Leseprobe Rembrandts Orient Westöstliche Begegnung in der niederländischen Kunst des 17. Jahrhunderts
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Leseprobe Rembrandts Orient Westöstliche Begegnung in der niederländischen Kunst des 17. Jahrhunderts Bestellen Sie mit einem Klick für 39,00 € Seiten: 328 Erscheinungstermin: 05. November 2020 Mehr Informationen zum Buch gibt es auf www.penguinrandomhouse.de
Unter der Schirmherrschaft der Botschafterin des Königreichs der Niederlande in der Schweiz, I.E. Hedda Samson, und des Botschafters des Königreichs der Niederlande in Deutschland, S.E. Wepke Kingma
Rembrandts Orient Westöstliche Begegnung in der niederländischen Kunst des 17. Jahrhunderts Ausstellung: Gary Schwartz Katalog: Bodo Brinkmann, Gabriel Dette, Michael Philipp, Gary Schwartz Herausgegeben von Bodo Brinkmann, Gabriel Dette, Michael Philipp, Ortrud Westheider Mit Beiträgen von Bodo Brinkmann Gabriel Dette Corinna Forberg Roelof van Gelder Jan de Hond Susanne Henriette Karau Michael Philipp Gary Schwartz Erik Spaans Jolanta Talbierska Arnoud Vrolijk PRESTEL München · London · New York
Leihgeber Stedelijk Museum Alkmaar Fondation Custodia/Sammlung Frits Lugt, Paris Allard Pierson, University of Amsterdam North Carolina Museum of Art, Raleigh Amsterdam Museum Residenzgalerie Salzburg Rijksmuseum, Amsterdam Eremitage, St. Petersburg Stadsarchief Amsterdam Centraal Museum Utrecht Tropenmuseum, Amsterdam Stichting Duivenvoorde, Voorschoten Universitätsbibliothek Basel Universitätsbibliothek Warschau The Barber Institute of Fine Arts, Birmingham National Gallery of Art, Washington, D. C. Herzog Anton Ulrich-Museum, Braunschweig, Albertina, Wien Kunstmuseum des Landes Niedersachsen Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste, Wien Szépmu ˝ vészeti Múzeum, Budapest Kunsthistorisches Museum Wien, Gemäldegalerie Mauritshuis, Den Haag Schloss Schönbrunn, Wien Dordrechts Museum Kunst Museum Winterthur Gemäldegalerie Alte Meister, Staatliche Kunstsammlungen York Museums Trust (York Art Gallery) Dresden Sammlung Emil Bührle, Zürich Trustees of the Chester Beatty Library, Dublin The Earl of Derby Kunstpalast, Düsseldorf The Kremer Collection Musée de Grenoble Natan Saban Collection, Israel Frans Hals Museum, Haarlem The National Trust Statens Museum for Kunst – National Gallery of Denmark, sowie weitere Leihgeber, die nicht namentlich genannt Kopenhagen werden möchten Leiden University Libraries, Special Collections The British Museum, London, Dept. of Prints & Drawings The National Gallery, London In Basel wird die Ausstellung großzügig unterstützt von: Victoria and Albert Museum, London The J. Paul Getty Museum, Los Angeles Pierrette Schlettwein Musée des Beaux-Arts, Lyon Anonyme Privatperson Museo Nacional del Prado, Madrid Sulger-Stiftung Museo Nacional Thyssen-Bornemisza, Madrid Novartis International AG Milwaukee Art Museum L. & Th. La Roche Stiftung Musée Fabre, Montpellier Annetta Grisard-Schrafl (Katalog) Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Alte Pinakothek, BLKB München HEIVISCH Ashmolean Museum of Art and Archaeology, Karl und Luise Nicolai-Stiftung University of Oxford Stiftung zur Förderung niederländischer Kunst in Basel Bodleian Library, University of Oxford Isaac Dreyfus-Bernheim Stiftung Bibliothèque de l’Arsenal, Bibliothèque nationale de France, Stiftung für das Kunstmuseum Basel Paris
Inhalt 6 Vorwort 8 Inspiration aus der Ferne. Zur Einführung in die Ausstellung Gary Schwartz Essays 12 Die Faszination des Ostens. Handel und Kunst in den Niederlanden des 17. Jahrhunderts Erik Spaans 24 „Die Köstlichkeit der Waren, die der Inder uns gibt“. Außereuropäische Objekte in niederländischen Stillleben und Interieurs des 17. Jahrhunderts Michael Philipp 40 „Absolut kunstlos“ oder „überaus edel“. Osmanische, Mogul- und safawidische Kunst in den Niederlanden im 17. und 18. Jahrhundert Jan de Hond 56 Konvention und Einzigartigkeit. Rembrandts Reaktion auf den Osten Gary Schwartz 74 Die Bedrohung durch die Barbaresken. Korsaren und Christensklaven im 17. Jahrhundert Roelof van Gelder 86 Wissen aus dem Morgenland. Das Sammeln orientalischer Handschriften in der niederländischen Republik im Zeitalter von Rembrandt Arnoud Vrolijk Katalog der ausgestellten Werke Mit Beiträgen von Bodo Brinkmann, Gabriel Dette, Corinna Forberg, Jan de Hond, Susanne Henriette Karau, Michael Philipp, Gary Schwartz, Jolanta Talbierska 102 Mit Turban und Seidenrock. Der Orient zu Hause 134 Wege zum Wohlstand. Handel und Krieg 166 Die Erfassung der Welt. Sammeln und Forschen 200 Die Landschaft der Bibel. Der frühe Rembrandt und seine Vorbilder 228 Licht im Tempel. Rembrandt in Amsterdam und seine Nachfolger 256 Mit eigenen Augen? Echtheit und Klischee 284 Das Eigene im Fremden. Rembrandts Anverwandlung des Orients Anhang 312 Auswahlbibliographie 324 Autorinnen und Autoren 327 Abbildungsnachweis
Vorwort urban und Teppich, Säbel und Seidenrock – immer wieder haben Rembrandt und seine Zeitgenossen Gegenstände aus fernen Ländern gemalt. Ihre Kunstwerke sind Zeugnisse der ersten Globalisierung und zeigen den Einfluss fremder Kulturen auf die Niederlande des 17. Jahrhunderts. Wissensdurst, Sammellust und Besitzerstolz haben diese kunstgeschichtlich bedeutende Epoche geprägt und die Maler zu neuartigen Historienszenen, Portraits und Stillleben inspiriert. Wie uns heute auffällt, wurde die Kehrseite dieser Weltaneignung allerdings nicht dargestellt: das Machtgefälle zwischen den Kulturen, das sich auch in Sklaverei, Gewalt, Ausbeutung und Handelskriegen zeigte. Die Ausstellung thematisiert indes bewusst die damaligen Bilder des Fremden. Mit dem Konzept eines Morgen- und eines Abendlandes beschrieben die Menschen in der Antike die Weltgegenden. Der Osten wurde in Rembrandts Zeit Orient genannt. Im 19. und 20. Jahrhundert entstand mit dem Orientalismus eine eurozentrische Haltung, die einen Autoritätsanspruch gegenüber den Ländern des Nahen Ostens und der arabischen Welt erhob. Auch der Begriff Orient ist dadurch heute belastet. Doch im Titel der Ausstellung Rembrandts Orient. Westöstliche Begegnung in der niederländischen Kunst des 17. Jahrhunderts signalisiert der Genitiv, dass es um die damals mit diesem Begriff verbundenen Vorstellungen geht. Die Ausstellung untersucht, wie die Maler des niederländischen Goldenen Zeitalters auf die durch Handel, Reisen und Publikationen in den Blick geratenen Gebiete des Nahen, Mittleren und Fernen Ostens reagierten. Dabei ist Rembrandt der Ausgangspunkt. Seine Faszination für ‚den Osten‘ spiegelt sich in seinen biblischen Historien mit orientalisierenden Gewändern, in den Tronies von ‚Orientalen‘ und in seiner Sammlung exotischer Objekte. Zahlreiche Rembrandt-Schüler verwendeten ebenso wie ihr Lehrer für Szenen aus der Bibel phantasievolle Turbane. Sie statteten sogar in portraits historiés die Dargestellten mit orientalisierenden Kostümen aus. Die Selbstinszenierung in solcher Kleidung und vor orientalischen Teppichen war ein Statussymbol wohlhabender Bürger. Die Ausstellung thematisiert auch den globalen Handel mit exotischen Objekten wie Porzellan oder Nautilusschalen, die als Zeugnisse von Sammelleidenschaft und Weltaneignung in Stillleben 6 Vorwort
präsentiert wurden. Nur wenige Kunstwerke dokumentieren indes eine konkrete Begegnung zwischen West und Ost, ebenso wie die problematischen Aspekte jenes Handels kaum künstlerischen Niederschlag gefunden haben: Der Reichtum der niederländischen Oberschicht kam nicht zuletzt durch Gewalt und Unterdrückung im Fernen Osten zustande und forderte einen hohen menschlichen Preis – auch unter den eigenen Seeleuten. Neben großen Monographien über Pieter Saenredam (1989), Hieronymus Bosch (2016) und Johannes Vermeer (2017) beschäftigt sich Gastkurator Gary Schwartz seit Jahrzehnten mit Rembrandt. 1985 erschien sein Buch Rembrandt, His Life, His Paintings. A New Biography. Darin verortete er den Künstler in dessen Welt, untersuchte das intellektuelle Klima seiner Zeit und betonte die Rolle seiner Auftraggeber. Die Einbeziehung des sozialen und intellektuellen Kontexts war ein zukunftsweisender Ansatz. Der historische Hintergrund einer künstlerischen Hervorbringung ist auch die Grundlage der Ausstellung Rembrandts Orient. Wir schätzen uns glücklich, dass wir Gary Schwartz für unser Ausstellungsprojekt gewinnen konnten. Ohne das Gewicht seiner Reputation hätte das ambitionierte Projekt nicht realisiert werden können. Die Ausstellung entstand als Kooperation von Kunstmuseum Basel und Museum Barberini. Ihre Anfänge gehen auf das Jahr 2010 zurück, als unser Katalogautor Erik Spaans aus Amsterdam im Gespräch mit Michael Philipp, dem jetzigen Chefkurator des Museums Barberini, die Ausstellungs- idee aufbrachte und wenig später die Verbindung zu Gary Schwartz herstellte. Bodo Brinkmann, Kurator Alte Meister am Kunstmuseum Basel, holte das Projekt an sein Haus, wo es neben Rembrandts Gemälde David übergibt Goliaths Haupt dem König Saul in der eigenen Sammlung eine schlüssige Anbindung auch in der dort bewahrten Druckgraphik Rembrandts hat. Dieser Bestand konnte in den letzten Jahren dank Schenkungen von 150 bedeutenden Blättern durch den Berner Sammler Dr. h. c. Eberhard W. Kornfeld bedeutend erweitert werden. Die gemeinsame Vorbereitung des Katalogs stand unter der Ägide von Michael Philipp, der mit Ausstellungen wie Rubens, van Dyck, Jordaens. Barock aus Antwerpen (2010) sowie Verkehrte Welt. Das Jahrhundert von Hieronymus Bosch (2016) auf dem Gebiet der niederländisch-flämischen Kunstgeschichte hervorgetreten ist. Zum Team der Bearbeiter des Kataloges kam Gabriel Dette, Assistenzkurator Alte Meister am Kunstmuseum Basel, hinzu. Die Essays des Ausstellungskatalogs gehen auf ein Symposium in Potsdam im Juni 2019 zurück, zu dem Gary Schwartz renommierte Forscher einlud. Wir danken allen Autorinnen und Autoren für ihre Auslotung besonderer Aspekte eines vielschichtigen Themas. Während der Orient durch exotische Objekte und Kleidung in den niederländischen Bürger- häusern des 17. Jahrhunderts präsent war und zahllose Berichte über Reisen in den Osten publiziert wurden, erkundete kaum ein Künstler die fernen Länder vor Ort. So blieben der Orient und das Orientalische in der niederländischen Bildwelt jener Zeit ein Konstrukt aus Versatzstücken, Stereotypen und Imagination. Das Fremde wurde geschätzt und in den Lebensstil integriert. Aber das war zumeist nicht mehr als eine Attitüde, denn das Interesse galt weniger den anderen Kulturen als ihren materiellen Zeugnissen und Hervorbringungen, die aufgrund ihrer Kostbarkeit und des damit verbundenen Prestiges begehrt waren. Die westöstliche Begegnung fand nicht auf Augenhöhe statt, zu einem auf Gleichwertigkeit beruhenden Austausch kam es nicht. Das Fremde war ein reizvoller Kontrast zum Eigenen, aber es erregte kaum tiefergehende Anteilnahme. Das war bei Rembrandt nicht anders als bei seinen Zeitgenossen, und an dieser Einstellung hat sich – zu dieser Reflexion lädt die Ausstellung ein – bis heute in weiten Teilen der westlichen Welt nichts geändert. So bietet die Schau die Möglichkeit, diesen bis heute andauernden Eurozentrismus zu hinterfragen. Josef Helfenstein Ortrud Westheider Direktor des Kunstmuseums Basel Direktorin des Museums Barberini Vorwort 7
Inspiration aus der Ferne. Zur Einführung in die Ausstellung Gary Schwartz m 15. Jahrhundert erreichte die Signoria, den Großen Rat von Venedig, die Bitte des osma- nischen Sultans Mehmed II., einen Maler und einen Bronzeskulpteur an seinen Hof, die Hohe Pforte in Konstantinopel, zu schicken. Sie entsandte 1479 Gentile Bellini,1 der damals so etwas wie der offizielle Maler der Stadtrepublik war. Während seiner achtzehn Monate in Konstantinopel schuf er Gemälde für den Hof und Zeichnungen für den Eigenbedarf. Wichtigstes Zeugnis seiner dortigen Tätigkeit ist das Portrait von Mehmed II. von 1480 (The National Gallery, London). Vom Sultan zum eques auratus (Goldener Ritter) und comes palatinus (Pfalzgraf) ernannt, kehrte er zurück; die von ihm und anderen Künstlern aus dem Osmanischen Reich importierten Motive gingen in das venezianische Bildvokabular ein: Die dortigen Staatsprozessionen fanden von nun an ihre Form im sogenannten orientalischen Modus, und ganze Portraitserien osmanischer Sultane entstanden in Malereien und als Medaillen. Anders verhielten sich die Niederländer. Im Jahr 1656 unterbreitete ein Provinzgouverneur des indischen Mogul-Reichs dem leitenden Beamten der Niederländischen Ostindien-Kompanie (Vereenigde Oostindische Compagnie, kurz VOC) in Westasien, Hendrik van Wijck, eine Bitte seines Herrn, des Großmoguls Shah Jahan. Dieser hatte von einem Maler in Diensten der Kompanie gehört und ersuchte, ihm den Künstler an seinen Hof in Agra zu schicken. Van Wijck war verärgert. Wie kam ein Padischah dazu, über die Arbeitszeit eines seiner Angestellten zu verfügen? Zudem war es nicht das erste Mal, dass er sich dem indischen Oberhaupt auf diese Weise verpflichtete, und es hatte ihn viel Mühe gekostet, sein entsandtes Personal wieder zurückzubekommen. Angesichts der möglichen negativen Folgen für die Kompanie im Falle einer Ablehnung beschloss van Wijck trotzdem, dem Gesuch stattzugeben.2 Dieser Vorgang war kein Einzelfall. Zwischen 1602 und 1656 dienten sechs niederländische Maler den drei aufeinanderfolgenden Herrschern von Persien, Abbas I., Safi I. und Abbas II., als Hofmaler. Keiner von ihnen erfuhr Unterstützung vonseiten der Ostindien-Kompanie, geschweige denn von der niederländischen Regierung, die ihre Außenpolitik an das Unternehmen ausgelagert hatte. Keiner von ihnen war ein Künstler von Rang, und für alle ging die Sache nicht gut aus. Darüber hinaus hat sich kein einziges ihrer in Persien geschaffenen Werke erhalten. 8 Inspiration aus der Ferne. Zur Einführung in die Ausstellung
Der Gegensatz zwischen der früheren italienischen und der späteren niederländischen Situation kennzeichnet die künstlerischen Beziehungen zwischen Ost und West in der jeweiligen Kultur. Während sich die Herrscher in Indien und Persien um die Förderung niederländischer Künstler bemühten – Abbas II. nahm sogar Zeichenunterricht bei Philips Angel (vgl. Kat. 44, 45) und Hendrick Boudewijn van Lockhorst –, haben offizielle politische Vertreter der niederländischen Republik nie Vergleichbares getan. Die Ostindien-Kompanie engagierte sich unwillig und nur dann, wenn sie dazu gezwungen war. Das empfanden andere ausländische Institutionen in Isfahan als unverständlich. So notierten die dortigen Karmeliter-Patres in ihrer Chronik: „Nichts könnte für die Mission nützlicher sein, als wenn wir hier einen guten Maler hätten – der Schah hat große Freude an der Malerei; und in diesen Ländern sind gute Künstler selten. Es gibt einen Niederländer, der für die Kompanie arbeitet, der sehr wenig getan und dennoch sehr gute Belohnungen erhalten hat, und der Schah hat ihm große Gunst erwiesen.“3 Sogar die Tatsache, dass die Kompanie durch einen Maler, Jan Lucasz van Hasselt, einen Vertrauten des Schahs, am Hof der Safawiden eingeführt worden war, quittierte die Handelsorganisation mit Gleichgültigkeit. Die Niederländer vernachlässigten so nicht nur diplomatische und kommerzielle Möglichkeiten, sondern auch das künstlerische Potenzial, das das orientalische Interesse an westlicher Kunst hätte eröffnen können. Unter den Hunderten niederländischer Maler des 17. Jahrhundert findet sich kein einziger, der auf der Suche nach Inspiration in den Osten gereist wäre, und von keinem nieder- ländischen Künstler sind nach dem Leben angefertigte Portraits eines orientalischen Herrschers dokumentiert. Wallerant Vaillants Druckgraphik (Kat. 90) trägt zwar die Beischrift „Soliman III. Empereur des Turcs“; Süleyman II. (es gab nie einen dritten) wurde indes erst zehn Jahre nach dem Tod des Künstlers, 1687, Sultan. Der Fall illustriert, wie mangelhaft der damalige Informationsstand zu östlichen Themen war.4 Die einzige vollständig im Osten entstandene niederländische Portraitserie zeigt Landsleute: die Generalgouverneure der Ostindien-Kompanie in Batavia (Rijksmuseum, Amster- dam). Was hätte alles geschehen können, wenn die Generalstaaten etwa 1656 Rembrandt nach Agra geschickt hätten, um ein Portrait von Shah Jahan zu malen – doch nichts dergleichen passierte. Auch in dem zwischen Gentile Bellini und Rembrandt liegenden 16. Jahrhundert traten nur zwei niederländische Künstler auf, die über Eindrücke orientalischer Länder aus erster Hand verfügten. Jan van Scorel war 1520 nach Jerusalem gepilgert und hat später seine heute verlorenen Zeichnungen in seinen Einzug Christi in Jerusalem (Centraal Museum, Utrecht) integriert. Die einzigen Portraits, die im Zusammenhang mit dieser Reise entstanden, waren solche von anderen Pilgern, deren Besuch am Heiligen Grab sie zur Mitgliedschaft in einer angesehenen Utrechter oder Haarlemer Bruderschaft berechtigte. Es war Scorels Schüler Jan Cornelisz Vermeyen vorbehalten, das größte von einem nieder- ländischen Künstler des 16. Jahrhunderts geschaffene Ensemble von Bildern mit außereuropäischer Thematik anzufertigen. Er begleitete im Jahr 1535 Kaiser Karl V. als Kriegsmaler nach Tunis. Zehn der zwölf Tapisserien, die nach seinen Kartons in den 1550er Jahren in Antwerpen gewebt wurden, befinden sich heute in den Königlichen Sammlungen in Madrid. Dass Vermeyen Niederländer war, war für dieses Projekt unerheblich. Im 17. Jahrhundert gab es in den Niederlanden nur eine künstlerische Unternehmung, die in Umfang und Ehrgeiz mit der Eroberung von Tunis verglichen werden kann: die Zeichnungen und Gemälde, die Albert Eckhout und Frans Post im Auftrag des Gouverneurs von Niederländisch- Brasilien, Johan Maurits van Nassau-Siegen, schufen. Diese Arbeiten sind Zeugnisse von Landschaft, Flora und Fauna sowie von den Bewohnern des Landes. Auch in diesem Fall ging die Initiative von einem Mäzen aus, dessen Agenda Form, Art und Umfang der künstlerischen Produktion bestimmte, und auch hier war die Nationalität der Künstler zufällig. Kein Gouverneur der Ostindien-Kompanie Inspiration aus der Ferne. Zur Einführung in die Ausstellung 9
gab je eine vergleichbare Dokumentation von Naturgeschichte und Kultur der entsprechenden Orte in Auftrag. Am ehesten vergleichbar wäre noch das bescheidene Skizzenbuch mit Zeichnungen aus Sri Lanka von Esaias Boursse (Kat. 88), jedoch sind nach diesen Motiven, die Boursse voller Neugier und menschlichem Interesse skizzierte, nie Gemälde angefertigt worden. Der aufgezeigte Mangel an Darstellungen orientalischer Menschen und Orte aus erster Hand steht in umgekehrtem Verhältnis zum Vorkommen orientalischer Motive in der niederländischen Kunst des 17. Jahrhunderts. Zwei Bildgattungen stechen durch ihre Häufigkeit hervor. Eine davon ist die Tronie: Dieser niederländische Begriff, der so viel wie Gesicht bedeutet, bezeichnet Brust- bildnisse von Männern oder Frauen, die keine individuellen Portraits sind, sondern charakteristische Menschentypen wiedergeben (Kat. 3, 99 – 104, 106, 119). Noch zahlreicher sind Gemälde mit biblischen Themen, auf denen Figuren in orientalischen Gewändern auftreten (Kat. 54 – 79, 81, 82). Einige sind portraits historiés, auf denen die Dargestellten in die Rolle biblischer oder historischer Persönlich- keiten schlüpfen, wie bei Ferdinand Bols Ehepaar in Landschaft (Kat. 6). Der Bezug zum Orient in der niederländischen Kunst der Zeit Rembrandts, der sich in solchen Gemälden manifestierte, war jedoch keineswegs ein ernsthafter Versuch, in die Gepflogenheiten und Bräuche des Ostens einzudringen. Vielmehr handelt es sich um eine Anpassung exotischer Erscheinungen an die niederländischen Verhältnisse. So haben Niederländer, die sich durch ihren Dienst in fernen Ländern einen gewissen Ruf erworben hatten, nicht versäumt, darauf über entsprechende Accessoires in ihren Portraits hinzuweisen (Kat. 14, 15, 25, 26). Sammler zeigten ausländische Waffen und Schmuck als Beleg ihrer Kultiviertheit, und Besitzer eines japonse rok posierten in diesem vor dem Maler (Kat. 11 – 13, 15, 34). Auch Stillleben inszenierten kostbare Gefäße oder Naturalien aus dem Orient wie auch aus Amerika (Kat. 50 – 53) (vgl. die Beiträge von Erik Spaans, S. 12 – 23, und Michael Philipp, S. 24 – 39). So unterschiedlich die Aspekte der Orientrezeption waren – eines begegnet dabei nicht: Fremdenfeindlichkeit, Aversion oder Ablehnung. Nirgendwo werden die ‚Orientalen‘ als solche abgewertet, lächerlich gemacht oder persifliert, auch wenn die Barbaresken, die Kaperer aus den dem Orient zugerechneten Gebieten Nordafrikas, eine reale Bedrohung der niederländischen Schiff- fahrt bedeuteten (vgl. den Beitrag von Roelof van Gelder, S. 74 – 85). Allerdings ist – fast unvermeidlich in dieser Zeit – ein prinzipieller Antagonismus zum Islam zu finden. Dies zeigt etwa das Gemälde Parodie auf die religiöse Toleranz eines Haarlemer Malers von 1659 (Kat. 46), das Vertreter unter- schiedlicher religiöser Denominationen versammelt. Der Islam wurde auf eine intolerante Haltung reduziert; ein Muster, das sich wie ein roter Faden durch die Geschichte des Christentums vom frühen Mittelalter bis in die Gegenwart zieht.5 Dieses Zerrbild war tief im christlichen Glauben und in der christlichen Kultur verankert, unabhängig von der Erforschung des Orients durch das Sammeln von Manuskripten etwa an der Universität Leiden (vgl. den Beitrag von Arnoud Vrolijk, S. 86 – 101). Selbst Versuche, niederländische Leser über das Wesen des Islam zu informieren, schlugen in die gleiche Kerbe. Von den sechs Radierungen einer illustrierten Koranübersetzung von 1696 zeigen die ersten vier Muslime, die im Gebet versunken sind oder sich einer Moschee nähern (Kat. 49). Die letzten beiden Tafeln beziehen sich auf antiislamische Propaganda aus mittelalterlichen christlichen Quellen, die die Offenbarungen Mohammeds als Wahnvorstellungen und Selbstinszenierungen diskreditierten. Andere Publikationen waren weniger polemisch, wie etwa der 1641 auf Niederländisch erschienene Arabische Koran des sarazenischen und türkischen Propheten Mohammed (Kat. 48). In der niederländischen Kunst der Zeit Rembrandts jedoch ist das Bild des Orients von Respekt und Wertschätzung geprägt. Das zeigt sich etwa in der Ausstaffierung der Ateliermodelle für Tronies als ‚Orientalen‘; hingegen wurden sie selten mit christlich-katholischen Attributen versehen, noch seltener mit jüdischen – und das, obwohl männliche Tronies oftmals als ‚jüdischer Rabbiner‘ 10 Inspiration aus der Ferne. Zur Einführung in die Ausstellung
oder ‚jüdischer Händler‘ etikettiert wurden. Die Vorliebe für Orientalisches lässt sich mit einem trotzigen Schlagwort der niederländischen Revolte gegen die spanische Vorherrschaft in Verbindung bringen: „Liever Turks dan Paaps“ (Lieber türkisch als ein papistisch). Wenn Auftraggeber in der Portraitmalerei die Identität eines ‚Orientalen‘ annahmen, wie es etwa im portrait historié oft geschah, ging dies sicher über diesen Punkt hinaus; aber wohin diese Verbindung von Figuren- und Portrait- malerei führte, ist nicht deutlich.6 Das spezifisch Östliche einer Darstellung war nicht immer fassbar. Die Beschreibung solcher Gemälde in den notariellen Aufzeichnungen der damaligen Zeit nennt sie oft „op sijn antijcks“ (an der Antike orientiert), was auf eine Besonderheit abhebt, die das Kostüm biblischer Figuren betrifft. Zeitgenössische Schriftsteller waren offenbar der Auffassung, dass die zu ihrer Zeit im Nahen Osten üblichen Kleider und Bräuche die gleichen waren wie im Zeitalter der Bibel. Philips Angel etwa lobte an Rembrandts Gemälde Simson, an der Hochzeitstafel das Rätsel aufgebend (Kat. 73) die historisch korrekte Wiedergabe der feiernden Personen im Liegen, da dies den aktuellen Gepflogenheiten im Osmanischen Reich entspräche. Die Beobachtung zeitgenössischer türkischer oder levantinischer Sitten sah Angel als Erforschung der Bräuche von alttestamentlichen Persönlichkeiten an (Kat. 44). Während persische, indische und später auch japanische Künstler die ihnen über Druckgraphik aus den Niederlanden bekannten Vorbilder europäischer Kunst studierten und nachahmten, fand im Europa des 17. Jahrhunderts nichts dergleichen statt. Zwar erfreuten sich indische Miniaturen in einem kleinen, elitären Sammlerkreis einiger Beliebtheit – während arabische und persische Manuskripte nur wegen ihrer Texte gesammelt wurden –, aber im Gegensatz zu den Kollegen in Asien zeigte so gut wie kein Maler ein ernsthaftes Interesse daran, künstlerische Erfindungen oder Konventionen aus dem Orient in seine Arbeiten einfließen zu lassen. Die einzige bekannte Ausnahme sind zwei niederländische Maler, die in der Mitte des Jahrhunderts ihren Blick voller Bewunderung auf die Werke der Künstler des indischen Mogul-Hofs richteten. Der erste von ihnen war Rembrandt, der Kopien nach einer verlorenen Serie mit Mogul- Miniaturen anfertigte (vgl. den Beitrag des Autors, S. 56 – 73). Er war nicht der einzige Amsterdamer Künstler, der Zugang zu diesen seltenen Sammlerstücken hatte. Adaptionen eines der Motive finden sich auch in zwei Gemälden von Willem Schellinks, einem jüngerem Zeitgenossen Rembrandts. Während Rembrandt die Miniaturen getreulich kopierte, tat Schellinks das Gegenteil; er machte sie ‚exotischer‘ als die Originale (Abb. S. 45; Kat. 94). Die Gemälde der indischen Phantasmagorie waren nicht die einzige Hommage, die Schellinks der indischen Kunst widmete. Seine Phantasien werden auf die 1660er Jahre datiert, doch hatte er schon 1657 das Gedicht Auf die Malkunst der Benjaner [Inder] veröffentlicht (Kat. 92), in dem er die indische Kunst übermäßig lobt und sie als unerreichten Höhepunkt aller künstlerischen Schulen von der Antike bis zu seiner Gegenwart bezeichnet – obwohl er von ihr nur wenige Beispiele gekannt haben dürfte (vgl. den Beitrag von Jan de Hond, S. 40 – 55). Die zeitliche und örtliche Nähe zwischen Rembrandts und Schellinks’ Antwort auf ein und dasselbe Mogul-Motiv zeigt, dass sie miteinander und mit dem Besitzer der Miniaturen in Kontakt standen. Vielleicht haben sie in Anwesenheit des Eigentümers gemeinsam über die für sie seltsamen Zeichnungen nachgedacht, diskutiert und diese kopiert – als einzige Künstler ihrer Zeit, die Kunst aus der orientalischen Welt um ihrer selbst willen in ihre eigene einbezogen. Dass sich dies in den Niederlanden abspielte, ist kein Zufall. Während im 15. und 16. Jahrhundert Italien in der Einbeziehung 1 Vgl. Istanbul 2000, Nr. 1. 2 orientalischer Einflüsse in seine Kunst federführend war, wurde diese Rolle im 17. Jahrhundert von Vgl. Schwartz 2014, S. 37, mit Quellenangabe. den Niederlanden übernommen – zwar weniger authentisch und am originalen Kontext nicht interessiert, 3 Zit. n. Floor 1979, S. 154. dafür aber breiter gefächert und in abwechslungsreicher Weise. 4 Vgl. Wuestman/Webb 2006, S. 65. 5 Vgl. Daniel 2000. 6 Vgl. Van Leeuwen 2018, S. 73. Übersetzung aus dem Englischen von Susanne Henriette Karau Inspiration aus der Ferne. Zur Einführung in die Ausstellung 11
Die Faszination des Ostens. Handel und Kunst in den Niederlanden des 17. Jahrhunderts Erik Spaans m Jahr 1681 veröffentlichte der Amsterdamer Dichter und Jurist Andries Pels (1631–1681) eine Abhandlung mit dem Titel Gebruik én Misbruik des Tooneels (Gebrauch und Missbrauch des Theaters). Es enthielt Frontalangriffe auf den beliebten Bühnenautor Jan Vos, aber auch auf den zwölf Jahre zuvor verstorbenen Rembrandt.1 Pels hatte für dessen realistischen Malstil mit „schlaffen Brüsten und verrenkten Händen“ kein gutes Wort übrig. Daneben berichtete er, dass der Meister „auf dem Neuen und Noordermarkt sehr eifrig nach Rüstungen, Morions, japanischen Dolchen, Pelzen und Halskrausen suchte, die er malerisch fand“.2 Trotz Pels’ Voreingenommenheit gibt es keinen Grund, an seinen Worten zu zweifeln. Zeit- genössische Quellen bestätigen die Vorliebe Rembrandts für exotischen und malerischen Klimbim. Auch das Inventar seines Besitzes, das im Juli 1656 aus Anlass seines Bankrotts angefertigt wurde, zeigt, dass die Kunstkammer seiner Wohnung ein imposantes Raritätenkabinett gewesen sein muss.3 Der Maler besaß unter anderem Büsten griechischer Philosophen und römischer Kaiser, Globen, Korallenzweige, Musikinstrumente, eine Totenmaske von Prinz Maurits, ein „pissendes Kindlein“, Dutzende ausgestopfter („sowohl See-, als auch Land-“)Tiere, Rüstungen, Pfeile, Bogen, Gewehre und sogar eine kleine Kanone. Bemerkenswert ist die große Anzahl asiatischer Objekte: „Twee Oost-Indische backiens“ (zwei ostindische Kästchen), ein „dito nap met een Sineessien“ (dito Napf mit einem kleinen Chinesen), zwei „porceleyne caguwarisen“ (Kasuare aus Porzellan),4 ein „Oost-Indische naeydoos“ (ostindisches Nähkästchen), ein „Japanse hellemet“ (japanischer Helm), vielleicht von einem Samurai, ein „carbaetse helmet“ (karpatischer Helm), eine „Oost-Indische poeyerdoos“ (ostindische Puderdose), „60 stucks soo Indiaens hantgeweer, pijlen, schichten, asegayen en bogen“ (60 indische Handge- wehre, Pfeile, Speere, Assagaien5 und Bogen) und ein „Indies koppie“ (indisches Köpfchen).6 Darü- ber hinaus werden in zwei Räumen noch „Indiaense“ (indische) Fächer erwähnt.7 Rembrandt verwendete in seinen Arbeiten wiederholt Gegenstände aus seiner Raritäten- sammlung, etwa für die Darstellung exotischer Gewänder oder Waffen. Vermutlich gestaltete er auch die Stichwaffe, mit der der geharnischte Soldat in Die Blendung Simsons (Abb. 1) dem am Boden 12 Die Faszination des Ostens. Handel und Kunst in den Niederlanden des 17. Jahrhunderts
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