Mit Maß und Mitte - Kreis Steinfurt

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                                                                                                                           Vorsitzender Christoph Boll
                                                                                                                   Gerichtsweg 21, 49477 Ibbenbüren
                                                                                                                    Tel.: +49 5451-9995453 (dienstl.)
                                                                                                                            +49 5451-996957 (privat)
                                                                                                                             Mobil: +49 171-5354055
                                                                                                                              Fax: +49 5451-5011343
                                                                                                                    Email: christoph.boll@t-online.de

Stellungnahme zum Haushaltsplanentwurf 2022

Mit Maß und Mitte
Christoph Boll, UWG-Fraktionsvorsitzender

Liebe Kolleginnen und Kollegen des Kreistages,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
geschätzter Landrat Dr. Sommer,

Corona bestimmt nach wie vor weite Teile des öffentlichen Lebens. Wir gehen in den
zweiten Pandemie-Winter und ganz viele wissen etwas zu dem Thema zu sagen. Herr
Drosten und andere Virologen äußern sich, die Herren Spahn und Lauterbach jederzeit
auch. Und natürlich Herr Laumann. Das es dann noch regelmäßig södert und baerbockt
ist selbstverständlich, steigert aber den Erkenntnisgewinn auch nicht signifikant. Zuletzt
geben reichlich C-Promis ohne jeden Fachverstand ihren Senf dazu. So entsteht eine
große Kakophonie, in der mit dem gesellschaftlichen Grundrauschen proportional die
Bedeutungsarmut der Äußerungen zunimmt.

Derweil hechelt die große Politik Inzidenzwerten hinterher, die immer neu Höhen
erklimmen. Das ist gleichermaßen Trauerspiel wie Offenbarungseid.
Erst wollte man die zweite Welle brechen, dann die dritte, jetzt die vierte. „Die Welle
brechen“ ist geradezu zur Beschwörungsformel geworden. Das hat etwas von
Naturgewalt, der wir ausgesetzt sind. Überraschend. Gott gegeben. Wer ernsthaft die
Welle brechen will, der sollte mal zur Küste fahren und sich mit Schiffsexperten und
Fachleuten maritimer Bauwerke unterhalten. Die würden dann schon deutlich machen,
dass man Wellenbrecher bauen muss, also aktiv anpacken und sich weniger darum
sorgen, welches Partei- oder Regierungsamt man gerne als nächstes hätte. Es bleibt
leider festzustellen: 20 Monaten nach dem Beginn der Corona-Pandemie gibt es keinen
Plan, keine Strategie, kein Konzept.

Das ist der Rahmen für „die Mühen in unserer Ebene“ wie Erich Loest einen Roman
getitelt hat. Diese Mühen, denen sich Verwaltung und Kreistag zu stellen haben, sind
Digitalisierung, Begrenzung des Klimawandels, Demografischer Wandel, medizinische
und pflegerische Versorgung, leistungsfähige Infrastruktur, stabile wirtschaftliche
Strukturen und gute Arbeitsplätze.
Zu den Grundsätzen der UWG für den Kreishaushalt habe ich in den vergangenen
Jahren genug gesagt und vor zwölf Monaten auch einiges zu der ritualmäßig immer
gleichen bürgermeisterlichen Stellungnahme zum Etatentwurf. Die ist in diesem Jahr
noch etwas harscher ausgefallen. Nachdem ein parteiloser Landrat den Kreis führt,
glauben offenbar die meisten Bürgermeister, keine parteipolitische Rücksicht mehr
nehmen zu müssen. Sie poltern also gemeinsam los wie die Axt im Walde. Nur
Substantielles fehlt. Da werden zu hohe Personalausgaben beklagt. Aber welche
Aufgaben sollen entfallen? Dazu kommt nichts. Es wird der Abbau von Standards
angemahnt – auch im Jugendamtsbereich. Aber welche? Wieder nichts. Und wie sehen
die niedrigeren Standards aus? Erneut nichts!

Für die UWG gilt neben dem Verzicht auf ideologiegeprägte Symbolpolitik der
Grundsatz, dass alle unsere Entscheidungen im Kreistag getragen sind von dem
Gedanken, dass Eigenverantwortung und Gemeinwohl zwei Seiten derselben Medaille
sind. Will sagen: Dem Schwachen muss die Gesellschaft helfen, ihm ein
menschenwürdiges Leben sicherstellen. Zunächst aber ist jeder für sich selbst
verantwortlich. Wir stützen es nicht, wenn jemand sich zurücklehnt und von der
Gesellschaft alimentieren lassen möchte.
Und um da kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Das gilt auch für Unternehmen.
Der Mindestlohn muss so hoch sein, dass der Eckrentner daraus ein Altersruhegeld
deutlich über Sozialhilfe erhält. Unternehmen, die das nicht zahlen können, also nicht
wettbewerbsfähig sind, gehören nicht auf den Markt. Dauerhafte gesellschaftliche
Subventionierung privater Gewinne gehört beendet.
Das muss der Maßstab sein für die Ansiedlungspolitik von Unternehmen im Kreis
Steinfurt.

Wenn in der gegenwärtigen Etatdebatte die vollständige Auflösung der Rücklage
gefordert oder diese sogar für überflüssig erklärt wird, kann ich nur den Kopf schütteln.
Es ist wohl bereits vergessen, dass wir bereits im vergangenen Jahr mit einer
Entnahme von 7,6 Millionen Euro kräftig darauf zurückgegriffen haben. Offenbar
verschließen auch einige die Augen davor, dass wir dem FMO inzwischen fast 50
Millionen Euro zugeführt haben, nicht als Darlehen, die obendrein reichlich geflossen
sind und von denen niemand weiß, ob wir sie zurückerhalten. Die genannten 50
Millionen dienten der Stärkung des Eigenkapitals und kamen nicht aus dem Haushalt,
sondern aus der Beteiligungsgesellschaft. Die Städte und Gemeinden, die dies
eigentlich hätten mitfinanzieren müssen, haben also keinen Cent dazu beigetragen.

Die UWG plädiert für Maß und Mitte. Dazu gehört eine kontinuierliche, gleichmäßige
und planbare Entwicklung der Kreisumlage ohne große Brüche und Sprünge. Schon
deshalb braucht der Kreis eine Ausgleichrücklage. Dies gilt umso mehr als der LWL
bereits deutlich gemacht hat, dass die Verbandsumlage ab 2023 kräftig steigen wird. Zu
erheblichen Erhöhungen der Kreisumlage, die unsere Städte und Gemeinden kaum
verkraften werden, kommt es aber zwangsläufig, wenn wir heute die Rücklage über
Gebühr strapazieren.
Wie im Vorjahr ist auch der Etatentwurf für 2022 solide. Er ist gemeindefreundlich,
sozial ausgewogen und generationengerecht. Er stellt sich den wesentlichen
Zukunftsaufgaben ohne die Forderung nach nachhaltig gesunden Kreisfinanzen zu
verletzten. Nie war mehr Klimaschutz in einem Kreishaushalt. Dennoch gilt es in einigen
Punkten gegenzusteuern:
Wir müssen nicht immer neue Wasserköpfe schaffen und bestehende weiter wachsen
lassen.
Wir brauchen nicht einen Stab von Mitarbeitern im Integrationszentrum, der nicht
Integration leistet, sondern die Integrationsarbeit anderer verwaltet.
Wir müssen in der Wirtschaftsförderung nicht Angebote und Dienstleistungen als Zweit-
oder Drittanbieter vorhalten, die andere zudem noch besser erfüllen. Und es ist richtig,
dass wir über eine mögliche Zusammenlegung von Amt und WESt reden müssen. Es
ist an der Zeit zu prüfen, ob das rechtlich möglich ist und welche Rechtsform dann die
richtige ist. Unabhängig davon muss schleunigst mehr Transparenz im Verhältnis der
beiden Einrichtungen geschaffen werden.
Wir brauchen auch keine Hängeseilbrücke am Nassen Dreieck, nicht unter touristischen
Aspekten und unter dem Gesichtspunkt Umwelt- und Naturschutz schon gar nicht.
Wir müssen den Klimawandel begrenzen und nicht immer neue bunte Faltblätter zu
dem Thema produzieren, die – seien wir doch ehrlich – zum größten Teil im Altpapier
landen. Bauen wir Photovoltaikanlagen auf unsere Dächer, aber schaffen wir nicht
weitere Stellen für Photovoltaik-Berater!

Vor dem skizzierten Hintergrund hat die UWG ihre Haushaltsanträge als tragfähigen
Kompromiss gestellt: Mit dem Beibehalten der Kreisumlage auf 27,8 Prozent soll
einerseits den Belangen der Städte und Gemeinden Rechnung getragen werden ohne
im Vorgriff die Rücklage zu beanspruchen, was ein völlig falsches Signal wäre. Der
Zuschuss zur WESt steigt kontinuierlich, obwohl eine Deckelung auf 700.000 Euro
vereinbart worden ist. Die Erhöhung für 2022 ist zudem aus dem Etatentwurf nicht
nachvollziehbar. Dass im Übrigen der WESt-Haushalt für 2023 bis heute nicht in der
Gesellschafterversammlung diskutiert ist, widerspricht einem klaren Beschluss. Das
alles stärkt unser Vertrauen nicht gerade.

Zum Kommunalen Integrationszentrum, das längst weit über die vom Land
refinanzierten Stellen angewachsen ist, habe ich eben bereits etwas gesagt. Mit der
UWG wird es jede weitere Stelle dort nur dann geben, wenn sie ganz wesentlich
refinanziert ist und solange die Refinanzierung anhält.

Beim Klimaschutz beginnen wir mit dem 50-Punkte-Handlungsprogramm einen
Langstreckenlauf. Da war zum Start für 2022 zunächst die Schaffung von 3,5 Stellen
zur Unterstützung der kreisangehörigen Städte und Gemeinden in ihren Klimaschutz-
Aktivitäten vorgesehen. Da es derzeit in etlichen Kommunen deutliche Vorbehalte und
die Sorge gibt, der Kreis wolle sie bevormunden und ihnen ein Konzept überstülpen, ist
eine Reduzierung in diesem Bereich sinnvoll. Da kann durchaus eine spätere
Aufstockung folgen. Es ist gleichwohl ein Meilenstein. Denn mehr Klimaschutz in einem
Haushalt des Kreises Steinfurt war nie.
Wir brauchen aber auch ein Signal der Kostenreduzierung im Personalbereich. Die
UWG hat dazu konkrete Vorschläge gemacht. Wenn die Verwaltung diese im
Wesentlichen aufgegriffen hat und darüber hinaus Vorschläge unterbreitet, dann gehen
wir diesen Weg mit.
Etwas Selbstkritik in den politischen Reihen wäre übrigens mit Blick auf die eben
angesprochenen Mühen und die pandemiebedingt enorme Arbeitsbelastung der
Verwaltung durchaus angebracht. Mir erschließt sich bei manchen Anfragen kaum,
warum sie überhaupt und noch weniger warum sie jetzt gestellt werden. Ressourcen
schonen geht anders. Ich hätte deshalb Verständnis, wenn einige eingereichte
Schriftsätze in dem Ordner „Wenn mal wieder Zeit ist“ abgeheftet werden.

Zurück zum Haushalt. Mit einigen geänderten Ansätzen wollen wir bewusst in ein
überschaubares Risiko gehen. Das betrifft Positionen, die letztlich nicht direkt
beeinflussbar sind. Bei Pflichtaufgaben/-ausgaben etwa wird keinem Betroffenen Geld
gekürzt. Es besteht aber berechtigte Hoffnung, nicht zuletzt angesichts einer robusten
wirtschaftlichen Lage, dass niedrigere Haushaltsansätze ausreichen. Sollte dies nicht
so sein, wäre ein Defizit des Haushalts 2022 gegen die Ausgleichsrücklage zu buchen.

Als einzige Erhöhung einer Haushaltsposition hat die UWG die Aufstockung der Mittel
für die Substitution von Bioenergie-Mais durch blühende Wildpflanzen-Mischungen von
derzeit 80.000 auf 150.000 Euro beantragt. Die Verhinderungsvorlage zu dem
Erfolgsprojekt ist ein Beispiel für die eben angesprochene Bürokratisierung. Da braucht
es keine riesigen Absprachen mit Biologischer Station, Unterer Landschaftsbehörde
sowie einem quasi wissenschaftlichen Gutachten. Verflixt, das läuft doch andernorts
schon ein Jahrzehnt. Und hier wollen einige neu erfinden, was Werner Kuhn, Saaten
Zeller und die Bayerische Landesanstalt für Weinbau und Gartenbau (LWG) längst
erledigt haben. Es geht um eine einfache Alternative: Der Landwirt baut Energie-Mais
an, den er nach der Ernte in die Biogas-Anlage fährt, oder er baut Blühpflanzen an. Da
gibt es keinen Zielkonflikt auf seinem Acker.
Es ist erfreulich, dass auch die Regierungsfraktionen im NRW-Landtag den Wert dieser
Maßnahmen erkannt haben und ein eigenes Förderprogramm auflegen wollen. Solange
aber weder klar ist, wann es kommt, noch wieviel Geld daraus in den Kreis Steinfurt
fließt, müssen wir dem Verein „Nachhaltiger Westen“ Planungssicherheit geben.

Unter diesem Gesichtspunkt der faktischen Wirksamkeit betrachten wir auch den
Klimafonds, den wir ausdrücklich erhalten möchten. Aber wir wollen keinen Topf,
dessen Inhalt im Laufe des Jahres mit einem halben Dutzend Pressemitteilungen wie
Sauerbier angeboten werden musste nach dem Motto „Bitte, bitte, nehmt endlich unser
Geld“. Finanzierung der Maßnahmen in der Natur, ja, sofort, und auch gerne noch mehr
oder – wie eben bereits gesagt – eine zusätzliche Photovoltaikanlage. Da sind wir sofort
dabei.
Aber reine Symbolik, Klientelbedienung und Befriedigung von Mitnahmeeffekten, nein.
Die UWG dankt allen Mitarbeitern der Kreisverwaltung, deren Neuorganisation bereits
erste Früchte trägt, für ihren Einsatz in einer schwierigen Zeit. Sie setzen sich
zusammen mit dem Kreistag beständig für die Bürger ein. Ein besonderer Dank gilt
jenen, die an der Aufstellung des Haushaltsplans beteiligt waren oder uns im politischen
Ehrenamt unterstützen.

Die UWG stimmt dem Haushalt zu und wünscht jedem „Bleiben Sie gesund“.

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