Monatsthema Februar 2018 Das James-Webb-Weltraumteleskop

Die Seite wird erstellt Arvid Eichhorn
 
WEITER LESEN
Monatsthema Februar 2018 Das James-Webb-Weltraumteleskop
Nach: Hans-Ulrich Keller: Kosmos Himmelsjahr 2018
Franckh-Kosmos Verlags-GmbH & Co. KG, Stuttgart 2017

Monatsthema Februar 2018
Das James-Webb-Weltraumteleskop
Im Oktober 2018 soll es so weit sein: Das bisher größte und leis-    messer ins Weltall transportieren kann. Also musste man sich
tungsfähigste Weltraumteleskop wird seine Reise ins All antreten.    etwas einfallen lassen. Die Lösung: Das Objektiv setzt sich aus ein-
Viele neue Erkenntnisse, vor allem über die Entstehung der aller-    zelnen kleineren Spiegelelementen zusammen, die zusammen-
ersten Sterne und Milchstraßensysteme erhoffen sich die Stern-       geklappt in den Weltraum transportiert werden und sich dort
forscher auf der ganzen Welt.                                        angekommen vollautomatisch entfalten und zu einem Objektiv von
Alle astronomischen Teleskope beobachten die Gestirne. Unter         6,5 m zusammenfügen.
einem „Weltraumteleskop" versteht man jedoch ein Teleskop, das       Viele weitere ernste technische Probleme traten auf, die den
sich im Weltall befindet, wo es außerhalb der störenden und          Kostenrahmen mehrfach sprengten und die geplanten Starts
absorbierenden Erdatmosphäre in die Tiefen des Universums            immer wieder verzögerten. Im Jahre 2011 schließlich zog die
spähen kann.                                                         amerikanische Weltraumbehörde NASA auf Druck der Regierung
Weithin bekannt ist das Hubble-Weltraumteleskop, das seit 1990       die Reißleine. Das Projekt sollte abgebrochen werden, was in
in 550 Kilometer Höhe die Erde umkreist und seither nicht nur eine   letzter Minute verhindert werden konnte. Man holte die Europäer
unglaubliche Fülle fantastischer und atemberaubender Bilder zur      mit ins Boot. Auch die kanadische Weltraumagentur CSA (Cana-
Erde funkte, sondern auch für eine große Zahl sensationeller         dian Space Agency) beteiligte sich schließlich an diesem ehrgei-
astronomischer Entdeckungen sorgte. Zwar waren die ersten drei       zigen Projekt. So stellt die ESA (European Space Agency) die
Jahre wegen eines recht ärgerlichen Fehlers in der Optik nicht       Transportrakete Ariane 5 zur Verfügung, mit der vom europäi-
sehr erfolgreich, aber der nachträgliche Einbau eines Korrektur-     schen Weltraumbahnhof nahe Kourou in Französisch-Guyana das
gliedes verhalf ihm zu seiner vollen Leistungsfähigkeit. Mit einem   Weltraumteleskop der neuen Generation ins All geschossen
Spiegelobjektiv von 2,40 Meter Durchmesser ist es im Vergleich       werden soll.
zu den bodengebundenen Großteleskopen der heutigen Genera-
tion noch verhältnismäßig klein, doch die idealen Beobachtungs-      Berühmter Namensgeber
bedingungen im Weltraum machen die relativ bescheidene               Um das Projekt der Öffentlichkeit schmackhaft zu machen und
Öffnung bei weitem wett.                                             damit auch den Steuerzahlern, benannte die NASA 2002 das
                                                                     NGST in „James Webb Space Telescope (JWST)" um. James
                                                                     Edwin Webb (1906-1992) war der populäre zweite Administrator
                                                                     der NASA, also der Chef des riesigen Apparats der zivilen ameri-
                                                                     kanischen Weltraumagentur in den Jahren 1961 bis 1968. Er war
                                                                     es, der das amerikanische Apollo-Programm managte bis kurz vor
                                                                     der Landung der ersten Menschen auf dem Mond. Aber auch eine
                                                                     Reihe erfolgreicher Planetenmissionen wie Pioneer 10 und 11
                                                                     sowie Voyager 1 und 2 setzte er gegenüber den Finanzbehörden
                                                                     durch. Auch sorgte er für die Einrichtung des Zentrums für
                                                                     bemannte Raumfahrt (Manned Spacecraft Center) in Houston
                                                                     (Texas). Dabei kamen ihm seine umfangreichen Erfahrungen als
                                                                     Regierungsbeamter und Manager großer Firmen zugute. Unter
                                                                     Präsident Lyndon B. Johnson war er Staatssekretär in der US-
                                                                     Regierung und Finanzbeamter des amerikanischen Präsidenten
                                                                     bis ihn schließlich John F. Kennedy zum NASA-Chef berief. Webb
                                                                     hatte stets beste Kontakte zu einflussreichen Kreisen in Washing-
                                                                     ton, D. C.

Das James-Webb-Weltraumteleskop während seiner Montage im
Reinraum. (NASA)

Nachfolger von Hubble
Noch bevor man das Hubble-Teleskop ins All schickte, gab es
erste Überlegungen, ein Weltraumteleskop mit einem wesentlich
größeren Objektiv zu bauen. 1996 wurden die Pläne dann kon-
kreter. Man nannte das Projekt „Next Generation Space Telescope
(NGST), also Weltraumteleskop der nächsten Generation. Die
Planungen sahen ein Teleskop von 6,5 Meter freier Öffnung vor.
Ursprünglich war man sogar von acht Meter Apertur ausgegangen,
was aus Kostengründen wieder verworfen wurde.
                                                                     Der NASA-Manager James Edwin Webb (1906 – 1992), nach dem das
Ein gravierendes Problem musste beim NGST gelöst werden: Es          neue Weltraumteleskop benannt wurde. (NASA)
gibt bis heute keine Rakete, die einen Spiegel von 6,5 m Durch-
Monatsthema Februar 2018 Das James-Webb-Weltraumteleskop
- 2 -

Technische Meisterleistung                                              Vom 18-teiligen Objektiv trifft das infrarote Licht auf den justierba-
Eine große Herausforderung der JWST-Mission besteht darin, das          ren Sekundärspiegel, der es auf den Tertiärspiegel lenkt. Dieser
gewaltige Teleskop samt umfangreichem Schutzschild in zusam-            wiederum wirft das Licht auf einen vierten Spiegel, der in einem
mengelegtem Zustand im Frachtraum der Ariane 5 zu verstauen             Bereich von Bruchteilen einer Bogensekunde eine Feinjustierung
und nach geglücktem Start sich im Weltall vollautomatisch ent-          vornimmt, um kleine Schwankungen und Vibrationen auszuglei-
falten zu lassen. Wenn dieses Manöver nicht einwandfrei funktio-        chen. Das gesamte System ist äußerst empfindlich gegenüber
niert, so ist die Mission gescheitert.                                  kleinen Abweichungen in der Justierung.
Das JWST soll hauptsächlich im infraroten Spektralbereich beob-
achten. Dazu ist es erforderlich, das Teleskop und die Empfangs-        Weit entfernt von der Erde
apparate tiefzukühlen - auf -220 °C, also nur 53° ü ber dem abso-       Um störende Einflüsse durch die Wärmestrahlung von Erde und
luten Nullpunkt. Eine Kamera muss sogar auf -258 °C abgekühlt           Mond sowie Kollisionen mit Weltraumschrott im erdnahen Welt-
werden. Ein riesiges Hitzeschutzschild von 14 m x 20 m sorgt für        raum zu vermeiden, wird das JWST nicht von einem erdnahen
die Abschattung der Sonnenstrahlen, damit sich Teleskop,                Orbit aus beobachten. Vielmehr wird es im Lagrange-Punkt Nr. 2
Kameras, Spektrograf und Elektronik nicht aufheizen. Es setzt sich      platziert, etwa 1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernt in
aus fünf getrennten Lagen Kapton-Folie zusammen. Auf der zur            Opposition zur Sonne. Dabei wird es mit gleicher Winkelgeschwin-
Sonne gerichteten Seite ist die Folie mit Aluminium beschichtet.        digkeit wie die Erde in einem Jahr die Sonne umrunden. Da sich
Immerhin heizt sich das JWST an der Front auf über 80 °C auf.           ein Körper im L2 in einem metastabilen Gleichgewicht befindet,
Das Objektiv des JWST setzt sich aus 18 sechseckigen Beryllium-         wird das JWST eine mehr oder minder komplizierte Schleifenbahn
platten zusammen, die mit einer dünnen Goldschicht von nur              um den Lagrange-Punkt Nr. 2 vollführen. Auch wird das JWST
einem Zehntel Mikrometer bedampft sind. Fünfzig Gramm Gold              nicht exakt in der Ekliptik um die Sonne laufen, damit es nicht zu
reichten aus, um die optisch wirksame Gesamtfläche von 25 Qua-          Abschattungen der Sonne durch Erde und Mond kommt, was
dratmetern zu beschichten. Gold reflektiert besonders gut infrarote     thermische Instabilitäten zur Folge hätte.
Strahlung. Stellglieder oder Aktuatoren an der Rückseite der Plat-
ten sorgen für die korrekte Krümmung, damit nicht 18 Einzelbilder
eines Sternes entstehen, sondern ein einziges Fokalbild. Die 18
Spiegelsegmente mit je 73 cm Kantenlänge ergeben ein Objektiv
von 6,5 m freier Öffnung mit 131 m effektiver Brennweite. Damit
erzielt man eine optisch wirksame Gesamtfläche von 25 Quadrat-
meter im Vergleich zum Hubble Space Telescope mit nur 4,5 Qua-
dratmetern.

                                                                        Position des JWST (James Webb Space Telescope) im Lagrange-
                                                                        Librationspunkt L2.

                                                                        Der Aufenthalt nahe dem L2 hat auch den Vorteil, dass das
                                                                        Teleskop längere Zeit auf das gleiche Himmelsareal gerichtet
                                                                        werden kann, um mehrere Stunden zu belichten. Im Erdorbit
                                                                        gehen die Objekte ständig auf und unter.

                                                                        Optimiert für Infrarotlicht
                                                                        Vier Instrumente werden die Strahlen aus dem All empfangen.
                                                                        Eine Kamera für das nahe Infrarot (NIR Cam) ist für Wellenlängen
                                                                        von 0,6 bis 5 Mikrometer empfindlich (1 Mikrometer = 1 Tausends-
Vergleich der Spiegelfläche des Hubble-Weltraumteleskops mit dem        tel Millimeter). Bei 0,6 µm sehen unsere Augen noch recht gut
JWST und dem geplanten HDST (High Definition Space Telescope).          tiefrotes Licht. Der Bereich beginnt gewissermaßen am langwelli-
                                                                        gen Ende des sichtbaren elektromagnetischen Spektrums. Das
Das optische System wird als Drei-Spiegel-Anastigmat bezeichnet         Gesichtsfeld beträgt 2,3’ x 2,3’ (Bogenminuten). Die Auflösung
oder auch nach seinem Entwickler Korsch-Teleskop genannt. Das           erreicht 0,034’’ bei 0,6 µm Wellenlänge. Das Strahlenbündel wird
vom NASA-Mitarbeiter Dietrich G. Korsch patentierte Teleskop ist        außerdem geteilt. Der zweite Teil fällt auf ein gleich großes Feld
im Prinzip ein erweitertes Cassegrain-System mit drei asphäri-          von 2,3’ x 2,3’, wobei der Empfängerchip für den Wellenlängenbe-
schen Spiegeln, wobei je nach Ausführung noch ein oder zwei             reich von 2,5 µm bis 5 µm empfindlich ist. Bei einer Wellenlänge
plane Umlenkspiegel hinzukommen. Der Hauptspiegel ist Teil              von 2,5 µm wird eine Auflösung von 0,068’’ erzielt.
eines Ellipsoids, der Sekundärspiegel ist hyperbolisch geformt und      Der Infrarot-Spektrograf arbeitet in denselben Wellenlängenberei-
der Tertiärspiegel hat wiederum eine ellipsoidische Oberfläche.         chen. Er kann Spektren von Galaxien und Sternen in drei ver-
Der Vorteil gegenüber einem klassischen Cassegrain-Teleskop             schiedenen Auflösungsmodi gewinnen, wo bei stundenlanger
liegt in der flachen Fokalebene, einem größeren nutzbaren Bildfeld      Belichtung und beim geringsten Auflösungsmodus sogar Spektren
und geringerem Streulicht im Fokus. Allerdings erfordert die Ferti-     fernster Galaxien fast am Rande des beobachtbaren Universums
gung eines Korsch-Teleskops einen relativ hohen Aufwand, der            gewonnen werden können. Dies ermöglicht, die Rotverschiebung
aber bei einem so komplexen Unternehmen wie dem JWST                    (z = ∆λ/λ) der Galaxien zu messen und damit deren Entfernung
gerechtfertigt ist.                                                     und Alter zu bestimmen.
                                                                        MIRI heißt ein Kombigerät aus Kamera und Spektrometer, das für
                                                                        das mittlere Infrarot (5 µm bis 7 µm) empfänglich ist. Der Kamera-
                                                                        chip umfasst 1024 x 1024 Pixel, die Auflösung beträgt 0,19’’. MIRI
                                                                        steht für Mid Infra Red Instrument.
                                                                        Das vierte Instrument, NIRISS (Near Infra Red Imager and Slitless
                                                                        Spektrograph) arbeitet schließlich im Bereich von 0,8 µm bis 5 µm
                                                                        Wellenlänge. Es enthält ein Spektrometer (spaltloser Spektrograf)
                                                                        und Detektoren, die in einem Gesichtsfeld von 2,2’ x 2,2’ Aufnah-
                                                                        men hoch rot verschobener Galaxien gewinnen sollen. NIRISS ist
                                                                        kombiniert mit dem Fine Guidance Sensor (FGS) zur exakten
                                                                        Einstellung und Nachführung des Teleskops.
Strahlengang eines Korsch-Spiegelteleskops. M1: Durchbohrter,
ellipsoidischer Hauptspiegel. M2: Hyperbolischer Fangspiegel. M3:       Antworten auf offen Fragen
Durchbohrter, planer Umlenkspiegel. M4: Ellipsoidischer Tertiär-        Eine der Hauptaufgaben des JWST ist die Beobachtung jüngster
spiegel. M1 und M2 werden auch als Primär- bzw. Sekundärspiegel         Galaxien, die nur wenige hundert Millionen Jahre nach dem Ur-
bezeichnet.
                                                                        knall entstanden sind. Ein Blick in die Ferne ist stets auch ein Blick
                                                                        in die Vergangenheit. Diese Galaxien aus der Frühphase des
Monatsthema Februar 2018 Das James-Webb-Weltraumteleskop
- 3 -

Universums sind nicht nur wegen ihren großen Distanzen äußerst      Zehn Jahre lang soll das James-Webb-Weltraumteleskop
lichtschwach, sondern auch stark rotverschoben infolge ihrer        beobachten. Wer weiß, was die Astronomen mit ihm noch alles
hohen Fluchtgeschwindigkeiten aufgrund der Expansion des Uni-       entdecken werden, von dem wir heute noch nicht im Entferntesten
versums. Somit kann man sie nur im Infraroten detektieren.          etwas ahnen!
Wie und wann entstanden die ersten Sterne und Galaxien nach
Ende der dunklen Ära des Universums, als die Wasserstoffwolken
unter dem Einfluss der Dunklen Materie zu klumpen begannen?
Damals flammten die jüngsten Sterne auf, gewaltige Sonnen, hun-
derttausend Mal heller als unsere Sonne - allerdings sehr kurzle-
big. Schon nach wenigen Millionen Jahren endete ihr Dasein in
gewaltigen Supernova-Detonationen.
Aber auch im „nahen" Kosmos soll sich das James-Webb-Welt-
raumteleskop umsehen. Es soll in die Wiege der Sterne blicken
und erforschen, wie sich heute noch neue Sterne bilden. Es soll
hineinblicken in die Akkretionsscheiben werdender Sterne und die
Entstehung neuer Planetensysteme erforschen. Schließlich will
man mit seiner Hilfe die Atmosphären von Planeten fremder
Sonnen, sogenannten Exoplaneten, analysieren. Vielleicht findet     Das James-Webb-Weltraumteleskop im All – nach einer Illustration der
man Methan und freien Sauerstoff in den Atmosphären erdähn-         NASA. (NASA)
licher Planeten. Dies wäre ein Hinweis auf Leben im All!
Monatsthema Februar 2018 Das James-Webb-Weltraumteleskop Monatsthema Februar 2018 Das James-Webb-Weltraumteleskop Monatsthema Februar 2018 Das James-Webb-Weltraumteleskop
Sie können auch lesen