Migrationskomik als Mitbestimmung - Über die lebensweltliche Bedeutung des Migrationshumors für Jugendliche

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HUMOR           43

Luca Preite, Arbnora Aliu Vejseli und Diana Sahrai

Migrationskomik als Mitbestimmung
Über die lebensweltliche Bedeutung des Migrationshumors für Jugendliche

Zusammenfassung
Unlängst sorgten junge Komikerinnen und Komiker mit Migrationshintergrund in sozialen Medien für Aufmerksam-
keit, indem sie migrationsspezifische Stereotypisierungen humoristisch und selbstironisch ansprachen. Der vorliegen-
de Beitrag untersucht die lebensweltliche Bedeutung dieser Migrationskomik für Jugendliche am Beispiel der Deutsch-
schweiz. Es zeigt sich, dass darin – parallel zum Aspekt der Unterhaltung – stets auch die Frage von Zugehörigkeit
und Teilhabe der Jugendlichen verhandelt wird.

Résumé
Des jeunes humoristes issu-e-s de la migration ont récemment attiré l’attention sur les réseaux sociaux en abordant
des stéréotypes spécifiques à la migration de manière humoristique et auto-ironique. La présente contribution étudie
la signification de cet humour de la migration pour les jeunes par rapport au monde qui les entoure, en prenant pour
exemple la Suisse alémanique. Il apparaît que cet humour – parallèlement à l’aspect divertissant – traite en perma-
nence également de la question de l’appartenance et de la participation des jeunes.

Permalink: www.szh-csps.ch/z2020-11-06

Einleitung                                                    Beispiel Bendrit Bajra mit seinen Videos, in
Humor ist entwicklungspsychologisch be­                       denen er den Unterschied zwischen Schwei­
trachtet relevant (Wicki, 2000). Im Kindes­                   zerinnen bzw. Schweizern und Ausländerin­
alter werden damit eine Reihe von kogniti­                    nen bzw. Ausländern aufgreift. Denken wir
ven und sprachlichen Fähigkeiten entwi­                       weiter an Zeki Bulgurcu mit «Swissmeme»
ckelt. Darüber hinaus stellt Humor für Ju­                    – seinem Profil auf sozialen Medien, oder an
gendliche eine wichtige Ressource dar, «um                    die Slam-Poetin Fatima Moumouni, an Müs­
mit unliebsamen Erfahrungen und peinli­                       lüm, Baba Uslender, Gabriano und viele
chen Situationen» (ebd., S. 200) zurechtzu­                   mehr. Was im Internet klein begann, findet
kommen. Demnach geht Humor bzw. die Fä­                       nunmehr auch in etablierten Kulturkreisen
higkeit, bereits früh «humorvoll reagieren                    Gehör. Gemeinsam ist diesen Jugendlichen,
zu können […] häufig mit hoher sozialer                       dass sie als Person mit Migrationshinter­
Kompetenz» einher, und fungiert so als eine                   grund mittels Humor und Selbstironie über
«wichtige personale Ressource» (ebd.) im                      mehrheitsgesellschaftliche, fremdenfeindli­
Prozess des Erwachsenwerdens.                                 che und rassistische Stereotypisierung und
     In diesem Kontext ist mit Interesse zu                   Stigmatisierung in Migrationsgesellschaften
beobachten, wie Jugendliche mit Migrati­                      nachdenken. Ironisiert wird eine Vielzahl
onshintergrund in sozialen Medien für Auf­                    von Themen, die Jugendliche betreffen:
merksamkeit sorgen, indem sie ebendiesen                      schulischer und berufsbildender Alltag, Dis­
Migrationshintergrund humoristisch und                        kriminierung bei der Lehrstellensuche, Fra­
selbstironisch reflektieren. Nehmen wir zum                   gen zur Ablösung vom Elternhaus oder der

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               Entwicklung von Geschlechts- und Sexual­          und Vertreter von Minderheiten selbst über
               identität.                                        Migrationsstereotypen lustig machen (Leon­
                    Im vorliegenden Beitrag werden diese         tiy, 2017; Kotthoff, Jashari & Klingenberg,
               jugendlichen Humorproduktionen aus einer          2013). Beispielhaft für diese Entwicklung
               jugend- und kultursoziologischen Perspekti­       kann in der Deutschschweiz die Late Night-
               ve eingeordnet. Es wird aus einer subjekt­        Sendung «Giacobbo / Müller» angeführt wer­
               orientierten Sicht danach gefragt, welche         den. War es selbst bis anfangs der 2010er
               Bedeutungen Jugendliche dieser Migrati­           Jahre möglich, dass sich Viktor Giacobbo und
               onskomik in ihrem Alltag beimessen. Ausge­        Mike Müller als «Rajiv», «Gian-Franco Benel­
               wertet werden dazu ethnographische Daten          li» oder «Mergim Muzzafer» in fragwürdiger
               aus teilnehmenden Beobachtungen und               Weise – z. B. mittels blackfacing – über Aus­
               themenzentrierten Interviews, die von der         länderinnen und Ausländer, Migrantinnen
               Doktorandin Arbnora Aliu Vejseli im Rah­          und Migranten lustig machten, so spielen
               men ihrer nebenberuflichen Tätigkeit als So­      beide Komiker mit Verweis auf veränderte
               zialarbeiterin in der offenen Jugendarbeit        gesellschaftliche Bedingungen diese Figuren
               zwischen 2017 und 2020 in einer Deutsch­          nicht mehr (Ramezani, 2020). Nunmehr wur­
               schweizer Grossstadt mittels eigenständi­         de mit Bedrit Bajra ein junger Komiker mit
               gem Forschungstagebuch erhoben wurden.            Migrationshintergrund in die Sendung einge­
               Untersucht wurden Dynamiken, Prozesse             laden, sowie mit «Müslüm Television» die
               und Bedingungen des Aufwachsens in zwei           erste nationale Komiksendung lanciert, die
               Welten bei Jugendlichen mit Migrationshin­        von einem Komiker mit Migrationshinter­
               tergrund (siehe dazu auch Weiss, 2007). Die­      grund geführt wurde.
               se zwei Perspektiven werden abschliessend               In den sogenannten Comedy Studies
               zueinander in Beziehung gesetzt sowie mit         werden diese Entwicklungen ambivalent
               Blick auf mögliche Implikationen für eine in­     diskutiert. Ist diese Präsenz von Komikerin­
               klusive Gesellschaft andiskutiert.                nen und Komikern mit Migrationshinter­
                                                                 grund im nationalen Fernsehen für Bower
                                                                 (2014) als Wendepunkt der Ethno Comedy
Ab Mitte der 2000er Jahre machten sich                           zu deuten, so beurteilt Jain (2014) diese
vermehrt auch Vertreterinnen                                     Entwicklung als eine Aktualisierung des
und Vertreter von Minderheiten selbst über                       «Spektakels des Anderen» nach Stuart Hall1
Migrationsstereotypen lustig.                                    (2010). Gemeint ist damit, dass im Rahmen
                                                                 dieser neuen Migrationskomik nun zwar
                                                                 auch Personen mit Migrationshintergrund
               Migrationskomik: eine kultur- und                 mitlachen dürfen; nach wie vor wird aber
               jugendsoziologische Einordnung
               Dass Fragen der Zugehörigkeit, der Inklusion
               und Exklusion in Komik thematisiert, ironi­       1
                                                                     Stuart Hall war ein britisch-jamaikanischer Intel-
               siert und reflektiert werden, ist kein neues          lektueller, Mitbegründer der Cultural Studies und
                                                                     Vordenker der New Left. In seinen kulturtheoreti-
               Phänomen. Neu ist aber, dass sich ab Mitte
                                                                     schen Schriften setzt er sich mit Fragen zu Identi-
               der 2000er Jahre im Rahmen des Genre der              tät, Differenz und Rassismus in multi-ethischen
               Ethno Comedy vermehrt auch Vertreterinnen             Gesellschaften auseinander.

                                                         Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 11–12 / 2020
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mehrheitlich über Migrantinnen und Mig­                       merksamkeit zu sorgen, indem sie sich als
ranten als das Andere gelacht. Eine dritte                    Person mit offensichtlichem Migrationshin­
Position in dieser Debatte beziehen Kott­                     tergrund über Stereo­t ypisierungen und Stig­
hoff, Jashari und Klingenberg (2013). Ihrer                   matisierungen der Migrationsgesellschaften
Meinung nach zeigt die Debatte, dass die                      lustig machen – oder in den Worten Baba
Migrationskomik selbst zum Gegenstand                         Uslenders: «Manchi Schwiizer bruche e kalti
der Auseinandersetzung in der Migrations­                     Dusche, denn für Sie Rassismus ist ein Muss,
gesellschaft geworden ist. «Über Scherz­                      wie für uns eine Bahnhofsrundi» (Baba Us­
aktivitäten», so Kotthoff, Jashari und Klin­                  lender in «Schwarzi Schoof», 20122)
genberg (2013, S. 14), «werden soziokultu­
relle und ethnische Differenzen nicht nur
konstruiert, sondern auch flexibilisiert, un­                 In ihrer Komik reflektieren die Jugendlichen
terwandert und / oder ad absurdum ge­                         die Selbst- und Fremdethnisierung
führt». Es scheint nicht mehr unumstritten                    in einer lebensweltlichen Perspektive.
zu sein, sich als Person ohne Migrationshin­
tergrund über Personen mit Migrationshin­
tergrund lustig zu machen. Des Weiteren                       Ironisiert werden dabei nicht nur vorherr­
bleibt im Rahmen der Migrationskomik am­                      schende Stereotypen und die Stigmatisie­
bivalent, wen die Migrationskomikerinnen                      rung des (männlichen) Jugendlichen mit
und -komiker tatsächlich auf die Schippe                      Migrationshintergrund am Beispiel seiner
nehmen: die Personen mit Migrationshinter­                    vermeintlichen Vorliebe und öffentlichen
grund oder die Personen, die diesen stereo­                   Zurschaustellung von schnellen Autos. Hin­
typisierenden und stigmatisierenden Dar­                      terfragt wird ebenso, wie beschränkt und
stellungen nach wie vor Glauben und Beach­                    diffamierend es letztlich ist, Jugendliche
tung schenken.                                                mit balkanischem Migrationshintergrund in
      Nach Kotthoff, Jashari und Klingenberg                  den Medien pauschalisierend als soge­
(2013) ist es nicht überraschend, dass sich                   nannte «Balkan-Machos» abzustempeln –
eine neue und jugendliche Migrationskomik                     wie in Tageszeitungen geschehen (vgl. We­
in den sozialen Medien formiert und entwi­                    ber & Limina, 2015).
ckelt hat, boten sich die neuen Medien doch                        In ihrer Komik reflektieren diese Jugend­
als «Diskurskanal» an, um «den in den offi­                   lichen solche und weiterführende Themen
ziellen Medien der Mehrheitsgesellschaft                      rund um die Frage der Selbst- und Fremd­
marginalisierten MigrantInnen eine Stimme                     ethnisierung aus einer für sie äusserst nah­
und einen Verstärker» (ebd., S. 19) zu bie­                   baren, sprich lebensweltlichen Perspektive.
ten. Beispielhaft dazu untersucht Preite                      Spannend ist dabei zu beobachten, wie das
(2016, 2018) die humoristischen Online-Pro­                   jugendliche Publikum diese Humorprodukti­
duktionen von Zeki Bulgurcu (Swissmeme)                       on breit rezipiert und selbstständig weiter­
und Baba Uslender, dem selbsternannten                        entwickelt. So gesehen treten produzierende
«Paten aller Ausländer». Beide Künstler                       bzw. rezipierende Personen dieser Komik als
schafften es, insbesondere online unter Ju­
gendlichen und jungen Erwachsenen mit                         2   Baba Uslender (2012). Schwarzi Schoof (feat. Ba-
und ohne Migrationshintergrund für Auf­                           ba Uslender, EffE & Ensy). Uslender Production.

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               Lachgemeinschaft in ein Gespräch. Disku­          der folgenden Beobachtung: «Alte, ich will
               tiert werden Erfahrungen des Aufwachsens          mit minere Frau ufem Tisch Sex ha, wänn ich
               mit Migrationshintergrund bzw. mit dem,           will.» Lauthals äusserte sich A. dazu, wie er
               was mehrheitsgesellschaftlich als Migrati­        sich das Sexualleben mit seiner zukünftigen
               onshintergrund benannt wird, nämlich «Zu­         Ehefrau vorstellt. Seinen Kolleginnen und
               schreibung potentieller Fremdheit» (Stošić,       Kollegen war dabei unmissverständlich klar,
               2017, S. 82). Am Beispiel der nachfolgenden       dass A. wieder einmal übertrieben hatte.
               ethnografischen Auswertung legt der Bei­          Nichtsdestotrotz fanden sie sichtlich Ver­
               trag dar, wie Jugendliche mit Migrationshin­      gnügen daran, wie er sein Argument vor­
               tergrund sich dieser lebensweltlichen Komik       brachte. Alle lachten laut durcheinander und
               bedienen, um miteinander Bedingungen des          übertrafen sich mit Erzählungen über das Er­
               Aufwachsens in der Migrationsgesellschaft         tapptwerden durch die eigenen Eltern beim
               zu reflektieren.                                  Sex. An diesem Punkt schaltete sich der Ju­
                                                                 gendliche V. ein. Er widersprach A. und be­
                                                                 tonte stattdessen, dass es sich für einen al­
Jugendliche verwenden                                            banischen Jugendlichen insbesondere in der
Migrationskomik auch, um über eigene                             Schweiz nicht gehöre, frühzeitig aus dem El­
Bedingungen des Aufwachsens in                                   ternhaus auszuziehen. So entwickelte sich
Migrationsgesell­schaften nachzudenken.                          allmählich aus mehr oder minder witzigen
                                                                 Stellungnahmen des Jugendlichen A. eine
                                                                 durchaus ernsthafte Diskussion darüber,
               Die Bedeutung des Migrations­                     wann und wie Jugendliche mit Migrations­
               humors: eine ethnographische                      hintergrund von zuhause ausziehen sollen,
               Annäherung                                        können und dürfen, ohne dabei weder die
               Die teilnehmenden Beobachtungen und Ge­           eigenen Eltern noch die peers vor den Kopf
               spräche mit Jugendlichen in der offenen Ju­       zu stossen.
               gendarbeit brachten zutage, wie bedeutsam               Ausgehend von Überspitzungen und
               Komik und Humor für Jugendliche alltäglich        Ironisierungen erschufen sich die Jugendli­
               sind. Witze sind unter Jugendlichen Teil fast     chen somit die Möglichkeit eines lebenswelt­
               jeder Unterhaltung. Erwachsenen wiederum          lichen Diskussionsraumes. Diskutiert wurden
               kann dieser Humor auch verborgen bleiben.         letztlich klassische Entwicklungsaufgaben im
               So gesehen erschaffen sich Jugendliche mit        Jugendalter (vgl. Wicki, 2000), zum Beispiel
               und über Humor eigene Lebens- und Sprach­         Ablösung vom Elternhaus, Peer-Beziehung
               welten. Eine bedeutende Rolle spielt dabei        oder Entwicklung von Geschlechtsidentität.
               das Smartphone. Über den Zugang zu sozia­         Zu hinterfragen wäre, ob und inwiefern sich
               len Medien wie Facebook, Instagram, Snap-         diese Jugendlichen beispielweise im Rahmen
               chat und TikTok findet so unter Jugendlichen      der schulischen Sexualerziehung, also eines
               eine schnelle Verbreitung von Inhalten statt.     bildungsinstitutionellen Settings, mit ähnli­
               Die Jugendlichen teilen die Witze ihrer Lieb­     cher Vehemenz und Ironie eingebracht hät­
               lingskomikerinnen und -komiker und holen          ten bzw. überhaupt hätten einbringen kön­
               sich zugleich Inspirationen für eigene Ironi­     nen, ohne dabei seitens der Lehrperson auf
               sierungen – so zum Beispiel geschehen in          Un- und Missverständnis zu stossen.

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In dieser Hinsicht kann diese Fallbeobachtung                 ortet, in sozialen Situationen und Hierar­
beispielhaft dafür stehen, wie Migrationsko­                  chien eingebunden und kann deshalb kaum
mik von Jugendlichen auch dafür verwendet                     unabhängig von gesellschaftlichen Kontex­
wird, um über eigene Bedingungen des Auf­                     ten erörtert werden. In diesem Beitrag ging
wachsens in Migrationsgesellschaften nach­                    es darum, aufzuzeigen, wie sich Jugendliche
zudenken. Danach gefragt, äussert sich der                    mit Migrationshintergrund in der Deutsch­
Jugendliche A. in einem nachfolgenden the­                    schweiz der Komik und Selbstironie bedie­
menzentrierten Interview ausführlich darü­                    nen, um eigene Lebensverhältnisse anzu­
ber, welche Bedeutung er der Migrationsko­                    sprechen, sichtbar zu machen und reflexiv
mik beispielweise von Bedrit Bajra oder Zeki                  zu verarbeiten. Der Erfolg der Migrationsko­
Bulgurcu in seinem Alltag beimisst. Seiner                    mikerinnen und -komiker zeigt, dass Fragen
Meinung nach spiegelt diese Migrationsko­                     rund um die Inklusion und Exklusion bei Ju­
mik mit all ihren Übertreibungen und Ironisie­                gendlichen mit Migrationshintergrund le­
rungen nicht nur Realitäten des Aufwachsens                   bensweltlich verankert und relevant sind.
sogenannter Jugendlicher mit Migrationshin­                   Durch ihre humoristischen Verarbeitungen
tergrund wider. Darüber hinaus öffnet diese                   von Selbst- und Fremdethnisierungen, die
Komik Aussenstehenden Einblicke in verbor­                    im Kontext vom Zusammenleben in hetero­
gene und oftmals unverstandene Lebenswel­                     genen Kontexten nicht nur die Ausnahme,
ten von Jugendlichen mit Migrationshinter­                    sondern die Normalität darstellen, beginnen
grund. Wenn dabei in der Ironie latent offen­                 sich Jugendliche mit Migrationshintergrund
bleibt, wie ernst das Ganze tatsächlich ge­                   über eigene Bedingungen des Aufwachsens
meint ist, so stellt diese Ambivalenz bzw.                    zu äussern. In dieser Hinsicht kann diese Mi­
diese Offenheit womöglich genau die Vorbe­                    grationskomik als Versuch seitens Jugendli­
dingung eines multikulturellen Verständnis­                   cher und junger Erwachsener interpretiert
ses untereinander dar. «Weisst du, die [ge­                   werden, Deutungsmacht zurückzuerlangen.
meint sind junge Migrationskomiker und -ko­                   Dabei scheint der Humor für diese Jugendli­
mikerinnen] zeigen eigentlich, wie es wirklich                chen gesamtgesellschaftlich betrachtet ein
ist. Es ist schon lustig und so. Aber eigentlich              zumindest verfügbares, probates und wir­
zeigen sie, dass wir [gemeint sind Jugendliche                kungsmächtiges Instrument zu sein. Umge­
mit Migrationshintergrund] es nicht einfach                   kehrt lässt sich ebenso die Frage stellen, was
haben – und so sehen es auch die Schweizer,                   es über eine Gesellschaft aussagt, wenn Be­
dass wir es nicht einfach haben» (Interview                   nachteiligungskritik primär als Witz für Auf­
mit dem Jugendlichen A., 2020).                               merksamkeit sorgt.
                                                                    Nichtsdestotrotz: Während die oben
Migrationskomik als                                           kurz dargestellten Migrationskomikerinnen
Verhandlung von Zugehörigkeit                                 und -komiker von der Tendenz her subkultu­
und Mitbestimmung                                             rell wahrgenommen werden, haben es einige
Die Frage, wer über wen Witze machen darf                     wenige wie zum Beispiel Müslüm oder Kaya
beziehungsweise welche und wessen Witze                       Yanar zu breiterer Popularität gebracht. Dass
in heterogenen Gesellschaften überhaupt                       es Kunstfiguren wie Müslüm schaffen, nicht
zulässig sind, ist gesellschaftlich umstritten.               nur bei Angehörigen der eigenen ethnischen
Humor ist kulturell und lebensweltlich ver­                   Minderheit, sondern breitenwirksam sowohl

Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 11–12 / 2020
48             HUMOR

               bei Angehörigen anderer Minderheiten als              wählte Schriften 4 (S. 108 – 166) (3. Aufl.).
               auch bei den Autochthonen populär zu wer­             Hamburg: Argument.
               den, zeigt, dass Formen des Multikulturalis­      Jain, R. (2014). Das Lachen über die «Ande-
               mus in der Bevölkerung akzeptiert sind. Die           ren»: Anti-Political Correctness als Hege-
               Akzeptanz von Multikulturalität in einer Mi­          monie. Tangram, 34, 49 – 54.
               grationsgesellschaft ist eine wichtige Bedin­     Kotthoff, H., Jashari, S. & Klingenberg, D.
               gung für eine inklusive Gesellschaft, in der          (2013). Komik (in) der Migrationsgesell-
               Differenzen entlang ethnischer, religiöser,           schaft. Konstanz: UVK.
               sprachlicher Dimensionen, aber ebenso ent­        Leontiy, H. (Hrsg.) (2017). (Un)Komische
               lang anderer Dimensionen wie Behinderung,             Wirklichkeiten. Komik und Satire in (Post-)
               Geschlecht oder sexuelle Orientierung ak­             Migrations- und Kulturkontexten. Wies-
               zeptiert und wertgeschätzt werden. Die Mig­           baden: Springer.
               rationskomik leistet demnach einen nicht zu       Preite, L. (2016). «Mir sagt man, ich sei diskri-
               unterschätzenden unterhaltsamen, ironisie­            miniert, nicht integriert; und dennoch
               renden und hinterfragenden Beitrag auf dem            spreche ich so, als hätte ich Germanistik
               Weg zu einer inklusiven Gesellschaft. Diesem          studiert.» «Uslender Production» als Kul-
               Aspekt könnte eventuell im Kontext schuli­            turerzeugnis von Jugendlichen mit Migra-
               scher Inklusion mehr Beachtung geschenkt              tionshintergrund. Swiss Journal of Socio-
               werden, beispielsweise indem humoristische            logy, 42 (2), 381 – 395.
               Praktiken von Kindern und Jugendlichen mit        Preite, L. (2018). Jugendkulturelle Online-Ar-
               und ohne Migrationshintergrund nicht bloss            tikulationen einer sogenannt gefährdeten
               als Störung und Protest interpretiert und ne­         Jugend. Schweizerische Zeitschrift für Bil-
               giert, sondern auch als eine lebensweltliche          dungswissenschaften, 40 (2), 335 – 350.
               Form der Thematisierung und Verarbeitung          Ramezani, K. (2020, 17. August) «Alle kön-
               von Bedingungen des Aufwachsens in un­                nen mit einem Klick Scharfrichter sein».
               gleichen Gesellschaften angesehen werden.             Migros-Magazin, 11 – 13.
                                                                 Stošić, P. (2017). Kinder mit ,Migrationshinter-
                                                                     grund‘. In I. Diehm, M. Kuhn & C. Machold
Migrationskomik leistet                                              (Hrsg.), Differenz – Ungleichheit – Erzie-
einen unterhaltsamen, ironisierenden                                 hungswissenschaft: Verhältnisbestimmun-
                                                                     gen im (Inter-)Disziplinären (S. 81 – 99).
und hinterfragenden Beitrag auf
                                                                     Wiesbaden: Springer.
dem Weg zu einer inklusiven Gesellschaft.
                                                                 Weber, B. & Limina, M. (2015, 22. März). De-
                                                                     mütigen, bedrohen, schikanieren. Sonn-
                                                                     tagsZeitung, 21.
               Literatur                                         Weiss, H. (2007). Leben in zwei Welten. Zur
               Bower, K. (2014). Made in Germany: Integra-           sozialen Integration ausländischer Ju-
                  tion as Inside Joke in the Ethno-comedy of         gendlicher der zweiten Generation. Wies-
                  Kaya Yanar and Bülent Ceylan. German               baden: Springer.
                  Studies Review, 37 (2), 357 – 376.             Wicki, W. (2000). Humor und Entwicklung:
               Hall, S. (2010). Das Spektakel des ‹Anderen›.         Eine kritische Übersicht. Zeitschrift für
                  In J. Koivisto & A. Merkens (Hrsg.), Ideo-         Entwicklungspsychologie und Pädagogi-
                  logie, Identität, Repräsentation. Ausge-           sche Psychologie, 32 (4), 173 – 185.

                                                         Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 11–12 / 2020
HUMOR                             49

                               Luca Preite
                               Dozent für Jugendsoziologie
                                                                     Impressum
                                                                     Schweizerische Zeitschrift für
                               Institut Sekundarstufe I und II
                                                                     Heilpädagogik, 26. Jahrgang, 11–12 / 2020
                               PH/FHNW                               ISSN 1420-1607
                               Hofackerstrasse 30                    Herausgeber
                               4132 Muttenz                          Stiftung Schweizer Zentrum
                                                                     für Heil- und Sonderpädagogik (SZH)
                               luca.preite@fhnw.ch                   Haus der Kantone
                                                                     Speichergasse 6, Postfach, CH-3001 Bern
                                                                     Tel. +41 31 320 16 60, Fax +41 31 320 16 61
                                                                     szh@szh.ch, www.szh.ch

                                                                     Redaktion und Herstellung
                                                                     Kontakt: redaktion@szh.ch
                               Arbnora Aliu Vejseli                  Verantwortlich: Romain Lanners
                                                                     Redaktion: Silvia Brunner Amoser,
                               Assistentin am Lehrstuhl für          Silvia Schnyder, Daniel Stalder
                               Sonderpädagogik:                      Rundschau und Dokumentation: Thomas Wetter
                                                                     Inserate: Remo Lizzi
                               Gesellschaft, Partizipation und       Layout: Anne-Sophie Fraser
                               Behinderung Institut für              Erscheinungsweise
                               Erziehungswissenschaften              9 Ausgaben pro Jahr, jeweils in der Monatsmitte

                               der Universität Zürich                Inserate
                               Freiestrasse 36                       inserate@szh.ch
                                                                     Preise: ab CHF 220. – exkl. MwSt.
                               8032 Zürich                           Mediadaten unter www.szh.ch/inserieren
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                                                                     2247 Exemplare (WEMF / SW-beglaubigt)

                                                                     Druck
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                               diana.sahrai@fhnw.ch                  jedoch nur mit ausdrücklicher Genehmigung
                                                                     der Redaktion.

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                                                                     der Auffassung der Redaktion übereinstimmen.

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Schweizerische Zeitschrift für Heilpädagogik, Jg. 26, 11–12 / 2020
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