Musikerdystonien: Phänomenologie, Ursachen, Differenzialdiagnosen und Behandlungsmöglichkeiten* - Musikerkrankheiten
←
→
Transkription von Seiteninhalten
Wenn Ihr Browser die Seite nicht korrekt rendert, bitte, lesen Sie den Inhalt der Seite unten
Musikphysiologie und Musikermedizin 2019, Nr. 1, Jg. 26 13 Musikerdystonien: Phänomenologie, Ursachen, Differenzialdiagnosen und Behandlungsmöglichkeiten* Eckart Altenmüller (Hannover), André Lee (München) und Hans-Christian Jabusch (Dresden) Zusammenfassung Abstract Musizieren auf professionellem Niveau ist eine der Performing music at a professional level is proba- komplexesten menschlichen Leistungen. Extrem bly one of the most complex human accomplish- schnelle und komplexe, zeitlich-räumlich präzis defi- ments. Extremely fast and complex, temporo- nierte Bewegungsmuster müssen mit hoher Zuver- spatially predefined movement patterns have to lässigkeit gelernt, gespeichert und abgerufen werden, be learned, memorized, and retrieved with high um die Erwartungen der Zuhörer zu erfüllen. Um reliability in order to meet the expectations of diese Fähigkeiten zu erwerben, müssen Musiker listeners. To acquire these skills, musicians must über viele Jahre hinweg intensiv üben. Steigende undergo extensive training periods over many Arbeitsbelastung am Instrument kann zu maladapti- years, which start in early childhood and continue ver Plastizität des Zentralnervensystems führen und on through stages of increasing physical and motorische Störungen, wie z. B. die Musikerdystonie strategic complexities. Increasing work-load auslösen. may lead to maladaptive plastic adaptations and trigger motor disturbances, such as musician’s Die Musikerdystonie ist durch den permanenten dystonia. Verlust der Kontrolle hoch präziser Bewegungen beim Spielen eines Musikinstruments gekenn- Musician’s dystonia (MD), which is characterized zeichnet. Sie betrifft etwa 1–2 % der Berufsmusiker. by the permanent loss of control of highly skilled Pathophysiologisch liegen gestörte Inhibition und movements when playing a musical instrument, is sensomotorische Integration, möglicherweise auf the gravest manifestation of dysfunctional motor dem Boden einer genetischen Veranlagung vor. programs, frequently linked to a genetic susceptibil- Als „dynamisches Stereotyp“ wird eine zunächst ity to develop such motor disturbances. A predys- vorübergehende Verschlechterung der Feinmotorik tonic syndrome, termed „Dynamic Stereotype“, is bezeichnet, die häufig durch psychologische Stresso- characterized by temporary deterioration of fine ren oder Müdigkeit ausgelöst wird und als Vorform motor control, frequently triggered by anxiety or der Dystonie betrachtet werden kann. fatigue. Die Behandlung der verschiedenen motorischen Treatment of the different forms and degrees of Störungen bei Musikern umfassen ergonomische motor disturbances include ergonomic adaptations, Anpassungen, Anticholinergika, Retraining, und anticholinergic drugs, retraining and local injec- lokale Injektionen mit Botulinumtoxin. Präventions- tions with botulinum toxin. Prevention strategies, strategien in der Ausbildung junger Berufsmusiker implemented in the training of young professional sollten auf ein gesundes Arbeitsverhalten, Selbst- musicians may target predominantly healthy work- management, und psychologisch unterstützenden ing behaviour, self-management and psychologically Unterricht ausgerichtet sein. supportive teaching. Schlüsselwörter Key Words Musikerdystonie, Pathophysiologie, Dynamisches Musician’s Dystonia, Pathophysiology, Dynamic Stereotyp, Behandlung, Botulinumtoxin, Retraining Stereotype, Treatment, Botulinumtoxin, Retraining * © Georg Thieme Verlag KG als Rechtsnachfolger der Schattauer GmbH Die Originalversion wurde publiziert in: Nervenheilkunde 10/2018
14 Musikerdystonien: Phänomenologie, Ursachen, Differenzialdiagnosen und Behandlungsmöglichkeiten Was bedeutet Musizieren auf umso stabiler ist sie im Wahrnehmungs- und Hand- professionellem Niveau? lungsgedächtnis verankert und umso geringer sind die Auswirkungen des Übens auf die Hirnstruktur. Dies Musizieren auf professionellem Niveau gehört zu den wird damit erklärt, dass Üben bis zum Alter von etwa anspruchsvollsten menschlichen Tätigkeiten. Die 7 Jahren eine Optimierung der neuronalen Netzwerke Schwierigkeiten bestehen vor allem darin, dass die bedingt, die spätere Strukturanpassungen unnötig ungeheuer komplexen und zeitlich-räumlich überaus macht (Altenmüller und Furuya 2017). präzisen Bewegungen in Echtzeit einer äußerst kriti- schen Kontrolle durch das Gehör, – des Publikums Ganz offensichtlich haben das intensive Üben am und des Spielers –, unterzogen werden. Darüber hinaus Instrument und die damit einhergehende Speziali- sind die Bewegungen beim Musizieren eng an die sierung aber ihren Preis, denn mit Aufkommen des Affekte gebunden: Musik gilt einerseits als „Sprache romantischen Virtuosentums im 19. Jahrhundert, als des Gefühls“ und soll Emotionen ausdrücken, anderer- Ausnahmeerscheinungen wie Paganini und Liszt mit seits bewegt sich ein professioneller Musiker in einem ihrer Kunst die Grenzen der menschlichen Leistungs- unerbittlichen gesellschaftlichen Belohnungs- und fähigkeit zu überschreiten schienen, berichteten erst- Bestrafungssystem, zumindest wenn er notierte „ernste mals Musiker über Koordinationsstörungen und Musik“ interpretiert, bei der es „richtige“ und „falsche“ den Verlust der feinmotorischen Kontrolle. Heute Noten gibt. Wenige Sekunden der Unaufmerksam- werden derartige Störungen der Bewegungen auch keit während eines Probevorspiels oder eines Wett- als Auswirkungen maladaptiver Neuroplastizi- bewerbes können anhaltende negative Konsequen- tät aufgefasst, als dysfunktionale Anpassungen des zen für die künstlerische Laufbahn haben und eine Nervensystems bei übersteigerter Beanspruchung Biographie verändern. Negative Emotionen, Angst vor unter ungünstigen Bedingungen. falschen Tönen, vor einer schlechten Kritik sind daher bei Musikern keine Seltenheit. Gerade dieser hohe Phänomenologie der Bewegungsstörungen Verhaltensdruck und die starke intrinsische Motiva- tion treiben Musiker zu ihren Höchstleistungen an, Bewegungsstörungen werden von Musiker-Patienten die sich dann wiederum in eindrucksvollen plastischen häufig beklagt. In neurologischen Musiker-Sprech- Anpassungen des Zentralnervensystems spiegeln stunden macht diese Gruppe zirka 20 %– 50 % der (Altenmüller und Furuya 2017). Patienten aus. In Tabelle 1 sind die verschiedenen Bewegungsstörungen, ihre relative Häufigkeit in unse- Üben ist notwendig, um derartige professio- rer Sprechstunde und wichtige diagnostische Krite- nelle Fähigkeiten zu entwickeln und die oben rien und differenzialdiagnostische Erwägungen sowie angesprochenen komplexen Aufgaben zu bewältigen. Behandlungsoptionen dargestellt. Diese Einteilung ist Nach der Expertise-Theorie (Ericsson et al. 1993) derzeit im Fluss, da wir in den letzten Jahren Hinweise entstehen professionelle Leistungen durchschnittlich darauf gewonnen haben, dass sich die Bewegungs- erst nach ca. 10 Jahren und 10.000 Stunden kumula- störungen in zwei Gruppen aufteilen lassen, nämlich tiver Übung am Instrument. Dabei konnte in einer 1.) vorwiegend durch Angst getriggerte und großen Anzahl von Studien gezeigt werden, dass die 2.) eher motorisch und durch Überlastung ge- kumulative Lebensübezeit nicht nur mit der Leistung triggerte Dysfunktionen (Altenmüller et al. 2015). bei musikalischen Aufgaben, z. B. der Präzision von Fingerbewegungen, sondern auch mit Veränderungen Phänomenologie der Musikerdystonie der Hirnfunktion und -struktur korreliert. So finden sich bei professionellen Musikern zahlreiche Zeichen Die häufigste und auch die schwerwiegendste der adaptiven Neuroplastizität, also plastischen Bewegungsstörung bei Musikern ist die Musikerdys- Anpassungen des ZNS mit vergrößerten auditiven, tonie. Es handelt sich um eine tätigkeitsspezifische sensomotorischen und zerebellären Arealen und stär- Dystonie des Erwachsenenalters. Sie ist durch den ker myelinisierten Fasertrakten des Faszikulus arcua- Verlust der feinmotorischen Kontrolle von komple- tus, der Pyramidenbahn und des Corpus callosum. xen, räumlich und zeitlich präzisen Bewegungen am Entscheidend ist dabei, in welchem Alter geübt wurde. Instrument gekennzeichnet. Schmerzen gehören nicht Je früher die musikalische Fertigkeit erlangt wurde, primär zur Symptomatik der Dystonie. Sie können
Musikphysiologie und Musikermedizin 2019, Nr. 1, Jg. 26 15 Störungstyp relatives. Diagnostische Differenzialdiagnose Behandlung bei Diagnosestellung Vorkommen Kriterien in %. Isolierte Musikerdystonie 52 Persistierender Verlust Dystoner Krampf, Trihexyphenidyl der feinmotorischen Dynamisches Stereotyp Lokale Injektion mit Kontrolle langgeübter Handchirurgische Botulinumtoxin Bewegungen ausschließ- Erkrankungen, Muskel- Retraining lich am Instrument in faserriss bei Bläsern, Ergonomische Verände- einer Körperregion neurologische System- rungen des Instruments erkrankungen Dystoner Krampf 12 Verlust der Kontrolle Musikerdystonie Trihexyphenidyl auch bei anderen fein- M. Parkinson, andere Lokale Injektion mit motorischen Fertigkeiten neurologische System- Botulinumtoxin einer Körperregion erkrankungen Retraining Dynamisches Stereotyp 10 Wechselhafte Einschrän- Musikerdystonie Retraining kung der feinmotrischen Altersbedingte Fein- Trihexyphenidyl Kontrolle beim Musi- motorikminderung zieren mit „Inseln“ des Wohlbefindens Segmentale und 4 Verlust der feinmotori- Neurologische System- Trihexyphenidyl mulitfokale Dystonie schen Kontrolle mehrerer erkankungen Lokale Injektion mit benachbarter Körper- Botulinumtoxin regionen oder zweier ge- Retraining trennter Körperregionen Dystoner Tremor 3 Unwillkürliches Zittern Esentieller Tremor Trihexyphenidyl, einer Körperregion bei Morbus Parkinson Primidon, Propranolol Bewegungen am Instru- Lokale Injektion mit ment Botulinumtoxin Neurologische 3 Verlust der feinmoto- Segmentale oder Abhängig von der Systemerkrankungen rischen Kontrolle oder Multifokale Dystonie Diagnose unwillkürliches Zittern, Symptomatische meist auch außerhalb des Ursachen Instruments Altersspezifische 2 Langsam schleichende Dynamisches Stereotyp Psychotherapie Feinmotorikminderung Einschränkung der Fein- Musikerdystonie motorik auch außerhalb des Instruments Andere 14 Biomechanische Ein- Musikerdystonie Handchirurgische schränkungen, die immer Dynamisches Stereotyp Therapie, präsent sind und nicht Ergonomische streng aufgabenspezifisch Maßnahmen, auftreten (Springfinger, Psychotherapie Ehlers-Danlos Syndrom, psychologische Ursachen). Tabelle 1: Die verschiedenen Bewegungsstörungen bei Musikern, ihr relatives Vorkommen bei der Erstdiagnose in unserer Sprechstunde (n= 650 Patienten), wichtigste diagnostische Kriterien, Differenzialdiagnose und therapeutische Optionen. Zu beachten ist, dass manche einfachen Musikerdystonien sich im weiteren Verlauf zu einem „dystonen Krampf“ ausweiten und dass manches „dynamisches Stereotyp“ sich später zu einer Musikerdystonie entwickelt.
16 Musikerdystonien: Phänomenologie, Ursachen, Differenzialdiagnosen und Behandlungsmöglichkeiten aber als Folge von übermäßiger Muskelanspannung Tremor (dystoner Tremor, siehe unten) die Sympto- auftreten. In Abbildung 1 sind typische Ausprägungen matik dominieren. der Musikerdystonie gezeigt. Die häufigsten Symptome bei fortgeschrittenen Handdystonien sind unwillkür- Die Betroffenen berichten häufig über ein starkes liches Einrollen oder, deutlich seltener, Abstrecken Spannungsgefühl im Unterarm während des Musizie- einzelner Finger und/oder abnorme Handgelenks- rens. Dies ist durch die zeitgleiche Aktivierung (Kokon- haltungen. Bei gleichzeitig beobachtetem unwillkür- traktion) antagonistischer Beuger- und Strecker- lichen Einrollen und Abstrecken einzelner Finger muskeln bedingt. Nur in unter 5 % der Fälle berichten an einer Hand handelt es sich nahezu immer um die Patienten ein Gefühl der Schwäche. Hier kommt eine primäre dystone Bewegung der Beuger und es zu einem unwillkürlichen Verlust der muskulären um eine sekundäre Kompensation der Strecker, Spannung. Diese Form der Handdystonie kann man die auf diese Weise versuchen, eine Streckung der als inhibitorische Dystonie bezeichnen. Schwieriger dystonen Finger zu erleichtern (siehe Abb.1c, Quer- ist die Diagnose der Handdystonien in der Frühphase flötist). Der umgekehrte Fall, – primäres Abstrecken der Erkrankung. Hier berichten die Betroffenen häufig und kompensatorische Beugung –, ist möglich, aber nur über subtile Erschwernisse bei schnellen alter- aufgrund des selteneren Auftretens der Streckdys- nierenden Bewegungen wie z. B. Trillern, über kleine tonie unwahrscheinlich. Hier hilft in erster Linie eine Unregelmäßigkeiten bei Läufen und dem Gefühl des sorgfältige Anamnese um herauszufinden, welche „Klebens“ an einer Taste oder Klappe des Instruments. Bewegung primär für den Musiker betroffen war. Diese Unterscheidung ist nicht nur diagnostisch wichtig, Die Ansatzdystonie der Bläser zeigt sich in der Früh- sondern hat auch therapeutische Konsequenzen bei phase häufig in subtilen Unzulänglichkeiten der der Behandlung mit Botulinumtoxin (s. u.). Gelegent- Tongebung, vorwiegend in einem bestimmten Register lich können auch kurz dauernde Muskelkontraktionen oder einer Spielart oder in einem klar umschriebenen (myoklonische Dystonien) oder unwillkürlicher Dynamikbereich. In fortgeschrittenen Stadien weitet sich die Problematik meist auf (a) (b) den gesamten Tonumfang des In- struments und auf alle Dynamik- bereiche aus, die Kontrolle über Ansatz, Artikulation und Atmung ist dann bei keiner Spielart mehr gewährleistet. Zahlreiche der von der fokalen Dystonie betroffenen Berufsmusiker erleiden infolge (c) (d) der Störung erhebliche berufliche Einbußen, aber nur 29 % sind zur Aufgabe ihres Berufes gezwungen (Lee et al. 2015b). Grundsätzlich kann die Musiker- dystonie alle Bewegungsabläufe beim Musizieren betreffen. Am Abbildung 1: Symptome der Dystonie. Fokale Handdystonie bei einem Pianisten häufigsten treten Handdystonien (a), bei einer Geigerin (b) und bei einem Flötisten (c). Charakteristisch ist das bei Gitarristen und Pianisten auf. unwillkürliche Einrollen oder Abspreizen einzelner Finger während des Spiels. Störungen der Ansatzfunktionen Bei dem Flötisten besteht die dystone Bewegung in einem starken Beugetonus finden sich vor allem bei Blech- des Zeigefingers, weniger des Mittelfingers. Der Kleinfinger streckt sich in einer bläsern, seltener bei Holzbläsern. kompensatorischen Bewegung unwillkürlich, um so eine Elevation von Ring- und Raritäten sind Dystonien der Mittelfinger zu erleichtern. Bei der Ansatzdystonie (d) kann man die Verkrampfung Oberarmmuskulatur bei Streich- der perioralen Muskulatur gut erkennen (aus Altenmüller und Jabusch 2010, mit instrumentalisten und Posaunisten freundlicher Genehmigung). und Koordinationsstörungen der
Musikphysiologie und Musikermedizin 2019, Nr. 1, Jg. 26 17 Beinmotorik bei Schlagzeugern und Organisten. Eine verwandte Erkrankung bei Sängerinnen und Sängern ist die spasmodische Dysphonie, die durch einen Verlust der feinmotorischen Kontrolle des Stimm- apparates beim Singen gekennzeichnet ist (Blitzer 2010). Ist die Dystonie nicht mehr streng auf das Musi- zieren beschränkt und zeigt sich z. B auch beim Schrei- ben, spricht man von einem dystonen Krampf. Eine derartige Ausweitung auf andere Tätigkeiten tritt bei 34 % der Patienten auf. Bei einem kleinen Prozentsatz (unter 2 %) breitet sich die Dystonie aus und betrifft dann z. B. nicht nur die Hand, sondern auch Unter- (a) und Oberarm. Man spricht dann von einer segmen- talen Dystonie. Entwickelt sich auch eine Dystonie an der zuerst nicht betroffenen Seite spricht man von einer multifokalen Dystonie. Die Ausprägung der Symptome kann stark wechseln und es werden bei bis zu 20 % der Betroffenen temporäre Teilremissionen beobachtet. Spontan auftretende persistierende Total- remissionen sind allerdings sehr selten. (b) Eine Rarität sind fixierte Dystonien bei Musikern, bei der die betroffenen Finger in einer unwillkür- Abbildung 2: Fixierte Dystonie: Geigerin mit fixierter Dysto- lichen, abnormen Position fixiert sind, was sich im nie der linken Finger IV und V, welche sich im Verlauf auch Verlauf auch außerhalb des Instruments äußern kann im Alltag manifestierte. Nach Injektion von Botulinumtoxin (Lee et al. 2013, Abbildung 2). Die Pathophysiologie kam es innerhalb weniger Stunden zu einer fast vollständigen fixierter Dystonien ist nicht gut verstanden und sie Remission, was die Hypothese einer funktionellen Genese werden meist als Manifestation einer funktionellen unterstützt. Bewegungsstörung aufgefasst (Schrag, 2004). (Schmidt et al. 2009). So finden sich in bis zu einem Die Lebenszeitprävalenz der Musikerdystonie liegt Drittel der betroffenen Patienten auch Dystonien bei in Deutschland bei ca. 1 % der Berufsmusiker. Diese Verwandten ersten Grades (Schmidt et al. 2006). In im Vergleich zu anderen Dystonien deutlich größere Hinblick auf die Pathophysiologie zeigen die meis- Häufigkeit (beim Schreibkrampf ca. 1:3000) mag auf ten Studien Auffälligkeiten in drei Hauptbereichen: einem Schwellenphänomen beruhen. Berufsmusiker a) reduzierte Inhibition in motorischen Systemen stehen unter besonders hohem Leidensdruck und auf kortikaler, subkortikaler und spinaler Ebene beanspruchen bei subtilen Störungen motorischer b) Veränderung der sensorischen Verarbeitung und Funktionen wahrscheinlich früher ärztliche Hilfe als c) eingeschränkte sensomotorische Integration. Dabei Betroffene anderer Berufe. Auffällig ist die unterschied- wird vermutet, dass diese Veränderungen primär liche Geschlechterverteilung bei der Musikerdystonie: durch die oben angesprochene maladaptive Plastizität Männer sind mit 81 % deutlich überrepräsentiert des Gehirns ausgelöst werden. (Altenmüller und Jabusch 2010). In Tabelle 2 sind die wesentlichen epidemiologischen Fakten Ein Mangel an Hemmung (Inhibition) ist ein zusammengefasst. häufiger Befund in Studien an Patienten, die an verschiedensten Formen der Dystonie leiden (für eine Pathophysiologie der Musikerdystonien Review siehe Hallett 2004). Feinmotorische Kon- trolle benötigt generell eine feine Balance zwischen Die Pathophysiologie der fokalen Dystonie ist hetero- aktivierenden und hemmenden neuronalen Netz- gen. Unbestritten ist eine genetische Komponente, werken. Sie ist besonders wichtig, um präzise und die wir in mehreren Studien nachweisen konnten geschmeidige Handbewegungen auszuführen. Für
18 Musikerdystonien: Phänomenologie, Ursachen, Differenzialdiagnosen und Behandlungsmöglichkeiten Genre Klassische Musik 95 % Geschlecht Männlich 81 % Häufigste Instrumente Klavier > Holzblasinstrumente > Gitarre > Blechblasinstrumente>Streicher Alter Beginn der Symptomatik vor dem 40. Lebensjahr 80 % Psychologische Konstellation Angststörungen und /oder Perfektionismus 70 % Berufliche Position Solisten 51 % Veränderter somatosensorischer Input Schmerzsyndrome, Nervenkompression 9% Familiäre Häufung Angehörige ersten Grades betroffen 36 % Tabelle 2: Risikofaktoren der Musikerdystonie: Epidemiologische Daten aus einer Stichprobe von 144 Patienten mit Musikerdystonien (Jabusch et al. 2005), aus 591 Patienten unserer Ambulanz (Lee et al. 2015b) und aus einer Gruppe von 28 Patientenfamilien (Schmidt et al 2009). schnelle Fingerbewegungen beim Klavierspielen allgegenwärtige Demonstration von unzulänglicher beispielsweise wird eine hoch selektive und spezi- Hemmung deutet auf eine gemeinsame zugrunde- fische Aktivierung von Muskeln benötigt, um einzelne liegende genetische Ursache hin (Schmidt et al. Finger in gewünschter Weise zu bewegen und vor 2009). Allerdings muss betont werden, dass keiner allem Bewegungen der nicht beteiligten Finger zu dieser elektrophysiologischen Effekte eine Diagnose hemmen (Furuya et al. 2015). Patienten, die an einer auf individueller Ebene erlaubt, da die Variabilität der Dystonie der Hand leiden, zeigten in elektromyo- neurophysiologischen Messwerte bereits bei gesun- graphischen Messungen eine verlängerte Aktivität den Musikern und eben auch bei Musikern mit fokaler von Muskelsignalen bei gleichzeitiger Kontraktion Dystonie enorm hoch ist. von antagonistischen Muskelgruppen und Über- aktivierung von benachbarten Muskeln (Furuya und Veränderte sensorische Wahrnehmung kann Altenmüller 2013). Fehlende Hemmung konnte auf ebenfalls ein Zeichen einer maladaptiven Plastizi- verschiedenen Ebenen des Nervensystems gefunden tät des Gehirns sein. In mehreren Studien konnte werden. Auf spinaler Ebene führt ein derartiges gezeigt werden, dass die Fähigkeit, zwei Stimuli zeit- Defizit zu einer herabgesetzten reziproken Inhibition lich und räumlich zu unterscheiden, bei Patien- der antagonistischen Muskelgruppen, was die häufig ten, die an Musikerdystonie leiden, eingeschränkt zu beobachtende Kontraktion beispielsweise von ist (z. B. Sadnicka et al. 2017). Dies ist unabhängig Handgelenksflexoren und -streckern befördert. Das davon, ob die Sinneswahrnehmung über die Finger- wiederum löst Gefühle von Verspannung und Steifig- spitzen (Dystonie der Hand) oder durch die Lippen keit aus und führt häufig zu abnormalen Stellungen (oromandibuläre Dystonie) erfolgt. Ein derartiges der Hand mit z. B. einer überwiegenden Beugung Verhaltensdefizit spiegelt sich in der kortikalen des Handgelenkes aufgrund der relativen Stärke der somatosensorischen Repräsentation der Finger und Beugemuskeln. Abnormale Inhibition konnte eben- Lippen wider. Mit Hilfe verschiedener funktionel- falls mit Hilfe von transkranieller Magnetstimulation ler Bildgebungsverfahren konnte gezeigt werden, auf kortikaler Ebene nachgewiesen werden (Sommer dass sich im Bereich des somatosensorischen Kortex et al. 2002). Interessanterweise zeigt sich hier meist, die rezeptiven Felder einzelner Finger bei Patien- dass beide Hirnhälften betroffen sind, obwohl z. B. ten mit Musikerdystonie stärker überlappen als nur eine Hand die dystonen Bewegungsmuster bei gesunden Probanden (Elbert et al. 1998). aufweist. Dies lässt ein generalisiertes Inhibitions- Gleichermaßen kann die kortikale Repräsenta- defizit vermuten. Schließlich konnte eine fehlende tion der Lippen bei Patienten mit oromandibulärer Hemmung bei komplexeren Aufgaben, wie zum Dystonie verändert sein (Haslinger et al. 2010). Beispiel der Vorbereitung einer Handbewegung vor Andere Auffälligkeiten sind erhöhte Schwellen- einer Tonleiterübung und der plötzlichen Hemmung werte bei der Unterscheidung zweier zeitlich kurz einer Bewegung nach einem StopSignal bei Pianis- aufeinander folgender Reize, ein Marker für eine ten gezeigt werden (HerrojoRuiz et al. 2009). Die Fehlfunktion der Basalganglien (Termsarasab et al.
Musikphysiologie und Musikermedizin 2019, Nr. 1, Jg. 26 19 2015). Da bei gesunden Musikern ein Anstieg der was möglicherweise auf eine fehlerhafte Einbindung Größe der Fingerrepräsentationen als adaptive plasti- des propriozeptiven Inputs in die entsprechenden sche Anpassung an die Anforderungen und individu- motorischen Programme zurückzuführen ist. Eine ellen Erfahrungen gedeutet wird (Elbert et al. 1995), Umkehrung dieses Effektes der sensomotorischen kann spekuliert werden, dass diese Veränderungen bei Desintegration ist der Ansatz einiger Retraining Musikern, welche an Dystonie leiden, über ihr Ziel Verfahren und spielt sicher auch beim Phänomen hinausschießen. Der Vorteil der adaptiven Neuro- des „sensorischen Tricks“, einer meist nur vorüber- plastizität würde damit in den Nachteil der maladap- gehenden Verbesserung der motorischen Kontrolle tiven Plastizität verkehrt (Rosenkranz et al. 2005). bei Veränderung des somatosensorischen Inputs, eine An dieser Stelle mag es lohnenswert sein, sich ins Rolle. So kann sensorisches Retraining in Form einer Gedächtnis zu rufen, dass lokaler Schmerz und taktilen Diskriminationsübung eine Verbesserung verstärkter sensorischer Input aufgrund eines Nerven- der motorischen Symptome hervorrufen, was nahe- kompressionssyndroms, eines Traumas oder der legt, dass die oben genannten sensorischen Auffällig- Überbeanspruchung eines Muskels als auslösende keiten die motorischen Funktionsstörungen mit Faktoren für eine Dystonie beschrieben wurden. verursachen. Interessanterweise ist bei Musikern mit Interessanterweise gibt es Parallelen bezüglich der Dystonie eine positive Reaktion auf den sensorischen abnormalen kortikalen Verarbeitung von sensorischen Trick mit einem besseren Retrainingserfolg verbunden Informationen und der kortikalen Reorganisation (Paulig et al. 2014). zwischen Patienten mit chronischen Schmerzen und Patienten mit fokaler Dystonie. Ein Tiermodell der Mit modernen Konnektivitätsmessungen konnte in fokalen Dystonie in übertrainierten Affen unterstützt den letzten Jahren gezeigt werden, dass die Musiker- diese Beobachtung: repetitive Bewegungen riefen dystonie auch mit einer Veränderung weit verzweigter beide Symptome hervor – Schmerzsyndrome sowie neuronaler Netzwerke einhergeht. So zeigen Patien- auch dystone Bewegungen. Die Kartierung von neuro- ten mit Musikerdystonie veränderte Netzwerk- nalen rezeptiven Feldern zeigte eine verzerrte korti- funktionen, die durch eine Störung der Interaktion kale somatosensorische Repräsentation (Byl et al. zwischen Basalganglien und Cerebellum, Störungen 1996), was vermuten lässt, dass übermäßiges Training des Informationsaustausches im prämotorischen und übungsinduzierte Veränderungen der kortikalen Kortex sowie durch eine Abnahme an Konnektivi- Verarbeitung in der Pathologie der fokalen Dystonie tät innerhalb der sensomotorischen und frontopa- der Hand eine Rolle spielen. rietalen Bereiche charakterisiert sind (z. B. Strübing et al. 2012; Battistella et al. 2015). Somit verkörpert Eingeschränkte sensomotorische Integration spielt die Musikerdystonie wahrscheinlich eine Funktions- ebenfalls eine Rolle in der Pathophysiologie der störung von weit spannenden funktionellen Netz- Musikerdystonie. Am besten wird dies durch den werken. Jedoch muss die spezifische Bedeutung dieser sensorischen Trick veranschaulicht: einige Musiker, Netzwerke und deren interindividuellen Variabilität welche an einer Dystonie leiden, zeigen eine deut- erst noch aufgeklärt werden. liche Verbesserung ihrer feinmotorischen Kontrolle, wenn sie zum Musizieren Latexhandschuhe anziehen Triggerfaktoren der Musikerdystonie oder ein Objekt zwischen den Fingern halten (zum Beispiel einen Radiergummi) und somit den somato- Neben einer genetisch bedingten Veranlagung sensorischen Input verändern. Experimentell führ- mit den oben dargestellten pathophysiologischen ten vibrierende Stimuli zu einer Verschlechterung Veränderungen scheinen endogene und exogene der Musikerdystonie. In einer Studie, in der trans- Faktoren wichtige Trigger zu sein. Wesentliche Trig- kranielle magnetische Stimulation in Verbindung ger sind einerseits sensomotorische Überlastung, mit Muskelvibration angewandt wurde, verringerten sogenannter „Overuse“ und Schmerz, andererseits sich motorisch evozierte Potentiale in agonistischen prämorbide psychologische Faktoren, vor allem Muskeln und verstärkten sich in antagonistischen Angstbereitschaft und seelische oder körperliche Trau- (Rosenkranz et al. 2002). Diese Ergebnisse lassen matisierung. Dies hat in den letzten Jahren zu einer erneut eine veränderte zentrale Integration von senso- differenzialdiagnostischen Unsicherheit geführt, da rischen Reizen bei der Musikerdystonie vermuten, manche früher als Musikerdystonie diagnostizierten
20 Musikerdystonien: Phänomenologie, Ursachen, Differenzialdiagnosen und Behandlungsmöglichkeiten Bewegungsstörungen jetzt als Angststörungen mit und pathophysiologisch oben begründet. Dystonien antizipatorischer Bewegungsblockade aufgefasst nach schmerzhaften Überlastungs-verletzungen werden können. In den Sportwissenschaften hat sich betrafen immerhin 9 % aus einer Stichprobe von 144 für dieses Phänomen der Begriff des „dynamischen betroffenen Musikern, welche sich bei uns vorstellten Stereotyps“ dafür durchgesetzt, im englischen Sprach- ( Jabusch et al. 2005). Grundsätzlich sind Musiker, die raum auch „Choking under Pressure“ (Altenmüller nach dem Alter von 11 Jahren mit dem Instrumental- et al. 2015). Derzeit ist die Hypothese, dass bei eini- spiel beginnen, deutlich anfälliger für die Entwicklung gen Patienten ängstlich gefärbter Erwartungsdruck, einer Dystonie (Schmidt et al. 2013). Neurobio- ungenügende „Coping-Mechanismen“ bei erhöhtem logisch wird dies mit „Metaplastizität“ begründet. Stress, und möglicherweise ein erhöhter Sympathi- Man geht davon aus, dass die im frühen Kindes- kotonus zu situativen Verkrampfungen führen, die alter erstellten Nervenzellnetzwerke für Feinmotorik sich dann unter ungünstigen Bedingungen, z. B. durch und auditiv-sensomotorische Integration effizienter Überfokussierung oder traumatische Verarbeitung, und stabiler und weniger störanfällig sind, als später im Bewegungsgedächtnis fixieren können (Ioannou entstandene (Altenmüller und Furuya 2017). et al. 2016). Generell scheinen diese „psychologisch“ getriggerten dysfunktionalen Bewegungsgedächtnisse Das Zusammenwirken von endogenen und exoge- weniger stark fixiert zu sein und eher einer Thera- nen Faktoren bei der Entstehung der Musikerdys- pie zugänglich zu sein als die durch sensomotorische tonie wird in Abbildung 3 dargestellt. Dabei haben Überlastung getriggerten Fehlbewegungen. Allerdings wir das Geschehen als dynamisches Flussdiagramm fehlen noch kontrollierte Studien, die Effekte spezi- dargestellt, wobei auch gezeigt wird, dass es eine fischer Therapien beider Gruppen von Bewegungs- Grauzone zwischen Musikerdystonie und dynami- störungen gezielt vergleichen. schem Stereotyp gibt. Hinsichtlich der sensomotorischen Triggerfaktoren Diagnostik und Differenzialdiagnose sind hohe Präzision, Komplexität und Geschwindig- der Musikerdystonie keit des erforderlichen Bewegungsablaufes für die Auslösung einer Musikerdystonie typisch. Aus diesem Die Diagnose einer Musikerdystonie wird durch eine Grund betrifft beispielsweise die Dystonie bei hohen sorgfältige Anamnese und klinische Untersuchung Streichern häufiger die linke Hand, da hier sehr hohe gestellt. Grundsätzlich setzt die Diagnosestellung zeitlich räumliche Präzision gefordert wird, während die linke Hand von Kontrabassisten nur sehr selten erkrankt. Chronische Überbelastung scheint eben- falls ein Triggerfaktor zu sein. So fördern andere feinmotorische Belastungen, etwa langes Schrei- ben oder Geschicklichkeits- spiele (Computertastatur), eine Musikerdystonie (Baur et al. 2011). Chronische myofasziale oder neuropathische Schmerzen können als weitere Risikofaktoren für die Entwicklung einer fokalen Dystonie angesehen werden. Die sporadische Entwicklung sympto- matischer (sekundärer) foka- Abbildung 3: Schematische Darstellung des Zusammenspiels zwischen intrin- ler Dystonien nach peripheren sischen und extrinsischen Faktoren, die zur Auslösung einer Musikerdystonie Nervenläsionen und muskulären beitragen können (verändert nach Altenmüller und Furuya 2017, mit freundlicher Traumata ist ebenfalls gut belegt Genehmigung).
Musikphysiologie und Musikermedizin 2019, Nr. 1, Jg. 26 21 der Musikerdystonie immer eine Untersuchung am der Druckschmerz über dem verengten Ringband jeweiligen Musikinstrument voraus. Ein vollständiger leicht feststellen. In seltenen Fällen können andere neurologischer Befund muss immer mit erhoben Basalganglienerkrankungen eine Musikerdystonie werden, um eine dystone Störung als Frühsymptom imitieren. So kann bei einem beginnenden hypo- anderer neurologischer Erkrankungen auszuschließen. kinetischen Parkinson-Syndrom eine Dystonie-ähn- Auch die Erhebung des psychiatrischen Status ist liche Störung schneller repetitiver Fingerbewegungen notwendig, um Hinweise auf frühe Traumatisierun- am Instrument im Vordergrund stehen. Auch bei gen oder reine psychogene Dystonien zu erkennen. Chorea Huntington wurde von uns in zwei Fällen Schließlich sollten bei Handdystonien immer auch eine Musikerdystonie als Erstsymptom beobachtet. die biomechanischen Handfunktionen untersucht In einem Fall wurde eine Dystonie-ähnliche Sympto- werden, um biomechanische Hemmnisse und Risiko- matik in der Bogenhand einer Cellistin durch ein faktoren zu erfassen. Die neurophysiologische Diag- höher malignes Thalamusgliom ausgelöst. Ein nostik mit Messung von Nervenleitwerten und Morbus Wilson sowie seltene, auch die Basalganglien Elektromyogramm ist bei der aufgabenspezifischen betreffende Erkrankungen wie z. B. die Akanthozy- Dystonie nicht ergiebig. Eine weiterführende appa- tose, gelten zwar ebenfalls als Differenzialdiagnosen, rative Diagnostik ist nicht notwendig, wenn folgende allerdings ist uns bislang kein einziger Fall einer durch Kriterien erfüllt sind: diese Störungen verursachten isolierten Musikerdys- tonie bekannt geworden. 1. Die Musikerdystonie tritt ausschließlich aufgabenspezifisch bei sonst ungestörten Differenzialdiagnostisch muss bedacht werden, Handfunktionen auf (z. B. nur beim Klavierspiel). dass myofasziale und neuropathische Schmer- zen bei Musikern häufig auch eine Erschwernis von 2. Der neurologische, psychiatrische und Bewegungsabläufen mit sich bringen und dass bei biomechanische Befund ist sonst unauffällig. etwa 9 % der Dystoniepatienten vor der Manifes- tierung der Dystonie chronische Schmerzen in der 3. In der Anamnese ergeben sich keine betroffenen Körperregion bestanden. Hinweise auf eine symptomatische Ursache (z. B. komplexes regionales Schmerzsyndrom, Bei Bläsern sind wichtige Differenzialdiagnosen Einnahme bestimmter Medikamente etc.). Überlastungsverletzungen und Muskelfaserrisse des M. orbicularis oris. Sie sind durch einen akuten Weitere wegweisende diagnostische Hinweise Beginn bei starker Belastung mit Schmerzen und entstehen durch Einbeziehung des „Sensory- nachfolgender schwerwiegender Spielstörung charak- Trick“-Phänomens: Gelegentlich verspüren Musiker terisiert. Im Gegensatz zur Dystonie ist die Prognose mit Handdystonien beim Spiel mit einem Latexhand- dieser muskulär bedingten Spielstörungen besser. schuh eine deutliche Verbesserung des subjektiven Auch psychische Erkrankungen können manchmal Spannungsgefühls. Dies konnten wir bei 20 % der mit Schilderungen seitens des Patienten einhergehen, betroffenen Pianisten auch in Bewegungsmessungen die mitunter den Verdacht auf eine Dystonie lenken. objektivieren (Paulig et al. 2014). Typischerweise So klagen vor allem ältere an Depressionen erkrankte berichten die Musiker auch über eine Verbesserung Musiker nicht selten über einen Geschwindigkeits- der Dystonie in Konzertsituationen, was die verlust und über vermeintliche Einbußen der fein- Abgrenzung von Verspannungen oder Bogenzittern motorischen Kontrolle, die objektiv mit dem natür- auf Grund von Aufführungsangst erleichtert. lichen Alterungsprozess und den damit verbundenen nachlassenden feinmotorischen Fertigkeiten in Differenzialdiagnostisch müssen handchirurgische Zusammenhang zu bringen sind. Erkrankungen ausgeschlossen werden. Ringband- stenosen der Fingerbeuger können ein Streck- Eine schwierige Differenzialdiagnose ist die defizit verursachen, das sich ähnlich wie eine Abgrenzung zum oben ausführlich dargestellten eher Dystonie auswirkt, aber nicht aufgabenspezifisch angst- und verspannungsdominierten „dynamischen ist. Bei der körperlichen Untersuchung lassen sich Stereotyp“ (Altenmüller et al. 2015). Ein Charakte- die biomechanisch bedingte Streckhemmung und ristikum ist hier im Gegensatz zur Musikerdystonie
22 Musikerdystonien: Phänomenologie, Ursachen, Differenzialdiagnosen und Behandlungsmöglichkeiten das regelmäßige Auftreten von „Inseln“ mit tageweiser 10 % der Patienten gelingt es sogar, die Dystonie Symptomfreiheit! Die Prognose ist günstiger als bei ganz zu besiegen und durch die Erfahrung mit der der Musikerdystonie, allerdings kann sich, wie im Bewegungsstörung ein reicheres Leben zu führen Schema dargestellt, aus dem dynamischen Stereotyp (Lee et al. 2013). Grundsätzliches Ziel der Thera- auch eine Dystonie entwickeln. pie ist es, die im Bewegungsgedächtnis verankerten dystonen Bewegungsmuster zu verlernen, unwillkür- Als besondere Variante der Handdystonie wird der liche Muskelanspannungen abzubauen und durch fokale oder dystone Tremor aufgefasst. Dabei kommt funktionell günstige Bewegungen zu ersetzen, die es beim Instrumentalspiel zu einem auf wenige auch in schnellem Tempo mit Leichtigkeit funktionie- Muskelgruppen beschränkten mittelfrequenten rende Bewegungen ermöglichen. Pragmatisch können Aktionstremor, gelegentlich auch zu Haltetremor um jedoch häufig auch ergonomische Hilfen oder eine 6–7 Hz, der häufig irreguläre Amplituden aufweist Veränderung des Repertoires mit weniger anspruchs- (Lee et al 2014). In Ruhe ist kein Tremor nachweis- vollen Werken bereits eine sehr befriedigende bar. Der häufigste derartige Tremor ist der primäre Lösung darstellen. Auf musikermedizinisch-musik- Bogentremor. Charakteristisch ist ein aufgaben- pädagogischer Seite stehen Retrainingsverfahren zur spezifischer, unilateraler Tremor des rechten Arms Verfügung. Als schulmedizinische Therapie können beim Spiel eines Streichinstruments, der mit einer die Medikamente Trihexyphenidyl und Clona- Koaktivierung antagonistischer Muskelgruppen des zepam und die Schwächung der verkrampfenden rechten Ober- und Unterarms einhergeht (Lee et al. Muskelfaszikel mit Botulinumtoxin angewendet 2014). Differenzialdiagnostisch muss dieser Tremor werden (Altenmüller und Jabusch 2009). Derzeit vom affektiv ausgelösten Tremor bei Aufführungsangst sind auch elektrophysiologische Stimulationsver- abgegrenzt werden. Hier ist der wichtigste Unter- fahren mit transkranieller Gleichstromstimulation schied, dass der primäre Bogentremor unabhängig von in der Erprobung, ohne dass abschließend ein Urteil einer auslösenden Situation (z. B. Konzert, Probe- über Effizienz und Nachhaltigkeit dieser Metho- spiel) auftritt. Ein weiteres Unterscheidungskriterium den möglich ist (Furuya et al. 2013). Das dyna- ist die Tremorfrequenz: Der primäre Bogentremor mische Stereotyp reagiert mitunter exzellent auf hat, wie der Dystone Tremor, eine Frequenz von ca. Antidepressiva, z. B. hochselektive Serotonin-Wieder- 6 Hz, während der Tremor durch Aufführungsangst aufnahme Hemmer, wobei wir Escitalopram bevor- als verstärkter physiologischer Tremor eine Frequenz zugen. Im Folgenden sollen die Grundzüge der Thera- von 8-12 Hz hat (Lee et al. 2015b). Eine weitere pie dargestellt werden: Differenzialdiagnose ist der essenzielle Tremor. Hier sind das Auftreten des Tremors unabhängig Ergonomische Veränderungen vom Instrumentalspiel und eine meistens bilaterale Manifestation die wichtigsten Unterscheidungs- Ergonomische Veränderungen am Instrument können kriterien. Für die Musikerinnen und Musiker häufig als symptomatische Therapie sehr segensreich sein. beängstigend ist die Differenzialdiagnose eines Parkin- In den Abbildungen 4a und 4b sind zwei Beispiele son Syndroms. Hier sind der fehlende Ruhetremor, aufgezeigt: Optimierte Stützen helfen, um übermäßige die Aufgabenspezifität, die höhere Frequenz und ein Spannungen in der Hand zu verringern. Sie können Auftreten meist vor dem 50. Lebensjahr beim primä- so die Symptomatik insgesamt lindern. Das Decken ren Bogentremor die wichtigsten Unterschiede. oder die Verlängerung von Klappen bei Holzblasins- trumenten oder sogar die Übernahme einer Klappe Behandlung der Musikerdystonie aus der linken in die rechte Hand kann sehr hilfreich sein. Durch das Decken der Klappe muss der Finger Noch vor zwei Jahrzehnten war die Diagnose einer nicht mehr genau das Tonloch treffen und kann z. B. „fokalen Dystonie“ für die meisten Betroffenen ein bei einer unwillkürlichen Krümmung immer noch das beruflicher und emotionaler Vernichtungsschlag! Loch präzise schließen. An derartige ergonomische Das hat sich seither grundlegend gewandelt und Lösungen sollte daher immer gedacht werden. wir können gute Therapien anbieten, die vielen Auch Fingerschienen können in manchen Fällen die Betroffenen die berufliche Existenz sichern und unwillkürliche Flexion der betroffenen Finger reduzie- Musizieren auf höchstem Niveau ermöglichen! Etwa ren und so das Instrumentalspiel erleichtern.
Musikphysiologie und Musikermedizin 2019, Nr. 1, Jg. 26 23 Trihexyphenidyl und andere Pharmaka Von den infrage kommenden medika- mentösen Therapien ist das anticholinerg wirkende Medika- ment Trihexyphenidyl (Parkopan®, Artane®) am effektivsten. Es wurde ursprünglich zur Behandlung der Abbildung 4: Ergonomische Lösungen zur Verbesserung der Spielfähigkeit bei Dystonie. Parkinsonkrankheit Entlastung von Haltearbeit durch optimierte Stütze (Abb. 4a) und größere Fehlertoleranz entwickelt und wirkt auf bei sich unwillkürlich einziehenden Fingern durch Veränderungen der Klappen (Abb. 4b). die Bewegungszentren Die abgedeckten Klappen sind normalerweise offen und benötigen eine genaue Platzierung der Basalganglien. des Fingers. Dort erleichtert es das Neulernen, vermutlich Retraining Verfahren durch Beeinflussung des Handlungsgedächtnisses. Es kann als Einzel- Zur Behandlung der Musikerdystonien sind in den therapie oder in Kombination mit Botulinumtoxin letzten Jahren verschiedene, auf Retrainingprinzi- bzw. im Zusammenhang mit Retrainingverfahren pien basierende Therapieformen entwickelt worden, eingesetzt werden. Wichtig ist ein einschleichender wie etwa das „Sensomotorische Retuning“ von der Behandlungsbeginn. Nach anfänglicher täglicher Arbeitsgruppe um Thomas Elbert in Konstanz. Dosierung von 1 mg zur Nacht erfolgt üblicher- Bei diesem Ansatz werden die kompensatorischen weise innerhalb von drei Wochen die allmähliche Bewegungen durch Schienung unterdrückt und Steigerung bis zur Nebenwirkungsgrenze bei in der die dystonen Finger spezifischen Übungsverfahren Regel 6–12 mg/Tag. In vielen Fällen kann allerdings unterzogen. Das Verfahren wird derzeit ausschließlich Trihexyphenidyl aufgrund von Nebenwirkungen in Spanien angeboten (Rosett y Llobet et al. 2018). (Müdigkeit, Schwindel, Stimmungslabilität, Gedächt- Ein vom Pianisten und Klavierpädagogen Laurent nisstörungen, Mundtrockenheit, Verstopfung, Harn- Boullet in Berlin entwickeltes Rehabilitationspro- verhalt, Potenzschwierigkeiten) nicht ausreichend gramm beruht auf der Beobachtung, dass dystone hoch dosiert werden. Eine langfristige Besserung Bewegungen vermieden werden können, wenn die mit dem Medikament wird von einem Drittel der Kraft und die Geschwindigkeit einer Bewegung Betroffenen berichtet. Die Kombinationstherapie mit eine kritische Grenze nicht überschreiten. Durch Botulinumtoxin hat in Einzelfällen die Therapieergeb- Bewegungsübungen in sehr langsamem Tempo nisse verbessert (Altenmüller und Jabusch 2010). und mit wenig Krafteinsatz kann auf Dauer diese Vor allem bei segmentalen Dystonien haben wir gute kritische Grenze in eine günstige Richtung ver- Erfahrungen mit niedrig dosiertem Clonazepam schoben werden. Diese über mehrere Jahre verlau- (Rivotril®) gemacht. Die Dosierung sollte ebenfalls fende Therapie setzt eine gute Mitarbeit und viel langsam eingeschlichen werden und 4 mg Tagesdosis Geduld bei den Patienten voraus (van Vugt et al. nicht überschreiten. Müdigkeit und Muskelschwäche 2014). Auch Lehrer der Dispokinese-Methode können die Anwendung begrenzen, der Entwicklung können gute Erfolge im Retraining vorweisen. Bei der einer Abhängigkeit sollte durch enge Führung der Behandlung der Ansatzdystonie konnte durch tech- Patienten, Vermeiden von Dosissteigerungen (Doku- nische Übungen, Ansatzumstellung und vermehrte mentation der Rezepturen) und gelegentliche Betonung der Atemführung in weniger stark Drug-Holidays vorgebeugt werden. In den letzten ausgeprägten Fällen eine Besserung erzielt werden Jahren haben wir vereinzelt den Einsatz von Cannabi- (Steinmetz et al. 2013). noiden erprobt. Insgesamt waren die Ergebnisse sehr
24 Musikerdystonien: Phänomenologie, Ursachen, Differenzialdiagnosen und Behandlungsmöglichkeiten heterogen. Etwa ein Drittel der betroffenen Musiker Besserung der Symptomatik führt, kann sie unter profitierten, allerdings waren die Nebenwirkungen, Umständen die Voraussetzung für einen optimalen nämlich Müdigkeit, Benommenheit etc. meist so Therapieeffekt anderer Behandlungen schaffen (Alten- ausgeprägt, dass wir diese Behandlung nicht mehr müller et al. 2015). generell empfehlen (Altenmüller und Lee 2018). Allgemein ist die Behandlung der Musikerdystonie Botulinumtoxin schwierig und sollte spezialisierten Neurologen und Therapeuten vorbehalten bleiben. Für jeden Patien- Die guten Erfahrungen mit lokaler Injektion von ten muss ein individueller Therapieplan ausgearbeitet Botulinumtoxin A haben diesen Behandlungsweg bei werden, der sich nach der Ausprägung und dem den Handdystonien in den letzten Jahren zunehmend Schweregrad der Erkrankung, der beruflichen Tätig- in den Vordergrund gestellt. Als Voraussetzung für die keit, der Lebenssituation und nach den Erwartungen wirksame Behandlung von Musikerkrämpfen müssen des Patienten richtet. Ergonomische Maßnahmen, primär dystone Bewegungen von sekundär kompen- Anticholinergika und eine Injektionstherapie mit sierenden Bewegungen unterschieden werden. Botulinumtoxin können eine rasche Linderung Dazu ist es unumgänglich, dass der Bewegungs- bewirken, wobei die Injektionen etwa vierteljährlich ablauf am Instrument präzise analysiert wird. wiederholt werden müssen. Retraining benötigt ein Eine videografische Aufnahme mit Slow-Motion- jahrelanges Engagement von Seiten der Patienten. Darstellung hat sich bewährt. Häufig können die Da komplette Heilungen sehr selten sind, raten wir Patienten auch beschreiben, welcher Bewegungs- Patienten unter 30 Jahren grundsätzlich zu einer brei- ablauf primär betroffen war. Eine fälschliche Injektion teren beruflichen Orientierung und zum Aufbau eines in die kompensierenden Muskeln führt zu einer zweiten Standbeins außerhalb des Instrumentalspiels Verschlechterung der Symptomatik. Da der weit- (Altenmüller und Jabusch 2010). aus größte Teil der Handdystonien Beugedystonien sind, sind Injektionen in die Streckermuskeln selten Obwohl dank der aktuell verfügbaren therapeu- angebracht (Schuele et al. 2006). Die Führung der tischen Ansätze bei einem Großteil der Patien- Injektion durch Elektromyographie oder eine sono- ten mit Musikerdystonien mittelfristig eine Besse- graphische Darstellung der Muskeln und der Nadel- rung der Symptomatik zu beobachten ist, sind die lage sind unseres Erachtens unumgänglich. Bei über Möglichkeiten zur Behandlung bis heute noch nicht der Hälfte der mit Botulinumtoxin behandelten zufriedenstellend. In verschiedenen Follow-up-Stu- Musikerpatienten ist auch langfristig eine Besserung dien hat nach Zeiträumen von acht bis zehn Jahren der Symptomatik zu beobachten. Für die Therapie der etwa ein Drittel der betroffenen Musiker den Beruf Ansatzdystonie ist Botulinumtoxin in der Regel nicht gewechselt. Häufig werden pädagogische Aufgaben geeignet, allerdings kann in den seltenen Fällen einer oder auch ein Wechsel zu einem anderen Instrument übermäßigen Verkrampfung des Musculus masseter als Lösung gewählt. Die Entwicklung von gezielten die Spielfähigkeit durch Injektionen wieder hergestellt Vorbeugemaßnahmen und von neuen Behandlungs- werden (Frucht 2018). verfahren ist daher dringend erforderlich, besonders für die bislang nur unzureichend therapierbaren Unspezifische Maßnahmen Ansatzdystonien bei Blasinstrumentalisten. Einige neue Therapieansätze sind derzeit in Erprobung. Dies Über Wochen bis Monate dauernde Spielpausen oder betrifft auch die von uns derzeit erprobte transkra- andere Maßnahmen, wie z. B. Akupunktur, Physio- nielle Gleichstromstimulation mit bihemisphärischer therapie, Massagen, Elektrotherapie oder Psycho- Elektrodenplatzierung und Hemmung der senso- therapie, hatten in der Langzeitbeobachtung keinen motorischen Areale der „dystonen“ Hemisphäre, Einfluss auf die Ausprägung der Musikerdystonie. bei gleichzeitiger Aktivierung der kontralateralen Es muss allerdings betont werden, dass die Diagnose Hemisphäre. Besonderheit des von uns entwickelten einer fokalen Dystonie für Musiker mit einem erheb- Verfahrens ist, dass während der Stimulation schnelle lichen Leidensdruck verbunden ist. Daher kann in und präzise spiegelbildliche Bewegungen mit den Einzelfällen Psychotherapie als Krisenintervention Fingern durchgeführt werden. Nach initial sehr guten, notwendig sein. Auch wenn diese nicht direkt zu einer aber nicht nachhaltigen Ergebnissen ist die Methode
Musikphysiologie und Musikermedizin 2019, Nr. 1, Jg. 26 25 noch als experimentell einzustufen und muss an Literatur größeren Patientenzahlen hinsichtlich ihrer Nach- haltigkeit evaluiert werden (Furuya et al. 2013). 1 Altenmüller E, Furuya S (2017): Apollos Fluch Weiterhin ist es notwendig, allgemeine Richtlinien und Segen: Musizieren als Neuroplastizitätsmotor. Neuroforum 23: 76–95 für Retraining-Therapien zu formulieren und in der Praxis zu überprüfen. Eine solche Identifizierung 2 Altenmüller E, Ioannou C (2018): Aetiological Concepts of Musician’s Dystonia. In: D. Dressler, eines „günstigen“ Verhaltens am Instrument ist E. Altenmüller, J. Kraus (eds.): Treatment of Dystonia, besonders auch im Hinblick auf die Prävention der Cambridge University Press, Cambridge: 210–216 Musikerdystonie wünschenswert. Entscheidend für 3 Altenmüller E, Jabusch HC (2010): Focal dystonia in die Prävention sind vernünftige Übegewohnheiten musicians: phenomenology, pathophysiology and triggering mit vielen Pausen (spätestens nach ca. 45 Minuten), factors, and treatment. Med Probl Perform Art.25: 3–9 variable Übeweisen, um langes Üben von repetitiven, 4 Altenmüller E, Jabusch HC (2016): Zur Hirnphysiologie einseitigen Bewegungen zu vermeiden, sowie opti- des Übens: Ein Update. Musikphysiologie und mierte Ergonomie und ein spielerischer, angstfreier Musikermedizin 23: 51 – 65 Zugang zum Instrument. Ziel sollte es dabei sein, 5 Altenmüller E, Lee A (2018): Cannabinoids in den Instrumentalschülerinnen und Instrumental- Dystonia. In: D. Dressler, E. Altenmüller, schülern ein Bewusstsein für diese Maßnahmen J. Kraus (eds.): Treatment of Dystonia, Cambridge gezielt bereits zu Beginn der musikalischen University Press, Cambridge: 421–423 Ausbildung zu vermitteln (Altenmüller und Jabusch 6 Altenmüller E., Ioannou CI, Lee A (2015): Apollo’s 2017). curse: neurological causes of motor impairments in musicians. Prog Brain Res. 217: 89–106 Bei der Musikerdystonie sollten aber auch die 7 Battistella G, Termsarasab P, Ramdhani RA, gesellschaftlichen Dimensionen nicht ausgeblendet Fuertinger S, Simonyan K. (2015): Isolated Focal werden. Die Entstehung dieser Erkrankung im Dystonia as a Disorder of Large-Scale Functional 19. Jahrhundert, in einer Zeit, in der Spezialisierung Networks. Cerebral Cortex 26: 1–13 und Professionalisierung, Perfektion, Geschwindig- 8 Baur V, Jabusch HC, Altenmüller E (2011): keit und artistische Höchstleistung als wesentliche Behavioral factors influence the phenotype of ästhetische Kategorien in die musikalische Praxis musician’s dystonia. Mov. Disord. 26: 1780–1781 Einzug gehalten haben, weist einen weiteren Weg 9 Blitzer A (2010): Spasmodic dysphonia and in die Richtung der Prävention: Abkehr vom toten botulinum toxin: experience from the largest Perfektionismus und Hinwendung zum eigent- treatment series. Eur J Neurol 17 Suppl 1: 28–30 lichen Inhalt der Musik, zur Kommunikation von 10 Byl NN, Merzenich MM, Jenkins WM (1996): A primate Emotionen. genesis model of focal dystonia and repetitive strain injury: I. Learning-induced dedifferentiation of the representation of the hand in the primary somatosensory Fazit für die Praxis cortex in adult monkeys. Neurology, 47: 508–520 11 Elbert T, Pantev C, Wienbruch C, Rockstroh B, Musikerdystonien sind durch den Verlust der fein- Taub E (1995): Increased cortical representation motorischen Kontrolle langgeübter Bewegungen of the fingers of the left hand in string players. am Musikinstrument gekennzeichnet. Die Diag- Science, 270 (5234): 305–307 nose wird klinisch durch einen in der Diagnos- 12 Elbert T, Candia V, Altenmüller E, Rau H, Rockstroh tik von Bewegungsstörungen geschulten Neuro- B, Pantev C, Taub E (1998): Alteration of digital logen gestellt und muss eine Untersuchung am representations in somatosensory cortex in focal Instrument einschließen. Differenzialdiagnostisch hand dystonia. NeuroReport 16: 3571–3575 müssen handchirurgische Erkrankungen, neuro- 13 Ericsson KA, Krampe RT, Tesch-Römer C (1993): logische Systemerkrankungen und altersbedingter The role of deliberate practice in the acquisition of Abbau feinmotorischer Fertigkeiten bedacht werden. expert performance. Psychol Rev, 100: 363–406 Therapeutisch kommen Anticholinergika, Retraining 14 Frucht S (2018): Phenomenology of Musician’s und bei Handdystonien lokale Injektionen von Dystonia. In: D. Dressler, E. Altenmüller, J. Botulinumtoxin in Betracht. Kraus (eds.): Treatment of Dystonia, Cambridge University Press, Cambridge: 195–201
Sie können auch lesen