LEXIKOGRAPHIE ZWISCHEN GRIMM UND GOOGLE?
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Erschienen in: Sprachreport Jg. 35 (2019), Nr. 2, S. 30-34 Stefan Engelberg / Annette Klosa-Kückelhaus / Carolin Müller-Spitzer LEXIKOGRAPHIE ZWISCHEN GRIMM UND GOOGLE? Stefan Engelberg ist Lexikographie am Scheideweg Bild-zu-Wort-Zuordnungen und vieles mehr. So füh- Leiter der Abteilung Der Umzug der Wörterbücher aus den Bibliotheken ren die Wege zu Wissen über Wörter zwar nicht mehr Lexik. ins Internet seit Mitte der 90er Jahre war von vielfälti- durch Seiten dicker Folianten, aber oft eben auch nicht Annette Klosa-Kückel- gen Prognosen und Spekulationen begleitet, wie sich mehr über die so innovativen Zugriffsstrukturen elek haus ist Leiterin des die Lexikographie durch das Internet verändern wür- tronischer Wörterbücher. Stattdessen entwickelt sich Programmbereichs de. Digitale Wörterbücher würden hochgradig multi- ein Wegenetz effektiver digitaler Abkürzungen durch „Lexikographie und Sprachdokumentation“ medial – so vermutete man – und untereinander und ein Spielfeld verschiedenartigster nicht-lexikographi- in der Abteilung Lexik. mit Korpora vernetzt zu riesigen Ressourcen werden, scher Online-Anwendungen. zu denen Benutzer und Benutzerinnen Zugang über Carolin Müller-Spitzer leitet den Programm- eine Vielzahl innovativer Zugangsstrukturen bekom- DIE DYNAMIK DES INTERNETS UND AUßER- bereich „Lexik empi- men würden. Gut zwanzig Jahre später kann man fest- LEXIKOGRAFISCHE, GESELLSCHAFTLICHE risch und digital“ in stellen: Ja, Wörterbücher haben sich im Internet tat- der Abteilung Lexik. sächlich funktional und strukturell stark verändert. UND TECHNISCHE ENTWICKLUNGEN STELLEN Nicht alle Visionen wurden umgesetzt, aber Wörter- DIE LEXIKOGRAPHIE VOR NEUE HERAUS- buchportale, semi-automatisch generierte Angaben, FORDERUNGEN komplexe Suchfunktionen und ein moderater Umfang an Multimodalität sind heute Usus. Auch die lexiko- Die traditionellen lexikographischen Akteure reagie- graphische Arbeitsumgebung spiegelt diese Entwick- ren auf diese Entwicklungen auf die eine oder andere lungen wider mit der Verbindung zwischen Korpora Weise verunsichert: Manche öffentlich geförderten und intelligenten Tools zur Extraktion von Daten und Wörterbuchprojekte haben vor den Entwicklungen im verschiedenen Möglichkeiten der Verbindung zu text- Internet einfach die Augen verschlossen und gehofft, technologischen Anwendungen. Und doch entpupp- dass das alles von allein wieder vorbei geht. Die Verla- ten sich die Prognosen der Jahrtausendwende letztlich ge aber konnten nicht warten und suchen händerin- als eine Selbstbespiegelung der Lexikographie, denn gend nach neuen Geschäftsmodellen, weil mit Free-of- außerlexikographische gesellschaftliche, wirtschaftli- Charge-Wörterbüchern selbst dann kaum Geld zu che und technische Entwicklungen, und insbesondere verdienen ist, wenn man sie als Bestandteile großer die Dynamik des Internets hatte man gar nicht in den Werbeblöcke konzipiert. Die akademische Lexikogra- Blick genommen. Diese Entwicklungen waren und phie wiederum ist besorgt bis beleidigt, weil ihre Ex- sind verschiedener Art: Neben den in traditionellen In- pertise anscheinend nicht mehr gefragt ist. stitutionen und Verlagen verankerten lexikographi- schen Projekten reüssieren heutzutage Umsonst-Wör- Mit diesen Entwicklungen und den Handlungsauffor- terbücher ganz neuer Akteure wie etwa LEO. Auch derungen, die daraus erwachsen, haben sich jüngst kompiliert die Internetcommunity in Projekten wie mehrere Veranstaltungen befasst. Die Villa Vigoni, das dem Wiktionary mittlerweile ihre eigenen kollaborati- „Deutsch-italienische Zentrum für europäische Exzel- ven Wörterbücher. Vor allem aber bietet das Internet lenz“, am Lago di Como widmete dem Thema eine inzwischen eine Vielzahl an Ressourcen zu lexikali- Veranstaltung vom 26. bis zum 28. November 2018 un- schem Wissen, die um lexikographisch Gestaltetes ei- ter dem Titel „Wörterbücher für die Zukunft – Die Zu- nen weiten Bogen machen, auch wenn sie zum Teil le- kunft der Wörterbücher – Herausforderungen an die xikographische Daten beinhalten: automatische Recht- schreib- und Grammatikchecker, Google Translator, Voice-to-Voice-Applikationen, Smartphone-Apps für Publikationsserver des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache URN: http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bsz:mh39-89537 30 IDS SPRACHREPORT 2/2019
Abb. 1: Europäischer Master für Lexikographie Abb. 2: „elexis“ aus dem „European Union‘s Horizon 2020“ Forschungsprogramm Lexikografie in einer digitalen Gesellschaft“, organi- auch beim Bezahlwörterbuch vor allem: Keine Wer- siert von Laura Balbiani (Aosta), Anne-Kathrin Gärtig- bung! Daneben expandieren die Verlage ihr Produkt- Bressan (Triest), Martina Nied Curcio (Rom) und Ste- portfolio in verschiedene Richtungen. Einige vermark- fan Schierholz (Erlangen-Nürnberg). Im „Interdiszi- ten elektronische lexikalische Daten als Ressource für plinären Zentrum für Lexikografie, Valenz- und Kollo- verschiedene Arten sprachverarbeitender Technologi- kationsforschung“ in Erlangen wurden am 18. Februar en, etwa für Apps, die im Hintergrund lexikalische Da- 2019 in einem Workshop die Synergie-Effekte zwi- ten zur Suche oder Fehlerkorrektur benötigen. Andere schen dem Europäischen Masterstudiengang für Lexi- setzen verstärkt auf eine sprachinteressierte Kund- kographie (EMLex) und Bildungsinstitutionen sowie schaft und bieten neben klassischen Wörterbüchern privatwirtschaftlichen Unternehmen erörtert. Schließ- Publikationen zu Neologismen, Wortgeschichten, Ju lich wurden auf einem Treffen des europäischen Infra- gendsprache und politischer Korrektheit für ein strukturprojektes „elexis – European lexicographic sprachinteressiertes Laienpublikum an. Zudem wird infrastructure“ am 18. und 19. Februar 2019 in Wien weiterhin der schulorientierte „Nachmittagsmarkt“ Möglichkeiten der Zusammenarbeit bei der Schaffung adressiert, hinter dem nach wie vor eine große voka- digitaler Arbeitsumgebungen für die Lexikographie, bel- und grammatikaffine Zielgruppe steht. ausgehend von den Bedürfnissen der Lexikographen und Lexikographinnen, diskutiert. Insgesamt aber schrumpft der Benutzerkreis für die Wörterbücher der Verlagslexikographie. Ilan Kerner- EMLex-Workshop in Erlangen mann von „K Dictionaries“ und Jan Cloeren von PONS Dem Treffen in Erlangen gelang ein Brückenschlag konstatieren: Für die meisten sprachlichen Fragen, die zwischen der akademischen und der privatwirtschaft- die Menschen im Alltag haben, reicht offenbar eine lichen Wörterwelt. Repräsentantinnen und Repräsen- Google-Recherche. Wörterbücher sind für speziellere tanten verschiedenener Verlage berichteten von gegen- Situationen gemacht. Insbesondere der Sprachunter- wärtigen Geschäftsmodellen, Arbeitsformen und richt, die Übersetzung und bestimmte Fachsprachen Anforderungen an Nachwuchslexikographen und verlangen nach wie vor nach entsprechenden Wör- -lexikographinnen. terbüchern. Wortschatzfragen jenseits dieser Bereiche werden dagegen zunehmend unter Rückgriff auf ver- Ein schon nicht mehr neues Prinzip der Verlagslexiko- schiedenste Internetressourcen zu beantworten ver- graphie ist die Erstellung und Pflege von produktun- sucht. abhängigen Ressourcen, die eine Vielfachverwertung lexikalischer Daten erlauben. Das verlangt elaborierte Die gegenwärtigen Veränderungen in der Verlagslexi- informationstechnologische Konzepte zur Modellie- kographie verlangen vom lexikographischen Nach- rung und Vernetzung solcher Daten. Nach wie vor stel- wuchs entsprechend mehr als nur ein geduldiges, phi- len Printwörterbücher trotz zurückgehender Verkaufs- lologisch-linguistisch geschultes Verfassen von Wör- zahlen eine wichtige Einnahmequelle für die Verlage terbuchartikeln, sondern auch texttechnologisch-infor- dar. Komplexere und mit redaktionellem Aufwand er- matische Kenntnisse, kreatives Denken beim Gestalten stellte Onlinewörterbücher tragen sich dagegen selten neuer Produkte und – soweit herrschte Einigkeit unter ausschließlich über Werbeeinnahmen. Es wird daher den Verlagen zwischen Stuttgart und Tel Aviv – Stress- (wieder) über kostenpflichtige Komfortversionen nach- resistenz. gedacht. Analog zum Bezahlfernsehen heißt Komfort IDS SPRACHREPORT 2/2019 31
Arbeitstreffen von „elexis – European lexico- einerseits für menschliche Nutzer auch weiterhin zur graphic infrastructure“ in Wien Verfügung stehen, andererseits aber auch für die Inte- Auf europäischer Ebene hat sich das EU-geförderte In- gration in sprachorientierte Webseiten, Apps, digitale frastrukturprojekt „elexis“ konstituiert, Produkte und Dienste bereitstehen. an dem auch die Abteilung „Lexik“ des IDS als Koope- rationspartner („observer“) beteiligt ist. Ziel von „ele- Villa-Vigoni-Kolloquium am Comer See xis“ ist u. a. die Schaffung frei nutzbarer Arbeitsumge- Das Kolloquium in der Villa Vigoni versammelte 18 bungen für akademische lexikographische Projekte. So Spezialisten und Spezialistinnen aus der Wörterbuch- ist ein Artikelredaktionssystem im Entstehen begriffen, forschung, der praktischen Lexikographie, dem Be- und für alle Mitglieder ist die Nutzung des Korpustools reich Deutsch als Fremdsprache, der Italianistik, den Sketch Engine kostenlos. Alle Verbundpartner bringen Translationswissenschaften und der empirischen Lin- spezifische Expertise ein, sodass die Entwicklung lexi- guistik. Als Ergebnis der dreitägigen Gespräche wur- kographischer Arbeitsumgebungen und lexikographi- den 15 lexikographische Thesen der Öffentlichkeit prä- scher Daten zukünftig zeit- und kostensparend voran- sentiert. geht. Ein weiterer Vorteil liegt darin, isoliert erstellte lexikographische Daten zukünftig besser zu vernetzen, EIN EXPERTENGREMIUM HAT 15 THESEN sodass sie z. B. sprachtechnologisch genutzt werden ZUR LEXIKOGRAPHIE ERARBEITET können. Schließlich zielt „elexis“ auch darauf ab, die in den europäischen Staaten unterschiedlich ausgeprägte Viele der Thesen spiegeln zwei unterschiedliche, aber lexikographische Expertise durch Trainingsangebote partiell kompatible strategische Ausrichtungen wider. von Lexikographinnen und Lexikographen insgesamt Zum einen wird betont, dass der Wert wissenschaftlich auf ein vergleichbares Niveau zu bringen. So soll dafür fundierter Wörterbücher der Öffentlichkeit stärker ins Sorge getragen werden, dass verlässliche und genaue Bewusstsein gerufen werden muss, dass der Umgang Informationen zu Wortbedeutung und -verwendung mit Wörterbüchern in der Schule kompetenter vermit- telt werden sollte und dass die Qualität von Wörterbü- chern im Austausch von akademischen, privatwirt- schaftlichen und privaten Akteuren sichergestellt wer- den muss. Zum anderen wird insistiert, dass sich die Lexikographie an den aktuellen medialen Praktiken orientieren muss, außerlexikographische Strategien der Informationssuche berücksichtigen sollte und dass sie in der Entwicklung von benutzungsorientierten di- gitalen Such-, Strukturierungs- und Visualisierungs- strategien innovativ tätig sein muss. Die „Villa-Vigoni- Thesen“ können unter eingesehen werden. Einige Thesen, die im besonderen Maße die lexikographische Ausrichtung der Abteilung Lexik am IDS betreffen, seien hier herausgegriffen. Abb. 3: Workshop in der Villa Vigoni 32 IDS SPRACHREPORT 2/2019
These 3: Die praktische Lexikographie muss sich stets These 12: Die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Be- ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst nutzung der lexikographischen Informationssys- sein und nach einer umfassenden, pluralistischen teme sowie zur Unterrichts- und Übersetzungspra- Beschreibung der Sprach- und Sachwirklichkeit xis sollen verstärkt in den lexikographischen Pro- streben. Dabei müssen die Abgrenzung des Gegen- zess einfließen. standsbereichs und die selektiven lexikographi- schen Schwerpunktsetzungen kenntlich gemacht Lexikographie am IDS werden. In der Abteilung Lexik des IDS ist die lexikographische These 4: Universitäten und öffentliche Forschungsein- Praxis unmittelbar an die lexikologische Forschung ge- richtungen als unabhängige gesellschaftliche Insti- knüpft und erschließt dabei insbesondere solche Wort- tutionen müssen sich in die kritischen Diskussio- schatzbereiche, die bisher wenig erforscht wurden. Da- nen und Evaluationen lexikalischer Informations- bei entwickeln wir für unsere Wörterbücher neue systeme aktiv einbringen. Visualisierungen für die Datenpräsentation und die These 5: Lexikographische Änderungen in Online-In- Zugriffsstrukturen (siehe z. B. neu beim Paronymwör- formationssystemen müssen dokumentiert und auf- terbuch ), und wir versuchen bewahrt werden, so dass sie dauerhaft als Belegda- zunehmend, internetlexikographische Präsentationen ten für den wissenschaftlichen Prozess zur Verfü- mit korpusexplorierenden Werkzeugen, z. B. über die gung stehen. Plattform OWIDplus, zu verknüpfen. Flankiert wird die- These 6: Die Lexikographie braucht Partner und Ver- se lexikographische Arbeit durch Benutzungsforschung, bündete: Die Lösungen und Herausforderungen die unter Anwendung und Weiterentwicklung geeig- für die Lexikographie der Zukunft verlangen mit neter Methoden den Umgang mit Internetwörterbü- Blick auf eine europäische Perspektive einen inter- chern erforscht und als Kompetenzzentrum auch die disziplinären Austausch zwischen Forschungsinsti- Zusammenarbeit mit anderen lexikographischen Ak- tutionen, Akademien, Verlagen und weiteren Ver- teuren sucht. Auch in anderen lexikographischen Ar- tretern des privaten Sektors. beitsfeldern (Metalexikographie, Wörterbuchportale) These 7: Eine wichtige Aufgabe der Lexikographie der pflegen wir die Kooperation mit lexikographisch aus- digitalen Zukunft ist die geordnete Zusammenfüh- gerichteten Partnern im akademischen und privatwirt- rung von automatisch aus Textkorpora erzeugten schaftlichen Bereich. Zudem ist das IDS der Sicherung und gezielt aufbereiteten Daten sowie einer benut- von Forschungsdaten verpflichtet, sodass Fragen der zerorientierten Präsentation. Die gesellschaftliche Nachhaltigkeit und der Dokumentation der verschie- Relevanz solcher Informationssysteme wird gefes- denen Versionen eines Wörterbuchs auch in der Abtei- tigt, wenn die zugrundeliegenden Korpora das ge- lung Lexik eine wichtige Rolle spielen. samte sprachliche Diasystem spiegeln und für For- scherInnen frei zur Verfügung stehen. Phönix aus der Asche? These 10: Die wissenschaftliche Lexikographie soll ver- Und was soll man nun der Lexikographie in Zeiten ra- mehrt visuell kreativ sein, bezüglich digitaler For- ten, in denen sich das Internet längst als zusätzlicher mate Experimente wagen und sich dabei das Inter- gesellschaftlicher Handlungsraum konstituiert hat? esse der Menschen an sprachlichen Fragen zunutze Dass sie sich auf ihre Stärken besinnen soll? Nein, das machen. Eine staatliche Förderung muss sich auf wäre viel zu wenig. Die vermeintlichen Stärken schei- lexikographische Innovationen konzentrieren. nen ja auch in Zeiten der Interlexikographie vor allem darin zu liegen, große Mengen wohlrecherchierter, aber leider oft unappetitlich angehäufter Informations- brocken in Wörterbuchartikeln zu servieren. Informa- IDS SPRACHREPORT 2/2019 33
tionsaggregationen dieser Art lassen sich zunehmend chen, lexikologisches Wissen bezüglich des Einzel- besser automatisieren, und die Lexikographie täte gut worts punktgenau, aber eben auch in diskursiven und daran, sich darauf zu besinnen, dass ihre Aufgabe im holistischen Zusammenhängen darzustellen. Kern Kommunikation mit Informationssuchenden ist. Aber der Lexikographie mangelt es nach wie vor an Aber weder im ersten noch im zweiten Fall braucht die dem, was Kommunikationspartner eigentlich im Ge- einsprachige Lexikographie die tausendunderste lexi- spräch automatisch umsetzen und was die Soziolingu- kographische Beschreibung der Bedeutung des Wortes istik Audience Design nennt: die Bereitschaft, sich auf Tisch oder die Anreicherung eines Wörterbuchartikels den Kommunikationsstil des Gegenübers einzulassen. mit noch einer endlosen Liste von unkommentierten Kookkurrenzpartnern. Man erinnere sich: In den DIE LEXIKOGRAPHIE MUSS IHREN BLICK IN 1980 / 90er Jahren hat die Lexikographie unter dem DIE ZUKUNFT RICHTEN UND DEN WANDEL maßgeblichen Einfluss von Herbert Ernst Wiegand den Status einer eigenen wissenschaftliche Disziplin bean- LEXIKALISCHER RESSOURCEN MITGESTALTEN sprucht. Kern seiner Theorie lexikographischer Texte war, dass Wörterbücher Gebrauchsgegenstände sind, Letztlich interessieren sich Menschen aus zwei Grün- die um ihrer Benutzung willen hergestellt werden. den für lexikalische Ressourcen. Sie haben kommuni- Aber damals waren Wörterbücher auch noch Bücher. kationspraktische Fragen nach der Schreibung, Bedeu- Heute droht der Lexikographie zwischen empirischer tung oder Übersetzung von Wörtern. Oder sie haben Linguistik und Informationstechnologie die Luft aus- ein genuines – sei es laienhaftes oder wissenschaftli- zugehen. Und ob sie sich noch einmal neu erfindet ches – metasprachliches Interesse an Zusammenhän- oder sich stattdessen in einer interdisziplinären Aufga- gen im Wortschatz, an historischen lexikalischen Ent- be der Erforschung, Dokumentation und Anwendung wicklungen oder an wortgeschichtlichen Details. Im lexikalischen Wissens auflöst, wird auch davon abhän- ersten Fall tun wir gut daran, genau zu beobachten, gen, ob sie sich mit wissenschaftlicher Neugier und of- wie Menschen im Netz bei der Informationssuche na- fenen Augen auf die Benutzerinnen und Benutzer und vigieren (oder navigiert werden). Überall dort, wo In- ihre veränderten Bedürfnisse einlassen wird. Auf jeden formationsbedürfnisse schon adäquat ohne Wörterbü- Fall halten wir es mit einem Motto von Karl Lagerfeld, cher befriedigt werden können, gibt es wenig Anlass, dem Herbert Ernst Wiegand der Haute Couture, der es auf dem „Kulturgut“ Wörterbuch zu bestehen. Im Ge- einmal so ausdrückt haben soll: „Die Vergangenheit in- genteil: Dies ist ein Wandel, den die Lexikographie teressiert mich nicht. Sich nur darauf zu berufen, was mitgestalten muss, zumal ja auch hier im Hintergrund man mal gemacht hat ... da kann ich mich ja gleich in lexikographisch aufbereitete Informationen genutzt Lumpen räkeln.“ I werden. Aber in Form von Wörterbüchern wird lexiko- graphisch strukturiertes Wissen in Zukunft vielleicht Bildnachweise nur noch in wenigen Handlungskontexten auftreten, Abb. 1: etwa im muttersprachlichen oder fremdsprachlichen Abb. 2: Lernen. Im zweiten Fall dagegen wird die Wortschatz- Abb. 3: Müller-Spitzer, IDS dokumentation weiter von den vielfältigen Möglich- keiten des Internets profitieren, seiner Multimodalität, Vernetzung und Hypermedialität, die es uns ermögli- 34 IDS SPRACHREPORT 2/2019
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