Lieferkettengesetz: Aufstand der Lobbyisten - Misereor
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April 2021 Lieferkettengesetz: Aufstand der Lobbyisten von Armin Paasch und Karolin Seitz 1. EINFÜHRUNG Handelsblatt.2 Ein Aufstand, der sich auch gegen Kanzlerin Merkel und Wirtschaftsminister Alt- Anfang März 2021: Die Bundesregierung be- maier richtet, die den Kompromiss mit beschlos- schließt ihren Entwurf für ein Lieferkettengesetz, sen hatten. Ihre Forderungen betreffen nicht nur auf den sich die Bundesminister Hubertus Heil, einzelne Aspekte, sondern stellen das gesamte Vor- Peter Altmaier und Gerd Müller bereits im Feb- haben in Frage, zu dem sich die Bundesregierung ruar geeinigt hatten. Auf der Pressekonferenz vom bereits im Koalitionsvertrag verpflichtet hatte. 12. Februar ist den Ministern ihre Erleichterung anzumerken. Der Einigung war ein monatelanges Was ist in diesen drei Wochen passiert? Dieser und zähes Ringen vorausgegangen. „Das ist ein Frage geht das vorliegende Briefing auf den Grund. guter Tag“, lobte auch Wirtschaftsminister Alt- Zur Einordnung zeichnet es zunächst nach, an wel- maier den „vernünftigen Kompromiss“. Die gro- chen Stellen der von der Regierung beschlossene ßen Wirtschaftsverbände hatten zuvor alle Kräfte Entwurf gegenüber früheren Plänen bereits abge- mobilisiert, um einen bekannt gewordenen Ent- schwächt wurde und wie zufrieden große Unter- wurf des Bundesentwicklungsministeriums (BMZ) nehmensverbände darauf reagierten (Abschnitt 2). (Februar 2019) sowie die im März 2020 erstellten Kurze Zeit später vollziehen eben jene Verbände je- gemeinsamen Eckpunkte des BMZ und des Bun- doch eine 180-Grad-Wende, wie Abschnitt 3 aus- desarbeitsministeriums (BMAS) für das Sorgfalts- führt. Ihr neues Ziel ist nun, dass auch die letzten pflichtengesetz zu verwässern.1 Mit Erfolg: Der be- wirksamen Elemente aus dem Gesetzentwurf ge- schlossene Regierungsentwurf ist an nahezu allen strichen werden, oder besser: das gesamte Vorhaben entscheidenden Stellen deutlich schwächer als die vollends zu Fall zu bringen. ursprünglichen Entwürfe. Abschnitt 4 arbeitet die Rolle des „Wirtschafts- Ende März 2021: Drei Wochen nach dem Kabinetts- rats der CDU“ heraus, der bereits am 12. Febru- beschluss erklärt der Wirtschaftsflügel der CDU/ ar die Abgeordneten der Union aufgerufen hatte, CSU-Bundestagsfraktion denselben für „nicht das „linksideologische“ Projekt im Bundestag zu zustimmungsfähig“. So nachzulesen in einem ge- stoppen. Der Wirtschaftsrat bildet eine zentra- meinsamen Beschluss der „Arbeitsgruppe Wirt- le Schnittstelle zwischen den großen Wirtschafts- BRIEFING schaft und Energie“ und des Vorstands des „Par- verbänden und der „Arbeitsgruppe Wirtschaft und lamentskreis Mittelstand“ der CDU/CSU-Bundes- Energie“ sowie dem Vorstand des „Parlamentskreis tagsfraktion vom 25. März 2021. „Verbände und Mittelstand“ der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Unionspolitiker proben den Aufstand“, titelte das 2 Streit um Lieferkettengesetz eskaliert: Verbände und Unionspolitiker proben den Aufstand, Handelsblatt, 25.3.2021: https://www. handelsblatt.com/politik/deutschland/sorgfaltspflichtengesetz-streit- 1 Vgl. Armin Paasch und Karolin Seitz: Wirtschaftslobby: Mit Falsch um-lieferkettengesetz-eskaliert-verbaende-und-unionspolitiker-proben- meldungen gegen das Lieferkettengesetz, Briefing der Initiative Liefer den-aufstand/27042874.html?share=twitter&ticket=ST-2479709- kettengesetz, Oktober 2020. eCNd5U5DyyNTqz2OpDyE-ap5
2 Briefing April 2021 Lieferkettengesetz: Aufstand der Lobbyisten Beide Gruppierungen – Arbeitsgruppe und Parla- ten. Dies wird zunächst im Anwendungsbereich mentskreis – übernehmen kurz darauf nahezu iden- deutlich. Die UNLP verlangen uneingeschränkt tisch die Positionen der großen Wirtschaftsverbän- von allen Unternehmen, ihre menschenrechtlichen de und veröffentlichen ihren Beschluss zeitgleich Sorgfaltspflichten in angemessener Weise umzuset- mit einem offenen Brief von 28 Wirtschaftsverbän- zen. den gegen das Lieferkettengesetz. » Der im Februar 2019 an die Öffentlichkeit ge- In der abschließenden Einordnung (Abschnitt 5) sickerte Entwurf des BMZ für ein Wertschöp- zeigt sich: Die Abgeordneten der „Arbeitsgruppe fungskettengesetz sah sowohl menschenrechtli- Wirtschaft und Energie“ sowie des „Parlaments- che als auch umweltbezogene Sorgfaltspflichten kreis Mittelstand“ betreiben mit ihrem Vorstoß für Unternehmen mit über 250 Beschäftigten eine klare Klientelpolitik, die private Gewinninte- und mehr als 40 Millionen Euro Jahresumsatz ressen über Menschenrechte und die Umwelt stellt. vor. Sie kommt nicht von ungefähr, denn zwischen dem Wirtschaftsflügel einerseits und dem Wirtschaftsrat » Die Eckpunkte des BMAS und BMZ von März und den Wirtschaftsverbänden andererseits gibt es 2020 sahen einen Anwendungsbereich für Un- personelle Überschneidungen auch an entscheiden- ternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitenden den Stellen. vor. All dies geschieht im Angesicht von nicht abrei- » Der Regierungskompromiss sieht vor, dass das ßenden Lobbyskandalen rund um die Unionspar- Gesetz ab Januar 2023 erstmal nur für Unter- teien: von den Masken-Deals über die angeblichen nehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitenden gel- Schmiergeldzahlungen autoritärer Regime an Ab- ten soll, ab 2024 für Unternehmen mit mehr als geordnete bis hin zu den Verstrickungen von Ab- 1.000 Beschäftigten. Eigenständige umweltbe- geordneten in den Wirecard-Skandal. zogene Sorgfaltspflichten sind nur in Bezug auf Quecksilber und persistente organische Schad- stoffe und damit nur einen Bruchteil der mögli- 2 . VOM VORSCHL AG DES chen Umweltgefahren vorgesehen. ENT WICKLUNGSM INISTERIUMS ZUM REGIERUNGSKOMPROMISS : Auch die Reichweite und der Umfang der zu eta- EINE CHRONIK DER VERWÄSSERUNG blierenden Sorgfaltspflicht verkürzte sich drastisch: Im Februar 2019 geriet ein erster Entwurf des BMZ » Der BMZ-Entwurf von 2019 und die Eckpunk- für ein damals noch „Wertschöpfungskettengesetz“ te von 2020 sahen vor, dass Unternehmen für benanntes Vorhaben an die Öffentlichkeit.3 Im Juni die gesamte Wertschöpfungskette, also nicht 2020 wurden Eckpunkte für ein „Sorgfaltspflich- nur die Produktion, sondern auch die Verwer- tengesetz“ bekannt, auf die sich BMAS und BMZ tung und Entsorgung ihrer Produkte in die bereits im März 2020 geeinigt hatten, die offiziell Pflicht genommen werden. aber nicht veröffentlicht wurden.4 Im März 2021 schließlich einigte sich die Bundesregierung auf » Der Gesetzentwurf der Regierung von 2021 einen Gesetzentwurf für ein Sorgfaltspflichtenge- nimmt die Unternehmen zunächst nur für setz.5 ihre direkten Zulieferbetriebe in die Pflicht. In Bezug auf mittelbare Zulieferer, also die tiefe- Vergleicht man die drei Dokumente, so wird re Lieferkette, wo typischerweise das Gros der schnell deutlich: Von Jahr zu Jahr entfernen sie sich schwerwiegenden Menschenrechtsverletzun- weiter von den UN-Leitprinzipien für Wirtschaft gen auftritt, sind Unternehmen nur anlassbe- und Menschenrechte (UNLP), die eigentlich die zogen verpflichtet: Selbst eine Risikoanalyse Grundlage für ein Lieferkettengesetz bilden soll- müssen sie erst durchführen, wenn sie Kenntnis von einer möglichen Verletzung bei mittelbaren Zulieferern erlangen. Dann ist es für die Risi- 3 https://media.business-humanrights.org/media/documents/files/ documents/SorgfaltGesetzentwurf_0.pdf koanalyse aber in der Regel zu spät. Diese Ein- 4 https://die-korrespondenten.de/fileadmin/user_upload/die- schränkung widerspricht somit dem präventiven korrespondenten.de/Lieferkettengesetz-Eckpunkte-10.3.20.pdf Ansatz der UNLP. 5 https://www.bmas.de/SharedDocs/Downloads/DE/ Gesetze/Regierungsentwuerfe/reg-sorgfaltspflichtengesetz. pdf;jsessionid=747EA18529DC0437CEDC1E92E59BD7B5.delivery1- Und schließlich verschwand die zivilrechtliche replication?__blob=publicationFile&v=2 Haftungsregel im Laufe der Jahre völlig:
3 Briefing April 2021 Lieferkettengesetz: Aufstand der Lobbyisten » Der BMZ-Entwurf sah eine zivilrechtliche ministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) Haftung vor: Wenn Unternehmen ihre Pflich- diese Auskünfte bisher immer erteilt hatte, lehn- ten missachten und dadurch Menschenrechte te es eine jüngere Anfrage vom 8. Dezember 2020 verletzt werden, sollten Betroffene nach deut- mit zwei Begründungen ab. Zum einen liege dem schem Recht und vor deutschen Gerichten auf BMWi eine Liste der Treffen mit Unternehmen Schadensersatz klagen können. Dies war auch in und Unternehmensverbänden nicht vor. Zudem den gemeinsamen Eckpunkten von BMAS und würden „bei einer Veröffentlichung der beantrag- BMZ vom März 2020 vorgesehen. ten Informationen die Beratungen der Behörden beeinträchtigt“. » Die zivilrechtliche Haftungsregel wurde im Regierungsentwurf hingegen auf Druck von Diese Begründung ist aus Sicht der Initiative Lie- Wirtschaftsminister Altmaier und Kanzlerin ferkettengesetz nicht nur widersinnig, sondern Merkel gestrichen.6 auch rechtswidrig, zumal die Beratungen der Be- hörden mit dem Kabinettsbeschluss vom 3. März Kein Wunder, dass Wirtschaftsminister Altmaier 2021 abgeschlossen wurden. Schließlich wurde sich am 12. Februar mit dem Verhandlungsergebnis nicht nach innerbehördlicher Kommunikation ge- zufrieden zeigte, „weil es uns gelungen ist, die Inte- fragt, sondern nach dem Austausch mit externen ressen des Menschenrechtsschutzes so voranzubrin- Dritten. Bemerkenswert ist, dass das BMWi nach gen, dass die berechtigten Interessen der Wirtschaft den jüngsten Debatten über Lobbyismus, Korrup dadurch nicht geschmälert und beeinträchtigt wor- tion und das Lobbyregister jetzt offenbar mit Blick den sind.“ 7 Diese umfassende Berücksichtigung auf das Liefer kettengesetz sogar jene Auskünfte wirtschaftlicher Interessen ist auf die jahrelan- verweigert, zu denen es bereits jetzt gesetzlich ver- ge, hochrangige und umfassende Lobbyarbeit der pflichtet ist. Bemerkenswert ist auch, dass das Bun- Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft und des deskanzleramt sehr wohl Auskunft über die bean- CDU-Wirtschaftsrats zurückzuführen. Die enge tragten Informationen erteilte, welche das BMWi Zusammenammenarbeit und gegenseitige Ab- verweigerte. stimmung zwischen Wirtschaftsminister Altmaier und der Wirtschaftslobby hat die Initiative Lie- Wie massiv einige Wirtschaftsverbände die „Bera- ferkettengesetz mit Blick auf das vorausgegangene tungen der Behörden“ über das Lieferkettengesetz menschenrechtliche Monitoring deutscher Unter- beeinflusst haben, lässt die Antwort der Bundesre- nehmen sowie das Gesetz selbst bereits in früheren gierung auf eine Schriftliche Frage des Bundestag- Briefings dokumentiert.8 sabgeordneten Michel Brandt erahnen.9 Demnach hat Wirtschaftsminister Altmaier allein zwischen Dezember 2020 und Februar 2021 in drei Telefo- 3. MASSIVE EINFLUSSNAHME naten und Videokonferenzen mit dem Präsidenten DER WIRTSCHAF TSLOBBY sowie dem Hauptgeschäftsführer von Gesamtme- tall (15. Dezember 2020), dem Präsidenten und Eine wichtige Quelle zur Beleuchtung dieser Ver- dem Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung bindungen bildeten die Antworten der Bundesmi- der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) (16. nisterien auf Auskunftsanfragen auf Basis des Infor- Dezember 2020) sowie abermals mit dem Haupt- mationsfreiheitsgesetzes (IFG). Das IFG verpflich- geschäftsführer der BDA, dem Präsidenten des tet Bundesministerien, den Antragsteller*innen Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), über ihre Treffen und Korrespondenz mit externen dem Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Akteuren etwa zu Gesetzgebungsprozessen umfas- Deutschland (HDE) und dem Hauptgeschäftsfüh- send Auskunft zu erteilen. Während das Bundes- rer des Deutschen Industrie und Handelskammer- tags (DIHK) (12. Februar 2021) über das Liefer- kettengesetz gesprochen. Über mögliche weitere 6 Peter Altmaier auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundesminis Treffen der Wirtschaftsvertreter*innen mit Staats- ter Hubertus Heil und Gerd Müller am 12.2.2021: https://www.youtube. com/watch?v=R92jdOz1Ym8 sekretär*innen, Abteilungs- oder Referatsleiter*in- 7 Ebd. nen sowie die Korrespondenz erteilt das BMWi in 8 Vgl. Armin Paasch und Karolin Seitz: Verwässern – Verzögern – Verhin der Antwort auch gegenüber dem Bundestag keine dern: Wirtschaftslobby gegen Menschenrechte und Umweltstandards, Briefing der Initiative Lieferkettengesetz, Juli 2020; sowie: Armin Auskunft. Paasch und Karolin Seitz: Wirtschaftslobby: Mit Falschmeldungen gegen das Lieferkettengesetz, Briefing der Initiative Lieferkettengesetz, Oktober 2020; und Karolin Seitz (2019): Sorgfältig verwässert: Wie die 9 Antwort der Bundesregierung vom 30.4.21 auf die Schriftliche Frage des Wirtschaftsverbände versuchen, ein Lieferkettengesetz zu verhindern, Abgeordneten Michel Brandt (Drucksache 19/28193, Frage 75, online Briefing im Rahmen der Initiative Lieferkettengesetz, November 2019. unter: https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/281/1928193.pdf)
4 Briefing April 2021 Lieferkettengesetz: Aufstand der Lobbyisten Auch Kanzlerin Angela Merkel telefonierte am reich gegen die schlimmsten und sinnlosesten Vor- 11. Januar 2021 mit dem Präsidenten des DIHK stellungen gewehrt und Durchsetzungskraft bewie- und hielt am folgenden Tag eine Videokonferenz sen”. Wichtig sei, dass Haftungsregeln verhindert mit dem Präsidenten der BDA, Rainer Dulger. Wie wurden und dass Unternehmen nur für das erste aus der Antwort des Bundeskanzleramts auf die er- Glied ihrer Lieferkette direkt verantwortlich sind.11 wähnte IFG-Anfrage hervorgeht, hatte Kanzlerin Merkel auch am 31. August 2020 bereits mit dem Auch die WirtschaftsVereinigung Metalle (WV- damaligen BDA-Präsidenten Ingo Kramer ein Ge- Metalle) begrüßte den „Realismus“ des Gesetzent- spräch über das Lieferkettengesetz geführt sowie wurfs.12 Ähnlich zufrieden zeigte sich BDI-Präsi- am 4. November 2020 an einer Videokonferenz dent Siegfried Russwurm: „Mit dem Verzicht auf „mit Mitgliedern des gemeinsamen Präsidiums von eine zivilrechtliche Haftung jenseits der existieren- BDA und BDI“ über das Lieferkettengesetz teilge- den Haftungsregeln vermeidet die Bundesregie- nommen. Darüber hinaus erwähnt die Antwort auf rung einen Konstruktionsfehler und setzt dennoch die Schriftliche Frage einen Hinweis auf die Korres wichtige Akzente im Kampf gegen Menschen- pondenz zwischen Kanzleramtsminister Helge rechtsverletzungen.“ 13 Braun und dem Hauptgeschäftsführer der BDA, Steffen Kampeter, am 18. Februar und 2. März 2021. Dass die Spitzenverbände zu diesem Zeitpunkt über die Details des Kompromisses im Bilde waren, darf Die Auflistung zeigt, dass sich Wirtschaftsminister als gesichert gelten. Hatten sie sich doch just am Altmaier und Kanzlerin Merkel seit Sommer letz- 12. Februar 2021, also am Tag der gemeinsamen ten Jahres in dichter Folge persönlich mit den Spit- Pressekonferenz der Bundesminister Heil, Mül- zen der Wirtschaftsverbände über das Lieferketten- ler und Altmaier, mit Letzteren in einem Telefo- gesetz ausgetauscht haben. Gesprächsanfragen von nat eigens darüber ausgetauscht. Die Wirtschafts- Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaf- verbände waren zu dem Zeitpunkt also zufrieden, ten an Kanzlerin Merkel sowie Staatssekretäre im zahlreiche ihrer Forderungen wurden erfüllt. Bundeswirtschaftsministerium in der entscheiden- den Phase wurden hingegen abgelehnt bzw. an die Erstaunlich ist daher, dass die Verbände drei Wo- Arbeitsebene heruntergereicht. Auffällig häufig chen nach der Verkündung des Kompromisses eine war an diesen Gesprächen mit Altmaier und Merkel Kehrtwende um 180 Grad vollzogen. Als die Bun- der BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter desregierung am 3. März 2021 ihren Kompromiss beteiligt, der vor seinem Wechsel zur BDA in den offiziell beschließt und der Öffentlichkeit vorstellt, Jahren 2009 bis 2015 parlamentarischer Staatssekre- verreißen die Wirtschaftsverbände den Gesetzent- tär im Bundesministerium für Finanzen (BMF) war wurf als „nicht umsetzbar“ und, wie es die BDA und daher über beste Verbindungen in der Union am 3. März ausdrückt, einen „gefährlichen natio- sowie der Bundesregierung verfügt. nalen Sonderweg“.14 Auch Gesamtmetall bezeich- nete den Gesetzentwurf als „juristisches Flickwerk mit völlig realitätsfernen Vorstellungen“.15 Mögli- 4 . FREUDE ÜBER DEN K ABINET TS cherweise beflügelt vom Erfolg bei der bisherigen BESCHLUSS UND DIE ANSCHLIESSENDE Verwässerung des Entwurfs, hatten die Lobbyisten KEHRT WENDE offenbar beschlossen, von ihrer positiven Haltung abzurücken, und zielten jetzt darauf ab, den Ge- Angesichts dieser Vorzugsbehandlung der Wirt- setzentwurf vollends zu Fall zu bringen. schaftsverbände bei den Verhandlungen über das Lieferkettengesetz verwundert es kaum, dass die- selben Verbände überwiegend erleichtert auf den am 12. Februar 2021 verkündeten Kompromiss 11 https://www.absatzwirtschaft.de/lieferkettengesetz-minimalkonsens- zwischen den drei federführenden Bundesminis- oder-historischer-durchbruch-177840/ 12 https://www.wvmetalle.de/presse/artikeldetail/?L=0&tx_ tern reagierten und lobende Worte für Wirtschafts- artikel_feartikel%5Bartikel%5D=7660&tx_artikel_ minister Altmaier fanden. So bezeichnete der Ge- feartikel%5Bback%5D=presse%2Fpressemitteilungen% samtmetall-Hauptgeschäftsführer Oliver Zander 2F%3FL%3D0&tx_artikel_feartikel%5Baction %5D=show&cHash=214d2367c2ad7dbf899786292d9a005f den Kompromiss als deutlichen Fortschritt gegen- 13 https://www.sueddeutsche.de/leben/soziales-regierungskreise- über den bisherigen „weltfremden Vorstellungen“ einigung-auf-lieferkettengesetz-dpa.urn-newsml-dpa- aus BMAS und BMZ.10 Altmaier habe „sich erfolg- com-20090101-210212-99-410660 14 https://arbeitgeber.de/lieferkettengesetz-mit-heisser-nadel-gestrickt- gefaehrlicher-nationaler-sonderweg/ 10 https://www.absatzwirtschaft.de/lieferkettengesetz-minimalkonsens- 15 https://www.gesamtmetall.de/themen/europa-internationales/ oder-historischer-durchbruch-177840/ sorgfaltspflichtengesetz-ist-juristisches-flickwerk-mit-voellig
5 Briefing April 2021 Lieferkettengesetz: Aufstand der Lobbyisten Am 25. März gingen 28 Wirtschaftsverbände aufs » Einschränkungen der Kontrollmöglichkeiten Ganze: In einem gemeinsamen Schreiben forder- durch und Auskunftspflichten gegenüber dem ten sie alle Bundestagsabgeordneten dazu auf, den Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrol- Gesetzentwurf in zahlreichen Punkten nachzubes- le vorzunehmen. sern.16 Sollte dies nicht möglich sein, empfehlen sie die Unter anderem fordern sie, Ablehnung des Gesetzes. » den Umfang der geschützten Rechte weiter zu Inhaltlich nehmen es die 28 Wirtschaftsverbände in begrenzen und nur die im jeweiligen Produk- ihrem Schreiben nicht so genau. Sie argumentieren tionsland geltenden Standards in der Sorgfalts- vielfach mit juristischen Plattitüden, etwa der feh- pflicht zu berücksichtigen; lenden Bestimmtheit des Maßstabs angemessener Sorgfalt. Dabei ist die Verwendung unbestimmter » nur Beiträge in unmittelbarem Zusammenhang Rechtsbegriffe bei Gesetzen als abstrakt-generellen zum Verstoß zu erfassen; Regelungen eine Selbstverständlichkeit und Unter- nehmen aus dem Gesellschaftsrecht bekannt. So ist » die Sorgfaltspflicht vollends auf unmittelbare etwa in § 93 Abs. 1 des deutschen Aktiengesetzes Zulieferer zu begrenzen; (AktG) vorgesehen, dass Vorstandsmitglieder die „Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften » Geschäftstätigkeiten innerhalb Deutschlands Geschäftsleiters“ anzuwenden haben. Solche unbe- und der EU von dem Gesetz auszunehmen; stimmten Verhaltensmaßstäbe sind auch im Inter- esse von Unternehmen, da sie ihnen ermöglichen » die Schwellen zur Sanktionierbarkeit weiter an- selbst zu entscheiden, was das angemessene Maß an zuheben, vom Ausschluss der öffentlichen Auf- Sorgfalt ist.17 tragsvergabe abzusehen und die Höhe der Buß- gelder zu senken; Auch behaupten sie, der Gesetzentwurf würde weit über die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und » eine Positivliste („Whitelist“) mit Staaten, in Menschenrechte hinaus gehen – ohne sich daran zu denen die bestehenden Rechtsstandards kein stören, dass der Autor dieser Leitprinzipien, Prof. Risiko für Menschenrechtsverletzungen be- John Ruggie, der gegenteiligen Auffassung ist.18 gründen, zu erstellen; In einem Brief an die Minister Altmaier, Heil und Müller vom 9. März hatte Ruggie insbesondere in » auch in Deutschland tätige ausländische Unter- den folgenden Punkten Nachbesserungen gefor- nehmen in die Pflicht zu nehmen; dert, damit sich das Gesetz wie versprochen an den UN-Leitprinzipien orientiert: » statt eines „nationalen Alleingangs“ eine EU-weite Regulierung zu verfolgen; » Ausweitung der Unternehmenspflichten auf die gesamte Lieferkette; » die Aufnahme einer Auslauf klausel/Sun- set-Clause, also dass das nationale Gesetz bei » allgemeine Pflicht von Risikoanalysen entlang einer europäischen Regelung abgelöst wird und der gesamten Lieferkette und nicht nur im Fall die Aufschiebung des Inkrafttretens von 2023 von substantiierten Kenntnissen; auf 2025; » Pflicht zur Ermittlung von folgenschweren » den expliziten Ausschluss einer zivilrechtlichen menschenrechtlichen Risiken; Haftung im Gesetzestext festzuschreiben; » Verantwortung für die negativen Auswirkun- » d ie Einführung einer Prozessstandschaft zu gen der Geschäftstätigkeiten eines Unterneh- streichen; und mens muss unabhängig von der Einflussmög- lichkeit bestehen; 17 Die Initiative Lieferkettengesetz bereitet zu diesem und anderen juris tischen Fake News eine Gegenstellungnahme vor, die in den nächsten 16 https://bdi.eu/media/themenfelder/internationale_maerkte/ Wochen erscheint. downloads/20210325_Verbaendebrief_Sorgfaltspflichten_Lieferketten. 18 https://www.business-humanrights.org/de/neuste-meldungen/ pdf john-ruggie-lieferkettengesetz/
6 Briefing April 2021 Lieferkettengesetz: Aufstand der Lobbyisten » gewichtigere Rolle von Transparenz und positi- ginn der Debatte zu den vehementesten Gegnern ven Anreizen und Kooperation entlang der Lie- des Lieferkettengesetzes. Im Jahr 2020 äußerte er ferkettenbeziehungen; mehrmals seine deutliche Ablehnung gegenüber einem solchen Vorhaben 22 und machte seinen Ein- » explizite Pflicht für Unternehmen, potentiell fluss auf die Regierung geltend. Im Dezember 2020 Betroffene in den gesamten Sorgfaltspflichtpro- wähnte sich der Wirtschaftsrat offenbar schon am zess einzubeziehen.19 Ziel: In seiner Jahresbilanz für 2020 zählte er die Verhinderung des Lieferkettengesetzes zu seinen politischen Erfolgen: „In intensiven Gesprächen hat 5. WIRTSCHAF TSFLÜGEL DER UNION der Wirtschaftsrat erreicht, dass das Vorhaben eines UND CDU -WIRTSCHAF TSR AT nationalen Lieferkettengesetzes nicht wie geplant in einem Gesetzentwurf mündete.“ 23 Am 23./24. März fassten auch die „Arbeitsgruppe Wirtschaft und Energie“ und der Vorstand des „Par- Als die Bundesminister Heil, Müller und Altmai- lamentskreis Mittelstand“ der CDU/CSU-Bundes- er etwa zwei Monate später am 12. Februar die tagsfraktion einen Beschluss gegen das vorliegen- Einigung auf einen Entwurf zum Lieferkettenge- de Lieferkettengesetz, interessanterweise just einen setz bekannt gaben, reagierte der Wirtschaftsrat – Tag vor dem Versand des Briefs der 28 Wirtschafts- anders als die meisten Wirtschaftsverbände – mit verbände an alle Bundestagsabgeordneten. Darin einer scharfen Pressemitteilung. Darin bezeichnete kündigen sie an, dem Gesetz in der vorliegenden ihr Generalsekretär Wolfgang Steiger das Lieferket- Fassung im Bundestag nicht zuzustimmen. Ihre tengesetz als ein „linksideologisches Thema“ und Forderungen decken sich weitgehend mit den For- forderte die Unionsfraktion im Bundestag explizit derungen der 28 Wirtschaftsverbände. Erstmals öf- auf, „dieses Vorhaben zu stoppen“.24 Einiges spricht fentlich lanciert wurden der Brief der Wirtschafts- dafür, dass die AG Wirtschaft und Energie sowie verbände und der Beschluss des Wirtschaftsflügels der Parlamentskreis Mittelstand mit ihrem gemein- der Union gleichzeitig in einem Artikel des Han- samen Beschluss vom 23./24. März diesem Aufruf delsblatts vom 25. März.20 folgten. Dieses offenbar konzertierte Vorgehen von Lob- Denn auch zwischen dem Wirtschaftsrat und die- by-Verbänden und dem Wirtschaftsflügel der sen beiden Fraktionsgremien gibt es personelle Union ist kaum überraschend, wenn man sich die Überschneidungen an zentralen Stellen. So gehört personellen Überschneidungen vergegenwärtigt. Christian Freiherr von Stetten, der Vorsitzende des So sind die beiden stellvertretenden Vorsitzenden Parlamentskreis Mittelstand der Unionsfraktion, des Parlamentskreis Mittelstand Hans Michelbach zugleich dem Präsidium des Wirtschaftsrats an – und Marie-Luise Dött beide Mitglieder des Prä- ohne diese Tätigkeit jedoch auf seiner Internetseite sidiums des HDE, der zu den 28 Unterzeichnern aufzulisten.25 Auch Joachim Pfeiffer ist Vorstands- des Verbändebriefs gehört und sich auch in der Ver- mitglied im Landesverband Baden-Württemberg gangenheit regelmäßig gegen das Lieferkettenge- des Wirtschaftsrats der CDU. Bis zum 10. April setz ausgesprochen hatte. Hinzu kommt, dass der 2021 war Pfeiffer wirtschaftspolitischer Sprecher CSU-Politiker Hans Michelbach früher Vize-Prä- der Union sowie Vorsitzender der AG Wirtschaft sident der BDA war. Am 13. März 2021 forderte und Energie der Unionsfraktion im Bundestag. er von der Bundesregierung, ein Lieferkettengesetz Auch Pfeiffer äußerte bereits am 12. Februar schar- „ersatzlos“ zu streichen.21 fe Kritik an dem Kompromiss, dem sein eigener Zu dem Gleichklang zwischen Unionspolitiker*in- 22 Z.B. am 12.03.2020 in der WELT: https://www.wirtschaftsrat.de/ nen und dem Wirtschaftsflügel der Union dürfte wirtschaftsrat.nsf/id/wirtschaftsrat-positioniert-in-der-welt-gegen- auch der „Wirtschaftsrat der CDU“ entscheidend lieferkettengesetz-de, am 13.07.2020 (https://www.wirtschaftsrat. de/wirtschaftsrat.nsf/id/wirtschaftsrat-der-cdu-spricht-sich- beigetragen haben. Der Verband zählt seit Be- gegen-lieferkettengesetz-aus-de), am 25.08.2020 (https://www. wirtschaftsrat.de/wirtschaftsrat.nsf/id/wirtschaftsrat-lehnt- 19 Ebd. lieferkettengesetz-weiterhin-ab-de), am 28.10.2020 (https://www. 20 Streit um Lieferkettengesetz eskaliert: Verbände und Unionspolitiker wirtschaftsrat.de/wirtschaftsrat.nsf/id/lieferkettengesetz-realitaetsfern- proben den Aufstand, Handelsblatt, 25.3.2021: https://www. und-falsches-signal-in-der-krise-de) handelsblatt.com/politik/deutschland/sorgfaltspflichtengesetz-streit- 23 https://www.wirtschaftsrat.de/wirtschaftsrat.nsf/id/bilanz-2020- um-lieferkettengesetz-eskaliert-verbaende-und-unionspolitiker-proben- de/$file/Bilanz%20des%20Wirtschaftsrates%202020.pdf, S. 11 den-aufstand/27042874.html?share=twitter&ticket=ST-2479709- 24 PM vom 12.02.2020 (https://www.wirtschaftsrat.de/wirtschaftsrat.nsf/ eCNd5U5DyyNTqz2OpDyE-ap5 id/lieferkettengesetz-muss-im-bundestag-gestoppt-werden-de?open) 21 https://www.reuters.com/article/virus-deutschland-michelbach-idDEKB 25 https://www.wirtschaftsrat.de/wirtschaftsrat.nsf/id/praesidium- N2101W6 de?open&ccm=000100020005
7 Briefing April 2021 Lieferkettengesetz: Aufstand der Lobbyisten Wirtschaftsminister zugestimmt hatte. Das Liefer- den mit der Kanzlerin, dem Wirtschaftsminister kettengesetz bezeichnete er als „rein nationales Be- und dem Entwicklungsminister Vertreter*innen strafungsinstrument“, das zu einem „Kesseltreiben der eigenen Parteien erarbeitet haben. Die Fraktion gegen Unternehmen“ führe.26 würde Gewinninteressen von Unternehmen über Menschenrechte und die Umwelt stellen und dabei Nachdem ZEIT online über die Intransparenz sei- jene vielfältigen Stimmen aus der Wirtschaft igno- ner Nebentätigkeiten und möglicher Interessens- rieren, die nachhaltig und fair wirtschaften wollen, konflikte berichtet hatte 27 und angeblich durch ohne dafür Wettbewerbsnachteile gegenüber jenen einen Hackerangriff vertrauliche Finanzdaten von Unternehmen zu erleiden, die um jeden sozialen ihm veröffentlicht wurden, trat Pfeiffer am 10. und ökologischen Preis Kosten sparen. Sie würde April 2021 von seinem Amt als wirtschafts- und auch die vielen anderen Stimmen aus Bevölkerung, energiepolitscher Sprecher der Unionsfraktion zu- Wissenschaft, Gewerkschaften und Kirchen igno- rück.28 Grund für seinen Rücktritt war laut ZEIT rieren, die sich für ein Lieferkettengesetz und für online auch seine Ablehnung des Verhaltenskodex, den Schutz von Menschenrechten weltweit und den den die Unionsfraktion als Reaktion auf die Mas- Umweltschutz aussprechen. kenaffäre beschließen will.29 Die öffentliche Debatte und Konsultationen sowie Hervorzuheben ist, dass der Wirtschaftsrat der Aufrufe der Bundesregierung zu Stellungnahmen CDU e.V. kein formales Parteigremium der CDU der verschiedenen Interessengruppen zum Gesetz- ist, sondern ein Lobbyverband der Unternehmen entwurf werden zur Farce, wenn schließlich vor mit privilegiertem Zugang zur Parteispitze.30 Dem allem bestimmte privatwirtschaftliche Interessen in Präsidium gehören neben dem Vize-Präsidenten dem Entscheidungsprozess Berücksichtigung fin- Friedrich Merz unter anderen der UBS-Aufsichts- den. Und dies nicht zuletzt aufgrund der privile- ratsvorsitzende Roland Koch, die Vorstandsvor- gierten und etablierten Zugänge zu und der engen sitzenden der Deutschen Bank und Fraport sowie Verflechtungen zwischen der Wirtschaftslobby der CEO von SAP Deutschland und weitere Ver- und Personen in den höchsten Entscheidungsgre- treter*innen von Daimler, der Warburg-Bank mien der Fraktion. Vergleichbare Zugänge stehen und E.ON an. Der Verband zählt derzeit mehr als den zahlreichen Menschenrechts-, Entwicklungs-, 12.000 Mitglieder aus Politik und Wirtschaft mit Verbraucher- und Umweltorganisationen nicht engen Verbindungen zur CDU. Gerade im Bereich zur Verfügung, die für den Schutz von Umwelt der Klimapolitik attestiert die Organisation Lob- und Menschenrechten und für ein ambitioniertes bycontrol dem Verband großen (bremsenden) Ein- Lieferkettengesetz eintreten. fluss.31 Seit jeher stehen die Unionsparteien dafür, sich für eine starke Wirtschaft zu engagieren. Die Mitglie- 6. EINORDNUNG : DIE UNIONSFR AK TION – der des Parlamentskreis Mittelstand und der Ar- INTERESSENVERTRETERIN FÜR beitsgruppe Wirtschaft und Energie scheinen dabei BESTIMMTE TEILE DER WIRTSCHAF T jedoch vor allem auf bestimmte Stimmen zu hören, ODER ZUM WOHLE ALLER ? die längst nicht die Meinung aller Wirtschaftsver- treter*innen widergeben: Sollte sich die CDU/CSU-Bundestagsfrakt ion dazu entschließen, den Forderungen der „AG Wirt- » Nanda Bergstein, Direktorin Unternehmens- schaft und Energie“ und dem Vorstand des „Par- verantwortung bei Tchibo erklärt beispielsweise: lamentskreis Mittelstand“ zu folgen und den Ge- „Wir freuen uns, dass das monatelange Ringen setzentwurf im Bundestag abzulehnen, würde sie in der Bundesregierung um ein Lieferketten- sich nicht nur einem Kompromiss entgegenstellen, gesetz endlich zu einem positiven Ergebnis ge- führt hat.“ 32 26 https://www.joachim-pfeiffer.info/aktuell/lieferkettengesetz-fuehrt-zu- einem-kesseltreiben-gegen-unternehmen » Dem Bundesverband Nachhaltige Wirtschaft 27 Ebd. (BNW), einem Verband mit mehr als 400 28 https://www.zeit.de/politik/deutschland/2021-04/cdu-abgeordneter- joachim-pfeiffer-nebentaetigkeiten-bundestag-hackerangriff Unternehmen, geht das Lieferkettengesetz nicht 29 Ebd. weit genug. Er hat daher eine Kampagne für 30 https://www.zeit.de/wirtschaft/2021-03/cdu-lobbyismus- wirtschaftsrat-lobbycontrol-einflussnahme und https://www. lobbycontrol.de/wp-content/uploads/Lobbycontrol-Studie- Wirtschaftsrat-Klimabremser.pdf 31 Ebd. 32 https://www.bmz.de/de/entwicklungspolitik/lieferkettengesetz
8 Briefing April 2021 Lieferkettengesetz: Aufstand der Lobbyisten ein ambitionierteres Gesetz gestartet.33 Es soll Die Initiator*innen der Stellungnahme, darunter die gesamte Wertschöpfungskette umfassen, Prof. Elisabeth Fröhlich und Prof. Hansjörg Herr, auch für kleinere Unternehmen gelten und ex- entkräften die Behauptung, dass ein Lieferketten- plizit auch Umweltstandards berücksichtigen gesetz in Corona-Zeiten eine zu große Belastung – alles Anforderungen, welche die BNW-Mit- für die deutsche Wirtschaft darstelle: Mit einem gliedunternehmen bereits erfolgreich meistern. Leistungsbilanzüberschuss von 7 Prozent im BIP, BNW-Geschäftsführerin Dr. Katharina Reu- auch 2020, könne sich Deutschland ein solches ter kritisiert das Schreiben der 28 Verbände als Gesetz durchaus leisten.39 Andere führende Öko- „rückschrittlich“. Jahrelang habe man dort ver- nomen wie Marcel Fratzscher, Präsident des Deut- sucht, das Thema auszusitzen. „Unglaublich, schen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), dass der BDI jetzt seine massive Lobby-Blocka- sowie Achim Truger, Mitglied der sogenannten de gegen das Lieferkettengesetz fortsetzt – nun „Wirtschaftsweisen“, teilen diese Auffassung. mit infamen Schein-Argumenten beispielsweise aus entwicklungspolitischer Perspektive“.34 Zugleich begrüßen die katholische ebenso wie die evangelische Kirche die Einigung auf ein Lieferket- » Auch das Argument der Belastungen und Wett- tengesetz; ihnen geht der Gesetzentwurf aber nicht bewerbsnachteile durch ein Lieferkettenge- weit genug.40 In einer repräsentativen Umfrage von setz ist keinesfalls so eindeutig wie das gerne Infratest dimap sprachen sich zudem 75 Prozent der von den Gegner*innen des Gesetzes dargestellt Bürgerinnen und Bürger für ein Lieferkettenge- wird: „Wir haben aktuell Wettbewerbsnachtei- setz aus. Gerade auch unter den CDU/CSU-An- le, da wir freiwillig in Entwicklung und Her- hängern gab es große Zustimmung (75 %) für ein stellung von umweltfreundlichen Produkten in- solches Gesetz, das auch Klagemöglichkeiten vor vestieren, die unter fairen Bedingungen produ- deutschen Gerichten für Betroffene aus dem Aus- ziert werden“, erklärt beispielsweise Vaude-Ge- land ermöglicht.41 schäftsführerin Antje von Dewitz und fordert daher ein ambitionierteres Lieferkettengesetz.35 Ebenso hatten bereits Mitglieder der CDU/ CSU-Fraktion, beispielsweise der stellvertretende Bereits im Januar 2021 hatten sich 70 Ökonom*in- Fraktionsvorsitzende Hermann Gröhe, den Gesetz- nen für ein Lieferkettengesetz mit weitreichenden entwurf als „guten Kompromiss“ anerkannt.42 Der Vorgaben ausgesprochen. Sie argumentieren, dass CDU-Abgeordnete Prof. Dr. Matthias Z immer ein deutsches Lieferkettengesetz zwar vorerst zu hatte sich bereits im Oktober 2020 für ein star- zusätzlichen Investitionskosten für Unternehmen kes Gesetz ausgesprochen.43 Der CSU-Abgeord- führt. „Diese können jedoch als verhältnismäßig nete Dr. Wolfgang Stefinger begrüßt den Gesetz- gering eingeschätzt werden. Zudem ist zu erwarten, entwurf ebenfalls.44 Auch die Frauen-Union be- dass die Kosten teilweise kompensiert werden (…)“, wertete den Vorschlag als „Erfolg für Sozial- und heißt es in der Stellungnahme, die inzwischen über Umweltstandards entlang der Lieferkette von Pro- 130 Wirtschaftswissenschaftler*innen unterzeich- dukten sowie für Menschenrechte und gegen Kin- net haben.36 Der Vorteil eines Lieferkettengesetzes derarbeit.“ 45 sei deutlich: „Alle Standardmodelle des internati- onalen Handels besagen, dass positive Wohlfahrts effekte für alle nur erreicht werden können, wenn verantwortungslose Geschäftspraktiken verhindert und Verlierer der Globalisierung kompensiert wer- den.“ 37 Die Wissenschaftler*innen betonen, dass sich ein Lieferkettengesetz und langfristiger wirt- schaftlicher Erfolg keineswegs ausschließen.38 39 https://fashionunited.de/nachrichten/business/ wirtschaftswissenschaftlich-sinnvoll-oekonomen-plaedieren-fuer- lieferkettengesetz/2021011338782 40 https://www.evangelisch.de/inhalte/182500/12-02-2021/kirchen- 33 https://www.bnw-bundesverband.de/blog/2021/03/26/kampagne- hoffen-auf-staerkeres-lieferkettengesetz fuer-wirkungsvolles-lieferkettengesetz/ 41 https://www.germanwatch.org/sites/default/files/Umfrage%20von%20 34 Ebd. infratest%20dimap%20im%20Auftrag%20von%20Germanwatch%20 35 https://www.bnw-bundesverband.de/blog/2021/03/26/kampagne- e.V..pdf fuer-wirkungsvolles-lieferkettengesetz/ 42 https://www.cducsu.de/presse/pressemitteilungen/guter-kompromiss- 36 https://lieferkettengesetz.de/oekonominnen-statement/, Stand: beim-lieferkettengesetz 12.04.2021 43 https://www.matthias-zimmer.de/aktuelles/archiv/ein- 37 Ebd. lieferkettengesetz-ist-noetig-und-machbar/ 38 https://lieferkettengesetz.de/2021/01/13/70-oekonominnen-fordern- 44 https://wolfgang-stefinger.de/einigung-beim-lieferkettengesetz-11833/ lieferkettengesetz/ 45 https://twitter.com/frauenunion/status/1360176398414053378
9 Briefing April 2021 Lieferkettengesetz: Aufstand der Lobbyisten 7. FA ZIT Für Kanzlerin Merkel, Wirtschaftsminister Alt- maier und Entwicklungsminister Müller stellt sich nun die Herausforderung, den Koalitionsvertrag und Beschluss gegenüber den überzogenen Forde- rungen des Wirtschaftsflügels und der Verbände zu verteidigen. Gerade im Angesicht der für Septem- ber 2021 anstehenden Bundestagswahlen gefähr- den dieser fraktionsinterne Streit und ein Bruch des Koalitionsvertrags die Glaubwürdigkeit und Ver- lässlichkeit der Union. Die Initiative Lieferkettengesetz fordert darüber hi- naus wesentliche Nachbesserungen gegenüber dem im Kabinett beschlossenen Regierungsentwurf. Dazu gehört eine vollumfängliche Sorgfaltspflicht der Unternehmen für die gesamte Wertschöpfungs- kette, eine explizite Regelung zur zivilrechtlichen Haftung sowie eine stärkere Berücksichtigung von Umweltstandards und Geschlechtergerechtigkeit.46 Die von der Wirtschaftslobby durchgesetzte totale Verfremdung des ursprünglichen Anliegens muss korrigiert werden, damit das Gesetz den Betrof- fenen von Menschenrechtsverletzungen und der Umwelt einen effektiven Schutz bietet. 46 Rechtliche Stellungnahme zum Regierungsentwurf „Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten“, Initiative Liefer kettengesetz, 19.3.2021: https://lieferkettengesetz.de/wp-content/ uploads/2021/03/Initiative-Lieferkettengesetz-Rechtliche-Stellungnah me-zum-RegE_Stand-19.3.21.pdf Impressum Lieferkettengesetz: Aufstand der Lobbyisten Herausgeber: Herausgeber: Herausgeber: Bischöfliches Hilfswerk Brot für die Welt Global Policy Forum Europe e. V. MISEREOR e. V. Evangelisches Werk für Diakonie Königstraße 37 a Mozartstraße 9 und Entwicklung e. V. 53115 Bonn 52064 Aachen Caroline-Michaelis-Straße 1 europe@globalpolicy.org info@misereor.de 10115 Berlin www.globalpolicy.org www.misereor.de info@brot-fuer-die-welt.de Kontakt: Karolin Seitz Kontakt: Armin Paasch www.brot-fuer-die-welt.de Kontakt: Maren Leifker Autor*innen: Armin Paasch und Karolin Seitz Redaktion: Johannes Heeg und Maren Leifker Layout: www.kalinski.media Aachen / Berlin / Bonn, April 2021 Eine Veröffentlichung im Rahmen der Initiative Lieferkettengesetz
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