Männer, die auf Torten starren - Warum Powerpoint nicht den Niedergang der freien Rede markiert
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Männer, die auf Torten starren Warum Powerpoint nicht den Niedergang der freien Rede markiert
2 Zwei Redner, zwei Bühnen, zwei Präsentationen. Redner Nummer eins – schwarzes Jackett, blaues Hemd, Föhnfrisur – betritt die Bühne und erweckt mit einem routinierten Tastendruck auf seinem Notebook den Beamer zum Leben. Der erste Slide erscheint auf der Leinwand: eine Überschrift. Schon dieser Titel, der auf der Leinwand fünf Zeilen braucht und die Gesetze der Grammatik neu interpretiert, lässt die Anwesenden Böses ahnen. Die ersten gähnen, während der Redner ein zweites Mal klickt. Die Erwartungshaltung der Zuhörer wird nicht enttäuscht: Die Aneinanderreihung kaum unterscheidbarer Diagramme und Stichpunktlisten, die nun folgt, ist so aufregend wie eine Kneipentour in Hinterpfuiteufel, wo es nur eine Kneipe gibt. Irgendwann ist der Spuk vorbei. Zwei Männer aus der letzten Reihe verlassen den Raum gemeinsam und gaukeln einander vor, sie hätten die Präsentation mit wachem Verstand verfolgt. Um der Behauptung ein Mindestmaß an Glaubwürdigkeit zu verleihen, raunt der eine dem anderen hinter vorgehaltener Hand zu: „Scheiß Powerpoint.“ Der andere nickt verschwörerisch und ergänzt: „Und die Summen in den Tortendiagrammen haben auch nicht gestimmt!“ Die andere Bühne. Redner Nummer zwei – schwarzes Jackett, blaues Hemd, Föhnfrisur – tritt mit ernster Miene vor sein Publikum. Während er spricht, werden an die Leinwand hinter ihm Slides mit animierten Grafiken projiziert. Der Mann brennt kein rhetorisches Feuerwerk ab; er beschränkt sich weitestgehend auf Fakten. Sachlich, fast nüchtern, trägt er eine Tatsache nach der anderen vor – ohne emotionale Tricks, ohne große Gesten, ohne seine Botschaft zu tanzen. Während sie seiner Stimme lauschen, sehen die Zuhörer aus Satellitenperspektive, wie auf der Leinwand hinter ihm ein beträchtlicher Teil der Niederlande unter einer blauen Schicht verschwindet. Als nächstes wird der Großraum Schanghai mit animiertem Blau übergossen, und dann verschwinden weite Flächen der Region um Kalkutta unter den blauen Pixeln. Am Ende verlassen die Zuschauer mit der gleichen ernsten Miene den Saal, mit der zuvor der Redner die Bühne betreten hatte. Kaum einer erwähnt die Technik, aber in den nächsten Tagen ist sich die Weltöffentlichkeit einig: „Was für eine Rede.“
3 Mit Powerpoint-‐Charts in die Kino-‐Charts Sie ahnen es: Redner Nummer eins ist kein Redner aus Fleisch und Blut, sondern der Redner als solcher, wie er in vielen Klageliedern aus der Karriere-‐ oder Business-‐Spalte als Spezies dargestellt wird. Er und seine rhetorischen Fertigkeiten werden in diesen Artikeln in der Regel nicht näher beschrieben, denn dort geht es um etwas anderes. Redner Nummer zwei ist zufällig Al Gore, der ehemalige Vizepräsident der Vereinigten Staaten. Er hat mit der oben beschriebenen Präsentation Eine unbequeme Wahrheit und dem dazugehörigen Kinofilm das unangenehme Thema globale Erwärmung weltweit wieder in die Schlagzeilen gebracht. Er wurde in den meisten Artikeln über diesen Vortrag auch nicht näher beschrieben, denn er ist Al Gore. Meine erste Frage: Was haben die beiden Reden gemeinsam? Einen Redner mit schwarzem Jackett, blauem Hemd und akkurater Frisur, richtig. Und noch etwas: Powerpoint. Meine zweite Frage: Was hat in beiden Fällen in hohem Maße über die Wahrnehmung des Vortrags beim Publikum entschieden? Ein Tipp: Jackett, Hemd und Fönfrisur waren es nicht. Noch einmal lautet die Antwort: Powerpoint. Dem einen Redner bringt die Präsentations-‐Software, so die urbane Legende, den Hohn und Spott seiner Kollegen ein. Täglich, überall in Deutschland. Dem anderen einen millionenschweren Buchvertrag und einen Dokumentationsfilm, der weltweit zum Kassenschlager wurde – und sich der gleichen grün-‐blauen visuell verlängerten Rhetorik bedient. Verzerrte Wahrnehmung Jeder Trend hat seinen Gegentrend. Galt Powerpoint bei seiner deutschen Markteinführung 1988 als Revolution, hält sich nun seit einigen Jahren hartnäckig der Trend zum Powerpoint-‐Bashing. Offenbar, ich lese es immer wieder, leidet die ganze Business-‐Welt unter den drögen Präsentationen der Ära Powerpoint. Was ist dran an der These, dass Powerpoint der Publikumsschreck Nr. 1 sei?
4 Wenn über den Erfolg von Al Gores Eine unbequeme Wahrheit gesprochen wird, findet Powerpoint keine Erwähnung – oder Keynote, oder Impress, oder irgendeine andere Präsentationssoftware. Wenn es allerdings um nicht näher definierte Vorträge nicht näher definierter Redner mit nicht näher definiertem Inhalt geht, geht es irgendwie ständig um Powerpoint. Das liest sich dann etwa so: „Kürzlich habe ich den Vortrag eines Managers erlebt. […] Vor lauter Powerpoint kam keine Power rüber.“ Auch von „optischen Hilfsmitteln auf Kindergarten-‐Niveau“ ist dort die Rede. Und dann, ein paar Absätze später, auch vom entgegengesetzten Extrem: dem „multimedialen Overkill“ mit Filmausschnitten, dröhnenden Bässen und einer explodierenden Welt. Das Fazit: „All die modernen Präsentationstechniken haben sich abgenutzt. Wer heute mit seinem Vortrag glänzen will, sollte ohne Technik vor sein Publikum treten.“ Mir drängt sich da eine Frage auf: Was ist mit all den Fällen, die auf der Skala zwischen diesen realitätsfernen Extremen liegen? Mit all den Präsentationen, deren Inhalte durch Powerpoint noch besser oder überhaupt erst richtig zur Geltung kommen? Mit, ich wage es hierhin zu schreiben, dem Großteil der Powerpoint-‐Präsentationen, die sicher verbesserungsfähig wären, aber durchaus ihren Zweck erfüllen? Und was ist mit denen, die mal eben einen Welterfolg zeitigen? Ob eine Rede oder Präsentation gut ist oder schlecht, wird nicht durch Powerpoint entschieden. Ob von einer guten und einer schlechten Rede irgendetwas beim Publikum hängen bleibt – darüber kann durchaus Powerpoint entscheiden. Oder, genauer gesagt: die Umsetzung der Inhalte in Powerpoint. Warum wird der Grund ignoriert, aus dem Powerpoint überhaupt erfunden wurde: um Redner zu unterstützen? Mehr noch: Warum wird der Eindruck erweckt, als sei Powerpoint der Sargnagel der freien Rede? Eine unbequeme Wahrheit war 2006. Ich für meinen Teil habe das Bild der vom Wasser weitgehend ausradierten Metropolregion von Schanghai mit ihren 40 Millionen Einwohnern noch lebhaft vor Augen. Sogar die Zahl habe ich mir gemerkt. Al Gores Formulierungen hingegen – und das sage ich als Fan und Verfechter der freien Rede – könnte ich nicht aus dem Gedächtnis reproduzieren. Ich wage zu behaupten: Eine freie Rede von Al Gore hätte, gemessen an der Resonanz auf Eine unbequeme Wahrheit, kaum jemanden interessiert.
5 Die Frage nach der Henne und dem Ei Keine Frage: Wie viele technologische Errungenschaften wird auch Powerpoint oft missbraucht. In der Rhetorik ist das Risiko zudem besonders hoch: Was starke Botschaften verstärken kann, ist auch dabei hilfreich, den größten Mist zu verbreiten. Und wem es an rhetorischen Fertigkeiten mangelt, der kann Powerpoint als Show-‐Element nutzen, um schlechte Qualität durch hohen Aufwand auszugleichen. Obwohl auch ich mich hüten werde, für diese These irgendeinen Beweis anzuführen, bin ich ohne zu zögern bereit, das einzuräumen: Es gibt sie, die schlechten Powerpoint-‐Präsentationen. Was in der Regel aber nicht argumentiert wird ist, dass sie in der Regel mit schlechter Rhetorik einhergehen. Ein guter Redner ist in der Lage, seine Inhalte sauber und nachvollziehbar zu strukturieren, auf die relevantesten Botschaften zu reduzieren und diese anschaulich zu vermitteln. Es sind exakt diese Aspekte gelungener Rhetorik, die Powerpoint hervorragend unterstützen kann; doch es sind immer noch Qualitätsmerkmale guter Redner. Powerpoint ist kein Tool, in das man oben einen Eimer Inhalte reinschüttet, und unten kommt eine geniale 10-‐ Minuten-‐Präsentation raus. Dafür ist die Software nie gedacht gewesen. Wer keine Struktur in seine Argumente bringen kann und keine Bilder findet, um komplexe Inhalte in verständliche Zusammenhänge zu übersetzen, dem nützt auch das beste Werkzeug nichts. Wer jedoch angesichts schlechter Vorträge fordert, Powerpoint müsse abgeschafft werden, der muss bei Begegnungen mit schlechten Autofahrern im Straßenverkehr auch fordern, Autos abzuschaffen. Die Multitasking-‐Falle und wie man ihr ausweicht Der häufigste Fehler bei der Verwendung von Powerpoint ist die Auslagerung von Inhalten. Manche Vortragenden packen einfach alles, was kompliziert zu erklären ist oder was die Zuschauer sich notieren sollen, in die Bildschirmpräsentation. Ergebnis: Die gesprochene Rede und der Inhalt der Slides passen nicht zusammen. Das Publikum ist abgelenkt, weil es sich einen Reim auf die Folien zu machen versucht oder – noch schlimmer – alles abschreibt, was da steht. In beiden Fällen geht der Fokus weg vom Redner.
6 Die erste Regel für jede Powerpoint-‐Präsentation ist qualitativer Natur und lautet: Der Inhalt der Bildschirm-‐Präsentation soll das Gesagte bildlich unterstützen, nicht aber inhaltlich ergänzen. Gesprochene Sprache und mediale Aufbereitung müssen zusammenwirken, nicht getrennt voneinander. Redner und Powerpoint müssen mit einer Zunge sprechen. Eine unbequeme Wahrheit ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie man das richtig macht: Al Gore erklärt, wie der ansteigende Meeresspiegel Schanghai versinken lässt – und auf der Leinwand wird Schanghai vom Wasser überspült. Die Präsentation erhöht die Wirkung der Botschaft; nicht mehr und nicht weniger. Damit einher geht der zweite verbreitete Fehler, der quantitativer Natur ist: zu viel Inhalt, zu viele Charts. Wenn das Publikum einer schnellen Folge inhaltsintensiver Folien folgen muss, wird es wiederum zu stark vom Redner abgelenkt. Bei einer Sequenz von Fotos beispielsweise kann das sinnvoll sein; doch dann muss die Aufmerksamkeit im Anschluss wieder unmissverständlich auf den Redner gelenkt werden. Dramatisch ist der destruktive Effekt bei zu viel Text: Wer mit Lesen beschäftigt ist, kann nicht zuhören. Es mag am Mythos Multitasking liegen, dass Multimedia bei vielen Präsentationen zu einer Überforderung der Zuhörer geführt hat. Inzwischen wissen wir: Echtes Multitasking gibt es nicht. Wer eine Folie mit viel Text liest, kann nicht gleichzeitig wirklich dem Redner zuhören. Es gibt zwei simple Möglichkeiten, der Multitasking-‐Falle in Präsentationen vorzubeugen: Entweder wird die Aufmerksamkeit der Zuhörer abwechselnd auf den Redner und die Charts gelenkt und beides klar voneinander abgegrenzt – zum Beispiel, indem die Folie verschwindet, wenn der Redner spricht. Oder die Charts enthalten Inhalte – z. B. Bilder – die vorrangig andere Bereiche des Gehirns aktivieren als das Sprachzentrum. Dann können Redner und Folie zusammenwirken. Erstere Variante sollte nur eine Notlösung sein; letztere ist die Definition einer sinnvollen Nutzung von Multimedia – und Powerpoint. Wie so oft in der Kommunikation sind Anwendungsfehler auch bei Powerpoint in den meisten Fällen eine Frage der Achtsamkeit: Der Vortragende merkt gar nicht, dass er sein Publikum quält. Er will mit der Zeit gehen, folgt dem Multimedia-‐Trend, will seinem Publikum etwas bieten. Das geschieht ohne böse Absicht und oft wohl auch mangels entsprechenden Feedbacks. Es ist nicht die Frage nach dem ‚Ob‘, die wir bei Powerpoint stellen sollten, sondern die Frage nach dem ‚Wie‘.
7 Der Zweck bestimmt die Mittel Die Frage nach dem ‚Ob‘ ist darüber hinaus in vielen alltäglichen Redesituationen auch überhaupt nicht mehr realistisch. Powerpoint abschaffen zu wollen ist ein bisschen wie sich unreflektiert über die permanente Erreichbarkeit zu beklagen: Es geht am Kern der Sache vorbei, und es ist nicht zeitgemäß. Der Zweck von Rhetorik ist es, Inhalte zu präsentieren. Zu diesem Zweck soll sie auch unterhalten. Sie dient der Vermittlung einer Botschaft, der Vermittlung von Inhalten. Dem gleichen Zweck dient Powerpoint, womit sich die Frage nach der grundsätzlichen Sinnhaftigkeit des Programms von selbst beantwortet. Wie bei allen Methoden der Kommunikation verlangt die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Anwendung von Powerpoint im Einzelfall nach differenzierten Antworten – sie kann nicht für alle Redeanlässe gleichermaßen mit ja oder nein beantwortet werden. Es gibt Themen, die funktionieren besser ohne Hilfsmittel. Eine Geschichte zu erzählen – ganz besonders, wenn es eine persönliche Geschichte des Redners ist – funktioniert oft besser in freier Rede und ohne jegliche Ablenkung vom Redner. Geschenkt. Doch genauso gibt es Themen, die ohne Powerpoint gar nicht (mehr) funktionieren. Wie wollen Sie die Verteilung von Prozentsätzen und anderem Zahlenwerk ohne grafische Hilfsmittel anschaulich darstellen? Wie viele der alltäglichen Redeanlässe in Unternehmen kommen ohne derartiges Zahlenwerk und ohne konkrete Vergleichswerte aus, die sich nun einmal grafisch am besten aufschlüsseln lassen? Wie hält ein Medizinprofessor einen sinnhaften Vortrag über einen spezifisch gelagerten Hirntumor, ohne seinem Publikum MRT-‐Aufnahmen von dem verdammten Ding zu zeigen? Wie soll Jamie Oliver auf seinem Feldzug für gesunde Ernährung an Schulen seinem Publikum die Risiken von Übergewicht anschaulich erläutern, ohne ihnen Bilder von kranken Kindern und krankmachenden Lebensmitteln zu zeigen? Wie sorge ich für die notwendige Betroffenheit bei einem Vortrag über den Klimawandel ohne vorzuführen, wie Schanghai unter Wasser gesetzt wird? Kurz: Warum sollte ein Redner, wenn das Thema es zulässt oder gar erfordert, auf technische Hilfsmittel wie Bilder oder Animationen verzichten, wenn sein Thema sich auf diese Weise viel wirkungsvoller, viel einprägsamer beackern lässt?
8 Unabhängig vom Thema ist Powerpoint für viele Menschen schlicht Realität. Für den Redner aus der Eingangsszene auch. Von ihm wird erwartet, dass er die aktuellen Absatzzahlen und Marktanteile in Torten kleidet. Die Männer aus dem Vorstand setzen das voraus. Viele, wenn nicht sogar die meisten Chefs setzen das heute voraus. Was bringt es, den armen Mann damit zu verunsichern, dass Powerpoint angeblich passé sei? Ach ja, die Alternativen. Ich zitiere: „Es kommt etwa gut an, das Publikum einzubeziehen und ein paar Zuhörer für ein Rollenspiel auf die Bühne zu holen. Diese Live-‐Situation garantiert höchste Aufmerksamkeit. Schließlich ist der Ausgang eines solchen Experiments ungewiss -‐ und jeder Zuhörer muss damit rechnen, auch nach vorne zitiert zu werden.“ Nur, um es noch einmal zu erwähnen: Es ging in diesem wie in vielen anderen Beiträgen zum Thema darum, dass Zuhörer nicht länger mit Powerpoint gequält werden sollten. Ich muss einräumen: Da ist der Vorschlag, sie ab sofort auf die Bühne zu holen und live vor Publikum am eigenen Leib zu quälen, in der Tat ein qualitativer Quantensprung. Falls es in Ihrem Unternehmen Redner gibt, die sich auf solche Experimente einlassen – laden Sie mich bitte einmal dazu ein. Ich möchte gern in die Gesichter von Aktionären blicken, die bei der Präsentation des Geschäftsberichts vom Vorstandsvorsitzenden aufgefordert werden, die Marktanteile an den asiatischen Märkten bei einem Rollenspiel auf der Bühne zu demonstrieren. Anstatt den Menschen Angst zu machen – vor der Steinigung für die Verwendung von Powerpoint oder vor der nächsten Rede, die man aus dem Publikum miterlebt – macht es mehr Sinn, auf konstruktive Verbesserungsmöglichkeiten zu verweisen. Zum Beispiel gibt es zahllose Quellen, die gute Vorlagen etwa für Reportings oder Ausschreibungen liefern. Das hilft dem Redner mehr – und seinen Zuhörern auch. Niemand muss heute noch auf „optische Hilfsmittel auf Kindergarten-‐Niveau“ zurückgreifen, wenn er Powerpoint nicht gut genug beherrscht. Er muss sich nur – und das unterstütze ich mit Freude – mit dem Thema beschäftigen. Zum Beispiel, indem er sich anschaut, was andere so machen.
9 Von den Meistern lernen Tatsächlich gibt es für jedes Worst-‐Practice-‐Beispiel nämlich auch ein Best-‐ Practice-‐Beispiel für den Einsatz von Powerpoint, das sich gewaschen hat. Al Gore ist nicht allein. Und Sie, die Sie tapfer an Powerpoint festhalten (müssen), sind nicht allein! Der amerikanische Rechtswissenschaftler Lawrence Lessig ist einer der Meister der multimedial unterstützten Präsentation, bei denen wir uns für die verschiedensten Redeanlässe eine Folie abschneiden können. Die nach dem Stanford-‐Professor benannte Lessig-‐Methode arbeitet mit ganz normalen Powerpoint-‐Slides. Allerdings finden sich darauf keine Stichpunkt-‐Listen oder Balkendiagramme, sondern Bilder und einzelne Worte oder Wortgruppen, die in enorm hohem Tempo aufeinander folgen. Die Inhalte korrespondieren mit dem Inhalt des Vortrags – die Slides laufen synchron zur gesprochenen Rede ab. Eine ähnliche Technik findet inzwischen auch in der Werbung Anwendung, weil sie den Zuhörer unwiderstehlich in den Redetext hineinzieht. Und weil die Inhalte auf den Folien mit dem gesprochenen Wort korrespondieren, konkurrieren Sprecher und Bildschirm-‐Präsentation auch nicht miteinander, sondern harmonieren wie die Instrumente in einem Orchester. Eine aufwändige, aber auch sehr wirkungsvolle Methode. Eine weitere technische Möglichkeit, die Powerpoint einem Flipchart oder einer völlig technikfreien Präsentation voraus hat, ist die Möglichkeit der Interaktivität. Einige meiner Kunden arbeiten bei Powerpoint-‐ Präsentationen zum Beispiel mit Hyperlinks. Wenn ein Vortrag beispielsweise mehrere Fallstudien erwähnt, bieten in die Slides eingebettete Hyperlinks die Möglichkeit, das Publikum durch einfache Abstimmung in die Gestaltung des Vortrags einzubeziehen: Die Zuhörer wählen aus, in welche Fallstudie der Vortragende tiefer einsteigen soll. Der Redner klickt den entsprechenden Hyperlink an und gelang zu den entsprechenden Charts. So lässt sich die Aufmerksamkeit steigern und lenken, ohne dass die Zuhörer auf der Bühne den Othello geben müssten. Inzwischen gibt es sogar regelrechte Präsentationsschmieden, die Vortragende auf ihrem Weg zur perfekten Form für ihre Inhalte begleiten. Manche entwickeln dabei echte Präsentations-‐Gesamtkunstwerke. Sie erschaffen für ihre Kunden redebegleitende Präsentationen und z. B. auch Powerpoint-‐basierte E-‐Learning-‐Materialien oder Messe-‐Präsentationen, die die technischen Möglichkeiten des Programms voll ausschöpfen und dabei doch nie den Zweck aus den Augen verlieren: eingängige, klare Informationsvermittlung mit hohem Identifikationsfaktor. Auch diese Präsentationen kommen grundsätzlich mit einem minimalen Wortanteil aus.
10 Viele Beispiele für ausgezeichnete Powerpoint-‐unterstützte Präsentationen finden sich auch auf der Redner-‐Plattform TED.com. Carmine Gallo, amerikanischer Kommunikationstrainer und Autor des Buches Talk Like TED, beschrieb kürzlich in einem Artikel für das Forbes Magazine eines der Erfolgsgeheimnisse der erfolgreichsten TED-‐Talks so: „Powerpoint ist nicht der Feind. Sondern Stichpunkte. Manche der besten TED-‐Präsentationen wurden in Powerpoint designt. […] Dort finden Bilder, Animationen und begrenzte Textanteile Verwendung – aber keine Folien, die mit Zeile auf Zeile von Stichpunkten überfüllt sind. Diese Technik heißt ‚Überlegenheit der Bilder‘. Das bedeutet einfach nur, dass wir uns viel besser an eine Idee erinnern, wenn sie von einem Bild begleitet wird.“ Wer mag angesichts so vieler meisterhafter Präsentationen nach einer Abschaffung von Powerpoint rufen? Diese Forderung geht genauso am Thema vorbei wie der unterstellte Irrglaube, dass Powerpoint die inhaltliche Substanz einer Rede überflüssig machen könnte. Auf einen Blick: Lieber gut gemacht als gut gebrüllt Die letzte Regel, die ich Ihnen in diesem Artikel nahelegen will, bildet Die Wahrheit liegt wie so oft in der Mitte: Powerpoint kann die Wirkung einer Präsentation enorm steigern – oder das Publikum in den Wahnsinn treiben. Verantwortlich für beides ist jedoch nicht die Software, sondern der, der sie verwendet. Damit Sie sich nicht selbstverschuldet in den Ruf der Publikumsquälerei bringen, hier noch einmal einige Grundregeln für Präsentationen mit Powerpoint (oder Keynote, Impress, Prezio…) in der Zusammenfassung: • Powerpoint ist nicht der Feind. Wie so oft in technischen Fragen gilt auch in der Causa Powerpoint: Das Problem sitzt vor dem Bildschirm. • Powerpoint ist keine Ablage. Lenken Sie Ihr Publikum nicht ab, indem Sie Inhalte in Powerpoint auslagern, anstatt darüber zu sprechen. • Nutzen Sie Powerpoint als Strukturierungshilfe. Ihre Bildschirmpräsentation sollte der gleichen konsequenten Struktur folgen wie Ihr Vortrag.
11 • Lenken Sie die Aufmerksamkeit. Sorgen Sie dafür, dass die Augen Ihrer Zuhörer nicht an den Slides kleben, wenn sie auf Sie gerichtet sein sollten. • Nutzen Sie Powerpoint als Wirkungsverstärker. Powerpoint bietet hervorragende Möglichkeiten, Redeinhalte visuell zu verstärken. • Geben Sie Bildern den Vorrang vor Text. Verwenden Sie vorrangig Bilder oder andere grafische Darstellungsformen und so wenig Text wie möglich. • Nutzen Sie das interaktive Potenzial von Powerpoint. Durch interaktive Elemente wie Hyperlinks können Sie Präsentationen variieren. Zum Schluss ein Signal der Sympathie an die verunsicherten Opfer des Powerpoint-‐Bashings da draußen: Wer seine Zeit in einer Präsentation damit zubringt, nach Additionsfehlern in den Tortendiagrammen zu suchen, anstatt dem Redner zuzuhören, darf sich hinterher nicht über die Qualität des Vortrags beschweren. Kommunikation, auch in einer Präsentation, hat immer zwei Stationen: den Sender und den Empfänger. Und in diesem Punkt bin ich mir mit den Powerpoint-‐Bashern einig: Männer, die auf Torten starren, sind schlechte Empfänger. Kommen Sie gut an! Ihr René Borbonus
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