MEDIZIN NACH MASS Mit personalisierter Medizin zur Gesundheit von morgen - NR. 1/2018

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MEDIZIN NACH MASS Mit personalisierter Medizin zur Gesundheit von morgen - NR. 1/2018
NR. 1/2018

            MEDIZIN NACH
               MASS
                 Mit personalisierter Medizin zur
                     Gesundheit von morgen
                               SEITE 12

Im Brettspiel den       Auf den Spuren der   Die Architektin des
Kahlschlag erleben      Zürcher Mona Lisa    öffentlichen Verkehrs
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REPORTAGE

       Mit 14C-Datierung auf den
     Spuren der Zürcher Mona Lisa
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         Das Labor für Ionenstrahlphysik gehört zu den weltweit
      führenden Gruppen zur Datierung von organischem Material.
        Dort werden nicht nur Gewebefetzen von Ötzi analysiert,
         sondern auch Farbpigmente von Mona-Lisa-Gemälden.
                     TEXT Samuel Schlaefli   BILD Daniel Winkler

                                  ETH GLOBE 1/2018
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REPORTAGE

Z
       uerst sehen wir nur den schwe-        Zwei Männer mit weissen Stoffhand-
       ren, mit Blattgold eingefassten       schuhen befreien das bemalte Pappel-
       Holzrahmen. Dann wird das             holzpaneel mit geübten Handgriffen
Motiv sichtbar: die sanfte, blasse Ge-       vom opulenten Rahmen. Hendriks
sichtshaut einer jungen Frau vor einer       beugt sich über das Porträt und sucht
weiten Flusslandschaft; die Hände auf        es mit einer UV-Lampe ab. Wie von
einer Armlehne überkreuzt. Ist das           Geisterhand erscheinen dunkle Fle-
wirklich Mona Lisa? Leonardo Da              cken, die auf nachträgliche Retouchie-
Vincis Meisterwerk, dessen Versiche-         rungen hindeuten. Mit farbigen Kle-
rungssumme auf 800 Millionen Dollar          bern markiert sie zwei Stellen an Hand
geschätzt wird!                              und Ärmel. Dann setzt sie sich eine
    Wir haben an diesem kalten Don-          Brille mit einem Monokular fürs rech-        «Habe ich mir nicht
nerstagmorgen die Doktorandin Laura          te Auge auf und sucht bei den Markie-
Hendriks ins Zollfreilager im Zürcher        rungen nach feinen Rissen in der Origi-
                                                                                       eine schöne Doktorarbeit
Kreis 5 begleitet, wo wohl temperiert        nalfarbe. Mit einer hauchdünnen, spit-          ausgesucht?»
und unter hohen Sicherheitsauflagen          zen Nadel bricht sie zwei winzige
Kunstwerke aus aller Welt lagern. Die        Farbpigmente aus einem bestehenden                    Laura Hendriks
«Zürcher Mona Lisa» auf dem Tisch            Riss – dort, wo sie das Gemälde am we-
vor uns gehört einem schwedischen            nigsten verletzt. Sie legt die Farbpro-
Privatsammler, der diese einst einem         ben zwischen zwei kleine Glasplatten.

                                                                                                                                   39
japanischen Geschäftsmann abgekauft          Nun lässt ihre Anspannung nach.           Ölfarben. Eigentlich ist sie Chemike-
hatte. Über den Ursprung ist sonst we-       «Habe ich mir nicht eine schöne Dok-      rin, doch ihre Doktorarbeit macht sie
nig bekannt. Es wäre möglich, dass wir       torarbeit ausgesucht?», fragt sie zu-     im Labor von Hans-Arno Synal,
uns an einer bislang unbekannten,            frieden.                                  ETH-Professor und Leiter des Labors
zweiten Mona Lisa Da Vincis ergöt-                                                     für Ionenstrahlphysik. Seine Gruppe
zen. Denn bis heute ist nicht geklärt,       Über Halbwertszeit zur Datierung          gehört zu den weltweit führenden La-
ob Da Vinci im 15. Jahrhundert mehre-        Hendriks hat eine Methode entwi-          bors für 14C-Datierungen mit der
re Versionen des berühmten Porträts          ckelt, um Kunstwerke so exakt wie         Radiokarbonmethode. Diese setzt
gemalt hatte. Genau das will Hendriks        möglich zu datieren. Dazu nutzt sie       auch Hendriks ein, um die Zürcher
herausfinden.                                den Kohlenstoff im Bindemittel von        Mona Lisa zu datieren. Die Grundla-
                                                                                       gen der Radiokarbonmethode stam-
                                                                                       men aus den 1940er Jahren: Der
                                                                                       US-amerikanische Chemiker und Phy-
                                                                                       siker Willard Frank Libby hatte da-
Kleber kennzeichnen die Stellen, die für die 14C-Analyse beprobt werden sollen.
                                                                                       mals die geniale Idee, das instabile,
                                                                                       zerfallende Kohlenstoffisotop 14C zur
                                                                                       Datierung von organischem Material
                                                                                       zu nutzen. Sämtliche Lebewesen auf
                                                                                       der Erde nehmen dieses über die Nah-
                                                                                       rung kontinuierlich auf. Dadurch stellt
                                                                                       sich in der Biomasse und der Atmo-
                                                                                       sphäre annähernd dieselbe 14C-Kon-
                                                                                       zentration ein. Sobald ein Lebewesen
                                                                                       jedoch stirbt, zerfällt das 14C mit einer
                                                                                       Habwertszeit von 5700 Jahren. Dies
                                                                                       im Gegensatz zu den stabilen Kohlen-
                                                                                       stoffisotopen 13C und 12C. Indem For-
                                                                                       schende die Konzentration der unter-
                                                                                       schiedlichen Isotope vergleichen,

                                                        ETH GLOBE 1/2018
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     lässt sich feststellen, wann der Abbau    Messgeräte notwendig, sogenannte         Hauchdünne Kohlenstoffschicht
     an 14C begonnen hat. Mit der Radio-       Beschleuniger-Massenspektrometer.        Im unterirdischen Labor, so gross wie
     karbonmethode können Knochen-,            Einige der exaktesten befinden sich im   eine Turnhalle und mit meterdicken
     Holz- oder Papierproben bis zu einem      Keller des ältesten Forschungsgebäu-     Betonwänden, erklärt Synal das Vor-
     Alter von 13 000 Jahren datiert wer-      des auf dem ETH-Campus Höngger-          gehen zur 14C-Datierung: Als Erstes
     den. Da die 14C-Konzentration in der      berg. Sie sind bis zu zehn Meter lang,   wird die Probe, zum Beispiel das Farb-
     Atmosphäre über die Jahrhunderte va-      meist in einem U angeordnet und je-      pigment der Zürcher Mona Lisa, mit
     riierte, werden die Messungen seit den    weils zusammengesetzt aus glänzen-       chemischen Verfahren von Verunrei-
     1980er Jahren durch Auszählung der        den Chromstahlrohren, Vakuumpum-         nigungen befreit, welche die Datie-
     Jahresringe bei alten Bäumen korri-       pen, Ionenquellen, Teilchenbeschleu-     rung verfälschen könnten. Was zu-
     giert. Dafür arbeitet Synal eng mit der   nigern, Faraday-Käfigen, Magnetspu-      rückbleibt, wird bei rund 2000 °C
     Eidgenössischen       Forschungsanstalt   len und Detektoren. Die Spektrometer     explosionsartig zu Kohlendioxid ver-
     für Wald, Schnee und Landschaft           im HPK wurden allesamt von Synals        brannt und anschliessend mit Wasser-
     (WSL) zusammen. Mit auf Meeresse-         35-köpfigem Team entwickelt. 2013        stoff reduziert. Resultat ist eine hauch-
     dimenten beruhenden Kalibrierungen        gründete er gemeinsam mit Mitarbei-      dünne Kohlenstoffschicht in einem
     können Datierungen bis auf 50 000         tenden den Spin-off «Ionplus» zur Ver-   kleinen Reagenzglas. Ein knappes
     Jahre ausgedehnt werden.                  marktung der Eigenentwicklungen.         Milligramm Kohlenstoff reicht für die
          Um die winzigen und extrem raren     Heute sind weltweit über 20 der bis zu   Analyse mittels Beschleuniger-Mas-
     14C-Isotope überhaupt messen zu kön-      drei Millionen Franken teuren Anla-      senspektrometer aus. Dies, obschon
     nen, sind ausgeklügelte physikalische     gen im Einsatz.                          das 14C-Isotop extrem rar ist und des-
40

                       Beschleuniger-Massenspektrometer auf dem Campus Hönggerberg

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                                           Grabtuch, Bundesbrief und Ötzi              Und was ist mit der Zürcher Mona Lisa
                                           Synals Gruppe führte bereits mehrere        aus dem Kunstfreilager? Könnte sie
                                           bahnbrechende Studien durch: 1988           tatsächlich dem Pinsel Leonardo Da
                                           datierte sie das Grabtuch von Turin. In     Vincis entsprungen sein? Abschlie-
                                           diesem wurde nach Ansicht vieler            ssend können Kunsthistorikerinnen
                                           Gläubiger Jesus nach der Kreuzigung         die Frage bis heute nicht beantworten.
                                           begraben. Die Analyse ergab jedoch          Eine frühere 14C-Datierung hat erge-
                                           ein Alter von 676 Jahren, mit einer Ab-     ben, dass das Pappelholz, auf welches
                                           weichung von ± 24 Jahren. In Überein-       das Gemälde mit Ölfarbe aufgetragen
                                           stimmung mit den Datierungen der            wurde, aus dem 15. Jahrhundert
                                           Universitäten Oxford und Arizona            stammt – also der Schaffensphase Da
                                           wurde die Authentizität des Grabtuchs       Vincis. Eine Röntgenuntersuchung
                                           verworfen. 1991 datierte das Labor          brachte dagegen zum Vorschein, dass
   «Manchmal gleicht                       den Bundesbrief, das Gründungsdoku-         die Mona Lisa auf ein bestehendes
 unsere Forschung einer                    ment der Schweizer Eidgenossen-
                                           schaft. Manche Historiker bezweifel-
                                                                                       Männerporträt aufgemalt wurde. Lau-
                                                                                       ra Hendriks’ Analysen wiederum zeig-
    Detektivarbeit.»                       ten damals, dass der Brief wie überlie-     ten, dass die verwendeten blauen Farb-
                                           fert aus dem Jahr 1291 stammt. Mit          pigmente erst nach 1830 produziert
           Hans-Arno Synal                 der 14C-Methode konnte Synal nach-          worden waren. Noch ist jedoch unklar,
                                           weisen, dass Papier und Tinte tatsäch-      ob die Pigmente der Originalfarbe ent-

                                                                                                                                   41
                                           lich 700 Jahre alt waren, mit einer Ab-     stammen oder einer Farbe, die bei ei-
                                           weichung von ± 35 Jahren. Auch ein          ner Restauration erst später aufgetra-
                                           Stück Gewebe des vom Gletscher mu-          gen wurde.
sen Häufigkeit in einer Probe etwa ei-     mifizierten Ötzis hat seine Gruppe               Für Hendriks war die Probennah-
nem Sandkorn in einem zwei Kubik-          schon analysiert. Es lagert bis heute bei   me im Kunstlager in jedem Fall ein Er-
meter grossen Sandwürfel entspricht.       –16 °C in einer kleinen Schott-Flasche      folg. Ihre Ergebnisse zeigen, dass sich
Nur dank der hohen Sensitivität mo-        im Kühlschrank des Labors.                  die Analyse der in Farben enthaltenen
derner Spektrometer wurde die aus               «Manchmal gleicht unsere For-          Bindemittel gut dazu eignet, um sich
den 1970er Jahren stammende Idee           schung einer Detektivarbeit», erzählt       nicht durch alte, wiederverwendete
überhaupt praktikabel, Ölfarben be-        der Professor. Vor wenigen Wochen           Holzpaneele oder Leinwände in die
ziehungsweise das darin enthaltene         erhielt er ein Stück Leinwand vom Mu-       Irre führen zu lassen. «Ich finde es fas-
organische Bindemittel zur Datierung       seum Düsseldorf zur Analyse zuge-           zinierend, Methoden aus der Chemie
von Gemälden zu verwenden. Nach            schickt – ohne Angaben zur Herkunft.        und Physik zu kombinieren, um die
der Aufarbeitung wird der zurückblei-      Kurz nachdem er seinen Auftragge-           Herkunft von Kunstwerken Stück für
bende Kohlenstoff mit Hilfe eines Teil-    bern die Ergebnisse der 14C-Datierung       Stück zu entschlüsseln», sagt sie.
chenbeschleunigers in einem kompli-        mitgeteilt hatte, erfuhr er aus den         Hendriks könnte sich gut vorstellen,
zierten Prozess in seine kleinsten Teil-   Nachrichten, dass am Museum ein fal-        ihre 14C-Detektivarbeit nach dem
chen zerlegt. Am Ende erreichen nur        sches Malewitsch-Gemälde aufgeflo-          Doktorat in einem Museum fortzufüh-
die gewünschten 14C-Isotope den De-        gen war. Andererseits versuchten            ren. Vielleicht sogar im Louvre, ganz
tektor des Spektrometers. Dort wer-        Kunsthändler auch schon, Synals Ana-        nahe an der «echten» Mona Lisa. Dort
den sie einzeln ausgezählt und mit         lysen zu missbrauchen, um ihre Werke        analysieren und datieren nämlich dut-
dem Anteil 12C und 13C verglichen, der     zu authentifizieren und dadurch die         zende Forschende die weltberühmte
in weiteren Messschritten bestimmt         Preise in die Höhe zu drücken. Dage-        Sammlung – unter anderem mit einem
wird. Aus dem so gewonnenen Ver-           gen wehrt er sich entschieden: «14C ist     hauseigenen Ionenbeschleuniger.
hältnis wird das Radiokarbonalter          eine Datierungs- und keine Authentifi-
berechnet, das mit der dendrochrono-       zierungsmethode. Wir können mit ho-         Labor für Ionenstrahlphysik:
logischen Kalibrierkurve in ein abso-      her Präzision Aussagen darüber tref-        → www.ams.ethz.ch
lutes Kalenderalter umgerechnet wer-       fen, wann etwas entstanden ist, aber
den kann.                                  nicht, ob etwas echt oder falsch ist.»

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