Markttrends Wie steht es um die Art brut? - Christian Berst
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Markttrends Markttrends Markttrends Wie steht es um die Art brut? VON SEELE ZU SEELE Unverbildet und ursprünglich bewegt sich die Art brut abseits des regulären, professionellen Kunstbetriebs. Auktionsergebnisse zeigen aber: Die anti-akademische „Outsider Art“ ist längst keine Terra incognita mehr. Zeit sich diesen Markt genauer anzusehen. ANDREAS MAURER Leopold Strobl | Ohne Titel, 2021, Bleistift, Farbstift auf Zeitungspapier, kaschiert, 7,6 × 14,6 cm | Foto: Courtesy galerie gugging 24 AUCTIONS AND FINE ARTS AUCTIONS AND FINE ARTS 25
Markttrends Markttrends Nina Katschnig zum Thema Preisentwicklungen „Leopold Strobl ist beispielsweise ein achten, wie der Markt reagiert, sondern Sonderfall und auch ein Glücksfall, der haben auch die Verantwortung, auf die sich nicht zuletzt dank der Partner in Künstler zu schauen. Eine Ausstellung in New York so blendend entwickelt. Ich New York und ein rasanter Preisanstieg „Vor einigen Jahren konnte man noch einen Stil unterwirft sich keinen Mo- habe Strobl 2016 das erste Mal gezeigt sind eine Herausforderung – wie ver- schönen Henry Darger, der früher als Haus- den. Trotzdem: Die Arbeiten die- und dann wieder Anfang 2017. Diese trägt das die Psyche und wie entwickelt meister in Chicago lebte, um 14.000 bis 20.000 ser Outsider sollen und müssen mit Ausstellung konnte ich zwei Mal ausver- sich das weiter? Aktuell besteht reges In- US-Dollar bekommen. Mittlerweile müssen Sie den gleichen Kriterien wie „nor- kaufen, also komplett neue Arbeiten hän- teresse an Günther Schützenhöfer, einer dafür 300.000 bis 400.000 US-Dollar ausge- male“ Mainstream-Kunst beurteilt gen und wieder ausverkaufen. Zuerst la- der nächsten Generation, der aber schon ben“, zeigt sich selbst Christian Berst erstaunt werden, zumal eine klare Unter- gen kleine Formate bei 250 bis 400 Euro, gut bekannt ist. Auch jüngere Gugginger über die Preisentwicklung mancher Künstler. scheidung für den ungeübten Blick dann erhöhten wir auf 1.200 Euro, auch sind am Aufsteigen. Doppelte A4-Blätter Seit nahezu 30 Jahren beschäftigt sich der Pari- sowieso nicht möglich ist, fordert um Ausstellungen in New York finanziell von Manuel Griebler etwa werden noch ser Galerist intensiv mit der Art brut, doch in Nina Katschnig: „Es gibt immer überhaupt möglich zu machen. Inzwi- ab 600 Euro angeboten. Generell ist zu den letzten Jahren haben sich die Preise gerade- mehr Galerien, die beides vertre- schen steigen die Preise konstant und beobachten, dass es kaum noch ‚Art- zu multipliziert. „Unsere nächste Ausstellung ten – zeitgenössische Kunst und kontinuierlich. Solche Steigerungen müs- brut-Sammler‘ gibt. Es sind Sammler von ist zum Beispiel Mary T. Smith gewidmet, einer Art brut. Wir von der galerie gug- sen aber seriös und behutsam aufgebaut Contemporary Art – und die Gugginger der wichtigsten Vertreterinnen der afroamerika- ging bestehen auch nicht unbe- werden. Wir müssen nicht nur darauf sind absolut contemporary.“ nischen Art brut. Noch vor vier bis fünf Jahren dingt auf dem Begriff ‚Art brut‘. hatte ich keine Mühe ein gutes Stück für 2.000 Nicht jede Mitschrift einer psycho- bis 3.000 US-Dollar auf einer Auktion zu fin- analytischen Sitzung ist gleich gro- den. Heutzutage kostet mich das circa 10.000 ße Literatur und genauso wenig gilt US-Dollar. Für manche Künstler geht es derzeit jedes Produkt aus einer Kunstthe- ganz schnell.“ rapie automatisch als Kunstwerk. Anfang diesen Jahres brachte ein „Outsider Kunst ist Kunst, welches Etikett and Vernacular Art Sale“ bei Christie’s mehr man den Werken umhängt, ist in als 4 Millionen US-Dollar ein. An der Spit- Wirklichkeit sekundär. Es geht um ze: Henry Dargers großformatige Mischtech- die Einzigartigkeit im Ausdruck nik „At Jennie Richee“, die für über 600.000 und die emotionale Wirkung des US-Dollar an den Meistbietenden ging. Auch Kunstwerks auf den Betrachter.“ viele andere Werke der „rohen“ Kunst kletter- Ob der Maler oder Bildhauer ten bei diesem Sale auf mehr als das Doppelte im täglichen Leben Unterstützung ihres Schätzpreises, obwohl die Künstler meist braucht oder nicht, sei für die Qua- keine professionelle Ausbildung haben und ei- lität eines Werkes ebenso neben- nige aufgrund psychischer oder kognitiver Be- sächlich, betont Nina Katschnig. einträchtigungen gar nicht als marktfähig gel- Christian Berst sieht das ähnlich ten. Kunden stellen daher berechtigterweise die und hat vor einigen Jahren auf der Frage nach der Preis-Stabilität dieser Arbeiten. gegenüberliegenden Straßenseite „Viele wollen bei Werken zwischen 1.000 und seiner Pariser Galerie im 3. Arron- 10.000 Euro wissen: Wie wird sich das entwi- dissement – unweit des Louvre – ckeln? Und ich kann es ihnen wirklich nicht sa- einen zweiten Showroom eröffnet. gen. Denn der Preis wird nicht nur vom Kunst- Der symbolträchtige Name: „The markt, sondern auch vom Weltgeschehen Bridge“. „Dort lade ich sieben Mal definiert“, erklärt Nina Katschnig, Managing im Jahr einen Kurator oder eine Director der galerie gugging nahe Klosterneu- Kuratorin ein, einen Dialog zwi- burg, die Spielregeln dieses sensiblen Außen- schen Art brut und zeitgenössi- seiter-Marktes. „Art-brut-Künstler verfügen scher beziehungsweise moderner über ganz spezielle innere Welten. Darin liegt Kunst herzustellen. Unter ande- ihre Konstante. Und die können sie nicht auf rem hatten wir schon einige thema- Knopfdruck ändern, nur weil etwas anderes tische Ausstellungen über Abstrak- vielleicht gerade besser ankommen würde.“ tion oder über die Schrift in der Leben und Schaffen geht bei den konzeptuel- Art brut.“ len Außenseitern eine untrennbare Verbindung Auch Museen haben diese wech- ein, ihre Kunst entspringt einer inneren Not- selseitigen Bezüge mittlerweile er- wendigkeit, einem Ausdrucksbedürfnis bezie- kannt und angefangen ihre Samm- hungsweise einem Überlebensdrang, so Nina lungslücken aufzufüllen. Arbeiten Katschnig. Der Kunstmarkt kümmert sie nicht, der Kubanerin Misleidys Francisca Günther Schützenhöfer viele wissen nicht einmal, was zeitgenössische Castillo Pedroso sind dazu etwa in Schubkarre, 2017, Bleistift, Farbstift, 51 × 73,2 cm Kunst ist oder sein will. Beschleunigen lässt sich die Bestände des Centre Pompidou Foto: Privatstiftung – Künstler aus Gugging der Werkprozess daher nicht, ihr eigenwilliger übergegangen, der Österreicher 26 AUCTIONS AND FINE ARTS AUCTIONS AND FINE ARTS 27
Markttrends Leistbare Art brut im „structurized“ Ausstellungen Wiener Dorotheum manuel griebler | lejo | günther schützenhöfer In ihrer Herbstausstellung „structurized“ Ende September 2021 wurde ein präsentiert die galerie gugging drei kreative Leopold Strobl hat es sogar in die Sammlung Kompendium an Art-brut-Arbei- Welten, die trotz unterschiedlicher künstleri- des MoMA in New York geschafft, Preisan- ten sehr erfolgreich im Dorotheum scher Herangehensweisen in ihrer Liebe zur Struktur verbunden sind. stieg inklusive. Denn auch Investoren wollen versteigert. Neben größeren Ar- das eher unbekannte Feld der Art brut bestel- beiten wurde auch eine Radierung bis 7. November 2021 len und hohe Renditen ernten. Europäischen Oswald Tschirtners von 200 Euro Heimvorteil kann die Outsider Art (unter Rufpreis auf einen Verkaufspreis otherworldly anderem mit der jährlichen Pariser und New von über 1.000 Euro hochgestei- „otherworldly“, kuratiert von Irina Katnik, Yorker „Outsider Art Fair“) daher nicht mehr gert – mehr als dreimal über dem zeigt Werke der Künstler aus Gugging und verbuchen, selbst Asien steht den neuen Nai- Schätzpreis von 300 bis 400 Euro. ihrer internationalen Art-brut-Kollegen, die mit unterschiedlichen Techniken und Me- ven aufgeschlossen gegenüber, die USA gelten „Eine schöne Überraschung. Das dien ihren ganz eigenen, unverwechselbaren als potentester Player. Günther Schützenhöfer, sind Dimensionen, die nicht zu er- Kosmos geschaffen haben. der seit 1999 im Gugginger „Haus der Künst- warten waren und die ungewöhn- ler“ lebt – eine Einrichtung innerhalb des Art lich sind für ein nicht koloriertes 16. November 2021 Brut Centers Gugging, in der seit 1981 künst- Blatt“, erklärt Dorotheum-Druck- bis 27. Februar 2022 lerisch talentierten Menschen ein vollbetreu- grafik-Experte Raphael Achterberg. tes Wohnen geboten wird – eröffnet demnächst Er beobachtet ein steigendes Inte- GALERIE GUGGING eine Ausstellung im Big Apple. Einer der Grün- resse für Kunst aus Gugging, vor Am Campus 2 | 3400 Maria Gugging de ist laut Nina Katschnig die zunehmende allem dann, wenn Wechselwirkun- galeriegugging.com Digitalisierung und die damit verbundene Ent- gen innerhalb größerer Auktionen menschlichung des Alltags. Die Folge sei eine für zeitgenössische Kunst zustande Sehnsucht nach dem Rohen, dem Elementaren kommen. Immer wieder gibt es im in der Kunst. „Das Gekünstelte ist vielen zu Dorotheum Druckgrafik von Gug- kompliziert geworden. Sie wollen etwas Un- ginger Künstlern, teilweise schon mittelbares, das direkt ins Herz geht. Der un- ab 180 Euro Rufpreis. Achterberg verfälschte Charakter der Art brut berührt viele bietet sie gerne gesammelt an, um Menschen wirklich tief in der Seele.“ die Aufmerksamkeit zu bündeln. Carlo Zinelli untitled, circa 1965 Gouache und Graphit auf Papier 50 × 70 cm © und Courtesy christian berst art brut paris
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