Nationale Klimaziele - Hürde und Chance für einen Klimakonsens - energie.de
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ZUKUNFTSFRAGEN Nationale Klimaziele – Hürde und Chance für einen Klimakonsens Marc Oliver Bettzüge Im Bereich der Klima- und Energiepolitik haben die Sondierungsgespräche in den vergangenen Monaten gezeigt, wie wichtig eine gemeinsame Zielarchitektur als Kompass für die kommende Legislaturperiode ist. Drei unterschiedliche Ebenen sind hierbei zu unterscheiden: Paris (und damit Europa), Deutschland, Sektoren in Deutschland. Bei der Suche nach einer aus- gewogenen klimapolitischen Lösung sind mehr Meinungsaustausch und weniger politischer Dirigismus gefragt. In einem Dialog zwischen Staat und Wirtschaft könnten Entwicklungspfade gemeinsam ausbuchstabiert werden. Nationale Klimaziele Aus dem Pariser Klimaschutzabkommen und der in diesem Zusammenhang eingegan- genen Selbstverpflichtung der Europäischen Union (EU) folgt unmittelbar ein gemeinsa- mes Ziel für alle Mitgliedstaaten: Senkung der Treibhausgasemissionen auf dem Terri- torium der EU um 40 % bis zum Jahr 2030 gegenüber dem Basisjahr 1990. Dieses Ziel wird auf EU-Ebene aufgeteilt in ein Ziel für die vom europäischen Emissionshandel (EU-EHS) erfassten Sektoren – minus 43 % gegenüber dem Basisjahr 2005 – und alle anderen Sektoren (Nicht-EHS) – minus 30 % gegenüber 2005. Für eine erfolgreiche Treibhausgasminderung weltweit wie in Deutschland ist Effizienz wichtig, aber Akzeptanz entscheidend. Akzeptanz entsteht durch Dialog, nicht durch apodiktische Vorgaben Während der EU-EHS die Zielerreichung Bild: Kittphan | Fotolia.com systemimmanent gewährleistet – bis auf mögliche intertemporale Verschiebungen – gibt es für die Nicht-EHS-Sektoren keinen Formal sind diese Ziele Absichtserklärun- Zielverfehlung 2020 einheitlichen europäischen Minderungs- gen früherer Bundesregierungen und damit ansatz. Stattdessen wird das europäische für den aktuellen – oder ggf. neu zu wäh- Brisanz erhält die Diskussion um die Klima- Nicht-EHS-Teilziel im Rahmen des soge- lenden – Deutschen Bundestag im Grund- ziele momentan aus der absehbaren Verfeh- nannten „Effort Sharing“ auf die Mitglied- satz nicht bindend. Insbesondere das 2020er lung des nationalen Klimaziels für 2020 aus staaten verteilt – für Deutschland im aktu- Ziel, als Zwischenziel zu 2030, steht – wenn dem Jahr 2007 (Ebene 2 der Zielarchitektur). ellen Vorschlag der EU-Kommission minus überhaupt – nur in einer sehr indirekten 38 % gegenüber dem Basisjahr 2005. Dieses Beziehung zum Abkommen aus Paris. Das nationale Klimaziel sollte – wegen der Nicht-EHS-Teilziel ist somit das einzige Politisch haben diese nationalen Ziele jedoch faktischen Wirkzusammenhänge sowie der quantitative Minderungsziel für Deutsch- eine hohe Eigendynamik entwickelt. Aufwärtskompatibilität zu den Bemühun- land, welches sich direkt aus dem Pariser gen der EU mit Blick auf die EU-Selbstver- Klimaschutzabkommen ableiten lässt. Eine weitere Ebene der Zielarchitektur be- pflichtung im Abkommen von Paris – nach trifft die Aufteilung der nationalen Klima- EHS und Nicht-EHS aufgegliedert werden. In der öffentlichen Debatte steht dieses ziele auf energiewirtschaftliche Sektoren, Dabei ist kritisch zu diskutieren, ob, warum Paris-Teilziel allerdings eher im Hinter- wie sie von der derzeitigen Bundesregie- und in welcher Höhe eine nationale Zielvor- grund. Viel wichtiger werden die nationalen rung im sog. „Klimaschutzplan 2050“ vor- gabe für die bereits europäisch regulierten Klimaziele genommen, welche die Bun- genommen worden ist. Hier werden Minde- EHS-Sektoren sinnvoll sein könnte. Denn zu- desregierung unter Führung von Angela rungsziele für einzelne Bereiche wie Ener- sätzliche deutsche Minderungsanstrengun- Merkel vor einem Jahrzehnt für Deutsch- giewirtschaft oder Verkehr für das Jahr gen in den nationalen EHS-Sektoren werden land postuliert hat: minus 40 % bis zum 2030 angegeben. Dieser Sektorenschnitt ja an anderen Orten in Europa kompensiert. Jahr 2020, minus 55 % bis 2030 und mindes- stimmt allerdings nicht mit der europä- tens minus 80 % bis 2050, jeweils gegen- ischen Aufteilung nach EHS/Nicht-EHS Wenn es aber deutsche EHS-Teilziele geben über dem Basisjahr 1990. überein. soll, was ist dann das Kriterium für ihre 32 ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 68. Jg. (2018) Heft 1/2
ZUKUNFTSFRAGEN ZUKUNFTSFRAGEN jeweilige Höhe? Wie geht insbesondere die Maßstab, so ist es also vermutlich in beiden allgemeine Steuern zur Refinanzierung von relative Wirtschaftsentwicklung Deutsch- Bereichen – Nicht-EHS wie EHS – zur Ziel- Anreizprogrammen für die Erreichung die- lands innerhalb der EU in die Zielfindung verfehlung gekommen. Da in den Nicht-EHS- ser Ziele werden entrichten müssen. ein? Und wie wird zwischen dem Kraftwerks- Sektoren rasche zusätzliche Minderungen sektor und den anderen EHS-Sektoren unter- politisch quasi unmöglich sein dürften, liegt Ehrgeizige Ziele für die Treibhausgasmin- schieden? Hier liegt ein wichtiges Spannungs- es nahe, das Gesamtziel für 2020 zu korrigie- derung sind also das eine, die gesellschaft- feld zwischen politischem Anspruch auf ren. Anderenfalls müssten die EHS-Sektoren, lichen Nebenbedingungen hierfür, insbeson- nationale Gestaltung des gesamten Energie- oder genauer: die Kraftwerkswirtschaft, nicht dere bezüglich des Erhalts des wirtschaft- sektors und zentralen europäischen Wirkzu- nur das eigene – implizite, aber ordnungspo- lichen Wohlstands und des sozialen Zusam- sammenhängen. litisch ohnehin fragwürdige – Ziel erreichen, menhalts das andere. sondern darüber hinaus die gesamte Zielver- Ausdrücklich hat die Bundesregierung eine fehlung kompensieren. Sowohl die Tiefe der Abwägungsfragen solche Aufteilung nach EHS und Nicht-EHS hierfür erforderlichen Eingriffe als auch die bislang nicht vorgenommen. Mithin ist rück- klimapolitische Unwirksamkeit im System Es gibt mithin Zielkonflikte bei der Treib- wirkend nicht eindeutig festzustellen, ob die des EU-Strombinnenmarkts cum EHS stehen hausgasminderung. Geschwindigkeit und Zielverfehlung 2020 nun aus den EHS- und/ einer solchen Politik entgegen. Belastungen müssen sorgfältig gegen die oder den Nicht-EHS-Sektoren resultiert. Für jeweiligen klimapolitischen Vorteile von die politische Bewertung der Zielverfehlung Die entsprechenden Passagen im Sondie- Maßnahmen abgewogen werden, beispiels- wäre ein solcher Befund von offensichtlicher rungspapier von CDU/CSU und SPD aus dem weise: Was ist bis wann für wen machbar? Bedeutung. Januar 2018 erscheinen vor diesem Hinter- Welche Voraussetzungen muss der Staat grund nachvollziehbar. Allerdings wirkt die schaffen, um kritische geo- und industrie- Die Aufteilung zukünftiger nationaler Klima- dort ohne weitere Begründung vorgenommene politische oder soziale Verwerfungen zu ziele nach EHS und Nicht-EHS sollte an die Bekräftigung der 2030er-Ziele voreilig. Denn vermeiden? Wie kann die Akzeptanz der Klimapolitik der nächsten Bundesregierung die Erreichung dieser Ziele wird wiederum Energiepolitik nachhaltig gesichert werden? darstellen – und zwar sowohl wegen der von enormen Fortschritten bei der Energie- fundamentalen ordnungspolitischen Unter- produktivität sowie von nationalen Eingrif- Interessant ist nun die Frage, wann diese schiede zwischen EHS und Nicht-EHS sowie fen in die deutschen EHS-Sektoren – zur und weitere Abwägungsfragen in den kli- zur Erhöhung der Transparenz politischer Verminderung des deutschen Anteils an den mapolitischen Diskurs integriert werden. Zielsetzungen EU-EHS-Gesamtemissionen – abhängen. Gibt Zwei Paradigmen stehen sich hier gegen- es hierfür wirklich belastbare Strategien, vor über: Formulierung ehrgeiziger Punkt- Energieproduktivität und EHS allem auch in Hinsicht auf die gesellschaft- Ziele „top-down“ durch die Regierung liche Akzeptanz? ohne unmittelbare, ergebnisoffene gesell- Aus einem Vergleich der dem 40 %-Ziel zu- . schaftliche Rückkopplung, oder die Ent- grundeliegenden Szenarien mit den realen Ziele als Ankündigungen wicklung eines Klimakonsens über Ziel- Entwicklungen lassen sich zwei wesentliche Korridore und Maßnahmen im gesellschaft- Ursachen für die Abweichung von den vor- Die nationalen Klimaziele beziehen ihre lichen Dialog. ausskizzierten, von den Gutachtern damals Durchschlagskraft (und Attraktivität) im ausdrücklich als optimistisch bezeichneten politischen Diskurs aus der Tatsache, dass Im ersten Fall werden die Maßnahmen von Szenarien vermuten: deutlich geringere sie – anders als das europäische EHS-Ziel – den Zielen weitgehend entkoppelt. Denn auf Erfolge bei der Steigerung der Energiepro- nicht gleichzeitig mit Maßnahmen im ent- eine direkte Implementierung des Punkt- duktivität als von der Regierung unterstellt; sprechenden Umfang hinterlegt sind. Ziel- ziels über eine nationale Rationierung von und ein niedrigerer Preis für europäische verkündung und Gesetzgebung werden Kohle, Öl und Gas wird – aus guten Gründen – CO2-Zertifikate als angenommen (vgl. Bett- zeitlich und inhaltlich entkoppelt. verzichtet. Stattdessen werden die gesell- züge, 2018, in: ifo Schnelldienst 1/18, 15-18). schaftlichen Konflikte im Zeitverlauf an- Während der zweitgenannte Faktor (auf- Für die politische Kommunikation ergibt hand jeder Einzel-Maßnahme ausgetragen, grund der deutschen Braunkohle-Position) sich aus dieser Asymmetrie eine von der wobei die Differenz zu dem vorab ausgeru- den Anteil der deutschen EHS-Emissionen Politik parteiübergreifend gerne ergriffene fenen Planziel als Legitimationskulisse des an den gesamteuropäischen EHS-Emissionen Chance: Das Erwünschte – hier: ein mög- Staates herangezogen wird. steigert (Zielverfehlung in den deutschen licher Beitrag Deutschlands zum Klima- EHS-Sektoren), betrifft der erstgenannte Fak- schutz – kann versprochen werden, ohne Der aktuelle Umgang mit der Frage der tor alle Endenergieträger, also auch Strom, unmittelbar den konkreten Preis dafür zu Stilllegung von weiteren Braunkohlekraft- und damit sowohl die deutschen EHS- als nennen; den Preis nämlich, den Bürger und werken ist ein Musterbeispiel für diesen auch Nicht-EHS-Sektoren. Unternehmen beispielsweise in Form höhe- Politikstil, aber auch für die Nachteile, die rer Strom-, Gas- oder Benzinpreise, durch mit diesem Ansatz verbunden sind. Beson- Nimmt man die (zu vermutende) Intention vorzeitige Abschreibungen von technischen ders augenfällig sind die mangelnde Stetig- der Bundesregierung aus dem Jahr 2007 zum Anlagen und Gebäuden oder durch höhere keit und Berechenbarkeit des politischen ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 68. Jg. (2018) Heft 1/2 33
ZUKUNFTSFRAGEN Handelns, die sich daraus ergebenden besondere für die Entwicklung der vom Zweifel an verlässlichen Investitionsbedin- EHS erfassten Sektoren. Ob (und um wie gungen am Standort Deutschland sowie der viel) Deutschland hier stärker mindern will ständige gesellschaftliche Konflikt. Auch für als im europäischen Marktgleichgewicht, die Glaubwürdigkeit des politischen Systems ist aktuell das zentrale politische Thema. erscheint dieses Vorgehen eher abträglich. Die Voraussetzungen und Folgen eines solchen deutschen Anspruchs könnten im Was der bisherigen Energie- und Klimapo- Dialog umfassend und sachgerecht bewertet litik somit fehlt, ist die vorausschauende werden, beispielsweise auch bezüglich der Integration von Abwägungen bezüglich Ziel- strom- und gasnetzseitigen Anforderungen. konflikten und Unsicherheiten bezüglich zukünftiger globaler Rahmenbedingungen. Effizienz und Akzeptanz Derartige Überlegungen spielen bei der Ziel- festsetzung kaum eine Rolle, und werden Für eine erfolgreiche Treibhausgasminde- der Vorstellung von der Bedeutung einer rung in der Welt wie in Deutschland ist Effi- (zumindest rhetorischen) „Vorreiterrolle“ zienz wichtig, aber Akzeptanz entscheidend. untergeordnet. Diese allerdings ist, wie sich Akzeptanz entsteht durch Dialog, nicht durch in den vergangenen Jahren gezeigt hat, vor apodiktische Vorgaben. Deutschland hat gute allem in den Ankündigungen ehrgeizig, Erfahrungen mit einem partnerschaftlichen weniger in den Ergebnissen; und über ihre Umgang von Staat und Wirtschaft gesam- tatsächliche Wirkung auf globale „Nachah- melt, gerade im Bereich des Umweltschutzes. merstaaten“ mag trefflich gestritten werden. Die nächste Bundesregierung könnte einen Ohne Korrekturen im Umgang mit den solchen Dialog in den Mittelpunkt ihrer Klimazielen für 2030 droht die Fortsetzung nationalen Klimaschutzpolitik rücken. Der im solcher Entwicklungen auch im kommen- Sondierungspapier angekündigte Umgang den Jahrzehnt. mit der 2020-er Zielverfehlung ist hierfür vielleicht ein Anfang. Dialog statt Dirigismus Wenn eine derartige Kooperation in Deutsch- Um spätere Zielkonflikte wirksam zu antizi- land gelänge, so gäbe dies ein wichtiges Bei- pieren und zu integrieren, wäre ein breiter spiel für den globalen Klimaschutz. Denn gesellschaftlicher Dialog über die möglichen effektive Treibhausgasverringerung ist über- Veränderungspfade – und damit auch über all auf der Welt mit Verteilungskonflikten die Minderungsziele im Zeitablauf – erfor- verbunden, die manchenorts vermutlich so- derlich. gar noch ausgeprägter ausfallen als hierzu- lande. Der erfolgreiche Umgang mit diesen Auch könnte es hilfreich sein, die Wirtschaft Konflikten ist also der eigentliche Lackmus- verstärkt aktiv in den Prozess einzubinden. Test für eine nachhaltige „Vorreiterrolle“. Ein Beispiel: Die enormen Verbesserungen . beim ökologischen Fußabdruck der chemi- schen Industrie in den 1970er und 1980er Prof. Dr. M. O. Bettzüge, Professor für Volks- Jahren wurden in einem solchen gemeinsa- wirtschaftslehre und Direktor des Energie- men Prozess zwischen Politik und Industrie wirt-schaftlichen Instituts (ewi) an der Uni- erarbeitet. Im Dialog wurde auf Wirksam- versität zu Köln keit, Zielgenauigkeit und Praktikabilität office@ewi.uni-koeln.de der staatlichen Maßnahmen abgestellt und sinnvolle Anpassungszeiträume abgeleitet. Das Ergebnis kann sich sehen lassen: Die Flüsse sind viel sauberer geworden, und die chemische Industrie floriert in Deutschland nach wie vor. Auch bei der Treibhausgasminderung könnte ein systematischer Dialog zwischen Politik und Wirtschaft zu tragfähigen und vernünftigen Lösungen führen. Das gilt ins- 34 ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 68. Jg. (2018) Heft 1/2
ZUKUNFTSFRAGEN ZUKUNFTSFRAGEN Demokratie, Medien und der verschwiegene Protest gegen die Windkraft Joachim Weimann Die Energie- und Klimapolitik war und ist einer der Knackpunkte bei den Verhandlungen um eine neue Regierung. Kön- nen wir davon ausgehen, dass bei der Gestaltung der zukünftigen Klimapolitik die Präferenzen und Belange der Wähler wahrheitsgemäß und umfassend berücksichtigt werden? Dafür zu sorgen ist bekanntlich die wichtigste Aufgabe des demo- kratischen Systems. Wird es das leisten? Stellen wir zunächst ein paar sehr grundsätzliche Überlegungen an. Gefolgt von Gedanken zur fehlenden Berücksichtigung einer mittlerweile stark angewachsenen kritischen Öffentlichkeit gegenüber der Windkraft in den Medien. – Gut gemeint kann hier zu fatalen Entwicklungen führen. Erfolg im Wählermarkt frager. Bei Gütern funktioniert die Kontrolle mieren, aber das ist eine sehr kleine Gruppe (meistens). Wenn mir jemand ein schlechtes intrinsisch motivierter Zeitgenossen. Unin- Es ist ein normaler Vorgang in Demokratien, Produkt verkauft, merke ich das und werde formierte Wähler verschaffen der Politik dass Parteien untereinander einen Kompro- daraus die Konsequenz ziehen, den Anbieter erhebliche Spielräume. Sie erlauben es, miss aushandeln, der dann in Regierungs- in Zukunft zu meiden. Deshalb hat der An- dass ideologische Phantasien ausgelebt und handeln umgesetzt wird. Die Theorie dazu bieter einen hohen Anreiz, ein gutes Produkt Experimente gewagt werden, auf die kein ist sehr einfach. Wähler drücken mit Abgabe herzustellen, denn nur dann kann er im Politiker käme, würde er wirklich von den ihrer Stimme den Wunsch aus, dass ihre Wettbewerb bestehen. Aber merken Wähler Wählern beobachtet. Die Tatsache, dass diese politische Meinung im Parlament repräsen- überhaupt, wie gut die Produkte der Politiker Experimente und Phantasien mit dem Geld tiert wird. Die Parteien konkurrieren um die sind? Dazu müssten sie einen Anreiz haben, der Steuerzahler – also der Wähler – bezahlt Wählerstimmen und sie können am Wähler- sich die Informationen zu beschaffen, die werden, macht es nicht besser. stimmenmarkt nur dann Erfolg haben, wenn notwendig sind, um beurteilen zu können ob sie Positionen vertreten, die denen der Wähler eine politische Maßnahme ihren Interessen Zentrale Aufgabe der Medien entsprechen. Der Wettbewerb sorgt deshalb dienlich ist oder nicht. Leider fehlt ihnen dafür, dass die Präferenzen der Wähler im dieser Anreiz. Das liegt daran, dass der ein- An dieser Stelle kommen die Medien ins Parlament vertreten sind – jedenfalls theo- zelne Wähler letztlich keinen Einfluss darauf Spiel. Ihnen kommt eine zentrale Aufgabe retisch. hat, wie die Wahl ausgeht. Egal, wie gut in- zu. Sie sollen die Informationskosten sen- formiert er ist, gleichgültig, wie kompetent ken, die Wähler tragen müssen, wenn sie In der Theorie, die Anthony Downs schon 1957 er die Parteien bewerten kann, das Gewicht die Politik kontrollieren wollen. Journalisten in seinem berühmten Buch „An economic seiner Stimme ist faktisch Null. Wenn die müssen Informationen sammeln, verdichten theory of democracy“ beschrieben hat, haben Beschaffung von Information Kosten verur- und so aufbereiten, dass sie auch für Wäh- die Wähler auch nach der Wahl die Möglich- sacht, dann folgt daraus, dass es sich nicht ler verständlich und nachvollziehbar sind, keit, das Handeln der Parteien in Regierung lohnt, diese Kosten zu tragen, weil man kei- die nur geringe Anreize haben, in die In- und Opposition zu beobachten und zu kont- nerlei Vorteil davon hat. Das ist bei Gütern formationsbeschaffung und -verarbeitung rollieren, ob auch tatsächlich das geschieht, anders, dort lohnt es sich Informationen über zu investieren. Das ist eine sehr schwierige was zuvor versprochen wurde. Diese demo- Autos einzuholen, weil man dann eine bes- Aufgabe, die zu erfüllen ein hohes Maß an kratische Kontrolle ist wichtig, denn ohne sie sere Entscheidung beim nächsten Autokauf Professionalität und fachliche Kompetenz gäbe es letztlich keine Verbindung zwischen treffen kann. Man entscheidet selbst darüber, erfordert. Letztere ist deshalb notwendig, politischen Entscheidungen und dem Willen welches Auto man die nächsten Jahre fährt, weil Journalisten gezwungen sind, eine Aus- der Wähler. Im Grunde funktioniert alles so, aber man kann nicht darüber entscheiden, wahl zu treffen. Sie müssen entscheiden, wie es auch auf Gütermärkten funktioniert: welche Partei die nächsten Jahre regieren was berichtenswert ist und was nicht. Die Die Anbieter (Parteien) haben nur dann eine wird. Die Folge: Rationale Wähler sind tägliche Informationsflut zwingt zu einer Erfolgschance, wenn sie die Produkte an- schlecht informiert. solchen Auswahl. bieten, die die Nachfrager (Wähler) haben möch-ten. Andernfalls bleiben sie auf ihren Wie niedrig die Nachfrage nach Informatio- Eigentlich müsste diese so erfolgen, dass die Programmen sitzen und fliegen aus den Par- nen ist, die Auskunft über komplexe gesell- Zeitungsleser und Fernsehzuschauer ein lamenten. schaftliche und politische Zusammenhänge möglichst objektives und sachlich zutreffen- geben, erschließt sich sofort, wenn man des Bild von den Problemen bekommen, die Leider funktioniert die Analogie zwischen abends die Fernsehsender durchschaltet oder Politiker behandeln und die das Leben der Gütermärkten und dem Markt für Wähler- die Auslagen der Zeitungskioske betrachtet. Wähler mitbestimmen. Um auswählen zu stimmen nicht wirklich. Der wichtigste Unter- Natürlich gibt es Menschen, die sich intensiv können, muss man von den Dingen, die auf schied liegt in der Kontrollmacht der Nach- über Renten-, Außen- und Klimapolitik infor- der politischen Tagesordnung stehen, etwas ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 68. Jg. (2018) Heft 1/2 35
ZUKUNFTSFRAGEN verstehen. Wer die Menschen beispielswei- festzustellen, dass man nicht einfach Nenn- möglichen Verlust von Waldflächen, die für se darüber unterrichten will, welche Prob- leistungen gleichsetzen kann. Er müsste die Startbahn geopfert werden sollten, und leme in Zukunft bei der gesetzlichen Rente sich darüber informieren, d.h. er müsste um Lärmschutz für die Anwohner. Das dürfte auftreten können und was man dagegen tun zum Beispiel diese Zeitschrift lesen oder den meisten Mitgliedern von AWK (Anti- kann, muss das Rentenproblem verstanden andere Fachpublikationen zu Rate ziehen. Windkraft)-Initiativen bekannt vorkommen, haben und in der Lage sein, Lösungsvor- Genau dazu hat er aber keinerlei Anreiz – denn dort geht es auch um den Schutz von schläge kompetent zu beurteilen. Ziel der siehe oben. Gerade weil rational handelnde Landschaft (oft genug Wäldern) und um Auswahl, die Journalisten treffen, muss es Wähler schlecht informiert sind, ergeben Lärmemissionen (einschließlich der Infra- sein, die Dinge zu berichten, über die Wähler sich erhebliche Handlungsspielräume für schallproblematik). Der Unterschied zur informiert sein müssen, wenn sie die Politik diejenigen, die Wähler unterrichten. Da es Startbahn West ist der Faktor 1.000. überwachen wollen. darüber hinaus kein funktionierendes Sank- tionsinstrument gibt, das grob falsche Be- Kein Protest gegen „gute Missbrauch der Macht bei richterstattung bestraft, verschärft sich das Energie“ in den Medien der Informationsauswahl Problem, weil viele Journalisten ihre Informa- tionen aus den Medien beziehen. So kann es Warum aber bekam beispielsweise die Anti- Alles das ist eigentlich eine Selbstverständ- passieren, dass Inkompetenz von Inkompe- Atomkraft-Bewegung so viel Aufmerksamkeit lichkeit und jeder Journalist wird vermut- tenz abschreibt und niemand etwas merkt. und die Anti-Windkraft-Initiativen so wenig? lich von sich behaupten, dass er genau das Die Antwort ist einfach: Erstere kämpften tut. Aber es ist ein schmaler Grat, auf dem Wachsender Bürgerprotest gegen die „böse“ Atomkraft und letztere die Männer und Frauen in den Redaktionen gegen Windenergie kämpfen gegen die „gute“ Energie aus er- wandeln. Die Möglichkeit auszuwählen zu neuerbaren Energiequellen. Wobei „gut“ und können und zu entscheiden, worüber be- Die bis hierher angestellten Überlegungen „böse“ Wertungen sind, die sich in der Be- richtet wird und worüber nicht, verleiht sollen helfen, ein Phänomen zu verstehen, das richterstattung als unumstößlich festgesetzt ihnen Macht. Sehr viel Macht. Natürlich zurzeit in der deutschen Medienlandschaft haben. Wie würden wir mit der Atomkraft wird jeder Journalist von sich behaupten, beobachtet werden kann. In unserem Land umgehen, wenn nicht „feststehen“ würde, dass er oder sie damit verantwortungsvoll gibt es inzwischen über 1.000 registrierte dass sie böse ist? Vermutlich käme dennoch umgeht. Aber die Versuchung ist groß, die Bürgerinitiativen gegen die Errichtung von niemand auf die Idee, neue AKWs zu bauen, eigene Bewertung, den eigenen politischen Windkraftanlagen. In Kürze wird es in 10 % denn die sind zu teuer und das Endlagerpro- Standpunkt oder die eigene Überzeugung aller Gemeinden eine solche Initiative geben. blem ist nicht gelöst. Aber vielleicht würden zum Maßstab bei der Berichterstattung zu Das ist Bürger-protest in einer Breite, wie sie wir noch einmal darüber nachdenken kön- machen. Den Standpunkt einzunehmen, in Deutschland nur ganz selten vorkommt. nen, ob es wirklich eine gute Idee ist, die man müsse über bestimmte Dinge berichten Merkt der in der Stadt lebende Zeitungsleser AKW so schnell abzuschalten, die sich als zu- und über andere nicht, weil das gut ist für und Fernsehzuschauer etwas davon? Wohl verlässig und sicher erwiesen haben und die das Land und die Menschen, ist eine mensch- kaum, denn berichtet wird über den Kampf CO2-frei grundlastfähigen Strom erzeugen? lich nachvollziehbare, aber eine demokratie- der Bürger gegen die Windkraft nur sehr Aber diese Gedanken sind im gesellschaftli- theoretisch fatale Haltung. Journalisten, die selten. Und die Argumente, derer sich die chen Diskurs nicht möglich, denn Atomkraft so handeln, missbrauchen ihre Macht. Gegner der Windkraft bedienen, sind weder ist nun einmal „böse“. in Talkshows zu hören, noch in den meisten Ein solcher Missbrauch wird dadurch be- Zeitungen zu lesen. Nein, der Protest gegen Und warum ist die Windkraft „gut“? Das gän- günstigt, dass die Wähler kaum in der Lage den Ausbau der Windkraft wird nicht seiner gige Argument geht so: Nur die Erneuerba- sind, zu beurteilen, ob eine Berichterstattung Bedeutung entsprechend in den Medien ge- ren retten uns vor dem Klimawandel, deshalb sachlich, kompetent und verantwortungsvoll würdigt. Von der Politik ganz zu schweigen, sind sie alterativlos. Diejenigen, die sich da- ist. Wie sollten sie erkennen, dass jemand, der was die Frage aufwirft, ob sich die Medien gegen wehren, sind im Prinzip auch für die den berichteten Zusammenhang nur ober- nicht dafür interessieren, weil es der Politik Erneuerbaren, aber „not in my backyard“. flächlich verstanden hat, seine ausschließlich egal ist, oder es der Politik egal ist, weil die Aber Opfer müssen nun einmal gebracht weltanschaulich fundierte Meinung zu Papier Medien darüber nicht berichten. werden und irgendwen trifft es dann halt. bringt oder über den Äther sendet? Im ZDF Dieses Argument ist merkwürdig und es ist lief unlängst ein Beitrag, der das Problem ver- Nun ist es nicht so, dass Bürgerbewegungen falsch. Merkwürdig ist daran, dass man den deutlichen hilft. Dort wurde behauptet, dass oder -protest grundsätzlich kein Echo in den Menschen vorwirft, dass sie sich dagegen sich durch die Installation von 30 GW Wind- Medien finden. Ganz im Gegenteil. Die Pro- wehren, dass sie als lokal Betroffene Schä- strom (Nennleistung) 30 Atomkraftwerke teste gegen die Atomkraft waren ein Medien- den an ihrer Gesundheit, den Verlust einer einsparen ließen. Für den fachkundigen Zu- ereignis ersten Ranges. Oder die Proteste landschaftlich intakten Heimat und massive schauer ist klar, dass das grob falsch ist. gegen Stuttgart 21! Nicht zu vergessen der Vermögensverluste hinnehmen sollen. Die Kampf gegen die Startbahn West des Frank- Bürgerproteste gegen Atommülllager oder Der nicht fachlich vorgebildete Zuschauer furter Flughafens. Das letzte Beispiel ist die Startbahn West fanden ebenfalls vor Ort hingegen hat nicht die geringste Chance besonders interessant. Dort ging es um den statt und die Sorgen waren ganz ähnlich. 36 ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 68. Jg. (2018) Heft 1/2
ZUKUNFTSFRAGEN ZUKUNFTSFRAGEN Nimmt man das eine ernst, muss man auch Windkraft stark angegriffen wurden, sind an den CO2-Emissionen ändern kann, das andere als legitim ansehen. Dazu kommt, die Proteste dagegen am stärksten. Die weil deren Umfang ausschließlich durch dass es einen bedeutsamen Unterschied Menschen empfinden die Eingriffe in die den CAP fixiert wird, der im Rahmen zwischen Atomkraft und Windkraft gibt. Landschaft als Zerstörung ihrer Heimat. des Emissions-handels festgelegt wurde Die Gefahren der Atomkraft treten dann auf, Das geht unmittelbar mit hohen Vermö- und der planmäßig reduziert wird. Alles, wenn schwerwiegende Störungen auftreten. gensverlusten einher. Die sind schwer zu was wir durch Wind- und Sonnenenergie Die Gefahren der Windkraft treffen die An- verifizieren, denn Häuserpreise kann man in Deutschland mehr und früher einspa- wohner beim normalen Betrieb der Anlagen. nur beobachten, wenn Häuser veräußert ren, wird in anderen Ländern der EU später Damit es zu gesundheitlichen Schäden werden. Werden Häuser durch Windkraft- und weniger eingespart. Die jüngst be- kommt, muss einen WKA nicht zu Bruch anlagen unverkäuflich oder ließen sie sich schlossene Reform des Emissionshandels gehen. Es reicht, dass sie ihre ganz normale nur noch zu Preisen verkaufen, die für die macht dieses Argument noch stärker, Arbeit verrichtet. Denn Windkraft ist unwei- Besitzer nicht ausreichen, sich woanders denn sie wird dazu führen, dass die CO2- gerlich mit massiven externen Effekten ver- eine neue Existenz zu errichten, kommt Preise steigen. Mit Hinweis auf die nied- bunden. Ein Begriff, der im Zusammenhang es nicht zum Verkauf und der Preisverfall rigen Preise ließ sich bisher der Emis- mit der Atomkraft sehr häufig bemüht wird, wird nicht sichtbar. sionshandel erfolgreich diskreditieren, im Zusammenhang mit Erneuerbaren aber obwohl er seine Funktion natürlich auch tabu zu sein scheint. Und schließlich sind die gesundheitlichen bei niedrigen Preisen erfüllt. Windkraft Einschränkungen externe Effekte, die verursacht externe Effekte und hohe Externe Effekte auch bei durch Schallemissionen und durch Infra- Stromkosten, aber sie reduziert den CO2- Erneuerbaren berücksichtigen schall entstehen. Es gibt Hinweise darauf, Ausstoß in Europa nicht. Im Hinblick auf dass Infraschall gesundheitliche Folgen den Klimawandel wäre eine Erweiterung Um das Ausmaß der externen Effekte ab- haben kann. Genau weiß man es nicht, des Emissionshandels die deutlich besse- schätzen zu können, muss man sich zu- denn das Phänomen ist noch nicht gut er- re und rationalere Strategie. nächst klarmachen, in welchem Umfang forscht. Die Politik sieht keinen Anlass, der Ausbau der Windkraft vonstatten gehen daran etwas zu ändern. Vielmehr wird Drohender Vertrauensverlust soll, wenn es nach dem Klimaschutzplan der die magere Studienlage dazu benutzt, zu der Medien Bundesregierung geht. Gegenwärtig haben behaupten, dass es keinen verlässlichen wir in Deutschland ca. 28.000 WKA instal- Nachweis dafür gäbe, dass Infraschall ge- Den Menschen, die sich in den Bürgerinitia- liert. Die produzierten 2016 laut Umwelt- sundheitliche Beschwerden verursache. tiven engagieren, werden solche Zusammen- bundesamt 2,1% unseres Primär-energieein- Sich diesem Problem nicht zu widmen ist hänge häufig bewusst, weil die persönliche satzes. Das ist nicht viel. Dazu kommt, dass ein Skandal, der nur deshalb geschehen Betroffenheit sie dazu bringt, sich mit den Windstrom nur dann Sinn macht, wenn er kann, weil es keine kritische Öffentlich- Dingen intensiv zu befassen. Plötzlich lohnt gespeichert wird. Das aber führt dazu, dass keit bei diesem Thema gibt. Man stelle sich die Beschaffung von Informationen. Das der Wirkungsgrad einer WKA erschreckend sich vor, ein Politiker würde die Gefahren verändert die Situation grundlegend. Nicht niedrig ausfällt. Deshalb müsste ein hohes der Atomkraft mit der Bemerkung herun- ausschließlich zum Besseren, denn die Be- Vielfaches der bisher installierten Leistung terspielen, man könne Strahlung ja weder troffenheit führt dazu, dass neue Informa- dazu kommen, um die Ziele der Bundesre- sehen noch riechen und außerdem gäbe es tionsfilter wirksam werden. Beispielsweise gierung zu erreichen. Der Kostendruck, der ja bisher auch noch keine Strahlenopfer in nehmen die Mitglieder von AWK-Bürger- seit dem EEG 2017 ausgeübt wird, hat zur Deutschland. Der Aufschrei wäre gewal- initiativen besonders leicht Informationen Folge, dass nur noch WKA rentabel betrie- tig. Im Hin-blick auf die gesundheitlichen auf, die behaupten, der Klimawandel sei gar ben werden können, die mindestens 160 m Risiken der Windkraft wird auf genau die- nicht vom Menschen verursacht. Die Bereit- Narbenhöhe und 100 m Rotordurchmesser sem Niveau argumentiert – nur der Auf- schaft, das zu glauben, entsteht nicht zuletzt aufweisen. Der angestrebte Zubau an Wind- schrei bleibt leider aus. aus dem Misstrauen, dass sie den konven- kraft wird deshalb in Zukunft nur noch tionellen Medien entgegenbringen, weil Anlagen errichten, die höher als 200 m Aber es bleibt ja noch der Hinweis, dass die sie gelernt habe, dass diese ihnen wichtige sind – Untergrenze. Da es sehr viele WKA Windkraft schließlich den Klimawandel Informationen vorenthalten haben. Je größer sein sollen, wird im Prinzip kein Standort bekämpfen hilft und deshalb „gut“ ist. Lei- die AWK-Bewegung wird, je mehr Menschen vor ihnen sicher sein. In Deutschland wer- der stimmt auch dieses Argument nicht. werden ihr Vertrauen in die Berichterstat- den flächendeckend große Windparks mit Das einzige Instrument, das in Europa tung verlieren. Neben allem anderen ist das riesigen Anlagen in enger Nachbarschaft tatsächlich zu massiven Rückgängen der vielleicht der größte Schaden, den es zu be- zu Wohngebieten entstehen, wenn der CO2-Emissionen geführt hat, ist der klagen gilt, denn das berührt die Basis unse- deutsche Klimaschutzplan umgesetzt wird. Europäische Emissionshandel. Mit ihm rer Demokratie. reguliert die EU sehr erfolgreich den euro- Die damit einhergehenden externen Ef- päischen Energiesektor. Das hat ganz ne- Prof. Dr. J. Weimann, Otto-von-Guericke- fekte sind massiv. Überall dort, wo bereits benbei allerdings den Effekt, dass natio- Universität Magdeburg Natur- und Kulturlandschaften durch nale Klimapolitik in diesem Sektor nichts joachim.weimann@ovgu.de ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 68. Jg. (2018) Heft 1/2 37
INTERVIEW ZUKUNFTSFRAGEN Kohle – kostengünstiger Partner der europäischen Energiewende Die Kohle ist für die Sicherheit und Kosteneffizienz der europäischen Stromversorgung von enormer Bedeutung. Die Frage ist, wie sie als fossiler Energieträger zu den klimapolitischen Zielen in Europa passt. Wie im Interview der „et“ mit dem Präsidenten von EURACOAL – European Association for Coal and Lignite, Dr. Wolfgang Cieslik, deutlich wird, kann dieser Energieträger maßgeblich dazu beitragen, dass der Weg in eine nachhaltige Energiezukunft sicher und effizient erfolgen kann. Dies allerdings nur, wenn widersprüchliche und fehlerbehaftete politische Eingriffe unterbleiben. „et“: Um ein Gefühl für die Größenordnung zu kriegen: In welchem Umfang tragen die Stein- und Braunkohlen zur Energieversorgung in Europa bei? Cieslik: Die Dimensionen sind sehr groß, die Be- deutung von Kohle in der Energiegewinnung und der Strom- und Wärmeerzeugung ist insgesamt sehr hoch. Nicht zu vergessen ist, dass 64 % der weltweiten Stromproduktion auf fossiler Basis er- folgen. Die Gewinnung von Stein- und Braunkoh- len in Europa (EU) erreichte auf Basis der aktuell verfügbaren Daten insgesamt 214 Mio. t Stein- kohleeinheiten (SKE). Damit wurden in Summe 17 % des europäischen Primärenergieverbrauchs gedeckt. Die EU- Kohleförderung lag damit 28 % über der Erdgasförderung und mit 78 % deutlich über der Rohölförderung. Bei der Stromerzeugung in der EU wird es noch EURACOAL-Präsident Dr. Wolfgang Cieslik Foto: STEAG deutlicher: Sie basiert sogar zu 26 % auf heimi- schen und importierten Kohlen. Die Stromerzeu- gung aus Erdgas ist bekanntlich teurer als die wird in der Zukunft eine andere Rolle zuge- Europäische Klimaschutzpolitik aus Kohle. In den Stunden, in denen Gaskraft- wiesen. Der angebliche Flexibilitätsvorteil von werke den Marktpreis setzen, ist der Preis für Gaskraftwerken ist jedoch ein Gerücht, das sich „et“: Die EU hat mit ihrem Paket „Saubere Ener- Industrie und Verbraucher in aller Regel höher erstaunlich hartnäckig hält. Es ist anders. Kohle- gien für alle Europäer“ ein klares Bekenntnis als in den anderen Stunden. Wenn Erdgas subven- kraftwerke, insbesondere Steinkohle, liefern in zur Abkehr von fossilen Energien und einen an- tioniert wird, z. B. in der Kraft-Wärme-Kopplung vielen Ländern seit Jahren den entscheidenden spruchsvollen Klimapfad bis 2030 bzw. 2050 auf- in Deutschland, dann kann es natürlich mithalten. Flexibilitätsbeitrag im Stromversorgungssystem. gesetzt. Was bedeutet das für die Kohle? Aber rund ein Viertel des europäischen Stroms Das gilt für Deutschland in herausgehobenem wird zuverlässig und zu wettbewerbsfähigen Maße. Das kann man sich wunderbar auf Cieslik: Das Bekenntnis der EU zum Klima- Kosten aus Kohle produziert. Internet-Plattformen anschauen. schutz kommt unter anderem im Emissionshan- del zum Ausdruck. Dort wird aber nur ungefähr Kohle kann Flexibilität! Der Flexibilitätsvorteil insbesondere von Stein- die Hälfte der Treibhausgasminderung geregelt. kohle ist nicht nur technisch, sondern auch wirt- Auf die Zusagen der EU im Rahmen des Pariser „et“: Die Stromversorgung mit steigendem Anteil schaftlich begründet: Der Wirkungsgradverlust Klimaschutzabkommens für das Jahr 2030 ist Erneuerbarer erfordert Flexibilität. Diese wird in bei Gaskraftwerken ist relativ zum Brennstoffein- auch die Reform des Emissionshandels gerichtet. der politischen Diskussion vorwiegend Gaskraft- satz hoch, wenn diese flexibel eingesetzt werden. Mit dem Energie-Paket wird dennoch der Versuch werken zugesprochen, wie steht es in dieser Frage Und Gas ist teuer. Entscheidend ist, dass Kohle- gemacht, die Reduktion der Treibhausgasemissi- um die Kohlekraftwerke? kraftwerke stabil und wirtschaftlich in reduzier- onen mit dem Wettbewerb im Energiemarkt zu ter Last – bis zu 10 % Mindestlast ist bei Steinkoh- verbinden. Die Diskussion macht offensichtlich, Cieslik: Es ist richtig: Der Anteil der Erneuerba- lekraftwerken möglich! – betrieben werden und wie schwer es den politischen Akteuren fällt, ren an der Stromerzeugung wird weiter wachsen. so in alle Richtungen kurzfristig regeln können. Binnenmarktfragen und Klimaschutzfragen zu Durch den erhöhten Anteil Erneuerbarer nimmt Und da elektrische Massenspeicher derzeit nicht trennen. Leider wird durch die vielen Eingriffe die Volatilität zu und thermischen Kraftwerken in Sicht sind, wird das auch erst einmal so bleiben. der Emissionshandel unnötig belastet, auch im 38 ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 68. Jg. (2018) Heft 1/2
„Auch politisch beschlossene Klimapfade können die Physik nicht überlisten. Wir brauchen in Europa auch in den nächsten Jahrzehnten thermische Reserven und Flexibilität auf Basis konventioneller Brennstoffe. Wer das leugnet, der nimmt den Verlust von industrieller Wertschöpfung in Kauf. Wenn es aber gelingt, den Wettbewerb aufrecht zu erhalten, dann hat die Kohle gute Chancen, in den kommenden Jahrzehnten als kostengünstiger Partner zu einer europäischen Energiewende beizutragen – mit abnehmenden Betriebsstunden und einer flexiblen Kraftwerksfahr- weise. Wer alleine auf teureres Erdgas setzt, der hat auch für die notwendigen Innovationen beispielsweise für Speicher weniger Geld zur Verfügung.“ Dr. Wolfgang Cieslik, Präsident EURACOAL – The European Association for Coal and Lignite, Brüssel Hinblick auf das Vertrauen der Marktakteure in Zur Rolle des Emissionshandels Insgesamt verteuert der Emissionshandel die die Stabilität. Kohleverstromung. Verdrängt wird sie erst „et“: Welche Rolle spielt der Emissionshandel bei dann, wenn europäisch andere unter Einschluss Falls die EU bestehende Kohlekraftwerke ab der Erreichung der Ziele im Industrie- und Ener- der Preise für CO2-Zertifikate günstigere Strom- 2030 tatsächlich von Kapazitätsmechanismen giesektor? Funktioniert er aus Ihrer Sicht? erzeugungsanlagen zur Verfügung stehen. Das ausnimmt, Gaskraftwerke aber von solchen Maß- sollte also eine Frage der Relation von verschie- nahmen profitieren können, wird Kohle aktiv dis- Cieslik: Der Emissionshandel funktioniert natür- denen Brennstoffpreisen sein. Bestimmte Anla- kriminiert. Das wird Auswirkungen auf Kohleka- lich – technisch und hinsichtlich der Mengen. Die gen werden vielleicht nicht mehr wirtschaftlich pazitäten haben, die sich heute aber noch nicht europaweite CO2-Minderung wird erreicht. Be- bleiben. Aber ob tatsächlich viele Gaskraft- sicher einschätzen lassen. Aber die Summe der zweifelt wird die Funktionsfähigkeit des Emissi- werke gebaut werden, wird nicht allein am CO2-Emissionen wird gegenüber dem Emissions- onshandels von Unternehmen oder Personen, die kurzfristigen CO2-Preis festgemacht, sondern handel zu höheren Kosten reduziert. Das ist für eine bestimmte Preisvorstellung haben. Denen an dem Vertrauen auf einen verlässlichen ener- mich volkswirtschaftlich nicht nachvollziehbar. geht es aber nicht um die Erreichung des an- giewirtschaftlichen Rahmen, eine ausreichende spruchsvollen, europäisch vereinbarten CO2-Re- Infrastruktur und eine zuverlässige, lokale Gas- „et“: Gibt es einen besseren Weg? duktionspfades. Wer jetzt zur – wirtschaftlich zu versorgung. Wer auf die direkte und indirekte kompensierenden – Stilllegung von Kohlekraft- Subventionierung von Erdgas setzt, sollte stets Cieslik: Wesentlich ist: Auch politisch beschlos- werken auffordert, löst das Problem der Emissi- auch die gesamten Kosten im Blick behalten. sene Klimapfade können die Physik nicht über- onsminderung nicht. Im Emissionshandel führt listen. Wir brauchen in Europa auch in den das zu Emissionen woanders – oder später. Und „et“: In vielen Diskussionen ist zu hören, dass nächsten Jahrzehnten thermische Reserven und warten wir mal ab, inwieweit nach den neuen mit einem Switch von Kohle- zu Gaskraftwerken Flexibilität auf Basis konventioneller Brennstof- Regeln, die nach 2020 gelten sollen, Staaten tat- Emissionsziele schneller erreicht werden könn- fe. Wer das leugnet, der nimmt den Verlust von sächlich und in welcher Höhe zusätzliches Geld in ten. industrieller Wertschöpfung in Kauf. Wenn es die Hand nehmen, um Emissionszertifikate still- aber gelingt, den Wettbewerb aufrecht zu erhal- zulegen. Denn zuvor sind schon staatlicherseits Cieslik: Zunächst ist es mir wichtig festzustel- ten, dann hat die Kohle gute Chancen, in den Kompensationen für Eingriffe in den Kraftwerks- len, dass sich mit dem reinen Switch von Kohle kommenden Jahrzehnten als kostengünstiger park und unter Umständen kostspielige Neubau- zu Gas die strengen CO2-Minderungsziele auch Partner zu einer europäischen Energiewende programme zu bezahlen. theoretisch nicht erreichen lassen, bestenfalls beizutragen – mit abnehmenden Betriebsstun- können Emissionen halbiert werden. Denn auch den und einer flexiblen Kraftwerksfahrweise. „et“: Wie geht es weiter, was könnte die euro- bei der Verbrennung von Methan wird CO2- Wer alleine auf teureres Erdgas setzt, der hat päische Emissionshandelsreform bewirken? frei. Versorgungssicherheit ist ein hohes Gut. auch für die notwendigen Innovationen, bei- Sie kann ohne Kohlekraftwerke derzeit nicht spielsweise für Speicher, weniger Geld zur Ver- Cieslik: Spannend wird es, zu sehen, ob der sichergestellt werden. Rd. 25 % der installierten fügung. Emissionshandel nach den nun fast beschlosse- Leistung in Europa sind Kohlekraftwerke. Wer nen Reformen weiter funktioniert. Es gibt ja viele anstelle der europäischen Kohlekraftwerke Gas- Auch langfristig kann Power to X kann nur eine Ausnahmen und regionale Umverteilungen. Zu- kraftwerke errichten will, der muss rd. 180 GW begrenzte Lösung bieten. Auch hier wird die künftig wird die Menge der Zertifikate in der neu bauen – und dafür die Gasversorgung sicher- fehlende Infrastruktur Grenzen aufzeigen. Ich Marktstabilitätsreserve vergrößert und dann stellen. Ein Switch, gar ein schneller, ist also nur gehe davon aus, dass es mehr Sinn macht, fossile gelöscht. Also wird der Pfad zur Emissionsminde- ein sehr theoretischer Ansatz oder offenbart Energieträger als Partner kombiniert mit Carbon rung über die Zeit steiler als eigentlich verabre- möglicherweise einen lokal verengten Blick. Capture and Usage (CCU) einzubinden. Damit det. Bei der Stilllegung von Zertifikaten wäre das können CO2-Ziele erreicht werden, ohne kosten- nochmals der Fall. CO2-Minderungsziele würden „et“: Was bedeutet das für den Großhandelspreis trächtig die Infrastruktur auszutauschen. so vorgezogen. Das ist nicht allen so klar. und für die Versorgungssicherheit? ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 68. Jg. (2018) Heft 1/2 39P
INTERVIEW ZUKUNFTSFRAGEN Cieslik: Wenn Gaskraftwerke häufiger den Strom- ungewissem Ausgang und damit zu Unsicherhei- blematischen Festsetzungen hierzulande zu Turbu- preis setzen, steigt der Preis. Wenn der CO2-Preis ten. Beim NOx beispielsweise müsste der obere lenzen kommen? steigt, dann steigt der Strompreis auch. Aber die Bandbreitenwert für bestehende Braunkohle- Marge für Gaskraftwerke als Grenzanbieter wäre kraftwerke > 300 MWth statt 175 mg/Nm³ aus Cieslik: Die EURACOAL-Klage hat keine auf- sehr niedrig. Sie liefern nur einen geringen Cash- technisch-ökonomischer Sicht richtigerweise 190 schiebende Wirkung. Daher müssen wir zunächst Flow, und es erweitern sich nicht automatisch die mg/Nm³ betragen. Das ist eine sehr hohe Abwei- davon ausgehen, dass die neuen technischen An- Investitionsmöglichkeiten für Gaskraftwerke. Die chung. Dies ist übrigens auch die Auffassung der forderungen aus dem LCP BREF grundsätzlich bis Kapitalkosten können nur dann gedeckt werden, deutschen Bundesregierung. August 2018 in nationales Recht umgesetzt wer- wenn es zusätzliche Erlöse gibt oder der Gaspreis den und dann bis August 2021 einzuhalten sind. günstiger als bei anderen Kraftwerken ist. Es Bei Quecksilber gab es bei der Ableitung der Schon der obere Rand der Bandbreiten ist aus ist eine Binsenweisheit, dass effiziente Gas- und Bandbreiten ebenfalls erhebliche Fehler. Die unserer Sicht bei den Stickstoffoxid- und Queck- Dampfturbinenkraftwerke niedrigere CO2-Emissi- Kommission hat nicht zwischen Staub- und silberemissionen nicht mit der besten verfüg- onen verursachen als ein Braunkohlekraftwerk. Wirbelschichtfeuerungen differenziert, obwohl baren Technik zu erreichen. Die Unternehmen Anders ist es, wenn offene Gasturbinen errichtet beide Techniken über unterschiedliche Rauchgas- arbeiten natürlich mit Nachdruck an Minde- werden. Das ist kein oder kein großer Vorteil, reinigungstechniken verfügen. Zudem wurden rungstechnologien, mit denen die Emissionen wenn diese betrieben werden. Noch schlechter Anlagen aus den USA in der Betrachtung heran- weiter reduziert werden können. Trotz der dazu wird es, wenn statt Gasturbinen ölgefeuerte Tur- gezogen, die noch gar nicht im Betrieb sind. Die veranlassten Aktivitäten im Bereich Forschung binen zum Einsatz kommen, weil die Gasversor- zweifelsfrei bestehenden Messunsicherheiten – und Entwicklung haben wir große Bedenken, ob gung nicht dauerhaft gesichert ist. bei den im Sevilla-Prozess untersuchten Anla- in den bestehenden Kraftwerken die obersten gen in Höhe von etwa 2 µg/m3 – wurden nicht Ränder der Bandbreiten mit wirtschaftlich ver- Wer Emissionen wirklich mindern möchte, ohne berücksichtigt. Allein dieses methodische Defizit tretbarem Aufwand erreichbar sein werden. Hier die Versorgungssicherheit zu gefährden, dem verfälscht die Ergebnisse erheblich. Zusätzlich muss aber jeder Kraftwerksblock einzeln geprüft bleibt nur Rationalität. Und die führt auch zu wurden nicht belastbare Einzelmessergebnisse werden. Gelassenheit bei einer sich nach und nach ein- einbezogen, obwohl nur durch kontinuierliche stellenden Reduktion der Kohleverstromung. Messungen verlässliche Aussagen über Jahres- „et“: Was erwarten Sie von der deutschen Politik mittelwerte getroffen werden können. in dieser Sache? Fehlerhafte europäische Rahmensetzung Um diese fehlerhaften Beschlüsse durchzudrü- Cieslik: Konkrete Überlegungen dazu, welche cken, hat die Kommission bei der formellen Be- nationalen Grenzwerte die deutsche Politik an- „et“: Ihren Ausführungen zufolge kann die Kohle schlussfassung dann auch noch gegen zwingende strebt, sind uns noch nicht bekannt. Wir setzen maßgeblich zu einem weniger ruppigen Übergang Verfahrensvorschriften für den Komitologieaus- aber darauf, dass sie bei der dafür notwendigen der europäischen Stromerzeugung beitragen. Wie schuss verstoßen. Sie hat dort – entgegen ihrer Änderung der 13. BImSchV und der Abwasser- ist es um die Rahmenbedingungen dafür bestellt? eigenen Geschäftsordnung! – mit Tischvorlagen verordnung sowohl die technische Machbarkeit gearbeitet und so den Mitgliedstaaten keine effek- als auch die wirtschaftliche Verhältnismäßigkeit Cieslik: EURACOAL ist der Auffassung, dass die tive Möglichkeit zur Prüfung der kurzfristig geän- im Auge behält. Der Maßstab hierfür ist bereits Bandbreiten im neuen LCP BREF (Merkblatt zu derten Beschlussvorlage eingeräumt. Zudem hat in der europäischen Richtlinie für die Industrie- den besten verfügbaren Techniken für Großfeue- sie mündliche Statements der Mitgliedstaaten vor emissionen (IED) definiert: Es geht um den Umwelt- rungsanlagen) nicht alle dem Stand der Technik der Abstimmung ausdrücklich nicht zugelassen. nutzen im Verhältnis zu den zusätzlichen Kosten. entsprechen. Betroffen sind beispielsweise die Deshalb hat EURACOAL vor dem Europäischen Wir gehen natürlich auch davon aus, dass die Ver- Werte für Stickstoffoxide (NOx) bei bestehenden Gericht Klage gegen das neue LCP BREF eingereicht. sorgungssicherheit angemessen berücksichtigt Braunkohlekraftwerken und Quecksilber bei be- wird. Die Anforderungen sollten sich daher am stehenden Braun- und Steinkohlekraftwerken. Folgen für Deutschland Wert der oberen Bandbreite orientieren. Dies führt für viele Kohlekraftwerke in Europa zu aus unserer Sicht ungerechtfertigten Nachrüs- „et“: Zur deutschen Stromerzeugung tragen „et“: Herr Dr. Cieslik, vielen Dank für das tungen bzw. zu vielen behördlichen Verfahren Braun- und Steinkohle immer noch zu fast 40 % Interview zur Erteilung von Ausnahmegenehmigungen mit bei. Inwiefern könnte es durch die genannten pro- „et“-Redaktion „EURACOAL ist der Auffassung, dass die Bandbreiten im neuen LCP BREF (Merkblatt zu den besten verfügbaren Techniken für Großfeuerungsanlagen) nicht alle dem Stand der Technik entsprechen. Betroffen sind beispielswei- se die Werte für Stickstoffoxide (NOx) bei bestehenden Braunkohlekraftwerken und Quecksilber bei bestehenden Braun- und Steinkohlekraftwerken. Dies führt für viele Kohlekraftwerke in Europa zu aus unserer Sicht ungerecht- fertigten Nachrüstungen bzw. zu vielen behördlichen Verfahren zur Erteilung von Ausnahmegenehmigungen mit ungewissem Ausgang und damit zu Unsicherheit“. Dr. Wolfgang Cieslik, Präsident EURACOAL – The European Association for Coal and Lignite, Brüssel 40 ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 68. Jg. (2018) Heft 1/2
ZUKUNFTSFRAGEN ZUKUNFTSFRAGEN Auswirkungen von Nord Stream 2 auf die Gaspreise in Europa Harald Hecking und Florian Weiser Nord Stream 2 senkt die Gaspreise in Europa und weltweit. Grund dafür ist der verstärkte Wettbe-werb zwischen russischem Erdgas und Flüssigerdgas (LNG). Die geplante Pipeline erhöht die Wettbewerbsintensität im Wettbewerb, da russisches Gas zu geringen Kosten nach Nordwesteuropa gelangen kann. Der zusätzliche Wettbewerb entlastet die europäischen Gasver- braucher in 2020 je nach Szenario um 8 bis 24 Mrd. € pro Jahr, wie eine kürzlich vom Kölner Forschungsinstitut ewi Energy Research & Scenarios (ewi ER&S) veröffentlichte Studie zeigt.. In den kommenden Jahren ist mit einer zu- nehmenden Importlücke bei der EU-Gasver- sorgung zu rechnen. Grund hierfür sind die sinkende einheimische Produktion und rückläufige Importe aus Norwegen sowie Nordafrika. Zwei wesentliche Bezugsoptionen erscheinen aus heutiger Sicht am vielverspre- chendsten für relevante Importmengen nach Europa: russisches Pipeline-Gas und LNG [1]. Verschärfter Wettbewerb im europäischen Gasmarkt Die zukünftigen Preise für Erdgas auf den europäischen Großhandelsmärkten werden hauptsächlich im Wettbewerb dieser beiden Angebotsoptionen bestimmt werden. Da russisches Pipeline-Gas vielerorts in Euro- Aufgrund der besseren Wettbewerbsposition von russischem Gas durch Nordstream 2 wird LNG pa niedrigere marginale Angebotskosten im aus dem Markt gedrängt, was zu niedrigeren LNG-Preisen führt. Da LNG global gehandelt wird, Vergleich zu LNG (Liquefied Natural Gas) hat, führt dies zu einem weltweiten Effekt Bild: Elnur| Fotolia.com kann man davon ausgehen, dass LNG häufig das preissetzende Angebot in europäischen Erdgasmärkten sein wird. Dies bedeutet, dass Resultat dieser Simulationen sind sogenann- TIGER dienen. Wie in Abb. 1 schematisch Russlands Preisstrategie für Gas sich an dem te Angebotsfunktionen für LNG in der EU, d.h. veranschaulicht wird, ist mit weniger LNG- Niveau der LNG-Importpreise zuzüglich der Zusammenhänge zwischen LNG-Importen Importen zu rechnen, wenn Nord Stream 2 Transportkosten vom nächstgelegenen LNG- und -Importpreisen, welche anschließend als gebaut wird. Russisches Erdgas gelangt zu Importterminal orientiert [2]. Input für das europäische Gasmarktmodell geringeren Kosten nach Nordwesteuropa und Die europäischen Gaspreise und LNG-Preise bedingen sich gegenseitig: Neben der Wir- kung von LNG-Preisen auf europäische Gas- preise gibt es umgekehrt eine Rückwirkung der europäischen LNG-Importe auf weltweite LNG-Preise. Wenn die globale Nachfrage für LNG hoch ist, wird es für Europa teurer, LNG zu importieren. Umgekehrt bedeutet eine große LNG-Nachfrage aus Europa auch stei- gende LNG-Preise weltweit. Diese Interdepen- denz wird in [3] im globalen Gasmarkt-Mo- dell COLUMBUS modelliert. Es resultiert ein Pfad mit niedriger und hoher weltweiter LNG- Abb. 1 Schematische Wirkung von zusätzlichen russischen Gas-Importen auf europäische Gaspreise an- Nachfrage (basierend auf dem Szenario „New hand von LNG-Angebotskurven für 2020 (abhängig von der Entwicklung globaler LNG-Märkte) Policies“ des World Energy Outlooks [4]). ENERGIEWIRTSCHAFTLICHE TAGESFRAGEN 68. Jg. (2018) Heft 1/2 41
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