Lieferkettengesetz: Aufstand der Lobbyisten - Misereor

Die Seite wird erstellt Tizian Witt
 
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April 2021

                                                         Lieferkettengesetz:
                                                    Aufstand der Lobbyisten
                                                                                                                   von Armin Paasch und Karolin Seitz

             1. EINFÜHRUNG                                                                Handelsblatt.2 Ein Aufstand, der sich auch gegen
                                                                                          Kanzlerin Merkel und Wirtschaftsminister Alt-
             Anfang März 2021: Die Bundesregierung be-                                    maier richtet, die den Kompromiss mit beschlos-
             schließt ihren Entwurf für ein Lieferkettengesetz,                           sen hatten. Ihre Forderungen betreffen nicht nur
             auf den sich die Bundesminister Hubertus Heil,                               einzelne Aspekte, sondern stellen das gesamte Vor-
             Peter Altmaier und Gerd Müller bereits im Feb-                               haben in Frage, zu dem sich die Bundesregierung
             ruar geeinigt hatten. Auf der Pressekonferenz vom                            bereits im Koalitionsvertrag verpflichtet hatte.
             12. Februar ist den Ministern ihre Erleichterung
             anzumerken. Der Einigung war ein monatelanges                                Was ist in diesen drei Wochen passiert? Dieser
             und zähes Ringen vorausgegangen. „Das ist ein                                Frage geht das vorliegende Briefing auf den Grund.
             guter Tag“, lobte auch Wirtschaftsminister Alt-                              Zur Einordnung zeichnet es zunächst nach, an wel-
             maier den „vernünftigen Kompromiss“. Die gro-                                chen Stellen der von der Regierung beschlossene
             ßen Wirtschaftsverbände hatten zuvor alle Kräfte                             Entwurf gegenüber früheren Plänen bereits abge-
             mobilisiert, um einen bekannt gewordenen Ent-                                schwächt wurde und wie zufrieden große Unter-
             wurf des Bundesentwicklungsministeriums (BMZ)                                nehmensverbände darauf reagierten (Abschnitt 2).
             (Februar 2019) sowie die im März 2020 erstellten                             Kurze Zeit später vollziehen eben jene Verbände je-
             gemeinsamen Eckpunkte des BMZ und des Bun-                                   doch eine 180-Grad-Wende, wie Abschnitt 3 aus-
             desarbeitsministeriums (BMAS) für das Sorgfalts-                             führt. Ihr neues Ziel ist nun, dass auch die letzten
             pflichtengesetz zu verwässern.1 Mit Erfolg: Der be-                          wirksamen Elemente aus dem Gesetzentwurf ge-
             schlossene Regierungsentwurf ist an nahezu allen                             strichen werden, oder besser: das gesamte Vorhaben
             entscheidenden Stellen deutlich schwächer als die                            vollends zu Fall zu bringen.
             ursprünglichen Entwürfe.
                                                                                          Abschnitt 4 arbeitet die Rolle des „Wirtschafts-
             Ende März 2021: Drei Wochen nach dem Kabinetts-                              rats der CDU“ heraus, der bereits am 12. Febru-
             beschluss erklärt der Wirtschaftsflügel der CDU/                             ar die Abgeordneten der Union aufgerufen hatte,
             CSU-Bundestagsfraktion denselben für „nicht                                  das „linksideologische“ Projekt im Bundestag zu
             zustimmungsfähig“. So nachzulesen in einem ge-                               stoppen. Der Wirtschaftsrat bildet eine zentra-
             meinsamen Beschluss der „Arbeitsgruppe Wirt-                                 le Schnittstelle zwischen den großen Wirtschafts-
BRIEFING

             schaft und Energie“ und des Vorstands des „Par-                              verbänden und der „Arbeitsgruppe Wirtschaft und
             lamentskreis Mittelstand“ der CDU/CSU-Bundes-                                Energie“ sowie dem Vorstand des „Parlamentskreis
             tagsfraktion vom 25. März 2021. „Verbände und                                Mittelstand“ der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
             Unionspolitiker proben den Aufstand“, titelte das
                                                                                          2	Streit um Lieferkettengesetz eskaliert: Verbände und Unionspolitiker
                                                                                             proben den Aufstand, Handelsblatt, 25.3.2021: https://www.
                                                                                             handelsblatt.com/politik/deutschland/sorgfaltspflichtengesetz-streit-
             1	Vgl. Armin Paasch und Karolin Seitz: Wirtschaftslobby: Mit Falsch­           um-lieferkettengesetz-eskaliert-verbaende-und-unionspolitiker-proben-
                meldungen gegen das Lieferkettengesetz, Briefing der Initiative Liefer­      den-aufstand/27042874.html?share=twitter&ticket=ST-2479709-
                kettengesetz, Oktober 2020.                                                  eCNd5U5DyyNTqz2OpDyE-ap5
2   Briefing April 2021                                                         Lieferkettengesetz: Aufstand der Lobbyisten

    Beide Gruppierungen – Arbeitsgruppe und Parla-                     ten. Dies wird zunächst im Anwendungsbereich
    mentskreis – übernehmen kurz darauf nahezu iden-                   deutlich. Die UNLP verlangen uneingeschränkt
    tisch die Positionen der großen Wirtschaftsverbän-                 von allen Unternehmen, ihre menschenrechtlichen
    de und veröffentlichen ihren Beschluss zeitgleich                  Sorg­faltspflichten in angemessener Weise umzuset-
    mit einem offenen Brief von 28 Wirtschaftsverbän-                  zen.
    den gegen das Lieferkettengesetz.
                                                                       »	Der im Februar 2019 an die Öffentlichkeit ge-
    In der abschließenden Einordnung (Abschnitt 5)                        sickerte Entwurf des BMZ für ein Wertschöp-
    zeigt sich: Die Abgeordneten der „Arbeitsgruppe                       fungskettengesetz sah sowohl menschenrechtli-
    Wirtschaft und Energie“ sowie des „Parlaments-                        che als auch umweltbezogene Sorgfaltspflichten
    kreis Mittelstand“ betreiben mit ihrem Vorstoß                        für Unternehmen mit über 250 Beschäftigten
    eine klare Klientelpolitik, die private Gewinninte-                   und mehr als 40 Millionen Euro Jahresumsatz
    ressen über Menschenrechte und die Umwelt stellt.                     vor.
    Sie kommt nicht von ungefähr, denn zwischen dem
    Wirtschaftsflügel einerseits und dem Wirtschaftsrat                »	Die Eckpunkte des BMAS und BMZ von März
    und den Wirtschaftsverbänden andererseits gibt es                     2020 sahen einen Anwendungsbereich für Un-
    personelle Überschneidungen auch an entscheiden-                      ternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitenden
    den Stellen.                                                          vor.

    All dies geschieht im Angesicht von nicht abrei-                   »	Der Regierungskompromiss sieht vor, dass das
    ßenden Lobbyskandalen rund um die Unionspar-                          Gesetz ab Januar 2023 erstmal nur für Unter-
    teien: von den Masken-Deals über die angeblichen                      nehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitenden gel-
    Schmiergeldzahlungen autoritärer Regime an Ab-                        ten soll, ab 2024 für Unternehmen mit mehr als
    geordnete bis hin zu den Verstrickungen von Ab-                       1.000 Beschäftigten. Eigenständige umweltbe-
    geordneten in den Wirecard-Skandal.                                   zogene Sorgfaltspflichten sind nur in Bezug auf
                                                                          Quecksilber und persistente organische Schad-
                                                                          stoffe und damit nur einen Bruchteil der mögli-
    2 . VOM VORSCHL AG DES                                                chen Umweltgefahren vorgesehen.
    ENT WICKLUNGS­M INISTERIUMS
    ZUM REGIERUNGSKOMPROMISS :                                         Auch die Reichweite und der Umfang der zu eta-
    EINE CHRONIK DER VERWÄSSERUNG                                      blierenden Sorgfaltspflicht verkürzte sich drastisch:

    Im Februar 2019 geriet ein erster Entwurf des BMZ                  »	Der BMZ-Entwurf von 2019 und die Eckpunk-
    für ein damals noch „Wertschöpfungskettengesetz“                      te von 2020 sahen vor, dass Unternehmen für
    benanntes Vorhaben an die Öffentlichkeit.3 Im Juni                    die gesamte Wertschöpfungskette, also nicht
    2020 wurden Eckpunkte für ein „Sorgfaltspflich-                       nur die Produktion, sondern auch die Verwer-
    tengesetz“ bekannt, auf die sich BMAS und BMZ                         tung und Entsorgung ihrer Produkte in die
    bereits im März 2020 geeinigt hatten, die offiziell                   Pflicht genommen werden.
    aber nicht veröffentlicht wurden.4 Im März 2021
    schließlich einigte sich die Bundesregierung auf                   »	
                                                                         Der Gesetzentwurf der Regierung von 2021
    einen Gesetzentwurf für ein Sorgfaltspflichtenge-                    nimmt die Unternehmen zunächst nur für
    setz.5                                                               ihre direkten Zulieferbetriebe in die Pflicht. In
                                                                         Bezug auf mittelbare Zulieferer, also die tiefe-
    Vergleicht man die drei Dokumente, so wird                           re Lieferkette, wo typischerweise das Gros der
    schnell deutlich: Von Jahr zu Jahr entfernen sie sich                schwerwiegenden Menschenrechtsverletzun-
    weiter von den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft                      gen auftritt, sind Unternehmen nur anlassbe-
    und Menschenrechte (UNLP), die eigentlich die                        zogen verpflichtet: Selbst eine Risikoanalyse
    Grundlage für ein Lieferkettengesetz bilden soll-                    müssen sie erst durchführen, wenn sie Kenntnis
                                                                         von einer möglichen Verletzung bei mittelbaren
                                                                         Zulieferern erlangen. Dann ist es für die Risi-
    3	https://media.business-humanrights.org/media/documents/files/
       documents/SorgfaltGesetzentwurf_0.pdf
                                                                         koanalyse aber in der Regel zu spät. Diese Ein-
    4	https://die-korrespondenten.de/fileadmin/user_upload/die-         schränkung widerspricht somit dem präventiven
       korrespondenten.de/Lieferkettengesetz-Eckpunkte-10.3.20.pdf       Ansatz der UNLP.
    5	https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/
       Gesetze/Regierungsentwuerfe/reg-sorgfaltspflichtengesetz.
       pdf;jsessionid=747EA18529DC0437CEDC1E92E59BD7B5.delivery1-      Und schließlich verschwand die zivilrechtliche
       replication?__blob=publicationFile&v=2                          Haftungsregel im Laufe der Jahre völlig:
3   Briefing April 2021                                                                          Lieferkettengesetz: Aufstand der Lobbyisten

    »	
      Der BMZ-Entwurf sah eine zivilrechtliche                                     ministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi)
      Haftung vor: Wenn Unternehmen ihre Pflich-                                   diese Auskünfte bisher immer erteilt hatte, lehn-
      ten missachten und dadurch Menschenrechte                                    te es eine jüngere Anfrage vom 8. Dezember 2020
      verletzt werden, sollten Betroffene nach deut-                               mit zwei Begründungen ab. Zum einen liege dem
      schem Recht und vor deutschen Gerichten auf                                  BMWi eine Liste der Treffen mit Unternehmen
      Schadensersatz klagen können. Dies war auch in                               und Unternehmensverbänden nicht vor. Zudem
      den gemeinsamen Eckpunkten von BMAS und                                      würden „bei einer Veröffentlichung der beantrag-
      BMZ vom März 2020 vorgesehen.                                                ten Informationen die Beratungen der Behörden
                                                                                   beeinträchtigt“.
    »	
      Die zivilrechtliche Haftungsregel wurde im
      Regierungsentwurf hingegen auf Druck von                                     Diese Begründung ist aus Sicht der Initiative Lie-
      Wirtschaftsminister Altmaier und Kanzlerin                                   ferkettengesetz nicht nur widersinnig, sondern
      Merkel gestrichen.6                                                          auch rechtswidrig, zumal die Beratungen der Be-
                                                                                   hörden mit dem Kabinettsbeschluss vom 3. März
    Kein Wunder, dass Wirtschaftsminister Altmaier                                 2021 abgeschlossen wurden. Schließlich wurde
    sich am 12. Februar mit dem Verhandlungsergebnis                               nicht nach innerbehördlicher Kommunikation ge-
    zufrieden zeigte, „weil es uns gelungen ist, die Inte-                         fragt, sondern nach dem Austausch mit externen
    ressen des Menschenrechtsschutzes so voranzubrin-                              Dritten. Bemerkenswert ist, dass das BMWi nach
    gen, dass die berechtigten Interessen der Wirtschaft                           den jüngsten Debatten über Lobbyismus, Korrup­
    dadurch nicht geschmälert und beeinträchtigt wor-                              tion und das Lobbyregister jetzt offenbar mit Blick
    den sind.“ 7 Diese umfassende Berücksichtigung                                 auf das Liefer­  kettengesetz sogar jene Auskünfte
    wirtschaftlicher Interessen ist auf die jahrelan-                              verweigert, zu denen es bereits jetzt gesetzlich ver-
    ge, hochrangige und umfassende Lobbyarbeit der                                 pflichtet ist. Bemerkenswert ist auch, dass das Bun-
    Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft und des                               deskanzleramt sehr wohl Auskunft über die bean-
    CDU-Wirtschaftsrats zurückzuführen. Die enge                                   tragten Informationen erteilte, welche das BMWi
    Zusammenammenarbeit und gegenseitige Ab-                                       verweigerte.
    stimmung zwischen Wirtschaftsminister Altmaier
    und der Wirtschaftslobby hat die Initiative Lie-                               Wie massiv einige Wirtschaftsverbände die „Bera-
    ferkettengesetz mit Blick auf das vorausgegangene                              tungen der Behörden“ über das Lieferkettengesetz
    menschenrechtliche Monitoring deutscher Unter-                                 beeinflusst haben, lässt die Antwort der Bundesre-
    nehmen sowie das Gesetz selbst bereits in früheren                             gierung auf eine Schriftliche Frage des Bundestag-
    Briefings dokumentiert.8                                                       sabgeordneten Michel Brandt erahnen.9 Demnach
                                                                                   hat Wirtschaftsminister Altmaier allein zwischen
                                                                                   Dezember 2020 und Februar 2021 in drei Telefo-
    3. MASSIVE EINFLUSSNAHME                                                       naten und Videokonferenzen mit dem Präsidenten
    DER WIRTSCHAF TSLOBBY                                                          sowie dem Hauptgeschäftsführer von Gesamtme-
                                                                                   tall (15. Dezember 2020), dem Präsidenten und
    Eine wichtige Quelle zur Beleuchtung dieser Ver-                               dem Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung
    bindungen bildeten die Antworten der Bundesmi-                                 der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) (16.
    nisterien auf Auskunftsanfragen auf Basis des Infor-                           Dezember 2020) sowie abermals mit dem Haupt-
    mationsfreiheitsgesetzes (IFG). Das IFG verpflich-                             geschäftsführer der BDA, dem Präsidenten des
    tet Bundesministerien, den Antragsteller*innen                                 Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI),
    über ihre Treffen und Korrespondenz mit externen                               dem Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands
    Akteuren etwa zu Gesetzgebungsprozessen umfas-                                 Deutschland (HDE) und dem Hauptgeschäftsfüh-
    send Auskunft zu erteilen. Während das Bundes-                                 rer des Deutschen Industrie und Handelskammer-
                                                                                   tags (DIHK) (12. Februar 2021) über das Liefer-
                                                                                   kettengesetz gesprochen. Über mögliche weitere
    6	Peter Altmaier auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundesminis­         Treffen der Wirtschaftsvertreter*innen mit Staats-
       ter Hubertus Heil und Gerd Müller am 12.2.2021: https://www.youtube.
       com/watch?v=R92jdOz1Ym8                                                     sekretär*innen, Abteilungs- oder Referatsleiter*in-
    7	Ebd.                                                                        nen sowie die Korrespondenz erteilt das BMWi in
    8	Vgl. Armin Paasch und Karolin Seitz: Verwässern – Verzögern – Verhin­       der Antwort auch gegenüber dem Bundestag keine
       dern: Wirtschaftslobby gegen Menschenrechte und Umweltstandards,
       Briefing der Initiative Lieferkettengesetz, Juli 2020; sowie: Armin
                                                                                   Auskunft.
       Paasch und Karolin Seitz: Wirtschaftslobby: Mit Falschmeldungen
       gegen das Lieferkettengesetz, Briefing der Initiative Lieferkettengesetz,
       Oktober 2020; und Karolin Seitz (2019): Sorgfältig verwässert: Wie die      9	Antwort der Bundesregierung vom 30.4.21 auf die Schriftliche Frage des
       Wirtschaftsverbände versuchen, ein Lieferkettengesetz zu verhindern,           Abgeordneten Michel Brandt (Drucksache 19/28193, Frage 75, online
       Briefing im Rahmen der Initiative Lieferkettengesetz, November 2019.           unter: https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/281/1928193.pdf)
4   Briefing April 2021                                                                    Lieferkettengesetz: Aufstand der Lobbyisten

    Auch Kanzlerin Angela Merkel telefonierte am                             reich gegen die schlimmsten und sinnlosesten Vor-
    11. Januar 2021 mit dem Präsidenten des DIHK                             stellungen gewehrt und Durchsetzungskraft bewie-
    und hielt am folgenden Tag eine Videokonferenz                           sen”. Wichtig sei, dass Haftungsregeln verhindert
    mit dem Präsidenten der BDA, Rainer Dulger. Wie                          wurden und dass Unternehmen nur für das erste
    aus der Antwort des Bundeskanzleramts auf die er-                        Glied ihrer Lieferkette direkt verantwortlich sind.11
    wähnte IFG-Anfrage hervorgeht, hatte Kanzlerin
    Merkel auch am 31. August 2020 bereits mit dem                           Auch die WirtschaftsVereinigung Metalle (WV-
    da­maligen BDA-Präsidenten Ingo Kramer ein Ge-                           Metalle) begrüßte den „Realismus“ des Gesetzent-
    spräch über das Lieferkettengesetz geführt sowie                         wurfs.12 Ähnlich zufrieden zeigte sich BDI-Präsi-
    am 4. November 2020 an einer Videokonferenz                              dent Siegfried Russwurm: „Mit dem Verzicht auf
    „mit Mitgliedern des gemeinsamen Präsidiums von                          eine zivilrechtliche Haftung jenseits der existieren-
    BDA und BDI“ über das Lieferkettengesetz teilge-                         den Haftungsregeln vermeidet die Bundesregie-
    nommen. Darüber hinaus erwähnt die Antwort auf                           rung einen Konstruktionsfehler und setzt dennoch
    die Schriftliche Frage einen Hinweis auf die Korres­                     wichtige Akzente im Kampf gegen Menschen-
    pondenz zwischen Kanzleramtsminister Helge                               rechtsverletzungen.“ 13
    Braun und dem Hauptgeschäftsführer der BDA,
    Stef­fen Kampeter, am 18. Februar und 2. März 2021.                      Dass die Spitzenverbände zu diesem Zeitpunkt über
                                                                             die Details des Kompromisses im Bilde waren, darf
    Die Auflistung zeigt, dass sich Wirtschaftsminister                      als gesichert gelten. Hatten sie sich doch just am
    Altmaier und Kanzlerin Merkel seit Sommer letz-                          12. Februar 2021, also am Tag der gemeinsamen
    ten Jahres in dichter Folge persönlich mit den Spit-                     Pressekonferenz der Bundesminister Heil, Mül-
    zen der Wirtschaftsverbände über das Lieferketten-                       ler und Altmaier, mit Letzteren in einem Telefo-
    gesetz ausgetauscht haben. Gesprächsanfragen von                         nat ­eigens darüber ausgetauscht. Die Wirtschafts-
    Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaf-                           verbände waren zu dem Zeitpunkt also zufrieden,
    ten an Kanzlerin Merkel sowie Staatssekretäre im                         zahlreiche ihrer Forderungen wurden erfüllt.
    Bundeswirtschaftsministerium in der entscheiden-
    den Phase wurden hingegen abgelehnt bzw. an die                          Erstaunlich ist daher, dass die Verbände drei Wo-
    Arbeitsebene heruntergereicht. Auffällig häufig                          chen nach der Verkündung des Kompromisses eine
    war an diesen Gesprächen mit Altmaier und Merkel                         Kehrtwende um 180 Grad vollzogen. Als die Bun-
    der BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter                            desregierung am 3. März 2021 ihren Kompromiss
    beteiligt, der vor seinem Wechsel zur BDA in den                         offiziell beschließt und der Öffentlichkeit vorstellt,
    Jahren 2009 bis 2015 parlamentarischer Staatssekre-                      verreißen die Wirtschaftsverbände den Gesetzent-
    tär im Bundesministerium für Finanzen (BMF) war                          wurf als „nicht umsetzbar“ und, wie es die BDA
    und daher über beste Verbindungen in der Union                           am 3. März ausdrückt, einen „gefährlichen natio-
    sowie der Bundesregierung verfügt.                                       nalen Sonderweg“.14 Auch Gesamtmetall bezeich-
                                                                             nete den Gesetzentwurf als „juristisches Flickwerk
                                                                             mit völlig realitätsfernen Vorstellungen“.15 Mögli-
    4 . FREUDE ÜBER DEN K ABINET TS­                                         cherweise beflügelt vom Erfolg bei der bisherigen
    BESCHLUSS UND DIE ANSCHLIESSENDE                                         Verwässerung des Entwurfs, hatten die Lobbyisten
    KEHRT WENDE                                                              offenbar beschlossen, von ihrer positiven Haltung
                                                                             abzurücken, und zielten jetzt darauf ab, den Ge-
    Angesichts dieser Vorzugsbehandlung der Wirt-                            setzentwurf vollends zu Fall zu bringen.
    schaftsverbände bei den Verhandlungen über das
    Lieferkettengesetz verwundert es kaum, dass die-
    selben Verbände überwiegend erleichtert auf den
    am 12. Februar 2021 verkündeten Kompromiss                               11	https://www.absatzwirtschaft.de/lieferkettengesetz-minimalkonsens-
    zwischen den drei federführenden Bundesminis-                                oder-historischer-durchbruch-177840/
                                                                             12	https://www.wvmetalle.de/presse/artikeldetail/?L=0&tx_
    tern reagierten und lobende Worte für Wirtschafts-                           artikel_feartikel%5Bartikel%5D=7660&tx_artikel_
    minister Altmaier fanden. So bezeichnete der Ge-                             feartikel%5Bback%5D=presse%2Fpressemitteilungen%
    samtmetall-Hauptgeschäftsführer Oliver Zander                                2F%3FL%3D0&tx_artikel_feartikel%5Baction
                                                                                 %5D=show&cHash=214d2367c2ad7dbf899786292d9a005f
    den Kompromiss als deutlichen Fortschritt gegen-                         13	https://www.sueddeutsche.de/leben/soziales-regierungskreise-
    über den bisherigen „weltfremden Vorstellungen“                              einigung-auf-lieferkettengesetz-dpa.urn-newsml-dpa-
    aus BMAS und BMZ.10 Altmaier habe „sich erfolg-                              com-20090101-210212-99-410660
                                                                             14	https://arbeitgeber.de/lieferkettengesetz-mit-heisser-nadel-gestrickt-
                                                                                 gefaehrlicher-nationaler-sonderweg/
    10	https://www.absatzwirtschaft.de/lieferkettengesetz-minimalkonsens-   15	https://www.gesamtmetall.de/themen/europa-internationales/
        oder-historischer-durchbruch-177840/                                     sorgfaltspflichtengesetz-ist-juristisches-flickwerk-mit-voellig
5   Briefing April 2021                                                                     Lieferkettengesetz: Aufstand der Lobbyisten

    Am 25. März gingen 28 Wirtschaftsverbände aufs                           »	
                                                                               Einschränkungen der Kontrollmöglichkeiten
    Ganze: In einem gemeinsamen Schreiben forder-                              durch und Auskunftspflichten gegenüber dem
    ten sie alle Bundestagsabgeordneten dazu auf, den                          Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrol-
    Gesetzentwurf in zahlreichen Punkten nachzubes-                            le vorzunehmen.
    sern.16
                                                                             Sollte dies nicht möglich sein, empfehlen sie die
    Unter anderem fordern sie,                                               Ablehnung des Gesetzes.

    »	den Umfang der geschützten Rechte weiter zu                           Inhaltlich nehmen es die 28 Wirtschaftsverbände in
       begrenzen und nur die im jeweiligen Produk-                           ihrem Schreiben nicht so genau. Sie argumentieren
       tionsland geltenden Standards in der Sorgfalts-                       vielfach mit juristischen Plattitüden, etwa der feh-
       pflicht zu berücksichtigen;                                           lenden Bestimmtheit des Maßstabs angemessener
                                                                             Sorgfalt. Dabei ist die Verwendung unbestimmter
    »	nur Beiträge in unmittelbarem Zusammenhang                            Rechtsbegriffe bei Gesetzen als abstrakt-generellen
       zum Verstoß zu erfassen;                                              Regelungen eine Selbstverständlichkeit und Unter-
                                                                             nehmen aus dem Gesellschaftsrecht bekannt. So ist
    »	
      die Sorgfaltspflicht vollends auf unmittelbare                         etwa in § 93 Abs. 1 des deutschen Aktiengesetzes
      Zulieferer zu begrenzen;                                               (AktG) vorgesehen, dass Vorstandsmitglieder die
                                                                             „Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften
    »	
      Geschäftstätigkeiten innerhalb Deutschlands                            Geschäftsleiters“ anzuwenden haben. Solche unbe-
      und der EU von dem Gesetz auszunehmen;                                 stimmten Verhaltensmaßstäbe sind auch im Inter-
                                                                             esse von Unternehmen, da sie ihnen ermöglichen
    »	die Schwellen zur Sanktionierbarkeit weiter an-                       selbst zu entscheiden, was das angemessene Maß an
       zuheben, vom Ausschluss der öffentlichen Auf-                         Sorgfalt ist.17
       tragsvergabe abzusehen und die Höhe der Buß-
       gelder zu senken;                                                     Auch behaupten sie, der Gesetzentwurf würde weit
                                                                             über die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und
    »	
      eine Positivliste („Whitelist“) mit Staaten, in                        Menschenrechte hinaus gehen – ohne sich daran zu
      denen die bestehenden Rechtsstandards kein                             stören, dass der Autor dieser Leitprinzipien, Prof.
      Risiko für Menschenrechtsverletzungen be-                              John Ruggie, der gegenteiligen Auffassung ist.18
      gründen, zu erstellen;                                                 In einem Brief an die Minister Altmaier, Heil und
                                                                             Müller vom 9. März hatte Ruggie insbesondere in
    »	auch in Deutschland tätige ausländische Unter-                        den folgenden Punkten Nachbesserungen gefor-
       nehmen in die Pflicht zu nehmen;                                      dert, damit sich das Gesetz wie versprochen an den
                                                                             UN-Leitprinzipien orientiert:
    »	
      statt eines „nationalen Alleingangs“ eine
      EU-weite Regulierung zu verfolgen;                                     »	Ausweitung der Unternehmenspflichten auf die
                                                                                gesamte Lieferkette;
    »	
      die Aufnahme einer Auslauf klausel/Sun-
      set-Clause, also dass das nationale Gesetz bei                         »	allgemeine Pflicht von Risikoanalysen entlang
      einer europäischen Regelung abgelöst wird und                             der gesamten Lieferkette und nicht nur im Fall
      die Aufschiebung des Inkrafttretens von 2023                              von substantiierten Kenntnissen;
      auf 2025;
                                                                             »	
                                                                               Pflicht zur Ermittlung von folgenschweren
    »	den expliziten Ausschluss einer zivilrechtlichen                        menschenrechtlichen Risiken;
       Haftung im Gesetzestext festzuschreiben;
                                                                             »	Verantwortung für die negativen Auswirkun-
    »	
      d ie Einführung einer Prozessstandschaft zu                               gen der Geschäftstätigkeiten eines Unterneh-
      streichen; und                                                            mens muss unabhängig von der Einflussmög-
                                                                                lichkeit bestehen;

                                                                             17	Die Initiative Lieferkettengesetz bereitet zu diesem und anderen juris­
                                                                                 tischen Fake News eine Gegenstellungnahme vor, die in den nächsten
    16	https://bdi.eu/media/themenfelder/internationale_maerkte/                Wochen erscheint.
        downloads/20210325_Verbaendebrief_Sorgfaltspflichten_Lieferketten.   18	https://www.business-humanrights.org/de/neuste-meldungen/
        pdf                                                                      john-ruggie-lieferkettengesetz/
6   Briefing April 2021                                                                        Lieferkettengesetz: Aufstand der Lobbyisten

    »	gewichtigere Rolle von Transparenz und positi-                           ginn der Debatte zu den vehementesten Gegnern
       ven Anreizen und Kooperation entlang der Lie-                            des Lieferkettengesetzes. Im Jahr 2020 äußerte er
       ferkettenbeziehungen;                                                    mehrmals seine deutliche Ablehnung gegenüber
                                                                                einem solchen Vorhaben 22 und machte seinen Ein-
    »	
      explizite Pflicht für Unternehmen, potentiell                             fluss auf die Regierung geltend. Im Dezember 2020
      Betroffene in den gesamten Sorgfaltspflichtpro-                           wähnte sich der Wirtschaftsrat offenbar schon am
      zess einzubeziehen.19                                                     Ziel: In seiner Jahresbilanz für 2020 zählte er die
                                                                                Verhinderung des Lieferkettengesetzes zu seinen
                                                                                politischen Erfolgen: „In intensiven Gesprächen hat
    5. WIRTSCHAF TSFLÜGEL DER UNION                                             der Wirtschaftsrat erreicht, dass das Vorhaben eines
    UND CDU -WIRTSCHAF TSR AT                                                   nationalen Lieferkettengesetzes nicht wie geplant in
                                                                                einem Gesetzentwurf mündete.“ 23
    Am 23./24. März fassten auch die „Arbeitsgruppe
    Wirtschaft und Energie“ und der Vorstand des „Par-                          Als die Bundesminister Heil, Müller und Altmai-
    lamentskreis Mittelstand“ der CDU/CSU-Bundes-                               er etwa zwei Monate später am 12. Februar die
    tagsfraktion einen Beschluss gegen das vorliegen-                           Einigung auf einen Entwurf zum Lieferkettenge-
    de Lieferkettengesetz, interessanterweise just einen                        setz bekannt gaben, reagierte der Wirtschaftsrat –
    Tag vor dem Versand des Briefs der 28 Wirtschafts-                          anders als die meisten Wirtschaftsverbände – mit
    verbände an alle Bundestagsabgeordneten. Darin                              einer scharfen Pressemitteilung. Darin bezeichnete
    kündigen sie an, dem Gesetz in der vorliegenden                             ihr Generalsekretär Wolfgang Steiger das Lieferket-
    Fassung im Bundestag nicht zuzustimmen. Ihre                                tengesetz als ein „linksideologisches Thema“ und
    Forderungen decken sich weitgehend mit den For-                             forderte die Unionsfraktion im Bundestag explizit
    derungen der 28 Wirtschaftsverbände. Erstmals öf-                           auf, „dieses Vorhaben zu stoppen“.24 Einiges spricht
    fentlich lanciert wurden der Brief der Wirtschafts-                         dafür, dass die AG Wirtschaft und Energie sowie
    verbände und der Beschluss des Wirtschaftsflügels                           der Parlamentskreis Mittelstand mit ihrem gemein-
    der Union gleichzeitig in einem Artikel des Han-                            samen Beschluss vom 23./24. März diesem Aufruf
    delsblatts vom 25. März.20                                                  folgten.

    Dieses offenbar konzertierte Vorgehen von Lob-                              Denn auch zwischen dem Wirtschaftsrat und die-
    by-Verbänden und dem Wirtschaftsflügel der                                  sen beiden Fraktionsgremien gibt es personelle
    Union ist kaum überraschend, wenn man sich die                              Überschneidungen an zentralen Stellen. So gehört
    personellen Überschneidungen vergegenwärtigt.                               Christian Freiherr von Stetten, der Vorsitzende des
    So sind die beiden stellvertretenden Vorsitzenden                           Parlamentskreis Mittelstand der Unionsfraktion,
    des Parlamentskreis Mittelstand Hans Michelbach                             zugleich dem Präsidium des Wirtschaftsrats an –
    und Marie-Luise Dött beide Mitglieder des Prä-                              ohne diese Tätigkeit jedoch auf seiner Internetseite
    sidiums des HDE, der zu den 28 Unterzeichnern                               aufzulisten.25 Auch Joachim Pfeiffer ist Vorstands-
    des Verbändebriefs gehört und sich auch in der Ver-                         mitglied im Landesverband Baden-Württemberg
    gangenheit regelmäßig gegen das Lieferkettenge-                             des Wirtschaftsrats der CDU. Bis zum 10. April
    setz ausgesprochen hatte. Hinzu kommt, dass der                             2021 war Pfeiffer wirtschaftspolitischer Sprecher
    CSU-Politiker Hans Michelbach früher Vize-Prä-                              der Union sowie Vorsitzender der AG Wirtschaft
    sident der BDA war. Am 13. März 2021 forderte                               und Energie der Unionsfraktion im Bundestag.
    er von der Bundesregierung, ein Lieferkettengesetz                          Auch Pfeiffer äußerte bereits am 12. Februar schar-
    „ersatzlos“ zu streichen.21                                                 fe Kritik an dem Kompromiss, dem sein eigener

    Zu dem Gleichklang zwischen Unionspolitiker*in-
                                                                                22	Z.B. am 12.03.2020 in der WELT: https://www.wirtschaftsrat.de/
    nen und dem Wirtschaftsflügel der Union dürfte                                  wirtschaftsrat.nsf/id/wirtschaftsrat-positioniert-in-der-welt-gegen-
    auch der „Wirtschaftsrat der CDU“ entscheidend                                  lieferkettengesetz-de, am 13.07.2020 (https://www.wirtschaftsrat.
                                                                                    de/wirtschaftsrat.nsf/id/wirtschaftsrat-der-cdu-spricht-sich-
    beigetragen haben. Der Verband zählt seit Be-                                   gegen-lieferkettengesetz-aus-de), am 25.08.2020 (https://www.
                                                                                    wirtschaftsrat.de/wirtschaftsrat.nsf/id/wirtschaftsrat-lehnt-
    19	Ebd.                                                                        lieferkettengesetz-weiterhin-ab-de), am 28.10.2020 (https://www.
    20	Streit um Lieferkettengesetz eskaliert: Verbände und Unionspolitiker        wirtschaftsrat.de/wirtschaftsrat.nsf/id/lieferkettengesetz-realitaetsfern-
        proben den Aufstand, Handelsblatt, 25.3.2021: https://www.                  und-falsches-signal-in-der-krise-de)
        handelsblatt.com/politik/deutschland/sorgfaltspflichtengesetz-streit-   23	https://www.wirtschaftsrat.de/wirtschaftsrat.nsf/id/bilanz-2020-
        um-lieferkettengesetz-eskaliert-verbaende-und-unionspolitiker-proben-       de/$file/Bilanz%20des%20Wirtschaftsrates%202020.pdf, S. 11
        den-aufstand/27042874.html?share=twitter&ticket=ST-2479709-             24	PM vom 12.02.2020 (https://www.wirtschaftsrat.de/wirtschaftsrat.nsf/
        eCNd5U5DyyNTqz2OpDyE-ap5                                                    id/lieferkettengesetz-muss-im-bundestag-gestoppt-werden-de?open)
    21	https://www.reuters.com/article/virus-deutschland-michelbach-idDEKB­    25	https://www.wirtschaftsrat.de/wirtschaftsrat.nsf/id/praesidium-
        N2101W6                                                                     de?open&ccm=000100020005
7   Briefing April 2021                                                                        Lieferkettengesetz: Aufstand der Lobbyisten

    Wirtschaftsminister zugestimmt hatte. Das Liefer-                             den mit der Kanzlerin, dem Wirtschaftsminister
    kettengesetz bezeichnete er als „rein nationales Be-                          und dem Entwicklungsminister Vertreter*innen
    strafungsinstrument“, das zu einem „Kesseltreiben                             der eigenen Parteien erarbeitet haben. Die Fraktion
    gegen Unternehmen“ führe.26                                                   würde Gewinninteressen von Unternehmen über
                                                                                  Menschenrechte und die Umwelt stellen und dabei
    Nachdem ZEIT online über die Intransparenz sei-                               jene vielfältigen Stimmen aus der Wirtschaft igno-
    ner Nebentätigkeiten und möglicher Interessens-                               rieren, die nachhaltig und fair wirtschaften wollen,
    konflikte berichtet hatte 27 und angeblich durch                              ohne dafür Wettbewerbsnachteile gegenüber jenen
    einen Hackerangriff vertrauliche Finanzdaten von                              Unternehmen zu erleiden, die um jeden sozialen
    ihm veröffentlicht wurden, trat Pfeiffer am 10.                               und ökologischen Preis Kosten sparen. Sie würde
    April 2021 von seinem Amt als wirtschafts- und                                auch die vielen anderen Stimmen aus Bevölkerung,
    energiepolitscher Sprecher der Unionsfraktion zu-                             Wissenschaft, Gewerkschaften und Kirchen igno-
    rück.28 Grund für seinen Rücktritt war laut ZEIT                              rieren, die sich für ein Lieferkettengesetz und für
    online auch seine Ablehnung des Verhaltenskodex,                              den Schutz von Menschenrechten weltweit und den
    den die Unionsfraktion als Reaktion auf die Mas-                              Umweltschutz aussprechen.
    kenaffäre beschließen will.29
                                                                                  Die öffentliche Debatte und Konsultationen sowie
    Hervorzuheben ist, dass der Wirtschaftsrat der                                Aufrufe der Bundesregierung zu Stellungnahmen
    CDU e.V. kein formales Parteigremium der CDU                                  der verschiedenen Interessengruppen zum Gesetz-
    ist, sondern ein Lobbyverband der Unternehmen                                 entwurf werden zur Farce, wenn schließlich vor
    mit privilegiertem Zugang zur Parteispitze.30 Dem                             allem bestimmte privatwirtschaftliche Interessen in
    Präsidium gehören neben dem Vize-Präsidenten                                  dem Entscheidungsprozess Berücksichtigung fin-
    Friedrich Merz unter anderen der UBS-Aufsichts-                               den. Und dies nicht zuletzt aufgrund der privile-
    ratsvorsitzende Roland Koch, die Vorstandsvor-                                gierten und etablierten Zugänge zu und der engen
    sitzenden der Deutschen Bank und Fraport sowie                                Verflechtungen zwischen der Wirtschaftslobby
    der CEO von SAP Deutschland und weitere Ver-                                  und Personen in den höchsten Entscheidungsgre-
    treter*innen von Daimler, der Warburg-Bank                                    mien der Fraktion. Vergleichbare Zugänge stehen
    und E.ON an. Der Verband zählt derzeit mehr als                               den zahlreichen Menschenrechts-, Entwicklungs-,
    12.000 Mitglieder aus Politik und Wirtschaft mit                              Verbraucher- und Umweltorganisationen nicht
    engen Verbindungen zur CDU. Gerade im Bereich                                 zur Verfügung, die für den Schutz von Umwelt
    der Klimapolitik attestiert die Organisation Lob-                             und Menschenrechten und für ein ambitioniertes
    bycontrol dem Verband großen (bremsenden) Ein-                                Liefer­kettengesetz eintreten.
    fluss.31
                                                                                  Seit jeher stehen die Unionsparteien dafür, sich für
                                                                                  eine starke Wirtschaft zu engagieren. Die Mitglie-
    6. EINORDNUNG : DIE UNIONSFR AK TION –                                        der des Parlamentskreis Mittelstand und der Ar-
    INTERESSENVERTRETERIN FÜR                                                     beitsgruppe Wirtschaft und Energie scheinen dabei
    BESTIMMTE TEILE DER WIRTSCHAF T                                               jedoch vor allem auf bestimmte Stimmen zu hören,
    ODER ZUM WOHLE ALLER ?                                                        die längst nicht die Meinung aller Wirtschaftsver-
                                                                                  treter*innen widergeben:
    Sollte sich die CDU/CSU-Bundestagsfrak­t ion dazu
    entschließen, den Forderungen der „AG Wirt-                                   »	
                                                                                    Nanda Bergstein, Direktorin Unternehmens-
    schaft und Energie“ und dem Vorstand des „Par-                                  verantwortung bei Tchibo erklärt ­beispielsweise:
    lamentskreis Mittelstand“ zu folgen und den Ge-                                 „Wir freuen uns, dass das monatelange Ringen
    setzentwurf im Bundestag abzulehnen, würde sie                                  in der Bundesregierung um ein Lieferketten-
    sich nicht nur einem Kompromiss entgegen­stellen,                               gesetz endlich zu einem positiven Ergebnis ge-
                                                                                    führt hat.“ 32
    26	https://www.joachim-pfeiffer.info/aktuell/lieferkettengesetz-fuehrt-zu-
        einem-kesseltreiben-gegen-unternehmen                                     »	
                                                                                    Dem Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft
    27	Ebd.                                                                        (BNW), einem Verband mit mehr als 400
    28	https://www.zeit.de/politik/deutschland/2021-04/cdu-abgeordneter-
        joachim-pfeiffer-nebentaetigkeiten-bundestag-hackerangriff
                                                                                    Unter­nehmen, geht das Lieferkettengesetz nicht
    29	Ebd.                                                                        weit genug. Er hat daher eine Kampagne für
    30	https://www.zeit.de/wirtschaft/2021-03/cdu-lobbyismus-
        wirtschaftsrat-lobbycontrol-einflussnahme und https://www.
        lobbycontrol.de/wp-content/uploads/Lobbycontrol-Studie-
        Wirtschaftsrat-Klimabremser.pdf
    31	Ebd.                                                                      32	https://www.bmz.de/de/entwicklungspolitik/lieferkettengesetz
8   Briefing April 2021                                                                   Lieferkettengesetz: Aufstand der Lobbyisten

        ein ambitionierteres Gesetz gestartet.33 Es soll                    Die Initiator*innen der Stellungnahme, darunter
        die gesamte Wertschöpfungskette umfassen,                           Prof. Elisabeth Fröhlich und Prof. Hansjörg Herr,
        auch für kleinere Unternehmen gelten und ex-                        entkräften die Behauptung, dass ein Lieferketten-
        plizit auch Umweltstandards berücksichtigen                         gesetz in Corona-Zeiten eine zu große Belastung
        – alles Anforderungen, welche die BNW-Mit-                          für die deutsche Wirtschaft darstelle: Mit einem
        gliedunternehmen bereits erfolgreich meistern.                      Leistungsbilanzüberschuss von 7 Prozent im BIP,
        BNW-Geschäftsführerin Dr. Katharina Reu-                            auch 2020, könne sich Deutschland ein solches
        ter kritisiert das Schreiben der 28 Verbände als                    Gesetz durchaus leisten.39 Andere führende Öko-
        „rückschrittlich“. Jahrelang habe man dort ver-                     nomen wie Marcel Fratzscher, Präsident des Deut-
        sucht, das Thema auszusitzen. „Unglaublich,                         schen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW),
        dass der BDI jetzt seine massive Lobby-Blocka-                      sowie Achim Truger, Mitglied der sogenannten
        de gegen das Lieferkettengesetz fortsetzt – nun                     „Wirtschaftsweisen“, teilen diese Auffassung.
        mit infamen Schein-Argumenten beispielsweise
        aus entwicklungspolitischer Perspektive“.34                         Zugleich begrüßen die katholische ebenso wie die
                                                                            evangelische Kirche die Einigung auf ein Lieferket-
    »	Auch das Argument der Belastungen und Wett-                          tengesetz; ihnen geht der Gesetzentwurf aber nicht
       bewerbsnachteile durch ein Lieferkettenge-                           weit genug.40 In einer repräsentativen Umfrage von
       setz ist keinesfalls so eindeutig wie das gerne                      Infratest dimap sprachen sich zudem 75 Prozent der
       von den Gegner*innen des Gesetzes dargestellt                        Bürgerinnen und Bürger für ein Lieferkettenge-
       wird: „Wir haben aktuell Wettbewerbsnachtei-                         setz aus. Gerade auch unter den CDU/CSU-An-
       le, da wir freiwillig in Entwicklung und Her-                        hängern gab es große Zustimmung (75 %) für ein
       stellung von umweltfreundlichen Produkten in-                        solches Gesetz, das auch Klagemöglichkeiten vor
       vestieren, die unter fairen Bedingungen produ-                       deutschen Gerichten für Betroffene aus dem Aus-
       ziert werden“, erklärt beispielsweise Vaude-Ge-                      land ermöglicht.41
       schäftsführerin Antje von Dewitz und fordert
       daher ein ambitionierteres Lieferkettengesetz.35                     Ebenso hatten bereits Mitglieder der CDU/
                                                                            CSU-Fraktion, beispielsweise der stellvertretende
    Bereits im Januar 2021 hatten sich 70 Ökonom*in-                        Fraktionsvorsitzende Hermann Gröhe, den Gesetz-
    nen für ein Lieferkettengesetz mit weitreichenden                       entwurf als „guten Kompromiss“ anerkannt.42 Der
    Vorgaben ausgesprochen. Sie argumentieren, dass                         CDU-Abgeordnete Prof. Dr. Matthias Z      ­ immer
    ein deutsches Lieferkettengesetz zwar vorerst zu                        hatte sich bereits im Oktober 2020 für ein star-
    zusätzlichen Investitionskosten für Unternehmen                         kes Gesetz ausgesprochen.43 Der CSU-Abgeord-
    führt. „Diese können jedoch als verhältnismäßig                         nete Dr. Wolfgang Stefinger begrüßt den Gesetz-
    gering eingeschätzt werden. Zudem ist zu erwarten,                      entwurf ebenfalls.44 Auch die Frauen-Union be-
    dass die Kosten teilweise kompensiert werden (…)“,                      wertete den Vorschlag als „Erfolg für Sozial- und
    heißt es in der Stellungnahme, die inzwischen über                      Umwelt­standards entlang der Lieferkette von Pro-
    130 Wirtschaftswissenschaftler*innen unterzeich-                        dukten sowie für Menschenrechte und gegen Kin-
    net haben.36 Der Vorteil eines Lieferkettengesetzes                     derarbeit.“ 45
    sei deutlich: „Alle Standardmodelle des internati-
    onalen Handels besagen, dass positive Wohlfahrts­
    effekte für alle nur erreicht werden können, wenn
    verantwortungslose Geschäftspraktiken verhindert
    und Verlierer der Globalisierung kompensiert wer-
    den.“ 37 Die Wissenschaftler*innen betonen, dass
    sich ein Lieferkettengesetz und langfristiger wirt-
    schaftlicher Erfolg keineswegs ausschließen.38                          39	https://fashionunited.de/nachrichten/business/
                                                                                wirtschaftswissenschaftlich-sinnvoll-oekonomen-plaedieren-fuer-
                                                                                lieferkettengesetz/2021011338782
                                                                            40	https://www.evangelisch.de/inhalte/182500/12-02-2021/kirchen-
    33	https://www.bnw-bundesverband.de/blog/2021/03/26/kampagne-              hoffen-auf-staerkeres-lieferkettengesetz
        fuer-wirkungsvolles-lieferkettengesetz/                             41	https://www.germanwatch.org/sites/default/files/Umfrage%20von%20
    34	Ebd.                                                                    infratest%20dimap%20im%20Auftrag%20von%20Germanwatch%20
    35	https://www.bnw-bundesverband.de/blog/2021/03/26/kampagne-              e.V..pdf
        fuer-wirkungsvolles-lieferkettengesetz/                             42	https://www.cducsu.de/presse/pressemitteilungen/guter-kompromiss-
    36	https://lieferkettengesetz.de/oekonominnen-statement/, Stand:           beim-lieferkettengesetz
        12.04.2021                                                          43	https://www.matthias-zimmer.de/aktuelles/archiv/ein-
    37	Ebd.                                                                    lieferkettengesetz-ist-noetig-und-machbar/
    38	https://lieferkettengesetz.de/2021/01/13/70-oekonominnen-fordern-   44	https://wolfgang-stefinger.de/einigung-beim-lieferkettengesetz-11833/
        lieferkettengesetz/                                                 45	https://twitter.com/frauenunion/status/1360176398414053378
9   Briefing April 2021                                                                           Lieferkettengesetz: Aufstand der Lobbyisten

    7. FA ZIT

    Für Kanzlerin Merkel, Wirtschaftsminister Alt-
    maier und Entwicklungsminister Müller stellt sich
    nun die Herausforderung, den Koalitionsvertrag
    und Beschluss gegenüber den überzogenen Forde-
    rungen des Wirtschaftsflügels und der Verbände zu
    verteidigen. Gerade im Angesicht der für Septem-
    ber 2021 anstehenden Bundestagswahlen gefähr-
    den dieser fraktionsinterne Streit und ein Bruch des
    Koalitionsvertrags die Glaubwürdigkeit und Ver-
    lässlichkeit der Union.

    Die Initiative Lieferkettengesetz fordert darüber hi-
    naus wesentliche Nachbesserungen gegenüber dem
    im Kabinett beschlossenen Regierungsentwurf.
    Dazu gehört eine vollumfängliche Sorgfaltspflicht
    der Unternehmen für die gesamte Wertschöpfungs-
    kette, eine explizite Regelung zur zivilrechtlichen
    Haftung sowie eine stärkere Berücksichtigung von
    Umweltstandards und Geschlechtergerechtigkeit.46
    Die von der Wirtschaftslobby durchgesetzte totale
    Verfremdung des ursprünglichen Anliegens muss
    korrigiert werden, damit das Gesetz den Betrof-
    fenen von Menschenrechtsverletzungen und der
    Umwelt einen effektiven Schutz bietet.

    46	Rechtliche Stellungnahme zum Regierungsentwurf „Gesetz über die
        unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten“, Initiative Liefer­
        kettengesetz, 19.3.2021: https://lieferkettengesetz.de/wp-content/
        uploads/2021/03/Initiative-Lieferkettengesetz-Rechtliche-Stellungnah­
        me-zum-RegE_Stand-19.3.21.pdf

    Impressum
    Lieferkettengesetz: Aufstand der Lobbyisten

    Herausgeber:                                 Herausgeber:                                       Herausgeber:
    Bischöfliches Hilfswerk                      Brot für die Welt                                  Global Policy Forum Europe e. V.
    MISEREOR e. V.                               Evangelisches Werk für Diakonie                    Königstraße 37 a
    Mozartstraße 9                               und Entwicklung e. V.                              53115 Bonn
    52064 Aachen                                 Caroline-Michaelis-Straße 1                        europe@globalpolicy.org
    info@misereor.de                             10115 Berlin                                       www.globalpolicy.org
    www.misereor.de                              info@brot-fuer-die-welt.de                         Kontakt: Karolin Seitz
    Kontakt: Armin Paasch                        www.brot-fuer-die-welt.de
                                                 Kontakt: Maren Leifker

    Autor*innen: Armin Paasch und Karolin Seitz
    Redaktion: Johannes Heeg und Maren Leifker
    Layout: www.kalinski.media
    Aachen / Berlin / Bonn, April 2021                                     Eine Veröffentlichung im Rahmen der Initiative Lieferkettengesetz
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