Leitfaden zu den Fachanforderungen Physik - Allgemein bildende Schulen Sekundarstufe I Sekundarstufe II - Fachportal.SH
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Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur Leitfaden zu den Fachanforderungen Physik Allgemein bildende Schulen Sekundarstufe I Sekundarstufe II 2. überarbeitete Auflage Schleswig-Holstein. Der echte Norden. LEITFADEN ZU DEN FACHANFORDERUNGEN PHYSIK (2022) 1
Impressum Herausgeber: Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur des Landes Schleswig-Holstein Brunswiker Straße 16 -22, 24105 Kiel Layout: Stamp Media GmbH, Agentur für Kommunikation & Design, Medienhaus Kiel, Ringstraße 19, 24114 Kiel, www.stamp-media.de Druck: Schmidt & Klaunig, Druckerei & Verlag seit 1869, Medienhaus Kiel, Ringstraße 19, 24114 Kiel, www.schmidt-klaunig.de Kiel, Juni 2022, 2. überarbeitete Auflage Die Landesregierung im Internet: www.schleswig-holstein.de Diese Druckschrift wird im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit der schleswig-holsteinischen Landesregierung herausgegeben. Bestellungen können unter www.fachanforderungen.de aufgegeben werden. Sie darf weder von Parteien noch von Personen, die Wahlwerbung oder Wahlhilfe betreiben, im Wahlkampf zum Zwecke der Wahlwerbung verwendet werden. Auch ohne zeitlichen Bezug zu einer bevorstehenden Wahl darf die Druckschrift nicht in einer Weise verwendet werden, die als Parteinahme der Landesregierung zugunsten einzelner Gruppen verstanden werden könnte. Den Parteien ist es gestattet, die Druckschrift zur Unterrichtung ihrer eigenen Mitglieder zu verwenden.
Leitfaden zu den Fachanforderungen Physik Allgemein bildende Schulen Sekundarstufe I Sekundarstufe II 2. überarbeitete Auflage
Inhalt I Einleitung................................................................................................................................................................................4 II Hinweise zur Kompetenzorientierung...............................................................................................................5 1 Kompetenzorientierung im Physikunterricht.........................................................................................................................5 1.1 Physikalische Kompetenzen im Kontext der Naturwissenschaften................................................................................5 1.2 Das Zusammenspiel prozessbezogener und inhaltsbezogener Kompetenzen in der Sekundarstufe I.....................7 1.3 Der Kompetenzbegriff in der Sekundarstufe II................................................................................................................7 2 Entwicklung des Basiskonzepts Energie in der Sekundarstufe I und seine Weiterentwicklung in der Sekundarstufe II.....9 2.1 Aspekte des Basiskonzepts Energie..................................................................................................................................9 2.2 Energie im Anfangsunterricht Physik............................................................................................................................. 11 2.3 Weiterentwicklung des Basiskonzepts Energie in der Sekundarstufe I...................................................................... 13 2.4 Das Basiskonzept Erhaltung und Gleichgewicht in der Sekundarstufe II .................................................................. 13 2.5 Förderung der Bewertungskompetenz am Beispiel der Energieversorgung innerhalb des europäischen Verbundsystems............................................................................................................................... 13 3 Die Mechanik als Bindeglied zwischen der Sekundarstufe I und der Sekundarstufe II................................................ 15 4 Curricularer Aufbau des Unterrichts zur Quanten- und Atomphysik................................................................................ 18 4.1 Merkmale von Quantenobjekten................................................................................................................................... 18 4.2 Curricularer Aufbau des Unterrichts zur Quanten- und Atomphysik.......................................................................... 19 4.3 Vertiefungen zur Quantenphysik.................................................................................................................................... 20 III Hinweise für den Unterricht.................................................................................................................................. 22 1 Kontexte für den Physikunterricht....................................................................................................................................... 22 2 Die Rolle des Experiments im Physikunterricht.................................................................................................................. 26 2.1 Experimente im naturwissenschaftlichen Unterricht – Immer noch aktuell?.............................................................. 26 2.2 Digitale und analoge Messwerterfassung im Physikunterricht................................................................................... 28 2.3 Nutzung einer Tabellenkalkulationssoftware zur Erfassung und Auswertung digitaler und analoger Messwerte.... 32 3 Gestaltung der Mathematisierung im Physikunterricht .................................................................................................... 34 4 Argumentationsketten, Bewertungsraster für Nutzwertanalysen und Modellbildungskreislauf................................. 37 5 Durchgängige Sprachbildung im Physikunterricht............................................................................................................ 41 5.1 Methoden zur Unterstützung des Erwerbs der Bildungs- und der Fachsprache...................................................... 41 5.2 Beispiel zur Sprachförderung......................................................................................................................................... 43 2 LEITFADEN ZU DEN FACHANFORDERUNGEN PHYSIK (2022)
INHALT 6 Digitale Medien im Physikunterricht................................................................................................................................... 48 7 Diagnose und Bewertung im Physikunterricht................................................................................................................... 50 7.1 Präsentationen.................................................................................................................................................................. 50 7.2 Experimentelle Leistungen in Selbst-, Partner- und Lehrerdiagnose.......................................................................... 51 7.3 Gleichwertige Leistungsnachweise in der Sekundarstufe II........................................................................................ 56 7.4 Experimentelle Klausuraufgaben .................................................................................................................................. 59 8 Physikunterricht im Spannungsfeld zwischen Vorbereitung auf das Zentralabitur und Berücksichtigung individueller Interessen von Lernenden und Lehrenden ................................................................................................. 61 9 Möglichkeiten zum Aufbau des Curriculums in der Oberstufe........................................................................................ 63 IV Das schulinterne Fachcurriculum...................................................................................................................... 64 1 Reihenfolge, Zeitpunkt und Dauer der Unterrichtseinheiten........................................................................................... 65 2 Vereinbarungen zu einzelnen Unterrichtseinheiten��������������������������������������������������������������������������������������������������������� 67 3 Fachsprache............................................................................................................................................................................ 72 4 Fördern und Fordern.............................................................................................................................................................. 72 5 Digitale und analoge Medien, Lehr- und Arbeitsmaterialien........................................................................................... 73 6 Hilfsmittel................................................................................................................................................................................ 74 7 Leistungsbewertung.............................................................................................................................................................. 74 8 Überprüfung und Entwicklung............................................................................................................................................. 76 LEITFADEN ZU DEN FACHANFORDERUNGEN PHYSIK (2022) 3
I EINLEITUNG I Einleitung Die zum Schuljahr 2016/17 in Kraft getretenen Fachan- unterstützen, indem er konkrete Anregungen für die Um- forderungen Physik gelten für die Sekundarstufe I der setzung der Fachanforderungen in der Unterrichtspraxis Gymnasien und die Sekundarstufe I der Gemeinschafts- anbietet. Er enthält daher schulen, sofern die Fächer Physik, Chemie und Biologie in ∙ Hinweise zu einer möglichen Strukturierung eines Einzelfächern unterrichtet werden. Für das Fach Naturwis- schulinternen Fachcurriculums, senschaften gibt es eigene Fachanforderungen. ∙ eine exemplarische Ausgestaltung eines Fachcurricu- lums anhand einzelner Beispiele. Die Fachanforderungen für die Sekundarstufe II wurden im Jahr 2022 überarbeitet und an die Bildungsstandards im Fach Physik für die Allgemeine Hochschulreife an- gepasst, die laut Beschluss der Kultusministerkonferenz (KMK) die bisherigen Einheitlichen Prüfungsanforderun- gen in der Abiturprüfung (EPA) ab August 2022 ersetzen. Dieser Leitfaden soll Lehrkräfte und Fachschaften dabei unterstützen, Unterricht auf der Grundlage der Fachan- forderungen Physik zu planen und durchzuführen. Dabei werden unter anderem folgende Aspekte thematisiert: ∙ Kompetenzorientierung im Physikunterricht ∙ Hinweise zur Unterrichtsgestaltung, unter anderem die Rolle des Experiments und die Nutzung digitaler Medien ∙ Gestaltung der Mathematisierung ∙ Umsetzung der durchgängigen Sprachbildung im Physikunterricht ∙ Diagnose und Bewertung Die Fachanforderungen verzichten auf kleinschrittige De- tailregelungen. Themen und Inhalte sind nicht einzelnen Jahrgangsstufen zugeordnet, weil eine solche Zuordnung neben pädagogischen und didaktischen Abwägungen auch von der Ausgestaltung der Kontingentstundentafel an der jeweiligen Schule abhängt. Es ist im Rahmen der Eigenverantwortung Aufgabe jeder Schule und somit Teil des schulinternen Fachcurriculums, die zentralen Inhalte und Kompetenzen, die in den Fachanforderungen abschlussbezogen ausgewiesen sind, über die einzelnen Jahrgangsstufen hinweg aufbauend abzubilden (ver- gleiche Kapitel 4 der Fachanforderungen). Dabei hat die Schule sicherzustellen, dass alle Themen der Fachanfor- derungen im Unterricht behandelt werden. Der Leitfaden soll die Fachschaften bei der Erstellung und Fortschreibung des schulinternen Fachcurriculums 4 LEITFADEN ZU DEN FACHANFORDERUNGEN PHYSIK (2022)
II HINWEISE ZUR KOMPETENZORIENTIERUNG 1 Kompetenzorientierung im Physikunterricht II Hinweise zur Kompetenzorientierung 1 Kompetenzorientierung im Physikunterricht allein auf die Vermittlung und Nutzung von Wissen in un- terrichtlichen Zusammenhängen. Der naturwissenschaft- 1.1 Physikalische Kompetenzen im Kontext der liche Unterricht soll die Schülerinnen und Schüler vor Naturwissenschaften allem dazu befähigen, sich mit gesellschaftlich relevanten Fragen im Sinne der Kernprobleme des gesellschaft- Die Physik trägt als eine der drei Naturwissenschaften lichen Lebens (vergleiche Fachanforderungen Physik, zum Aufbau eines naturwissenschaftlichen Weltbildes der S. 8) auseinanderzusetzen. Im naturwissenschaftlichen Schülerinnen und Schüler bei. Als exakte Naturwissen- Unterricht spielen dabei die „Erhaltung der natürlichen schaft kommt ihr dabei eine besondere Bedeutung zu. Lebensgrundlagen“ und die „Technikfolgenabschätzung“ eine zentrale Rolle. Aber auch Fragen nach dem „Zusam- Im Unterricht geht es um die Vermittlung einer physikali- menleben in der einen Welt“, nach „Demokratie“, „Gleich- schen beziehungsweise naturwissenschaftlichen Grund- berechtigung“, „Frieden“ und Aspekte einer „nachhalti- bildung. Naturwissenschaftliche Grundbildung nimmt gen Entwicklung“ müssen berücksichtigt werden (siehe Einfluss auf das alltägliche Denken und Handeln der Fachanforderungen, Kapitel 2.2). jungen Menschen. Sie wird im Wesentlichen durch proze- durale und konzeptionelle Aspekte gekennzeichnet, die Basiskonzepte der Naturwissenschaften in der durch die folgenden Fähigkeiten bestimmt werden: Sekundarstufe I Die fachwissenschaftlichen Inhalte werden durch Basis- ∙ Erkennen von Fragestellungen, die mit naturwissen- konzepte vernetzt. Sie dienen dazu, das Verständnis von schaftlichen Zugängen bearbeitet werden können, naturwissenschaftlichen Phänomenen und Zusammen- ∙ Beschreibung, Vorhersage und Erklärung naturwissen- hängen zu erleichtern. Die Basiskonzepte der drei Natur- schaftlicher Phänomene, wissenschaften weisen Gemeinsamkeiten auf, sind jedoch ∙ Verständnis grundlegender naturwissenschaftlicher in Teilen aufgrund der Fachsystematik in den Bildungs- Basiskonzepte, standards für den mittleren Schulabschluss unterschied- ∙ Vertrautheit mit naturwissenschaftlichen Denk- und lich ausgestaltet. Die konzeptionellen Gemeinsamkeiten Arbeitsweisen, zwischen den Basiskonzepten der drei Naturwissenschaf- ∙ Verwendung von Fachsprache in der fachlichen Kom- ten werden in der folgenden Abbildung aufgezeigt. Sie munikation und Umgang mit unterschiedlichen Reprä- unterstützen die Schülerinnen und Schüler beim Aufbau sentationen, und bei der Vernetzung ihres Fachwissens. ∙ kritische Reflexion der Möglichkeiten und Grenzen naturwissenschaftlicher Erkenntnis. In den Fachanforderungen wird ein Kompetenzbegriff verwendet, der das Wissen und Können sowie die Fä- In der Sekundarstufe II werden die Kompetenzen, deren higkeiten und Fertigkeiten eines Menschen umfasst. Das Grundlagen in der Sekundarstufe I gelegt wurden, schließt die Bereitschaft ein, das Wissen und Können in un- aufgegriffen, vertieft und weiterentwickelt. Dabei steigen terschiedlichen Situationen zur Bewältigung von Heraus- Abstraktionsgrad sowie Grad der Mathematisierung und forderungen und zum Lösen von Problemen anzuwenden. des wissenschaftspropädeutischen Arbeitens. In Anlehnung an die Bildungsstandards der Kultusminis- terkonferenz für den mittleren Bildungsabschluss erfolgt Die Sachkompetenz wird in der Sekundarstufe II als eigener die fachliche Ausprägung des Kompetenzbegriffs im Kompetenzbereich aufgeführt. In der Sekundarstufe I ist sie Fach Physik durch Unterteilung in die prozessbezogenen im Kompetenzbereich Erkenntnisgewinnung enthalten. Kompetenzen zur Erkenntnisgewinnung, Kommunikati- on und Bewertung (Kapitel 2.1 der Fachanforderungen) Der Bildungsauftrag der Schule und damit auch des sowie die inhaltsbezogenen Kompetenzen zum Umgang naturwissenschaftlichen Unterrichts beschränkt sich nicht mit Fachwissen (Kapitel 2.2 der Fachanforderungen). LEITFADEN ZU DEN FACHANFORDERUNGEN PHYSIK (2022) 5
II HINWEISE ZUR KOMPETENZORIENTIERUNG 1 Kompetenzorientierung im Physikunterricht Biologie Chemie Physik Energie Materie Struktur-Eigenschafts- Konzept der chemischen Energie-Konzept Stoff-Teilchen-Konzept Beziehung Reaktion Stoff- und Stoff- und Struktur-Eigenschafts- Struktur und Funktion Energieumwandlung Energieumwandlung Beziehung Struktur Aufbau Umwandlungen Energie und Funktion der Materie Grafische Darstellung der Vernetzung der Basiskonzepte der Fächer Biologie, Chemie und Physik (Fachspezifische Basiskonzepte sind in dem Diagramm nicht vollständig enthalten.) Schülerinnen und Schüler besitzen physikalische Fach- 3. Welche Lernprozesse müssen mit den gewählten kompetenz, wenn sie zur Bewältigung von Anforderungs- Inhalten verknüpft werden, um einen möglichst effizi- situationen enten und nachhaltigen Kompetenzgewinn zu errei- ∙ auf vorhandenes Wissen zurückgreifen oder sich benö- chen? Gibt es geeignete schülerorientierte Kontexte? tigtes Wissen beschaffen, ∙ die zentralen Zusammenhänge des Lerngebietes erken- Als Basiswerkzeuge der naturwissenschaftlichen Selbst- nen und verstanden haben, und Welterschließung dienen im Unterricht die verschie- ∙ angemessene Lösungswege wählen, denen Erkenntnismethoden der Naturwissenschaften ∙ Lösungswege kreativ erproben, (Bund-Länder-Kommission-Projektgruppe, 1997): ∙ bei ihren Handlungen auf verfügbare Kenntnisse, Fähig- ∙ distanziertes Beobachten und Analysieren auf der Basis keiten und Fertigkeiten zurückgreifen und verschiedener Theorien ∙ das Ergebnis ihres Handelns an angemessenen Kriteri- ∙ Experimentieren en überprüfen. ∙ spezifische Modellbildung und Modelldenken ∙ Vergleichen und Systematisieren auf der Basis wissen- Naturwissenschaftlicher Unterricht, der an den Bildungs- schaftlicher Kriterien standards orientiert ist und damit die Kompetenzen, die die Schülerinnen und Schüler erwerben sollen, in den Ein kompetenzorientierter Unterricht berücksichtigt eine Mittelpunkt stellt, orientiert sich an drei didaktischen Vielzahl verschiedener Unterrichtsformen. Dabei ist auf Fragen (vgl. Ziener, 2001): eine Passung zwischen der angestrebten Kompetenzent- 1. Welche Kompetenzen sollen die Schülerinnen und wicklung und der geplanten Unterrichtsform zu achten. Schüler in den prozessbezogenen Kompetenzberei- Informationen finden sich in der IQSH-Broschüre „Metho- chen nach der Unterrichtseinheit erworben bezie- den im Unterricht – Anregungen für Schule und Lehrerbil- hungsweise weiterentwickelt haben? dung“ (2011). 2. Welche Inhalte sind geeignet beziehungsweise not- wendig um Kompetenzen zu erwerben? 6 LEITFADEN ZU DEN FACHANFORDERUNGEN PHYSIK (2022)
II HINWEISE ZUR KOMPETENZORIENTIERUNG 1 Kompetenzorientierung im Physikunterricht Neues Wissen wird in der Regel in einer konkreten Situation 1.2 Das Zusammenspiel prozessbezogener und erworben und verknüpft neue Erfahrungen oder Erkennt- inhaltsbezogener Kompetenzen in der Sekundarstufe I nisse mit vorhandenen Wissensstrukturen. Lernprozesse sind daher umso erfolgreicher, je lernanregender eine Die folgende Grafik veranschaulicht, dass die prozess- Situation gestaltet ist. Zentrale Fragen für die Planung sind bezogenen Kompetenzbereiche mit den Basiskonzepten daher unter anderem die Distanz zwischen Vorwissen, beziehungsweise den inhaltsbezogenen Kompetenzen zu Überzeugungen und Fähigkeiten der Lernenden und den verknüpfen sind, um naturwissenschaftliche Kompetenz zu erreichenden Zielen, die Möglichkeit der Konfrontation aufzubauen. Das Zusammenwirken prozessbezogener oder Vernetzung des neuen und vorhandenen Wissens und inhaltsbezogener Kompetenzen ist bei der Erstel- sowie die Nähe der Lernsituation zu einer späteren Anwen- lung des schulinternen Fachcurriculums auszugestalten dungssituation. Diese Grundannahmen liegen dem soge- und bei der Konzipierung des Unterrichts von zentraler nannten kontextbasierten Lernen zugrunde. Bedeutung. Ein Kontext stellt hier eine Rahmung für fachliche Lernziele Naturwissenschaftliche Kompetenz setzt Fachwissen vo- dar. Diese kann eng gefasst eine konkrete Fragestellung raus. Die kompetente Bearbeitung von Fragestellungen oder ein Phänomen sein (zum Beispiel vermittelt über eine im Fach Physik erfordert den Umgang mit diesem Fach- Zeitungsmeldung), oder auch eine umfassendere Thematik, wissen über die prozessbezogenen Kompetenzbereiche die zur Erarbeitung komplexerer Zusammenhänge führt Erkenntnisgewinnung, Kommunikation und Bewertung. (zum Beispiel die gesellschaftliche Frage nach der Energie- versorgung). Idealerweise sollen Kontexte so gewählt wer- Schülerinnen und Schüler eignen sich Fachwissen zu den, dass sie Lernende zum Nachdenken und Weiterentwi- ihren Fragestellungen an, indem sie Texte lesen, Ex- ckeln ihres Wissens beziehungsweise ihrer Überzeugungen perimente durchführen und auswerten (Erkenntnisge- und Fertigkeiten anregen. Die für die Rahmung eines winnung), darüber kommunizieren und Sachverhalte Fachinhalts genutzten Kontexte erfüllen diese Anforderung begründet bewerten. nicht immer. Hier gilt es, Alternativen zu erproben oder aber methodisch und über Aktivitäten Interesse zu wecken. Sekundarstufe I: Für einen späteren Transfer und eine Abstraktion des Wissens ist das systematische Lernen unerlässlich. Situationsbe- zogene Lernphasen durch geeignete Kontexte bereiten systematische Phasen vor. Diese Phasen fördern intensiv die situativen Auseinandersetzungen. „Eine Balance zwischen enggeführtem, systematischem Lernen in definierten Wissensdomänen und situationsbezogenem Lernen im praktischen Umgang mit lebensweltlichen Problemen zu finden ist konstitutiv für die Schule. Wie die Gewichte zu verteilen sind, darüber kann man im Einzelnen streiten. Ihre Verteilung wird vom Alter und Vorwissen der Schüler, von den Schulformen, aber auch von situativen Bedingungen in der einzelnen Schule abhängig sein.“ Vernetzung der inhalts- und prozessbezogenen Kompe- (Bund-Länder-Kommission-Projektgruppe, 1997) tenzen in der Sekundarstufe I (eigene Darstellung) LEITFADEN ZU DEN FACHANFORDERUNGEN PHYSIK (2022) 7
II HINWEISE ZUR KOMPETENZORIENTIERUNG 1 Kompetenzorientierung im Physikunterricht 1.3 Der Kompetenzbegriff in der Sekundarstufe II Literatur: In den Bildungsstandards für die Sekundarstufe II wird Bund-Länder-Kommission-Projektgruppe (1997): Gut- insofern von einem geänderten Kompetenzbegriff ausge- achten zur Vorbereitung des Programms „Steigerung gangen, als dass Fachwissen nicht mehr als eigenständi- der Effizienz des mathematisch-naturwissenschaftlichen ger Kompetenzbereich aufgeführt wird. Daher wird nicht Unterrichts“. In: Materialien zur Bildungsplanung und mehr zwischen inhaltsbezogenen und prozessbezogenen Forschungsförderung. Heft 60. Bonn. www.blk-bonn.de/ Kompetenzen unterschieden, sondern es werden vier papers/Heft60, abgerufen am 28.06.2022. Kompetenzbereiche definiert, die jeweils bereichsspezifi- sches Fachwissen erfordern: Sachkompetenz, Erkenntnis- Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen Schles- gewinnungskompetenz, Kommunikationskompetenz und wig-Holstein (IQSH, 2011): Methoden im Unterricht - An- Bewertungskompetenz. Diese vier Kompetenzbereiche regungen für Schule und Lehrerbildung. Kronshagen. bilden gemeinsam die Fachkompetenz. Ziener, G. (2001): Bildungsstandards in der Praxis – Kom- Die Basiskonzepte Erhaltung und Gleichgewicht, Super- petenzorientiert unterrichten. Stuttgart. position und Komponenten, Mathematisieren und Vor- hersagen sowie Zufall und Determiniertheit beschreiben fachspezifische Gemeinsamkeiten und unterstützen die Vernetzung fachlicher Inhalte. Die fachlichen Inhalte der Oberstufe umfassen die Mechanik, elektrische und magnetische Felder, mechani- sche und elektromagnetische Schwingungen und Wellen sowie Quantenmechanik und Materie. 8 LEITFADEN ZU DEN FACHANFORDERUNGEN PHYSIK (2022)
II HINWEISE ZUR KOMPETENZORIENTIERUNG 2 Entwicklung des Basiskonzepts Energie in der Sekundarstufe I und seine Weiterentwicklung in der Sekundarstufe II 2 Entwicklung des Basiskonzepts Energie in der Fachanforderungen Physik empfehlen, sowie mögliche Sekundarstufe I und seine Weiterentwicklung in der Unterrichtskonzepte hierfür skizziert. Vorab wird das Ba- Sekundarstufe II siskonzept Energie mit den zugehörigen Einzelaspekten beschrieben. Energie verknüpft als Basiskonzept alle Teilbereiche der Physik – von der Mechanik über die Elektrizitäts- und 2.1 Aspekte des Basiskonzepts Energie Wärmelehre bis hin zur Optik – und darüber hinaus alle Naturwissenschaften miteinander. Durch Energiebetrach- Untersuchungen legen nahe, dass Schülerinnen und tungen können Phänomene und Vorgänge qualitativ und Schüler zunächst ein qualitatives Verständnis von Ener- quantitativ beschrieben werden, zum Beispiel wie viel gieformen entwickeln, bevor sie über Umwandlung und elektrische Energie nötig ist, um eine Tasse Wasser zum Transport am Ende der Sekundarstufe I ein quantitatives Kochen zu bringen. Verständnis von Energie und damit Energieentwertung beziehungsweise Energieerhaltung entwickeln. Damit Im Folgenden werden Gründe angeführt, die für eine ergeben sich die folgenden Aspekte des Basiskonzepts möglichst frühe systematische Behandlung des Ener- Energie (Duit, 2007): giebegriffs im Anfangsunterricht sprechen, wie sie die Aspekte des Basiskonzepts Energie Energieformen Energie kann in unterschiedlichen Formen und an unterschiedlichen Orten auftreten. Energieumwandlung, Energie kann von einer Erscheinungsform in eine andere umgewandelt und von einem Ort zu Energietransport einem anderen transportiert werden. Energietransport und –umwandlung werden begleitet von einer Umwandlung eines Teils der Energieentwertung Energie in Wärmeenergie der Umgebung. Energieerhaltung Die Gesamtenergie eines abgeschlossenen Systems ist konstant. Diese einzelnen Aspekte werden von den Schülerinnen und Schülern aufeinander aufbauend entwickelt, ein vollständiges Verständnis der Energieerhaltung wird von den Fachanforderungen Physik bis zum Ende der Sekun- darstufe I gefordert. Dies kann neueren Untersuchungen (Nagy und Neumann, 2013) zufolge gelingen, indem die Schülerinnen und Schüler im Laufe der Sekundarstufe I zunehmend Wissen aus einzelnen Teilgebieten der Physik und Naturwissenschaften in ihr vorhandenes Wissensnetz zum Basiskonzept Energie integrieren. Einen Überblick hierüber gibt folgende Abbildung. LEITFADEN ZU DEN FACHANFORDERUNGEN PHYSIK (2022) 9
II HINWEISE ZUR KOMPETENZORIENTIERUNG 2 Entwicklung des Basiskonzepts Energie in der Sekundarstufe I und seine Weiterentwicklung in der Sekundarstufe II Entwicklung des Basiskonzeptes Energie im Verlauf der Sekundarstufe I (eigene Darstellung) 10 LEITFADEN ZU DEN FACHANFORDERUNGEN PHYSIK (2022)
II HINWEISE ZUR KOMPETENZORIENTIERUNG 2 Entwicklung des Basiskonzepts Energie in der Sekundarstufe I und seine Weiterentwicklung in der Sekundarstufe II 2.2 Energie im Anfangsunterricht Physik Im Vordergrund steht im Anfangsunterricht Physik eine phänomenologische Einführung des Energiebegriffs, ins- Im Anfangsunterricht ist es empfehlenswert, eine kurze besondere die Einführung der Energieformen (zum Bei- Einheit (wenige Stunden) zu den Grundbegriffen der spiel in Natur und Technik oder anhand von Spielzeug). Energie (Formen, Umwandlung, Energieketten) einzupla- Üblicherweise wird hierfür zunächst die Bewegung von nen. Dabei geht es nicht darum, den Energiebegriff prä- Körpern als ein Zeichen für das Vorhandensein von Ener- zise zu definieren oder zu quantifizieren. Vielmehr steht gie gewertet, um dann auf der Suche nach der Quelle für die strukturierte Einführung und Vernetzung von Ener- diese Bewegungsenergie weitere Formen der Energie zu gieformen im Zentrum der ersten Stunden. Dieses frühe finden. Bei der Untersuchung von Menschen, Tieren und Auseinandersetzen mit Energie ermöglicht den Schüle- Pflanzen finden sich dabei beispielsweise Strahlungs- rinnen und Schülern, einen umfassenden Überblick über energie (Sonne) und chemische Energie (Nahrungsmittel). die unterschiedlichen Themengebiete des Physikun- Bei der Untersuchung von mitgebrachtem Spielzeug oder terrichts zu erhalten. Weiterhin bietet es eine Basis, die technischen Geräten finden die Schülerinnen und Schüler sonst teils einzeln nacheinander behandelten Themen zu auch elektrische Energiequellen (Batterie, Akku, Genera- verknüpfen und damit eine systematische Wissensbasis tor, …). Die Identifikation von Höhenenergie (Gravita- anzulegen, auf der zukünftig zu erwerbendes Detail- tionsenergie) ist dagegen etwas abstrakter, da die Verän- wissen der einzelnen Themen aufgebaut werden kann. derung der in einem Körper gespeicherten Energie durch Darauf aufbauend tragen die Themen des ersten Blocks Hochheben bereits grundlegende Vorstellungen über (siehe Fachanforderungen Physik, 2022, S. 35) zu einem Bewegungsenergie und ihre Umformung erfordert. vernetzten qualitativen Verständnis des Energiekonzepts im Laufe der ersten Hälfte der Sekundarstufe I Ein Konzept für etwa drei bis vier Einzelstunden zum The- bei. ma Energie kann im Anfangsunterricht wie folgt aussehen: Aspekt Unterrichtsgestaltung Einführung des Bewegung als ein Indiz für das Vorliegen von Energie: Die Schülerinnen und Schüler suchen Energiebegriffs: in Experimenten, bei denen sich etwas bewegt, nach der Energiequelle und notieren kleine Bewegungsenergie Steckbriefe zu beteiligten Energieformen. Sämtliche von den Schülerinnen und Schülern gefundenen Energiequellen werden sortiert und in Energieformen klassifiziert. Zu jeder Form wird ein Beispiel notiert: – Bewegungsenergie: fahrendes Auto weitere Energieformen – Spannenergie: Aufziehauto, bevor es losgelassen wird – elektrische Energie: Computer –… Zu Vorgängen in Natur und Technik erstellen die Schülerinnen und Schüler Diagramme mit Energieketten Energieketten (siehe Beispiel im Test zur Energie). Die vorherige Suche nach Energiequellen wird nun umgekehrt: Die Schülerinnen und Schüler beschreiben in Beispielen, dass Energie nicht verlorengeht, sondern immer um- Energieumwandlungen, gewandelt beziehungsweise in ein anderes System transportiert wird. Dabei wird auf eine Energietransport Quantifizierung noch verzichtet, halbquantitative Aussagen sind möglich. Hier bietet sich ein Übergang in weitere Themengebiete des Blocks I an (insbesondere Wärme, einfache elektrische Stromkreise). LEITFADEN ZU DEN FACHANFORDERUNGEN PHYSIK (2022) 11
II HINWEISE ZUR KOMPETENZORIENTIERUNG 2 Entwicklung des Basiskonzepts Energie in der Sekundarstufe I und seine Weiterentwicklung in der Sekundarstufe II Beispiel für einen Kurztest Test - Energie im Anfangsunterricht Name: 1. Im Bild sind Beispiele für verschiedene Energieformen dargestellt. Finde zu jeder Energie- form noch zwei weitere Beispiele: 1. Bewegungsenergie: 2. chemische Energie: 3. Strahlungsenergie: 4. thermische Energie: 5. Spannenergie: 6. elektrische Energie: 7. Höhenenergie: 2. Beschreibe die abgebildete Energiekette in deinen eigenen Worten. 3. Ob das Auto den Looping schafft? Begründe deine Antwort. Verwende dabei die Begriffe Bewegungsenergie und Höhenenergie. 12 LEITFADEN ZU DEN FACHANFORDERUNGEN PHYSIK (2022)
II HINWEISE ZUR KOMPETENZORIENTIERUNG 2 Entwicklung des Basiskonzepts Energie in der Sekundarstufe I und seine Weiterentwicklung in der Sekundarstufe II 2.3 Weiterentwicklung des Basiskonzepts Energie in der verständnisses im Rahmen der Inhaltsbereiche Felder, Sekundarstufe I Schwingungen und Wellen und Quantenphysik geprägt. So werden beispielsweise Formeln für die Energie im Im Verlauf der Sekundarstufe I gewinnt die quantitative Ana- Gravitationsfeld und elektrischen Feld mit den dann zur lyse der Energie zunehmend an Bedeutung. Ein Unterrichts- Verfügung stehenden Methoden der Integralrechnung konzept, das den Zugang über halbquantitative Experimen- bestimmt oder die Energieniveaus im Atom als Energieni- te zur Bewegungsenergie wählt, wird in dem Artikel „Neue veauschema beschrieben. Wege zur Energie“ beschrieben; die Materialien hierzu befinden sich im Fachportal Physik des IQSH (https://fach- Literatur portal.lernnetz.de/sh/faecher/physik/materialien-und-links. html, abgerufen am 28.06.2022). Wenn die Formeln zur Duit, R. (2007): Energie: Ein zentraler Begriff der Naturwis- Energie dabei über Höhenenergie eingeführt werden senschaften und des naturwissenschaftlichen Unterrichts. sollen, ist eine vorherige qualitative Beschreibung anderer In: Unterricht Physik, Ausgabe 101, 4–7. Energieformen aus oben genannten Gründen ratsam. Hadinek, D., Wessnigk, S., & Neumann, K. (2016): Neue Wege Sind die Formeln für einzelne Energieformen be- zur Energie. In: MNU Journal, Ausgabe 5, 292 - 299. kannt, wird die Energie in zahlreichen Experimenten und Vorgängen quantitativ bestimmt und vor und nach Nagy, G., & Neumann, K. (2013): How middle school stu- der Umwandlung verglichen. Beispielsweise wird beim dents learn about energy. Paper presented at the Annual Erwärmen von Wasser die elektrische Energie gemessen Conference of the National Association for Research in und über die Temperaturmessung zur Wärmeenergie in Science Teaching (NARST), Puerto Rico, USA. Bezug gesetzt. Bei Fallbewegungen wird die Lage- energie zu Beginn mit der Bewegungsenergie am Ende 2.5 Förderung der Bewertungskompetenz am Beispiel verglichen; auch über Messungen auf Zwischenpunkten der Energieversorgung innerhalb des europäischen und Abschätzungen von Wärmeumwandlungen wird das Verbundsystems Vertrauen in die Erhaltung der Gesamtenergie langsam gefestigt. Überlegungen zur Bilanzierung und zum Wir- Das Kapitel „Herausforderungen der Energieversorgung“ kungsgrad schließen sich an. Am Ende der Sekundarstufe I in den Fachanforderungen eignet sich in besonderer ist der Energieerhaltungssatz als übergeordnetes Prinzip Weise, um das Basiskonzept Energie in der Sekundar- bekannt und kann von den Schülerinnen und Schülern stufe I abschließend zu vernetzen und zu vertiefen. Hier- genutzt werden. bei werden die Aspekte Energieentwertung und Energie- erhaltung auch quantitativ und experimentell analysiert. 2.4 Das Basiskonzept Erhaltung und Gleichgewicht in der Sekundarstufe II Dabei ist ein Blick auf aktuelle politische Themen in Deutschland, Europa und weltweit sinnvoll, um allen Zu Beginn der Oberstufe steht der Energieerhaltungssatz Schülerinnen und Schülern eine Teilhabe am gesellschaft- bereits zur Verfügung. Er kann zunehmend genutzt wer- lichen Leben und politischen Diskussionen zu ermögli- den, zum Beispiel in der Unterrichtseinheit zur Mechanik chen. Themen wie Klimawandel und Energiewende in der bei der Beschreibung von Fallbewegungen, um ergän- Europapolitik bieten sich hierbei an. Dieser Artikel stellt zend zu den Weg-Zeit-Gesetzen Endgeschwindigkeiten zwei zeitgemäße Möglichkeiten vor, die Netzstruktur der im freien Fall zu bestimmen. Energieversorgung physikalisch (experimentell und the- oretisch) und politisch im Physikunterricht zu behandeln: Der Unterricht zum Energiebegriff in der Oberstufe ein Planspiel (Sekundarstufe I oder II) sowie eine Lernauf- ist darüber hinaus durch eine Vertiefung des Energie- gabe (Sekundarstufe II). LEITFADEN ZU DEN FACHANFORDERUNGEN PHYSIK (2022) 13
II HINWEISE ZUR KOMPETENZORIENTIERUNG 2 Entwicklung des Basiskonzepts Energie in der Sekundarstufe I und seine Weiterentwicklung in der Sekundarstufe II Planspiel „Neue Netze für den Norden?“ nungsübertragung ergänzt werden. Es kann entweder von Politik ist Verhandlungssache: Wer bekommt was? Und allen Schülerinnen und Schülern zeitgleich behandelt wer- wer bestimmt das? Wer setzt sich wem gegenüber durch? den oder aber binnendifferenzierend von einem Teil der Es gilt im politischen Tagesgeschäft, widerstreitende Lerngruppe, während der andere Teil sich beispielsweise Interessen zu vereinen und Entscheidungen über die auf Abschlussprüfungen (Mittlerer Schulabschluss) vor- Verteilung von Geld, Macht, Sicherheit, Autonomie und so bereitet, mit der Lernaufgabe (siehe unten) oder anderen weiter zu treffen. Eine spielerische Variante, die politi- vertiefenden physikalischen Inhalten auseinandersetzt. schen Dynamiken zu verstehen, ist, diese zu simulieren. Dabei übernehmen die Teilnehmenden die Rolle von Poli- Lernaufgabe „Hochspannungsleitungen –Monstertras- tikerinnen und Politikern oder auch anderen in der Politik sen? Bewertung von Technologien zum Transport elektri- relevanten Akteuren wie der Presse oder Lobbyistinnen scher Energie“ und Lobbyisten und müssen deren Interessen überzeu- In der Sekundarstufe II ist der Inhaltsbereich „Elektrische gend vertreten. und magnetische Felder“ geeignet, um die Energiewende multiperspektivisch aus physikalischer, technischer, öko- Das Planspiel „Neue Netze für den Norden?“ spielt im nomischer und ökologischer Sicht zu behandeln. Hierbei Südwesten Schleswig-Holsteins. Konfliktgegenstand ist können im Nicht-Profilfach Schwerpunkte gesetzt wer- der geplante Neubau einer (fiktiven) 380-kV-Höchst- den, die dem gewählten Profil oder den Interessen der spannungsfreileitung, die von Heide im Norden bis nach Schülerinnen und Schüler entsprechen. Vom Institut für Norderstedt im Süden durch mehrere Kreise Schles- Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) wurde eine wig-Holsteins verlaufen und im Rahmen des nationalen Lernaufgabe entwickelt, in der auf Grundlage einer um- Netzausbaus dazu dienen soll, die allgemeine Netzsta- fangreicheren Recherche beziehungsweise Auswertung bilität zu erhöhen und grünen Strom aus dem Norden von Textquellen unterschiedlicher Güte kriteriengeleitet Deutschlands in den Süden der Republik zu transportie- eine reflektierte und rationale Bewertung unterschiedli- ren. Die Pläne der Landesregierung stoßen allerdings in cher Technologien für den Bau von Hochspannungslei- Teilen der Bevölkerung auf Widerstand. Einige Interessen- tungen (Freileitung/Erdverkabelung und Gleichstrom-/ gruppen haben sich explizit gegen das Projekt positio- Wechselstromübertragung) durchgeführt wird. Ein niert. Auf der anderen Seite gibt es Befürworterinnen und weiterer Schwerpunkt kann auf die Beurteilung der Güte Befürworter der neuen Stromtrasse, die den wirtschaftli- und Glaubwürdigkeit von Quellen, insbesondere im chen Nutzen für die Region betonen. Internet, gelegt werden. Die Lernaufgabe ist überwie- gend zum selbstständigen Lernen geeignet, sollte jedoch Das Planspiel wurde von der planpolitik GbR für die Deut- sinnvoll durch Experimente zu elektrischen Feldern und sche Gesellschaft e. V. entwickelt und im August 2018 fer- Hochspannungsübertragung ergänzt werden. Sämtli- tiggestellt und ist für den Einsatz in den Jahrgangsstufen che Materialien sowie Hinweise zum Unterrichtseinsatz 10 bis 13 geeignet. Sämtliche Materialien und didaktische (insbesondere zur Reduzierung des Rechercheaufwands) Hinweise sind im Fachportal Physik unter Materialien sind auf den Seiten des IQB zur Verfügung gestellt (www. und Links hinterlegt (https://fachportal.lernnetz.de/sh/ iqb.hu-berlin.de/bista/UnterrichtSekII/nawi_allg/physik/, faecher/physik/materialien-und-links.html, abgerufen am abgerufen am 28.02.2022). 28.06.2022). Dieses Planspiel kann im Physikunterricht sinnvoll durch klassische Experimente zur Hochspan- 14 LEITFADEN ZU DEN FACHANFORDERUNGEN PHYSIK (2022)
II HINWEISE ZUR KOMPETENZORIENTIERUNG 3 Die Mechanik als Bindeglied zwischen der Sekundarstufe I und der Sekundarstufe II 3 Die Mechanik als Bindeglied zwischen der Geschwindigkeiten nach Brems- oder Beschleunigungs- Sekundarstufe I und der Sekundarstufe II vorgängen und Kraft- und Impulsbetrachtungen. Die Schülerinnen und Schüler lernen, dass sich zuverlässige In den Fachanforderungen Physik (2022, S. 63) ist Vorhersagen über das Verhalten eines Körpers auf ma- festgelegt, dass das Thema Dynamik (inklusive Kinematik) thematischem Wege ermitteln lassen. Weiterhin lernen innerhalb der Einführungsphase unterrichtet werden sie, dass über das Verknüpfen von verschiedenen physi- soll. Insgesamt sollte höchstens die Hälfte der in der kalischen Zusammenhängen in Form von Kombinationen Einführungsphase zur Verfügung stehenden Lernzeit unterschiedlicher Formeln neue Aussagen getroffen für den Unterricht zur Mechanik genutzt werden. Damit werden können (beispielsweise bei Wurfbewegungen). wird der größte Teil der für den Oberstufenunterricht Sollte parallel zum Physikunterricht im Mathematikun- benötigten Beschreibungen von Bewegungen terricht der Einführungsphase Differenzialrechnung innerhalb der Einführungsphase erarbeitet, wobei unterrichtet werden, bietet sich an, die mathematischen Kreisbewegungen und Wellen zu einem späteren Betrachtungen in den Physikunterricht einfließen zu Zeitpunkt thematisiert werden können. lassen und umgekehrt. Ein Beispiel hierzu wäre die Geschwindigkeit als Steigung des Graphen im t-s-Dia- Lerngruppen, die aufgrund ihrer Fächerwahl nur in gramm und damit als Ableitung der Ortsfunktion oder der Einführungsphase Physikunterricht erhalten, sollte die Kraft als Steigung des Graphen im t-p-Diagramm unbedingt ein Einblick in weitere physikalische Themen und damit als Ableitung der Impulsfunktion. ermöglicht werden. Dies kann beispielsweise über ∙ Zufall und Determiniertheit: Die Schülerinnen und Schü- Schwerpunktthemen wie Felder, Biophysik, Astrophysik ler lernen im Unterricht die Mechanik in erster Linie von oder Atomphysik stattfinden, wobei die Mechanik dort ihrer deterministischen Seite kennen. Zufällige Einflüsse auch integriert werden kann. Hierbei ist es möglich, lassen sich beispielsweise bei experimentellen Messwer- den Unterricht in Mechanik sowohl zeitlich als auch ten feststellen. Dabei werden Abweichungen vom erwar- inhaltlich auf das für die gewählten Schwerpunkte teten Wert mithilfe von Fehlerbetrachtungen erklärt, und absolut Notwendige zu beschränken. Es ist letztendlich es wird die Güte einer Messung beurteilt. eine Frage der Kreativität der Lehrerin oder des Lehrers, die Schülerinnen und Schüler mit einer positiven Dynamik als Schwerpunkt und neugierigen Sicht auf das Fach Physik aus dem Mechanik dient als Bindeglied zwischen der schulischen Physikunterricht zu entlassen. Sekundarstufe I und Sekundarstufe II. In der Sekundarstufe I werden die Begriffe Strecke, Zeit Bei durchgängigem Physikunterricht in der und Geschwindigkeit eingeführt und zueinander in Sekundarstufe II werden die in den Fachanforderungen Beziehung gesetzt. Die Begriffe Beschleunigung und genannten Basiskonzepte schon in der Einführungsphase Kraft werden zumindest qualitativ zur Beschreibung im Zusammenhang der Mechanik thematisiert, um verwendet. Grafische und andere Darstellungen dienen dann im weiteren Verlauf der Oberstufe in anderen neben mathematischen Aussagen der Analyse der Themenbereichen vertieft zu werden: zu beschreibenden Situationen. Dabei ergibt sich, ∙ Erhaltung und Gleichgewicht: Energie- und Impulserhal- dass durch die Einbindung in Kontexte viele der im tungssatz, Kräftegleichgewichte Unterricht präsenten Alltagssituationen eher einen ∙ Superposition und Komponenten: Überlagerung von dynamischen als einen rein kinematischen Charakter Bewegungen (beispielsweise beim waagerechten Wurf) haben. In der Sekundarstufe II werden die Inhalte des ∙ Mathematisieren und Vorhersagen: Die in den Fachan- Unterrichts in Mechanik aufgegriffen und hinsichtlich forderungen geforderte zunehmende Mathematisierung formaler Zusammenhänge vertieft und ausgebaut, um ermöglicht im Mechanikunterricht der Einführungsphase dann für die weiteren Unterrichtsinhalte der folgenden genauere Berechnungen, beispielsweise zu Fallzeiten, Jahrgangsstufen zur Verfügung zu stehen. Beispielsweise LEITFADEN ZU DEN FACHANFORDERUNGEN PHYSIK (2022) 15
II HINWEISE ZUR KOMPETENZORIENTIERUNG 3 Die Mechanik als Bindeglied zwischen der Sekundarstufe I und der Sekundarstufe II tauchen im Bereich der elektrischen Ladungen und durchgeführt (zunächst grafisch, dann rechnerisch), Felder wie auch im Bereich der Quantenphysik die Schülerinnen und Schüler interpretieren Graphen mechanische Zusammenhänge wieder auf. Für das zum Fallschirmsprung, identifizieren den Zeitpunkt der Verständnis und die Vorbereitung der Inhalte der in den Öffnung des Fallschirms, beschreiben und begründen Fachanforderungen definierten Inhaltsbereiche werden die weitere Fallkurve und vergleichen diese mit einem in erster Linie die dynamischen Konzepte der Mechanik Fall im Vakuum. Parameteränderungen (Fallschirmgröße, benötigt. Deswegen wird der Schwerpunkt auf die Absprunghöhe, Masse des Springers) oder Zielvorgaben Dynamik gelegt. Die in der Mechanik zu unterrichtenden (maximale Aufprallgeschwindigkeit, Fallzeit) Arbeitsweisen wie beispielsweise das Interpretieren von ermöglichen eine Diskussion, in der weitere Erkenntnisse Graphen, das grafische Differenzieren zur Erstellung gewonnen werden können. Grafische Darstellungen, weiterer Diagramme, die Analyse von Messwerten die die Verzahnung von Ort, Geschwindigkeit, mithilfe von Tabellen und Graphen und der Wechsel der Beschleunigung und damit verbunden Kraft und Darstellungsformen wird in erster Linie mit dynamischen Impuls beschreiben, ermöglichen den Schülerinnen Konzepten verbunden. Die Kinematik wird dabei und Schülern Zusammenhänge zu erkennen und sich zugunsten der Dynamik deutlich in ihrem Anteil an den zu erarbeiten. Gleichzeitig ist es möglich, den aus der Unterrichtsinhalten reduziert. Sekundarstufe I schon bekannten Energieerhaltungssatz an dieser Stelle zu nutzen und beispielsweise die Leisen (2005) schreibt hierzu: „Wer das Verstehen von Aufprallgeschwindigkeit oder Steighöhe energetisch Begriffen zum Thema Bewegung angeht, muss von statt kinematisch zu bestimmen. Der freie Fall ist Anfang an die Begriffe der Kinematik und der Dynamik auch aus der energetischen Betrachtung heraus ein gleichzeitig mit im Blick und im Klassenraum haben.“ Sonderfall. Beim Bungeesprung kann beispielsweise (Leisen, 2005). Er weist darauf hin, den didaktischen untersucht werden, wie lang das zu verwendende Ansatz auf die zentralen Begriffe der Mechanik Gummiseil sein darf und welche Federkonstante es hin auszurichten und das Thema Bewegung nicht haben muss, damit ein Springer mit bestimmter Masse ausschließlich unter kinematischen Gesichtspunkten bei einem Sprung in einen Fluss unter einer Brücke nur zu betrachten. Die dynamischen Aspekte der mit dem Kopf eintaucht. Reale Situationen, untersucht Bewegungen sollten einbezogen werden, weil sie in den mit Experimenten und verzahnt mit theoretischen Schülervorstellungen präsent sind. Überlegungen, ermöglichen einen lebendigen und nachhaltigen Mechanikunterricht. Ein solches Vorgehen Ein Beispiel für den Schwerpunkt Dynamik in spart Zeit, bietet die Möglichkeit der Nutzung von der Mechanik Kontexten, erzeugt strukturiertes und vernetztes Wissen Fallbewegungen werden von Beginn an mit und schult weitere Kompetenzen der Schülerinnen und energetischen und dynamischen Konzepten Schüler, die über das reine Faktenlernen auf Vorrat beschrieben. Für die Schülerinnen und Schüler ist die hinausgehen. Nutzung des aus der Sekundarstufe I schon bekannten Energieerhaltungssatzes unmittelbar naheliegend. Im Unterschiedliche Unterrichtsansätze zum Thema Mechanik: Rahmen der Untersuchung von Fallbewegungen wird ∙ Kraft und Beschleunigung (zum Beispiel Muckenfuß): Be- der Einfluss der Gravitation, aber auch die Abhängigkeit wegungsarten von Körpern als Zugang zum Kraftbegriff: von Reibungskräften thematisiert. Dies ermöglicht Entspricht dem klassischen didaktischen Konzept die Bearbeitung von Kontexten (beispielsweise ( ), bietet aber methodische Beispiele aus dem Fallschirmsprung, Bungeesprung). Der freie Fall stellt Erfahrungsbereich der Schülerinnen und Schüler. eine Idealisierung des realen Falls unter bestimmten ∙ Kraftstoßkonzept (zum Beispiel Wiesner, Wodzinski): Im Bedingungen dar. Die Betrachtungen werden auch Mittelpunkt steht die Newtonsche Bewegungsgleichung mit Mitteln der Differenzial- und Integralrechnung in Form des Kraftstoßes ( ). Der Impuls 16 LEITFADEN ZU DEN FACHANFORDERUNGEN PHYSIK (2022)
II HINWEISE ZUR KOMPETENZORIENTIERUNG 3 Die Mechanik als Bindeglied zwischen der Sekundarstufe I und der Sekundarstufe II und seine Änderung wird von Beginn an gemeinsam mit der Geschwindigkeit und deren Änderung betrachtet. ∙ Impulsänderung (zum Beispiel Herrmann, Leisen): Im Zentrum der Mechanik steht der Impulsbegriff, die Kine- matik taucht am Rand der Verwendung von Zeit- und Geschwindigkeitsbegriff auf. Die Kraft wird als Ände- rungsrate des Impulses ( ) beschrieben. ∙ Von der Energie zur Kraft (zum Beispiel Backhaus, Frenzel, Rode): Aufbauend auf dem Basiskonzept Ener- gie wird Kraft als ein Maß für die „Heftigkeit von Ener- gieübertragungsvorgängen“ als einge- führt. Dabei hat das (grafische) Differenzieren und Integ- rieren in Strecke-Energie- beziehungsweise Strecke-Kraft-Diagrammen einen hohen Stellenwert. Diese Liste ist nicht vollständig, zeigt aber auf, dass in der Fachdidaktik ein dynamisch orientierter Mechanik- unterricht schon seit langer Zeit präferiert wird. Häufig werden es geschickte Kombinationen der unterschied- lichen Konzepte sein, die zu einem erfolgreichen Mecha- nikunterricht führen. Unterstützt wird eine dynamische Herangehensweise in der Mechanik durch eine Reihe von Veröffentlichungen mit Unterrichtsmaterial der gängi- gen Schul- und Lehrmittelverlage. Letztendlich bleibt es die Aufgabe der einzelnen Lehrkraft und der jeweiligen Physikfachschaft, sich für einen Weg durch die Mechanik zu entscheiden. Artikel zu diesem Thema und Materialien zu den genannten Konzepten finden sich im Fachportal Physik des IQSH (https://fachportal.lernnetz.de/sh/fae- cher/physik/materialien-und-links.html, abgerufen am 28.06.2022). Literatur Leisen, Josef (Hrsg.) (2005): Sprache. Naturwissenschaften im Unterricht Physik 87/2005 LEITFADEN ZU DEN FACHANFORDERUNGEN PHYSIK (2022) 17
II HINWEISE ZUR KOMPETENZORIENTIERUNG 4 Curricularer Aufbau des Unterrichts zur Quanten- und Atomphysik 4 Curricularer Aufbau des Unterrichts zur Quanten- und 4.1 Merkmale von Quantenobjekten Atomphysik Basierend auf Feynmans Quantenelektrodynamik hat Küb- Im Folgenden werden zunächst die Merkmale aufgeführt, die lbeck folgende Merkmale von Quantenobjekten zusam- kennzeichnend für Quantenobjekte sind, bevor im Weiteren mengestellt (vgl. Küblbeck und Müller, 2002, zitiert nach unterschiedliche Wege beschrieben werden, wie diese Mikelskis, 2006): Aspekte im Physikunterricht thematisiert werden können. Merkmale von Quantenobjekten Die Wellenmerkmale von Quanten zeigen sich in Doppelspaltexperimenten sowohl bei Wellenmerkmal/Fähigkeit hoher Intensität als auch bei einzelnen Quantenobjekten (Photonen oder Elektronen) bei zur Interferenz langer Belichtung. Zur Beschreibung des Wellenmerkmals wird die Wellenfunktion sowie die Wellenlänge genutzt. Die Teilchenmerkmale von Quanten zeigen sich in Doppelspaltexperimenten mit einzel- Teilchenmerkmal nen Quanten durch das Aufleuchten einzelner Stellen am Schirm. Zur Beschreibung des Teilchenmerkmals werden diskrete („gequantelte“) Energien und Impulse genutzt. Das stochastische Verhalten von Quanten zeigt sich in Doppelspaltexperimenten mit ein- zelnen Quantenobjekten ebenfalls durch das Aufleuchten der Stellen am Schirm. Diese stochastisches Stellen sind im Einzelfall nicht vorhersagbar; lediglich die statistische Verteilung, die sich Verhalten nach vielen Wiederholungen des Experimentes einstellt, kann vorhergesagt werden. Zur Beschreibung dient die Wahrscheinlichkeitsdichte, die gemessen werden kann. Obwohl Quantenobjekte die Eigenschaft „Ort“ nicht besitzen, sind Messergebnisse stets Verhalten beim Mess- eindeutig – auch wenn sich das Quantenobjekt vor der Messung in einem Zustand be- prozess/eindeutige fand, der unbestimmt bezüglich der gemessenen Größe ist. Die Messung greift also aktiv Messergebnisse in das Geschehen ein: Das gemessene System wird „gezwungen“, sich für einen mögli- chen Messwert zu „entscheiden“ (Zustandsreduktion). Bei der Ortsmessung findet man jedes Elektron hinter genau einem der beiden Spalte. Wiederholt man das Experiment mit vielen Elektronen, stellt man fest, dass sich statt des Doppelspalt-Interferenzmusters eine strukturlose Verteilung ergibt. Dies ist dann der Fall, Komplementarität wenn das Experiment – zum Zeitpunkt der Detektion dieser Quantenobjekte auf dem Schirm – eine Information enthält, die man eindeutig einer der klassischen denkbaren Möglichkeiten zuordnen kann. Interferenzmuster und Unterscheidbarkeit der klassisch denkbaren Möglichkeiten schließen sich aus. 18 LEITFADEN ZU DEN FACHANFORDERUNGEN PHYSIK (2022)
II HINWEISE ZUR KOMPETENZORIENTIERUNG 4 Curricularer Aufbau des Unterrichts zur Quanten- und Atomphysik 4.2 Curricularer Aufbau des Unterrichts zur Quanten- und Entwicklung weit verbreitet, sondern auch durch die Atomphysik Möglichkeiten, typische vorhandene Schulexperimente durchzuführen oder im Bereich des Bohr'schen Atom- Zum curricularen Aufbau des Unterrichts zur Quanten- modells klassische quantitative Aufgaben zu stellen. und Atomphysik gibt es verschiedene Möglichkeiten. Während die Mechanik als Grundlage aller Inhaltsberei- Dieses traditionelle Vorgehen ist in einigen Studien kriti- che (elektrische und magnetische Felder, mechanische siert worden: und elektromagnetische Schwingungen und Wellen, ∙ Das anschauliche Bild des Bohr’schen Atommodells Quantenphysik und Materie) am Beginn der Oberstufe bleibt auch nach der Behandlung des quantenmechani- behandelt wird, besteht anschließend die Möglichkeit, schen Atommodells oft das einzige Modell, auf welches zunächst Felder oder Wellen zu behandeln. Im Sinne sicher zugegriffen werden kann. eines Spiralcurriculums empfiehlt es sich, diese Inhalts- ∙ Die Welle-Teilchen-Problematik von Quanten wird bereiche immer wieder zu vertiefen und zu vernetzen. häufig nur als Dualismus behandelt. Quanten be- Welchen Weg man durch die Quantenphysik wählt, sitzen jedoch mehr als nur zwei charakterisierende hängt von Entscheidungen der Lehrenden (Fachschaft) Eigenschaften (siehe Tabelle); insbesondere das statis- und von den medialen und experimentellen Möglichkei- tische Verhalten der Quanten wird nicht ausreichend ten der Schule ab. Im Folgenden werden einige erprobte thematisiert. Konzepte zur Quantenphysik kurz vorgestellt, die auf unterschiedlichen Wegen durch das Thema führen. Es Münchner Unterrichtskonzept zur Quantenmechanik gibt immer wieder Schnittstellen, Gemeinsamkeiten und In diesem Unterrichtsverlauf werden die Eigenschaften damit die Möglichkeit, Ideen zu kombinieren und sich von Quanten hervorgehoben, die gegenüber den klas- gegenseitig ergänzen zu lassen. Hinweise zur Ausgestal- sischen Konzepten neu sind. Gleichzeitig knüpft es aber tung eines Oberstufencurriculums finden sich auch in an liebgewonnene Experimente (zum Beispiel Fotoeffekt, Teil III, Kapitel 7. Elektronenbeugung) an und ermöglicht so ein sanftes Umsteuern des traditionellen Unterrichtsgangs. Hierzu Im Folgenden werden einige Unterrichtskonzepte kurz vor- gehören beispielsweise das stochastische Verhalten gestellt, die zum Teil den traditionellen Weg aufgreifen und von Quantenobjekten, die Unschärfe in Bezug auf den vertiefen, zum Teil auch alternative Wege aufzeigen. Ort sowie das Verhalten von Quanten während eines Messprozesses. Diese Eigenschaften werden zunächst Das traditionelle Curriculum im Sinne eines Spiralcurriculums qualitativ beschrieben, Der Unterrichtsverlauf zur Quantenphysik in Schulen ist anschließend erhalten die Lernenden erste Einblicke in häufig von der historischen Entwicklung seit der Be- 1 formale Strukturen der Quantenmechanik anhand von schreibung des Fotoeffekts durch Einstein traditionell Doppelspaltexperimenten mit Licht und Elektronen, geprägt. Nach der Einführung des Teilchencharakters bevor im Anschluss komplexe quantitative Analysen von Licht anhand des Fotoeffekts folgt die Behandlung erfolgen (Wahrscheinlichkeitsinterpretation der Wellen- von Röntgenstrahlung und des Compton-Effekts, woran funktion; Komplementarität). sich der Dualismus von Welle und Teilchen beschreiben lässt. Es folgen die Behandlung klassischer Atommodelle, Die Universität München bietet unter dem Namen Linienspektren, Bohr'sches Atommodell, Franck-Hertz- „milq“ (Münchener Internetlehrgang zur Quantenphysik, Versuch, Wellenverhalten von Elektronen und schließlich www.milq.info, abgerufen am 28.06.2022) einen Inter- das quantenmechanische Atommodell. Dieser Unter- netlehrgang für Lehrkräfte an, zu dem passend unter richtsgang ist sicher nicht nur durch seine historische dem Namen „SPQR“ (Schülerprogramm zur Quanten- 1 58% der Lehrkräfte gaben an, mit dem Fotoeffekt in die Quantenphysik einzusteigen, 15% steigen mit dem Doppelspalt ein. (Burkard und Schecker, 2004) LEITFADEN ZU DEN FACHANFORDERUNGEN PHYSIK (2022) 19
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