VERGABERECHT BEI PANDEMIEN - Antworten zu häufig gestellten Fragen (FAQ - Stand: 4.3.2021)
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Welches Verfahren kann oberhalb der EU-Schwellenwerte eine schnelle und effiziente 1. Beschaffung sicherstellen? 3 Welches Verfahren kann unterhalb der EU-Schwellenwerte eine schnelle und effiziente 2. Beschaffung sicherstellen? 4 3. Können noch laufende Beschaffungsverträge ohne erneutes Vergabeverfahren ausgeweitet werden? 5 4. Müssen die Fristen für die Abgabe von Teilnahmeanträgen und Angeboten verlängert werden? 6 5. Können mit den Bietern wegen der Infektionsgefahr noch Verhandlungsgespräche geführt werden? 7 6. Können die Angebote unter Wahrung des Vier-Augen-Prinzips noch geöffnet werden? 7 7. Welche Eignungskriterien sollten bei geplanten Vergabeverfahren besonders beachtet werden? 8 8. Dürfen Bewerber und Bieter aus Risikogebieten ausgeschlossen werden? 8 9. Kann ein Vergabeverfahren wegen des Ausbruchs der Corona-Pandemie aufgehoben werden? 9 10. Kann über eine zentrale Beschaffungsstelle schnell beschafft werden? 9 Können im Hinblick auf die Corona-Pandemie Vertragsstrafen in den Vergabeunterlagen 11. vorgesehen werden? 10 Müssen bei der Vergabe von unterschwelligen Bauaufträgen geforderte Drittnachweise bzw. 12. Bescheinigungen zur Eignung weiterhin vorgelegt werden? 10 13. Kann durch den Abschluss von Open-House-Verträgen schnell beschafft werden? 11 Ist es sinnvoll, die Vergabeunterlagen für öffentliche Bauaufträge um Hinweise auf die 14. Corona-Pandemie zu ergänzen? 12 Können die Bieter zur Verlängerung der Angebotsbindefrist aufgefordert werden, weil z.B. 15. ein notwendiger kommunaler Beschluss wegen der Corona-Krise nicht gefasst werden kann? 13 Welche Bundesländer haben wegen der Corona-Pandemie Rundschreiben, Erlasse, Mitteilungen 16. o.ä. zum Vergaberecht veröffentlicht? 14 Muss ein Unternehmen zwingend aus einem EU-Vergabeverfahren ausgeschlossen werden, wenn es 17. eine geforderte Unbedenklichkeitsbescheinigung der Krankenkasse nur für die Zeit bis zum Ausbruch 17 der Corona-Pandemie vorlegen kann, weil die Sozialversicherungsbeiträge danach gestundet wurden? Darf in der Leistungsbeschreibung, z.B. zur oberschwelligen Beschaffung von dringend benötigten 18. Waren zur Eindämmung der Corona-Pandemie, vorgeschrieben werden, dass der Bieter über Produk- 18 tionskapazitäten in Deutschland verfügen muss? Kann ein Bewerber/Bieter aus einem EU-Vergabeverfahren ausgeschlossen werden, weil er einen frühe- 19. ren öffentlichen Auftrag aus pandemiebedingten Gründen nicht, zu spät oder unvollständig erfüllt hat? 19 20. Welche Auswirkungen hat die Corona-Pandemie auf die Präqualifikation von Bauunternehmen? 19
Kann ein zahlungsunfähiges Unternehmen vor dem Hintergrund der Regelungen zur Aussetzung der 21. Insolvenzantragspflicht nach dem COVID-19-Insolvenz-Aussetzungsgesetz (COVInsAG) aus einem 20 EU-Vergabeverfahren ausgeschlossen werden? Dürfen bei der Vergabe von Bauleistungen während der Corona-Pandemie Sicherheitsleistungen 22. gefordert werden? 21 Welche Auswirkungen kann die für den 1.7.2020 bis 31.12.2020 angekündigte coronabedingte 23. Umsatzsteuersenkung auf Vergabeverfahren haben? 22 24. Welche Auswirkungen kann das öffentliche Preisrecht auf „Dringlichkeitsbeschaffungen“ haben? 23 25. Rechtsprechungsübersicht „Vergaberecht bei Pandemien“ 24 Sollten öffentliche Auftraggeber den Bauunternehmen die Mehrkosten für Hygiene- und 26. Gesundheitsschutzmaßnahmen im räumlichen Kontext zur Baustelle erstatten, die durch die 27 Corona-Pandemie verursacht wurden? Kann im Rahmen eines europaweit bekanntgemachten Verhandlungsverfahrens auf Verhandlungen mit 27. den Bietern wegen der Corona-Pandemie verzichtet werden? 28 Können die Teilnahme- und Angebotsabgabefristen für öffentliche Aufträge ab Erreichen der 28. EU-Schwellenwerte verkürzt werden? 28 Sollten öffentliche Auftraggeber Reinigungsdienstleistern die Mehrkosten für Hygiene- und Gesundheits- 29. schutzmaßnahmen erstatten, die durch die Corona-Pandemie verursacht werden? 29
1. Welches Verfahren kann oberhalb der EU-Schwellenwerte eine schnelle und effiziente Beschaffung sicherstellen? 1 Im Oberschwellenbereich kommt bei der Vergabe von Zweifelsohne muss dafür gesorgt werden, dass die In- 5 Liefer-, Dienst- und Bauleistungen eine „Dringlichkeits- fizierten eine schnellst- und bestmögliche medizinische beschaffung“ als Verhandlungsverfahren ohne Teil- Behandlung erfahren. Ebenso muss dafür Sorge getragen nahmewettbewerb (VoT)1 in Betracht. Dieses VoT kann werden, dass die öffentlichen Aufgaben weiterhin in durchgeführt werden, wenn ein unvorhergesehenes Ereig- ausreichender Qualität gewährleistet werden können. nis zu äußerst dringlichen und zwingenden Gründen bei Die hierfür nötigen, oben beispielhaft beschriebenen Leis- der Beschaffung führt, aufgrund derer die Einhaltung der tungsgegenstände können daher häufig nicht im Rahmen Mindestfristen anderer Verfahren unmöglich ist.2 eines anderen Verfahrens unter Einhaltung der jeweiligen Mindestfristen beschafft werden. Der jeweilige Beschaf- 2 Die Infektionen mit dem Coronavirus (COVID-19) wurden fungsbedarf muss unverzüglich zu decken sein.7 Denn von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) am 11.3.20203 gemessen an den jeweils zu beachtenden Mindestfristen zur Pandemie erklärt. Spätestens seit diesem Zeitpunkt stellt das offene Verfahren mit 15 (Kalender-)Tagen8 das zü- liegt auch in Deutschland ein Ereignis vor, das von den gigste Verfahren dar. Eine „Dringlichkeitsbeschaffung“ darf Auftraggebern in seinen umfassenden, dynamischen Aus- deshalb keinen längeren Zeitaufschub dulden. Ob und wirkungen auf nahezu sämtliche Lebens- und Wirtschafts- für welche Leistungsgegenstände auch diese Mindestfrist bereiche nicht vorhergesehen werden konnte.4 unzureichend ist, ist letztlich von Fall zu Fall zu prüfen. Die Europäische Kommission hält es insoweit jedoch für 3 Es kann deshalb davon ausgegangen werden, dass die ein- wahrscheinlich, dass die meisten Beschaffungen, jeden- zelnen Auftraggeber nicht im Voraus wussten oder wissen falls soweit sie den durch die ansteigende Infektionskurve konnten, dass der exponentielle Anstieg der Infektionszah- erheblich erhöhten kurzfristigen Bedarf betreffen, im Rah- len zu sehr dringenden und zwingenden Beschaffungs- men der verkürzten Mindestverfahrensfristen (siehe oben) bedarfen führt, um insbesondere die vielfältigen Aufgaben durchgeführt werden können.9 der öffentlichen Hand weiterhin gewährleisten zu können. Zu den dringlichen und zwingend benötigten Leistungen, Die Umstände, welche das VoT als eine „Dringlichkeits- 6 um die öffentlichen Aufgaben, vor allem im ambulanten beschaffung“ rechtfertigen, sind im Vergabevermerk aus- und stationären Gesundheits- und Sozialwesen, im ur- drücklich zu dokumentieren.10 sächlichen Zusammenhang mit der zeitnahen Bewältigung der Corona-Pandemie sicherstellen zu können, zählen In ablauforganisatorischer Hinsicht kann das VoT mit 7 insbesondere:5 einem oder mehreren Unternehmen durchgeführt wer- den.11 Ein VoT mit einem einzigen Unternehmen ist möglich, 4 – Medizinische Geräte (Beatmungsgeräte usw.), wenn nur dieses eine Unternehmen in der Lage sein wird, – Medizinprodukte (Labordiagnostika usw.), den Auftrag unter den durch die zwingende Dringlichkeit –M edizinische Verbrauchsmaterialien auferlegten zeitlichen Zwängen zu erfüllen.12 Sind zwei oder (Verbandsmaterial usw.), mehr Unternehmen entsprechend leistungsbereit, ist das – Produkte zur Desinfektion u.ä., VoT mit diesen durchzuführen. – Antivirale Arzneimittel, ggf. Antibiotika, Impfstoffe, Schmerzmittel u.ä., – Impfsets (Spritzen, Kanülen usw.), – Infektionspräventive Produkte (Einmalhandschuhe, Schutzmasken/-kleidung usw.), – Intensiv-/Krankenbetten, Matratzen, Einmalbettwäsche u.ä., – IT-Hard-/Software für medizinische Zwecke, zur Ermög- lichung von Heimarbeit (Notebooks, Videokonferenz- technik, Fernzugriffssoftware), zwecks schulischer Unterrichtung u.ä., – Sicherheitsdienstleistungen (z.B. für Patientenwarte- 1 § 119 Abs. 5, Alt. 2 GWB, § 141 Abs. 2 SektVO. bereiche) u.ä., 2 § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV, § 3a EU Abs. 3 Nr. 4 VOB/A, § 13 Abs. 2 Nr. 4 SektVO. – Infektionspräventive Desinfektions-/Reinigungsdienst- 3 https://www.who.int/dg/speeches/detail/who-director-general-s-opening- remarks-at-the-media-briefing-on-covid-19---11-march-2020 leistungen u.ä., (Abrufstand: 24.3.2020). –C orona-Test-Stationen u.ä., 4 Vgl. auch Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, Rundschreiben v. 19.3.2020 (Az.: 20601/000#003), Seite 2. –B ehandlungscontainer/-zelte u.ä. 5 Die Aufzählung ist nicht abschließend. –E inbau von Trennwänden zur Separierung mehrfach be- 6 Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, Hinweisschreiben v. 27.3.2020 („COVID-19-Pandemie“), Seite 2. legter Büros, Umbauten und Ausstattung zur Erhöhung 7 Europäische Kommission, COM(2015) 454 final, Seite 8; der Anzahl von Videokonferenzräumen u.ä.6 8 § 15 Abs. 3 VgV, § 10a EU Abs. 3 VOB/A, § 14 Abs. 3 SektVO. 9 Europäische Kommission, Mitteilung v. 1.4.2020, ABl.EU C 108 I/5. 10 § 8 Abs. 2 Satz 2 Nr. 7 VgV, § 20 EU VOB/A, § 8 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SektVO. 11 § 119 Abs. 5 GWB. 12 Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, Rundschreiben v. 19.3.2020 (Az.: 20601/000#003), Seite 4; Europäische Kommission, COM(2015) 454 final, Seite 8. 4
2. Welches Verfahren kann unterhalb der EU-Schwellenwerte eine schnelle und effiziente Beschaffung sicherstellen? 8 Im Unterschwellenbereich kommt bei der Vergabe von geschätzten Einzelauftragswert von 75 T€/netto oder bis zu Liefer-, Dienst- und Bauleistungen ebenfalls eine „Dring- einem geschätzten Gesamtauftragswert von 125 T€/netto lichkeitsbeschaffung“ als Verhandlungsvergabe ohne vergeben.29 In Rheinland-Pfalz können Bau-, Liefer- und Teilnahmewettbewerb (VVoT)13 bzw. freihändige Verga- Dienstleistungen bis zu 100 T€/netto ohne nähere Begrün- be14 in Betracht. Dies gilt jedenfalls in den Bundesländern, dung freihändig vergeben werden.30 In Thüringen ist bei welche die UVgO für Liefer- und Dienstleistungen bzw. der Vergabe von Bauleistungen, deren Vergabeverfahren die VOB/A für Bauleistungen für bestimmte Auftraggeber im Zeitraum vom 3.4.2020 bis zum Ablauf des 31.12.2021 verpflichtend vorgegeben haben. Die Anwendungsvoraus- beginnen, eine freihändige Vergabe bis zu einem geschätz- setzungen sind ähnlich bzw. sogar schwächer ausgestaltet ten Netto-Gesamtauftragswert von bis zu einschließlich als im Oberschwellenbereich. 3 Mio. Euro zulässig.31 In Bremen sind bis zum 31.12.202132 ohne Nachweis eines Ausnahmetatbestandes öffentliche 8a Hierbei sind auch die landesrechtlichen Regelungen zu Aufträge über Bau-, Dienst- und Lieferleistungen (außer beachten. In Baden-Württemberg, dürfen die Landes- freiberufliche Dienstleistungen) mit einem Auftragswert behörden bis 31.12.2021 Bau-, Dienst- und Lieferleistungen von bis zu 100 T€/netto freihändig bzw. als VVoT zulässig.33 bis 100T€ freihändig bzw. als VVoT/VVmT vergeben;15 In Sachsen dürfen Bau-, Liefer- und Dienstleistungen im kommunalen Auftraggebers wird empfohlen, entsprechend Wege der freihändigen Vergabe beschafft werden.34 zu verfahren.16 Niedersächsischen öffentlichen Auftrag- gebern ist es erlaubt, Aufträge über Liefer- und Dienstleis- In ablauforganisatorischer Hinsicht darf bei der „Dring- 9 tungen bis zum EU-Schwellenwert, deren Vergabeverfahren lichkeitsbeschaffung“ im Wege einer VVoT zudem – ohne vor dem 31.3.2021 begonnen haben, im Wege der VVoT oder weitere Voraussetzung – nur ein Unternehmen zur Abgabe Verhandlungsvergabe mit Teilnahmewettbewerb (VVmT) zu eines Angebotes oder zur Teilnahme an Verhandlungen vergeben.17 Bauaufträge, deren Vergabeverfahren vor dem aufgefordert werden.35 31.3.2021 eingeleitet wurden, dürfen in Niedersachsen bis zum einem Netto-Auftragswert von 1 Mio. Euro freihändig Für Bagatellaufträge im Zusammenhang mit pandemie- 10 vergeben werden.18 In Bayern dürfen Staatsbehörden19 und bedingten Beschaffungen können auch die form- und kommunale Auftraggeber20 bis zum 31.12.202121 unterhalb fristfreien Direktauftragsmöglichkeiten36 in Anspruch des EU-Schwellenwertes alle Liefer- und Dienstleistungs- genommen werden. aufträge mittels der VVoT, VVmT oder beschränkten Ausschreibung ohne Teilnahmewettbewerb vergeben.22 In der Freien und Hansestadt Hamburg sind für Liefer- und Dienstleistungen, die im Zusammenhang mit Beschaffun- 13 § 8 Abs. 4 Nr. 9 UVgO; ebenso: Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft und Digitale gen zur Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung und Gesellschaft, Rundschreiben v. 19.3.2020 – Az.: 3295/1-81-1, Seite 1. zur Bekämpfung der Ausbreitung des Coronavirus stehen, 14 § 3a Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VOB/A. 15 Ziffer 2 Buchst. a) und b) VwV Investitionsfördermaßnahmen öA. bis zum EU-Schwellenwert Verhandlungsvergaben bis 16 Ziffer 4 VwV Investitionsfördermaßnahmen öA. zum 31.12.2021 zulässig.23 Außerdem dürfen gemäß Ziffer 17 Niedersächsisches Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung, Pressemittei- lung v. 28.8.2020. II.5 HmbVgRL wegen der aktuellen Corona-Situation bis 18 Niedersächsisches Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung, Pressemittei- zum 31.12.2021 sämtliche Beschaffungen von Liefer- und lung v. 28.8.2020. 19 Ziffer 1.9, 2. Spstr. u. Ziffer 6.3 Verwaltungsvorschrift zum öffentlichen Auftragswesen (VVöA) v. Dienstleistungen mit einem Auftragswert von unter 100 T€ 24.3.2020 – Az.: B II 2-G17/17-2, BayMBl. 2020 Nr. 155 v. 25.3.2020 i.d.F. v. 6.12.2020, BayMBl. Nr. im Wege der Verhandlungsvergabe mit oder ohne Teilnah- 740 v. 16.12.2020. 20 Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration, Bekanntmachung v. mewettbewerb durchgeführt werden.24 In Sachsen-Anhalt 31.7.2018 („Vergabe von Aufträgen im kommunalen Bereich“) – Az.: B3-1512-31-19, i.d.F. v. 7.7.2020, BayMBl. Nr. 787 v. 8.12.2020, Ziffer 1.2.11, 2. Spstr. dürfen Bau-, Liefer- und Dienstleistungen, bis zum jeweili- 21 Ziffer 6.3 VVöA. gen EU-Schwellenwert durch freihändige Vergabe25 bis zum 22 Ziffer 1.9, 2. Spstr. VVöA. 31.12.2021 beschafft werden.26 In Nordrhein-Westfalen 23 Finanzbehörde Freie und Hansestadt Hamburg, Rundschreiben v. 17.12.2020 („Corona-Erleich- terungen des Hamburgischen Vergabegesetzes“), Seite 1, und v. 20.3.2020 („Änderungen des ist für die Beschaffung von Waren und Dienstleistungen Hamburgischen Vergaberechts“), Seite 2. 24 Finanzbehörde Freie und Hansestadt Hamburg, Rundschreiben v. 17.12.2020 („Corona-Erleich- der Landesbehörden zur Eindämmung und kurzfristigen terungen des Hamburgischen Vergabegesetzes“), Seite 2. Bewältigung der Corona-Epidemie und/oder zur Aufrecht- 25 § 3 Abs. 2 Nr. 2 VOB/A, § 3 Abs. 5 Buchst. g) VOL/A. 26 §§ 2 f. AwVO. v. 10.12.2020. erhaltung des Dienstbetriebs, die UVgO bis zum 30.6.2021 27 Ministerium der Finanzen und Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Ener- ausgesetzt.27 Die Landesbehörden in Nordrhein-Westfalen gie, Gemeinsamer Runderlass v. 27.3.2020, MBl. NRW. 2020, 168, i.d.F. v. 7.12.2020, MBl. NRW. 2020, 880. können zur Beschaffung von Bauleistungen bis zu einem 28 Ministerium der Finanzen des Landes Nordrhein-Westfalen, Runderlass v. 27.4.2020 i.d.F. v. vorab geschätzten Auftragswert in Höhe von 100 T€/ 7.12.2020, MBl. NRW 2020, 880 v. 30.12.2020, Ziffer 1.2. 29 Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes Nordrhein-Westfalen, netto eine freihändige Vergabe durchführen.28 Kommunale Runderlass v. 28.8.2018 i.d.F. v. 12.6.2020, MBl. NRW 2020, 355 v.3.7.2020. öffentliche Auftraggeber in Nordrhein-Westfalen können 30 Ministerium für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau Rheinland-Pfalz, Rundschrei- ben v. 29.6.2020 – Az.: 8206, Seite 4. Liefer- und Dienstleistungen bis zu einem vorab geschätz- 31 Nr. 1.2.2.1 Abs. 1a Satz 1 Thüringer Verwaltungsvorschrift zur Vergabe öffentlicher Aufträge; für die Vergabe von gewerblichen Dienstleistungen und Lieferungen ist eine VVoT unterhalb des EU- ten Auftragswert von 100 T€/netto im Wege einer VVoT und Schwellenwertes im Zeitraum vom 3.4.2020 bis zum Ablauf des 31.12.2021 zulässig, vgl. Nr. 1.2.2.2 Bauleistungen freihändig für jedes Gewerk bis zu einem Abs. 1a Thüringer Verwaltungsvorschrift zur Vergabe öffentlicher Aufträge. 32 § 3 InvErlG. 33 § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b) u. Nr. 2 Buchst. a) InvErlG. 34 Sächsisches Staatsministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr, Rundschreiben v. 19.3.2020 – Az.: StS-0450/6/47-2020/13870, Seite 1 35 § 12 Abs. 3 UVgO. 36 § 14 UVgO, § 3a Abs. 4 VOB/A. 5
10a Hierbei sind ebenfalls die landesrechtlichen Regelungen bis zu einem voraussichtlichen Auftragswert von 15 T€/ zu beachten. In Baden-Württemberg dürfen Landesbe- netto direkt vergeben.46 Saarländische Kommunen dürfen hörden bis 31.12.2021 Bauleistungen bis 5 T€ direkt sowie Liefer- oder Dienstleistungen, die unmittelbar oder mittel- Liefer- und Dienstleistungen bis 10 T€ direkt beauftragen;37 bar zur Eindämmung der Corona-Pandemie beitragen, bis kommunalen Auftraggebers wird empfohlen, entsprechend zum 30.6.2021 direkt beauftragen.47 In Mecklenburg-Vor- zu verfahren.38 In Bremen können bis zum 31.12.202139 pommern dürfen Liefer-, Dienst- und Bauleistungen, die Bau-, Liefer- oder Dienstleistungen ohne weitere Einzel- unmittelbar oder mittelbar zur Eindämmung der Corona- fallbegründung im Wege eines Direktauftrages vergeben Pandemie oder deren Folgen beitragen, ohne Durchführung werden, wenn die Leistungen besonders dringlich sind, weil einer Markterkundung, bis zum 31.12.2021 direkt beauftragt sie zur Eindämmung der Corona-Pandemie erforderlich sind werden.48 und den EU-Schwellenwert unterschreiten.40 Niedersäch- sische Kommunen können Liefer- und Dienstleistungen, 37 Ziffer 2 Buchst. a) und b) VwV Investitionsfördermaßnahmen öA. die aufgrund von Umständen im Zusammenhang mit der 38 Ziffer 4 VwV Investitionsfördermaßnahmen öA. COVID-19-Pandemie besonders dringlich sind, bis zum 39 § 3 InvErlG. 40 § 2 Abs. 2 InvErlG. 31.3.2021 direkt beauftragen.41 Behörden des Freistaates 41 Niedersächsisches Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung, Pressemittei- Bayern dürfen bis zum 31.12.2021 in der Corona-Krise be- lung v. 28.8.2020. 42 Insbesondere medizinische Bedarfsgegenstände und Leistungen, die der Aufrechterhaltung des gründete Beschaffungen42 über Liefer- und Dienstleistungen Dienstbetriebes in der Verwaltung dienen. bis zu einer Wertgrenze von 25 T€/netto durch Direktauftrag 43 Ziffer 1.9, 1. Spstr. VVöA. 44 Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration, Bekanntmachung v. vergeben.43 Das Gleiche gilt für kommunale Auftraggeber 31.7.2018 („Vergabe von Aufträgen im kommunalen Bereich“) – Az.: B3-1512-31-19, i.d.F. v. 7.7.2020, in Bayern.44 Nordrhein-westfälische Landesbehörden BayMBl. Nr. 787 v. 8.12.2020, Ziffer 1.2.11, 1. Spstr. 45 Ministerium der Finanzen und Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und müssen für Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge bis Energie des Landes Nordrhein-Westfalen, Vorgriffschreiben v. 27.3.2020 – Az.: H 4040 -24- IVA3 81.02.13.02, Seite 1. zu einem voraussichtlichen Auftragswert von 3 T€/netto 46 Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung, Runderlass v. 28.8.2018 i.d.F. v. kein Vergabeverfahren durchführen.45 Kommunen in Nord- 12.6.2020, MBl. NRW. 2020, 535. 47 Ziffer 2.6 Vergabeerlass v.7.4.2020 i.d.F. v. 25.11.2020. rhein-Westfalen können Liefer-, Dienst- und Bauleistungen 48 Nr. 1.1. i.V.m. Nr. 4 Corona-Vergabeerlass – CVgE M-V v. 14.4.2020 i.d.F. v. 24.11.2020. 3. Können noch laufende Beschaffungsverträge ohne erneutes Vergabeverfahren ausgeweitet werden? 11 Ja, im Oberschwellenbereich kommt hierfür vor allem die Die pauschale Obergrenze von 50 % gilt für jede „Notän- 13 „Notänderung“49 in Betracht. Danach darf ein bestehen- derung“, ohne dass diese addiert werden müssten, soweit der Auftrag von einem sorgfältig planenden Auftraggeber die „Notänderungen“ nicht mit dem Ziel der Umgehung des wegen nicht vorhersehbarer Umstände (vgl. entsprechend Vergaberechts erfolgen.52 Rdnrn. 2 f.) um bis zu 50%50 des ursprünglichen Auftrags- wertes ausgeweitet werden, wenn der Gesamtcharakter Die „Notänderung“ muss allerdings im Amtsblatt der Euro- 14 des Auftrages gewahrt bleibt. päischen Union bekannt gemacht werden.53 12 Letzteres ist z.B. der Fall, wenn Im Unterschwellenbereich ist im Anwendungsbereich der 15 –d ie Stückzahlen der ursprünglichen Lieferleistung erhöht UVgO bei der Vergabe von Liefer- und Dienstleistungen die werden, o.g. „Notänderung“ ebenfalls zulässig.54 Bei Bauvergaben –e in Liefervertrag über bestimmte medizinische Hilfsmittel erfordern Vertragsänderungen nach den Bestimmungen der um weitere Gegenstände ergänzt wird, die dem gleichen VOB/B kein neues Vergabeverfahren, ausgenommen davon oder ähnlichen Zweck dienen,51 sind Vertragsänderungen nach § 1 Abs. 4 Satz 2 VOB/B.55 – der Stundenumfang von Wach- und Sicherheitsdienst- leistungen erhöht wird (z.B. zusätzliche Wachleute zur Si- cherung von Patientenwartebereichen benötigt werden), –G ebäudereinigungsdienstleistungen intensiviert werden 49 § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 u. Satz 2 GWB. (z.B. zweimal anstatt einmal täglich gereinigt wird), 50 Die pauschale Obergrenze von 50% gilt nicht für Sektorenauftraggeber (§ 142 Nr. 3 GWB). –d as Bauvolumen erhöht wird (z.B. Errichtung von 40 an- 51 Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, Rundschreiben v. 19.3.2020 - statt 20 Intensivstationen). Az.: 20601/000#003, Seite 6. 52 § 132 Abs. 2 Satz 3 GWB; die Norm gilt nicht für Sektorenauftraggeber (§ 142 Nr. 3 GWB). 53 § 132 Abs. 5 GWB. 54 § 47 Abs. 1 UVgO i.V.m. § 132 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 u. Satz 2 GWB. 55 § 22 VOB/A. 6
4. Müssen die Fristen für die Abgabe von Teilnahmeanträgen und Angeboten verlängert werden? 16 Grundsätzlich nein. Im Oberschwellenbereich besteht Eine Ausnahme dürfte aber dann anzunehmen sein, wenn 18 keine Pflicht zur Verlängerung von Teilnahme- und Ange- z.B. für die in einem Vergabeverfahren elektronisch regist- botsfristen, soweit bei der Fristsetzung die Komplexität der rierten Bieter und deren Mitarbeiter/-innen eine staatlich Leistung und die Zeit für die Ausarbeitung der Angebote angeordnete, absolute Ausgangssperre besteht und/oder angemessen berücksichtigt wurden.56 Der Vorbehalt der die Bewegungsfreiheit zur Ausübung der Berufsausübung Angemessenheit betrifft insbesondere die Mindestfristen,57 staatlicherseits eingeschränkt ist, sodass diese ihren die somit nicht per se und automatisch jedem Vergabever- Arbeitsplatz nicht mehr aufsuchen dürfen, und alle diese fahren zugrunde gelegt werden können. Der Auftraggeber Bieter glaubhaft machen können, dass keiner der für die muss die Angemessenheit in jedem Einzelfall gesondert Angebotsbearbeitung nötigen Mitarbeiter/-innen aus dem prüfen.58 Heimbüro/Home Office mittels elektronischer Fernzugriffs- möglichkeiten Angebote erstellen und auf dem auftragge- 17 Die Corona-Pandemie führt zu erschwerten und für zahl- berseitigen elektronischen Vergabeportal einreichen kann. reiche Erwerbstätige zu teils neuen Arbeitsbedingungen, Unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten wird in einem sowohl auf Seiten der Bieter als auch der Auftraggeber. solchen Fall eine Verlängerung der Angebotsabgabefrist Die Ausübung der beruflichen Tätigkeit kann häufig aus erforderlich sein. dem Heimbüro/Home Office mittels elektronischer Fern- zugriffsmöglichkeiten und/oder – solange und soweit Unabhängig von den vorstehenden Ausführungen dürften 19 keine staatlich angeordneten, absoluten Ausgangssperren alle Auftraggeber gut beraten sein, zu prüfen, ob wegen bestehen und/oder die Bewegungsfreiheit zur Ausübung der pandemiebedingten personellen Vakanzen, unter- der Berufsausübung nicht staatlicherseits eingeschränkt brochenen Lieferketten, eingeschränkten Kommunikation, ist – auch am Arbeitsplatz selbst sichergestellt werden. vorübergehenden Betriebsschließungen usw. eine (freiwil- Mit der spätestens seit 18.10.2018 generell verbindlichen lige) Verlängerung von Teilnahme- und Angebotsfristen in Einführung der elektronischen Vergabe kann das Verga- Betracht kommt, um weiterhin möglichst attraktive Teilnah- berecht auch pandemiebedingten Beschaffungssituationen meanträge und Angebote zu erhalten. Damit korrespondiert dem Grunde nach effektiv begegnen. Wenn daher vor die- die (einvernehmliche) Verlängerung der Bindefrist61 und ggf. sem Hintergrund z.B. ein einzelner Bieter um Verlängerung die Verschiebung des vertraglichen Leistungsausführungs- der angemessenen Angebotsabgabefrist unter pauschalem zeitraums. Hinweis auf die Corona-Pandemie ersucht, besteht grundsätzlich auch unter Beachtung des Verhältnismäßig- Im Unterschwellenbereich sind Teilnahme- und An- 20 keitsgrundsatzes59 keine Pflicht die Angebotsabgabefrist gebotsfristen grundsätzlich62 angemessen63 bzw. aus- zu verlängern. Beantragen hingegen bspw. alle Bieter eine reichend64 zu bestimmen, sodass die obigen Ausführungen Angebotsabgabefristverlängerung, so ist der Schlusstermin zum Oberschwellenbereich entsprechend gelten (vgl. für die Abgabe der Angebote unter Berücksichtigung der Rdnrn. 16 ff) Terminsituation der Beschaffungsmaßnahme möglichst zu verschieben.60 56 § 20 Abs. 1 VgV; ähnlich: § 10 EU Abs. 1 VOB/A, § 16 Abs. 1 SektVO. 57 So ausdrücklich für die Vergabe von Bauaufträgen: § 10 EU Abs. 1 Satz 3 VOB/A. 58 So ausdrücklich für die Vergabe von Bauaufträgen: § 10 EU Abs. 1 Satz 2 VOB/A. 59 § 97 Abs. 1 Satz 2 GWB. 60 Ähnlich: Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, Hinweisschreiben v. 27.3.2020 („COVID-19-Pandemie“), Seite 3. 61 § 10a EU Abs. 8 VOB/A, § 10 Abs. 4 VOB/A, § 13 Abs. 1 Satz 1 UVgO. 62 Bei der Vergabe von Bauaufträgen ist auch bei Dringlichkeit eine ausreichende Angebotsfrist von nicht unter zehn Kalendertagen vorzusehen (§ 10 Abs. 1 Satz 1 VOB/A). 63 § 13 Abs. 1 Satz 1 UVgO, 64 § 10 Abs. 1 Satz 1 VOB/A. 7
5. Können mit den Bietern wegen der Infektionsgefahr noch Verhandlungsgespräche geführt werden? 21 Ja. Das Vergaberecht schreibt im Oberschwellenbereich nehmerzahl begrenzen, Eingangsscreening auf Risikoex- keine bestimmte Form der Verhandlungen vor. position und/oder Symptome, für eine dem Infektionsrisiko angemessene Belüftung des Veranstaltungsortes sorgen, 22 Verhandlungsgespräche können z.B. auch mittels auf enge Interaktion der Teilnehmenden verzichten, usw.) Video- oder Telefonkonferenzen geführt werden. Ver- und ggf. darüber hinausgehende Schutzvorkehrungen (z.B. handlungen bei zeitgleicher, physischer Anwesenheit der Einbau von Plexiglaswänden, Verteilung von persönlicher Gesprächsteilnehmer sollten aber im Sinne einer effektiven Schutzausrüstung) getroffen werden sollten.65 Eindämmung der Corona-Pandemie vorrangig vermieden werden. Solange und soweit keine staatlich angeordneten, Im Unterschwellenbereich gelten die obigen Ausführun- 23 absoluten Ausgangssperren bestehen und/oder die Be- gen für Verhandlungsvergaben bzw. freihändige Vergaben wegungsfreiheit zur Ausübung der Berufsausübung nicht entsprechend (vgl. Rdnrn. 21 f.). staatlicherseits eingeschränkt ist, können Verhandlungsge- spräche unter Einhaltung der entsprechenden staatlichen Anordnungen auch noch vor Ort durchgeführt werden, wobei zudem den Handlungsempfehlungen des Robert- Koch-Instituts (oder ähnlicher Behörden) zur Durchführung 65 Vgl. https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risiko_ von Veranstaltungen Folge geleistet werden sollte (Teil- Grossveranstaltungen.pdf?__blob=publicationFile (Abrufstand: 24.3.2020). 6. Können die Angebote unter Wahrung des Vier-Augen-Prinzips noch geöffnet werden? 24 Ja. Im Rahmen der elektronischen Vergabe kann im Hierbei sind auch landesrechtliche Regelungen zu beach- 26a Oberschwellenbereich die Öffnung der Angebote von min- ten. So kommt in Hessen § 14a VOB/A („Eröffnungstermin destens zwei Vertretern des Auftraggebers66 auch aus dem bei Zulassung schriftlicher Angebote“) grundsätzlich nicht Heimbüro/Home Office („remote“) erfolgen, wenn entwe- mehr zur Anwendung. Auftraggeber haben deshalb die der das im Einzelfall zum Einsatz kommende elektronische Regelungen des § 14 VOB/A entsprechend anzuwenden Vergabeportal über eine entsprechende Funktion verfügt (Verzicht auf Eröffnungstermin mit Bietern). Hierauf ist in oder wenn über zusätzliche Softwareprogramme (z.B. der Bekanntmachung und in den Vergabeunterlagen hin- Skype for Business, TeamViewer) das Vier-Augen-Prinzip zuweisen. Bei bereits eingeleiteten Vergabeverfahren, bei sichergestellt werden kann. denen eine Submission unter Beisein der Bieter oder deren Bevollmächtigten vorgesehen ist, sind die Bieter unter 25 Bei Vergaben im Unterschwellenbereich, die ausschließ- Hinweis auf die Corona-Pandemie zu informieren, dass lich elektronisch durchgeführt werden, gelten die obigen eine Teilnahme bei der Submission zurzeit ausgeschlossen Ausführungen entsprechend (vgl. Rdnr. 24). werden muss. Die Submissionsergebnisse sind den Bietern auf Anfrage zu übermitteln.71 In Niedersachsen dürfen 26 Bei der Vergabe von Bauaufträgen im Unterschwellen- öffentliche Auftraggeber abweichend von § 14a VOB/A bereich, bei denen noch schriftliche Angebote zugelassen Angebote in Abwesenheit der Bieter und ihrer Bevollmäch- sind, muss67 ein Eröffnungstermin abgehalten werden,68 bei tigten und ohne Verlesung nach Ablauf der Angebotsfrist dem Bieter und deren Bevollmächtigte anwesend sein dür- öffnen, wenn durch einen Eröffnungstermin eine Gefahr für fen.69 Wird der Eröffnungstermin zeitlich nicht verschoben, Gesundheit der Vertreterinnen oder Vertreter des Auftrag- so muss Bietern und deren Bevollmächtigten der Zugang gebers, der Bieter oder ihrer Bevollmächtigten einzutreten zum Submissionstermin ermöglicht werden und darf nicht droht.72 mit bloßem Hinweis auf die Corona-Pandemie verweigert werden. Für diesen Fall sind vom öffentlichen Auftraggeber 66 § 55 Abs. 2 Satz 1 VgV, § 14 EU Abs. 1 Satz 1 VOB/A. die staatlich angeordneten, behördlich empfohlenen und 67 Ebenso: Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, Hinweisschreiben v. 27.3.2020 („COVID-19-Pandemie“), Seiten 3 f. ggf. darüber hinaus gehenden Schutzvorkehrungen für alle 68 § 14a Abs. 1 Satz 1 VOB/A. Eröffnungsterminsteilnehmer zu treffen (vgl. entsprechend 69 § 14a Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Nr. 2, Halbs. 2 VOB/A. Rdnr. 22), um die Submission kontaktlos und mit ausrei- 70 Ähnlich: https://www.schleswig-holstein.de/DE/Fachinhalte/V/vergaberecht/ tb_VergabeCoronaAktuell.html;jsessionid=C45F4AC96F892AF39706DC212A- chend Sicherheitsabstand durchzuführen.70 E0F798.delivery1-master (Abrufstand: 16.4.2020) 71 Hessisches Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen, Ge- meinsamer Runderlass zum öffentlichen Auftragswesen (Vergabeerlass) v. 14.9.2020, Nr. 1.1. 8 72 § 3 Abs. 4 Satz 1 NWertVO v. 3.4.2020.
7. Welche Eignungskriterien sollten bei geplanten Vergabeverfahren besonders beachtet werden? 27 Im Oberschwellenbereich dürften zukünftig vor allem der Bei der Vergabe im Unterschwellenbereich gelten die 29 wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit73 obigen Ausführungen – auch wenn dort z.B. Bankerklärun- sowie der technischen Leistungsfähigkeit74 der Bewerber/ gen und Lieferkettenmanagement- und Lieferkettenüber- Bieter eine besondere Bedeutung zukommen. Als Be- wachungssysteme nicht ausdrücklich Erwähnung finden leg der erforderlichen wirtschaftlichen und finanziellen – entsprechend (vgl. Rdnrn. 27 f.).79 Leistungsfähigkeit können insbesondere entsprechende Bankerklärungen75 dienen, die z.B. Aufschluss über den aktuellen Liquiditätsstatus bieten können. Gleiches gilt für Jahresabschlüsse oder Auszügen davon,76 um z.B. das zur Verfügung stehende Eigenkapital und die kurz-/mittel- fristigen Verbindlichkeiten des Unternehmens zu erfahren. Hierbei kann das Verhältnis zwischen Vermögen und Ver- bindlichkeiten berücksichtigt werden, wenn der Auftrag- geber transparente, objektive und nichtdiskriminierende Methoden und Kriterien für die Berücksichtigung anwendet und die Methoden und Kriterien in den Vergabeunterlagen angibt.77 28 Als Beleg der erforderlichen technischen Leistungsfähig- keit können vor allem Angaben zu Lieferkettenmanage- ment- und Lieferkettenüberwachungssystemen,78 die dem Unternehmen zur Vertragserfüllung zur Verfügung stehen, an Bedeutung gewinnen. Dies gilt vor allem für Waren, bei denen die Liefersicherheit eine hohe Priorität genießt. Insoweit können bspw. die vorgelagerten Liefer- kettenstufen der Wertschöpfung abgebildet und die Direkt- lieferanten und Rohstoffproduzenten dargestellt werden, 73 § 45 VgV, § 6 EU Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 VOB/A. 74 § 46 VgV, § 6 EU Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 VOB/A. Angaben zu den einzelnen Aktivitäten der Lieferkettenstufe 75 § 45 Abs. 4 Nr. 1 VgV, § 6a EU Nr. 2 Satz 1 Buchst. a) VOB/A. getroffen und alternative Lieferketten mit mehreren ver- 76 § 45 Abs. 4 Nr. 3 VgV, § 6a EU Nr. 2 Satz 1 Buchst. b) VOB/A. 77 § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 VgV, § 6a EU Nr. 2 Satz 1 Buchst. b) VOB/A. schiedenen Produktionsstandorten geprüft werden, um z.B. 78 § 46 Abs. 3 Nr. 4 VgV, § 6a EU Nr. 3 Buchst. d) VOB/A. das geografische Risiko bewerten zu können. 79 § 33 Abs. 1 Satz 1 UVgO, § 6a Abs. 3 VOB/A. 8. Dürfen Bewerber und Bieter aus Risikogebieten ausgeschlossen werden? 30 Wirtschaftsteilnehmer aus anderen Risikogebieten (z.B. Italien, Österreich, Frankreich) dürfen nicht aufgrund ihrer Herkunft automatisch von Vergabeverfahren aus- geschlossen werden. Ein Ausschluss wäre grundsätzlich als vergaberechtswidrige Diskriminierung zu werten. Bei solchen Bewerbern und Bietern kann im Einzelfall aber die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit80 80 § 45 VgV, § 6 EU Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 VOB/A. und/oder die technische Leistungsfähigkeit ggf. näher 81 § 15 Abs. 5 Satz 1 VgV; § 15 EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A; §§ 11 Abs. 3, 10 Abs. 3, aufzuklären81 sein. 9 Abs. 2 UVgO, § 15 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A. 9
9. Kann ein Vergabeverfahren wegen des Ausbruchs der Corona-Pandemie aufgehoben werden? 31 Auftraggeber sind im Oberschwellenbereich berechtigt, Der Auftraggeber muss überdies sein Aufhebungs- 33 ein Vergabeverfahren ganz oder teilweise aufzuheben, ermessen ordnungsgemäß ausüben. Er hat deshalb u.a. u.a. wenn sich die Grundlage des Vergabeverfahrens zu erwägen, ob als weniger einschneidende Maßnahme wesentlich geändert hat82 bzw. die Vergabeunterlagen (als eine Aufhebung) ggf. auch eine Zurückversetzung des grundlegend geändert werden müssen.83 Das Ereignis, Vergabeverfahrens in den Stand vor Bereitstellung der das die Änderung bewirkt hat, muss also nach Beginn des Vergabeunterlagen und z.B. eine Reduzierung des aus- Vergabeverfahrens eingetreten sein. Von der Corona-Pan- zuschreibenden Leistungsumfanges in Betracht kommen.87 demie können insoweit jedenfalls solche Vergabeverfahren Die Ausübung des Ermessens verlangt somit sämtliche für erfasst sein, die vor dem 11.3.2020 (vgl. Rdnr. 2) eingeleitet und gegen eine Aufhebung der Entscheidung sprechenden wurden. Belange gegeneinander abzuwägen.88 32 Eine wesentliche/grundlegende Änderung ist anzunehmen, Bei Vergaben im Unterschwellenbereich89 gelten die obi- 34 wenn eine ganz entscheidende Abänderung der bisherigen gen Ausführungen entsprechend (vgl. Rdnrn. 31 ff.). Absicht zur Leistungserbringung erforderlich wird oder wenn die ursprünglichen Leistungsanforderungen für Auftraggeber und Bieter nicht mehr zumutbar sind – etwa ähnlich dem Wegfall der Geschäftsgrundlage – und die notwendigen Änderungen auch nicht mit den Regelungen der VOB/B bzw. VOL/B aufgefangen werden können, ohne dass dadurch eine Wettbewerbsverzerrung eintritt.84 Das Interesse des Auftraggebers an der konkret ausgeschrie- benen Leistung selbst darf somit nicht mehr bestehen.85 Die pandemische Verbreitung des Coronavirus ab Januar 2020 ist ein dem öffentlichen Auftraggeber jedenfalls 82 § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 VgV. weder zurechenbares noch vorhersehbares Ereignis.86 Eine 83 § 17 EU Abs. 1 Nr. 2 VOB/A. Aufhebung kann z.B. in Betracht kommen, wenn aufgrund 84 Oberlandesgericht München, Beschluss v. 4.4.2013 - Verg 4/13. einer behördlichen Entscheidung die zu vergebenden 85 Vergabekammer Bund, Beschluss v. 11.12.2020 – VK 2-91/20. 86 Vergabekammer Bund, Beschluss v. 6.5.2020 – VK 1-32/20. Leistungen nicht mehr (z.B. die Cateringleistungen für 87 Oberlandesgericht Celle, Beschluss v. 10.3.2016 - 13 Verg 5/15. eine staatlich untersagte Großveranstaltung), zumindest 88 Oberlandesgericht Karlsruhe, Beschluss v. 27.9.2013 –15 Verg 3/13. 89 § 48 Abs. 1 Nr. 2 UVgO, § 17 Abs. 1 Nr. 2 VOB/A. aber nicht mehr in der ausgeschriebenen Weise erbracht werden können. Vgl. auch Rdnr. 94 ff. 10. Kann über eine zentrale Beschaffungsstelle schnell beschafft werden? 35 Möglicherweise ja. Im Oberschwellenbereich ist eine Das EU-Vergaberecht ermöglicht es öffentlichen Auftragge- 36 zentrale Beschaffungsstelle90 selbst ein öffentlicher Auf- bern im Übrigen ausdrücklich, zentrale Beschaffungsstel- traggeber, der auf Dauer zentrale Beschaffungstätigkeiten len ohne ein Vergabeverfahren mit Beschaffungstätigkeiten für andere öffentliche Auftraggeber erbringt. Die zentrale zu beauftragen.91 In ähnlicher Weise erwerben z.B. auch die Beschaffungsstelle kann dabei entweder selbst Waren EU-Unionsstaaten auf Grundlage der sog. gemeinsamen oder Dienstleistungen beschaffen und anschließend Beschaffungsvereinbarung zentral Impfstoffe, antivirale weiterverkaufen oder aber im Auftrag und auf Rechnung Medikamente, Beatmungsgeräte, Laborausrüstung u.ä., anderer öffentlicher Auftraggeber Vergabeverfahren zur deren Zuteilung an die EU-Mitgliedstaaten durch einen Beschaffung von Liefer-, Bau- und Dienstleistungen für Lenkungsausschuss erfolgt.92 diese durchführen. Zeitliche Effekte bei der Beschaffung können sich während der Corona-Pandemie vor allem Im Unterschwellenbereich93 gelten die vorstehenden Aus- 37 dann ergeben, wenn zentrale Beschaffungsstellen z.B. über führungen entsprechend (vgl. Rdnrn. 35 f.). Rahmenvereinbarungen benötigte Liefer- und Dienstleis- tungen für andere öffentliche Auftraggeber zeitnah abrufen 90 § 120 Abs. 4 GWB, § 142 GWB. können. 91 § 120 Abs. 4 Satz 3 GWB. 92 Europäische Kommission, Mitteilung „Kurzfristige Vorsorgemaßnahmen der EU im Gesundheitsbereich im Hinblick auf COVID-19-Ausbrüche“ v. 15.7.2020, COM(2020) 318 final, Annex. 93 § 16 UVgO. 10
11. Können im Hinblick auf die Corona-Pandemie Vertrags- strafen in den Vergabeunterlagen vorgesehen werden? 38 Ausnahmsweise ja. Im Baubereich dürfen angemessene Versorgungsengpässe aus zwingenden Gründen des öf- Vertragsstrafen für die Überschreitung von Vertragsfristen fentlichen Interesses am Lebens- und Gesundheitsschutz ohnehin nur vereinbart werden, wenn die Überschreitung eine angemessene Vertragsstrafenregelung ausnahms- erhebliche Nachteile verursachen kann.94 Bei der Über- weise rechtfertigen. Hingegen wird bspw. der Umbau zur schreitung von Vertragsfristen sind also nicht per se Schaffung von zusätzlichen Videokonferenzräumen zur erhebliche Nachteile zu befürchten.95 Entscheidend für Verbesserung bzw. Aufrechterhaltung des üblichen Betrie- die insoweit nötige Beurteilung des öffentlichen Auftrag- bes von Dienststellen ohne unmittelbare lebens- und ge- gebers ist daher, ob die denkbaren Folgen überschrittener sundheitserhaltende (oder damit vergleichbare) Funktionen Ausführungsfristen und die dadurch bedingte Verzögerung regelmäßig keinen Ausnahmefall rechtfertigen können. der zu erbringenden Bauleistungen für den öffentlichen Auftraggeber ein nicht mehr in Kauf zu nehmendes Risiko Bei der Vergabe von Liefer- und Dienstleistungsaufträ- 40 begründen, das mittels Vertragsstrafe angemessen redu- gen gelten die vorstehenden Ausführungen entsprechend ziert wird. (Rdnr. 38 f.).97 39 Angesichts der durch die Corona-Pandemie bestehenden Unsicherheiten im Rahmen der realen Bauabwicklung sind Vertragsstrafen nur im Ausnahmefall vorzusehen.96 So 94 § 9a EU Satz 1 u. 2 VOBA; § 9a Satz 1 u. 2 VOB/A. kann z.B. die kurzfristige Schaffung zusätzlicher räumlicher 95 Bundesgerichtshof, Urteil v. 30.3.2006 – VII ZR 44/05. 96 Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, Hinweisschreiben Intensivkapazitäten im Krankenhausbereich zur akuten Be- v. 27.3.2020 („COVID-19-Pandemie“), Seite 4. seitigung pandemiebedingter medizinischer Behandlungs-/ 97 § 21 Abs. 3 UVgO; vgl. zur Vertragsstrafe im Allgemeinen: § 21 Abs. 2 UVgO i.V.m. § 11 VOL/B. 12. Müssen bei der Vergabe von unterschwelligen Bauauf- trägen geforderte Drittnachweise bzw. Bescheinigungen zur Eignung weiterhin vorgelegt werden? 41 Grundsätzlich ja. Bauleistungen dürfen nur an fachkun- seinen für die Ausstellung der Bescheinigung erforder- dige, leistungsfähige und zuverlässige, sprich geeignete lichen Verpflichtungen nachgekommen ist und Unternehmen vergeben werden.98 Der öffentliche Auf- c) den Antrag zur Ausstellung der geforderten Bescheini- traggeber kann dabei zwar vorsehen, dass für einzelne gung der Eigenerklärung beifügt, es sei denn, dass die (Eignungs-)Angaben Eigenerklärungen ausreichend sind.99 bescheinigende Stelle offenkundig ihre Diensttätigkeit Allerdings sind Eigenerklärungen, die als vorläufiger vorübergehend eingestellt hat.101 Nachweis dienen, von den Bietern, deren Angebote in die engere Wahl kommen, oder von den in Frage kommenden Hierbei sind auch landesrechtliche Regelungen zu beach- 42a Bewerbern durch entsprechende Bescheinigungen (z.B. ten. So sind z.B. Eignungsnachweise bei Vergabeverfahren Unbedenklichkeitsbescheinigungen) der zuständigen des Landes Hessen in der Regel nicht vorzulegen. Hier Stellen zu bestätigen.100 Die Beibringung solcher aktueller genügt grundsätzlich eine Eigenerklärung.102 Bescheinigungen kann den Unternehmen trotz rechtzeiti- ger Beantragung bei den zuständigen Stellen aber unver- In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass der 43 schuldete Probleme bereiten, wenn sich die Ausstellung öffentliche Auftraggeber sogar auf die Vorlage von Eignungs- der Drittnachweise wegen der Corona-Pandemie verzögert. nachweisen verzichten muss, wenn die den Zuschlag er- teilende Stelle bereits im Besitz dieser Nachweise ist.103 42 In einem solchen ohne Verschulden des Unternehmens eingetretenen Ausnahmefall ist anstatt des Drittnach- weises bzw. der Bescheinigung eine Eigenerklärung aus- 98 § 2 Abs. 3 VOB/A. reichend, wenn (a-c) der Bewerber oder Bieter 99 § 6b Abs. 2 Satz 2 VOB/A. 100 § 6b Abs. 2 Satz 3 VOB/A. 101 Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, Hinweisschreiben v. a) e ine vor kurzem abgelaufene Bescheinigung vorlegen 27.3.2020 („COVID-19-Pandemie“), Seite 3; Bundesministerium für Ver- kehr und digitale Infrastruktur, Rundschreiben v. 30.3.2020 - Az.: StB kann und 14/7134.40/010/3297672, Seite 3. b) k eine begründeten Zweifel daran bestehen, dass der 102 Hessisches Ministerium der Finanzen, Rundschreiben v. 30.3.2020 – Az.: O 1082 A-101-IV 6, O 1080 A-01-IV 6/4, Seite 2. Bewerber oder Bieter auch nach Ablauf der Gültigkeit 103 § 6b Abs. 3 VOB/A 11
13. Kann durch den Abschluss von Open-House-Verträgen schnell beschafft werden? 44 Möglicherweise ja. Strebt ein Auftraggeber im Ober- Der Auftraggeber kann an die zuzulassenden Unternehmen 47 schwellenbereich an, mit allen Unternehmen Verträge auch Eignungsanforderungen aufstellen, ohne dass abzuschließen, welche die nachgefragten Leistungen (z.B. dadurch der Charakter eines vergaberechtsfreien Open- FFP2-Atemschutzmasken, OP-Masken, Schutzkittel) zu House-Vertrages verloren geht.109 den von ihm vorgegebenen Bedingungen anbieten wollen, findet das EU-Vergaberecht keine Anwendung (sog. Open- Im Unterschwellenbereich können die vorstehenden Aus- 48 House-Verträge bzw. Zulassungssysteme).104 Der Grund führungen sinngemäße Anwendung finden (Rdnr. 44 ff.). liegt in der fehlenden Auswahl eines Unternehmens, an das ausschließlich der Auftrag vergeben wird. Ein öffent- licher Auftrag im vergaberechtlichen Sinne liegt deshalb nicht vor.105 45 Besteht an den zu beschaffenden Leistungen ein ein- deutiges grenzüberschreitendes Interesse, gelten aber insbesondere die (primärrechtlichen) Grundsätze der Nichtdiskriminierung, Gleichbehandlung und das Trans- parenzgebot, das eine angemessene Bekanntmachung106 verlangt.107 46 In ablauforganisatorischer Hinsicht kann ein Antrag dem Open-House-Verfahren beitreten zu wollen, von jedem Unternehmen während der gesamten Laufzeit des Zulas- sungssystems gestellt werden. Dies erfolgt durch Abgabe eines Angebotes, das die gestellten Anforderungen an die nachgefragten Leistungsgegenstände erfüllt und die vom Auftraggeber vorgegebenen Preise sowie Vertragsbedin- gungen (z.B. Lieferzeitpunkt) akzeptiert. Vertragsverhand- lungen werden nicht geführt. Der Beitritt zum Open-House- Vertrag bzw. der Vertragsabschluss erfolgt durch Zuschlag 104 Europäischer Gerichtshof, Urteil v. 2.6.2016 – C-410/14 („Falk Pharma“), auf das Angebot. Nach Zuschlagserteilung kommt der Rdnr. 37. 105 Erw.grd. 4 Richtlinie 2014/24/EU v. 26.2.2014; Oberlandesgericht Düsseldorf, Prüfung der von den einzelnen Zuschlagsempfängern Beschluss v. 31.10.2018 – Verg 37/18, Rdnr. 63. gelieferten Leistungsgegenstände hinsichtlich der bestim- 106 Z.B. EU-Amtsblatt 2020/S 062/147548 v. 27.3.2020. 107 Europäischer Gerichtshof, Urteil v. 2.6.2016 – C-410/14 („Falk Pharma“), mungsgemäßen Nutzbarkeit eine besondere Bedeutung zu, Rdnrn. 44 f. um bspw. keine normwidrigen bzw. gesundheitsbeeinträch- 108 Vgl. Der Spiegel v. 18.5.2020, Masken-Beschaffung – Jens Spahn überweist verspätet. tigenden Atemschutzmasken bereitzustellen.108 109 Europäischer Gerichtshof, Urteil v. 1.3.2018 – C-9/17 („Tirkkonen“), Rdnrn. 35 ff. 12
14. Ist es sinnvoll, die Vergabeunterlagen für öffentliche Bau- aufträge um Hinweise auf die Corona-Pandemie zu ergänzen? 49 Ja. Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat bisherigen Leistungserbringung Schwierigkeiten hatte und hat für seinen Geschäftsbereich angeordnet, ein Hinweis- sich nun auf die Corona-Pandemie beruft. blatt zum Umgang mit Bauablaufstörungen im Zusammen- Höhere Gewalt kann auch auf Seiten des Auftraggebers hang mit der Corona-Pandemie beizufügen.110 Eine ent- eintreten, beispielsweise, weil die Projektleitung unter sprechende Verfahrensweise ist für andere Auftraggeber im Quarantäne gestellt wird. Dabei wäre dann – entsprechend Ober- und Unterschwellenbereich ebenfalls sinnvoll (vgl. der an die Auftragnehmer gestellten Anforderungen und auch Rdnr. 50a). Das ministerielle Hinweisblatt beinhaltet nach denselben Maßstäben – zu dokumentieren, dass folgende Ausführungen: und warum die Projektleitung nicht aus dem Homeoffice erfolgen kann, oder dass und warum keine Vertretung 50 „Handhabung von Bauablaufstörungen organisiert werden kann. Die sich ausbreitende Corona-Pandemie kann Auswirkun- Falls das Vorliegen höherer Gewalt im Einzelfall angenom- gen auf die Bauabläufe haben. Zum vertragsrechtlichen men werden kann, verlängern sich Ausführungsfristen Umgang mit Bauablaufstörungen gebe ich folgende Hin- automatisch um die Dauer der Behinderung zzgl. eines weise: angemessenen Zuschlags für die Wiederaufnahme der Die Corona-Pandemie ist grundsätzlich geeignet, den Tat- Arbeiten (§ 6 Abs. 4 VOB/B). bestand der höheren Gewalt im Sinne von § 6 Abs. 2 Nr. 1 Beruft sich der Auftragnehmer nach den o.g. Maßstäben Buchst. c VOB/B auszulösen. Höhere Gewalt ist ein unvor- zu recht auf höhere Gewalt, entstehen gegen ihn keine hersehbares, von außen einwirkendes Ereignis, das auch Schadens- oder Entschädigungsansprüche. durch äußerste, nach der Sachlage zu erwartende Sorgfalt wirtschaftlich vertretbar nicht abgewendet werden kann Bei höherer Gewalt gerät auch der Auftraggeber nicht in und auch nicht wegen seiner Häufigkeit hinzunehmen ist. Annahmeverzug; die Voraussetzungen des § 642 BGB liegen nicht vor (vgl. BGH, Urteil vom 20.4.2017 – VII ZR 194/13; die Das Vorliegen dieser strengen Voraussetzungen kann auch dortigen Ausführungen zu außergewöhnlich ungünstigen in der jetzigen Ausnahmesituation nicht pauschal angenom- Witterungsverhältnisses sind nach hiesiger Ansicht – erst men werden, sondern muss im Einzelfall geprüft werden. recht – auf eine Pandemie übertragbar). Das gilt insbeson- Grundsätzlich muss derjenige, der sich darauf beruft, die dere auch für Fallkonstellationen, in denen ein Vorgewerk die höhere Gewalt begründenden Umstände darlegen und aufgrund höherer Gewalt nicht rechtzeitig erbracht werden ggf. beweisen. Beruft sich der Unternehmer also auf höhere kann und nun das nachfolgende Gewerk deswegen Ansprü- Gewalt, müsste er darlegen, warum er seine Leistung nicht che wegen Behinderung gegen den Auftraggeber erhebt.“ erbringen kann. Das kann z.B. der Fall sein, weil –e in Großteil der Beschäftigten behördenseitig unter 50a Quarantäne gestellt ist und er auf dem Arbeitsmarkt oder Die bayerische Staatsbauverwaltung hat die verschiede- durch Nachunternehmer keinen Ersatz finden kann, nen Hinweise des Bundes111 für ihren Geschäftsbereich in eine einheitliche Fassung gebracht. Die entsprechenden – s eine Beschäftigten aufgrund von Reisebeschränkungen Hinweisblätter für die Vergabe von Bauleistungen und für die Baustelle nicht erreichen können und kein Ersatz Liefer- und gewerbliche Dienstleistungen sowie für frei- möglich ist, berufliche Dienstleistungen sind auf der Vergabeplattform –e r kein Baumaterial beschaffen kann. www.vergabe.bayern.de bereitgestellt.112 Kostensteigerungen sind dabei nicht grundsätzlich un- zumutbar. Die Darlegungen des Auftragnehmers müssen das Vor- liegen höherer Gewalt als überwiegend wahrscheinlich er- scheinen lassen, ohne dass sämtliche Zweifel ausgeräumt sein müssen. Auf Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Bescheinigungen und Nachweisen ist mit Blick auf die Überlastung von Behörden und die stark reduzierte Ge- schäftstätigkeit der Privatwirtschaft Rücksicht zu nehmen. Dies bedeutet, die vom Auftragnehmer geforderten Darle- gungen im Einzelfall mit Augenmaß, Pragmatismus und mit Blick auf die Gesamtsituation zu handhaben. Der bloße Hinweis auf die Corona-Pandemie und eine rein 110 B undesministerium des Innern, für Bau und Heimat, Erlass v. 27.3.2020 – vorsorgliche Arbeitseinstellung erfüllt den Tatbestand der Az.: BW I 7-70406/21#1, Hinweisblatt für den Umgang mit Bauablaufstörungen v. 27.3.2020 höheren Gewalt aber nicht. Ebenso bitte ich um beson- 111 Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, Erlass v. 27.3.2020 – deres Augenmerk, falls der Auftragnehmer schon bei der Az.: BW I 7-70406/21#1, Hinweisblatt für den Umgang mit Bauablaufstörungen v. 27.3.2020; Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, Rund- schreiben v. 30.3.2020 - Az.: StB 14/7134.40/010/3297672. 112 Bayerisches Staatsministerium für Wohnen, Bau und Verkehr, Rundschreiben v. 7.4.2020 – Az.: Z5-40016-6, Seite 4. 13
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