Leere Gassen statt Touristenmassen - Weltentdeckerei

Die Seite wird erstellt Toni Kuhlmann
 
WEITER LESEN
Leere Gassen statt Touristenmassen - Weltentdeckerei
LEBEN                                                                            Unser
                                                                                 Urlaub

Vor wenigen Wochen kämpfte Hallstatt noch gegen
den Massentourismus, viele Einwohner klagten über
die vorwiegend asiatischen Touristen. Nun sind die
Gassen im Ort leer, und es wird deutlich, wie wichtig
diese Gäste für die lokale Wirtschaft sind

Leere Gassen
Von Christine Lugmayr; Fotos: Ricardo Herrgott

statt Touristenmassen
                                                        Bürgermeister Alexander
                                                        Scheutz beim Fotopoint, dem
                                                        Ziel vieler Hallstatt-Touristen

48         19 | 2020                                                 19 | 2020            49
Leere Gassen statt Touristenmassen - Weltentdeckerei
LEBEN                                                                                                                                                                                                                                                                   Unser
                                                                                                                                                                                                                                                                        Urlaub

     Seit Ostern hat Rebecca                                                                                                                Das Kaffeehaus von Markus Derbl ist ganz
     Schilcher kein einziges                                                                                                                auf asiatische Gäste spezialisiert. Derzeit
     Dirndl verkauft                                                                                                                        überarbeitet er die Speisekarte

H
               underttausende Fotos wer­      können und Ruhe eingekehrt ist? „Zu Be­
               den jedes Jahr vom Hallstät­   ginn war es kurz angenehm. Aber nun ist
               ter Fotopoint aus geknipst.    die Stimmung gedrückt. Diese Entwick­
               Denn von diesem Aussichts­     lung von 100 auf null hat sich niemand
               punkt am Ende des Zen­         vorstellen können“, sagt Bürgermeister            Diese Entwicklung
               trums wird sichtbar, was       Alexander Scheutz. „Zwar schimpft ein Teil        von 100 auf null
den kleinen oberösterreichischen Ort so       der Bevölkerung über die Touristen, aber
einzigartig macht: Er duckt sich zwischen     viele leben schließlich von ihnen.“
                                                                                                hat sich niemand
den dunklen, grün-blauen See und steile                                                         vorstellen können“
Berge. Die Häuser sind liebevoll hergerich­   Bisher keine Corona-Fälle                         Alexander Scheutz
tet, zwischen ihnen verlaufen schmale         Wer durch den Ort spaziert, erreicht auto­        Die Stimmung des Hallstätter
Gassen mit vielen Treppen, dazu gibt es       matisch den Marktplatz. Hier betreibt             Bürgermeisters ist „gedrückt“
gleich zwei Kirchen.                          ­Rebecca Schilcher ein Trachtenmoden-Ge­
   Vor wenigen Wochen herrschte am Aus­        schäft. Sie hat das offizielle Hall­
sichtspunkt noch dichtes Gedränge. Nicht       statt-Dirndl in den Farben Grau, Blau und                                                    Thomas Piiz (li.) baut sein zentral gelegenes Haus
grundlos ist Hallstatt seit einigen Jahren     Rosa entworfen. „Grau steht für die Asche.                                                   gerade in ein kleines Hotel um
ein Synonym für Overtourism in Öster­          Denn Hallstatt wurde im Jahr 1750 durch        Es gibt noch genügend Schnaps, doch es
reich. Auf 770 Einwohner kamen 2019 eine       einen Brand weitgehend zerstört. Blau für                                                       Bei den schon vor Wochen bestellten           dass der kleine Ort in China nachgebaut      UNESCO-­Welterbedörfchen Halt machten.
                                                                                              fehlen die ausländischen Touristen
Million Tagestouristen und 140.000 Näch­       die Genügsamkeit der Hallstätter während                                                     Maßanfertigungen kommt sie ebenfalls             werde, machte ihn blitzartig weltweit be­    Neun Jahre später kamen schon 21.254, und
tigungen. Der überwiegende Teil der Gäste      des Wiederaufbaus ihres Ortes und rosa                                                       nicht weiter. „Es wären zweite Anproben          kannt und sorgte für einen Ansturm asiati­   damit eindeutig zu viele, wie ein Großteil
stammte aus Asien. In den Gassen wurde         für das Feuer“, erklärt Rebecca Schilcher                                                    notwendig. Ich biete zwar an, zu den Leu­        scher Touristen. Es folgten Amerikaner und   der Einheimischen befand. Deshalb wurde
es zu den Stoßzeiten so eng, dass ein          die Bedeutung der Farben der Tracht. Alle                                                    ten zu fahren, Mundschutz und Hand­              Touristen aus ganz Europa, die das einst     ein Slot-System entwickelt. Nun können
Durchkommen fast unmöglich war. An ei­         Kleider, die sie in ihrem Geschäft verkauft,                                                 schuhe zu tragen. Aber niemand will, dass        verschlafene Bergbaudorf überrannten.        maximal 54 Busse täglich anreisen und
nigen Stellen im Ort wurden mehrsprachi­       sind in Österreich oder Bayern hergestellt.                                                  ich komme. Die Angst vor einer Anste­            2010 waren es 3.440 Busse, die im            müssen für mindestens 2,5 Stunden blei­
ge Hinweistafeln errichtet, um Besucher           „Der Ort lebt vom Tourismus“, sagt sie.                                                   ckung ist offenbar zu groß“, sagt Rebecca                                                     ben, nicht ohne 80 Euro Parkgebühr zu
daran zu erinnern, dass Hallstatt kein Mu­     Die Asiaten empfand sie immer als ange­                                                      Schilcher, die zwar in Hallstatt arbeitet,                                                    entrichten.

                                                                                                                                                                                                 120.000
seum ist und die Privatsphäre der Bewoh­       nehm, derzeit hingegen sei es hier „schwie­                                                  aber in Strobl lebt. Dort wurde sie zu Be­                                                       „Damit wollen nicht nur die Zahl der
ner respektiert werden sollte.                 rig und frustrierend“. Seit sie das Geschäft                                                 ginn der Coronakrise, als noch Touristen                                                      Besucher regulieren, sondern gleichzeitig
   Doch mit Schließung der Grenzen we­         nach Ostern wieder öffnen durfte, hat sie                                                    aus Asien kamen, von einigen Menschen                                                         von den 45-Minuten-Touristen wegkom­
gen des Coronavirus wurde es schlagartig       kein einziges Dirndl verkauft. Dazu ver­                                                     angefeindet. Der Vorwurf: Sie würde das                                                       men“, erklärt Bürgermeister Scheutz. Das
ruhig. Zunächst kam gar niemand in den         steht sie nun alle Wortmeldungen der Be­                                                     Virus von Hallstatt nach Strobl einschlep­                                                    sind die Besucher, die genau einmal vom
Ort. Mittlerweile sind es einige Radfahrer,    sucher, die vorbeigehen und sie mit der                                                      pen. Das war allerdings gar nicht möglich.           Euro                                     Parkplatz zum Fotopoint und retour spa­
Paare und Familien, die einen Ausflug          Ansage „Na, seids froh, dass endlich keine                                                   Denn bisher in Hallstatt gab es bis dato             Gewinn machte Hallstatt mit den          zieren, um ein Selfie zu machen, und dabei
hierher machen.                                Touristen kommen?“ ärgern, während sie                                                       keinen einzigen Corona-Fall.                         öffentlichen WC-Anlagen im vergangenen   weder einkehren noch etwas kaufen. Ein­
   Atmen die Einwohner nun auf, dass sie       vor ihrem Geschäft steht und auf Umsatz                                                         Die Zahl der internationalen Touristen            Jahr. Im Ort waren rund eine Million     zig die öffentlichen Toiletten benutzen
endlich wieder ungestört spazieren gehen       wartet.                                                         An mehreren Stellen im Ort   stieg hier seit 2010 rasch an. Die Nachricht,        Tagesgäste unterwegs                     viele von ihnen zur Gebühr von einem
                                                                                                                   stehen mehrsprachige
                                                                                                                           Hinweistafeln
50             19 | 2020                                                                                                                                                                                                                                        19 | 2020        51
Leere Gassen statt Touristenmassen - Weltentdeckerei
LEBEN                                                                                                                                                                                                                    Unser
                                                                                                                                                                                                                         Urlaub

                                                                                                                                                tet, denn das Haus liegt das Haus mitten         Dabei hat das Jahr aus touristischer
                                                                                                                                                im Zentrum von Hallstatt. Vier Zimmer         Sicht in Hallstatt fast zu gut begonnen: Mit
                                                                                                                                                inklusive Frühstück will Pilz ab Herbst       dem Start des Disney-Films „Eisprinzessin
                                                                                                                                                anbieten. Dann, so hofft er, werden auch      2“ ging das Gerücht um, Hallstatt sei das
                                                                                                                                                wieder Gäste kommen. Eine Hoffnung,           Vorbild des Märchenschlosses Arendelle.
                                                                                                                                                die er mit Simone Lenz, der Geschäfts­        Wieder waren internationale Journalisten
                                                                                                                                                führerin des Heritage Hotels in Hallstatt,    beim Bürgermeister in der Leitung, wieder
                                                                                                                                                teilt.                                        war Hallstatt weltweit in den Schlagzeilen.
                                                                                                                                                                                              Scheutz vermochte zwar keinerlei Ähnlich­
                                                                                                                                                Hallstatt und die Eisprinzessin               keiten zwischen Arendelle und Hallstatt zu
                                                                                                                                                „Die letzten paar Wochen waren hart. Alle     erkennen, aber so mancher im Ort rüstete
                                                                                                                                                Mitarbeiter sind in Kurzarbeit“, bedauert     sich schon für den sommerlichen Ansturm
                                                                                                                                                die Unternehmerin, die seit ihrer Geburt      der Eisprinzessinnen auf den Fotopoint.
                                                                                                                                                im Ort lebt. Derzeit werde alles für einen       Anfang des Jahres bangten die Hall­
                                                                                                                                                Sommer mit österreichischen Gästen vor­       stätter noch vor neuen Touristenströ­
                                                                                                                                                bereitet, und tatsächlich kommen seit ei­     men. Jetzt blickt Scheutz hoffnungsvoll
                                                                                                                                                nigen Tagen vereinzelt erste Buchungen        der Wiedereröffnung der Schulen entge­
                                                                                                                                                herein. Grund zu überschwänglicher Freu­      gen: Wenn einmal die Schülerinnen und
     Bedarf an Souvenirs haben                                                                                                                  de ist das für die Hotelchefin indes nicht:   Schüler der HTL und der Holzfachschule
     die wenigsten Menschen, die                                                                                                                „Mit Gästen aus Österreich kommen wir         wiederkommen, wird hier wieder ein
     derzeit den See entlang                                                                                                                    über einen Sommer. Aber ohne internatio­      bisschen Leben einkehren.
     spazieren                                                                                                                                  nale Touristen wird es schwer für uns, zu        Ein erster Lichtblick für die vereinsam­
                                                                                                                                                überleben.“                                   te Idylle zwischen See und Bergen.

Euro. Das rechnet sich: Die Gemeinde er­                                                                                                                                                       Vor wenigen Wochen gab es
löste im vergangenen Jahr mit ihren                                                                                                                                                           noch Gedränge, jetzt sind die
WC-Anlagen 120.000 Euro.                                                                                                                                                                            Treppen menschenleer
   Seit 1. Mai ist das neue Slot-System für
die Busse in Betrieb. Allerdings zur Unzeit:
Zeitfenster bis Mitte Juli wären für die Rei­
severanstalter zu reservieren, eingegan­
gen ist bisher noch keine Buchung. Die
Busparkplätze sind leer und werden es für
absehbare Zeit wohl auch bleiben.
                                                 „Die Ruhe ist zwar angenehm.
Plötzlich Arbeitslose                            Aber unsere Wirtschaft braucht                                 Cafés und Lokale sind noch
Und das ist bitter, denn der Tourismus           die Touristen“, so Reinhard                                geschlossen. Einzig beim kleinen
brachte dem Ort außer Menschenmassen             Kerschbaumer                                                    Imbiss gibt es Coffee to go
auch Geld. Mit den Einnahmen aus Park­
platzbewirtschaftung und WC-Gebühren            einen finanziellen Polster erwirtschaften       stehen. „Länger als 40 Minuten hat keiner
wurden vor zwei Jahren eine neue Ordina­        können. Das haben aber viele Menschen,          der asiatischen Gäste vom Betreten des
tion für die Gemeindeärztin und Wohnun­         und vor allem all jene, die gerade investiert   Lokals bis zum Verlassen Zeit“, sagt Derbl,
gen für junge Familien errichtet. „Das wäre     haben, nicht.“                                  der früher einmal als Skilehrer in Japan
ohne Tourismus nicht gegangen“, sagt der           Das Café Derbl hat sich auf asiatische       ­gearbeitet hat.
Bürgermeister. Auch Wasserrettung, Berg­        Gäste spezialisiert. Das heißt, es finden          Da der Gastronom nicht davon ausgeht,
rettung und Feuerwehr werden mit dem            sich neben österreichischen Spezialitäten        dass heuer noch viele Gäste aus dem fer­
Geld der überwiegend asiatischen Besu­          von Apfelstrudel bis Schnitzel auch Reis        neren Ausland kommen werden, rechnet
cher unterstützt. Im März 2019 gab es in        und Nudeln auf der Karte. Das Essen muss        er mit einem Umsatzrückgang von 70 bis
Hallstatt keinen einzigen Arbeitslosen,         für diese Klientel schnell auf dem Tisch        80 Prozent. Derzeit passt er die Karte an
sind es jetzt plötzlich 53.                                                                     die Bedürfnisse österreichischer Gäste an
    Markus-Paul Derbl zum Beispiel musste                                                       und freut sich schon, endlich wieder auf­
all seine Mitarbeiter beim AMS anmelden.                                                        zusperren. „Ich habe wochenlang alles auf­
Er betreibt das Café Derbl, ein Restaurant                                                      geräumt und geputzt. Jetzt ist mir schon
mit Bar, dazu einen Souvenirladen am                                                            ziemlich langweilig.“
Marktplatz. Seit mittlerweile sieben Wo­            Ich rechne für heuer                           Vor dem Nachbarhaus sitzt Familie
chen sind Kaffeehaus und Restaurant zu.             mit einem Rückgang                          Pilz unter einem Baugerüst. Thomas Pilz
Schlecht gehe es ihm, sagt Derbl. Aber nicht                                                    ist gerade dabei, das Haus in ein kleines
wegen seiner eigenen Befindlichkeit, fügt
                                                    des Umsatzes von                            Hotel zu verwanden. Der Name steht
er düster hinzu, sondern wegen der Mitar­           70 bis 80 Prozent“                          schon fest. „Es wird ,I da Mit‘ heißen“, sagt
beiter. „Ich habe mir durch die Touristen            Markus-Paul Derbl                          Pilz. Was so viel wie „in der Mitte“ bedeu­
                                                     Sein Kaffeehaus am Marktplatz ist auf
52            19 | 2020                              asiatische Gäste spezialisiert                                                                                                                                   19 | 2020        53
Leere Gassen statt Touristenmassen - Weltentdeckerei Leere Gassen statt Touristenmassen - Weltentdeckerei Leere Gassen statt Touristenmassen - Weltentdeckerei Leere Gassen statt Touristenmassen - Weltentdeckerei Leere Gassen statt Touristenmassen - Weltentdeckerei
Sie können auch lesen