Mietraum - Die Steenkamper
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Mietraum² Die Zeitung von Mieter helfen Mietern · Hamburger Mieterverein e. V. · www.mhmhamburg.de R E P O R TA G E – SAGA Verkäufe heizen Preise an H A M B U R G ER H AU SFA S S A D EN Mehr Stadtgrün A U F D E M P R Ü F S TA N D Grundsteuermodell MIETPREISBREMSE Sie bremst endlich 2.2020 — 0,50 €
e x R E P O R TA G E Wohnungsmarkt Wie aus städtischen Immobilien der SAGA Spekulationsobjekte wurden Vom vierspurigen Osdorfer Weg stadtauswärts rechts rein – und schon ist man in einem Idyll. Die schmalen Straßen oft ohne extra Bürgersteig, die Häuser mit ihren Pastelltönen angestrahlt von der Herbstsonne. Kleine Wege zwischen den Gebäuden, liebevoll gestaltete Gärten. Was heute eine sehr begehrte Wohnlage ist, wurde vor 100 Jah- ren für Kriegsheimkehrer und Menschen mit geringem Einkommen gebaut: die Steenkampsiedlung in Bahrenfeld (Be- zirk Altona). Dieses beeindruckende städtebauliche Projekt, das unter Milieuschutz steht, ist ein mahnendes Beispiel für eine fehlgeleitete Privatisierung von Mietwohnraum und die Spekulation mit einstmals städtischen Immobilien. Den Grundstein für diese Goldgräbermentalität hat die SAGA gelegt. Mieter helfen Mietern hat deswegen nun Bau- senatorin Dr. Dorothee Stapelfeld (SPD) aufgefordert, den Verkauf städtischer Immobilien in ganz Hamburg aus- nahmslos zu stoppen. Im Jahre 2002 startet die SAGA ihre Ver- resse. Und während die Mieter*innen ihre Noch im Oktober 2019 wurde von der kaufsoffensive »Endlich meins«. Sie bot Wohnungen in der Steenkampsiedlung SAGA eine Doppelhaushälfte mit 87 Qua- »einzelne Bestandsimmobilien« den Mie- noch günstig erwerben konnten, bot die dratmetern Wohnfläche (Grundstück: ter*innen zum Kauf an, wobei schon die- SAGA freigewordene Objekte, die in der 573 m²) in Sichtweite des Osdorfer Weges ser Begriff irreführend ist. Denn am Bei- Regel in einem sanierungsbedürftigen zum Startpreis von 484.000 Euro ange- spiel Bahrenfeld kann man sehen, dass Zustand waren, im Gebotsverfahren auf boten. Einen Monat später war ein Rei- einzelne Bestandsimmobilien auch eine dem Markt an. Der oder die Meistbieten- henmittelhaus mit 69 Quadratmetern ganze Siedlung mit 760 Ein- und Mehrfa- de bekam den Zuschlag. So wurden die Wohnfläche (Grundstück: 211 m²) im An- milien-, Reihen- sowie Doppelhäusern Verkaufspreise von der SAGA in giganti- gebot – Startpreis: 317.800 Euro. Die Prei- sein können. Der Mix an Häusertypen sche Höhen getrieben. Mittlerweile sind se, die dann tatsächlich bezahlt werden wurde in den 20er Jahren als Gartenstadt 535 Reihen-, Einzel- und Doppelhäuser müssen, liegen weitaus höher. In den Jah- gebaut und von der SAGA verwaltet. Viel verkauft. Viele von ihnen sind schnell an ren 2019 und 2020 wurden laut Senats- Grün prägt das Quartier und Gärten, die den frisch gestrichenen Fassaden oder antwort auf eine Kleine Anfrage der Bür- einst für die Selbstversorgung der Mie- den wieder eingebauten Sprossenfens- gerschaftsabgeordneten Heike Sudmann ter*innen gedacht waren. tern zu erkennen, wie sie die städtische (DIE LINKE) 81 Wohneinheiten der SAGA Seit Jahren ist das Quartier im Ham- Gestaltungsverordnung nach histori- im Gebotsverfahren verkauft. Dabei lag burger Westen eine begehrte Wohnad- schem Vorbild für die Siedlung vorsieht. der Verkaufspreis im Durchschnitt um Reportage 7
Viele Häuser haben die Bewohner*innen inzwischen saniert. Das Gebäude mit dem Steenkampsaal 20,5 Prozent (oder 46.895,63 Euro) über Frist die Immobilie zurück oder stimmt bauten realisieren, hätten nicht selten dem aufgerufenen Startpreis. Da wun- einem Weiterverkauf zu. »Diese Maßnah- zwei Autos – die sehen primär ihr Haus, dert es wenig, wenn in der Steen- men kamen viel zu spät, da zu dem Zeit- die Siedlung drumherum sei ihnen nicht kampsiedlung auch Privatverkäufer*in- punkt die Verkäufe schon mehr als 15 Jah- so wichtig. Städtebaulich passt das dann nen an der Spekulationsschraube drehen. re liefen«, sagt Sylvia Sonnemann. Das be- nicht immer zu der in der Siedlung gel- Anfang November wurde ein 70 Qua- legen auch die Zahlen: In 2018 gab es ge- tenden Erhaltungsverordnung. »Das dratmeter großes Reihenmittelhaus mit rade einmal einen einzigen Rückkauf führt zu Spannungen, aber es ist die Aus- 257 Quadratmetern Grundstück als durch die SAGA . nahme«, sagt Claus Lahner. Auf der ande- »Raum-Wunder« im »renovierungsbe- Die Auswirkungen der hohen Preise ren Seite gebe es Menschen, die den Wan- dürftigen Zustand« für 623.999 Euro an- sind auch im Quartier spürbar. Die an- del toll fänden. »Viele, die hier kaufen, geboten. Das sind fast 9.000 Euro pro fangs günstigen Kaufpreise haben dazu wollen sich der Siedlung und dem, was sie Quadratmeter! Bewohner*innen erzäh- geführt, dass die Alteingesessenen zu- ausmacht, anpassen. Die engagieren sich len sich, dass Makler*innen im Viertel auf nächst geblieben sind«, sagt Claus Lahner auch«, sagt Lahner. »Auch das Angebot Akquise gehen und mit den hohen Ver- von der »Heimstättervereinigung Steen- im Verein ist dadurch größer und vielfäl- kaufspreisen versuchen würden, Eigen- kamp e. V.«. In dem sehr aktiven Verein, tiger geworden.« Die Privatisierung habe tümer*innen zu ködern. der auch den Steenkampsaal, eine Art zudem dazu geführt, dass viele der Häu- Bürgerhaus, betreibt, sind mehr als 500 ser »liebevoll renoviert« wurden und das » Die Privatisierung von städtischen Wohnimmobilien haben Bewohner*innen und Nachbar*innen or- ganisiert. »Wer nicht gekauft hat, konnte oder wollte es nicht.« Es gebe nicht die nachgeholt wurde, was die SAGA jahre- lang vernachlässigt hatte. Auch im Verein beobachtet man, dass »hier und da Mie- wir von Anfang an kritisiert, weil zwei Gruppen, die alten Bewohner*innen ter, die von der SAGA günstig gekauft ha- dadurch günstiger Mietwohnraum und die neuen, die im Höchstgebot ge- ben«, die Immobilie nun teuer verkaufen. dem Markt entzogen wird«, kauft haben, erklärt Lahner. So hätten »Die sagen, dass sie so ein gutes Angebot Kinder die Häuser von ihren Eltern über- bekommen hätten, dass sie dafür auch sagt Sylvia Sonnemann, Juristin und nommen oder Bewohner*innen, die mal ein größeres Haus im Umland kaufen Geschäftsführerin von Mieter helfen Mie- weggezogen waren, wären wieder zu- könnten«, sagt Lahner. tern. »Das Höchstgebotsverfahren ist der rückkommen. Seit Anfang 2020 habe die SAGA nun Beginn der Spekulation mit städtischem die Verkäufe von leeren Wohnungen in Wohnraum. Zudem hat die SAGA jahre- lang keine geeigneten Maßnahmen er- griffen, um die Spekulation beim Weiter- » Doch dadurch, dass die Häuser immer teurer werden, ist der Steenkampsiedlung und in Szene- quartieren wie Ottensen oder St. Georg gestoppt, sagt ein SAGA-Sprecher – und verkauf durch private Eigentümer*innen die positive, heterogene Struktur in man würde freiwerdende Wohnungen zu unterbinden.« Denn zunächst hatte Gefahr«, nun wieder vermieten. die SAGA den Käufer*innen freier Immo- bilien lediglich den Weiterverkauf inner- halb von fünf Jahren vertraglich verbo- ten. Erst im September 2017 wurde diese sagt Lahner. »Nur noch Besserverdie- nende könnten sich nun die Häuser leis- ten.« Und das hat Folgen: So gebe es Alt- » Der Grund sei, dass die SAGA »im Rahmen des Verkaufs Verpflichtung, die Häuser selber zu be- bewohner*innen, die sich nicht mehr so im Höchstgebotsverfahren eine wohnen, auf acht Jahre angehoben. Ab heimisch fühlen würden, weil sie sich mit spekulative Kaufpreisentwicklung« August 2018 vereinbarte die SAGA dann den Neuen nicht identifizieren können. wahrgenommen hätte, »an der sich mit den Erwerber*innen der Immobilien Jene, die sich die Immobilie für viel Geld das Unternehmen ausdrücklich ein Wiederverkaufsrecht von 30 Jahren – leisten konnten, haben oft »ganz andere nicht beteiligen möchte«. heißt: die SAGA kauft innerhalb dieser Ansprüche«. Sie wollten teils große An- 8 MhM Mietraum² 2.2020
Die Straße Steenkamp gab der Siedlung ihren Namen. Reihen- und Doppelhäuser am Stutsmoor Für Mieter helfen Mietern kommt diese sen. Sie wurde von der SAGA ebenfalls im »Dreist von der SAGA oder ein abgekarte- Erkenntnis viel zu spät. Das Höchstge- Höchstgebotsverfahren angeboten – tes Spiel zwischen Senat und SAGA?«, botsverfahren führt angesichts der gro- Startgebot 311.600 Euro. Dieser Verkauf fragt sich die Linken-Abgeordnete Heike ßen Nachfrage und des geringen Ange- verwundert nicht nur wegen des hohen Sudmann. bots nicht nur in der Steenkampsiedlung Kaufpreises, sondern auch, weil die SAGA zu »Mondpreisen«. Und das seit Jahren. Auch wenn die Startpreise für Immobili- en in der Bahrenfelder Siedlung vor zehn offiziell den Verkauf von Geschosswoh- nungen schon 2008 und den von Reihen- häusern 2010 eingestellt hatte, wie sie » Der Bürgerschaft wird suggeriert, dass die Mieter*innen Jahren noch deutlich geringer waren – immer wieder öffentlich betonte. Dies der rund 900 Wohnungen dauerhaft das Prinzip der Preistreiberei war längst galt aber nicht für Anlagen, die schon geschützt werden, wenn die SAGA etabliert. Für ein Reihenendhaus mit 94 »anprivatisiert« waren. Sprich: War schon zuständig ist. Und was passiert? Quadratmetern und 341 Quadratmetern eine Wohnung in einer Siedlung verkauft, Die SAGA macht allein durch 20 Grundstück am Bökenkamp betrug der wurden auch die übrigen einer Anlage Verkäufe mal eben einen dicken Aufrufpreis damals 180.000 Euro. Die von oder eines Hauses weiterhin zum Kauf Reibach von 7,5 Millionen Euro. der SAGA eingesetzte Maklerfirma mach- angeboten – und das, obwohl der Miet- Weitere 18 Verkäufe sind te keinen Hehl daraus, dass der Verkaufs- wohnungsmarkt in Hamburg sich immer bereits im Gang. preis im Gebotsverfahren mindestens mehr anspannte. 60.000 Euro höher liegen würde. Ein Ar- So bietet die SAGA auch aktuell noch Alle Verkäufe müssen sofort gestoppt chitekt, der sich seinerzeit das wenig ge- 1.120 Wohnungen in ganz Hamburg zum werden. Der Auftrag der SAGA heißt pflegte Objekt anguckte und die hohen Kauf an. So beispielsweise in Barm- nicht, viel Geld für den Hamburger Senat Modernisierungs- und Sanierungskosten bek-Süd (27), Billstedt (164), Farmsen-Ber- durch Verkäufe einzunehmen, sondern überschlug, meinte: »Mehr als 160.000 ne (80), Langenhorn (90), Lurup (93), günstigen Wohnraum zu schaffen und zu Euro ist das nicht wert.« Das Portal Immo- Rahlstedt (85) oder Sülldorf (79). Alle Woh- erhalten.« Mieter helfen Mietern hat nun bilienscout24 hat für Bahrenfeld einen nungen wurden zunächst wieder den in einem Schreiben die Senatorin für Preisanstieg bei Häusern zwischen dem Mieter*innen angeboten. Doch bei eini- Stadtentwicklung und Wohnen, Dr. Doro- vierten Quartal 2016 und dem dritten gen dieser Immobilien wendet die SAGA thee Stapelfeld (SPD), aufgefordert, alle Quartal 2020 um 34 Prozent ermittelt. In auch weiterhin das spekulative Höchst- Verkäufe bei der SAGA zu stoppen. Stapel- der Antwort auf eine Senatsanfrage der gebotsverfahren an. »Für 29 Wohnungen feldt ist von Amts wegen auch Aufsichts- CDU von Dezember 2018 kann man sehen, wurden bereits Höchstgebotsverfahren ratsvorsitzende der SAGA . Außerdem soll wie dramatisch die Mindestgebote in der eingeleitet«, heißt es in einer Senatsant- die SAGA alle rechtlichen Möglichkeiten Steenkampsiedlung gestiegen sind: For- wort vom 18. September 2020. ausschöpfen, um ehemalige SAGA-Woh- derte die SAGA 2009 im Durchschnitt Zudem kam jetzt heraus, dass die SAGA nungen zurückzukaufen und danach noch mindestens 2.642 Euro pro Quadrat- elf Reihen-, Einfamilien- oder Doppelhäu- wieder zu vermieten. meter, waren es 2018 mehr als doppelt so ser sowie drei Eigentumswohnungen ver- Frank Wieding viel, rund 5.470 Euro. kauft hat, die ihr erst 2015 in einem Paket Die Steenkampsiedlung ist längst keine mit 888 Wohnungen von der Stadt über- Transparenzhinweis: Der Autor hatte sich Ausnahme. Dass die SAGA ihre Verkäufe tragen wurden, um »sicherzustellen, selbst für den Kauf einer SAGA-Immobilie in Szenelagen gestoppt hat, dafür sorgte dass die Wohnimmobilien (...) auch in Zu- interessiert und verfügt aus dieser Zeit Ende Januar 2020 auch ein Bericht der kunft nicht an private Eigentümer ver- noch über die Verkaufsangebote. »Hamburger Morgenpost« über eine 56 kauft werden«. Da es sich nur um wenige Quadratmeter große Erdgeschosswoh- Objekte handeln würde, sieht der Senat nung in einem dreigeschossigen 50er-Jah- nicht, dass der Verkauf der »Entschei- re Gebäude am Rolandsvoort in Otten- dung der Bürgerschaft zuwiderläuft«. Reportage 9
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