Müdigkeit und Psyche Welche Rolle spielen psychische Faktoren für chronische Müdigkeit, Schläfrigkeit und Fatigue?
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Schwerpunkt Müdigkeit und Psyche Welche Rolle spielen psychische Faktoren für chronische Müdigkeit, Schläfrigkeit und Fatigue? In diesem Artikel werden die häufigsten psychischen Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter erläutert. Zudem geht es um die Frage, inwiefern diese zu Müdigkeit, Schläfrigkeit oder Fatigue führen oder dadurch verstärkt sein können. Darüber hinaus geht es um somatische Ursachen von Müdig- keit, Schläfrigkeit oder Fatigue und deren Komorbidität mit psychischen Er- krankungen. Von Helen Christina Slawik N eben körperlichen Ursachen und klassischen, psychischen Erkrankungen vor der Volljährigkeit. Bei 11 den Schlaf betreffende Krankheiten (u. a. Schlaf bis 13 Prozent der Kinder und Jugendlichen werden apnoesyndrom, Restless-Legs-Syndrom [RLS], Angststörungen, bei 6 Prozent Ticstörungen, bei 5 bis Verhaltensauffälligkeiten im Schlaf) müssen psy 9 Prozent ADHS und bei 2 Prozent oppositionelles Trotz chische Erkrankungen in der Differenzialdiagnostik als verhalten diagnostiziert. Affektive Störungen (vor allem Ursache von chronischer Müdigkeit, Schläfrigkeit und Depressionen) werden weniger häufig diagnostiziert Fatigue berücksichtigt werden. Allerdings besteht im jun (0,7–4%), wobei dies in Diskrepanz zu den geäusserten gen Alter eine grössere Überlappung zwischen verschie Beschwerden steht (13–18%). denen psychischen Erkrankungen. Ausserdem ist es vom Der Anteil von Kindern und Jugendlichen mit multiplen Alter abhängig, ob ein Zustand als altersentsprechend psychischen Beschwerden hat zwischen 2002 und 2018 oder krankhaft beurteilt werden sollte, und das Umfeld von 27,4 auf 34,3 Prozent zugenommen, mit einem grös spielt in Kindheit und Jugend eine bedeutendere Rolle. seren Anteil bei Mädchen höheren Alters. Müdigkeit und Je jünger das Kind ist, umso eher äussern sich psychische Einschlafprobleme gehörten zu den am häufigsten ge Beschwerden körperlich (z. B. in nannten Beschwerden, die zwischen 2002 und 2018 Innerhalb eines Jahres Form von Kopf- oder Bauch ebenfalls zugenommen haben (von ca. 27% auf 40% [1]). manifestieren sich in der schmerzen und Übelkeit) oder in Unter den Angsterkrankungen bei jüngeren Kindern spielen Schweiz bei zirka 20 Prozent Verhaltensauffälligkeiten. Im Trennungsängste eine Rolle, die auch zu Schulverweigerung der Kinder und Jugendlichen Kleinkindalter finden sich eher (früher Schulphobie genannt) führen kann. Bei Älteren sind psychische Auffälligkeiten. Entwicklungs- und Regulations es soziale Ängste (z. B. die soziale Phobie vor sozialen Be störungen (exzessives Schreien, wertungssituationen in der Schule), aber auch Agoraphobie Schlaf- und Fütterstörungen), später Ängste und externa (d. h. Ängste, das Haus zu verlassen sowie Ängste in Men lisierende Störungen (wie die Aufmerksamkeitsdefizit- schenmengen oder auf öffentlichen Plätzen), generalisierte Hyperaktivitätsstörung [ADHS]), in der Jugend zusätzlich Angststörung und Panikstörung. Depressionen, Drogenprobleme und Essstörungen. Die Prävalenzrate der posttraumatischen Belastungs störung (PTBS) liegt bei 6,2 Prozent für Mädchen und 2,4 Prävalenz psychischer Erkrankungen Prozent für Jungen (1), wobei zirka 50 Prozent der Be im Kindes- und Jugendalter fragten angaben, schon einmal ein traumatisches Erlebnis Für die Schweiz gibt es keine nationalen Prävalenzdaten gehabt zu haben. Ein Trauma ist definiert als das Erleben zu psychischen Erkrankungen bei Kindern und Jugendli eines lebensbedrohlichen Zustands, der besonders im Zu chen, sondern diese stehen nur bezogen auf einzelne sammenhang mit Kindern auch einer nahestehenden Kantone oder bestimmte Populationen zur Verfügung (1). Person zugestossen sein kann. Dabei wird eine akute Allgemein ist zu beachten, dass viele Studien lediglich Störung (3 Tage bis 1 Monat nach dem Trauma) von der Screening-Instrumente oder einzelne Fragen verwenden PTBS (fortbestehende Symptome > 1 Monat nach dem und keine diagnostischen Interviews durch eine Fachper Trauma oder auch erst bis zu 6 Monate danach begin son stattfinden, woraus eine Unschärfe entsteht. Daher nend) unterschieden. Die Störung geht tagsüber mit in wäre es passender, von psychischen Auffälligkeiten an trusiven Gedanken (flash backs), Dissoziationen und ver stelle von Erkrankungen zu sprechen. mehrter Schreckhaftigkeit einher. Symptomauslösende Innerhalb eines Jahres manifestieren sich in der Schweiz Situationen werden vermieden. Nachts kommt es zu Alp bei zirka 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen psychi träumen sowie Ein- und Durchschlafstörungen (insomni sche Auffälligkeiten. Zudem beginnen gut die Hälfte aller sche Beschwerden). Hervorzuheben ist, dass ein Grossteil 14 Pädiatrie 1/23
Schwerpunkt der Kinder und Jugendlichen, die ein Trauma erleben, Tabelle: keine PTBS entwickeln. Schlafassoziierte Auffälligkeiten Die Prävalenzrate für restriktives Essverhalten liegt bei und mögliche psychische Ursachen etwa 1 bis 3 Prozent (1). Der mittlere Erkrankungsbeginn für Zwangsstörungen liegt im Allgemeinen bei 19 bis 20 Jahren, aber 25 Prozent der Betroffenen haben bereits vor Symptom Mögliche psychische Ursachen dem 14. Lebensjahr erste Symptome. Es gibt nur wenige Müdigkeit morgendlich wegen physiologischem Spättyp in der Jugend, Untersuchungen zu Prävalenzen im Kindes- und Jugend Insomnie, mangelhafte Schlafhygiene, Angststörung, alter, die Angaben liegen zwischen 0,5 und 4 Prozent (2). depressive Störung oder Zwangsstörung, Essstörungen, Da die Symptome oft aus Scham verschwiegen werden, Psychopharmaka (u. a. schlaffördernde Antidepressiva, sollten diese insbesondere bei Angststörungen ebenfalls Stimulanzien) erfragt werden, da eine hohe Komorbidität besteht. Rückzug ins Bett Angststörung, depressive Störung, PTBS Die Prävalenz der Alkoholabhängigkeit liegt bei Jugend chronobiologischer genetisch, im Jugendalter physiologisch, verstärkt bei lichen unter 1 Prozent. Zwischen 2 und 3 Prozent der Abendtyp abendlichem Medienkonsum, ADHS und emotionaler Jugendlichen haben einen problematischen Cannabis Instabilität konsum (1). Andere illegale Substanzen, wie Kokain, He inadäquate Suchterkrankung, Angststörung, depressive Störung roin, Amphetamine und Ecstasy, werden im Vergleich zu Schlafhygiene oder Zwangsstörung, ADHS, emotionale Instabilität Cannabisprodukten von den Jugendlichen und jungen Erwachsenen deutlich seltener konsumiert. Schlafvermeidung Alpträume bei PTBS, Angststörung, depressive Störung, Verhaltenssüchte können sich als Spielsucht, Internet Insomnie, Enuresis nocturna sucht oder Smartphoneabhängigkeit manifestieren. Sie vermehrte nächtliche Insomnie, PTBS, Angststörung, depressive Störung oder haben durch die mittlerweile allseits verfügbaren digita Anspannung Zwangsstörung, ADHS, emotionale Instabilität, Psycho- len Medien in den letzten Jahren erheblich an Bedeutung pharmaka (aktivierende Antidepressiva, Stimulanzien) gewonnen (3). Die Angaben zur Prävalenz eines proble Verhaltensauffällig- z. B. Pavor nocturnus, Schlafwandeln: matischen Internetkonsums rangieren zwischen 8 und keiten im Schlaf bei entsprechender Veranlagung getriggert durch Schlaf- 12 Prozent (1). Es fehlt jedoch ein einheitliches Störungs mangel und psychische Belastungen, wie Angststörung, bild, das exzessives Onlineverhalten definiert. Im Ver depressive Störung, Zwangsstörung und Selbstregulations- gleich zu den unproblematischen Nutzern konsumierten störung (ADHS, emotionale Instabilität), oder Psychophar- doppelt so viele der problematischen Nutzer Alkohol, maka (u.a. Antidepressiva, Stimulanzien) Tabak und Cannabis, für illegale Drogen war die Prävalenz Hypersomnien atypische Depression, unspezifisch alle zu unerholsamem bei problematischen Nutzern 4-mal so hoch. In einer Stu die, die 2015 in Zürich und St. Gallen durch geführt (erhöhter Schlaf- Schlaf führende Störungen (z. B. durch Alpträume oder durch wurde, wird die Prävalenz von Smartphoneabhängigkeit bedarf) geringere Schlaftiefe bei Anspannung, durch Psychopharmaka bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit 19,9 Pro verursachtes Schlafapnoesyndrom oder RLS) zent angegeben (4). Gemäss Selbstangaben nutzten im Insomnie Insomnie, PTBS, Angststörung, depressive Störung oder Jahr 2018 Schweizer Jugendliche das Internet unter der Zwangsstörung, ADHS, emotionale Instabilität, Psycho- Woche im Schnitt 2,5 Stunden und am Wochenende 4 pharmaka (aktivierende Antidepressiva, Stimulanzien) Stunden pro Tag (1). Das war zirka eine Stunde mehr als Alpträume PTBS, Angststörung, depressive Störung, Psychopharmaka 2014. (u.a. Antidepressiva, Stimulanzien) Schizophrenie findet sich bei unter 13-Jährigen bei 1 von 40000, in der Jugend steigt die Prävalenz, insbesondere ADHS: Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung, PTBS: posttraumatische Belastungsstörung, bei Jungen, auf 1,5 bis 3/1000 an (5). RLS: Restless-Legs-Syndrom Definition von Müdigkeit, Schläfrigkeit und Fatigue jedoch nicht im für Hypersomnie definierten eindeutig • Unter Müdigkeit wird üblicherweise ein Zustand der pathologischen Bereich liegt. körperlichen oder geistigen Erschöpfung verstanden. Typischerweise besteht diese bei insomnischen Be Selbstverständlich sind diese Begriffe nicht immer klar schwerden (Ein- und Durchschlafstörungen). Durch die voneinander abgrenzbar. Auch in den Studien, die auf begleitende Stressreaktion (Hyperarousal) ist die Patientenbefragungen beruhen, können die Beschwer Schläfrigkeit jedoch meist vermindert. den nicht eindeutig zugeordnet werden. Dies ist bei der • Schläfrigkeit findet sich eher bei zentralnervös beding folgenden Darstellung der Literaturübersicht zu beach ten Hypersomnien oder organischen Ursachen unerhol ten. Für den Kliniker ist es dennoch wichtig, die unter samen oder gestörten Schlafes, die nicht, wie eine schiedliche Bedeutung dieser Begriffe zu kennen und bei Insomnie, mit Hyperarousal einhergehen (z. B. Schlaf der Befunderhebung zu berücksichtigen sowie zu wissen, apnoesyndrom, RLS, Parasomnien wie Schlafwandeln dass sich Müdigkeit bei Kindern und Jugendlichen oft in oder nächtliches Schreien). Form von Hyperaktivität und Unruhe äussert. • Von Fatigue wird meist im Kontext einer somatischen Erkrankung gesprochen. Sie findet sich häufig bei Per Wechselwirkungen zwischen Psyche sonen mit zentralnervös bedingten Erkrankungen, bei und Schlaf Krebserkrankungen oder postinfektiös. Von Fatigue Die Tabelle bietet eine Übersicht über verschiedene Betroffene weisen im Schlaflabor eine im Vergleich zu schlafassoziierte Beschwerden sowie deren Beeinflussung Gesunden leicht erhöhte Tagesschläfrigkeit auf, die durch psychische Erkrankungen. 1/23 Pädiatrie 15
Schwerpunkt Angststörungen: Angststörungen sind von Anspan kann. Daneben finden sich Antriebsstörung, Insuffizienz nung begleitet, die mit einer Beeinträchtigung der Schlaf erleben, Interessen- und Initiativmangel, die diesen Rück tiefe sowie Ein- und Durchschlafstörungen einhergehen zug begünstigen. Zusätzliche Anhaltspunkte wären eine kann, was in Müdigkeit resultiert. Alpträume treten nicht tageszeitliche Schwankung der Stimmung, Vorherrschen nur bei PTBS, sondern auch bei Angsterkrankungen oder des Stimmungstiefs, Appetitmangel, Interessenverlust, Depressionen auf. Sie können zu einer Beeinträchtigung Unruhe und Konzentrationsstörungen, deren Ausmass der Schlafqualität sowie zu Ein- und Durchschlafstörun über das durch die Müdigkeit Verursachte hinausgehen, gen und Schlafangst mit Vermeidung des Schlafens oder sowie Entscheidungsunfähigkeit und Lebensüberdruss Schlafens nur bei Licht führen, was wiederum die Schlaf gedanken bis hin zur Suizidalität. Zahlen zu atypischer tiefe vermindert. Auch eine vermehrte Schreckhaftigkeit Depression im Kindesalter, die im Gegensatz zur typi beeinträchtigt die Schlafqualität und -quantität und führt schen Depression mit Hyperphagie, Hypersomnie und zu Erschöpfung. Gliederschwere einhergeht, sind zwar nicht bekannt, Müdigkeit kann als Vermeidungsstrategie bei Angststö aber man weiss, dass im Rahmen depressiver Beschwer rungen oder PTBS geäussert werden. Kinder und Jugend den von Jugendlichen oft Hypersomnie oder Fatigue an liche, die Müdigkeit als Vermeidungsstrategie einsetzen, gegeben werden und genauerer Einordnung bedürfen sind in anderen Situationen nicht müde. (10). In einer kürzlich in England durchgeführten Longi Pavor nocturnus und Somnambulismus: Bei Kindern, tudinalstudie konnte zudem gezeigt werden, dass vor die eine Veranlagung zu nächtlichem Schreien (Pavor noc allem mütterliche Depression und Ängstlichkeit eine Vo turnus) oder Schlafwandeln (Somnambulismus) haben, raussagekraft bezüglich chronischer Müdigkeit bei Ju können psychische Störungen häufigere nächtliche Ereig gendlichen hatte (11). nisse triggern und zu Tagesmüdigkeit führen. Entspre Suizidalität: In der Erwachsenenpsychiatrie häufen sich chend findet sich bei Jugendlichen mit Pavor und Som in den letzten Jahren die Studien, die Schlafstörungen als nambulismus eine höhere Prävalenz psychiatrischer unabhängigen Risikofaktor für Suizidalität identifizieren. Erkrankungen. Insbesondere wenn Pavor und Somnam Dies findet sich auch in Studien zu Kindern (12). bulismus im Jugendalter persistiert, sollte sowohl nach Ausserdem wurde gezeigt, dass der Zusammenhang zwi somatischen und anderen schlafmedizinischen, als auch schen vorangegangenem Trauma und späterer Suizidali nach psychischen Faktoren gesucht werden (6). tät bei Jugendlichen durch Schlafstörungen vermittelt ist Emotionsregulation und Kognition: Es besteht eine (13). In der Schweiz hat sich die Suizidrate in den letzten reziproke Wechselwirkung zwischen Beeinträchtigung 30 Jahren gemäss nationalem Gesundheitsreport mehr des Schlafes und der jeweiligen psychischen Störung, weil als halbiert (1). 2017 haben sich 87 Kinder und Jugend ein schlechterer Schlaf Emotionsregulationsstörungen liche beziehungsweise junge Erwachsene das Leben ge wie Stimmungsschwankungen, Ängstlich nommen. Obwohl die Suizidrate rückläufig ist, gehören Es besteht eine hohe keit, Impulsivität, Reizbarkeit, ein gestei Suizide aber immer noch zu den häufigsten Todesursa Komorbidität zwischen gertes Risikoverhalten und kognitive De chen bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen. somatischen und psychi- fizite begünstigt (7, 8). Zwei kürzlich Zwangsstörungen: Zwangsstörungen können bei Kin schen Erkrankungen. erschienene Längsschnittstudien zeigten dern und Jugendlichen durch den Aufwand am Tag zur eine prospektive Assoziation zwischen Nichtteilnahme am Alltagsleben oder durch Anspannung Schlafproblemen in der Kindheit (Alp und abendliches Hyperarousal zu Insomnie, Schlafmangel träume und kürzere Schlafdauer) und emotional instabiler und Tagesmüdigkeit führen (14). Borderline-Persönlichkeitsstörung in der Adoleszenz (8). Essstörungen: Patienten mit Anorexie weisen eine Be ADHS und Autismus: Gemäss eigener klinischer Erfah einträchtigung der Schlafkontinuität mit häufigerem rung ist es wichtig, primär müdigkeitsbedingte kognitive nächtlichen Aufwachen, längeren Phasen des Wachseins Defizite nicht als ADHS zu diagnostizieren. Bei ADHS fin und vermehrtem Leichtschlaf sowie weniger Tiefschlaf den sich häufiger ein abendlicher Chronotyp, Einschlaf auf. Schlafstörungen sind mit schweren Krankheitszu störungen, RLS, Zähneknirschen (Bruxismus), Alpträume, ständen assoziiert und der Eating-Purging-Subtyp (mit Parasomnien und Einnässen (Enuresis nocturna), was Ess- und Brechanfällen) geht häufiger mit einem chrono wiederum die ADHS-Symptomatik verstärkt (9). biologischen Abendtyp einher (15). Daneben können eine inadäquate Schlafhygiene, ver Suchtverhalten: Obwohl der Konsum von Cannabis und mehrter Medienkonsum, eine andere psychische Störung Alkohol per se zu Schlafstörungen und Tagesmüdigkeit wie Ängste, Depressionen und Substanzkonsum sowie oder Motivationslosigkeit führen kann, wurde auch um Langeweile in reizarmen Situationen in dieser Population gekehrt gezeigt, dass bei Jugendlichen ein höherer Kon Tagesmüdigkeit hervorrufen. Im Zusammenhang mit ei sum von Cannabis und Alkohol mit einem späten Chrono nem im Jugendalter physiologischen späten Chronotyp, typ und Schlafproblemen assoziiert ist, zum Teil als inadäquater Schlafhygiene und insomnischen Beschwer Selbsttherapie (16). Blaues Bildschirmlicht vor dem Zu den kann es zu einer Schlafrhythmusverschiebung mit bettgehen kann das Einschlafen verzögern. Die intensive Tagschlaf kommen. Bei autistischen Kindern finden sich Nutzung von Mobiltelefonen sowie insbesondere einge darüber hinaus häufiger irreguläre Schlafmuster, was sich hende Anrufe oder Nachrichten während der Nacht stö als Tagesschläfrigkeit oder -müdigkeit äussern kann (9). ren den Schlaf und können zu Tagesmüdigkeit führen. Depressionen: Es ist wichtig, bei einer depressiven Stö Häufiger digitaler Medienkonsum geht zudem oft mit rung zu beachten, dass der Rückzug ins Bett oft nicht mit Bewegungsmangel und Übergewicht einher, beides Fak vermehrtem Schlafen einhergeht, weil für die depressive toren, welche die Schlafqualität beeinträchtigen können. Störung Ein- und Durchschlafstörungen sowie das frühe Spiel- oder Onlinesucht in Verbindung mit dem im Ju Erwachen typisch sind, was zu Tagesmüdigkeit führen gendalter physiologischen späten Chronotyp sowie 16 Pädiatrie 1/23
Schwerpunkt Schulvermeidung können zu extremen Verschiebungen dass ein Grossteil der Varianz von Fatigue bei chronischer des Chronotyps oder irregulären Schlafmustern führen. somatischer Erkrankung durch einen transdiagnostischen Schizophrenie: Bei Schizophrenie sind Schlafstörungen Ansatz, der auch Schlafstörungen und psychische Fakto auch in der Kindheit und Jugend ein Indiz für die Krank ren berücksichtigt, erklärt werden kann (20). Die Behand heitsschwere, und sie können als Frühwarnzeichen inter lung chronischer somatischer Erkrankungen sollte des pretiert werden. Einerseits kommt den im Schlaf vermin halb immer interdisziplinär ausgerichtet sein. Dies wird dert auftretenden Schlafspindeln und Schlafstörungen durch die ungenügende Versorgungslage für psychisch eine pathogenetische Bedeutung bei kognitiven Sympto kranke Kinder und Jugendliche in der Schweiz erschwert. men der Schizophrenie zu, andererseits kann Müdigkeit Schätzungsweise kommen nur 10 bis 30 Prozent der Kin ein Zeichen der für Schizophrenie typischen Negativsym der und Jugendlichen in Kontakt mit psychiatrischen Ein ptomatik mit sozialem Rückzug und Initiativmangel sowie richtungen (1). Ambivalenz sein. Typischerweise findet sich dann meist Chronisches Fatigue-Syndrom: Beim chronischen Fa keine Hypersomnie. Produktiv psychotische Symptome, tigue-Syndrom (CFS), bei dem es sich vermutlich um eine wie Halluzinationen und paranoide Befürchtungen, kön eher seltene neuroimmunologische Erkrankung (ca. 1% nen zur Vermeidung von Alltagsaktivitäten, aber auch zu der Bevölkerung) handelt, die mit gesteigerter Ermüdbar nächtlichen Ängsten und insomnischen Beschwerden keit nach körperlicher Belastung einhergeht, besteht eine sowie Alpträumen führen (17). hohe Komorbidität mit Angststörungen und Depression Psychopharmaka: Antidepressiva haben im Allgemeinen bei bis zu einem Drittel der Patienten. Patienten mit psy die Nebenwirkung, dass sie entweder schlaffördernd chiatrischen Komorbiditäten leiden oft an einem höheren (Hangover am Morgen) oder aktivierend sind und dadurch CFS-Schweregrad, und es gibt Ein- und Durchschlafstörungen begünstigen können. In Hinweise für deren schlechtere Psychische Symptome werden der Schweiz ist der Anteil von Kindern und Jugendlichen, Prognose, wobei eindeutige durch Müdigkeit, Schläfrigkeit die Psychopharmaka (inklusive Stimulanzien) einnehmen, Daten, insbesondere bei Kin oder Fatigue verstärkt. gering (< 1%) mit leicht steigender Tendenz (1). In be dern und Jugendlichen, fehlen stimmten Populationen kann der Anteil der Kinder mit (21). Daneben haben von CFS ADHS-Medikamenten deutlich höher sein (z. B. Jungen im betroffene Kinder mit höherer Wahrscheinlichkeit ein Grundschulalter). Zu beachten ist, dass ein frühzeitiger Trauma erlebt (22). Die Bedeutung psychischer Faktoren Wirkungsverlust im Tagesverlauf bei Stimulanzien mit kur zeigt sich auch dadurch, dass 60 bis 80 Prozent der Ju zer Halbwertszeit auch zu einem Überdrehtsein am Abend gendlichen mit CFS durch kognitive Verhaltenstherapie (sundowning) und Einschlafstörungen führen kann. So eine Besserung erleben (21). wohl Antidepressiva als auch Antipsychotika können Sym Schlafapnoesyndrom: Ursache von Verhaltensauffällig ptome eines RLS verursachen, was zu Tagesmüdigkeit/ keiten und ADHS-Symptomen am Tag kann besonders bei -schläfrigkeit durch Ein- und Durchschlafstörungen oder über gewichtigen Kindern eine durch ein obstruktives unerholsamen Schlaf führt. Sedierende, schlaffördernde Schlafapnoesyndrom verursachte Schläfrigkeit sein, unter Psychopharmaka können ein Schlafapnoesyndrom auslö der zirka 1 bis 5 Prozent der Kinder und Jugendlichen sen oder verstärken, indirekt oft zusätzlich durch Gewichts leiden (23). zunahme. Daneben können Psychopharmaka Verhaltens Nächtliches Einnässen: Dem nächtlichen Einnässen (En auffälligkeiten im Schlaf und Alpträume auslösen. uresis nocturna) liegt zwar nach heutigem Kenntnisstand eine somatische Ursache zugrunde, aber es ist häufiger Somatische Ursachen und Komorbidi- mit ADHS und depressiver Störung vergesellschaftet, und tät mit psychischen Erkrankungen es geht mit Angst vor dem Schlafen, insomnischen Be Eine Arbeit aus den Niederlanden zeigte, dass chronische schwerden und Tagesmüdigkeit einher. Man muss spezi Fatigue bei 21 bis 37 Prozent der 2 bis 18 Jahre alten fisch danach fragen, weil die Symptome meist verschwie Kinder und Jugendlichen mit einer chronischen körperli gen werden (24). chen Erkrankung (autoimmune Erkrankungen, zystische RLS: Die Autoren eines 2017 erschienenen Übersichts Fibrose, nach Krebs) vorhanden war. Dies ist etwa 2- bis artikels weisen darauf hin, dass ein RLS im Kindesalter 3-mal so häufig als in der Durchschnittsbevölkerung glei auftreten kann (weltweite Prävalenz ca. 2–3%) und dass chen Alters, und vor allem Mädchen in höherem Alter sich bei diesen Kindern nicht nur eine erhöhte ADHS-Prä sind davon betroffen (18). valenz findet, sondern auch depressive Störungen und Da chronische körperliche Erkrankungen im Kindes- und Angststörungen häufiger sind. Es konnte gezeigt werden, Jugendalter die regelrechte Entwicklung besonders stark dass Schlafstörungen bei diesen Kindern die Entstehung beeinträchtigen und psychische Erkrankungen nicht sel depressiver Symptome vermitteln (25). Obwohl die klini ten sind, besteht eine hohe Komorbidität zwischen soma sche Relevanz eines RLS, insbesondere wenn es komorbid tischen und psychischen Erkrankungen. Je früher die mit ADHS auftritt, und damit auch die Behandlungsbe chronische somatische Erkrankung beginnt, umso mehr dürftigkeit umstritten ist, ist es dennoch sinnvoll, ein RLS finden sich externalisierende Störungen (Aggression und als Ursache von Schlafstörungen und Tagesmüdigkeit ab Delinquenz), je später sie beginnt, umso mehr bestehen zuklären, um gegebenenfalls Eisen zu substituieren oder internalisierende Störungen (somatische Beschwerden, kritisch zu prüfen, ob die Symptome eines RLS im indivi Depression oder Ängstlichkeit) (19). duellen Fall durch Psychopharmaka verursacht oder ver Ein sich gegenseitig verstärkender Effekt zwischen Mü stärkt sein könnte. digkeit, psychischer und somatischer Erkrankung liegt Narkolepsie: Die Narkolepsie ist eine seltene neurologi nahe, obwohl diese Zusammenhänge noch nicht ausrei sche Erkrankung mit einem meist autoimmun bedingten chend untersucht sind. Bei Erwachsenen wurde gezeigt, Mangel an Hypocretin/Orexin im Hpyothalamus, was zu 1/23 Pädiatrie 17
Schwerpunkt einer unschärferen Abgrenzung von Schlaf- und Wach Literatur: zuständen führt. Dies geht zum einen mit schlafgebun 1. Claudio P et al.: Gesundheit in der Schweiz – Kinder, Jugendliche und junge Erwach- denen Halluzinationen, Schlaflähmung, Ein- und Durch sene, Nationaler Gesundheitsbericht 2020, Buchreihe des Schweizerischen Gesund- schlafstörungen einher und zum anderen mit imperativen heitsoberservatoriums, Hogrefe Verlag, https://www.gesundheitsbericht.ch/de. 2. Krebs G et al.: Obsessive compulsive disorder in children and adolescents. Arch Dis Einschlafattacken und plötzlichem Muskeltonusverlust Child. 2015;100(5):495-499. (sog. Kataplexien) am Tag. In einer Studie aus Lyon wur 3. Derevensky JL et al.: Behavioral Addictions: Excessive Gambling, Gaming, Internet, den bei 25 Prozent der Kinder und Jugendlichen mit Nar and Smartphone Use Among Children and Adolescents. 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