Ohne Betreuung geht es nicht - gutaltern.ch
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TRENDS Betreuung ist nicht nur eine Tätigkeit, sondern auch Beziehungsarbeit, die Zeit und Zuwendung beansprucht. Bilder: iStock, Getty Images (1) Ohne Betreuung 8 VORSORGE GUIDE 2018/19
TRENDS Immer mehr Menschen erreichen das Alter von Hochbetagten. Der Bedarf an Betreuung steigt. Gleichzeitig führt der gesellschaftliche Wandel dazu, dass die unentgeltliche Care-Arbeit an Bedeutung verliert. VON CARLO KNÖPFEL geht es nicht VORSORGE GUIDE 2018/19 9
TRENDS Betreuung sorgt für das psychische Wohlbefinden, D bietet Gemeinschaft, Anregung und Austausch. ie Diskussion über die Betreuung ist rechtlich nicht geregelt und Altersvorsorge kon- muss von den älteren Menschen selber be- zentriert sich stark auf zahlt werden. Die finanziellen Möglichkeiten, die Frage, wie die Ren- dies zu tun, sind auch im Alter ungleich ver- ten von morgen gesi- teilt (siehe Grafik «Ungleiche Möglichkei- chert werden können, ten»). Es ist darum an der Zeit, dass ein gesell- weil die meisten von ihnen trotz diesen Ein- damit wir alle nach schaftlicher Dialog über die zukünftige schränkungen so lange wie möglich daheim der Pensionierung unser gewohntes Le- Ausgestaltung der Betreuung im Alter geführt leben möchten. Der Eintritt in ein Pflegeheim ben in angemessener Weise fortsetzen und Lösungen gefunden werden, die allen erfolgt immer später (siehe Grafik «Immer können. Zu kurz kommt dabei, dass mit Menschen auch in der letzten Lebensphase späterer Eintritt»). zunehmendem Alter ein immer grösser ein würdevolles Dabeisein ermöglichen. Die anhaltend tiefe Geburtenrate führt zu werdender Teil der Renteneinkommen für kleineren Familien. Eltern haben oft nur noch die Betreuung und Pflege aufgewendet Gesellschaft des langen Lebens ein oder zwei Kinder, viele Paare bleiben gar werden muss. Während der Bedarf an Be- Die doppelte Alterung prägt den demografi- kinderlos. Dennoch wird von den Familien er- treuung steigt, verliert die unentgeltliche schen Wandel in der Schweiz. Immer mehr wartet, dass sie die nötigen Zeitressourcen auf- Care-Arbeit an Bedeutung. Menschen erreichen das Alter von Hochbe- bringen, um Angehörige zu pflegen. Immer- Betreuung ist ein offener Begriff, er um- tagten und die durchschnittliche Lebenser- hin engagieren sich immer mehr Enkelkinder, fasst im Altersbereich ein breites Spektrum wartung steigt weiter an. Diese Entwicklung was zu einer begrenzten Entlastung beiträgt. von Hilfen und Unterstützungsleistungen. führt nach aktuellem Kenntnisstand nicht Zwei weitere Entwicklungen verschärfen Betreuung sorgt für Sicherheit zu Hause, un- zu einer grösser werdenden Zeitspanne der die Problematik. Zum einen steigt die Distanz terwegs oder im Heim. Betreuung unterstützt Pflegebedürftigkeit. Allerdings heisst das zwischen den Wohnorten der Familienange- in der Ausübung von Eigenverantwortung, auch nicht, dass sich das sogenannte aktive hörigen, was die regelmässige Betreuung er- dort, wo sie durch die betagte Person nicht Alter automatisch entsprechend verlängert. schwert oder gar verunmöglicht. Zum ande- mehr allein wahrgenommen werden kann, Vielmehr ist davon auszugehen, dass der ren dürften die familiären Bindungen in der etwa in der Haushaltsführung oder bei admi- Übergang vom aktiven zum hilfsbedürftigen wachsenden Zahl von Patchwork-Familien nistrativen Verpflichtungen. Betreuung sorgt und fragilen Alter länger und länger wird. Die weniger gefestigt sein als in den Ursprungs- für das psychische Wohlbefinden, bietet Ge- Zahl der gebrechlichen älteren Menschen familien. Insgesamt ist davon auszugehen, meinschaft, Anregung und Austausch. Be- wird zunehmen. Diese sind nicht unbedingt dass die Betreuungsleistungen, die durch Fa- treuung ist darum nicht nur eine Tätigkeit, krank, verlieren aber zunehmend an Autono- milienangehörige erbracht werden, in den Bilder: iStock sondern auch Beziehungsarbeit, die Zeit und mie und Selbständigkeit und sind darum auf kommenden Jahren nicht mehr das heutige Zuwendung beansprucht. Hilfe und Betreuung angewiesen. Erst recht, Niveau erreichen werden. 10 VORSORGE GUIDE 2018/19
TRENDS Der Übergang vom aktiven zum HAUSHALTSEINKOMMEN VON PAARHAUSHALTEN AB 65 NACH hilfsbedürftigen und fragilen Alter wird EINKOMMENSKL ASSEN Ungleiche Möglichkeiten länger und länger. Betreuung ist rechtlich nicht geregelt und muss von den älteren Menschen selber bezahlt werden. Die finanziellen Möglichkeiten, dies zu tun, sind auch Die wirtschaftliche Entwicklung verstärkt sicherung, soll einer weiteren Prekarisierung im Alter ungleich verteilt. diesen sozialen Wandel. Die Wirtschaft dieser Arbeitsverhältnisse nicht Vorschub wächst zwar vergleichsweise langsam, aber geleistet werden. Älteren Menschen aus Fa- kontinuierlich weiter. Die Zahl der Erwerbs- milien mit knappen Ressourcen droht hin- 16000 tätigen nimmt ungebrochen zu. Dies spiegelt gegen eine Versorgungslücke. Ihnen fehlt 14000 sich nicht nur in einer grösser werdenden das Geld, um Betreuungsaufgaben von Drit- 12000 Zahl von ausländischen Erwerbspersonen, ten zu beziehen. 10000 sondern auch in einer steigenden Erwerbs- Wenn in diesem Szenario nicht der Sozi- 8000 beteiligung der Frauen. Mit der Fachkräfte alstaat in die Bresche springt, bleibt nur die initiative wird zudem versucht, den durch- Anfrage an Hilfsorganisationen. Diese sind 6000 schnittlichen Beschäftigungsgrad der in besonderem Masse gefordert, mit dem 4000 erwerbstätigen Frauen zu erhöhen. Die Einsatz von Freiwilligen jene Betreuung zu 2000 Frauen verbringen mehr und mehr Zeit in gewährleisten, die von diesen Familien mit 0 1 .Quintil 2. Quintil 3. Quintil 4. Quintil 5. Quintil der Erwerbswelt, die dann bei der Betreuung knappen Mitteln nicht mehr erbracht werden von Familienangehörigen zu fehlen droht. kann. Eine Alternative stellen die Zeittausch- AHV Weitere Sozialleistungen Die damit einhergehende Mehrfachbelas- börsen dar, die nun auch langsam Fuss BV Einkommen aus Vermögen und Vermietung tung der Familienfrauen wird über verschie- fassen. Diese unterstützen einen intertempo- Erwerbseinkommen dene Massnahmen zur Vereinbarkeit von ralen Tausch von Betreuungsstunden: Wer Quelle: Bundesamt für Statistik BFS: Haushaltsbudgeterhebung HABE Beruf, Karriere und Familie etwas aufgefan- heute Betreuung für Dritte unentgeltlich leis- Anmerkung: In Franken pro Monat, zusammengefasste Stichprobe für 2012–2014 gen. Allerdings sind die meisten Familien- tet, hat im gleichen Umfang Anspruch auf männer immer noch rudimentär in solche Betreuung, wenn er solche später benötigt. Arrangements eingebunden. Pflegeheime können in diesem Szenario Fasst man alle diese Aspekte der gesell- zu Armenheimen werden. Ältere Menschen schaftlichen Trends zusammen, so öffnet sich treten in diese ein, weil sie aus wirtschaftli- ANTEIL DER PERSONEN IN PFLEGEHEIMEN IM VERGLEICH ZUR eine Lücke zwischen dem Angebot an Be- chen und sozialen Gründen nicht mehr da- GESAMTBEVÖLKERUNG 2015 treuungszeit und der Nachfrage nach dieser. heim wohnen können und nicht, weil sie in Wie diese geschlossen werden kann, soll im besonderem Masse pflegebedürftig sind. Immer späterer Eintritt Folgenden in drei Szenarien skizziert werden. Die Betreuung bleibt in diesem Szenario Ältere und gebrechliche Menschen unbestimmt. Die Familienangehörigen und verlieren zunehmend an Autonomie und Szenario A: Betreuung bleibt eine die Freiwilligen machen, was nötig ist. Erst Selbständigkeit und sind darum auf Aufgabe der Familie wenn Betreuung ärztlich verschrieben wird, Hilfe und Betreuung angewiesen. Die Szenario A betont die Bedeutung der Fami- kommen die Regeln der aktuellen gesetzli- meisten von ihnen wollen aber trotz lienangehörigen für die Betreuung älterer chen Gegebenheiten ins Spiel. In diesem Sze- dieser Einschränkungen so lange wie Menschen. Damit wird die heutige Situation nario ist nicht davon auszugehen, dass diese möglich daheim leben. Der Eintritt in ein für die kommenden Jahre fortgeschrieben, Regeln, etwa im Bereich der Krankenversi- Pflegeheim erfolgt immer später. obwohl allein schon die wachsende Einbin- cherungen oder Hilfslosenentschädigung, Prozent dung der Frauen in den Arbeitsmarkt signa- geändert würden. Auch die Auflagen in den 60 lisiert, dass dies schwierig werden könnte. Es Heimen werden sich kaum ändern. Im Ge- 50 überrascht darum nicht, dass der Bund sich genteil: Die Erwartung, dass die Familien sich 40 Gedanken macht, wie die Vereinbarkeit von auch in den Pflegeheimen mehr um ihre An- Beruf und Familie verbessert und die be- gehörigen kümmern sollen, wird angesichts 30 treuenden Angehörigen entlastet wer- knapper werdender personeller und 20 den können. Familien mit entsprechen- finanzieller Ressourcen steigen. 10 den Einkommen werden Hilfe von 00 65-69 70-74 75-79 80-84 85-89 90-94 94plus aussen in Anspruch nehmen. Die Szenario B: Betreuung Beschäftigung in privaten Haus- wird ein Angebot der Anteil Männer Anteil Frauen halten wird steigen; das Seniorenwirtschaft Quelle: Bundesamt für Gesundheit BAG ruft nach einer besse- Szenario B lässt Betreu- ren arbeits- und so- ung zu einem Geschäft zialrechtlichen Ab- der Seniorenwirt- • VORSORGE GUIDE 2018/19 11
TRENDS Betreuung sorgt für Sicherheit zu Hause, unterwegs oder im Heim. • schaft werden. Nicht die Familie gewähr- leistet die Betreuung älterer Menschen, sondern STUDIE UND BERICHT der privatwirtschaftliche Dienstleistungs- Betreuung im Alter markt soll jene Angebote hervorbringen, wel- che für eine gute Betreuung nachgefragt wer- in der Schweiz den. Dem Staat wird höchstens eine Die Rolle der Betreuung und ihre Betreuung wird in diesem Szenario durch regulierende Funktion zugestanden, indem zukünftige Finanzierung werfen für die Angebot und Nachfrage bestimmt. Betreu- er faire Arbeitsbedingungen und eine quali- Schweiz neue Fragen auf. Vor diesem ung ist das, was an Dienstleistungen bezahlt tative Mindestsicherung der Dienstleistun- Hintergrund hat Professor Dr. Carlo wird und bezahlt werden kann. Wo ein Be- gen sichert. Das Marktangebot entlastet die Knöpfel, Dozent für Sozialpolitik an darf, aber kein Angebot ist, drohen Versor- Familienangehörigen, die sich auf jene Facet- der Hochschule für Soziale Arbeit der gungslücken. ten der Betreuung beschränken können, die Fachhochschule Nordwestschweiz sie übernehmen können und vor allem über- (FHNW), mit seinem Team im Auftrag Szenario C: Betreuung wird ein Anrecht nehmen wollen. Der Rest wird bei privaten der gemeinnützigen Paul Schiller Stiftung gegenüber dem Sozialstaat Dritten eingekauft. eine Recherchestudie durchgeführt. Szenario C basiert auf der Vorstellung, dass In diesem Szenario werden Pflegeheime Diese analysiert die Situation der Betreuung Teil eines Service public ist und zu Dienstleistungsunternehmen rund um Betreuung im Alter sowie die damit der Sozialstaat gefordert ist, dieses Anrecht das Alter. Im Sinne einer Rückwärtsintegra- verbundenen Entwicklungen und allen älteren Menschen mit entsprechender tion bieten sie eine ganze Palette von Ange- Herausforderungen für die Schweiz. Hilflosigkeit zu gewährleisten. Die Kantone boten für ältere Menschen daheim an, aber Der 36-seitige Bericht zur Studie findet und Gemeinden sind gehalten, Angebote zu auch eine Auswahl von alternativen Wohn- sich in Deutsch und Französisch auf entwickeln und auszubauen, die dem formen. Das Betreuungsangebot wird zu www.gutaltern.ch. Wunsch der älteren Menschen entgegen- einem Argument im Wettbewerb zwischen kommt, so lange wie möglich daheim zu den Pflegeheimen. bleiben. Schwierig wird es für ältere Menschen Carlo Knöpfel, Die Palette notwendiger Angebote ist Riccardo Pardini, und ihre Familien, wenn die Mittel fehlen, um Claudia Heinzmann breit. Mit einer Erweiterung des Aufgaben dieses Marktangebot nutzen zu können. In (2018): bereichs der Spitex ist es nicht getan. Der diesem Szenario sind diese auf materielle Gute Betreuung im Sozialstaat muss auch die Versorgung der Hilfe angewiesen. Denkbar ist eine Auswei- Alter in der Schweiz. älteren Menschen (unter anderem Mahlzei- Bilder: iStock Eine Bestands tung der sozialstaatlichen Bedarfsleistungen, aufnahme. Seismo tendienst, Notruf, Hausarzt, seelsorgerische insbesondere der Ergänzungsleistungen. Verlag, Zürich. Unterstützung, ambulante palliative Pflege) 12 VORSORGE GUIDE 2018/19
TRENDS Man wird über ein neues Anrecht auf (die dann über die AHV finanziert werden müsste) bis zur Einrichtung einer neuen Be- Betreuung nachdenken müssen. treuungs- und Pflegeversicherung. Ohne gute Betreuung geht es nicht Schon heute ist die Betreuung durch eine Viel- und die altersgerechte Gestaltung des nahen Wenn Betreuung zum Service public zahl von Akteuren und Angeboten geprägt. Umfelds sicherstellen. Natürlich ist die Be- wird, hat dies Konsequenzen. Der Sozial- Doch der gesellschaftliche Wandel wird die treuung durch Familienangehörige damit staat kommt dann nicht umhin, Betreuung Akzente verschieben, denn die Familien wer- nicht ausgeschlossen. Aber das Anrecht auf neben der Pflege als Anrecht und Teil der den nicht mehr im gleichen Ausmass Betreu- Betreuung bedeutet, dass ältere Menschen Grund versorgung im Gesundheitswesen ungsarbeit leisten können. Alles dem Markt zu sicher sein können, dass jemand da ist, wenn näher zu umschreiben und festzulegen, was überlassen, wird aber auch nicht gehen; dafür die eigene Familie, warum auch immer, ihren zu dieser Form des Service public gehören ist die wirtschaftliche und soziale Ungleich- betreuerischen Verpflichtungen nicht nach- soll und was nicht. Betreuung muss dann heit im Alter zu gross. Man wird darum über kommen kann. auch bestimmten Qualitätsstandards gehor- ein neues Anrecht auf Betreuung nachdenken In diesem Szenario werden Pflegeheime chen und in der beruflichen Aus- und Wei- müssen. Und dieses wird zu finanzieren sein. zur ultima ratio. Sie nehmen mehr und mehr terbildung aufgewertet werden. Damit stellt Dies ist nicht unmöglich, wenn die Mittel, die den Charakter von Sterbehospizen an und sich auch die Frage der Finanzierung im durch die Betonung der ambulanten und mo- entlasten damit die Spitäler. Die Aufenthalts- föderalen Sozialstaat. Die Optionen reichen bilen Versorgung älterer Menschen im statio- dauer ist kurz, die Fluktuation unter den von einer (weiteren) Erhöhung der nären Bereich freiwerden, nicht eingespart, Bewohnerinnen und Be- Krankenkassenprämien über sondern in Verbundlösungen und Netzwerke wohnern hoch. Die Be- eine Ausweitung der Betreuung und Pflege vor Ort investiert treuung im Pflegeheim und Erhöhung werden. So entstünde ein neu austarierter Be- wird zu einer Facette der Hilfslosen- treuungsmix, der sich je nach Betreuungs- der Palliative Care. entschädigung phase unterschiedlich zusammensetzt. ◆ ANZEIGE FRAGEN KOSTET NICHTS IST ABER DIE WICHTIGSTE INVESTITION BEI VORSORGE Fragen kostet nichts. Dafür sind Antworten umso wertvoller. Deshalb arbeitet Pax mit unabhängigen Vertriebspartnern zusammen, die ausgewiesene Experten für Vorsorge sind. Sie stellen unseren Kunden die richtigen Fragen. Und sie kennen die Antworten auf die Fragen unserer Kunden. Erst wenn alle Fragen beantwortet sind, entwickeln wir genau passende Vorsorgelösungen. Und zwar gemeinsam. Denn die richtige Vorsorge beginnt mit dem richtigen Partner. www.pax.ch
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