MAGAZIN - HARTZ IV FERN JEDER REALITÄT SOVD BEGRÜßT VORSCHLÄGE ZUR ÜBERFÄLLIGEN ANHEBUNG DER REGELSÄTZE IN DER GRUNDSICHERUNG - SOZIALVERBAND ...

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MAGAZIN - HARTZ IV FERN JEDER REALITÄT SOVD BEGRÜßT VORSCHLÄGE ZUR ÜBERFÄLLIGEN ANHEBUNG DER REGELSÄTZE IN DER GRUNDSICHERUNG - SOZIALVERBAND ...
Februar
                                                     2021

                          Magazin
      Herausgegeben vom Sozialverband Deutschland

     Hartz IV fern jeder Realität
  SoVD begrüßt Vorschläge zur überfälligen
Anhebung der Regelsätze in der Grundsicherung
MAGAZIN - HARTZ IV FERN JEDER REALITÄT SOVD BEGRÜßT VORSCHLÄGE ZUR ÜBERFÄLLIGEN ANHEBUNG DER REGELSÄTZE IN DER GRUNDSICHERUNG - SOZIALVERBAND ...
2     Über uns                                                                                                                                                                                 Inhalt      3

    Eine starke Gemeinschaft                                                                        Mobilität für alle ermöglichen

    Der Sozialverband Deutschland (SoVD)               rungssysteme ein. Der Sozialstaat ist ein    Reform des Personenbeförderungsrech-
    vertritt die Interessen der Rentner, der           wichtiges Auffangnetz für die Menschen       tes muss Barrierefreiheit umsetzen.
    Patienten und gesetzlich Krankenversi-             – das zeigt sich gerade in Zeiten wirt-
    cherten sowie der pflegebedürftigen und            schaftlicher Krisen. Uns geht es auch um                                                Seite 4 –11
    behinderten Menschen. Wir setzen uns für           Chancengleichheit, zum Beispiel um die
    Ihre Rechte ein und bie-                                           Bildung und Ausbildung,                                                                 Hartz IV fern der Realität
    ten unseren Mitgliedern                                            die unsere Gesellschaft
    Beratungsstellen in ganz                                           behinderten und benach-                                                                 SoVD begrüßt Vorschläge zur Anhebung
    Deutschland. Dort erhal-                                           teiligten Kindern und Ju-                                                               der Regelsätze in der Grundsicherung.
    ten sie Hilfe bei Fragen                                           gendlichen bietet.
    zur gesetzlichen Kranken-,                                         Der SoVD ist eine starke                                                                                           Seite 12 – 19
    Renten- und Pflegeversicherung oder in             Gemeinschaft mit rund 600.000 Mitglie-
    behindertenrechtlichen Dingen. Soziale             dern. Bei uns können Sie sich engagieren
                                                                                                    „Mittendrin statt nur dabei!
    Gerechtigkeit steht im Mittelpunkt un-             und mit anderen gemeinsam aktiv wer-
    serer Arbeit. Wir setzen uns für den Aus-          den. Einer von über 2.000 Ortsverbänden      SoVD nimmt Stellung zu Gesetzentwurf,
    bau und den Erhalt der sozialen Siche-             befindet sich bestimmt auch in Ihrer Nähe.   der Verbesserungen für Menschen mit
                                                                                                    Behinderung vorsieht.

                                                                                                                                              Seite 20 – 29

                                                                                                                                                               Mehr Kinderkrankengeldtage
                                                                                                                                                               Ersatzleistung für berufstätige Eltern
                                                                                                                                                               und Alleinerziehende verdoppelt.

                                                                                                                                                                                          Seite 30 – 35

                                                                                                    Nähe neu denken
                                                                                                    Im Lockdown nicht alleine fühlen –
                                                                                                    Angebote von SoVD und Vereinen.

                                                                                                                                              Seite 36 – 47

    Die bundesweit über 600.000 Mitglieder des SoVD bilden eine starke Gemeinschaft.
                                                                                                    Foto Titelbild: penyushkin / Adobe Stock
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4   Sozialpolitik                                                                                                              Sozialpolitik            5

                    Reform des Personenbeförderungsgesetzes muss laut SoVD Barrierefreiheit konsequenter umsetzen

                     Abgefahren – Mobilität für alle ermöglichen

      Das Bundesverkehrsministerium
      will das Personenbeförderungs-
      recht modernisieren. Neben dem
      öffentlichen Personennahverkehr,
      Fernbussen oder Taxis betrifft das
      erstmals auch den sogenannten
      Bedarfsverkehr. Aus Sicht des SoVD
      muss der Gesetzgeber bei der Re-
      form allerdings noch nachbessern.
      Gerade zur Barrierefreiheit fehlen
      verbindliche Vorgaben und eine
      konsequente Umsetzung.

                                                                                                                 Foto: Zakharov Evgeniy / Adobe Stock

                                                                                                    Busse und Bahnen sollen zum 1. Januar
                                                                                                    2022 vollständig barrierefrei sein. Das
                                                                                                    gilt leider nicht, wenn im Nahverkehrs-
                                                                                                    plan Ausnahmen konkret begründet
                                                                                                    werden.
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6   Sozialpolitik                                                      Sozialpolitik           7

      Eine Gesellschaft sollte es allen     In ländlichen Regionen bleibt
      Menschen unabhängig von einer         Mobilität ein Problem
      Behinderung oder einer sonstigen      Das gilt in ähnlicher Weise für
      Einschränkung ermöglichen, sich       Taxis und für den „gebündelten
      frei in ihr bewegen zu können.        Bedarfsverkehr“, unter den zum
      Kurz: Mobilität bedeutet Teilhabe.    Beispiel Fahrdienste wie „Uber“
                                            fallen. Diese Angebote sind ge-
      Vorgaben zu Barrierefreiheit          rade für Menschen mit Behin-
      vielfach ohne Wirkung                 derungen wichtig, weil sie eine
      Vor diesem Hintergrund begrüßt        Beförderung von Tür zu Tür er-
      der SoVD einige Ansätze bei der       möglichen. Zu ihren Lasten macht
      Reform des Personenbeförde-           der Gesetzentwurf leider auch an
      rungsrechtes. So werden etwa die      dieser Stelle Kompromisse: Erst
      sogenannten Linienbedarfsver-         ab einer Gesamtzahl von 20 Fahr-
      kehre dem öffentlichen Personen-      zeugen innerhalb eines Unter-
      nahverkehr (ÖPNV) zugeordnet          nehmens etwa muss eines davon
      und damit ebenfalls zur Barriere-     überhaupt barrierefrei sein. Bei
      freiheit verpflichtet werden. Bei     Kleinbetrieben, die besonders in
      dieser Form der Beförderung wer-      ländlichen Regionen ihre Dienste
      den Fahrgäste auf vorherige Be-       anbieten, bleibt die Regelung also
      stellung zwischen Haltepunkten        wirkungslos. Der liniengebundene
      innerhalb eines Gebietes zu festen    ÖPNV stellt in diesen Fällen kaum
      Bedienzeiten „gebündelt“ beför-       eine Alternative dar, da dessen An-
      dert. Meist geschieht das nicht mit   gebote auf dem Land oftmals oh-
      Bussen, sondern mit kleinen Fahr-     nehin ausgedünnt sind.
      zeugen. Für diese aber schreibt
      die Reform weiterhin keine ein-
      heitlichen Standards zur Barriere-
      freiheit vor.
                                                         Foto: Rainer Fuhrmann / Adobe Stock

                                            Die geplante Reform führt nach Ansicht
                                            des SoVD leider nicht zu mehr barriere-
                                            freien Taxis.
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8   Sozialpolitik                          Sozialpolitik            9

                    Im Fernbus höchstens bis zur
                    Landesgrenze
                    Sind in einem Fernbus nicht min-
                    destens zwei Stellplätze für Roll-
                    stühle vorhanden, gilt dies künf-
                    tig als Ordnungswidrigkeit. Mit
                    Unverständnis reagiert der SoVD
                    jedoch auf das Vorhaben, diese
                    Pflicht auf den innerdeutschen
                    Verkehr zu beschränken. Fährt
                    ein Bus von Berlin über Hannover,
                    Hamm und Köln bis ins nieder-
                    ländische Venlo, wäre er demnach
                    von der Regelung ausgenommen.

                                         Foto: Kara / Adobe Stock

                    Fahrradfahren ist eine Alternative zum
                    ÖPNV, aber auch gefährlich und nicht
                    für jeden körperlich machbar.
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10   Sozialpolitik                                                   Sozialpolitik 11

       ÖPNV: verlässlich, bezahlbar und          Info
       barrierefrei?
       Unabhängig von der Verkehrsform        Die ausführliche Stellungnahme des
       nutzen immer mehr Fahrgäste            SoVD zur Reform des Personenbeför-
       Apps und andere digitale Ange-         derungsrechtes finden Sie online un-
       bote. Auch hier sollte es klare        ter: www.sovd.de. Klicken Sie dort im
       Vorgaben zur Barrierefreiheit ge-      oberen Menü erst auf „Publikationen“
       ben – von der Buchung bis zum          und dann auf „Stellungnahmen“.
       Bezahlvorgang. Für Menschen mit
       einem entsprechenden Bedarf ist
       es zudem natürlich wichtig, dass
       sie ein barrierefreies Fahrzeug ge-
       zielt bestellen können.
       Aus Sicht des SoVD kommt dem
       ÖPNV eine besondere Bedeutung
       für die Mobilität von Menschen zu.
       Dessen Angebote müssen verläss-
       lich, bezahlbar und barrierefrei zur
       Verfügung stehen. Um dies sicher-
       zustellen, braucht es neben den
       rechtlichen Rahmenbedingungen
       auf Bundesebene auch regulato-
       rische Steuerungsmöglichkeiten
       aufseiten der Länder und Kommu-
       nen.

                                                                 Foto: sururu / Adobe Stock

                                              Stufen und andere Barrieren machen
                                              eine Fahrt im ÖPNV selten zu einem
                                              Vergnügen.
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12   Titelthema                                                                                                                        Titelthema          13

                  SoVD begrüßt Vorschläge zur überfälligen Anhebung der Regelsätze in der Grundsicherung

                         Hartz IV fern jeder Lebensrealität

                                                                          Immer mehr Menschen sind im Alter arm. Viele von ihnen schon,
                                                                          während sie noch erwerbstätig sind – und dies nicht erst seit Corona.
                                                                          Auch Langzeitarbeitslosigkeit und prekäre Beschäftigungsformen
                                                                          nehmen zu. Sie stehen in fataler Wechselwirkung mit Verarmungs-
                                                                          prozessen. Die alarmierende Entwicklung ist aus Sicht des SoVD un-
                                                                          ter anderem eine Folge der Hartz-IV-Gesetze. Der Verband begrüßt,
                                                                          dass mit Vorschlägen aus der Politik nun Schwung in die Debatte
                                                                          einkehrt und erneuert seine Forderungen.

                                                                                                                             Foto: Gelmold / Adobe Stock

                                                                                                            Die realitätsferne Bemessung der
                                                                                                            Regelsätze im Arbeitslosengeld-II-
                                                                                                            Bezug und die Sanktionen stürzen
                                                                                                            viele Betroffene in Armut.
MAGAZIN - HARTZ IV FERN JEDER REALITÄT SOVD BEGRÜßT VORSCHLÄGE ZUR ÜBERFÄLLIGEN ANHEBUNG DER REGELSÄTZE IN DER GRUNDSICHERUNG - SOZIALVERBAND ...
14   Titelthema                                                       Titelthema           15

      Die Regelsätze schrittweise auf gut   Der Bundesarbeitsminister will nun
      600 Euro monatlich zu erhöhen, die    per Gesetz erreichen, dass die we-
      Sanktionen ersatzlos streichen. Das   gen Corona geltenden Regelungen
      ist der Vorschlag, den die Fraktion   stets während der ersten zwei Jah-
      der Grünen unter dem Titel „Hartz     re des ALG II-Bezuges gelten. Die
      IV überwinden – Garantiesiche-        Sanktionen für nicht kooperierende
      rung einführen“ eingebracht hat.      Leistungsbeziehende sollen eben-
      Die Garantiesicherung soll sowohl     falls per Gesetz entschärft werden.
      Arbeitslosen als auch Geringverdie-   Seit Langem schon kritisiert der
      ner*innen zuteilwerden. Eine einfa-   SoVD mit Nachdruck die realitäts-
      che Erklärung der Antragsteller*in-   ferne Bemessung der Hartz-IV-Re-
      nen würde demnach künftig eine        gelsätze und die aktuelle Sank-
      Vermögensprüfung ersetzen.            tionspraxis. „Dass nun endlich
      Auch Bundesarbeitsminister Huber-     Bewegung in die mehr als überfälli-
      tus Heil (SPD) plant Änderungen im    ge Anpassung der Hartz-IV-Gesetze
      Sinne der Betroffenen. Ein entspre-   kommt, ist ein gutes Signal an die
      chender Gesetzentwurf sieht einen     vielen Menschen, die das Vertrauen
      dauerhaft erleichterten Zugang zur    in den Sozialstaat längst verloren
      Grundsicherung vor, wie er momen-     haben“, stellt SoVD-Präsident Adolf
      tan aufgrund der Pandemie ermög-      Bauer fest. „Insbesondere Ältere,
      licht wird.                           Geringqualifizierte und Menschen
                                            mit Behinderung sind Leidtragen-
      Die in der Pandemie geltenden         de der Hartz-IV-Gesetzgebung –
      Regeln verlängern                     Personengruppen, die ohnehin die
      Aktuell sind die Prüfungen zu Mie-
      tausgaben und Vermögen ausge-
      setzt. Die Jobcenter prüfen nicht,
      wie groß eine Wohnung ist oder ob
                                                              Foto: Gehkah / Adobe Stock
      jemand Ersparnisse bis zu 60.000
                                            Gegenwärtig müssen immer mehr Men-
      Euro auf dem Konto hat; in Familien   schen Hartz IV beantragen. Die Umge-
      gelten pro Mitglied weitere, gerin-   wöhnung auf die karg bemessenen Sät-
      gere Freibeträge.                     ze fällt schwer.
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16   Titelthema                                                        Titelthema            17

      schlechtesten Chancen auf dem Ar-     Ausgaben wie zum Beispiel ein
      beitsmarkt haben und somit auch       Weihnachtsbaum, Haustiere oder
      nur geringe Chancen auf einen be-     Zimmerpflanzen als „nicht regel-
      ruflichen Neubeginn.“                 bedarfsrelevant“ aus dem Regel-
                                            satz herausgestrichen werden, sinkt
      Methodische Mängel sorgen für         das Niveau der zugrunde gelegten
      realitätsferne Ergebnisse             Bedarfe noch weiter. „Die realitäts-
      An der Hartz-IV-Gesetzgebung be-      ferne Bemessung der Regelsätze
      mängelt der SoVD vor allem, dass      befördert Millionen Betroffene in
      mit der derzeit angewandten Me-       prekäre Lebensverhältnisse“, stellt
      thode zur Regelbedarfsermittlung      SoVD-Vizepräsidentin Prof. Dr. Ursu-
      eine soziokulturelle Existenzsiche-   la Engelen-Kefer fest.
      rung nicht gewährleistet werden       Der SoVD setzt sich deshalb für
      kann: Das Verfahren weist erhebli-    eine Sachverständigenkommissi-
      che Mängel auf und verhindert des-    on ein, die konkrete Vorschläge für
      halb eine bedarfsgerechte Ausge-      die Ermittlung des soziokulturel-
      staltung der Regelsätze.              len Existenzminimums auf einer
      Methodische Schwachstelle ist,        adäquateren wissenschaftlicheren
      dass die Bedarfsermittlung zur        Grundlage erarbeitet.
      Festlegung der Regelsatzhöhen auf
      Basis der Konsumausgaben der un-
      teren 15 Prozent der Einpersonen-
      haushalte sowie des unteren Fünf-
      tels der Paarhaushalte mit einem
      Kind erfolgt.
      Die Ermittlung orientiert sich dem-
      nach an bereits vorhandenen Man-
                                                               Foto: Dragica / Adobe Stock
      gelverhältnissen.
                                            Wenn schon der Besitz von Zimmer-
      Weil überdies auch weiterhin          pflanzen aus dem Bedarf herausgerech-
                                            net wird, rutscht das Niveau der Re-
                                            gelsätze in der Grundsicherung weiter
                                            nach unten.
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18   Titelthema                                                          Titelthema 19

      SoVD begrüßt Klarstellung zu            jungen Menschen unter 25 Jah-
      Sanktionsregelungen                     ren zu beseitigen. „Es gibt keinen
      Zu reformieren sind aus SoVD-Sicht      vernünftigen Grund dafür, dass Ju-
      ebenso dringend die geltenden           gendliche und junge Erwachsene
      Sanktionsregelungen. Das hat der        gegenüber anderen Leistungsbe-
      Verband wiederholt in die Diskus-       ziehenden schlechtergestellt wer-
      sion eingebracht. Dabei müsse es        den“, so Bauer. „Wir dürfen den Start
      vor allem gelten, das Existenzmini-     in das Berufsleben nicht künstlich
      mum unbedingt zu gewährleisten;         erschweren.
      außergewöhnliche Härten soll-
      ten Grundsicherungsbeziehenden          Diskussion um Aussetzung von
      selbst bei Pflichtverletzungen nicht    Vermögensprüfung
      drohen, so die Forderung des SoVD.      Das im Konzept von Hubertus Heil
      Er schlägt stattdessen vor: „Wenn       angesprochene Ziel, die Grundsi-
      eine Kürzung des Regelbedarfs un-       cherung für Arbeitsuchende im SGB
      umgänglich ist, muss der Kürzungs-      II (Hartz IV) auf Dauer zugänglicher
      betrag durch Sachleistungen wie         und unkomplizierter zu machen,
      etwa Lebensmittelgutscheine aus-        wird derzeit intensiv diskutiert.
      geglichen werden.“                      Insbesondere das Vorhaben, im
      Der SoVD begrüßt insofern als           Rahmen eines vorübergehenden
      Schritt in die richtige Richtung die    Leistungsbezuges auf die Prüfung
      jetzt diskutierte Klarstellung zu den   „nicht erheblichen“ Vermögens zu
      Sanktionsregelungen, wonach eine        verzichten, sorgt dabei für Kontro-
      monatliche Minderung als Sanktion       versen.
      30 Prozent des maßgebenden Re-
      gelbedarfs nicht überschreiten darf.
      Außerdem mahnt der SoVD ein-
      dringlich, die Benachteiligung von

                                                                 Foto: auremar / Adobe Stock

                                              Junge Menschen im Hartz-IV-Bezug
                                              werden besonders hart sanktioniert.
20   Sozialpolitik                                                                                                            Sozialpolitik 21

                    SoVD nimmt Stellung zu Gesetzentwurf, der Verbesserungen für Menschen mit Behinderung vorsieht

                     Teilhaben heißt „mittendrin statt nur dabei“

       Kurz vor Weihnachten letzten Jah-
       res legte das Bundesministerium
       für Arbeit und Soziales den Refe-
       rentenentwurf für ein Gesetz zur
       Stärkung von Teilhabe vor. Dieses
       soll unter anderem das Budget für
       Ausbildung erweitern, Menschen
       mit Behinderungen besser vor Ge-
       walt schützen sowie deren Zugang
       zu Leistungen der Eingliederungs-
       hilfe oder zur Teilhabe am Arbeits-
       markt regeln. In einer vorläufigen
       Einschätzung nimmt der SoVD zu
       den geplanten Änderungen Stel-
       lung. Einzelne Maßnahmen sollen
       dabei noch in diesem Jahr in Kraft
       treten, das Gesetz insgesamt aber
       spätestens zum 1. Januar 2022.

                                                                                                                     Foto: mbruxelle / Adobe Stock

                                                                                                     Ob Behinderung oder Rehabilitation:
                                                                                                     Menschen sollen trotz bestehender
                                                                                                     Einschränkungen an der Gesellschaft
                                                                                                     teilhaben können. Diesem Anspruch
                                                                                                     will das Teilhabestärkungsgesetz ge-
                                                                                                     recht werden.
22   Sozialpolitik                                                                    Sozialpolitik 23

                     Mit dem Entwurf eines Teilhabe-       Schutzauftrag erfüllen.
                     stärkungsgesetzes will das Bun-       Der SoVD unterstützt das Vorha-
                     desministerium für Arbeit und         ben, den Begriff „Gewaltschutz“
                     Soziales in unterschiedlichen Be-     erstmals im SGB IX zu verankern. In
                     reichen eine bessere Teilhabe von     einigen Punkten allerdings ist die
                     Menschen mit Behinderungen er-        Neuregelung zu vage. So bleiben
                     möglichen. Wenn nicht anders be-      etwa zu deren Umfang sowie vor
                     zeichnet, bezieht sich der Großteil   allem hinsichtlich wirksamer Kon-
                     der Regelungen auf das Neunte         trollen und Sanktionen leider viele
                     Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX).       Fragen offen.
                     Dieses enthält Vorschriften zur
                     Rehabilitation und Teilhabe von       Nutzung von Apps bei der medizi-
                     Menschen mit Behinderungen in         nischen Rehabilitation
                     Deutschland.                          Versicherte der gesetzlichen Kran-
                                                           kenkassen haben einen Leistungs-
                     Begriff „Gewaltschutz“ gesetzlich     anspruch auf die Versorgung mit
                     verankert                             digitalen Gesundheitsanwendun-
                     Der Gesetzentwurf sieht vor, insbe-   gen. Dies soll nun in vergleichbarer
                     sondere Frauen und Mädchen mit        Weise auch bei der medizinischen
                     Behinderungen durch „geeignete        Rehabilitation gelten. Die Nut-
                     Maßnahmen“ künftig besser vor         zung entsprechender Anwendun-
                     Gewalt zu schützen. Rehabilitati-     gen muss nach Ansicht des SoVD
                     onsträger und Integrationsämter       dabei aber in jedem Fall freiwillig
                     sollen demnach darauf hinwirken,      erfolgen, ohne dass Betroffenen
                     dass die Leistungserbringer diesen    andernfalls Nachteile entstehen.

                                                                       Foto: krakenimages.com / Adobe Stock

                                                           Menschen mit Behinderung sind Gewalt
                                                           hilflos ausgesetzt, wenn sie nicht wis-
                                                           sen, wie sie sich wehren können.
24   Sozialpolitik                                                       Sozialpolitik 25

       Gleichzeitig müssen die Apps un-      („wesentliche Behinderung“). Auch
       bedingt auch barrierefrei zur Ver-    bei mit hoher Wahrscheinlichkeit
       fügung stehen, damit sie alle Men-    zu erwartenden wesentlichen Be-
       schen in gleicher Weise benutzen      hinderungen kann eine Leistungs-
       können.                               berechtigung bestehen.
                                             Bei der Neuregelung lässt der Ge-
       Ausweitung des Budgets für Aus-       setzgeber den leistungsberechtig-
       bildung vorgesehen                    ten Personenkreis grundsätzlich
       Auf den Zuspruch des SoVD trifft      unverändert und lehnt sich damit
       diese Neuregelung: Wer im Be-         an die Ergebnisse einer Arbeits-
       reich einer Werkstatt für behinder-   gruppe an. Das ist eindeutig auch
       te Menschen arbeitet, kann künf-      ein Erfolg für die politische Arbeit
       tig das Budget für Ausbildung in      des SoVD, weil die befürchteten
       Anspruch nehmen. Dieses umfasst       Zugangseinschränkungen für be-
       dann auch den Arbeitgeberanteil       stimmte Gruppen damit vom Tisch
       am     Gesamtsozialversicherungs-     sind. Der SoVD fordert darüber
       beitrag, den Beitrag zur Unfallver-   hinaus jedoch, den Zugang von
       sicherung und die erforderlichen      Menschen mit sehr hohen Unter-
       Fahrkosten. Zudem unterstützt         stützungs- und Pflegebedarfen zu
       künftig die Bundesagentur für Ar-     Leistungen der Eingliederungshilfe
       beit bei der Suche nach einem ge-     gesetzlich eindeutig zu verankern.
       eigneten Ausbildungsplatz oder
       nach einer geeigneten Einrichtung     Ausbildung und Mitnahme von
       der beruflichen Rehabilitation.       Assistenzhunden
                                             Menschen, die mit einem Assistenz-
       Zugang zu Leistungen der Einglie-     hund öffentliche Veranstaltungen
       derungshilfe
       Zugang zu Leistungen der Ein-
       gliederungshilfe erhalten künftig
                                                       Foto: Antje Lindert-Rottke / Adobe Stock
       Menschen, die wesentlich in der
                                             Der Zutritt mit einem Assistenzhund
       gleichberechtigten Teilhabe an der    wird oft verwehrt. Das soll per Gesetz
       Gesellschaft eingeschränkt sind       ausdrücklich erlaubt werden.
26   Sozialpolitik                                                     Sozialpolitik 27

       oder Einrichtungen betreten wol-
       len, stoßen oftmals auf Probleme.
       Ein entsprechendes Zutrittsrecht
       sowie Regelungen zur Ausbildung
       und Prüfung von Assistenzhunden
       sieht nun eine neue Regelung im
       Behindertengleichstellungsgesetz
       (BGG) vor. Die ebenfalls vorgesehe-
       ne Kennzeichnungspflicht für As-
       sistenzhunde hilft nach Meinung
       des SoVD dabei, das Zutrittsrecht
       effektiv umzusetzen.

       Aus der Rehabilitation auf den
       Arbeitsmarkt
       Langzeitarbeitslose und Menschen,
       die nach einem langen Erwerbsle-
       ben erkranken und beruflich nicht
       mehr aktiv sein können, haben
       nach einer Rehabilitation beim
       Wiedereinstieg ins Arbeitsleben oft
       erhebliche Schwierigkeiten. Ist für
       ihre Reha beispielsweise die Ren-
       tenversicherung zuständig, können
       sie nicht von öffentlich geförderten
       Beschäftigungsverhältnissen etwa
       nach SGB II (Teilhabe am Arbeits-
       markt) profitieren. Grund dafür ist,
       dass den Leistungen des Rehabili-
                                                                    Foto: Elnur / Adobe Stock

                                              Wer eine Behinderung hat, findet deut-
                                              lich schwerer einen Arbeitsplatz auf dem
                                              ersten Arbeitsmarkt.
28   Sozialpolitik                                                       Sozialpolitik 29

       tationsträgers ein strikter Vorrang    son selbst wünscht einen früheren
       zukommt.                               Termin.
       Damit ältere, gesundheitlich einge-
       schränkte Menschen mit Behinde-        Jobcenter bei Rehabilitation in die
       rungen und Rehabilitationsbedar-       Pflicht nehmen
       fen nicht unter diesem faktischen      Ebenfalls vorgesehen ist es, die
       Leistungsverbot leiden, sieht der      Jobcenter stärker in das Teilha-
       Gesetzgeber nun Ausnahmen vom          beplanverfahren einzubeziehen.
       absoluten Vorrang von Rehabilita-      Dies kann auch aus Sicht des SoVD
       tionsleistungen vor. Das hält auch     dazu beitragen, den Rehazugang
       der SoVD für sinnvoll.                 für Arbeitslose zu erleichtern und
       Mit großer Sorge betrachtet der        Leistungen besser zu koordinie-
       Verband dagegen die nun geplan-        ren. Zu diesem Zweck sollte der
       ten und deutlich weitergehenden        Gesetzgeber allerdings entspre-
       Ausnahmen zugunsten von Leis-          chende Ansprechstellen bei den
       tungen der Bundesagentur für Ar-       Jobcentern schaffen, die eine kom-
       beit und der Jobcenter. Die schnel-    petente Beratung gesundheitlich
       le Vermittlung in einfache Jobs darf   eingeschränkter und behinderter
       nicht den Rehabilitationserfolg in-    Menschen mit Rehabedarf sicher-
       frage stellen, übergeordnetes Ziel     stellen. Hierfür benötigen die Job-
       muss die nachhaltige Integration       center wiederum qualifiziertes
       Betroffener in den Arbeitsmarkt        Personal sowie eine angemessene
       sein. Damit es hierbei nicht zu Kon-   finanzielle Ausstattung.
       flikten kommt, schlägt der SoVD
       eine „Wartezeit“ von sechs Monaten
       nach Beendigung von Leistungen
                                                            Foto: lightwavemedia / Adobe Stock
       zur Rehabilitation und Teilhabe vor.
                                              Statt aufs „Altenteil“ geschoben zu wer-
       Erst danach sollte das strikte Leis-   den, wollen Arbeitslose zurück ins Ar-
       tungsverbot aufgehoben werden          beitsleben. Doch das Jobcenter ist bei
       – es sei denn, die betroffene Per-     der Vergabe von Rehas zögerlich.
30   Sozialpolitik                                                                                                                 Sozialpolitik 31

                             Bund und Länder verdoppeln Ersatzleistung für berufstätige Eltern und Alleinerziehende

                                             Kinderkrankengeldtage erhöht

                                                                                                           Kinderkrankengeld zahlt die ge-
                                                                                                           setzliche Krankenkasse norma-
                                                                                                           lerweise, wenn Eltern wegen der
                                                                                                           Pflege eines kranken unter 12-jäh-
       Die anhaltende Corona-Pande-                                                                        rigen Kindes nicht arbeiten gehen
       mie und der damit einhergehende                                                                     können. Es beträgt 90 Prozent des
       Lockdown belasten die Bevölke-                                                                      Nettoverdienstes.
       rung in hohem Maße. Zugespitzt                                                                      Diese Extratage sollen 2021 auch
       hat sich auch die angespannte                                                                       bei geschlossenen Schulen und
       Situation vieler Eltern und allein-                                                                 Kitas gewährt werden. Dabei soll
       erziehender Elternteile. Bund und                                                                   als Begründung grundsätzlich
       Länder haben deshalb beschlos-                                                                      ausreichen, dass der Zugang zur
       sen, die Zahl der Kinderkranken-                                                                    Kita eingeschränkt oder die An-
       tage in diesem Jahr pro Elternteil                                                                  wesenheitspflicht ausgesetzt ist.
       von 10 auf 20 zu verdoppeln, für                                                                    Als weiterer Grund gilt, wenn El-
       Alleinerziehende von 20 auf 40.                                                                     tern gebeten wurden, ihre Kinder
       Der SoVD begrüßt die Entschei-                                                                      nicht in die Kita zu bringen.
       dung, die immerhin für etwas Ent-                                                                   Das Kinderkrankengeld können
       lastung sorgen kann.                                                                                Eltern auch dann beantragen,

                                                                                                                          Foto: svitlychnaja / Adobe Stock

                                                                                                           Gleichzeitig arbeiten und Kinder be-
                                                                                                           treuen ist kaum möglich.
32   Sozialpolitik                                                     Sozialpolitik 33

       wenn sie theoretisch im Homeof-        plizierte gesetzliche Regelungen,
       fice arbeiten könnten – allerdings     die verhindern, dass Frauen ihren
       nur dann, wenn es im Haushalt          Beruf aufgeben müssen. Wenn uns
       keine andere Person gibt, die das      das nicht gelingt, drohen wir wie-
       Kind betreuen kann. Anspruch auf       der in alte Rollenmuster zurückzu-
       die unterstützende Leistung ha-        fallen, und das gilt es zu verhin-
       ben allein gesetzlich Versicherte.     dern.“

       Beschluss schnell und lebensnah        Finanzierung muss aus Steuer-
       umsetzen                               mitteln erfolgen
       „Die beschlossene Erweiterung          SoVD-Präsident Adolf Bauer be-
       der Kinderkrankengeldtage ist ein      tonte, mit der angekündigten Re-
       Schritt in die richtige Richtung. Es   gelung sei der richtige Weg ein-
       kann nicht sein, dass Eltern und       geschlagen worden, der Verband
       Alleinerziehende, die ihre Arbeit      sehe jedoch noch Korrekturbedarf.
       grundsätzlich zu Hause erbringen       „Die zusätzlichen Tage zur Kinder-
       können, unter dem Druck stehen,        betreuung für Berufstätige sind
       gleichzeitig arbeiten und Kinder       notwendig und richtig. Da es sich
       betreuen zu müssen“, begrüßte          um eine gesamtgesellschaftliche
       SoVD-Präsident Adolf Bauer die         Leistung handelt, muss die Finan-
       Maßnahme.                              zierung sofort aus Steuermitteln
       Jetzt müsse es darum gehen, den        erfolgen.“
       Beschluss schnell, unkompliziert
       und lebensnah umzusetzen, er-
       gänzte SoVD-Bundesfrauenspre-
       cherin Jutta König. „Der Lockdown
       im Frühjahr hat gezeigt, dass Hau-                      Foto: Tomsickova / Adobe Stock

       sunterricht und fehlende Notbe-        Viele Berufstätige müssen in der Pan-
                                              demie zu Hause „nebenbei“ die Kinder
       treuung für Kinder insbesonde-         betreuen. Werden sie auch noch krank,
       re zulasten von Frauen gehe. Wir       sind die gesetzlichen freien Krankenta-
       brauchen schnelle und unkom-           ge schnell aufgebraucht.
34   Sozialpolitik                                                                                                                               Sozialpolitik 35

               Schulen und Kitas noch zu                                   Fragen und Antworten

               Vor allem berufstätige Eltern mit jungen Kindern ste-       Was sind Kinderkrankentage?
               hen vor zusätzlichen Betreuungsproblemen. Das Sta-          Bei Kindern unter zwölf Jahren im eigenen Haushalt haben berufstätige Eltern
               tistische Bundesamt nannte im Januar 2021 für das           oder Alleinerziehende Anspruch darauf, für die Pflege ihres kranken Kindes
               Jahr 2019 die Zahl von rund fünf Millionen Paarfamili-      freigestellt zu werden – bei Kindern, die eine Behinderung haben, auch über
               en mit Kindern unter elf Jahren und mindestens einem        das 12. Lebensjahr hinaus. Arbeitnehmer*innen, die gesetzlich krankenversi-
               Erwerbstätigen, dazu 581.000 berufstätige Alleinerzie-      chert sind, erhalten als Lohnersatz ein Kinderkrankengeld von ihrer Kranken-
               hende mit jüngeren Kindern.                                 versicherung. So steht es im Paragraf 45 Sozialgesetzbuch.
               Bei zwei von drei der genannten Paare arbeiteten beide
               Elternteile. Von den Alleinerziehenden waren 90 Pro-        Was ist jetzt neu?
               zent Frauen und 41 Prozent arbeiteten Vollzeit. Nach        Kinderkrankentage können in 2021 auch dann in Anspruch genommen wer-
               weiteren Zahlen gingen 2019 in Deutschland rund 4,5         den, wenn das Kind nicht krank ist.
               Millionen Kinder in die Klassen 1 bis 6. Weitere 3,7 Mil-
               lionen Kinder wurden in Kindertagesstätten betreut.         Was ist dafür zu tun?
               Seit Mitte Dezember schon sind die meisten der              Eltern müssen einen Nachweis bei der Krankenkasse vorlegen. Dazu soll es
               mehr als 40.000 Schulen und nahezu 58.000 Kitas in          ein einfach auszufüllendes Musterformular geben, an dem die Krankenkas-
               Deutschland entweder komplett geschlossen oder es           sen und das Familienministerium noch arbeiten.
               konnte nur eine Notbetreuung angeboten werden. Vie-
               lerorts wurde die Anwesenheitspflicht ausgesetzt und        Was ist im Krankheitsfall?
               Eltern wurden gebeten, ihren Nachwuchs zu Hause zu          Wird das Kinderkrankengeld beantragt, weil das Kind krank ist, ist auch wei-
               lassen. Für Abschlussklassen, die vor den Prüfungen         terhin ein ärztliches Attest einzureichen, das die Notwendigkeit einer Versor-
               stehen, gibt es Ausnahmen. Wann die Einrichtungen           gung bestätigt.
               wieder öffnen können, ist unklar.
                                                                                                                                           Foto: DN6 / Adobe Stock
36   Sozialpolitik                                                                                                             Sozialpolitik 37

                     Wer im Lockdown alleine ist, muss sich nicht alleine fühlen – Angebote von Vereinen und dem SoVD

                           Nähe neu denken während der Pandemie

       Die Corona-Pandemie führte zu                                                                    mindestens in den Februar hinein
       einem Realitätsschock, der zeig-                                                                 bleiben auch große Einschränkun-
       te, wie leicht der scheinbar nor-                                                                gen im Alltag erhalten.
       male Alltag aus den Fugen gera-                                                                  Der Verzicht auf unnötige Wege,
       ten kann. Die psychischen Folgen                                                                 die Aufforderung so viel wie mög-
       dieser Belastung für die Men-                                                                    lich zu Hause zu bleiben – auch
       schen sind kaum absehbar. Doch                                                                   von dort zu arbeiten – und ma-
       es gibt Wege auch im Lockdown                                                                    ximal eine Person eines anderen
       am sozialen Leben teilzunehmen,                                                                  Haushalts zu treffen, kann zu Kon-
       beispielsweise durch spezielle                                                                   taktarmut führen. Die mancher-
       Hotlines. Der SoVD lebt die Ge-                                                                  orts geltenden Einschränkungen
       meinschaft ebenfalls über die Di-                                                                des Bewegungsradius verschärfen
       stanz.                                                                                           die Lage zusätzlich.
                                                                                                        Dass eine solche Extremlage, die
                                                                                                        scheinbare Selbstverständlichkei-
                                                                                                        ten aufhebt und eine völlig andere
                                                                                                        Form des Lebens erfordert, zu Ver-
                                                                                                        unsicherungen und psychischen
       Fast ein Jahr ist es her, dass die                                                               Problemen führen kann, ist aus
       Corona-Pandemie      Deutschland
       erreichte und das Land sowie das
                                                                                                                              Foto: olly / Adobe Stock
       Leben seiner Bevölkerung dras-
                                                                                                        Wegen Corona sind fast alle mehr zu
       tisch umkrempelte. Mit der Verlän-                                                               Hause. Gewohnte Kontakte müssen nun
       gerung einschneidender Maßnah-                                                                   anders gepflegt werden – beispielsweise
       men zur Pandemiebekämpfung bis                                                                   am Hörer.
38   Sozialpolitik                                                       Sozialpolitik 39

       der Psychologie bekannt. „Die Co-       SoVD-Gutachten belegt wachsen-
       rona-Pandemie während der Win-          de Einsamkeit
       termonate stellt alle Menschen vor      Wie Corona dazu beiträgt, dass
       eine schwierige und lange Phase         Einsamkeit ein verbreitetes Ge-
       der Unsicherheit, die für viele sehr    fühl ist, untersuchte der SoVD in
       belastend ist“, erklärte Dr. Dietrich   einem im Dezember veröffentlich-
       Munz, Präsident der Bundespsy-          ten Gutachten. Daraus geht hervor,
       chotherapeutenkammer (BPtK),            dass während der Pandemie Ein-
       bereits Ende Oktober 2020. Von          samkeitsgefühle deutlich zuge-
       einem harten Lockdown, wie er           nommen habe.
       derzeit praktiziert wird, war da-       „Menschen mit Behinderungen
       mals noch gar nicht die Rede.           oder chronischen Erkrankungen,
       Doch im Winter hat sich gezeigt,        Pflegebedürftige, Arbeitslose und
       dass nur konsequente Kontaktver-        Armutsbetroffene, darunter viele
       meidung zum Absenken der Infek-         Alleinerziehende, hatten und ha-
       tionszahlen führt.                      ben das Gefühl, sozial ausgegrenzt
       Der Satz von Blaise Pascal, ei-         und mit Ihren Sorgen und Nöten
       nem französischen Philosophen           allein zu sein“, fasste SoVD-Vize-
       aus dem 17. Jahrhundert, wonach         präsidentin Ursula Engelen-Kefer
       „das ganze Unglück der Menschen         die Ergebnisse zusammen.
       allein daher rührt, dass sie nicht      Glücklicherweise ist direkter und
       ruhig in einem Zimmer zu blei-          persönlicher Kontakt heute nicht
       ben vermögen“, klingt momen-            mehr an die körperliche Anwe-
       tan erstaunlich aktuell. Doch der       senheit gebunden. Und so hat das
       Mensch ist ein soziales Wesen und       Telefon als Kommunikationsmittel
       braucht den Austausch mit ande-         während der Pandemie wieder an
       ren.
       In Deutschland hat das nicht zu-
                                                              Foto: Peter Maszlen / Adobe Stock
       letzt die Debatte um die Besuchs-
                                               Fernsehen vertreibt für einige Zeit das
       regeln während der Weihnachts-          Gefühl der Einsamkeit. Es kann soziale
       feiertage gezeigt.                      Kontakte aber nicht ersetzen.
40   Sozialpolitik                                                   Sozialpolitik 41

       Bedeutung gewonnen. Nicht nur
       private und dienstliche Gespräche
       haben zugenommen. Auch soziale
       Dienste haben die Herausforde-
       rungen in der Pandemie zum An-
       lass genommen, ihr Angebot aus-
       zubauen.
       Einer davon ist die Hotline „Silber-
       netz“. Das telefonische, kostenfreie
       Gesprächsangebot für Senior*in-
       nen ab 60 Jahren gibt es bereits
       seit einiger Zeit im Berliner Raum.
       Der Lockdown zur ersten Pande-
       miewelle im März veranlasste die
       Macher*innen dahinter, das Pro-
       jekt bundesweit zu ermöglichen.
       Seitdem ist die Hotline täglich von
       8–22 Uhr unter 0800 / 4 70 80 90
       zu erreichen.

       Emotionale Nähe übers Telefon
       als Ausgleich
       Wie nötig dieses Angebot war, zei-
       gen Zahlen, die Silbernetz nach
       Weihnachten veröffentlichte. Al-
       lein zwischen Heiligabend und
       Neujahr, als die Hotline rund um
       die Uhr besetzt war, führten die
                                                                   Foto: ulza / Adobe Stock
       Ehrenamtlichen über 3.000 Tele-
                                              Senioren, die sich mit dem Internet
       fonate, die insgesamt fast 19.000      auskennen, haben die Möglichkeit, ihre
       Minuten dauerten – das entspricht      Liebsten per Video zu treffen.
42   Sozialpolitik                                                         Sozialpolitik 43

       13 Tagen Telefonieren am Stück.
       Im Vergleich zum Vorjahr verdop-
       pelte sich die Zahl der Anrufe. Das
       spricht dafür, dass ein solches
       Projekt, das Nähe und Austausch
       vermittelt, zur richtigen Zeit da ist.
       Ähnlich sieht das auch BPtK-Prä-
       sident Münz. Aus psychologischer
       Sicht komme es genau darauf an
       „körperliche Distanz mit sozialer
       und emotionaler Nähe und Unter-
       stützung zu verbinden“.
       Neben dem „Silbernetz“ gibt es
       beispielsweise auch den Münch-
       ner Verein Retla, dessen 350
       ehrenamtliche         „Telefonengel“
       Senior*innen während der Coro-
       na-Krise ihr Ohr leihen und sich
       mit ihnen austauschen.
       Auch für den Sozialverband
       Deutschland ist das Miteinander
       ein Eckpfeiler seiner Arbeit, einer
       seiner Leitsprüche lautet nicht
       umsonst „Gemeinsam statt ein-
       sam“. Die mannigfachen Beschrän-
       kungen haben die Tätigkeiten des
       Verbandes auf allen Ebenen und
       in allen Gliederungen beeinflusst
                                                                Foto: Peter Maszlen / Adobe Stock
       und an vielen Stellen zu Heraus-
                                                Der SoVD lässt seine Mitglieder in der
       forderungen geführt. Treffen der         Pandemie nicht alleine. Viele erhielten
       Orts- und Kreisverbände muss-            zum Beispiel zur Weihnachtszeit als Über-
       ten ausfallen, Wahlen verschoben         raschung ein kleines Präsent.
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       werden, und viele Ausflüge konn-      ein. Sie leben Solidarität aktiv und   übernehmen kann, die jedoch den
       ten nicht stattfinden.                unterstützen hilfsbedürftige Men-      Hilfesuchenden meist eine schwe-
       Dennoch zeigten        sich    die    schen. Gerade jetzt im Zuge der        re Last von den Schultern nimmt.
       SoVD-Gliederungen aktiv und kre-      pandemiebedingten Einschrän-           Nicht alle dieser Anregungen las-
       ativ im Umgang mit der Krise. Ob      kungen leistet Engagement einen        sen sich unter Pandemiebedin-
       Telefonketten, Besuchsservice, das    wichtigen Beitrag zur Förderung        gungen umsetzen. Doch gerade
       Verschicken von „Care“-Paketen        des gesellschaftlichen Miteinan-       jetzt benötigen einsame oder be-
       oder die Unterstützung karitativer    ders.“                                 sorgte Menschen, für die in der
       Einrichtungen: Die SoVD-Mitglie-      Außerdem publizierte der Verband       aktuellen Situation der Einkauf
       der fanden und finden viele Wege,     die Broschüre „Hand in Hand“. Dar-     oder der Gang zum Briefkasten zur
       sich und ihren Mitmenschen unter      in listet der SoVD 45 Anregungen       kaum zu überwindenden Heraus-
       die Arme zu greifen und Zusam-        und Ideen auf, um andere Men-          forderung wird, Hilfe und Unter-
       menhalt erfahrbar zu machen. Für      schen im Alltag zu unterstützen.       stützung. Für gemeinsames Sin-
       viele Mitglieder hieß das sicher      Helfen muss dabei nicht kompli-        gen, Spielen oder Basteln wird es
       auch, sich mit neuen technischen      ziert sein. Oft sind es nur Kleinig-   eine Zeit geben, wenn das Pande-
       Kommunikationsmitteln zu be-          keiten, die eine helfende Person       miegeschehen wieder im Griff ist.
       schäftigen, um sich verstärkt digi-
       tal auszutauschen.

       Im Alltag Gutes tun mit dem
       SoVD
       Zum Tag des Ehrenamtes am 5.
       Dezember lobte SoVD-Präsident
       Adolf Bauer das Engagement der
       SoVD-Mitglieder in dieser schwe-
       ren Zeit mit den Worten: „Auch der
       SoVD lebt vom Engagement seiner                                                                                             Foto: Ermolaev Alexandr / Adobe Stock

       Mitglieder. Ehrenamtliche setzen                                                                                 Eine Schachpartie mit dem Enkel? Das
                                                                                                                        ist mit digitaler Technik möglich.
       sich vor Ort für gleichberechtigte
       Teilhabe und soziale Gerechtigkeit
46   Sozialpolitik                                                          Sozialpolitik 47

         Info

          Broschüre des SoVD

       Die „Telefon-Engel“ sind unter Tel.:
       089 / 18 91 00 26 sowie online unter:
       www.retla.org/telefonengel erreichbar.
       Für das „Silbernetz“ gibt es bundes-
       weit die kostenfreie Rufnummer: 0800 /
       4 70 80 90, weitere Information unter:
       www.silbernetz.org.
       Wer die Arbeit dieser ehrenamtlichen
       Organisationen unterstützen oder sich
       selbst als Freiwillige*r melden will,
       kann dies über die Internetseiten tun.
                                                             Foto: Lightfield Studios / Adobe Stock
       Die Materialen des SoVD zum Tag
                                                Wer sich im Lockdown einsam fühlt und
       des Ehrenamtes sowie die Broschü-        Austausch braucht, kann sich an ehren-
       re „Hand in Hand“ stehen unter www.      amtliche Telefondienste wie das „Silber-
       sovd.de/tag-des-ehrenamts.de bereit.     netz“ oder die „Telefon-Engel“ wenden.
Mit spitzer Feder

    Was vom Ruhm bleibt

                                 Impressum

Das Online-Magazin erscheint monatlich in Ergänzung zur Mitglie-
derzeitung „Soziales im Blick“. Gelesen werden kann es online un-
ter www.sovd.de sowie (mit Zusatzfunktionen) über die App „SoVD Maga-
zin“. Herausgeber ist der Sozialverband Deutschland e. V. (SoVD), Stralauer
Straße 63, 10179 Berlin, E-Mail: redaktion@sovd.de, Telefon: 030 / 72 62 22 – 0.
Redaktion: Veronica Sina (verantwortlich), Joachim Schöne, Brigitte Grahl, Sebastian
Triesch, Denny Brückner, Eva Lebenheim.
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