Handlungsempfehlungen zur Studie Klimapfade 2.0 - Wie wir unser Industrieland klimaneutral gestalten

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Handlungsempfehlungen zur Studie Klimapfade 2.0 - Wie wir unser Industrieland klimaneutral gestalten
POSITION | KLIMAPOLITIK | ENERGIE, INDUSTRIE, VERKEHR, GEBÄUDE

Handlungsempfehlungen zur
Studie Klimapfade 2.0
Wie wir unser Industrieland klimaneutral gestalten
Handlungsempfehlungen zur Studie Klimapfade 2.0 - Wie wir unser Industrieland klimaneutral gestalten
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V.19.08.54
Handlungsempfehlungen zur Studie Klimapfade 2.0 - Wie wir unser Industrieland klimaneutral gestalten
Position | Klimapolitik | Energie, Industrie, Verkehr, Gebäude                                      Inhaltsverzeichnis
Handlungsempfehlungen zur Studie Klimapfade 2.0

Inhaltsverzeichnis
Unser Industrieland klimaneutral gestalten ............................................................................................................................ 5

Klimapfade 2.0 – Warum ein Update?........................................................................................................................................ 6

01. Klimazielerreichung 2030....................................................................................................................................................... 8
    860 Mrd. Euro und vereinter politischer Wille in Kooperation mit der Wirtschaft.......................................................8
02. Klimaneutralität 2045 in Deutschland..............................................................................................................................10
    Eine nationale Infrastrukturoffensive auf den Weg bringen...........................................................................................12
    CO -Bepreisung: zentrales Instrument, aber allein nicht ausreichend........................................................................16
      ²
    Wechsel zu Strom anreizen ...............................................................................................................................................18
    Eine nationale Biomassestrategie entwerfen..................................................................................................................19
03. Was in den einzelnen Sektoren jetzt getan werden muss.........................................................................................20
    Industrie.................................................................................................................................................................................21
    Das Energiesystem auf den Weg zur CO -Neutralität bringen.....................................................................................24
                                            ²
    Transformationspfad Mobilität bis 2030...........................................................................................................................28
    Transformationspfad Gebäude..........................................................................................................................................33
Impressum........................................................................................................................................................................................38

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Handlungsempfehlungen zur Studie Klimapfade 2.0 - Wie wir unser Industrieland klimaneutral gestalten
„Der Umbau zu einem klimaneutralen
Industrieland erfordert eine beispiellose
Transformation in allen Bereichen von Wirtschaft,
Staat und Gesellschaft“

Siegfried Russwurm
BDI Präsident
Handlungsempfehlungen zur Studie Klimapfade 2.0 - Wie wir unser Industrieland klimaneutral gestalten
Position | Klimapolitik | Energie, Industrie, Verkehr, Gebäude   Unser Industrieland klimaneutral gestalten
Handlungsempfehlungen zur Studie Klimapfade 2.0

Unser Industrieland klimaneutral gestalten
Mit ihren ehrgeizigen Klimaneutralitätszielen stehen die EU bis 2050 und Deutschland bis
2045 vor gewaltigen Herausforderungen für Gesellschaft, Verwaltung, Wirtschaft und Wis-
senschaft. Denn der Umbau zu einem klimaneutralen Industrieland erfordert eine Transfor-
mation in allen Bereichen von Wirtschaft und Gesellschaft. Der BDI schlägt zur Bewältigung
dieser komplexen Herausforderung einen breiten Instrumentenmix in der Klima-, Energie-,
Verkehrs- und Industriepolitik vor. Allein ein steigender CO2-Preis reicht nicht aus. Deutsch-
land muss bis 2030, also innerhalb von neun Jahren, seine Emissionen fast halbieren. Die
BDI-Studie „Klimapfade 2.0“ untersucht, welche Instrumente hierfür nötig sind. Sie zeigt,
dass die Industrie mit ihren Technologien der zentrale Wegbereiter für erfolgreichen Klima-
schutz ist. Voraussetzung dafür ist die internationale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unter-
nehmen. Folgende Punkte sind aus Sicht des BDI zentral:

.   Für die Klimaziele 2030 sind die erforderlichen klimafreundlichen Technologien überwie-
    gend bekannt, jedoch für Unternehmen und Verbraucher noch nicht wirtschaftlich und/
    oder noch nicht im industriellen Maßstab verfügbar. Bis 2045 besteht hingegen noch ein
    erheblicher Forschungs- und Innovationsbedarf.

.   Insgesamt gibt es bis 2030 – also über die nächsten neun Jahre – einen Bedarf von 860
    Mrd. Euro Mehrinvestitionen.

.   Als Voraussetzung für Investitionen brauchen die Unternehmen an ihrem Standort einen
    Zugang zu klimafreundlichen Energien, wie zum Beispiel Grünstrom oder Wasserstoff.
    Solange dieser Zugang fehlt, führen steigende CO2-Preise nur zu einer finanziellen Belas-
    tung ohne Klimaschutzwirkung.

.   Dafür ist ein massiver Infrastrukturausbau über die bestehenden Planungen hinaus in Höhe
    von 145 Mrd. Euro für Strom-, Wasserstoff-, Fernwärme- und CO2-Netze, Lade- und Was-
    serstofftankinfrastruktur, Verkehrswege, v. a. Schiene, notwendig.

.   Für die Industrie stellen bei Investitionsentscheidungen nicht allein die Kapitalkosten, son-
    dern vor allem die deutlich höheren Betriebskosten von klimafreundlichen Technologien
    die größte Herausforderung dar. Daher müssen die Nutzungskosten CO2-armer Produk-
    tionsverfahren und Energieträger wettbewerbsfähig gemacht werden gegenüber den fossi-
    len Energieträgern und bestehenden Prozessen.

.   Deshalb fordert der BDI zur Unterstützung der Elektrifizierung eine staatliche Kofinanzie-
    rung der Netzentgelte, eine vollständige Abschaffung der EEG-Umlage und die Verlängerung
    des Spitzenausgleichs. Daneben braucht es in den kommenden Jahren verlässliche Betriebs-
    kostenzuschüsse für den Markthochlauf von Wasserstoff und strombasierten Kraftstoffen.

.   Für jahrelange Planungs- und Genehmigungsverfahren lassen die ehrgeizigen Klimaziele keine
    Zeit mehr. Deshalb ist eine Revolution bei Planungs- und Genehmigungsverfahren sowie
    eine erhebliche Verkürzung von Gerichtsverfahren zu Infrastrukturprojekten notwendig.

.   Der in der Studie vorgelegte Instrumentenmix ist wettbewerbsneutral umzusetzen, um die
    internationale Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen zu sichern. Carbon Leakage Schutz
    kann zum Beispiel über mehr freie Zuteilungen und eine Strompreiskompensation im EU
    ETS sicher gestellt werden. Daneben sind auf EU-Ebene auch die beihilferechtlichen Vor-
    aussetzungen zu schaffen, beispielsweise durch die Zulassung von Betriebskostenzuschüs-
    sen für die Transformation.

                                                                                                               5
Handlungsempfehlungen zur Studie Klimapfade 2.0 - Wie wir unser Industrieland klimaneutral gestalten
Position | Klimapolitik | Energie, Industrie, Verkehr, Gebäude   Klimapfade 2.0 – Warum ein Update?
    Handlungsempfehlungen zur Studie Klimapfade 2.0

    Klimapfade 2.0 – Warum ein Update?
    Im Januar 2018 hat der BDI seine Studie „Klimapfade              der Treibhausgase bis 2030 für Deutschland, Klimaneu-
    für Deutschland“ veröffentlicht, in der in verschiedenen         tralität bis 2045.
    Szenarien volkswirtschaftlich optimierte CO2-Reduk-
    tionspfade bis 2050 für alle Sektoren und Technologien           Mit dieser Festlegung muss sich die Diskussion deut-
    beschrieben und die notwendigen kumulierten Mehrin-              lich von der Zielebene hin zu der Definition der not-
    vestitionen abgeschätzt wurden. Die Studie ist bis heute         wendigen politischen Instrumente bewegen. Denn noch
    vielzitiertes Referenzwerk, hat die Rolle der Industrie als      immer sind die hohen erforderlichen Investitionen in
    konstruktiven Mitgestalter eines nachhaltigen Transfor-          Klimaschutztechnologien für einzelne Unternehmen
    mationspfades geprägt und war Aus-                                                  unwirtschaftlich und nicht wettbe-

                                                   
    gangspunkt für einen vertieften kli-                                                werbsfähig. Daher werden diese

                                                                     
    mapolitischen Austausch mit vielen                                                  in der Breite derzeit nicht getätigt,
    Stakeholdern. Zugleich hat sie im                                                   obwohl sie zur politischen Zielerrei-

                                                                      
    Zusammenführen der vielen Bran-                                                     chung unabdingbar sind.
    chen eine gemeinsame Sicht der
    Industrie auf technisch und ökono-                                         Mit der vorliegenden Studie wollen
    misch machbare Pfade ermöglicht.                                           wir daher für die kommenden Jahre
                                          Ziel jeder Regierung muss            bis 2030 aufzeigen, was getan wer-
    Viele der Ergebnisse (des -95 % Pfa- sein, klimapolitische                 den muss, welche Investitionen erfor-
    des) sind auch fast vier Jahre später Anstrengungen international          derlich sind und in welchem Umfang
    noch sehr valide. Punktuell haben                                          dazu Fördermaßnahmen, Beprei-
                                          vergleichbar zu machen und
    sich in manchen Bereichen aller-                                           sung und flankierende Instrumente
    dings auch signifikante Änderungen
                                          dazu auch internationale             beitragen können. Die Herausforde-
    ergeben, beispielsweise bei der Nut- Instrumente zu verabreden.            rung und der Handlungsdruck sind
    zung von Wasserstoff und CCUS-                                             immens. In allen vier untersuchten
    Technologien. Und: Fundamental verändert haben sich     Bereichen Energie, Industrie, Gebäude und Verkehr
    2021 die klimapolitischen Ziele, zunächst auf Ebene der gehen sie an vielen Stellen über alles Dagewesene hin-
    EU und dann auf nationaler Ebene: -65 % Reduktion       aus an die Grenzen dessen, was in den verbleibenden

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Handlungsempfehlungen zur Studie Klimapfade 2.0 - Wie wir unser Industrieland klimaneutral gestalten
Position | Klimapolitik | Energie, Industrie, Verkehr, Gebäude   Klimapfade 2.0 – Warum ein Update?
Handlungsempfehlungen zur Studie Klimapfade 2.0

neun Jahren für viele der beteiligten Expertinnen und            für alle bis 2045 notwendigen Technologien zur Errei-
Experten vorstellbar ist. Die Unternehmen brauchen für           chung der Klimaneutralität.
die hierfür erforderlichen Planungen und erheblichen
Investitionen dringend sichere rechtliche Rahmenbedin-           Die Modellierung von Wegen, wie nationale Sektor-
gungen. Klimaklagen wirken hier eher kontraproduktiv.            ziele 2030 erreicht werden könnten, darf allerdings nicht
                                                                 darüber hinwegtäuschen, dass es vorrangiges Ziel jeder
Auftrag der Studie war es, aufzuzeigen, wie die nationa-         Regierung sein muss, klimapolitische Anstrengungen
len Sektorziele für 2030 erreicht werden könnten. Dabei          international vergleichbar zu machen und dazu auch
haben die Autorinnen und Autoren der Studie die mit              internationale Instrumente zu verabreden. Die europäi-
heutigem Wissen unter bestimmten Annahmen volkswirt-             schen Ansätze, etwa zur einheitlichen Bepreisung von
schaftlich kostengünstigsten Pfade beschrieben. Wie rea-         CO2, sollten im Rahmen des Green Deals daher unter-
listisch eine Zielerreichung wie beschrieben tatsächlich         stützt und international verbreitert werden. Solange die
ist, war nicht Gegenstand der Untersuchung. Die Pfade            klimapolitischen Ambitionsniveaus und Kostenbelastun-
sind stetige, konsistente Wege auch über 2030 hinaus             gen außerhalb Europas so deutlich von denen in der
in Richtung Klimaneutralität. Sie verzichten auf sym-            EU abweichen, muss der Erhalt der Wettbewerbsfähig-
bolische Abschaltzeitpunkte oder plakative Technolo-             keit der Industrie und eine Unterstützung ihres Trans-
gieverbote und sollen teure, ineffiziente Sofortmaßnah-          formationspfades eine Schlüsselrolle spielen, denn der
men erübrigen. Positiv ist, dass alle zur Zielerreichung         Erhalt der Wettbewerbsfähigkeit der Industrie vor Ort
2030 notwendigen Technologien grundsätzlich bereits              bedeutet zugleich auch stets mehr Klimaschutz. Nur
bekannt sind, gleichwohl haben einige noch nicht die             wettbewerbsfähige Unternehmen können ambitionier-
großtechnische Marktreife erreicht. Dies gilt jedoch nicht       ten Klimaschutz leisten.

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Handlungsempfehlungen zur Studie Klimapfade 2.0 - Wie wir unser Industrieland klimaneutral gestalten
01  860 Mrd. Euro und vereinter politischer
    Wille in Kooperation mit der Wirtschaft
                                             Klimazielerreichung 2030

    Deutschland muss bis 2030 seine Emissionen fast hal-
                                                                                       Nationale Vorgaben müssen vor diesem Hintergrund
                                                                                       einerseits zielorientiert und widerspruchsfrei in inter-
                                                                                       nationale und europäische Kontexte eingepasst und
                                                                                       andererseits nationale Anstrengungen durch interna-
    bieren. Die größte Aufgabe besteht darin, die enormen                              tionale und europäische Rahmenbedingungen flan-
    Investitionen von 860 Milliarden – also ab 2022 rund                               kiert werden. Dabei ist die Tragfähigkeit der öffentli-
    100 Milliarden Euro pro Jahr – so zu planen und aus-                               chen Haushalte sicherzustellen.
    zugeben, dass Investitionen zielführend sind und sich
    damit positiv auf das Klima und die deutsche Wirtschaft
    auswirken und nicht zu Investitionsruinen führen.

    860 Mrd. € Mehrinvestitionen für Klimaschutz bis 2030
    Kumulierte Mehrinvestitionen 2021 bis 2030
    Mrd. €, real 2019

                 INDUSTRIE        VERKEHR            GEBÄUDE                          ENERGIEWIRTSCHAFT                                      GESAMT

                                                                                   415                                                860             860
                                                                                                  Strom-, H2-, CO -Netze
                                                                                                                   ²
                                                                                                  Vorziehen des BNEP von 2035
                                                                                                                                      415             560
                                                                                    155           auf 2030, Aufbau neuer
                                                                                                  Infrastrukturen für H2
                                                                                                  und CO
                                                                                                          ²

                                                                                     63           Wind an Land auf 98 GW

                                                                                     40           Wind auf See auf 28 GW

                                                                                     67           Photovoltaik auf 140 GW

                                                                                                  Ausbau Gas auf 74 GW
                                                                                     48

                                                         175                         18
                                                                                          22
                                                                                                  Grüne Fernwärme
                                                                                                  Sonstige Speicher, H2
                                                                                                                                Energie-
                                                                                                                                wirtschaft

                                                             80          Gebäudesanierung
                                                                         von 1,1 % auf 1,9 % energetische Sanierungsrate
                                                                                                                                      175
                                                                         Erneuerbare Wärme (WP, FW, H2)
                                                             67
                                     220
                                                                         auf u. a. 6 Mio. Wärmepumpen                                            Zielpfad
                                                             27                                                                 Gebäude
                                                                                                                                                      300
                                                                         Effiziente Geräte und Prozesse

        Neue Anlagen in Chemie,
        Stahl, Zement
                                       45         PtL-Anlagen (Ausland), H2-Anlagen (Inland)
                                                  für ~3 Mt Importe PtL und ~10 TWh Produktion H2
                                                                                                                                      220
        Erneuerbare Wärme
                                      39          Elektrische Pkw auf 14 Mio. BEV im Bestand (>90 % Neuzulassungen in 2030)
                                      30
        Effiziente Prozesse                       E- und H2-Lkw auf >220 Tsd. im Bestand (>75 % Neuzulassungen in 2030)
        Stoffliche Defossil.                      Lade- und H2-Infrastruktur

                          50
                                      74          auf 15 Mio. Ladepunkte, 0,2 Mio. Schnellladestationen
                                      25 5        Ausbau Schiene +30 % Personenverkehr, +40 % Güterverkehr                      Verkehr
                       21
                    10 18 3
                                                  Sonstige                                                                      Industrie   50   Referenzpfad

    Bei erneuerbarer Wärme sowie alternativen Antrieben beschreiben die Mehrinvestitionen die Anschaffungskosten ggü. konventionellen Technologien
    Quelle: BCG-Analyse

8
Handlungsempfehlungen zur Studie Klimapfade 2.0 - Wie wir unser Industrieland klimaneutral gestalten
Position | Klimapolitik | Energie, Industrie, Verkehr, Gebäude             Klimazielerreichung 2030
Handlungsempfehlungen zur Studie Klimapfade 2.0

Die aktuelle Klimapolitik in Deutschland reicht jedoch                     zum Beispiel bei Elektrocrackern in der Chemie, noch
in keinem Sektor auch nur annähernd aus, um die poli-                      erhebliche Entwicklungen bis zur Marktreife erforder-
tisch vorgegebenen Klimaziele zu erreichen. Ohne sofor-                    lich. Die CO2-Reduktionsanforderungen an die Sekto-
tige Umsteuerungen würde Deutschland bis 2030 etwa                         ren sind so ambitioniert, dass eine entschlossene und
184 Mt CO2 einsparen – nur knapp halb so viel wie nötig                    zügige Anpassung der bestehenden politischen Rah-
wäre. Die Zielerreichung in diesem Zeitraum muss im                        menbedingungen unausweichlich ist. Nur so werden
Wesentlichen mit Technologien geschehen, die bereits                       die jetzt dringend erforderlichen Investitionsentschei-
heute verfügbar oder zumindest absehbar sind. Darüber                      dungen zugunsten eines Technologiewechsels getrof-
hinaus sind bei einigen erforderlichen Technologien, wie                   fen, der die Klimaneutralität ermöglicht.

~ 190 Mt Emissionslücke in 2030 mit heutigen Instrumenten
THG-Emissionen in Deutschland 1990 – 2045
Mt CO²ä
                                                                                                                         Referenzpfad
                     1990
                                                                                                                         Zielpfad
                     1.249 Mt
   1.200

   1.000
                                                      2019
                                                      810 Mt                                    626 Mt
                                                                                                mit bestehenden
                                                                                                Instrumenten
     800
                                                                                                                    188 Mt
                                                                                                                    Lücke zum Ziel

     600                                                                        438 Mt
                                                                      Reduktionsziel 65 %
                                                             laut neuem Klimaschutzgesetz

       0

           1990          2015                        2020                          2025                      2030

  Wichtigste bestehende politische Instrumente als Basis der Referenzentwicklung

  H CO²-Bepreisung: BEHG und ETS

  H Kohleausstieg bis 2038

  H EEG-Ausbaupfad

  H Gebäudeförderung (BEG + Sofortprogramm)

  H RED II und Flottengrenzwerte

  H Befreiung Lkw-Maut für E-/H²-Lkw

  H Umweltbonus, Kfz-Steuerbefreiung und reduzierte Dienstwagensteuer für E-/H²-Pkw

Anmerkung: Emissionen 2021 basierend auf Agora Energiewende-Analyse
Quelle: UBA (2021) Daten der THG-Emissionen nach KSG; Agora Energiewende (2021) Abschätzung der Klimabilanz Deutschlands für das Jahr
2021; BCG-Analyse

                                                                                                                                        9
Handlungsempfehlungen zur Studie Klimapfade 2.0 - Wie wir unser Industrieland klimaneutral gestalten
Klimaneutralität 2045 in Deutschland
     Die dafür anstehende umfassende Transformation erfordert ein
     Umdenken in allen Sektoren. Politische Instrumente müssen zügig
     und zielorientiert angepasst werden, um diese Transformation zu
     flankieren.

10

                              02
Position | Klimapolitik | Energie, Industrie, Verkehr, Gebäude                      Klimaneutralität 2045 in Deutschland
Handlungsempfehlungen zur Studie Klimapfade 2.0

Wirtschaftsprogramm für Klima und Zukunft
Zusätzliche Instrumente zu bestehender Regulierung

                                INDUSTRIE                            VERKEHR                              GEBÄUDE                     ENERGIEWIRTSCHAFT

                      Fossilie Energien unattraktiver machen
                      EU-ETS, höhere CO2-Bepreisung in Nicht-ETS-Sektoren (wo durchsetzbar), Ausrichtung der Energiebesteuerung an Energiegehalt und
                      Nachhaltigkeitsgrad

                      Wechsel zu Strom anreizen
                      Entlastung der Strompreise für erneuerbare Wärmeanwendungen in Industrie und Gebäuden

ÜBERGREIFENDE
INSTRUMENTE           Nationales Infrastrukturprogramm
                      Ausbau Stromnetze, Fernwärme und Schiene, Aufbau nationaler Infrastrukturen für E-Mobilität, Wasserstoff und CO2

                      Nationale Biomassestrategie
                      Umverteilung in großtechnische Industrie- und Fernwärmeanlagen (perspektivisch BECCUS), Auslauf Förderung des Einsatzes in Gebäuden und
                      dezentraler Verstromung

                      Klimaschutzverträge (CCfDs)         Förderung Lade- u.                   Infrastrukturplanung                 Erneuerbaren-Offensive
                      Förderung grüner Produkte und       H2-Infrastruktur                     Kommunen                             Flächenquoten, schnellere
                      Wärme                               Investitionszuschüsse für Hochlauf   für Planungssicherheit auf allen     Verfahren etc.
                                                                                               Ebenen

                      Investitionsförderung               Kaufanreize für E-Pkw                Pflicht für Sanierungsfahrpläne      Beschleunigter Netzausbau
                      für erneuerbare Industriewärme      zur Angleichung der                  Gebäudespezifischer                  Schnellere Verfahren auf allen
                                                          Anschaffungskosten                   Nullemissionspfad                    Ebenen
SEKTORSPEZIFISCHE
INSTRUMENTE
                      Effizienzstandards und              CO2-basierte Lkw-Maut                Modulare Gebäudeförderung            Flexibilisierung Stromverbrauch
                      Förderung                           zusätzlich zu Mautbefreiung für      für Sanierung &                      Digitalisierung, Marktanreize etc.
                      Erhöhung & Sonderabschreibungen     E/H2                                 Energieträgerwechsel

                      Grüne Leitmärkte                    PtX-Quoten und -Auktionen            EE-Gebot im Neubau                   Zentraler Kapazitätsmarkt
                      zum Beispiel durch Quoten           Invest.-/Planungssicherheit im       100 % CO2-neutrale Wärme ab          Gewährleistung
                                                          Hochlauf                             Einbau                               Versorgungssicherheit

                      Forschungs- und Innovationsagenda
FORSCHUNG             Grundlagen-Klimaforschung, gezielte Investitionen in Game-Changer (Batterien, Quantencomputing etc.), beschleunigte Skalierung
                      (Hochtemperatur Power-to-Heat, CCUS etc.)

                      Carbon-Leakage-Schutz               Sozialer Ausgleich
                      Freie Zuteilungen, CBAM,            Grundsicherung, Härtefallfonds, (teilweise) Abschaffung EEG-Umlage etc.
                      Ausnahmen, Härtefallfonds, SPK
AUSGLEICH,
FINANZIERUNG          Gegenfinanzierung
                      Kombination aus Einsparungen, Abgaben, Steuern, Schulden – zur Finanzierung fiskalischer Belastung von bis zu 50 Mrd. Euro pro Jahr in 2030

                      Klima-Governance
                      Stärkere Bündelung u. zentralere Koordination politischer Verantwortung, Monitoring von Frühindikatoren, Beschleunigung Verfahren, Kapazitäten
                      für Länder/Kommunen etc.
POLITISCHER
PROZESS               Gesellschaftsvertrag
                      Legislaturperioden überdauernder Konsens für Infrastrukturausbau, faire Verteilung der Belastungen etc.

Quelle: BCG-Analyse

                                                                                                                                                                         11
Position | Klimapolitik | Energie, Industrie, Verkehr, Gebäude   Klimaneutralität 2045 in Deutschland
     Handlungsempfehlungen zur Studie Klimapfade 2.0

     Eine nationale Infrastrukturoffensive                            Klimaschutzziele einen erheblichen Umbau der deut-
     auf den Weg bringen                                              schen Anlagenstrukturen erfordern wird, sollte genutzt
                                                                      werden, um endlich beherzt eine Reform der Verwal-
     Zur Umsetzung der dargestellten Klimaziele braucht es            tungs- und Rechtsschutzverfahren anzupacken.
     nicht weniger als eine fundamentale Reform der Pla-
     nungs- und Genehmigungsverfahren. Zur Erreichung                 Um flächendeckend eine ausreichende Personalausstat-
     der Klimaziele kann sich Deutschland keine jahrelan-             tung und Sachkompetenz in den Behörden zu gewähr-
     gen Planungs- und Genehmigungsverfahren für Indus-               leisten, sind insbesondere die Landesregierungen auf-
     trieanlagen, neue Stromtrassen, Windparks, Wasser-               gefordert ausreichende Finanzmittel zur Verfügung zu
     stoff- und CO2-Leitungen oder neue Schienen leisten              stellen. Die kontinuierliche Weiterqualifizierung des
     und muss mehr Tempo beim Aufbau von Lade- und                    Personals ist massiv voranzutreiben. Da Regelungen
     Tankinfrastrukturen machen.                                      auf europäischer Ebene eine große Auswirkung auf
                                                                      Planungs- und Genehmigungsverfahren haben, muss
     Der Zielpfad der vorliegenden Studie zeigt deutlich              Deutschland insbesondere bei den jetzt anstehenden
     auf, dass Strukturen geschaffen werden müssen, um                Regulierungen im Rahmen des „Green Deals“ darauf
     enorme Stromerzeugungskapazitäten und die entspre-               achten, dass nicht neue Verfahrenshemmnisse auf euro-
     chende Netzinfrastruktur in einem deutlich schnelleren           päischer Ebene entstehen.
     Tempo als bisher zu errichten. Der Ausbau der erneuer-
     baren Energie muss gegenüber dem EEG-Ausbaupfad                  Auf nationaler Ebene müssen alle bestehenden Spiel-
     verdoppelt werden und flexible H2-ready Gaskraftwerke            räume zur Vereinfachung der Verfahren genutzt und
     mit über 40 GW elektrischer Leistung müssen in den               fachrechtlich ausgeweitet werden. Es muss möglich sein,
     bis 2030 verbleibenden Jahren hinzugebaut werden.                Unterlagen zu Detailplanungen in Verfahren später ein-
     Allein der Zubau im Zielpfad bis 2030 von PV, Off-               zureichen und auch von der Möglichkeit des „vorzeiti-
     shore Wind und Gaserzeugungskapazitäten übersteigt               gen Baubeginns“ früher und umfangreicher Gebrauch
     dabei die aktuell in Deutschland vorhandene installierte         zu machen. Um sowohl die Anzahl als auch den Umfang
     Leistung dieser Erzeugungstechnologien.                          von Gutachten zu reduzieren, müssen rechtsverbindli-
                                                                      che Standards wie Technische Anleitungen unter Sta-
     Zusätzlich müssen auch die entsprechenden Netzan-                keholder-Beteiligung erarbeitet werden.
     schlüsse für Strom, Fernwärme, Gas bzw. Wasserstoff
     und CO2 errichtet sowie der bereits ambitionierteste             Ein Erörterungstermin sollte bei allen Verfahren
     Übertragungsnetzausbaupfad im Netzentwicklungsplan               zukünftig nur auf Wunsch des Vorhabenträgers durch-
     Strom um fünf Jahre vorgezogen werden (2030 anstatt              geführt werden. Der Projektträger sollte frei entschei-
     2035). Dies, zusammen mit der im Zielpfad anvisier-              den können, da er mit seiner Investitionsentscheidung
     ten annähernden Verdoppelung der Netzinfrastruktur,              das Risiko des Verfahrens und damit auch das Risiko
     erfordert ein nationales Infrastrukturprogramm, das Pla-         möglicher Verzögerungen durch Klagen trägt. Bezo-
     nungs- und Genehmigungsverfahren für neue Trassen                gen auf die Fälle, in denen auf Wunsch des Vorhaben-
     und Energieinfrastrukturen signifikant verkürzt.                 trägers ein Erörterungstermin stattfindet, sollte eine
                                                                      Normierung erfolgen, die Ablauf und Verfahren des
     Revolution bei Planungs- und                                     Erörterungstermins ordnet und strukturiert. Die zügige
     Genehmigungsverfahren                                            und umfassende Digitalisierung der Verwaltung bietet
                                                                      das Potential Genehmigungsverfahren erheblich zu
     Planungs- und Genehmigungsverfahren haben sich                   beschleunigen. Eine konsequente Digitalisierung aller
     zu einem massiven Investitionshemmnis entwickelt.                Prozesse kann helfen den Personalaufwand zu redu-
     Die Verfahrensdauer hat sich in den vergangenen                  zieren und das Tempo zu erhöhen. Aus Sicht der deut-
     zehn Jahren fast verdoppelt, gleichzeitig verschlech-            schen Industrie ist die Entwicklung einer bundeseinheit-
     tert sich die Personalsituation in den Genehmigungs-             lichen Software und ein umfassendes Behördenportal
     und Fachbehörden. Parteienübergreifend wird pro-                 und eine damit einhergehende Anpassung des Rechts-
     grammatisch im Rahmen von Klimaschutzprogrammen                  rahmens notwendig und geboten.
     auch eine Beschleunigung von Verfahren verspro-
     chen. Die nächste Dekade, die zur Erreichung der

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Position | Klimapolitik | Energie, Industrie, Verkehr, Gebäude   Klimaneutralität 2045 in Deutschland
Handlungsempfehlungen zur Studie Klimapfade 2.0

Ambitionierter Aufbau von Tank- und                              Auf- und Ausbau einer Wasserstoff- und CO2 -
Ladeinfrastruktur                                                Infrastruktur vorantreiben

Für den in der Studie vorgesehenen äußerst ambitio-              Maßgeblich entscheidend für die Etablierung eines Was-
nierten Anteil an Neuzulassungen im Bereich Mobi-                serstoffmarktes sowie für den Aufbau eines funktio-
lität mit alternativen Antrieben bis 2030, müsste ein            nierenden Kohlenstoffkreislaufs sind flächendeckend
erheblicher Teil des Aufbaus einer leistungsfähigen und          verfügbare Infrastrukturen.
bedarfsgerechten Lade- und Tankinfrastruktur bereits
innerhalb der kommenden neun Jahre errichtet werden.             Ein zugesicherter Anschluss an solche Infrastruktu-
Dafür müssten allein bis 2030 rund 74 Mrd. Euro inves-           ren ist entscheidend für Investitionsentscheidungen in
tiert werden. Dieser Aufbau muss mit zeitlichem Vor-             wasserstofffähige Anlagen. Dies beinhaltet sowohl den
lauf vor dem Markthochlauf der alternativen Antriebe             H2-Leitungsanschluss an die Küste wie auch die Errich-
erfolgen, um Nutzerinnen und Nutzern von vornher-                tung von standortnahen bzw. verbrauchsnahen Elekt-
ein die Sorge vor fehlenden Lade- und Tankmöglich-               rolyseuren. Ein Industriebetrieb wird nicht bereit sein,
keiten zu nehmen.                                                einen hohen Investitionsaufwand in eine Anlage zu
                                                                 tätigen, wenn ein gesicherter Zugang zu einer Versor-
Aufgrund der weiterhin bestehenden Wirtschaftlich-               gung mit klimaneutralem Wasserstoff nicht gewährleis-
keitslücken beim Aufbau einer flächendeckenden Lade-             tet werden kann. Aus diesem Grund muss zu einem
und Tankinfrastruktur ist bis mindestens 2030 eine staat-        schnellstmöglichen Zeitpunkt in den Aufbau von Was-
liche Förderung von Betriebs- und Investitionskosten             serstoff- und CO2-Netzen investiert werden und die not-
zur Optimierung der Ladesäulen-Kapazität und der Ver-            wendigen Rahmenbedingungen für einen funktionieren-
teilung in der Fläche erforderlich. Die Höhe der För-            den Betrieb solcher Infrastrukturen geschaffen werden.
derung hängt dabei vom Nutzungsszenario des Lade-
punktes ab. Für den Aufbau einer bedarfsgerechten                Für einen schnellen Aufbau von Wasserstoffinfrastruk-
Tankinfrastruktur von 500 Wasserstoff-Tankstellen für            turen benötigt es in einem ersten Schritt einen möglichst
rund 52.000 H2-Lkw, die auch von Brennstoffzellen-               pragmatischen Ansatz: Der BDI spricht sich hier für die
Pkw genutzt werden könnten, muss ein analoges För-               Aufnahme eines technologieoffenen Begriffs von Was-
derregime sichergestellt werden. Aus Sicht des BDI ist           serstoff in den Regulierungsrahmen für Gas aus, um
auch beim Aufbau von Lade- und Tankinfrastruktu-                 den Betrieb von Wasserstoffnetzen sowie die Umrüs-
ren ein grundlegend technologieoffener Ansatz unab-              tung von Erdgas- zu Wasserstoffnetzen zu ermöglichen.
dingbar. Deshalb gilt es, auch die Potenziale einer              Diese Rahmenbedingungen müssen auf europäischer
bereits verfügbaren Infrastruktur für Oberleitungs-              Ebene harmonisiert werden, um den grenzüberschrei-
verkehre entlang der Bundesautobahnen weiterhin                  tenden Transport von Wasserstoff zu ermöglichen. Eine
in den Blick zu nehmen, die Demonstrationsprojekte               Integration von Wasserstoff in den bestehenden Regu-
unverändert fortzuführen und von der Politik geplante            lierungsrahmen für Gas impliziert eine Finanzierung
Innovationskorridore umzusetzen.                                 des Aufbaus der H2-Infrastruktur über die bestehen-
                                                                 den Gasnetzentgelte. Solange dies nicht zu einer erheb-
Parallel dazu muss der Aufbau eines globalen Ange-               lichen Erhöhung der Gasnetzentgelte führt, hält der
bots treibhausgasneutraler Energieträger und Rohstoffe           BDI dies für den praktikabelsten Ansatz, um möglichst
vorangetrieben werden, denn Deutschland wird selbst              schnell und kosteneffizient in eine Wasserstoffinfra-
dann, wenn die weitgehende Elektrifizierung erfolgreich          struktur einzusteigen. Entstehende “stranded-assets”
ist, langfristig auf erhebliche Energieimporte angewie-          durch einen späteren Rückbau des Gasnetzes würden
sen sein. Bereits 2030 müssen allein für den nationalen          somit von den Wasserstoffkunden, deren Anzahl sich
Verkehrssektor 36 TWh synthetische Kraftstoffe (PtL)             erwartungsgemäß über die Zeit erhöhen wird, aufge-
importiert werden, um die Klimaziele zu erreichen.               fangen. In einer fortgeschrittenen Entwicklungsphase
Dabei reichen Quotenvorgaben nicht aus, die erfor-               des ersten Wasserstoffrumpfnetzes sind getrennte Netz-
derlichen Investitionsanreize in internationale Produk-          entgelte (H2/Gas) denkbar.
tionsanlagen zu setzen. Erforderlich für den Markthoch-
lauf sind auch Fördermechanismen, wie sie zum Beispiel
H2Global vorschlägt.

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Position | Klimapolitik | Energie, Industrie, Verkehr, Gebäude   Klimaneutralität 2045 in Deutschland
     Handlungsempfehlungen zur Studie Klimapfade 2.0

     Für einen ökonomisch effizienten Ausbau von H2- und              insbesondere die betroffenen Industrien nicht in der
     CO2-Netzen ist es sinnvoll, diese möglichst unter Nut-           Lage, zeitnah Investitionen in emissionsfreie Wasser-
     zung der bestehenden Gasinfrastruktur aufzubauen                 stoffproduktion zu tätigen.
     und nur wenn Nutzung, Optimierung oder Verstärkung
     bestehender Ressourcen nicht möglich sind, neue Lei-             Parallel zum Wasserstoffnetz muss bereits in den kom-
     tungen zu verlegen. Vor allem Industrieclusterregio-             menden Jahren auch mit dem Aufbau einer CO2-Infra-
     nen sollten zunächst vernetzt werden, um dann schritt-           struktur begonnen werden, um das Klimaneutralitäts-
     weise flächendeckend ausgebaut werden zu können.                 ziel bis 2045 erreichen zu können. Die Abscheidung
     Für die erfolgreiche Umsetzung einer Sektorenkopp-               von CO2 z. B. aus industriellen Prozessen und aus der
     lung braucht es zudem eine integrierte Planung von               Feuerung mit Biomasse ergibt nur dann Sinn, wenn das
     Erdgas-, H2- und CO2-Netzen in Abstimmung der Gas-               CO2 anschließend auch transportiert werden kann, etwa
     und Stromnetzbetreiber. Außerdem können auf diese                zu einer geologischen Speicherstätte oder zur Nutzung
     Weise Planung, Genehmigung und Bau der Leitungen                 in einem Kohlenstoffkreislauf.
     zusammengelegt und so zeitlich gestrafft werden.
                                                                      Um ein solches CO2-Transportnetzwerk zu errichten,
     Grundsätzlich muss für den Zeitraum, in dem noch                 muss die Förderfähigkeit von CO2-Netzen gewährleis-
     keine flächendeckende Wasserstoffinfrastruktur besteht,          tet sein und der rechtliche Rahmen für CCUS insge-
     für Industrien mit bereits heute essenziellem Wasser-            samt reformiert werden.
     stoffbedarf auch der Aufbau standort- bzw. verbrauchs-
     naher Wasserstoffproduktion ermöglicht werden. Ohne
     einen entsprechenden regulatorischen Rahmen sind

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Position | Klimapolitik | Energie, Industrie, Verkehr, Gebäude   Klimaneutralität 2045 in Deutschland
Handlungsempfehlungen zur Studie Klimapfade 2.0

Aus- und Umbau der Fernwärme vorantreiben                        um 70 Prozent. Dieser Aufschwung ist ohne eine erheb-
                                                                 liche Steigerung der Kapazitäten des Schienennetzes
Im Gebäudesektor leisten Wärmenetze insbesondere für             nicht möglich. Hierfür erforderlich sind erstens deutlich
die Wärmewende in urbanen Gebieten einen wichtigen               erhöhte Investitionen und zweitens aufgrund des hohen
Beitrag zur Dekarbonisierung. Im Industriesektor fin-            Zeitbedarfs für Planungs- und Genehmigungsverfahren:
det Fernwärme besonders im Mitteltemperatur-Bereich              rasches Handeln. Das Netz muss sowohl für die Ansprü-
Anwendung. Der Aus- und Umbau der Fernwärmenetze                 che des Personen- als auch des Güterverkehrs ausge-
muss in einem Infrastrukturprogramm vorangetrieben               baut und durch ETCS-Technik und Digitale-Stellwerke
werden. Dies gilt in besonderer Weise für den urba-              modernisiert werden. Maßnahmen des Substanzerhalts
nen Bereich. Die politischen Rahmenbedingungen für               sollten operativ so ausgestaltet werden, dass Ausfälle
den Ausbau von Wärmenetzen, der Kraft-Wärme-Kopp-                und baustellenbedingte Einschränkungen minimal aus-
lung (KWK) sowie die Nutzung von erneuerbaren Ener-              fallen. Genehmigungsverfahren sind zu beschleunigen,
gien in Wärmenetzen müssen weiter verbessert werden.             etwa durch die Anwendung von Maßnahmengesetzen
Dabei gilt es, die benötigte Planungssicherheit für die          und die Modernisierung des europäischen Rechtsrah-
Unternehmen zu gewährleisten.                                    mens im Umweltrecht. Die erhöhten Mittel für Inves-
                                                                 titionen und die Reduktion der Betriebskosten durch
Mehr Tempo beim Schienenausbau                                   eine Trassen- und Anlagenpreisförderung sowie eine
                                                                 Reduktion bestehender Mehrfachbelastung der Schiene
Für den Klimapfad 2045 muss die Schiene ihre Ver-                bei Steuern und Abgaben auf Energie können die stär-
kehrsleistung extrem steigern: Gegenüber 2019 im Per-            kere Nutzung des Verkehrsträgers Schiene anreizen.
sonenverkehr um 50 Prozent; im Güterverkehr sogar

                                                                                                                             15
Position | Klimapolitik | Energie, Industrie, Verkehr, Gebäude   Klimaneutralität 2045 in Deutschland
     Handlungsempfehlungen zur Studie Klimapfade 2.0

     CO2-Bepreisung: zentrales Instrument,                            Klimaschutzinstrument werden. Je früher perspektivisch
     aber allein nicht ausreichend                                    ein gemeinsamer CO2-Preis – zumindest eine Konver-
                                                                      genz der Bepreisung – erreicht werden kann, desto effek-
     Langfristig sind die Bundesregierung, die EU-Kom-                tiver können Emissionen reduziert werden. Dabei ist
     mission und die Mitgliedstaaten aufgerufen, sich auf             unerheblich, welches konkrete Instrument ein Staat zur
     der Ebene der Vereinten Nationen und der G20 für                 Bepreisung anwendet. Denkbar sind eine CO2-Steuer
     einen globalen CO2-Preis, mindestens für die Einfüh-             oder CO2-Abgabe sowie ein Emissionshandel.
     rung und Verlinkung von nationalen CO2-Bepreisungs-
     systemen einzusetzen. In diesem Zusammenhang muss                Wichtig ist, dass der Anwendungsbereich der Instru-
     auch daran gearbeitet werden, die auf nationaler und             mente gemeinsam definiert wird und, dass der CO2-Preis
     EU-Ebene eingeführten regulatorischen Instrumente                auf die gesamten im Anwendungsbereich anfallenden
     zu verbreitern und zu harmonisieren. Gleiches gilt für           Emissionen wirkt. Gleichzeitig müssen Kompensati-
     ein transparentes, global akzeptiertes CO2-Nachverfol-           ons- und Ausnahmeregelungen für Staaten mit höhe-
     gungssystem (Tracking) auf Produktebene, ohne das                ren CO2-Preisen möglich bleiben. Nur so kann sicher-
     es letztlich nicht gehen wird. International gültige (=          gestellt werden, dass Industrien in Staaten mit höheren
     mit anderen Ländern gemeinsam erarbeitete und ange-              Klimaschutzambitionen nicht benachteiligt werden.
     wandte) Definitionen und Produktstandards für grünen
     Stahl, grüne Chemie, grünen Zement, grüne Kraftstoffe,           Im EU ETS sind die CO2-Preise inzwischen deutlich (auf
     Recyclingvolumina etc. sind ein weiteres Feld, das der           etwa 60 € pro Zertifikat) gestiegen. Dieser Anstieg hat
     raschen Bearbeitung bedarf.                                      das Carbon Leakage-Risiko deutlich erhöht und macht
                                                                      Maßnahmen zur Minderung dieses Risikos erforderlich.
     Faire CO2 -Bepreisung für ein Level                              Steigen die Preise im EU ETS noch weiter oder kom-
     Playing Field                                                    men in den nächsten Jahren noch Abgaben auf weitere
                                                                      lokal/regional nicht gebundene Aktivitäten hinzu, steigt
     Der BDI setzt sich für faire Wettbewerbsbedingungen              die Gefahr des Carbon Leakage noch einmal erheb-
     für die deutsche Industrie im internationalen Umfeld             lich. Das Carbon Leakage-Risiko wird deutlich höher,
     ein. Die deutsche Industrie trägt bereits jetzt mit Innova-      da CO2-emissionsintensive Sektoren in der EU unter
     tionen zur Erreichung der Klimaneutralität bei und sie           immer stärkeren Wettbewerbsdruck geraten, sodass hier
     ist entschlossen, weitere wesentliche Beiträge zu leisten.       negative Effekte für die Unternehmen und ihre Beschäf-
     Dafür braucht es entsprechende politische Rahmenbe-              tigten zu befürchten sind.
     dingungen, um Innovationen und Investitionen zu för-
     dern. Eine entscheidende Rahmenbedingung stellt eine             Effektiver Carbon Leakage Schutz ist unab-
     effektive CO2-Bepreisung dar, damit die sich transfor-           dingbar – sind Klimaklubs die Lösung?
     mierende Industrie im globalen Umfeld bestehen kann.
                                                                      Länder, die eine ähnliche Position zur Bepreisung von
     Der BDI setzt sich für eine möglichst globale Bepreisung         Treibhausgasemissionen haben, einigen sich auf einen
     von CO2 ein, damit das Klima weltweit effektiv geschützt         gemeinsamen Emissionspreis und bilden einen „Klub“.
     werden kann. Ergebnis der Vorgängerstudie war und                Andere Länder können sich diesem Klub anschließen,
     ist, dass dafür eine anspruchsvolle globale CO2-Beprei-          wenn sie den vereinbarten CO2-Preis anwenden. Die
     sung notwendig ist. Hierzu bedarf es verstärkter politi-         Mitglieder können Waren und Dienstleistungen unter-
     scher Initiative zur Stärkung internationaler Koopera-           einander frei austauschen. Nichtmitglieder des Klubs
     tionen, bspw. in Form von Klimaklubs. Als Maßgabe für            können mit ihm nur Handel treiben, wenn sie einen
     internationale Zusammenarbeit muss gelten: Koopera-              Zoll oder einen Grenzausgleich entrichten. Der CO2-
     tion statt Konfrontation. Der Wirtschaft kommt dabei             Grenzausgleich könnte unter Umständen also als eine
     die wichtige Rolle zu, bei den eigenen Regierungen               Art Zwischenlösung fungieren, bis der Klimaklub aus-
     und internationalen Partnern für grenzüberschreitende            reichend Mitglieder hat. Der von der EU-Kommission
     Zusammenarbeit bei der Bepreisung von CO2 zu wer-                vorgelegte Vorschlag für einen CO2-Grenzausgleich
     ben. Diese kann, wenn sie global erfolgt, das zentrale           ist noch ziemlich vage. Bevor das Instrument erprobt

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Position | Klimapolitik | Energie, Industrie, Verkehr, Gebäude   Klimaneutralität 2045 in Deutschland
Handlungsempfehlungen zur Studie Klimapfade 2.0

werden kann, sollte die Kommission ihre Überlegungen             Abschmelzen der Freizuteilung unterlaufen werden.
präzisieren und ggf. weiterentwickeln. Sollte tatsächlich        Das Instrument der freien Zuteilung ist investitionsför-
ein Grenzausgleich eingeführt werden, ist insbesondere           dernd und muss durch andere Instrumente unterstützt
eine Lösung für die Neutralisierung des damit zwangs-            werden (Transformationsfonds, CCfDs). Für kleinere
läufig verbundenen Exportpreisanstiegs unabdingbar.              Industrieanlagen, die nicht am EU ETS teilnehmen, sind
                                                                 vergleichbare Rahmenbedingungen inkl. Carbon Lea-
Die Tatsache, dass sich die Politik mit Klimaklubs               kage-Schutz zu schaffen.
befasst, bestätigt erneut, dass die unterschiedlichen
Klimaambitionen der großen Emittenten ein gefähr-                CO2 -Bepreisung für einen Umstieg auf treib-
liches Problem für die Wettbewerbsfähigkeit der deut-            hausgasneutrale Alternativen
schen und europäischen Industrie sind. Mit Problembe-
schreibungen und schwammigen Absichtserklärungen                 Die Transformationsaufgabe im Verkehrssektor kann
ist dieses Kernproblem nicht lösbar. Gefragt sind sehr           ohne eine CO2-Bepreisung des Straßenverkehrs nicht
schnelle, sehr konkrete Schritte und belastbare Ver-             gelingen. Gleichzeitig ist ein CO2-Preis aber auch kein
einbarungen, um effektiv Carbon Leakage zu verhin-               Allheilmittel. Für einen beschleunigten Markthoch-
dern. Angesichts der erheblichen Unterschiede bei den            lauf braucht es immer auch sektorspezifische Anreize
weltweit bestehenden CO2-Bepreisungsystemen und                  und Instrumente wie beispielsweise Kaufprämien oder
-ambitionen bräuchte es klare Anreize, einem Klima-              Quoten für alternative Kraftstoffe. In der europäischen
klub beizutreten und wirklich gleichartige CO2-Beprei-           Ausgestaltung gilt es, die im Rahmen des Fit-for-55-Pa-
sungssysteme. Dazu zählt eine strikte Anwendung der              kets geplante Einführung eines “neuen ETS” für Straße
Carbon-Leakage-Schutzmaßnahmen gegenüber Mit-                    und Gebäude, der separate Systeme für die zwei Sekto-
gliedern außerhalb des Klubs. Gleichzeitig müssen                ren enthalten sollte, mit den geplanten Revisionen des
solche Schutzmaßnahmen auch innerhalb des Klima-                 Effort Sharings und der Energiesteuer-Richtlinie aufei-
klubs zur Anwendung kommen, solange zwischen den                 nander abzustimmen und wettbewerbsneutral auszu-
Bündnispartnern kein Level Playing Field geschaffen              richten. Zusätzlich bedarf es einer Flankierung über
wurde. Für die Unternehmen ist die mit jeder Zielver-            die technologieoffene Ausgestaltung u. a. der ebenfalls
schärfung wachsende Kluft zu den Ambitionen unse-                geplanten Revisionen der CO2-Flottenregulierung und
rer Wettbewerber schon heute ein täglich drängender              der RED II. Die Autorinnen und Autoren der Studie
werdendes Problem.                                               gehen davon aus, dass – auch wenn es der Europäi-
                                                                 schen Union im Rahmen des Fit-for-55-Paketes gelänge,
Zum Schutz der Industrie sollte daher das aktuelle Sys-          das bisherige nationale Emissionshandelssystem für den
tem der freien Zuteilungen von Zertifikaten sowie der            Straßenverkehr (BEHG) auf europäischer Ebene zu eta-
Strompreiskompensation fortgeführt werden, bis eine              blieren – die europäischen CO2-Preise nicht die bisher
wirklich wirksame Alternative für effektiven Carbon              angesetzten nationalen CO2-Preise des BEHG erreichen
Leakage-Schutz verfügbar ist. Dabei spielt die ausrei-           würden. Die Höhe der CO2-Bepreisung ist allerdings für
chende Höhe der Freizuteilung eine entscheidende                 die Größe der Transformationsaufgabe wesentlich. Für
Rolle. Die Vorschläge der EU-Kommission im Rah-                  diesen Fall schlagen die Autorinnen und Autoren der
men des Fit-for-55-Pakets berücksichtigen nicht, dass die        Studie vor, für den Straßenverkehr in Deutschland eine
drastische Reduktion der freien Zuteilungen im EU-ETS            zusätzliche CO2-Komponente über die Energiesteuer zu
die Investitionskraft und Investitionsmöglichkeiten ins-         ergänzen. Die juristische Machbarkeit ist jedoch noch
besondere der energieintensiven Industrie deutlich ein-          zu überprüfen. In jedem Fall müssen die entsprechen-
schränkt. Die Dekarbonisierung braucht massive Inves-            den Vorschläge der EU-Kommission zur Novellierung
titionen und daher in jedem Falle eine ausreichende              der EU-Energiesteuerrichtlinie mit dem gesamten Fit-
freie Zuteilung. Investitionen müssen sich lohnen. Pro-          for-55-Paket schnell umgesetzt werden. Eine Verschmel-
jekte/Investitionen, die nachweislich CO2 senken, müs-           zung der dann noch separaten Emissionshandelssys-
sen im Rahmen der Freizuteilung besonders berück-                teme für Gebäude und Verkehr mit dem bisherigen für
sichtigt werden. Geschäftsmodelle und Investitionskraft          Industrie und Luftverkehr sollte Ende der 20er-Jahre
der Unternehmen dürfen nicht durch ein zu schnelles              geprüft werden.

                                                                                                                            17
Position | Klimapolitik | Energie, Industrie, Verkehr, Gebäude   Klimaneutralität 2045 in Deutschland
     Handlungsempfehlungen zur Studie Klimapfade 2.0

     Wechsel zu Strom anreizen                                        wirtschaftlich machbar gestaltet werden. Dazu schlägt
                                                                      die vorliegende Studie eine Reihe von Instrumenten
     Gegenwärtig basieren verschiedenste Produktions- und             vor, die in diesen Handlungsempfehlungen näher kom-
     Wärmeprozesse in der Industrie, aber auch im Gebäude-            mentiert werden. Voraussetzung für die Umstellung vie-
     bereich auf Erdgas. Hier gilt es die entsprechenden Rah-         ler Prozesse und Anwendungen ist, dass das Angebot
     menbedingungen zu schaffen, sodass der Wechsel auf               erneuerbaren Stroms in entsprechendem Umfang zur
     Strom (und die damit einhergehende Elektrifizierung              Verfügung steht.
     der Wärmeprozesse) für Unternehmen wirtschaftlich
     gestaltet werden kann. Zur Erreichung der zugrundelie-           Die EEG-Umlage abschaffen und Netzentgelte
     genden Klimaschutzziele ist nach der vorliegenden Stu-           kofinanzieren
     die eine umfassende Elektrifizierung unterschiedlichster
     Prozesse notwendig. Dazu zählen insbesondere indust-             Unter anderem werden Entlastungen und Umlagenbe-
     rielle Wärmeprozesse (Power-to-heat), neue, auf Elekt-           freiungen für Power-to-Heat bzw. Elektrifizierung in der
     rifizierung beruhende Produktionsverfahren, die Wär-             Industrie und Wärmepumpen für Gebäude vorgeschla-
     meversorgung von Gebäuden und Elektrifizierung von               gen. Eine Abschaffung der EEG-Umlage, was Strom
     Mobilitätsanwendungen. Neben der direkten Umstel-                für alle Anwendungen vergünstigen würde, wird eben-
     lung auf Strom gehen auch weitere Dekarbonisierungs-             falls diskutiert. Der BDI spricht sich für eine vollstän-
     technologien mit einem höheren Strombedarf einher.               dige Abschaffung der EEG-Umlage aus, da dies sowohl,
                                                                      wie in der Studie dargestellt, als Instrument für sozia-
     Bis 2030 wird im Zielpfad mit einem zusätzlichen                 len Ausgleich fungiert als auch über die breite Vergüns-
     Strombedarf allein durch Power-to-Heat von 63 TWh                tigung von Strom die Elektrifizierung und den Wechsel
     gerechnet, was dem gesamten Strombedarf eines Lan-               zu Strom im Rahmen der Dekarbonisierung insgesamt
     des wie der Schweiz oder der Tschechischen Republik              anreizt. Insbesondere im Fall von nachhaltigen beihilfe-
     entspricht. Aktuell ist der Wechsel von Erdgas zu Strom          rechtlichen Bedenken der in der Studie vorgeschlagenen
     durch Power-to-Heat für viele Unternehmen nicht wirt-            Entlastungstatbestände für bestimmte Anwendungen,
     schaftlich darstellbar. Um auf den Weg zur Klimaneutra-          ist die pauschale Abschaffung der EEG-Umlage zwin-
     lität zu kommen, muss für Unternehmen dieser Wechsel             gend erforderlich. Eine solche Abschaffung hätte als

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Position | Klimapolitik | Energie, Industrie, Verkehr, Gebäude   Klimaneutralität 2045 in Deutschland
Handlungsempfehlungen zur Studie Klimapfade 2.0

weiteren positiven Nebeneffekt einen enormen Büro-               größtmöglichen Beitrag zum Klimaschutz leistet. Dies
kratieabbau in Unternehmen und Verwaltung zur Folge.             ist vor allem in industriellen Wärmeprozessen der Fall
                                                                 und in der Fernwärme. Dabei sollte der langfristige
Eine sehr breite Entlastungswirkung für Unternehmen              Einsatz von negativen Emissionen in Form von Bio-
und private Haushalte geht von einer staatlichen Ko-             energy with Carbon Capture and Storage (BECCS) mit
Finanzierung der Strom-Übertragungsnetzentgelte aus,             bedacht werden. Dafür sollte Biomasse von den derzei-
wie sie im EnWG bereits angelegt ist. Der BDI fordert,           tigen Anwendungen in die Industrie und Fernwärme
diese Entlastung nun rasch umzusetzen, da die Netz-              umgeleitet werden. Auch die sogenannte Kaskadennut-
entgelte der am schnellsten steigende Teil der Strom-            zung von Biomasse sollte bei der Entwicklung einer
preise sein werden und eine Entlastung bei vielen Nut-           integrierten Strategie berücksichtigt werden.
zerinnen und Nutzern die Anreize verstärken würde,
Strom statt fossiler Energien zu nutzen.                         Eine Biomassestrategie muss dabei europäisch koor-
                                                                 diniert werden, denn Biomasse wie auch andere Rest-
Eine nationale Biomassestrategie                                 und Abfallstoffe, sind ein handelbares Gut. Bereits heute
entwerfen                                                        werden erhebliche Biomassemengen aus Deutschland
                                                                 exportiert, da die daraus hergestellten Produkte in ande-
Nachhaltige Biomasse ist eine nur begrenzt verfüg-               ren europäischen Ländern auf die Ziele im Verkehrssek-
bare Ressource. Deutschland braucht daher eine Bio-              tor angerechnet werden, in Deutschland jedoch nicht.
massestrategie zur nachhaltigen Erzeugung und zum                Hier muss ein einheitlicher Rechtsrahmen geschaffen
gezielten und priorisierten Einsatz dort, wo sie den             werden, auch um unnötige Warenströme zu vermeiden.

                                                                                                                             19
Was in den einzelnen Sektoren jetzt getan
     werden muss
     Die Erreichung der nationalen Klimaziele ist sehr ambitioniert und kom-
     plex, denn sie erfordert eine große Zahl von Investitionsentscheidungen
     innerhalb kürzester Zeit. Um jeden Einzelnen in die Lage zu versetzen,
     diese Entscheidungen zu treffen, braucht es einen breiten Mix politischer
     Instrumente. Dieser Mix muss neben sektorübergreifenden auch sektor-
     spezifische Instrumente umfassen, die im Folgenden begründet und skiz-
     ziert werden.

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                               03
Position | Klimapolitik | Energie, Industrie, Verkehr, Gebäude   Industrie
Handlungsempfehlungen zur Studie Klimapfade 2.0

Industrie

  -65 % Minderung der Emissionen (2019 – 2030)
  € 50 Mrd. Mehrinvestitionen (bis 2030)
      € 11 Mrd. jährliche Mehrkosten (in 2030)

      4×absolute THG-Reduktion (von 2019 bis 2030 ggü. letzten 20 Jahren)

 &     +63 TWh Strom für Power-to-heat (2019 – 2030)

Die deutsche Grundstoffindustrie steht vor einer extre-          Erdgas messen lassen, um einen Wechsel ökonomisch
men Herausforderung: Große Reinvestitionen stehen                zu ermöglichen. Voraussetzung für CO2-Minderungen
an und Emissionen müssen schon bis 2030 sehr deut-               durch mehr Recycling ist die ausreichende Verfügbar-
lich und bis 2045 auf nahe Null sinken. Erhebliche CO2-          keit von Sekundärrohstoffen (z. B. von Schrotten) zu
Mengen können durch Technologiewechsel eingespart                international wettbewerbsfähigen Preisen.
werden. Konkrete Projekte für milliardenschwere Kli-
maschutzinvestitionen liegen in einigen Branchen                 CO2 -neutraler Wasserstoff spielt eine heraus-
vor und sind entscheidungsreif. Jetzt muss der politi-           ragende Rolle
sche Rahmen für diese Projekte bereitgestellt werden,
damit der Wechsel in der zweiten Hälfte der Zwan-                Einige der notwendigen Technologien für eine klima-
zigerjahre gelingt und die Klimaziele 2030 erreicht              neutrale Industrie stehen heute schon zur Verfügung
werden können.                                                   oder sind kurz vor der Marktreife (z. B. die Direktre-
                                                                 duktion von Eisenerz mittels Wasserstoff). Dabei spielt
Signifikante Teile der existierenden Produktionskapa-            CO2-neutraler Wasserstoff eine herausragende Rolle, in
zitäten in einigen energieintensiven Industrien müs-             der Stahl- und der Chemieindustrie sowie partiell auch
sen bis 2030 grundlegend modernisiert werden. Diese              in anderen Industriebranchen. Die Produktion von kli-
Investitionen gilt es klimaneutral anzulegen. Eine Kern-         mafreundlichem Wasserstoff an industriellen Standor-
herausforderung für die Industrie besteht darin, nicht           ten muss – unabhängig von der Menge erneuerbarer
nur notwendige Investitionen stemmen, sondern vor                Stromerzeugung in der Umgebung – ermöglicht wer-
allem mittelfristig deutlich höhere Betriebskosten für           den, insbesondere solange keine H2-Infrastruktur zur
die CO2-armen Produktionsverfahren und CO2-freie                 Verfügung steht. Vor allem in der Chemieindustrie, aber
Energieträger finanzieren zu müssen. Um einen Ein-               auch in der heutigen Mineralölindustrie, stellt außer-
stieg in den Wechsel bspw. der Stahlproduktion auf               dem das Schließen von Stoffkreisläufen (Circular Eco-
Basis von Kohle und Koks auf Wasserstoff und von                 nomy), auch von Kohlenstoffkreisläufen, eine zentrale
Erdgas und Naphtha (“Rohbenzin”) als dominieren-                 Strategie dar. In der Zement- und Kalkindustrie sind
dem Energieträger bzw. Feedstock der Industrie hin               v. a. neue, CO2-effiziente Produkte und Herstellungs-
zu Erneuerbarem Strom, CO2-neutralem Wasserstoff                 prozesse sowie die Abscheidung der unvermeidbaren
und Biomasse zu ermöglichen, müssen diese zunächst               Prozessemissionen Schlüsseltechnologien. Die Indust-
überhaupt in ausreichendem Umfang den Unternehmen                rie braucht jetzt neue politische Rahmenbedingungen
vor Ort zugänglich gemacht werden. Denn ohne ausrei-             für diese anstehende große Reinvestitionsphase.
chende Infrastruktur für die Absicherung einer physi-
schen Verfügbarkeit insbesondere von Wasserstoff für
die technischen Alternativen bleiben Preis- und Förder-
elemente wirkungslos. Dort, wo eine Umstellung von
Hochtemperaturprozessen mangels Technologie oder
Wasserstoffinfrastruktur nicht möglich ist, muss für den
Übergang ein Betrieb auf Erdgasbasis möglich bleiben.
Ist der Zugang gesichert, müssen sich die Kosten der
CO2-freien alternativen Brennstoffe und Prozesse, an
denen der bestehenden Produktionsverfahren und von

                                                                                                                           21
Position | Klimapolitik | Energie, Industrie, Verkehr, Gebäude           Industrie
     Handlungsempfehlungen zur Studie Klimapfade 2.0

     Industrie: 11 Mrd. € Regulierungslücke zum 2030-Klimaschutzziel
     Mehrkosten der Klimaschutzmaßnahmen in der Industrie in 2030
     Mrd. €, real 2019

                                WIRKUNG DER INSTRUMENTE IM REFERENZPFAD, Z. B.:
                                H BEHG-Preis von 80 €/t CO²ä in 2030

                                H   ETS-Preis von 90 €/t CO²ä in 2030 (für über kostenlose Zuteilungen hinausgehende Emissionen)

                                                                                                        BEHG
Position | Klimapolitik | Energie, Industrie, Verkehr, Gebäude             Industrie
Handlungsempfehlungen zur Studie Klimapfade 2.0

Power-to-Heat: Schließung Kostenlücke durch Strompreisentlastung und CCfD
Energieträgerkosten im BEHG ohne Entlastungen in 2030
€/MWh, real 2019; Zielpfad

                                                                  MAXIMALER
                     ERDGAS                      POWER-TO HEAT ENTLASTUNGSSATZ                               CCfD                STROM

                                                         169

     Erhöhung BEHG auf
     80 – 180 €/T CO²ä
                                   42 – 59                                          -106                                         42 – 59
                                                                                                              -22
          33
                                                CO -Preis Erdgas                                           CO -Preis Erdgas
                                                  ²                                                          ²

          2020                       2030                                                                                           2030

          Mit BEHG-Preisen von 80 – 180 €/t      Bei Durchschnittspreis    Entlastung EEG-Umlage,      Senkung Strompreis     Mehrbelastung von
                CO ä (nominal) in 2030                industrieller       Stromsteuer, Netzentgelte,   durch Ausschreibung     ~ 9 €/MWh ggü.
                  ²
                                                     Großabnehmer         netzentgeltliche Umlagen     Klimaschutzverträge    Erdgaspreis 2020

Anmerkung: Annahmen: Energieträgerkosten – Erdgas bei 38 €/MWh mit ETS-Preis von 90 €/t CO2ä (nominal), Erdgas bei 42-59 €/MWh
mit BEHG-Preis von 80 – 180 €/t CO2ä (nominal), Strom bei 69 – 167 €/MWh je nach Verbrauchsmenge und Entlastungsregelungen
Quelle: BCG-Analyse

Industrien brauchen Unterstützung                                          Als konkrete Entlastung sollte zügig die Sicherstellung
                                                                           international wettbewerbsfähiger Energiekosten ange-
Umfangreiche staatliche Unterstützung ist nötig, wenn                      gangen werden. Hierzu zählen die vollumfängliche
die politisch gewünschte (bzw. „staatlich verordnete“)                     Beibehaltung bestehender Entlastungsregelungen für
Verkürzung des Zeitraums für die Einführung der neuen                      die Industrie sowie auch eine Reduzierung perspekti-
Produktionsverfahren gelingen soll. Die Umsetzung ist                      visch steigender Kosten vor allem bei den Stromnetz-
politisch und regulatorisch hochkomplex. Einfache Ant-                     entgelten. Die im Zuge des Kohleausstiegs veranker-
worten gibt es nicht. Es braucht einen breiten Instru-                     ten Netzentgeltentlastungen durch staatliche Zuschüsse
mentenmix mit sektorspezifischen Maßnahmen, der                            sollten umgesetzt werden (§ 24a Absatz 2 EnWG),
Investitionen in erneuerbare Technologien und die                          denn sie sind ein wichtiger Beitrag für die Entlastung
Nutzung dieser deutlich günstiger macht als sie heute                      der Industrien und reizen den Wechsel zu Strom an.
sind. Entscheidend wird sein, die Rahmenbedingungen                        Zudem braucht es eine Nachfolgeregelung für den Ende
so zu gestalten, dass sich die aus volkswirtschaftlicher                   2022 auslaufenden Energiesteuerspitzenausgleich, die
Sicht geforderten enormen Investitionen für den ein-                       auch künftig international wettbewerbsfähige Strom-
zelnen Investor (d. h. vor allem für Bürgerinnen und                       preise für Industrie sicherstellt. Umzusetzen ist auch
Bürger und Unternehmen) auch betriebswirtschaft-                           das in § 55 des KVBG angelegte Ausgleichsinstrument
lich rechnen. Der Infrastrukturaus- und -umbau muss                        für energieintensive Unternehmen.
zügig durchgesetzt werden, denn für Nullemissionen
in 2045 müssen bereits heute die entscheidenden Wei-
chen richtig gestellt werden.

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