Leipziger Bildungskonferenz - am 8. und 9. Oktober 2012 Dokumentation 6/13 - Stadt Leipzig
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3. Leipziger Bildungskonferenz am 8. und 9. Oktober 2012 Dokumentation 6/13 Dezernat Jugend, Soziales, Gesundheit und Schule Amt für Jugend, Familie und Bildung
Impressum Herausgeber: Stadt Leipzig, Der Oberbürgermeister Amt für Jugend, Familie und Bildung, Stabsstelle „Lernen vor Ort“ 1. Auflage 2013 Redaktion: Sabine Bolte V.i.S.d.P.: Thomas Schmidt Fotos: Martin Klindtworth, Uwe Frauendorf Layout und Satz: Elisa Sonntag Verlag: Stadt Leipzig/ Amt für Jugend, Familie und Bildung Druck: Zentrale Vervielfältigung Anschrift: Stadt Leipzig, Amt für Jugend, Familie und Bildung, Naumburger Straße 26. 04229 Leipzig Telefon: 0341 1234641 E-Mail: jugend-familie-bildung@leipzig.de Internet: http://www.leipzig.de/jugendamt Vervielfältigungen, auch auszugsweise, sind nur mit Quellenangabe gestattet.
Inhaltsverzeichnis Konferenzprogramm 4 Montag, 08.10.2012 Fachvortrag 8 Sabine Süß „Bildung als Standortfaktor“ Begrüßung 26 Prof. Dr. Thomas Fabian Podiumsdiskussion 28 Dienstag, 09.10.2012 Quartiersrundgang Grünau Stefan Geiss Präsentation „Grünauer Bildungslandschaften“ 42 Susanne Schulze Präsentation „Studierneigung und Hochschullandschaft Leipzig“ 45 Joachim Triphaus Präsentation „Caritas Kinder-, Jugend- und Familienzentrum Grünau“ 47 Quartiersrundgang Osten Prof. Dr. Andreas Walther Präsentation „Bildungsübergänge im Kindes- und Jugendalter“ 50 Judith Jonas-Kamil Präsentation „Einführung in den Stadtteil Leipziger Osten“ 55 Uwe Hempel Präsentation „16. Mittelschule. Integration an Schulen“ 57 Thomas Graupner Präsentation „Das Berufsvorbereitungsjahr für Schulverweigerer“ 61 Ralf Elsässer Präsentation „Integriertes Stadtentwicklungskonzept Leipziger Osten“ 63 Quartiersrundgang Westen Carola Jarchow „Konzept des NaSch-Hortes“ 66 Simone Neubauer Vorstellung des Theaters der Jungen Welt Leipzig 72 Eindrücke von der 3. Leipziger Bildungskonferenz 74
3. Leipziger Bildungskonferenz 2012 Konferenzprogramm 3. Leipziger Bildungskonferenz zum Thema „Bildung als Standortfaktor“ Montag, 08.10.2012 Neues Rathaus 14:00 Uhr Begrüßung Prof. Dr. Thomas Fabian Beigeordneter für Jugend, Soziales, Gesundheit und Schule der Stadt Leipzig 14:15 Uhr Vortrag „Bildung als Standortfaktor“ Sabine Süß Vorsitzende des Vorstandes der Schader-Stiftung 15:15 Uhr Kaffeepause 15:45 Uhr Podiumsdiskussion „Bildung als Standortfaktor“ Podiumsteilnehmende: • Ingrid Mössinger, Generaldirektorin der Kunstsammlungen Chemnitz • Sabine Süß, Vorsitzende des Vorstandes der Schader-Stiftung • Prof. Dr. Thomas Fabian, Beigeordneter für Jugend, Soziales, Gesundheit und Schule der Stadt Leipzig Moderation: • Georg Heyn, Stadtschülersprecher • Dr. Annika Gröger, Leiterin der Stabsstelle „Lernen vor Ort“ 17:15 Uhr Einführung in das Programm des 2. Konferenztages 18:00 Uhr Stadtrundgang auf der Leipziger Notenspur
Dienstag, 09.10.2012 Quartiersrundgang Grünau, Stationen: 9:45 Uhr Theatrium Grünau 11:00 Uhr Skaterhalle im Heizhaus 13:15 Uhr Kinder- und Familienzentrum Outlaw „Am Kirschberg“ 14:00 Uhr Arbeitsladen Grünau Quartiersrundgang Osten, Stationen: 9:45 Uhr 16. Mittelschule 12:00 Uhr Kinder-Erlebnis-Restaurant 13:00 Uhr Jugendzentrum OFT Rabet 14:15 Uhr Kinder- und Familienzentrum Eisenbahnstraße Quartiersrundgang Westen, Stationen: 9:45 Uhr Rundgang durch den Westen 11:00 Uhr Theater der Jungen Welt 13:15 Uhr Hort der Nachbarschaftsschule 14:00 Uhr Nachbarschaftsgärten 5
3. Leipziger Bildungskonferenz 2012 Fachvortrag „Bildung als Standortfaktor“ Sabine Süß, Vorsitzende des Vorstandes der Schader-Stiftung Der Begriff Bildung wird im Folgenden Bildung ist innerhalb der letzten Jahre Bund und Länder an einen Tisch brin- unter der Berücksichtigung aller zu einem Thema wachsender Bedeu- gen sollte, unter Ausschluss der Kom- Ebenen, von der formalen, der infor- tung geworden, zu dem jeder etwas munen oder kommunalen Spitzenver- mellen, der kulturellen, bis zur sozialen beitragen kann. Das ist auch ganz bände, so dass bereits hier das ganze Bildung etc. verstanden richtig so. DAS Schlüsselthema für die Dilemma sichtbar wurde. Mit der dort soziale, wirtschaftliche und politische gestarteten Qualifizierungsinitiative, Entwicklung unserer Gesellschaft sollte die sich vor allem auf den schulischen und muss in aller Munde sein. Dennoch Bildungsrahmen bezog, wurde zwar lässt sich nicht behaupten, dass die im Ziele- und Maßnahmenkatalog der bisherigen Anstrengungen, die bun- Bundesregierung und der Länderchefs desdeutsche Bildungslandschaft in richtig diagnostiziert, dass „Bildung (ist) einen abgestimmten, zielorientierten der Schlüssel für die Zukunft unseres Prozess des Wandels und der notwen- Landes“1 ist, jedoch das erste Ziel „Bil- digen Anpassungen, Erweiterungen, dung soll in Deutschland höchste Pri- kontinuierlichen Überprüfung auf Wirk- orität haben“2 scheint nichtsdestotrotz samkeit der Gesetzmäßigkeiten zu bislang nicht zu einer zwischen Bund, überführen, als konsequentes Handeln Ländern, Kommunen, Wirtschaft und bezeichnet werden können. Zivilgesellschaft koordinierten gemein- Wir erinnern uns an den von der sam verantworteten Aufgabe herange- Bundeskanzlerin initiierten Bildungs- wachsen zu sein. Zentral wäre jedoch gipfel im Jahre 2008 in Dresden, der genau diese Koordination von Koope- rationen auf der lokalen Ebene, vor Ort, vereint mit solcher auf der Unterstüt- zungs- und Qualitätssicherungsebene von Bund, Ländern und Kommunalen Verbänden, Wirtschaftsunternehmen und starken zivilgesellschaftlichen Partnern. Lebenslanges Lernen der Bürger und Bürgerinnen einer Kommune, aber auch das dauerhaft als Querschnittsaufgabe für Stadtentwicklung zu betrachten- de Bildungssystem dürfen nicht nur Schlagworte bleiben, sondern müssen mit einem gemeinsamen Verständnis gefüllt zu einer gelebten Selbstver- ständlichkeit werden. Solange wir uns jedoch bereits an einer gemeinsamen Verständigung über die Bedeutung von Bildung und der Bandbreite ihres Wirkungskreises abmühen, soll hier 1 Die Bundesregierung/Die Regierungschefs der Länder (Hrsg. 2008): Aufstieg durch Bildung - Die Qualifizierungsinitiative für Deutschland. Vorwort, S. 2. 2 Die Bundesregierung/Die Regierungschefs der Länder (Hrsg. 2008): Aufstieg durch Bildung - Die Qualifizierungsinitiative für Deutschland. Vorwort, S. 2. 8
Fachvortrag „Bildung als Standortfaktor“ versucht werden, den Zusammenhang Die demographische als 50 Jahren, ein Rückgang der Bevöl- zwischen einer lokalen Bildungsland- Herausforderung kerung von rund 82 Millionen in 2008 schaft und ihrer Standortrelevanz auf- auf rund 65 bis 70 Millionen Menschen zuzeigen. Lassen Sie mich einige wichtige Fakten vorausgesagt (je nach Berechnungs- Da mich die Verantwortlichen des zum demographischen Wandel, in dem korridor begründet auf der Annahme Bundesprogramms „Lernen vor Ort“ wir uns bereits seit 2003 befinden, als annähernd gleichbleibender Geburten- des Bundesministeriums für Bildung die Bevölkerungszahl in der Bundesre- häufigkeit, ein Anstieg der Lebenser- und Forschung zu diesem Beitrag ein- publik abzunehmen begann, zitieren. wartung und ein Wanderungssaldo von geladen und ermuntert haben, will ich In der 12. Bevölkerungsvorausbe- 100.000 bzw. 200.000 Menschen pro mich bei meinem Versuch der Synthe- rechnung der Statistischen Ämter von Jahr)3. se von bildungsrelevanten Faktoren Bund und Ländern (vgl. Abbildung 1) Abbildung 1: Altersaufbau der auf den Lebensraum Stadt, in dem wir wird für das Jahr 2060, also in weniger Bevölkerung in Deutschland hier uns alle bewegen, konzentrieren. Natürlich könnte ich mich mit eben- solcher Legitimation auf die Region, auch auf die Wechselwirkung zwischen Stadt und umgebender Region bezie- hen. Neben allen Gemeinsamkeiten und allgemeingültigen Phänomenen und Aspekten gibt es besondere Aus- formungen im eher ländlich geprägten Raum, die sich vom städtischen Raum unterscheiden, wie zum Beispiel die immense Rolle der Mobilitätsanbin- dung für die Bildungswilligen, die in Städten meist verläßlicher geregelt ist (aber selbstverständlich auch da eine wichtige Rolle spielt). In der Stadt wie auch im ländlichen Raum ist die sozialräumliche Kompo- nente bei den Verbesserungsanstren- gungen als ein wichtiger Baustein für die Entwicklungspotentiale zu betrach- ten. Heute und hier jedoch möchte ich vor allem auf die Stadt als Lebensraum eingehen und auf die Notwendigkeit, die Bildung im städtischen Kontext von der Einengung und Reduzierung auf klassische Verantwortungsträger und aus Verantwortungshierarchien zu lösen, Verknüpfungen neu zu denken und finanzielle und geistige Investitio- nen in die Bildung als Investition in eine stabile entwicklungsfähige Stadtgesell- schaft zu betrachten. Quelle: Homepage des Statistischen Bundesamtes, aufgerufen unter www.destatis.de (01.10.2012). 1 Statistisches Bundesamt (Hrsg. 2009): Bevölkerung Deutschlands bis 2060. 12. Koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung. Begleitmaterial zur Pressekonferenz am 18. November 2009 in Berlin. Wiesbaden: Statistisches Bundesamt, S. 12. 9
3. Leipziger Bildungskonferenz 2012 Besonders bedeutsam sind die Verän- Die Abnahme der Zahl der 20 bis mehr Seniorinnen und Senioren gegen- derungen in der Relation zwischen Jun- 65-jährigen insgesamt geht mit einer überstehen. Im Jahr 2008 entfielen auf gen und Alten (vgl. Abbildung 2). 2008 Verschiebung hin zu den Älteren im Er- 100 Personen im Erwerbsalter (20 bis bestand die Bevölkerung aus 19% werbsalter einher. Zurzeit gehören 20% unter 65 Jahre) 34 Ältere (65 oder mehr Kindern und jungen Menschen unter der Menschen im erwerbsfähigen Alter Jahre). Im Jahr 2060 werden dann je 20 Jahren, zu 61% aus Menschen im zur jüngeren Gruppe der 20- bis unter nach Zuwanderung 100 Personen im Erwerbsalter, hier 20- bis unter 65-jäh- 30-jährigen, 49% zur mittleren Alters- Erwerbsalter 63 oder 67 potentiellen rige, und zu 20% aus 65-jährigen und gruppe von 30 bis unter 50 Jahren Rentnern gegenüberstehen, also fast Älteren4. und 31% zur älteren von 50 bis unter doppelt soviel.7 In der Gruppe der Erwerbsfähigen 65 Jahren. Eine besonders einschnei- Eine zentrale Erkenntnis sei bereits sorgen heute rund 50 Millionen Men- dende Veränderung der Altersstruktur hier hervorgehoben, daß demnach ei- schen für Steuereinnahmen, im Jahr erwartet die deutsche Wirtschaft zum ner der wichtigsten Faktoren für die 2035 werden es voraussichtlich nur ersten Mal zwischen 2017 und 2024. Stabilisierung von Einwohnerzahlen noch 39 bis 41 Millionen Menschen In diesem Zeitraum wird das Erwerbs- die Zuwanderung – sei es Wanderung sein, im Jahr 2060 36 Millionen, 27 % personenpotential jeweils zu 40% aus innerhalb Deutschlands oder auch Zu- weniger als heute, falls, aber nur dann, 30- bis unter 50-jährigen und 50- bis wanderung aus dem Ausland – sein jährlich 200.000 Menschen zuwandern. unter 65-jährigen bestehen (davon ein wird. Wir kommen noch anderer Stelle Liegt die Zahl der Zuwanderer nur bei nicht zu unterschätzender Anteil von dazu. Ein kleiner Nachtrag: Eine Erhö- 100.000, gibt es 2060 ein noch geringe- Hochbetagten, wahrscheinlich auch hung des Renteneintrittsalters auf 67 res Erwerbspersonenpotential, 33 Milli- Pflegebedürftigen)6. Der Bevölkerung Jahre führt für das Jahr 2060 zu einer onen, bzw. -34% gegenüber 20085. im Erwerbsalter werden künftig immer um 1 bis 2 Millionen größeren Bevölke- rung im Erwerbsalter8. Die ältere Grup- Abbildung 2: Bevölkerung in Deutschland pe erhält innerhalb des Erwerbsalters nach Altersgruppen dadurch gleichzeitig ein noch stärke- res Gewicht. Dies weist schon auf eine Einlassung meinerseits an späterer Stelle hin. Ein Rückgang der Bevölkerungszahl ist per se erst einmal kein bedrohliches Phänomen, jedoch die Struktur der zu- künftigen Gesellschaft, das heißt die Alters- und die soziale Zusammen- setzung, durchaus, sodass faktischer Handlungszwang besteht. Perspekti- visch kann Deutschland im Jahr 2050 wieder ähnlich viele Bundesbürger wie 1950 haben. Mit dem Unterschied, dass 1950 fast doppelt so viele Kin- der geboren wurden, wie höchstwahr- Quelle: Homepage des Statistischen scheinlich 2050 geboren werden kön- Bundesamtes, aufgerufen unter nen. www.destatis.de (01.10.2012). 4 Statistisches Bundesamt (Hrsg. 2009): Bevölkerung Deutschlands bis 2060. 12. Koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung. Begleitmaterial zur Pressekonferenz am 18. November 2009 in Berlin. Wiesbaden: Statistisches Bundesamt, S. 14. 5 Statistisches Bundesamt (Hrsg. 2009): Bevölkerung Deutschlands bis 2060. 12. Koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung. Begleitmaterial zur Pressekonferenz am 18. November 2009 in Berlin. Wiesbaden: Statistisches Bundesamt, S. 17 6 Statistisches Bundesamt (Hrsg. 2009): Bevölkerung Deutschlands bis 2060. 12. Koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung. Begleitmaterial zur Pressekonferenz am 18. November 2009 in Berlin. Wiesbaden: Statistisches Bundesamt, S. 6. 7 Statistisches Bundesamt (Hrsg. 2009): Bevölkerung Deutschlands bis 2060. 12. Koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung. Begleitmaterial zur Pressekonferenz am 18. November 2009 in Berlin. Wiesbaden: Statistisches Bundesamt, S. 5-6. 8 Statistisches Bundesamt (Hrsg. 2009): Bevölkerung Deutschlands bis 2060. 12. Koordinierte Bevölkerungsvorausberechnung. Begleitmaterial zur Pressekonferenz am 18. November 2009 in Berlin. Wiesbaden: Statistisches Bundesamt, S. 18. 10
Fachvortrag „Bildung als Standortfaktor“ Aus den reinen Daten lässt sich sehr kaum verbessert. Ein weiterer Effekt leicht die Schlussfolgerung ableiten, ist, dass auch der Anteil der Neuzu- dass sich eine Gesellschaft, die zum ei- gänge im Übergangssystem trotz des nen schrumpft, zum anderen auf jeden absoluten Rückgangs um 76.000 (2011 Menschen angewiesen sein wird, der gegenüber 2008) bei knapp einem Drit- sich aktiv in die Gesellschaft einbrin- tel aller Übergänge in das Berufsbil- gen kann, sei es im sozialen, demo- dungssystem verharrt“10. kratischen oder finanziellen Bereich, es sich auf vielen Ebenen nicht leisten Abbildung 3: Risikolagen der unter kann, auf die Befähigung von jedem, 18-Jährigen nach Ländern (in %) vor allem aber der jungen Menschen zu verzichten. So banal diese Erkennt- nis klingt, so wichtig ist es jedoch, sie in ihrem ganzen Ausmaß zu verstehen. Einige Fakten aus den „Bildungsbe- richterstattungen: Bildung in Deutsch- land“ 2010 und 2012 helfen dabei viel- leicht: „Fast jedes dritte Kind unter 18 Jahren wächst in sozialen, finanziellen oder/und kulturellen Risikolagen auf (vgl. Abbildung 3). Im Jahr 2008 lebten insgesamt gut 29% der 13,6 Millionen Kinder unter 18 Jahren in mindestens einer Risikolage. Darunter waren 1,1 Millionen Kinder, die bei Alleinerziehen- den lebten, womit in dieser Lebens- form fast jedes zweite Kind von einer Risikolage betroffen ist. In Familien mit Migrationshintergrund sind es 1,7 Mil- lionen Kinder (42%). Seit 2000 nahezu gleichbleibend sind 3,5% der Kinder – mit deutlichen Unterschieden zwi- schen den Ländern – von allen drei Ri- sikolagen gleichzeitig betroffen. Es ist zu befürchten, dass diese Kinder und Jugendlichen insgesamt ungünstigere Bildungschancen haben“9. „Auch 2011 mündeten noch ca. Quelle: Autorengruppe Bildungsberichterstattung (Hrsg.): Bildung in 300.000 Jugendliche ins Übergangs- Deutschland 2012, S. 26. system ein. Nach wie vor wechseln vor allem Jugendliche mit maximal Haupt- Bedenklich ist, dass trotz Rückgang sen, ohne mindestens den Hauptschul- schulabschluss in den westdeutschen der Quote an Abgängern ohne Ab- abschluss erreicht zu haben, konnte Flächenländern sowie ausländische schluss ein hoher Anteil leseschwacher – in allen Schularten – weitegesenkt Jugendliche in das Übergangssystem. Jugendlicher festzustellen ist: „Die Zahl werden. 2010 waren es 6,5% der gleich- Die Situation beider Gruppen hat sich der Jugendlichen, die die Schule verlas- altrigen Bevölkerung. In Anbetracht der 9 Autorengruppe Bildungsberichterstattung/Im Auftrag der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Republik Deutschland und des Bundesminis- teriums für Bildung und Forschung (Hrsg. 2010): Bildung in Deutschland 2010. Ein indikatorengestützer Bericht mit einer Analyse zu Perspektiven des Bildungs- wesens im demografischen Wandel. Bielefeld: W. Bertelsmann Verlag, S. 6. 10 Autorengruppe Bildungsberichterstattung/Im Auftrag der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Republik Deutschland und des Bundes- ministeriums für Bildung und Forschung (Hrsg. 2012): Bildung in Deutschland 2012. Ein indikatorengestützer Bericht mit einer Analyse zu Perspektiven des Bildungswesens im demografischen Wandel. Bielefeld: W. Bertelsmann Verlag, S. 7-8. 11
3. Leipziger Bildungskonferenz 2012 Tatsache, dass der Anteil leseschwa- cher 15-Jähriger dennoch dreimal hö- her ausfällt, lässt dies auf einen nicht unbedeutenden Anteil an Jugendlichen schließen, die bei Schulabschluss nur über basale (Lese-) Kompetenzen verfügen“11 (vgl. auch Abbildung 4). Abbildung 4: Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss je 100 Schulab- gänger 2009 Quelle: Laufende Raumbeobachtung des Bundesinstitutes für Bau-, Stadt- desagentur gemeldeten unbesetzten rungspanels des Bundesinstituts für und Raumforschung, Bonn 2012. Ausbildungsstellen um +10.084 bezie- Berufsbildung (BIBB) konnten mehr als hungsweise plus 51,4 % auf 29.689. ein Drittel der Betriebe (35%), die Aus- Hier setzt die Sorge der Betriebe an, Auch Betriebsbefragungen zeigen, dass bildungsstellen für das Ausbildungsjahr da sie zunehmend Schwierigkeiten sich für Unternehmen die Suche nach 2010/2011 angeboten haben, eine oder haben, ihre angebotenen Ausbildungs- Auszubildenden immer schwieriger ge- mehrere Ausbildungsstellen nicht be- plätze zu besetzen. „Ein Indiz dafür ist staltet. Nach den ersten Ergebnissen setzen. […]Besonders betroffen davon der deutliche Anstieg der bei der Bun- des vom BMBF geförderten Qualifizie- sind kleinere und Kleinstbetriebe“12. 11 Autorengruppe Bildungsberichterstattung/Im Auftrag der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Republik Deutschland und des Bundes- ministeriums für Bildung und Forschung (Hrsg. 2012): Bildung in Deutschland 2012. Ein indikatorengestützer Bericht mit einer Analyse zu Perspektiven des Bildungswesens im demografischen Wandel. Bielefeld: W. Bertelsmann Verlag, S. 9. 12 Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) (Hrsg. 2012): Berufsbildungsbericht 2012. S.10 12
Fachvortrag „Bildung als Standortfaktor“ Es zeigt sich nicht nur, dass aufgrund Abbildung 5: Zahl der Pflegebe- der geringere werdenden Anzahl von dürftigen in Deutschland in Millionen Jugendlichen die Betriebe besonders 2007-2050 belastet sein werden, auch die Quali- fikationen der Schulabgänger sind zu- Modellrechnung (in Millionen) nehmend häufiger nicht ausreichend, Stand: Dezember 2011 um den Nachwuchsbedarf in Betrie- ben, aber sicherlich auch in Unter- nehmen zu entsprechen. Der laute Ruf nach Fachkräften für die innova- tiven Arbeitsplätze macht taub für die ebenso heikle Situation des betrieb- lichen Mittelstands, der der Humus für jede Siedlungsentwicklung ist. Zusammengefaßt lässt sich feststel- len, dass die Anstrengungen der ver- Quelle: Deutscher Städte- und Gemein- gangenen Jahre auf Länder- und kom- debund (Grafik); Verwendung der Daten munaler Ebene zwar Früchte zeigen, des Statist. Bundesamtes. die Risikogruppen jedoch weiterhin nicht frühzeitig genug Unterstützung erfahren, die es ihnen ermöglicht, auf Abbildung 6: Grundsicherung im einem erfolgreichen Bildungsweg zu Alter und bei Erwerbsminderung mündigen Bürgern mit Chancenreich- 2003-2010 tum heranzuwachsen. Angesichts der Aufgaben, die auf die heranwachsen- Nettoausgaben in Mrd. Euro den Generationen warten, sei es für sozialen Ausgleich zu sorgen, der sich auf dem Weg gen 2060 vor allem darin zeigen wird, wie man mit der großen gesellschaftlichen Gruppe der Älteren und ihrem Versorgungsbedarf umge- hen wird, zum Beispiel im Bereich der Pflege (vgl. Abbildung 5) oder durch steigende Grundsicherung (vgl. Abbil- Ausgaben der Kommunen nach dem Sozialge- dung 6), oder mit der Aufgabe umzu- setzbuch Zwölftes Buch (SGB XII „Sozialhilfe“, bis gehen, dass weniger Erwerbstätigen- 2005 BSHG) potential für diese wachsende Gruppe aufkommen muss – vorausgesetzt der Quelle: Deutscher Städte- und Gemein- Sozialstaat verändert sich nicht grund- debund (Grafik); Verwendung der Daten legend in seiner Versorgungsstruktur des Statist. Bundesamtes. – angesichts dieser Aufgaben müssen die Anstrengungen aller verstärkt wer- den, diese jungen Menschen zu befähi- gen, ihre Talente zu entwickeln. 13
3. Leipziger Bildungskonferenz 2012 Die Pflichten Der bereits in den vorherigen Ausfüh- Erst einmal sind die Einnahmen und rungen skizzierte Ausflug in die Sphä- Ausgaben auf staatlicher Ebene zu ren der Folgen des demografischen nennen, die massiv durch die Verände- Wandels im Bereich der Versorgungs- rung der Altersstruktur beeinflusst zum lasten für die Altersgruppen muss der einen rückläufig, zum anderen zuneh- Vollständigkeit halber um weitere Wir- mend sein werden. Da die Einnahmen kungsbereiche erweitert werden, die des Staates stark vom Alter abhängig gerade für die Kommunen von großer sind und die Ausgaben ebenso, wird Bedeutung sind, da sie die Daseinsvor- es hier zwangsläufig wirksame Um- sorge betreffen. schichtungen geben. Die Staatsver- schuldung hat sich in den letzten fünf Abbildung 7: Finanzpolitische Jahren fast verdoppelt, in den letzten Nachhaltigkeitslücke 2008-2025 10 Jahren fast vervierfacht. Quelle: Demographie-Kongress Ideenforum für ländliche Infrastruktur 29.-30. Juni im BMVBS Berlin: Daseins-Vorsorge und Siedlungs- entwicklung – Befunde zum demographischen Wandel aus Sicht der Raumordnung. Hans-Peter Gatzweiler (BBSR) 2011. Online verfügbar unter: http://www.ili-kongress2011.de/programm/downloads/Gatzweiler-30-06.pdf (02.10.12) 14
Fachvortrag „Bildung als Standortfaktor“ Abbildung 8: Staatsverschuldung in Weitere grundlegende Wirkungsfelder keine Kinder und Jugendlichen mehr Deutschland 1950-2021 sind die Verkehrs- und technische In- wohnen. Hier steht vor dem Auftrag an frastruktur. Der Wohnungsmarkt ist be- den Architekten die Frage an alle Be- Angaben in Milliarden Euro reits seit Jahren aufgrund der Wande- teiligten, auch an die, die einem nicht jeweils zum 31.12. rungsbewegungen betroffen, dies wird sofort und zwangsläufig einfallen und noch zunehmen. Hier lässt sich deut- vielleicht eher im zivilgesellschaftlichen lich eine Gleichzeitigkeit des Wachs- Kontext zu suchen und zu finden sind, tums und Schrumpfens in bestimmten wie das Quartier, die Nachbarschaft in Gebieten einer Region erkennen, was Zukunft aussehen soll. Was und wie die Siedlungsstruktur beeinflußt. Die soll es gestaltet sein? Welche Nutzung Versorgungsinfra- und Wirtschafts- kann das Schul-Gebäude noch über- struktur, der Arbeitsmarkt und Bildung nehmen, schon jetzt und erst recht hängen eng miteinander zusammen. später? Fragen, die zu klären sind, Quelle: Deutscher Städte- und Gemein- Trotz der zu erwartenden sinkenden fi- bevor auch nur ein Wort an den Archi- debund (Grafik); Verwendung der Daten nanziellen Mittel des Bundes, der Län- tekten gerichtet wird. Die Investition in des Statistischen Bundesamtes 1950- der und der kommunalen Haushalte das Gebäude werden wir alle nur ein- 2005, Bund des Steuerzahler 2011. ist die öffentliche Daseinsvorsorge als mal machen können, deshalb sind alle Grundaufgabe der öffentlichen Hand Investitionen mittel- und unmittelbar, in Als Wirkungsfeld des demogra- mit wirtschafts-, gesellschafts-, sozia- Kinder, wie auch in die Nachbarschaft fischen Wandels vor Ort sind in un- len und kulturellen Leistungen zu ge- und damit die Gesellschaft, in all ihrer serem Kontext zuerst die Finanzen währleisten. Dimension zu beurteilen. Das erfordert in den Kommunen zu nennen, deren Das heißt, Investitionen, die (nicht ein Umdenken bei den Kämmerern, der Schulden in den letzten drei Jahren nur) auf kommunaler Ebene vor Ort Politik, aber auch bei den Bürgern und drastisch gestiegen sind (vgl. Abbil- zu tätigen sind, müssen nicht nur aus Bürgerinnen einer Kommune. dung 9), und es gibt kaum berechtigte ökonomischen, sondern vor allem un- Hoffnung, dass sich dies absehbar ter strategischen Gesichtspunkten des ändern wird. Wobei es ein deutliches Entwicklungsrhythmus‘ einer Kom- Die besondere Aufgabe Gefälle im Schuldenstand zwischen mune getroffen werden. Aus der Not, westdeutschen und den ostdeutschen einfach erscheinende Sachverhalte als Bislang wird in der allgemeinen Dis- Kommunen gibt. Elemente eines sehr viel komplexe- kussion, wenn über das Potential der ren Gesamtbildes verstehen lernen zu Älteren nachgedacht wird, zumeist in Abbildung 9: Staatsverschuldung in müssen, müssen neue, der komplexen Kategorien der dem Ehrenamt zuzu- Deutschland 1950-2021 Aufgabe adäquate Erkenntnisprozesse ordnenden Arbeiten gesprochen. In und Entscheidungsabläufe entwickelt unserem Kontext sollten wir uns je- Angaben in Milliarden Euro und eingeübt werden. Die vertrauten doch veranlasst sehen, die Perspektive jeweils zum 31.12.; ab 2010 Blickwinkel und Urteilsebenen müssen umfassend zu erweitern. Die Lebens- einschließlich Extrahaushalte hinterfragt, erweitert und als ständig erwartung der Bevölkerung steigt. Das zu überprüfen verstanden werden. In- „Alter“, von dem wir noch sehr sorglos vestitionen nur aus dem unmittelbaren als einer Gruppe sprechen, ist höchst Kosten-Nutzen Effekt heraus zu beur- differenziert zu betrachten. Mit der teilen, kann für jede Entscheidung für Einführung der Rente mit 67 und dem eine oder auch gegen eine Ausgabe, Abbau der Frühpensionierungen wird ohne ihren weiteren Bezugsrahmen bereits der Weg aufgezeigt, der bei der und Wirkungsradius zu analysieren, Bewertung von Alter einzuschlagen herausgeworfenes Geld bedeuten. ist. Ein kurzer Blick auf das Rentenein- Man stelle sich vor, es wird eine trittsalter im internationalen Vergleich Quelle: Deutscher Städte- und Gemein- Schule in einem Stadtteil gebaut, die zeigt, dass angesichts der Tatsache debund (Grafik), Daten des Statistischen dort (und nicht anderswo) dringend be- steigender Lebenserwartung ein deut- Bundesamtes. nötigt wird, ohne sich Gedanken dar- licher Wandel angebracht ist (vgl. Ab- über zu machen, wie die Nutzung des bildung 10). Gebäudes aussehen soll, wenn dort 15
3. Leipziger Bildungskonferenz 2012 Abbildung 10: Tatsächliches und gesetzliches Rentenalter im inter- nationalen Vergleich Frankreich tatsächliches Renteneintrittsalter Italien gesetzliches Renteneintrittsalter Deutschland Spanien Tatsächliches und gesetzliches Schweiz Renteneintrittsalter in ausgewählten Ländern 2007 (Datengrundlage: Schweden Europäisches Kommission, für Japan und Korea Daten von der OECD 2007) Japan Korea Quelle: Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung: Demografische Lage der Nation, Berlin 2011. Zwangsläufig verändert sich damit Es wird bereits in den nächsten 10 Diskussionen, ob oder ob es keine stei- auch die Perspektive des lebenslangen bis 20 Jahren viele ältere Menschen gende Altersarmut geben wird, lenken Lernens, die zwar schon immer die ge- geben, die, um angemessen leben zu vom eigentlichen Problem ab. samte Lernbiografie eines Menschen können, arbeiten müssen, und denen Es ist einfach gesagt, dass die Ren- im Blick zu haben schien, jedoch die auch, um angemessen leben zu kön- te bis 67 oder sogar bis 70 notwendig Bildung gerade der älteren Menschen nen, Arbeitsplätze oder Arbeitsformen ist, um den Sozialstaat aufrechtzuer- eher in einem engen Sinne verstanden angeboten werden müssen, die ihnen halten und Beitragszahler so lange wie hat, denken wir an die Business Angel, entsprechen und denen sie entspre- möglich arbeitsfähig und im Arbeits- Seniorenangebote an Hochschulen chen können. Dafür müssen nicht nur verhältnis zu halten. Das ist aber nur oder die Rentnerfraktion in den Volks- die potentiellen Arbeitnehmer weiter die eine Seite der Medaille. Die andere hochschulen. Bildungserwerb ist nicht lernen, sich qualifizieren und sich den bedeutet, dass der Arbeitsmarkt auch als ein abzuschließender Prozess zu Veränderungen öffnen und anpassen. einer gehörigen Renovierung bedarf, betrachten. Die Übergänge von der Es müssen auch die Arbeitgeber, die um überhaupt mit dem Kapital und der frühkindlichen Bildung, ob nun in der Wirtschaft und die Politik lernen und Potenz der älteren Arbeitnehmer etwas Familie und/oder in den Kindergärten sich qualifizieren, um die entsprechen- anfangen zu können. angesiedelt, in die der Grundschule, den Angebote bereitzustellen. Profes- Es werden neue Modelle erarbeitet dann in die weiterführenden Schulen, sionelle Organisationsentwickler, die und erprobt werden müssen, die die der Übergang in den Beruf sind selbst- auf die kommenden Bedürfnisse von Defizite in der Qualifikation Jüngerer verständliche Ebenen in den Lernbi- Unternehmen reagieren können müs- vielleicht durch Tandembildung mit ografien, die von allen Bildungsex- sen, befassen sich schon seit einer Älteren, diese jedoch im Alter weniger perten betrachtet und zu verbessern Weile mit diesem Thema. körperlich belastbar oder feinmoto- getrachtet werden. Ebensowenig sind Etliche Unternehmen sind bemüht, risch sensibel, ausgleichen könnten. die Qualifikationsmaßnahmen im be- sich dieser veränderten Realität an- Ein anderes Beispiel, das in dem Wirt- ruflichen Kontext Endstation einer Bil- zupassen. Doch das öffentliche Ge- schaftsmagazin Brand eins vorgestellt dungsbiografie. spräch hierzu fehlt fast völlig. Erregte wurde: Ein Unternehmer in Amerika, 16
Fachvortrag „Bildung als Standortfaktor“ der nur Pensionäre in seinem Ferti- Abbildung 11: Teilnahme an Weiter- 18-/ 19- bis unter 35- Jährige gungsunternehmen beschäftigt. Eine bildung 2007 und 2010 nach Weiterbild- 35- bis unter 50- Jährige der Prüfungen, die diese Arbeitnehmer ungstypen und Altersgruppen (in %) 50- bis unter 65- Jährige bestehen müssen, ist das Erklimmen einer Treppe in den ersten Stock, in Basis: Bevölkerung 48 dem die Firma produziert. Die Ge- 48 schäftsidee hat sich mittlerweile als Weiterbildung 2007 34 40 unbedingt lohnend herausgestellt, da insgesamt 2010 48 38 die Angestellten zwar etwas langsamer 27 als jüngere Menschen sind, jedoch 34 zum einen ihre Akribie und Geduld die Betriebliche 2007 23 20 Fehlerquote gering halten, und zum an- Weiterbildung 2010 33 deren ihr Wille zu arbeiten – sei es aus 23 16 der schieren Not, Geld für das Überle- 14 ben verdienen zu müssen, da die Rente Individuell-berufs- 2007 10 14 nicht reicht, oder aber „nur“ aus dem bezogene Weiter- 2010 13 sozialen Grund, gebraucht zu werden bildung 10 15 – hoch ausgeprägt ist, und damit die 10 Fehlquote ausgesprochen gering ist. Nicht-berufsbe- 2007 8 13 Selbst bei naturgemäß erhöhter Gefahr zogene Weiter- 2010 10 10 zu erkranken. Das Spielfeld in diesem bildung Arbeitsmarktbereich ist noch gar nicht 42 vermessen worden. Basis: Erwerbstätige 42 Der Bildungsbericht 2012 sagt hier- Betriebliche Weiter- 2007 35 33 zu, dass trotz aller politischen Auf- bildung 2010 39 forderungen und wissenschaftlicher 33 Nachweise über die Wichtigkeit von Weiterbildung die Beteiligung an Wei- in % terbildung in den letzten zehn Jahren Quelle : Autorengruppe Bildungs- ich hin will, die Stadt, von der ich weg insgesamt konstant blieb, wenn auch berichterstattung (Hrsg.): Bildung in will? Ist es ein Ort, an dem ich mich mit leichten Verbesserungen bei der Deutschland 2012, S. 143 wohlfühle, an dem ich mich entfal- Teilnahme älterer und gering qualifi- ten kann, ist es ein Ort, der für mich zierter Personen13 (vgl. Abbildung 11). selbstverständlich ist oder möchte ich An sich ist diese Diagnose eine Kapi- Die Stadt – Der soziale Raum ihn mitgestalten? Komme ich, bleibe tulation vor dem Lebenslangen Lernen, ich – einfacher kann man die zentrale aber wenn wir uns das Bild anschauen, Die Stadt setzt sich aus verschiedenen Frage nach der Auswirkung von indivi- sehen wir, dass auch in dieser Betrach- Ebenen und Elementen zusammen und dueller Lebensqualität einer Stadt und tung nur die Menschen bis 65 Jahre je nachdem, aus welcher Perspektive seiner Gesellschaft nicht stellen. Wir untersucht wurden. Für den Gedanken, der Einzelne seine Stadt betrachtet, ist alle benötigen einen Raum, in dem wir dass es einen Arbeitsmarkt auch au- sie die Heimat, der Lebensmittelpunkt, uns wohlfühlen, der uns Entwicklungs- ßerhalb des staatlich festgelegten Ren- der Arbeitsort, die Nachbarschaft, die perspektive, Anregung und Sicherheit tenalters geben könnte, für den man Kulturlandschaft, der Wirtschaftsmo- gibt. Der die Umsetzung persönlicher sich qualifizieren muss – wobei Quali- tor, der Wohnraum und vieles mehr, Zukunftspläne ermöglicht, der sich mit fikationen durchaus Kompetenzen, Er- aber immer ein Ort, der sich aus vielen uns und unserem Leben entwickelt, so fahrungen sein können – ist noch kein Facetten zu einem individuellen Bild dass wir uns zu Hause fühlen können. Platz. zusammenfügt. Ist es die Stadt, zu der Um solch einen Organismus zu kreie- 13 Vgl.: Autorengruppe Bildungsberichterstattung/Im Auftrag der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Republik Deutschland und des Bun- desministeriums für Bildung und Forschung (Hrsg. 2012): Bildung in Deutschland 2012. Ein indikatorengestützer Bericht mit einer Analyse zu Perspektiven des Bildungswesens im demografischen Wandel. Bielefeld: W. Bertelsmann Verlag, S. 142f. 17
3. Leipziger Bildungskonferenz 2012 ren, zu erhalten und zu nähren, bedarf sichts der natürlichen Entwicklung, die Der Prognos Zukunftsatlas von 2010 es des permanenten Erkenntnisdrangs, wir als die Folgen des demografischen (vgl. Abbildung 13) kommt zu dem der dauerhaften Entwicklung, der ge- Wandels kennengelernt haben. Den- Ergebnis, dass Städte zunehmend an meinsamen Anstrengung und der groß- noch sind Städte, die bereits frühzeitig Attraktivität und Anziehungskraft ge- en Offenheit auch Neuem gegenüber. sich präventiv auf die vorhersehbaren winnen und ein höheres Wachstum Städte sind nie fertig, immer in Be- Entwicklungen vorbereitet haben, in verzeichnen als das Umland. Hochqua- wegung, immer im Wandel, anfällig für einer sehr guten Startposition (vgl. Ab- lifizierte sowie Forschung und Entwick- von außen herangetragene Probleme, bildung 12). Und hier kommt Bildung lung seien entscheidend für die Zu- wie auch für die hausgemachten. Die als der entscheidende Standortfaktor kunftsfähigkeit einer Region14. Prognos Auswirkungen von Wirtschafts- und ist Spiel. Wenn es wahr ist, und es gibt kommt zu dem Ergebnis, „nur mit ei- Finanzkrisen sind genauso spürbar keinen Grund es nicht anzunehmen, ner Fokussierung auf forschungs- und wie die des demografischen Wandels. dann ist einer der besonders wichtigen technologieintensive Industrien sowie Auch wenn wir unsere politischen Ver- Faktoren für den Zuzug und auch das wissensintensive Dienstleistungen treter und die städtische Verwaltung mit Bleiben in einer Stadt der Arbeitsplatz. kann sich Deutschland entscheidende der Lösung dieser Aufgaben betraut Wir haben bereits an anderer Stelle Wettbewerbsvorteile im internationa- haben, ihnen diese Aufgaben anver- gehört, dass die Betriebe in Schwie- len Standortwettbewerb erarbeiten“15. traut haben, sind wir in der Pflicht, uns rigkeiten kommen, da ihnen geeigneter „Humankapital wird dabei zur Schlüs- ebenfalls mit den Aufgaben vertraut zu Nachwuchs fehlt. Nun können wir zu- selkomponente im Wettbewerb. Mitt- machen, sie als unsere eigenen anzu- sätzlich noch die Fachkräfte, die für die lerweile ist jeder zehnte Beschäftigte in erkennen und den Weg zu einer verant- Innovationskraft und Weiterentwick- Deutschland hochqualifiziert, Tendenz wortungsgeprägten vielfältigen den- lung einer auf Wettbewerb ausgelegten weiter steigend. […] Auch künftig wer- noch gemeinsamen Stadtgesellschaft Wirtschaft stehen, in die Gleichung ein- den die Anforderungen der Unterneh- zu gehen. Doch wie kann ein solcher bringen. men an das Qualifikationsniveau der Weg gegangen werden? Wie kann Mitarbeiter weiter steigen“16. eine Stadt, eine Region sich so auf- Abbildung 12: Bevölkerungspro- stellen, dass sie in dem zunehmenden gnose Stadt Leipzig bis 2050 Wettbewerb der Städte und Regionen um Arbeitskräfte, um Ansiedlung, um Bevölkerung dauerhaften Zuwachs – und wenn wir in 1.000 uns Innovationskraft und Wirtschafts- wachstum wünschen, muss dieser Wettbewerb global verstanden werden – bestehen kann, sogar mit der Nasen- länge voran? Der Wettbewerb Zuallererst muss unter den bereits vorgestellten Gesichtspunkten jedem deutlich werden, dass es nicht nur um Wachstum einer Stadt oder Region ge- hen kann. Das Ziel, Abwanderung zu Jahr verhindern, ist für einige Städte bereits Quelle: Eigene Darstellung unter Verwendung der Daten der 5. Regionalisierten ein sehr hochgestecktes Ziel ange- Bevölkerungsprognose für den Freistaat Sachsen bis 2025, Statistisches Landesamt des Freistaat Sachsen. 14 Prognos AG: Auf einen Blick: Prognos Zukunftsatlas 2010 – Deutschlands Regionen im Zukunftswettbewerb, S. 3. Online verfügbar unter: www.prognos.com/ Zukunftsatlas-2010-Regionen.753.0.html (abgerufen am 01.10.2012) 15 Prognos AG: Auf einen Blick: Prognos Zukunftsatlas 2010 – Deutschlands Regionen im Zukunftswettbewerb, S. 3. Online verfügbar unter: www.prognos.com/ Zukunftsatlas-2010-Regionen.753.0.html (abgerufen am 01.10.2012) 16 Prognos AG: Auf einen Blick: Prognos Zukunftsatlas 2010 – Deutschlands Regionen im Zukunftswettbewerb, S. 3. Online verfügbar unter: www.prognos.com/ Zukunftsatlas-2010-Regionen.753.0.html(abgerufen am 01.10.2012). 18
Fachvortrag „Bildung als Standortfaktor“ Abbildung 13: Prognos Zukunfts- atlas 2010 Quelle: Prognos AG, Zukunftsatlas 2010, www.prognos.com/Zukunftsatlas-2010- Regionen.753.0.html (01.10.2012). Und das Hamburgische WeltWirt- Komponenten gemeint. In diesem Zu- schaftsinstitut stellt in einer Studie „Die sammenhang spielen die Hochschu- Arbeitsplätze der Zukunft. Regionen im len naturgemäß eine besondere Rolle. Wettbewerb“ aus dem Jahre 2009 fest, Ein Motiv für junge Menschen, sich dass das Vorhandensein qualifizierter in Bewegung zu setzen, und ein Ziel Arbeitskräfte maßgeblich ist für die sind nach den statistischen Unter- Standortwahl von Unternehmen in wis- suchungen Städte und Regionen mit sensintensiven Wirtschaftsbereichen17. Universitäten und Hochschulen (vgl. Die starke Entwicklung weg von einer Abbildung 14). Ein weiteres Indiz dafür, industriellen Fertigungsgesellschaft daß Städte und Regionen mit diesem hin zu einer wissensorientierten Ge- Element aus der Bildungskette, den sellschaft bedeutet, Bildung als den Hochschulen und Universitäten, sich maßgeblichen Faktor für jede Stand- einen Vorteil verschaffen. Nur wie kann ortentscheidung in den Vordergrund man diese jungen Menschen auch zu stellen. Bildung ist in dem Kontext nach dem Studium halten, so dass sie ohne Zweifel in ihrer gesamten Band- möglicherweise der Pool sind, aus dem breite inklusive sozialer und kultureller die Wirtschaft ihre Potentiale schöpft? 17 Hamburgisches WeltWirtschaftsInstitut (HWWI)(2009): Deutschland 2020 - Die Arbeitsplätze der Zukunft. Regionen im Wettbewerb - Faktoren, Chancen und Szenarien. In: Update – Wissensservice des HWWI 01/09. Online verfügbar unter: http://www.hwwi.org/uploads/tx_wilpubdb/HWWI_Update_01.09.pdf (abgerufen am 01.10.2012). 19
3. Leipziger Bildungskonferenz 2012 Abbildung 14: Binnenwanderungssaldo Die Entscheidung von Menschen, wo der EW von 18 bis unter 25 Jahre je sie leben und arbeiten wollen, wird 1000 EW der Altersgruppe von zahlreichen Faktoren beeinflusst. In seiner Studie sagt das Hambur- gische WeltWirtschaftsinstitut, dass generell städtische Regionen, die wirt- schaftlich florieren, hohe Löhne und vielseitiges Lebensumfeld bieten, ei- nen Attraktivitätsvorsprung haben18. Familienfreundlichkeit, die Qualität des Bildungssektors und die Attrak- tivität der Immobilienangebote sind entscheidend. Und der Bildungsbe- richt von 2012 konstatiert, dass bei „Betrachtung der letzten Dekade die Integration in den Arbeitsmarkt nach Bildungsabschlüssen ein stabiles Mu- ster zeigt: Personen mit Fachhoch- schul- oder Hochschulabschluss sind am besten in den Arbeitsmarkt inte- griert. Am schwierigsten gestaltet sich die Integration in den Arbeitsmarkt bei Personen ohne beruflichen Abschluß, deren Erwerbstätigkeit seit 1999 stets unter 60% liegt. […] Die Situation für erwerbsfähige Personen ohne beruf- liche Ausbildung stellt sich in zweierlei Hinsicht problematisch dar: Die Betrof- fenen weisen einen deutlich niedrigeren Erwerbstätigenanteil auf als Personen mit beruflichen Abschlüssen, und sie befinden sich zu deutlich höheren An- teilen in geringfügiger Beschäftigung oder Zeitarbeitsverhältnissen. Daher ist diese Gruppe mit einem höherem Maße von Armutsgefährdungsrisiken betroffen als Personen mit einem mitt- leren oder höheren Bildungsniveau“19. Das ist nicht nur eine Belastung für den kommunalen Haushalt, von dem erwartet wird, dass er hier eine soziale Quelle: Binnenwanderungssaldo der Einwohner von 18 bis unter 25 Jahren je 1.000 Sicherung leistet, sondern auch eine Einwohner 2009 der Altersgruppe, Indikatoren und Karten zur Raum- und Stadtent- Verschwendung im Hinblick auf die Po- wicklung in Deutschland und in Europa (INKAR 2011) des Bundesinstitutes für Bau-, tentiale, die diese Menschen nicht aus- Stadt- und Raumforschung (BBSR). schöpfen können, aus welchem Grund auch immer. 18 Hamburgisches WeltWirtschaftsInstitut (HWWI)/PwC, Frankfurt am Main (Hrsg. 2010): Deutschland 2020 - Die Arbeitsplätze der Zukunft. Regionen im Wettbe- werb - Faktoren, Chancen und Szenarien. 19 Autorengruppe Bildungsberichterstattung/Im Auftrag der Ständigen Konferenz der Kultusminister der Länder in der Republik Deutschland und des Bundes- ministeriums für Bildung und Forschung (Hrsg. 2012): Bildung in Deutschland 2012. Ein indikatorengestützer Bericht mit einer Analyse zu Perspektiven des Bildungswesens im demografischen Wandel. Bielefeld: W. Bertelsmann Verlag, S. 200f. 20
Fachvortrag „Bildung als Standortfaktor“ Der Lebensraum – Wenn die soziale Situation eine so Einer der entscheidenden Faktoren ist Die soziale Stadt große Rolle spielt für diese wesentliche die Familie, wobei auch hier ein grund- Entscheidung, wenn festgestellt wird, legender Wandel zu bemerken ist. Die Eine soziale Ausgewogenheit in einer dass Bildung einen sozialen Aufstieg familienfreundliche Stadt wird sich da- Gesellschaft ohne große Spaltungen ist ermöglicht und damit die Stärkung der mit auseinandersetzen müssen, dass ein erstrebenswertes Ziel. In einer Pha- Chancen an der Teilhabe an den Belan- der Familienbegriff sich verändert und se großer gesellschaftlicher Umbrüche gen unserer Stadtgesellschaft, muss vielfältige Formen neuer und alter Le- spielt soziale Ausgewogenheit in jeder alles getan werden, um auch denjeni- bensgemeinschaften nebeneinander räumlichen Dimension eine bedeut- gen, die sich in den vorher genannten existieren. Zusätzlich sieht man eine same Rolle, in der Region, in der Stadt, Risikogruppen befinden, Unterstüt- Vielfalt von Lebens- und Haushalts- im Quartier, in der Nachbarschaft – im zung anzubieten. formen, gekennzeichnet durch Verklei- schlichten Zusammenleben. Dieser Die sozialräumliche Betrachtung er- nerung der Haushalte, Abkehr von der Faktor ist ebenso bedeutend für die möglicht eine differenzierte Analyse der Ehe, zeitlichen Aufschub der Familien- Antwort auf unsere Frage, will ich dort Faktoren und Einflüsse, die die Nach- gründung (einhergehend mit dem Risi- hingehen, bleiben oder will ich gehen, barschaft auch unter Betrachtung ei- ko, dass es dann, wenn man will, nicht weg aus oder hin zu der Nachbar- ner Mittelfristperspektive zukunftsfähig mehr klappt), Zunahme der Kinderlo- schaft, der Stadt oder der Region? (vgl. macht. Das bedeutet jedoch ebenso, sigkeit und Rückgang kinderreicher Fa- Abbildung 15). dass alle Faktoren, die diese Perspek- milien (vgl. Abbildung 16). Die Stärkung, tive ausmachen, unter dem Aspekt der Akzeptanz und Flexibilität im Umgang Abbildung 15: Gesamtwanderungssaldo Bildungsrelevanz betrachtet werden mit diesen veränderten Lebensformen (Differenz Zuzüge – Fortzüge je 1000 EW müssen. und damit mit gesellschaftlichen 2009) in Deutschland Quelle: Raumbeobachtung des Bundesinstitutes für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR), Bonn 2012. 21
3. Leipziger Bildungskonferenz 2012 Gruppierungen können Städte und Es bedarf einer gemeinsamen Strategie Stadtgesellschaften vor anderen aus- von Bund, Ländern und der Kommune zeichnen. gemeinsam mit der Wirtschaft, den Kirchen, zivilgesellschaftlichen Grup- Abbildung 16: Bevölkerung in Deutsch- pierungen und anderen, um diesem land 2006 und 2010 nach Lebensformen Missstand gezielt zu begegnen. Eine (in %) Zunahme der Spaltung in den Bildung- schancen können sich weder die Kom- mune noch die Bundesrepublik leisten. Es gibt mittlerweile Städte, in denen die Mehrheit der jungen Generation aus Familien mit Migrationshintergrund stammt, Tendenz steigend. Wenn hier die Bildungsanstrengungen, derer, die sie strukturieren und anbieten, aber auch derer, die sie umsetzen müssen, nicht deutlich wirksamer werden, wird der Faktor Bildung die Standortsiche- rung schwächen. Der soziale Frieden, die Kriminalitäts- rate in einer Stadt hängen ebenso von diesen bereits genannten Faktoren ab. Die Attraktivität einer Stadt steht im- mer in Beziehung zu ihrem Leumund, zu ihrer Erscheinung, zu ihrem Ruf. Quelle: Autorengruppe Bildungsberichterstattung (Hrsg.): Bildung in Deutschland 2012, S. 24. Der Wohnungsmarkt, die Nachbar- Abbildung 17: Allgemeinbildender Schulabschluss insgesamt, nach Altersgruppen bei schaften, die Bildungsanbieter müssen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund sowie nach Herkunftsland in Prozent auf diese Realität eingehen und sie in ihren Angebotsstrukturen berücksichti- insgesamt gen (vgl. Abbildung 17). Bei der Fra- unter 25 Jahren ohne Migrationshintergrund ge nach der Rolle, die die Familie im 25 bis 34 Jahre mit Migrationshintergrung Wechselspiel mit der Stadt einnimmt, 35 bis 44 Jahre sind die Familien der Migranten be- 45 bis 54 Jahre sonders zu beachten. Will man auch 55 bis 64 Jahre ihren Anschluß an die Entwicklung der 65 Jahre und älter Stadtgesellschaft garantieren, muss Polen man sich gewahr sein, dass die Bil- Ukraine nach Herkunftsland dungschancen ihrer Kinder und damit Rumänien die Teilhabechancen an der Entwick- Spätaussiedler lung auch ihrer Stadt weitaus geringer Kroatien sind als in ansonsten vergleichbaren Bosnien und Herzegowina Familien. Ähnliches gilt auch für die Ri- Italien siken, denen Kinder Alleinerziehender Serbien und Montenegro ausgesetzt sind. Diesen Lebensbedin- Griechenland Quelle: Autorengruppe gungen muss unbedingt präventiv be- Afrika Bildungsberichterstattung gegnet werden. Türkei (Hrsg.): Bildung in Deutsch- 0 5 10 15 20 25 land 2012, S. 24. 22
Fachvortrag „Bildung als Standortfaktor“ Je stärker die entscheidenden Elemen- ren können. Es ist sehr sinnvoll, diese ten zu müssen und lösen zu wollen. te für einen Zuzug oder eine Bleibeent- Fragen zu stellen, die Bedingungen Das heißt in seinem Sinne, sich in Al- scheidung positiv besetzt sind, desto ehrlich zu prüfen und gegebenenfalls lianzen, neuen Verbünden oder neuen wahrscheinlich ist auch eine positive daran zu arbeiten, dass sie sich ver- Verantwortungsgemeinschaften ver- Entscheidung. Insofern sind es nicht bessern, damit es für die, um die ge- bindlich zusammenzutun. Er forderte, nur die Bildungsangebote selbst, die worben werden soll, auch wirklich reiz- dass die Zivilgesellschaft stärker in für eine Kommune sprechen, sondern voll genug ist, dauerhaft in einer neuen die Gestaltung des Gemeinwesens auch ihre nachweislichen unmittelbaren Gemeinschaft zu Hause sein zu wollen. eingebunden werden muss und Bund wie mittelbaren Bildungserfolge: mehr und Länder die Kommunen als Partner Schulabgänger mit Abschlüssen, mehr auf Augenhöhe anerkennen müssen. Übergänge auf die Hochschule auch Von Government zu Seine ultimative Forderung an Bund der Gruppen, die eher weniger diesen Governance und Länder lautet: Kooperationsver- Weg gehen, wie zum Beispiel Jugend- bot muss durch Kooperationsgebot liche mit Migrationshintergrund, oder Was sind die entscheidenden Maß- ersetzt werden. Diese Forderung trifft auch eine geringe Kriminalitätsrate. gaben, die es einer Stadtgesellschaft natürlich mitten ins Herz der staatlich ermöglichen sollte, die Herkulesauf- geregelten Zuständigkeitshoheit. Will Fachkräfteanwerbung und Fach- gaben zu meistern, die vielleicht nur in man, ohne diese aufzugeben, im Sinne kräftezuzug, egal ob aus dem In- oder der langfristigen Betrachtung als sol- Herrn Rombeys agieren, sind vor allem dem Ausland, werden ebenso wie die che wahrnehmbar werden, da es sich Einsichten notwendig, die auf dem Ver- Steigerung der Erwerbstätigkeit von um prozessuale Entwicklung handelt? ständnis der Handlungsnotwendigkeit Frauen, vor allem weg von der Teil-, Grundlage wird es sein müssen, ein und dem strategischen Einvernehmen hin zur Vollzeit, gerne für die Korrek- Bewusstsein dafür bei allen – den Ver- über die gemeinsamen Ziele basieren. tur auf dem Arbeitsmarkt zur Heilung antwortungsträgern wie der gesamten Dies lässt sich nur pro Kommune indi- der demografischen Kurve gesehen. Bürgerschaft – zu wecken, dass es sich viduell einlösen, jedoch gibt es Voraus- Sicherlich sind beide Initiativen rich- um einen andauernden, nicht endlichen setzungen, die durchaus allgemein un- tig, doch ebenso wie alle anderen Veränderungs- und Wandlungsprozeß terstützend entwickelt werden können. Faktoren an Bedingungen geknüpft, handeln wird, der auch dauerhaft das Bleibt man im Hoheitsrahmen, könnte denn auch hier gilt, dass um dieselben Ziel verfolgen muss, bestmöglichen es dennoch für die Kommune wirksam Kräfte aus vielen Kommunen oder Län- Teillösungen, bestmögliche Verantwor- werden, wenn die Ausbildung der Erzie- dern geworben werden wird. Insofern tungsstrukturen und bestmögliche Teil- herinnen und Erzieher, der Lehrerinnen ist eine realistisch Prüfung, ob in der habe- und Entwicklungschancen für und Lehrer, aber auch der Sozialar- Stadtgesellschaft neben einem guten jeden Einzelnen zu erringen, und zwar beiter und anderer für das Bildungs- Wohnangebot, exzellenter Bildungs- immer in dem Bewusstsein, dass es system der Kinder und Jugendlichen landschaft und einer interessanten, sich um die Stärkung existierender Po- Zuständigen aufeinander abgestimmt, gut bezahlten Position auch wirklich tentiale handelt, gleichermaßen auch oder zum Beispiel gemeinsame Quali- die Willkommenskultur gepflegt wird, die Prävention vor höheren, kommunal tätsstandards für Sprach- und Förder- die jemandem aus dem Ausland das gesehen entscheidenden, Zusatzbe- kurse den tatsächlichen Bedürfnissen Lebensumfeld für sich und seine Fa- lastungen. Die, wie vorher dargelegt, gemäß entwickelt werden würden. milie garantiert, das er gerne hätte und immer zu Standortnachteilen werden Eine Entscheidung muss jede Kom- möglicherweise woanders auch erhal- würden. mune jedoch für sich selbst treffen. ten kann. Oder ob das Lebensumfeld In einem Bericht vor dem Stiftungs- Zwar sagt der Föderalismus, dass die für den Binnenwanderer mit oder ohne verbund des Bundesprogramms Ler- Bildungshoheit im schulischen Be- Familie attraktiv genug ist, um sich für nen vor Ort vor zwei Wochen in Aachen reich bei den Ländern liegt, doch das einen Ortswechsel zu entscheiden. hat Stadtdirektor Rombey, der auch darf Kommunen nicht davon abhalten, Oder ob die Arbeitsgestaltungsmög- Vorsitzender des Schulausschusses für sich zu entscheiden, dass die Bil- lichkeiten für Frauen (schön wäre es, des Deutschen Städtetages bundes- dung für sie in dem obigen Sinne eine hier: auch für Männer sagen zu können) weit ist, zentrale Aussagen gemacht, kommunale Pflichtaufgabe sein muss, genügend flexibel sind, so dass sie ih- die den Kern des Veränderungswillens als sie eine Selbstverpflichtung für die ren Lebensentwurf mit Kind und eine treffen. Er sagte, dass Politik lernen Sicherung ihrer Zukunftsfähigkeit be- anspruchsvolle Arbeitsstelle vereinba- müsse, nicht alleine Aufgaben verwal- deutet. In zunehmendem Maße sind 23
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