Leseprobe Rembrandts Orient Westöstliche Begegnung in der niederländischen Kunst des 17. Jahrhunderts

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Leseprobe Rembrandts Orient Westöstliche Begegnung in der niederländischen Kunst des 17. Jahrhunderts
Leseprobe

                                 Rembrandts Orient
                                 Westöstliche Begegnung in
                                 der niederländischen Kunst
                                 des 17. Jahrhunderts

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Seiten: 328

Erscheinungstermin: 05. November 2020

              Mehr Informationen zum Buch gibt es auf
                   www.penguinrandomhouse.de
Unter der Schirmherrschaft der Botschafterin des
Königreichs der Niederlande in der Schweiz, I.E. Hedda Samson,
und des Botschafters des
Königreichs der Niederlande in Deutschland, S.E. Wepke Kingma
Rembrandts Orient
Westöstliche Begegnung in der niederländischen Kunst des 17. Jahrhunderts

                                            Ausstellung:
                                            Gary Schwartz

                                            Katalog:
                                            Bodo Brinkmann, Gabriel Dette,
                                            Michael Philipp, Gary Schwartz

                                            Herausgegeben von
                                            Bodo Brinkmann, Gabriel Dette,
                                            Michael Philipp, Ortrud Westheider

                                            Mit Beiträgen von
                                            Bodo Brinkmann
                                            Gabriel Dette
                                            Corinna Forberg
                                            Roelof van Gelder
                                            Jan de Hond
                                            Susanne Henriette Karau
                                            Michael Philipp
                                            Gary Schwartz
                                            Erik Spaans
                                            Jolanta Talbierska
                                            Arnoud Vrolijk

                                            PRESTEL München · London · New York
Leihgeber

Stedelijk Museum Alkmaar                                       Fondation Custodia/Sammlung Frits Lugt, Paris
Allard Pierson, University of Amsterdam                        North Carolina Museum of Art, Raleigh
Amsterdam Museum                                               Residenzgalerie Salzburg
Rijksmuseum, Amsterdam                                         Eremitage, St. Petersburg
Stadsarchief Amsterdam                                         Centraal Museum Utrecht
Tropenmuseum, Amsterdam                                        Stichting Duivenvoorde, Voorschoten
Universitätsbibliothek Basel                                   Universitätsbibliothek Warschau
The Barber Institute of Fine Arts, Birmingham                  National Gallery of Art, Washington, D. C.
Herzog Anton Ulrich-Museum, Braunschweig,                      Albertina, Wien
   Kunstmuseum des Landes Niedersachsen                        Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste, Wien
Szépmu  ˝ vészeti Múzeum, Budapest                             Kunsthistorisches Museum Wien, Gemäldegalerie
Mauritshuis, Den Haag                                          Schloss Schönbrunn, Wien
Dordrechts Museum                                              Kunst Museum Winterthur
Gemäldegalerie Alte Meister, Staatliche Kunstsammlungen        York Museums Trust (York Art Gallery)
   Dresden                                                     Sammlung Emil Bührle, Zürich
Trustees of the Chester Beatty Library, Dublin                 The Earl of Derby
Kunstpalast, Düsseldorf                                        The Kremer Collection
Musée de Grenoble                                              Natan Saban Collection, Israel
Frans Hals Museum, Haarlem                                     The National Trust
Statens Museum for Kunst – National Gallery of Denmark,        sowie weitere Leihgeber, die nicht namentlich genannt
   Kopenhagen                                                    werden möchten
Leiden University Libraries, Special Collections
The British Museum, London, Dept. of Prints & Drawings
The National Gallery, London                                   In Basel wird die Ausstellung großzügig unterstützt von:
Victoria and Albert Museum, London
The J. Paul Getty Museum, Los Angeles                          Pierrette Schlettwein
Musée des Beaux-Arts, Lyon                                     Anonyme Privatperson
Museo Nacional del Prado, Madrid                               Sulger-Stiftung
Museo Nacional Thyssen-Bornemisza, Madrid                      Novartis International AG
Milwaukee Art Museum                                           L. & Th. La Roche Stiftung
Musée Fabre, Montpellier                                       Annetta Grisard-Schrafl (Katalog)
Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Alte Pinakothek,           BLKB
   München                                                     HEIVISCH
Ashmolean Museum of Art and Archaeology,                       Karl und Luise Nicolai-Stiftung
   University of Oxford                                        Stiftung zur Förderung niederländischer Kunst in Basel
Bodleian Library, University of Oxford                         Isaac Dreyfus-Bernheim Stiftung
Bibliothèque de l’Arsenal, Bibliothèque nationale de France,   Stiftung für das Kunstmuseum Basel
   Paris
Inhalt

 6    Vorwort

 8    Inspiration aus der Ferne. Zur Einführung in die Ausstellung
      Gary Schwartz

      Essays

 12   Die Faszination des Ostens. Handel und Kunst in den Niederlanden des 17. Jahrhunderts
      Erik Spaans

 24   „Die Köstlichkeit der Waren, die der Inder uns gibt“. Außereuropäische Objekte in
      niederländischen Stillleben und Interieurs des 17. Jahrhunderts
      Michael Philipp

 40   „Absolut kunstlos“ oder „überaus edel“. Osmanische, Mogul- und safawidische Kunst in
      den Niederlanden im 17. und 18. Jahrhundert
      Jan de Hond

 56   Konvention und Einzigartigkeit. Rembrandts Reaktion auf den Osten
      Gary Schwartz

 74   Die Bedrohung durch die Barbaresken. Korsaren und Christensklaven im 17. Jahrhundert
      Roelof van Gelder

 86   Wissen aus dem Morgenland. Das Sammeln orientalischer Handschriften in der
      niederländischen Republik im Zeitalter von Rembrandt
      Arnoud Vrolijk

      Katalog der ausgestellten Werke

      Mit Beiträgen von
      Bodo Brinkmann, Gabriel Dette, Corinna Forberg, Jan de Hond, Susanne Henriette Karau,
      Michael Philipp, Gary Schwartz, Jolanta Talbierska

102   Mit Turban und Seidenrock. Der Orient zu Hause
134   Wege zum Wohlstand. Handel und Krieg
166   Die Erfassung der Welt. Sammeln und Forschen
200   Die Landschaft der Bibel. Der frühe Rembrandt und seine Vorbilder
228   Licht im Tempel. Rembrandt in Amsterdam und seine Nachfolger
256   Mit eigenen Augen? Echtheit und Klischee
284   Das Eigene im Fremden. Rembrandts Anverwandlung des Orients

      Anhang

312   Auswahlbibliographie
324   Autorinnen und Autoren
327   Abbildungsnachweis
Vorwort

         urban und Teppich, Säbel und Seidenrock – immer wieder haben Rembrandt und seine
    Zeitgenossen Gegenstände aus fernen Ländern gemalt. Ihre Kunstwerke sind Zeugnisse der ersten
    Globalisierung und zeigen den Einfluss fremder Kulturen auf die Niederlande des 17. Jahrhunderts.
    Wissensdurst, Sammellust und Besitzerstolz haben diese kunstgeschichtlich bedeutende
    Epoche geprägt und die Maler zu neuartigen Historienszenen, Portraits und Stillleben inspiriert.
    Wie uns heute auffällt, wurde die Kehrseite dieser Weltaneignung allerdings nicht dargestellt:
    das Machtgefälle zwischen den Kulturen, das sich auch in Sklaverei, Gewalt, Ausbeutung und
    Handelskriegen zeigte.
              Die Ausstellung thematisiert indes bewusst die damaligen Bilder des Fremden. Mit dem
    Konzept eines Morgen- und eines Abendlandes beschrieben die Menschen in der Antike die
    Weltgegenden. Der Osten wurde in Rembrandts Zeit Orient genannt. Im 19. und 20. Jahrhundert
    entstand mit dem Orientalismus eine eurozentrische Haltung, die einen Autoritätsanspruch
    gegenüber den Ländern des Nahen Ostens und der arabischen Welt erhob. Auch der Begriff Orient
    ist dadurch heute belastet. Doch im Titel der Ausstellung Rembrandts Orient. Westöstliche
    Begegnung in der niederländischen Kunst des 17. Jahrhunderts signalisiert der Genitiv, dass es
    um die damals mit diesem Begriff verbundenen Vorstellungen geht.
              Die Ausstellung untersucht, wie die Maler des niederländischen Goldenen Zeitalters auf die
    durch Handel, Reisen und Publikationen in den Blick geratenen Gebiete des Nahen, Mittleren und
    Fernen Ostens reagierten. Dabei ist Rembrandt der Ausgangspunkt. Seine Faszination für ‚den Osten‘
    spiegelt sich in seinen biblischen Historien mit orientalisierenden Gewändern, in den Tronies von
    ‚Orientalen‘ und in seiner Sammlung exotischer Objekte. Zahlreiche Rembrandt-Schüler verwendeten
    ebenso wie ihr Lehrer für Szenen aus der Bibel phantasievolle Turbane. Sie statteten sogar in
    portraits historiés die Dargestellten mit orientalisierenden Kostümen aus. Die Selbstinszenierung in
    solcher Kleidung und vor orientalischen Teppichen war ein Statussymbol wohlhabender Bürger.
              Die Ausstellung thematisiert auch den globalen Handel mit exotischen Objekten wie Porzellan
    oder Nautilusschalen, die als Zeugnisse von Sammelleidenschaft und Weltaneignung in Stillleben

6   Vorwort
präsentiert wurden. Nur wenige Kunstwerke dokumentieren indes eine konkrete Begegnung zwischen
West und Ost, ebenso wie die problematischen Aspekte jenes Handels kaum künstlerischen
Niederschlag gefunden haben: Der Reichtum der niederländischen Oberschicht kam nicht zuletzt
durch Gewalt und Unterdrückung im Fernen Osten zustande und forderte einen hohen menschlichen
Preis – auch unter den eigenen Seeleuten.
          Neben großen Monographien über Pieter Saenredam (1989), Hieronymus Bosch (2016) und
Johannes Vermeer (2017) beschäftigt sich Gastkurator Gary Schwartz seit Jahrzehnten mit
Rembrandt. 1985 erschien sein Buch Rembrandt, His Life, His Paintings. A New Biography. Darin
verortete er den Künstler in dessen Welt, untersuchte das intellektuelle Klima seiner Zeit und
betonte die Rolle seiner Auftraggeber. Die Einbeziehung des sozialen und intellektuellen Kontexts
war ein zukunftsweisender Ansatz. Der historische Hintergrund einer künstlerischen Hervorbringung
ist auch die Grundlage der Ausstellung Rembrandts Orient. Wir schätzen uns glücklich, dass wir
Gary Schwartz für unser Ausstellungsprojekt gewinnen konnten. Ohne das Gewicht seiner Reputation
hätte das ambitionierte Projekt nicht realisiert werden können.
          Die Ausstellung entstand als Kooperation von Kunstmuseum Basel und Museum Barberini.
Ihre Anfänge gehen auf das Jahr 2010 zurück, als unser Katalogautor Erik Spaans aus Amsterdam
im Gespräch mit Michael Philipp, dem jetzigen Chefkurator des Museums Barberini, die Ausstellungs-
idee aufbrachte und wenig später die Verbindung zu Gary Schwartz herstellte. Bodo Brinkmann,
Kurator Alte Meister am Kunstmuseum Basel, holte das Projekt an sein Haus, wo es neben
Rembrandts Gemälde David übergibt Goliaths Haupt dem König Saul in der eigenen Sammlung eine
schlüssige Anbindung auch in der dort bewahrten Druckgraphik Rembrandts hat. Dieser Bestand
konnte in den letzten Jahren dank Schenkungen von 150 bedeutenden Blättern durch den Berner
Sammler Dr. h. c. Eberhard W. Kornfeld bedeutend erweitert werden.
          Die gemeinsame Vorbereitung des Katalogs stand unter der Ägide von Michael Philipp, der mit
Ausstellungen wie Rubens, van Dyck, Jordaens. Barock aus Antwerpen (2010) sowie Verkehrte Welt.
Das Jahrhundert von Hieronymus Bosch (2016) auf dem Gebiet der niederländisch-flämischen
Kunstgeschichte hervorgetreten ist. Zum Team der Bearbeiter des Kataloges kam Gabriel Dette,
Assistenzkurator Alte Meister am Kunstmuseum Basel, hinzu. Die Essays des Ausstellungskatalogs
gehen auf ein Symposium in Potsdam im Juni 2019 zurück, zu dem Gary Schwartz renommierte
Forscher einlud. Wir danken allen Autorinnen und Autoren für ihre Auslotung besonderer Aspekte
eines vielschichtigen Themas.
          Während der Orient durch exotische Objekte und Kleidung in den niederländischen Bürger-
häusern des 17. Jahrhunderts präsent war und zahllose Berichte über Reisen in den Osten publiziert
wurden, erkundete kaum ein Künstler die fernen Länder vor Ort. So blieben der Orient und das
Orientalische in der niederländischen Bildwelt jener Zeit ein Konstrukt aus Versatzstücken, Stereotypen
und Imagination. Das Fremde wurde geschätzt und in den Lebensstil integriert. Aber das war
zumeist nicht mehr als eine Attitüde, denn das Interesse galt weniger den anderen Kulturen als ihren
materiellen Zeugnissen und Hervorbringungen, die aufgrund ihrer Kostbarkeit und des damit
verbundenen Prestiges begehrt waren. Die westöstliche Begegnung fand nicht auf Augenhöhe statt,
zu einem auf Gleichwertigkeit beruhenden Austausch kam es nicht. Das Fremde war ein reizvoller
Kontrast zum Eigenen, aber es erregte kaum tiefergehende Anteilnahme. Das war bei Rembrandt nicht
anders als bei seinen Zeitgenossen, und an dieser Einstellung hat sich – zu dieser Reflexion lädt
die Ausstellung ein – bis heute in weiten Teilen der westlichen Welt nichts geändert. So bietet die
Schau die Möglichkeit, diesen bis heute andauernden Eurozentrismus zu hinterfragen.

Josef Helfenstein                                   Ortrud Westheider
Direktor des Kunstmuseums Basel                     Direktorin des Museums Barberini

Vorwort                                                                                                 7
Inspiration aus der Ferne.
    Zur Einführung in die Ausstellung
    Gary Schwartz

            m 15. Jahrhundert erreichte die Signoria, den Großen Rat von Venedig, die Bitte des osma-
    nischen Sultans Mehmed II., einen Maler und einen Bronzeskulpteur an seinen Hof, die Hohe Pforte
    in Konstantinopel, zu schicken. Sie entsandte 1479 Gentile Bellini,1 der damals so etwas wie der
    offizielle Maler der Stadtrepublik war. Während seiner achtzehn Monate in Konstantinopel schuf er
    Gemälde für den Hof und Zeichnungen für den Eigenbedarf. Wichtigstes Zeugnis seiner dortigen
    Tätigkeit ist das Portrait von Mehmed II. von 1480 (The National Gallery, London). Vom Sultan
    zum eques auratus (Goldener Ritter) und comes palatinus (Pfalzgraf) ernannt, kehrte er zurück;
    die von ihm und anderen Künstlern aus dem Osmanischen Reich importierten Motive gingen in das
    venezianische Bildvokabular ein: Die dortigen Staatsprozessionen fanden von nun an ihre Form
    im sogenannten orientalischen Modus, und ganze Portraitserien osmanischer Sultane entstanden
    in Malereien und als Medaillen.
            Anders verhielten sich die Niederländer. Im Jahr 1656 unterbreitete ein Provinzgouverneur des
    indischen Mogul-Reichs dem leitenden Beamten der Niederländischen Ostindien-Kompanie (Vereenigde
    Oostindische Compagnie, kurz VOC) in Westasien, Hendrik van Wijck, eine Bitte seines Herrn, des
    Großmoguls Shah Jahan. Dieser hatte von einem Maler in Diensten der Kompanie gehört und ersuchte,
    ihm den Künstler an seinen Hof in Agra zu schicken. Van Wijck war verärgert. Wie kam ein Padischah
    dazu, über die Arbeitszeit eines seiner Angestellten zu verfügen? Zudem war es nicht das erste Mal,
    dass er sich dem indischen Oberhaupt auf diese Weise verpflichtete, und es hatte ihn viel Mühe gekostet,
    sein entsandtes Personal wieder zurückzubekommen. Angesichts der möglichen negativen Folgen
    für die Kompanie im Falle einer Ablehnung beschloss van Wijck trotzdem, dem Gesuch stattzugeben.2
            Dieser Vorgang war kein Einzelfall. Zwischen 1602 und 1656 dienten sechs niederländische
    Maler den drei aufeinanderfolgenden Herrschern von Persien, Abbas I., Safi I. und Abbas II., als
    Hofmaler. Keiner von ihnen erfuhr Unterstützung vonseiten der Ostindien-Kompanie, geschweige
    denn von der niederländischen Regierung, die ihre Außenpolitik an das Unternehmen ausgelagert
    hatte. Keiner von ihnen war ein Künstler von Rang, und für alle ging die Sache nicht gut aus. Darüber
    hinaus hat sich kein einziges ihrer in Persien geschaffenen Werke erhalten.

8   Inspiration aus der Ferne. Zur Einführung in die Ausstellung
Der Gegensatz zwischen der früheren italienischen und der späteren niederländischen
Situation kennzeichnet die künstlerischen Beziehungen zwischen Ost und West in der jeweiligen
Kultur. Während sich die Herrscher in Indien und Persien um die Förderung niederländischer Künstler
bemühten – Abbas II. nahm sogar Zeichenunterricht bei Philips Angel (vgl. Kat. 44, 45) und Hendrick
Boudewijn van Lockhorst –, haben offizielle politische Vertreter der niederländischen Republik nie
Vergleichbares getan. Die Ostindien-Kompanie engagierte sich unwillig und nur dann, wenn sie dazu
gezwungen war. Das empfanden andere ausländische Institutionen in Isfahan als unverständlich. So
notierten die dortigen Karmeliter-Patres in ihrer Chronik: „Nichts könnte für die Mission nützlicher
sein, als wenn wir hier einen guten Maler hätten – der Schah hat große Freude an der Malerei; und in
diesen Ländern sind gute Künstler selten. Es gibt einen Niederländer, der für die Kompanie arbeitet,
der sehr wenig getan und dennoch sehr gute Belohnungen erhalten hat, und der Schah hat ihm
große Gunst erwiesen.“3 Sogar die Tatsache, dass die Kompanie durch einen Maler, Jan Lucasz van
Hasselt, einen Vertrauten des Schahs, am Hof der Safawiden eingeführt worden war, quittierte die
Handelsorganisation mit Gleichgültigkeit.
        Die Niederländer vernachlässigten so nicht nur diplomatische und kommerzielle Möglichkeiten,
sondern auch das künstlerische Potenzial, das das orientalische Interesse an westlicher Kunst
hätte eröffnen können. Unter den Hunderten niederländischer Maler des 17. Jahrhundert findet sich
kein einziger, der auf der Suche nach Inspiration in den Osten gereist wäre, und von keinem nieder-
ländischen Künstler sind nach dem Leben angefertigte Portraits eines orientalischen Herrschers
dokumentiert. Wallerant Vaillants Druckgraphik (Kat. 90) trägt zwar die Beischrift „Soliman III.
Empereur des Turcs“; Süleyman II. (es gab nie einen dritten) wurde indes erst zehn Jahre nach dem
Tod des Künstlers, 1687, Sultan. Der Fall illustriert, wie mangelhaft der damalige Informationsstand zu
östlichen Themen war.4 Die einzige vollständig im Osten entstandene niederländische Portraitserie
zeigt Landsleute: die Generalgouverneure der Ostindien-Kompanie in Batavia (Rijksmuseum, Amster-
dam). Was hätte alles geschehen können, wenn die Generalstaaten etwa 1656 Rembrandt nach
Agra geschickt hätten, um ein Portrait von Shah Jahan zu malen – doch nichts dergleichen passierte.
        Auch in dem zwischen Gentile Bellini und Rembrandt liegenden 16. Jahrhundert traten nur
zwei niederländische Künstler auf, die über Eindrücke orientalischer Länder aus erster Hand
verfügten. Jan van Scorel war 1520 nach Jerusalem gepilgert und hat später seine heute verlorenen
Zeichnungen in seinen Einzug Christi in Jerusalem (Centraal Museum, Utrecht) integriert. Die einzigen
Portraits, die im Zusammenhang mit dieser Reise entstanden, waren solche von anderen Pilgern,
deren Besuch am Heiligen Grab sie zur Mitgliedschaft in einer angesehenen Utrechter oder
Haarlemer Bruderschaft berechtigte.
        Es war Scorels Schüler Jan Cornelisz Vermeyen vorbehalten, das größte von einem nieder-
ländischen Künstler des 16. Jahrhunderts geschaffene Ensemble von Bildern mit außereuropäischer
Thematik anzufertigen. Er begleitete im Jahr 1535 Kaiser Karl V. als Kriegsmaler nach Tunis. Zehn
der zwölf Tapisserien, die nach seinen Kartons in den 1550er Jahren in Antwerpen gewebt wurden,
befinden sich heute in den Königlichen Sammlungen in Madrid. Dass Vermeyen Niederländer war,
war für dieses Projekt unerheblich.
        Im 17. Jahrhundert gab es in den Niederlanden nur eine künstlerische Unternehmung, die
in Umfang und Ehrgeiz mit der Eroberung von Tunis verglichen werden kann: die Zeichnungen und
Gemälde, die Albert Eckhout und Frans Post im Auftrag des Gouverneurs von Niederländisch-
Brasilien, Johan Maurits van Nassau-Siegen, schufen. Diese Arbeiten sind Zeugnisse von Landschaft,
Flora und Fauna sowie von den Bewohnern des Landes. Auch in diesem Fall ging die Initiative von
einem Mäzen aus, dessen Agenda Form, Art und Umfang der künstlerischen Produktion bestimmte,
und auch hier war die Nationalität der Künstler zufällig. Kein Gouverneur der Ostindien-Kompanie

Inspiration aus der Ferne. Zur Einführung in die Ausstellung                                           9
gab je eine vergleichbare Dokumentation von Naturgeschichte und Kultur der entsprechenden Orte in
     Auftrag. Am ehesten vergleichbar wäre noch das bescheidene Skizzenbuch mit Zeichnungen aus
     Sri Lanka von Esaias Boursse (Kat. 88), jedoch sind nach diesen Motiven, die Boursse voller Neugier
     und menschlichem Interesse skizzierte, nie Gemälde angefertigt worden.
             Der aufgezeigte Mangel an Darstellungen orientalischer Menschen und Orte aus erster Hand
     steht in umgekehrtem Verhältnis zum Vorkommen orientalischer Motive in der niederländischen
     Kunst des 17. Jahrhunderts. Zwei Bildgattungen stechen durch ihre Häufigkeit hervor. Eine davon ist
     die Tronie: Dieser niederländische Begriff, der so viel wie Gesicht bedeutet, bezeichnet Brust-
     bildnisse von Männern oder Frauen, die keine individuellen Portraits sind, sondern charakteristische
     Menschentypen wiedergeben (Kat. 3, 99 – 104, 106, 119). Noch zahlreicher sind Gemälde mit biblischen
     Themen, auf denen Figuren in orientalischen Gewändern auftreten (Kat. 54 – 79, 81, 82). Einige sind
     portraits historiés, auf denen die Dargestellten in die Rolle biblischer oder historischer Persönlich-
     keiten schlüpfen, wie bei Ferdinand Bols Ehepaar in Landschaft (Kat. 6).
             Der Bezug zum Orient in der niederländischen Kunst der Zeit Rembrandts, der sich in solchen
     Gemälden manifestierte, war jedoch keineswegs ein ernsthafter Versuch, in die Gepflogenheiten
     und Bräuche des Ostens einzudringen. Vielmehr handelt es sich um eine Anpassung exotischer
     Erscheinungen an die niederländischen Verhältnisse. So haben Niederländer, die sich durch ihren
     Dienst in fernen Ländern einen gewissen Ruf erworben hatten, nicht versäumt, darauf über
     entsprechende Accessoires in ihren Portraits hinzuweisen (Kat. 14, 15, 25, 26). Sammler zeigten
     ausländische Waffen und Schmuck als Beleg ihrer Kultiviertheit, und Besitzer eines japonse rok
     posierten in diesem vor dem Maler (Kat. 11 – 13, 15, 34). Auch Stillleben inszenierten kostbare
     Gefäße oder Naturalien aus dem Orient wie auch aus Amerika (Kat. 50 – 53) (vgl. die Beiträge von
     Erik Spaans, S. 12 – 23, und Michael Philipp, S. 24 – 39).
             So unterschiedlich die Aspekte der Orientrezeption waren – eines begegnet dabei nicht:
     Fremdenfeindlichkeit, Aversion oder Ablehnung. Nirgendwo werden die ‚Orientalen‘ als solche
     abgewertet, lächerlich gemacht oder persifliert, auch wenn die Barbaresken, die Kaperer aus den
     dem Orient zugerechneten Gebieten Nordafrikas, eine reale Bedrohung der niederländischen Schiff-
     fahrt bedeuteten (vgl. den Beitrag von Roelof van Gelder, S. 74 – 85). Allerdings ist – fast unvermeidlich
     in dieser Zeit – ein prinzipieller Antagonismus zum Islam zu finden. Dies zeigt etwa das Gemälde
     Parodie auf die religiöse Toleranz eines Haarlemer Malers von 1659 (Kat. 46), das Vertreter unter-
     schiedlicher religiöser Denominationen versammelt. Der Islam wurde auf eine intolerante Haltung
     reduziert; ein Muster, das sich wie ein roter Faden durch die Geschichte des Christentums vom
     frühen Mittelalter bis in die Gegenwart zieht.5
             Dieses Zerrbild war tief im christlichen Glauben und in der christlichen Kultur verankert,
     unabhängig von der Erforschung des Orients durch das Sammeln von Manuskripten etwa an der
     Universität Leiden (vgl. den Beitrag von Arnoud Vrolijk, S. 86 – 101). Selbst Versuche, niederländische
     Leser über das Wesen des Islam zu informieren, schlugen in die gleiche Kerbe. Von den sechs
     Radierungen einer illustrierten Koranübersetzung von 1696 zeigen die ersten vier Muslime, die im
     Gebet versunken sind oder sich einer Moschee nähern (Kat. 49). Die letzten beiden Tafeln beziehen
     sich auf antiislamische Propaganda aus mittelalterlichen christlichen Quellen, die die Offenbarungen
     Mohammeds als Wahnvorstellungen und Selbstinszenierungen diskreditierten. Andere Publikationen
     waren weniger polemisch, wie etwa der 1641 auf Niederländisch erschienene Arabische Koran des
     sarazenischen und türkischen Propheten Mohammed (Kat. 48).
             In der niederländischen Kunst der Zeit Rembrandts jedoch ist das Bild des Orients von Respekt
     und Wertschätzung geprägt. Das zeigt sich etwa in der Ausstaffierung der Ateliermodelle für
     Tronies als ‚Orientalen‘; hingegen wurden sie selten mit christlich-katholischen Attributen versehen,
     noch seltener mit jüdischen – und das, obwohl männliche Tronies oftmals als ‚jüdischer Rabbiner‘

10   Inspiration aus der Ferne. Zur Einführung in die Ausstellung
oder ‚jüdischer Händler‘ etikettiert wurden. Die Vorliebe für Orientalisches lässt sich mit einem
                                      trotzigen Schlagwort der niederländischen Revolte gegen die spanische Vorherrschaft in Verbindung
                                      bringen: „Liever Turks dan Paaps“ (Lieber türkisch als ein papistisch). Wenn Auftraggeber in der
                                      Portraitmalerei die Identität eines ‚Orientalen‘ annahmen, wie es etwa im portrait historié oft geschah,
                                      ging dies sicher über diesen Punkt hinaus; aber wohin diese Verbindung von Figuren- und Portrait-
                                      malerei führte, ist nicht deutlich.6
                                              Das spezifisch Östliche einer Darstellung war nicht immer fassbar. Die Beschreibung solcher
                                      Gemälde in den notariellen Aufzeichnungen der damaligen Zeit nennt sie oft „op sijn antijcks“ (an der
                                      Antike orientiert), was auf eine Besonderheit abhebt, die das Kostüm biblischer Figuren betrifft.
                                      Zeitgenössische Schriftsteller waren offenbar der Auffassung, dass die zu ihrer Zeit im Nahen Osten
                                      üblichen Kleider und Bräuche die gleichen waren wie im Zeitalter der Bibel. Philips Angel etwa lobte
                                      an Rembrandts Gemälde Simson, an der Hochzeitstafel das Rätsel aufgebend (Kat. 73) die historisch
                                      korrekte Wiedergabe der feiernden Personen im Liegen, da dies den aktuellen Gepflogenheiten im
                                      Osmanischen Reich entspräche. Die Beobachtung zeitgenössischer türkischer oder levantinischer
                                      Sitten sah Angel als Erforschung der Bräuche von alttestamentlichen Persönlichkeiten an (Kat. 44).
                                              Während persische, indische und später auch japanische Künstler die ihnen über Druckgraphik
                                      aus den Niederlanden bekannten Vorbilder europäischer Kunst studierten und nachahmten, fand
                                      im Europa des 17. Jahrhunderts nichts dergleichen statt. Zwar erfreuten sich indische Miniaturen
                                      in einem kleinen, elitären Sammlerkreis einiger Beliebtheit – während arabische und persische
                                      Manuskripte nur wegen ihrer Texte gesammelt wurden –, aber im Gegensatz zu den Kollegen in Asien
                                      zeigte so gut wie kein Maler ein ernsthaftes Interesse daran, künstlerische Erfindungen oder
                                      Konventionen aus dem Orient in seine Arbeiten einfließen zu lassen. Die einzige bekannte Ausnahme
                                      sind zwei niederländische Maler, die in der Mitte des Jahrhunderts ihren Blick voller Bewunderung
                                      auf die Werke der Künstler des indischen Mogul-Hofs richteten.
                                              Der erste von ihnen war Rembrandt, der Kopien nach einer verlorenen Serie mit Mogul-
                                      Miniaturen anfertigte (vgl. den Beitrag des Autors, S. 56 – 73). Er war nicht der einzige Amsterdamer
                                      Künstler, der Zugang zu diesen seltenen Sammlerstücken hatte. Adaptionen eines der Motive
                                      finden sich auch in zwei Gemälden von Willem Schellinks, einem jüngerem Zeitgenossen Rembrandts.
                                      Während Rembrandt die Miniaturen getreulich kopierte, tat Schellinks das Gegenteil; er machte sie
                                      ‚exotischer‘ als die Originale (Abb. S. 45; Kat. 94).
                                              Die Gemälde der indischen Phantasmagorie waren nicht die einzige Hommage, die Schellinks
                                      der indischen Kunst widmete. Seine Phantasien werden auf die 1660er Jahre datiert, doch hatte
                                      er schon 1657 das Gedicht Auf die Malkunst der Benjaner [Inder] veröffentlicht (Kat. 92), in dem er die
                                      indische Kunst übermäßig lobt und sie als unerreichten Höhepunkt aller künstlerischen Schulen
                                      von der Antike bis zu seiner Gegenwart bezeichnet – obwohl er von ihr nur wenige Beispiele gekannt
                                      haben dürfte (vgl. den Beitrag von Jan de Hond, S. 40 – 55).
                                              Die zeitliche und örtliche Nähe zwischen Rembrandts und Schellinks’ Antwort auf ein und
                                      dasselbe Mogul-Motiv zeigt, dass sie miteinander und mit dem Besitzer der Miniaturen in Kontakt
                                      standen. Vielleicht haben sie in Anwesenheit des Eigentümers gemeinsam über die für sie seltsamen
                                      Zeichnungen nachgedacht, diskutiert und diese kopiert – als einzige Künstler ihrer Zeit, die Kunst
                                      aus der orientalischen Welt um ihrer selbst willen in ihre eigene einbezogen. Dass sich dies in den
                                      Niederlanden abspielte, ist kein Zufall. Während im 15. und 16. Jahrhundert Italien in der Einbeziehung
1
    Vgl. Istanbul 2000, Nr. 1.
2
                                      orientalischer Einflüsse in seine Kunst federführend war, wurde diese Rolle im 17. Jahrhundert von
    Vgl. Schwartz 2014, S. 37,
    mit Quellenangabe.                den Niederlanden übernommen – zwar weniger authentisch und am originalen Kontext nicht interessiert,
3
    Zit. n. Floor 1979, S. 154.       dafür aber breiter gefächert und in abwechslungsreicher Weise.
4
    Vgl. Wuestman/Webb 2006, S. 65.
5
    Vgl. Daniel 2000.
6
    Vgl. Van Leeuwen 2018, S. 73.     Übersetzung aus dem Englischen von Susanne Henriette Karau

                                      Inspiration aus der Ferne. Zur Einführung in die Ausstellung                                            11
Die Faszination des Ostens.
     Handel und Kunst in den Niederlanden des 17. Jahrhunderts
     Erik Spaans

          m Jahr 1681 veröffentlichte der Amsterdamer Dichter und Jurist Andries Pels (1631–1681) eine
     Abhandlung mit dem Titel Gebruik én Misbruik des Tooneels (Gebrauch und Missbrauch des Theaters).
     Es enthielt Frontalangriffe auf den beliebten Bühnenautor Jan Vos, aber auch auf den zwölf Jahre
     zuvor verstorbenen Rembrandt.1 Pels hatte für dessen realistischen Malstil mit „schlaffen Brüsten und
     verrenkten Händen“ kein gutes Wort übrig. Daneben berichtete er, dass der Meister „auf dem Neuen
     und Noordermarkt sehr eifrig nach Rüstungen, Morions, japanischen Dolchen, Pelzen und Halskrausen
     suchte, die er malerisch fand“.2
            Trotz Pels’ Voreingenommenheit gibt es keinen Grund, an seinen Worten zu zweifeln. Zeit-
     genössische Quellen bestätigen die Vorliebe Rembrandts für exotischen und malerischen Klimbim.
     Auch das Inventar seines Besitzes, das im Juli 1656 aus Anlass seines Bankrotts angefertigt wurde,
     zeigt, dass die Kunstkammer seiner Wohnung ein imposantes Raritätenkabinett gewesen sein muss.3
     Der Maler besaß unter anderem Büsten griechischer Philosophen und römischer Kaiser, Globen,
     Korallenzweige, Musikinstrumente, eine Totenmaske von Prinz Maurits, ein „pissendes Kindlein“,
     Dutzende ausgestopfter („sowohl See-, als auch Land-“)Tiere, Rüstungen, Pfeile, Bogen, Gewehre
     und sogar eine kleine Kanone.
            Bemerkenswert ist die große Anzahl asiatischer Objekte: „Twee Oost-Indische backiens“
     (zwei ostindische Kästchen), ein „dito nap met een Sineessien“ (dito Napf mit einem kleinen Chinesen),
     zwei „porceleyne caguwarisen“ (Kasuare aus Porzellan),4 ein „Oost-Indische naeydoos“ (ostindisches
     Nähkästchen), ein „Japanse hellemet“ (japanischer Helm), vielleicht von einem Samurai, ein
     „carbaetse helmet“ (karpatischer Helm), eine „Oost-Indische poeyerdoos“ (ostindische Puderdose),
     „60 stucks soo Indiaens hantgeweer, pijlen, schichten, asegayen en bogen“ (60 indische Handge-
     wehre, Pfeile, Speere, Assagaien5 und Bogen) und ein „Indies koppie“ (indisches Köpfchen).6 Darü-
     ber hinaus werden in zwei Räumen noch „Indiaense“ (indische) Fächer erwähnt.7
            Rembrandt verwendete in seinen Arbeiten wiederholt Gegenstände aus seiner Raritäten-
     sammlung, etwa für die Darstellung exotischer Gewänder oder Waffen. Vermutlich gestaltete er auch
     die Stichwaffe, mit der der geharnischte Soldat in Die Blendung Simsons (Abb. 1) dem am Boden

12   Die Faszination des Ostens. Handel und Kunst in den Niederlanden des 17. Jahrhunderts
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