haben sich mehrfach
  getroffen und mit Methoden des Design Thin-                                                             e
  king eigene Ideen und Konzepte entwickelt:                                       Wege ins Museum II“
  zu digitalen Citizen-Science-Projekten ebenso
  wie zu Anwendungen im Museum und im In-
                                                                                      geförder t wird.
  ternet. Bei einem offenen MuseumCamp haben
  dann 90 Teilnehmer*innen ihre Themen zur
  Diskussion gestellt und rund 30 Sessions selbst
  moderiert. Deutlich wurden hier Ideen für eine
  zukünftige Museumsarbeit formuliert, von
  der Personalisierung des Museumserlebnisses       Das museum x als offener Raum
  bis hin zu spielerischen Ansätzen wie digita-
  len Schatzsuchen. Nun gilt es in der zweiten      Ein zentraler Baustein der Creative Collections ist das 2019 neu eingerich-
  Projektphase, Formate und Ideen gemeinsam         tete museum x. Gerade im Dialog über digitale Konzepte braucht es einen
  mit den Bürger*innen weiterzuentwickeln und       physischen Raum, um sich zu treffen und auszutauschen. Das x ist pro-
  umzusetzen.                                       grammatisch gemeint: Es geht nicht um vorgegebene Antworten, sondern
                                                    um die gemeinsame Frage, wie die Zukunft des Museums aussehen soll
                                                    und was es mit dem x auf sich hat. Daher ist das museum x bewusst als of-
                                                    fener Raum konzipiert und kostenfrei zugänglich, um niemanden von der
                                                    Nutzung auszuschließen und allen die Möglichkeit zur Mitgestaltung zu
                                                    bieten. Für das museum x wurde gezielt ein Ort ausgewählt, der das Badi-
                                                    sche Landesmuseum mit der Stadt und ihren Bürger*innen verbindet:
WAS IST EIN T ?
                                                                                      DIGITAL CATALYS
                                                                                                            ative
das Museum beim Markt. Damit schließt das museum x an die schon län-                   Für das Projekt Cre
                                                                                                             zwei
ger laufende Debatte über sogenannte Dritte Orte an, die zwischen Wohn-
                                                                                       Collections arbeiten
                                                                                                         ie betreuen
                                                                                    Digital Catalysts. S
ort und Arbeitsplatz neue Räume zum zwanglosen Austausch schaffen.
                                                                                                             taler
                                                                                       die Umsetzung digi
Der Bezug zum Museum bleibt dabei stets gewahrt, da auch im museum x
Objekte gezeigt werden und im ersten Stock die Sammlung Angewandte
                                                                                                             n den
Kunst seit 1900 frei zugänglich ist.                                                  Konzeptideen, stelle
                                                                                                            x sicher
                                                                                     Betrieb des museum
                                                                                                         ber*innen
Veranstaltungen und Events geben Impulse zur Diskussion und setzten
                                                                                     und sind Impulsge
                                                                                                           useum.
                                                                                       für Digitales im M
dabei quartalsweise verschiedene Schwerpunkte. Die spezifischen An­
forderungen von Games im Museum werden erfragt und bei Vorträgen,
Workshops und einem Hackathon in alle Richtungen ausgelotet. Auch
die Künstliche Intelligenz (KI) ist ein wichtiges Thema: Deep-Learning-
Systeme und komplexe Mustererkennungen bestimmen längst den alltäg-
lichen Umgang mit Suchmaschinen und Online-Services und haben die
Erwartungen der Nutzer*innen verändert. Gerade für Museen bieten sich                museum x konkret
damit völlig neue Möglichkeiten, die Nutzer*innen in der Auseinander­
setzung mit musealen Objekten zu unterstützen und ihnen weitere Mög-                 Alle Interessierten sind
lichkeiten zu bieten, das Museum mitzugestalten. In diesem Kontext                   herzlich eingeladen, das
beschäftigt sich das Badische Landesmuseum auch mit der sogenannten
Citizen Science. Die vor allem in naturwissenschaftlichen Einrichtungen
                                                                                   museum x für die Arbeit an
etablierten Konzepte sollen für kulturhistorische Museen weiterentwickelt        Ideen, eigene Veranstaltungen
und nach möglichen digitalen Strategien befragt werden. Der Dialog zwi-             oder Treffen mit Freunden
schen dem Museum und den Bürger*innen wird weitergeführt – es bleibt               zu nutzen. Zur Verfügung
spannend!                                                                         stehen freies WLAN, der Info-
                                                                                   Roboter Xaver, Arbeitsplätze
                                                                                     und ein Kaffeeautomat.

                                                                            Museum der Zukunft — Creative Collections 2.0   29
Das künftige
                       Publikum
                       im Blick
                                                                             Seit März 2019 hat die Abteilung
                                                                             Kommunikation mit Dr. Elke
                                                                             Kollar eine neue Leiterin. Sie ist
                                                                             in der Museumsszene keine Un-
                                                                             bekannte und als Vorsitzende
                                                                             des Bundesverbandes Museums­
                                                                             pädagogik weit vernetzt. Die
                                                                             studierte Germanistin (Schwer-
                                                                             punkt Literaturvermittlung) und
                                                                             promovierte Europäische Ethno­
                                                                             login war lange selbstständig
                                                                             tätig. Nach achteinhalb Jahren als
                                                                             Referentin für Kulturvermittlung
                                                                             bei der Klassik Stiftung Weimar
— Frau Kollar, wie passen PR und Marketing sowie Kulturvermittlung in        wechselte sie nun an das Badi-
einer Abteilung zusammen?
                                                                             sche Landesmuseum. Hier sind
Die Methoden und Formate der Bereiche mögen sich vielleicht unterschei-
den – für mich jedoch sind ihre Ziele und Ausrichtungen eng miteinander      in der Abteilung Kommunikation
verflochten. Wir arbeiten alle daran, das interessierte Publikum anzuspre-   die beiden Referate Kulturver-
chen, an das Haus zu binden und zugleich das Museum für ein neues Pub-
likum attraktiv zu machen.
                                                                             mittlung und Öffentlichkeits­
                                                                             arbeit zusammengefasst.
Welche Zielstellungen verbergen sich konkret dahinter?
Letztlich geht es bei unserer Arbeit doch darum, das kulturelle Erbe, das
uns allen gehört, möglichst vielen Menschen zugänglich zu machen. Wenn
mehr Menschen das Museum als Ort begreifen, wo man einfach mal hin-
gehen kann – ob kurz in der Mittagpause, am Nachmittag nach der Schule
oder eben am Wochenende mit der ganzen Familie, samt Turmaufstieg –
dann haben wir viel erreicht. Und der Besuch – auch der mehrfache Besuch –
soll sich lohnen!
ren und ihre Ergebnisse dann in persönlichen kreativen Produkten präsen-
                                                     tieren können. Zum anderen denken wir auch darüber nach, welche spiele-
                                                     rischen Ansätze für unsere Besucher*innen interessant sind. Und all diese
                                                     Fragestellungen spiegeln sich natürlich auch in unserem Online-Marketing
                                                     bzw. der Online-Kommunikation wider.

                                                     Welche Anliegen verfolgen Sie mit Ihrer Arbeit?
                                                     Mich interessieren seit langer Zeit die Schnittfelder von politischer, histo-
                                                     rischer und kultureller Bildung: Welche Rolle und welche Relevanz hat das
Wie sieht ein ganz normaler Tagesablauf bei          Museum heute? Wie kann das Museum zu einem offenen Begegnungsort –
Ihnen aus?                                           auch im Sinne einer weit verstandenen Inklusion – werden? Meiner Ansicht
Interessanterweise gibt es den normalen Tag          nach sind dafür neben der Haltung des Hauses auch die Signale wichtig,
eigentlich gar nicht – in den Ausstellungen          mit denen es diese nach außen transportiert. Deshalb war es mir zum Bei-
selbst bin ich viel zu wenig. Dafür verbringe ich    spiel auch ein besonderes Anliegen, gemeinsam mit der Direktion die gen-
viel Zeit in Gesprächen und Teamsitzungen.           dergerechte Sprache am Badischen Landesmuseum weiterzuentwickeln.
Dort schmieden wir Ideen, hinterfragen unsere
eigene Arbeit – machen also immer wieder mal         Wie schätzen sie die Rolle der Kulturvermittlung insgesamt ein?
einen kleinen ‚Kassensturz‘ – und kümmern            Mit der Neuausrichtung der Museumsarbeit unter dem Schlagwort Besu-
uns um das tägliche Geschäft inklusive aller         cher*innen-Orientierung seit den 90er-Jahren hat sich die Kulturvermitt-
administrativen Dinge. Es heißt also, viel orga-     lung zu einem integrativen Bestandteil der Museumsarbeit entwickelt. Sie
nisieren, koordinieren und experimentieren!          reicht heute weit über die personale Vermittlung hinaus und ist aktiv in die
                                                     Konzeption und Realisierung von Ausstellungen eingebunden. Mit Partizi-
Warum haben Sie sich für das Badische Landes-        pation, Digitalität und Outreach sind nur einige der Schlagworte genannt,
museum als neuen Wirkungsort entschieden?            die uns künftig noch stärker beschäftigen werden.
Ich halte es für wichtig, in Bewegung zu blei-
ben, für mich selbst ebenso wie für die Instituti-   Gretchenfrage: Museumspädagogik oder Kulturvermittlung?
on Museum. Und das Badische Landesmuseum             Das Badische Landesmuseum hat schon vor einigen Jahren das Referat
hat den Mut, neue Wege zu gehen. Um nur zwei         Museumspädagogik in Kulturvermittlung umbenannt, was ich persönlich
Beispiele zu nennen: Es verbindet mit seinem         für richtig halte. Denn damit wird deutlich, dass die Bildungs- und Vermitt-
neuen Museumskonzept in der Ausstellung              lungsarbeit sich eben nicht nur an Kinder richtet, sondern den Ansätzen
Archäologie in Baden den digitalen Raum und          eines lebenslangen Lernens folgt. Doch auch den Begriff Kulturvermittlung
das hautnahe Erleben originaler Objekte. Und         halte ich nicht für unproblematisch: Er impliziert eine eindimensionale
mit dem museum x als offenem Raum ermög-             Kommunikation in nur eine Richtung. Kritisch betrachtet muss hier gefragt
licht es eine Beteiligung von Bürger*innen nicht     werden, wer eigentlich wem welche Kultur vermitteln will oder soll.
nur, sondern fordert sie regelrecht ein.
                                                     Und zu guter Letzt: Welches ist Ihr persönliches Highlight-Exponat im
Was bedeutet dies für die Ausrichtung Ihrer          Museum?
eigenen Arbeit?                                      Wenn ich mich an meine Zeit in Griechenland erinnern will, schlendere
Die Neuausrichtung eines Hauses hat Konse-           ich gerne durch die Antikenabteilung, inhaltlich fasziniert mich Schloss-
quenzen für alle Museumsbereiche. So wird es         und Hofkultur in all ihrer Ambivalenz. Eines meiner Highlights ist aber
in unserer Bildungsarbeit zum Beispiel künftig       in der Tat der Gartenzwerg in der Ausstellung WeltKultur / GlobalCulture,
verstärkt darum gehen, wie wir mit Schüler*in-       der als vermeintlich typisch deutsche Figur seinen Migrationscharakter
nen in Projekten das Digitale nutzen können,         offenbart und mir über seine phrygische Mütze auch einen neuen Blick auf
damit sie nach eigenen Interessen recherchie-        Jakobiner­t raditionen und das Kasperle eröffnet hat.

                                                                             Blick hinter die Kulissen — Das künftige Publikum im Blick   31
Prunkkassette: im Innern
                                                                                     Fotos der Arktisexpedition
                                                                                     von 1872

Verborgene
Schätze
Bilder einer Polarexpedition

           — Das Depot eines Museums ist für die Mitar-       des Badischen Landesmuseums gelangte. Wäh-
           beiter*innen Schatzkammer und Forschungs­          rend der Auktion konnte in großem Umfang
           stätte zugleich. Hier werden Objekte für           kulturelles Erbe des Landes und des bis 1918
           unter­schiedliche Anfragen herausgesucht,          regierenden Hauses Baden gesichert werden.
           Transporte vorbereitet, Neuzugänge inventari-
           siert, Objekte auf ihren Erhaltungszustand ge-     Im Innern der Kassette machte Brigitte Heck
           prüft und erforscht. Gerade in Zeiten, in denen    einen unerwarteten Fund: ein Stereoskop samt
           sich ein Museum neu organisiert, werden dort       dazugehörigen 45 Stereobildkartons. Durch
           bislang nicht beachtete Sammlungsgüter in den      das optische Gerät konnten die Bilder dreidi-
           Blick genommen. Durch Nachrecherchen kom-          mensional betrachtet und z.B. Entfernungen
           men immer wieder großartige Geschichten und        auf den Abbildungen realitätsnah eingeschätzt
           wahre Schätze ans Licht. Brigitte Heck, Leiterin   werden. Doch unter dem Stereoskop kamen
           des Referats Volkskunde, stieß bei ihren jüngs-    weitere 50 Fototafeln – zum Teil mit ausführli-
           ten Depot­tätigkeiten auf ein solches Objekt:      chen Beschriftungen – zu einer Polarexpedition
           eine Prunk­k assette, die durch die spektakuläre   im Jahr 1872 zum Vorschein: Vom 20. Juni bis
           Sotheby's-Auktion des Jahres 1995 in den Besitz    9. November war das norwegische Segelschiff
Isbjörn von Tromsø nach Spitzbergen und zur            fahren entwickelt. Damit konnte er die Mannschaft, das Leben an Bord und
russischen Inselgruppe Nowaja Semlja unter-            die Landtouren einfangen. Er dokumentierte Natur und wilde Tiere, Sied-
wegs. Neben der Besatzung gehörten sechs               lungen und Wetterlagen sowie Vertreter*innen der indigenen Bevölkerung:
Expeditionsteilnehmer der Forschungsreise              Sami und Nenzen. Die Aufnahmen sind unschätzbare Zeitdokumente einer
an. Darunter waren u. a. der österreichische           Arktisexpedition, stehen für die Innovationen in der Expeditionsfotografie
Konteradmiral Max Freiherr von Sterneck, der           und sind darüber hinaus mehr als selten: Neben der Karlsruher Kassette ist
den Expeditionsbericht veröffentlichte, und der        bislang nur eine weitere Kassette in der Österreichischen Nationalbiblio-
Geologieprofessor Hans Höfer, der naturkund-           thek Wien bekannt, die diese Expedition dokumentiert.
liche Proben sammelte. Graf Johann Nepomuk
Wilczek (1837–1922), ein österreichischer Kunst-       So weit entfernt uns die Arktisexpedition auch scheint, so gelangte doch
mäzen und Naturforscher, finanzierte und lei-          Nowaja Semlja kürzlich wieder in die Schlagzeilen. Seit 2019 tummeln sich
tete die Arktisexpedition; er hat die Prachtkas-       durch den Klimawandel verdrängte Eisbären auf der Inselgruppe und plün-
sette wohl im Jahr 1877 dem Großherzoglichen           dern die Müllcontainer der Siedlungen.
Haus Baden überreicht.

Stereobildbetrachter und Bilddokumente
stammen aus einer Zeit, in der die Eroberung
der Welt vermeintlich abgeschlossen war. Keine
Region schien mehr unentdeckt und unkartiert
– abgesehen von den Polen der Erde. Sie wurden
in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu
Zielen von Abenteuer- und Forschungsreisen.
Die Kassette dokumentiert diese Frühzeit der
Arktisforschung und bildet zugleich ein bedeu-
tendes Zeugnis der Expeditionsfotografie. Für
die extremen klimatischen Bedingungen muss-
ten neue Techniken gefunden werden. Eigens
für die Expedition von 1872 hatte der Fotopio-
nier und Wiener Hoffotograf Wilhelm Burger
(1844–1920) ein zusammenklappbares, mit
Seehundfell bespanntes Dunkelkammerzelt            Das Stereoskop befand sich in der Prunkkassette.
und ein Tannin-Kollodium-Trockenplattenver-        Mit ihm entstand ein Eindruck von räumlicher Tiefe.

                                                                                   Blick hinter die Kulissen — Verborgene Schätze   33
Picasso & Co
Berühmte Künstler*innen und ihre Keramiken
Der Begriff Künstlerkeramik bezeichnet keramische Kunstwerke, die nicht von Keramiker*in-
nen, sondern von bildenden bzw. freien Künstler*innen wie Pablo Picasso oder Cindy Sherman
entworfen wurden. Die Künstlerkeramik gehört also zur bildenden Kunst. Sie ist essentieller
Bestandteil der stilistischen Entwicklung einer Epoche und reicht weit über die Gebrauchs­
keramik hinaus – in ihr manifestiert sich die intellektuelle Auseinandersetzung mit dem
Gedankengut der Zeit.

                                                     Keramikmuseum
                                                     Staufen
                                                     7. Februar 2020 —
                                                     29. November 2020

                                                                               Wer wiederum eine klassische Malerei- oder
                                                                               Architekturausbildung durchlaufen hatte,
                                                                               bezog die Keramik nur selten als künst­lerisches
Herrin der Töpfe, Elvira Bach, 1998                                            Medium in das eigene Œuvre ein. Erst als
                                                                               Jugendstilkünstler*innen das Kunsthandwerk
                                                                               gleichberechtigt neben der bildenden Kunst,
                                                                               also neben der Malerei und der Architektur,
    — Die Künstlerkeramik entstand immer dann, wenn bildende Künstler*in-      positionierten, änderte sich die Situation. Max
    nen abseits ihrer gewohnten Arbeitsweise einen Exkurs in den Bereich       Laeuger verlagerte sogar seinen künstlerischen
    Keramik unternahmen. Dies blieb meistens auf eine temporäre Episode        Schwerpunkt auf die Keramik. Die künstleri-
    ihres künstlerischen Schaffens oder auf einzelne Werke beschränkt. Nur     schen Wege, das Medium Keramik für sich zu
    bei wenigen freien Künstler*innen führte die Auseinandersetzung mit der    entdecken, waren sehr unterschiedlich. Bei
    Keramik zu einer Entwurfstätigkeit für keramische Serienprodukte. Die      Picasso gab zum Beispiel ein Besuch des Töpfer­-
    ersten Keramiken, die wir heute als Künstlerkeramik bezeichnen, entstan-   marktes im mondänen Seebad Vallauris den
    den Ende des 19. Jahrhunderts.                                             Anstoß. Kandinsky und Malewitsch wurden
                                                                               aufgefordert, avantgardistische Keramiken im
    Die Geschichte der europäischen Keramik war bis dahin vor allem eine       Rahmen der ästhetischen Revolution Sowjet­
    Geschichte der Manufakturen mit vielen namenlosen Keramiker*innen.         russlands zu kreieren.
Schwarzwald-
Geschichten
Ausstellungen in Schloss Neuenbürg

Aus der Zeit gefallen?
Trachtenfrauen in Portraits
Fotografien von Eric Schütt
1. März — 21. Juni 2020

Gerhard Sonns (1939–2016)
Objekte / Grafik / Schmuck
Retrospektive 8. März — 5. April 2020

Echt / Glanz / Stücke –
Vom Wert des scheinbar Wertlosen
24. Mai — 22. November 2020
                                                                                Luise Mellert, fotografiert von Eric Schütt,
                                                                                Welschensteinach, Schwarzwald, 2017

                                                                                    ihrer Umgebung. Mit vom Leben gezeichneten
                                                                                    Gesichtern sind sie Zeug*innen einer längst
  — Bereits der Blick auf ausgedehnte Wälder, die das Zweigmuseum Schloss           vergangenen Zeit. An einer Morphing­station
  Neuenbürg auf dem Schlossberg umgeben, lässt die Herzen der Besucher*in-          können kleine, aber auch große Besucher*in-
  nen höherschlagen. Nicht anders ergeht es auch jenen, die im Museum das           nen am Ende spielerisch einen Blick in die
  Märchen Das Kalte Herz von Wilhelm Hauff in seiner einzigartigen medialen         Zukunft wagen: Wie wird sich wohl das eigene
  Inszenierung erleben. „Seit 20 Jahren unverändert gut! Mein Herz ist nun          Gesicht verändern?
  ganz warm“, lautet denn auch eine der jüngsten Stimmen der Besucher*innen
  (1.9.2019), die einmal mehr die Aktualität der dramatischen Erzählung über        Den Herausforderungen einer sich verändern-
  den Schwarzwälder Köhler Peter Munk und seine Gier nach Macht und Reich-          den Welt heißt es sich heutzutage mehr denn je
  tum verdeutlicht.                                                                 zu stellen. Die Ausstellung Echt | Glanz | Stücke –
                                                                                    Vom Wert des scheinbar Wertlosen möchte den
  Aus der Zeit gefallen ist das dramaturgisch in besonderer Weise, rustikal         aktuellen Diskurs um das Thema Upcycling auf-
  inszenierte Märchen also bis heute nicht. Aus der Zeit gefallen? – Trach­         greifen. Für Überraschung sorgen hierbei immer
  tenfrauen in Portraits lautet denn auch die erste Ausstellung 2020, mit der       wieder originelle Ideen, die aus einem wach-
  Schloss Neuenbürg am 1. März in die neue Saison startet. Gezeigt werden           senden Umweltbewusstsein der Bevölkerung
  – entgegen dem Folkloretrend – keine im Studio inszenierten Hochglanz-            entstanden sind. Produkte aus der Region des
  portraits von Menschen, die sich in farbenfrohen Trachten ablichten las-          Schwarzwaldes bilden den Fokus und werden
  sen. Die rund 30 Arbeiten des Karlsruher Fotografen Eric Schütt erlauben          ergänzt durch überregionale Positionen aus den
  vielmehr einen leisen und ungeschminkten Blick auf Trachtenfrauen in              Bereichen Design und Kunst.

                                                                                Unsere Museen — Staufen & Neuenbürg            35
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