BA 2020 BRINGT WEITER - Fachkräfte für Deutschland - Bundesagentur für Arbeit
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SCHWERPUNKTHEFT FACHKRÄFTE FÜR DEUTSCHLAND FACHKRÄFTE FÜR DEUTSCHLAND. DURCH GEMEINSAMES HANDELN VIEL ERREICHT Mit dem Positionspapier „Perspektive 2025 – Fachkräfte für Deutschland“ hatte die Bundesagentur für Arbeit im Jahr 2011 erstmals eine umfassende Analyse der Fachkräftesituation in Deutschland vorgelegt. Zentrale Frage dabei war: Wie kann es gelingen, einen absehbaren Fachkräftemangel abzuwenden, um Wachstum und Wohlstand zu erhalten? In zehn Handlungsfeldern haben wir wichtige Hebel benannt, durch die das Fachkräftepotenzial in Deutschland erhöht werden kann. Zudem wurde Transparenz über Verantwortlichkeiten in diesen Handlungsfeldern geschaffen. Fünf Jahre später ist unsere Bilanz positiv. Auf unsere Analyse folgten ein konstruktiver Dialog mit unseren Partnerinnen und Partnern am Arbeitsmarkt und intensive gemeinsame Arbeit auf allen Ebenen. Das Thema Fachkräftesicherung ist auf der politischen Agenda angekommen. Es wurde eine Reihe von Initia tiven ins Leben gerufen, etwa der Demografiegipfel der Bundesregierung oder die Partnerschaft für Fachkräfte, in der sich neben Sozialpartnern und Bundesministerien auch die Bundesagentur für Arbeit engagiert. In vielen der aufgezeigten Handlungsfelder ist es gelungen, einen Teil der Potenziale zu heben. Beson ders große Fortschritte wurden bei der Steigerung der Erwerbsbeteiligung von Frauen und älteren Men schen erzielt. Und auch die Zahl der Geringqualifizierten konnte deutlich gesenkt werden. Hierbei haben die Arbeitsmarktakteure Impulse gesetzt. Daneben machte sich auch die Zunahme der Nettoeinwande rung am Arbeitsmarkt bemerkbar. Zusammengenommen führen diese Entwicklungen dazu, dass der Rückgang des Erwerbspersonen potenzials nicht so dramatisch ausfallen wird, wie noch vor wenigen Jahren befürchtet. Wir wissen aber heute auch, dass Megatrends wie Digitalisierung und Globalisierung den Bedarf an hochqualifizierten Fachkräften weiter deutlich steigern werden, wenn Deutschland im internationalen Wettbewerb bestehen will. Der drohende Fachkräftemangel ist noch nicht abgewendet. Es geht nun darum, das Erreichte zu festigen und weitere Möglichkeiten zur Fachkräftesicherung auszuschöpfen. 2
ZWISCHENBILANZ UND FORTSCHREIBUNG Eine besondere Chance stellt dabei die große Zahl der Menschen dar, die derzeit als Flüchtlinge in unser Land kommen. Die meisten sind jung und hochmotiviert. Auch wenn viele von ihnen nicht über eine formale berufsfachliche Qualifikation verfügen, kann ihre Integration in den Arbeitsmarkt über die Ver mittlung von Sprachkenntnissen und Qualifikationen gelingen. Mit der vorliegenden Broschüre wollen wir eine Zwischenbilanz über das bereits Erreichte ziehen und einen Ausblick auf bislang unbewältigte Herausforderungen geben. Wir beschreiben dafür beispielhaft Wege und Maßnahmen, mit denen es gelingen kann, die Fachkräftebasis Deutschlands in den nächsten Jahrzehnten besser zu sichern, damit künftig noch mehr Menschen einer qualifizierten, existenzsichernden Beschäftigung nachgehen. Hierzu weiten wir den Horizont unserer Analyse bis zum Jahr 2030 aus und schreiben die Handlungsfelder entsprechend fort. Ausgehend von „Perspektive 2025“ haben wir uns seit dem Jahr 2012 im Rahmen unseres Programms „BA 2020 – Antworten der Bundesagentur für Arbeit auf Fragen der Zukunft“ mit unserer eigenen Entwick lung vor dem Hintergrund des Megatrends Demografie befasst. Das Thema Fachkräftesicherung ist da bei von zentraler Bedeutung. Mit der Fortschreibung von „Perspektive 2025 – Fachkräfte für Deutschland“ betten wir die Fachkräftesicherung in unser Entwicklungsprogramm ein. So schaffen wir eine noch höhere Aufmerksamkeit in unserer Organisation für das Thema und konzentrieren unsere Ressourcen entsprechend. Unsere Partner am Arbeitsmarkt laden wir ein, den Dialog und die gemeinsame Arbeit fortzusetzen. Alle Akteure müssen jeweils für sie passende Konzepte entwickeln, die ineinandergreifen und das gemeinsa me Ziel verfolgen. Die bisherigen Ergebnisse machen uns zuversichtlich, dass dies gelingen kann. Ihre Detlef Scheele Frank-J. Weise Raimund Becker Vorstand Arbeitsmarkt Vorsitzender des Vorstands Vorstand Regionen 3
SCHWERPUNKTHEFT FACHKRÄFTE FÜR DEUTSCHLAND WO WIR BEI DER FACHKRÄFTESICHERUNG STEHEN Die deutsche Wirtschaft ist nach der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise stabil, der Arbeitsmarkt entwickelt sich positiv. Es entstehen immer mehr Beschäftigungsmöglichkeiten, die Arbeitslosigkeit sinkt stetig. Noch nie seit der Wiedervereinigung gab es so viele Beschäftigte und so wenige Arbeitslose in Deutschland wie im Herbst 2015. Gleichzeitig bleibt das weltwirtschaftliche Umfeld instabil, und die Auswirkungen des demografischen Wandels verschärfen sich. Von der guten Arbeitsmarktentwicklung im Inland profitieren noch nicht alle gesellschaftlichen Gruppen. Die Entwicklung der Flüchtlingszahlen und ihre genauen Folgen für den Arbeitsmarkt sind ungewiss. In Verbindung mit der weiter fortschreitenden Globalisierung und Digitalisie rung wird der Bedarf an Fachkräften auf einem hohen Niveau bleiben und in bestimmten Branchen und Regionen deutlich zunehmen1. Grafik 1 UNTER AKTUELLEN ANNAHMEN WIRD SICH DAS ERWERBSPERSONENPOTENZIAL BIS 2030 UM RUND 3,6 MILLIONEN PERSONEN VERRINGERN 45,8 45,1 43,8 42,2 –3,6 2015 2020 2025 2030 Erwerbspersonenpotenzial in Mio. ANNAHMEN: Wanderungssaldo 200.000 jährlich, steigende Erwerbsquoten von Frauen und Älteren QUELLE: IAB, Basisjahr 2014 1 vgl. Megatrends, „BA 2020“, S. 13 6
ZWISCHENBILANZ UND FORTSCHREIBUNG Das Erwerbspersonenpotenzial wird auch nach aktualisierten Prognosen weiter zurückgehen, allerdings nicht ganz so stark, wie im Jahr 2010 angenommen. Wesentlich hierfür ist, dass in den vergangenen Jahren mehr Migrantinnen und Migranten nach Deutschland gekommen sind als in den Jahren zuvor und dass die Erwerbsbeteiligung von Frauen und älteren Menschen kontinuierlich steigt. Eine Fortschreibung aktueller Trends lässt nach Prognosen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsfor schung (IAB) einen Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials um etwa 3,6 Millionen Arbeitskräfte bis zum Jahr 2030 erwarten. Dabei werden eine jährliche Nettomigration von 200.000 Personen und eine weiterhin moderat steigende Erwerbsquote von Frauen und älteren Menschen angenommen. Daneben liegen Szenariorechnungen anderer Institute und Unternehmen zur potenziellen Arbeitskräftelücke im Jahr 2030 vor, die in eine ähnliche Richtung weisen. Der Trend zur Digitalisierung wird sich verstärken und insbesondere – aber nicht nur – in der IT-Branche zusätzliche Dynamik erzeugen2. Es werden neue Arbeitsformen und Kompetenzanforderungen entstehen, die sich wiederum auf regionale Arbeitskräftebedarfe auswirken. Gleichzeitig wird die Digitalisierung ins besondere in der industriellen Produktion zu beträchtlichen Produktivitätszuwächsen führen (Stichwort „Industrie 4.0“). Diese Trends könnten die demografische Entwicklung in einzelnen Bereichen teilweise auffangen. Exakt quantifizieren lässt sich dieser Effekt allerdings noch nicht. Prognosen des IAB deuten auf Beschäftigungsverluste im verarbeitenden Gewerbe bei parallelem Beschäftigungswachstum in der Dienstleistungsbranche hin3. Engpässe werden also eintreten – je nach Unternehmensgröße, Branche, Berufsfeld und Region in unterschiedlicher Ausprägung. Trotz der positiven Entwicklung der vergangenen Jahre dürfen wir daher in den Anstrengungen nicht nachlassen. WO NOCH POTENZIALE LIEGEN In „Perspektive 2025“ haben wir aufgezeigt, dass sich das Fachkräfteangebot nur durch eine Mischung verschiedener Stellhebel nachhaltig steigern lässt. Dafür wollen wir zwei Wege beschreiten: • Zum einen soll die Anzahl der qualifizierten Arbeitskräfte vergrößert werden, die dem deutschen Arbeits markt zur Verfügung stehen. Das kann gelingen, indem sowohl die Zahl qualifizierter Fachkräfte inner halb Deutschlands als auch die der qualifizierten Einwanderer nach Deutschland erhöht wird. • Zum anderen kann die von den bereits in Deutschland vorhandenen Arbeitskräften erbrachte Wert schöpfung gesteigert werden. Das wird erreicht durch ein „Mehr“ an Arbeit, also durch die Erhöhung des Arbeitszeitvolumens, durch „höherwertige“ Arbeit, d. h. durch gut ausgebildete und qualifizierte Fachkräfte, und schließlich durch ein gutes Matching (Fachkräfte mit der richtigen Qualifikation zur richtigen Zeit am richtigen Ort). Das gelingt umso besser, je transparenter der Arbeitsmarkt für alle Akteure ist. 2 vgl. „BA 2020“, Themenheft 3 „Industrie 4.0 / Arbeitswelt 4.0“ 3 vgl. „BA 2020“, Themenheft 5 „Arbeiten 4.0“ 7
SCHWERPUNKTHEFT FACHKRÄFTE FÜR DEUTSCHLAND Grafik 2 DAS FACHKRÄFTEANGEBOT LÄSST SICH NUR DURCH EINEN MIX VERSCHIEDENER HEBEL NACHHALTIG STEIGERN Erhöhen der Anzahl qualifizierter Fachkräfte innerhalb Deutschlands Erhöhen der Anzahl qualifizierter Arbeitskräfte Steuern der Einwanderung von qualifizierten Fachkräften Steigern des Fachkräfte- Erhöhen des Arbeitszeitvolumens potenzials Erhöhen der Vorantreiben der Aus- und Wertschöpfung Weiterbildung der Arbeitskräfte Erhöhen der Arbeitsmarkt- transparenz QUELLE: Eigene Darstellung Aus diesen Hebeln haben wir in „Perspektive 2025“ zehn Handlungsfelder abgeleitet, bei denen wir besonders große Potenziale für die Gewinnung von Fachkräften sehen. Diese Handlungsfelder bleiben auch weiterhin gültig. Allerdings haben wir die jeweiligen Potenziale mit einem Zeithorizont bis zum Jahr 2030 neu berechnet. Weil es zudem häufig einige Jahre dauert bis Maßnahmen wirksam werden, beginnt der Zeitraum, den wir für die Berechnung der Potenziale zugrunde legen, mit dem Jahr 2020. Wir stellen die Potenziale wieder in Spannbreiten dar. Bei der Einschätzung dessen, was möglich sein könnte, haben wir uns – wo es sinnvoll erschien – an den europäischen Spitzenreitern orientiert und eine vollständige oder teilweise Annäherung an diese ins Auge gefasst. Wo eine solche Bezugnahme nicht sinnvoll war, haben wir anhand der Entwicklungen der vergangenen Jahre und der bekannten Rahmenbedingungen Annahmen getroffen, die in der Beschreibung des jeweiligen Handlungsfelds dargestellt werden. 8
ZWISCHENBILANZ UND FORTSCHREIBUNG Grafik 3 DIE ANSTRENGUNGEN ZUR STEIGERUNG DES FACHKRÄFTEANGEBOTS KONZENTRIEREN SICH AUF ZEHN HANDLUNGSFELDER Handlungsfeld 1 Handlungsfeld 2 Handlungsfeld 3 Handlungsfeld 4 Handlungsfeld 5 Schulabgänge ohne Ausbildungs- Studienabbrüche Menschen über 551 Frauen Abschluss reduzieren abbrüche reduzieren reduzieren Erwerbsbeteiligung Erwerbsbeteiligung erhöhen erhöhen 255 – 510 Arbeitszeitvolumen 75 – 150 70 – 140 80 –160 285 – 570 Teilzeit erhöhen 445 – 890 Handlungsfeld 6 Handlungsfeld 7 Handlungsfeld 8 Handlungsfeld 9 Einwanderung von Arbeitszeitvolumen Aus- und Weiter- Arbeitsmarkttransparenz Fachkräften steuern Vollzeit erhöhen bildung vorantreiben verbessern Handlungsfeld 10 450 – 900 300 – 600 320 – 640 Steuer- und Transfersysteme weiterentwickeln Potenzial bis zum Jahr 2030 in tausend Personen/Vollzeitäquivalenten (gerundet) 1 Betrachtung der Erwerbstätigenquote 55- bis 64-Jähriger und der Erwerbstätigenquote 65- bis 70-Jähriger ANMERKUNG: Detaillierung der Berechnungen im Text; IMPLIZITE ANNAHME: Jede zusätzlich gewonnene Fachkraft aus HF 1 – 3 und HF 6 entspricht jeweils 1 Vollzeitäquivalent QUELLE: BA, eigene Berechnungen 9
SCHWERPUNKTHEFT FACHKRÄFTE FÜR DEUTSCHLAND ZEHN HANDLUNGSFELDER UND IHRE POTENZIALE IM ÜBERBLICK 1. Schulabgänge ohne Abschluss reduzieren Der Anteil der Schulabgängerinnen und Schulabgänger ohne Abschluss in Deutschland konnte im Zeit raum zwischen 2009 und 2013 um ein Fünftel auf 5,7 % gesenkt werden. Bei einer Reduktion um weitere 20 bis 40 % bis zum Jahr 2030 könnten zusätzlich etwa 75.000 bis 150.000 junge Menschen mit Schul abschluss zu Fachkräften ausgebildet werden. 2. Ausbildungsabbrüche reduzieren Jeder vierte neu abgeschlossene Ausbildungsvertrag wird vorzeitig gelöst. Dieser Anteil ist in den Jahren 2009 bis 2014 zudem um über ein Zehntel gestiegen. Durch eine Umkehr dieses Trends und eine Ver minderung der aktuellen Abbruchquote um 10 bis 20 % könnten rund 70.000 bis 140.000 Fachkräfte bis zum Jahr 2030 gewonnen werden. 3. Studienabbrüche reduzieren Fast ein Drittel aller Bachelorstudierenden in Deutschland bricht das Studium vorzeitig ab. Seit 2009 war keine Reduktion der Abbruchquote zu verzeichnen. Eine Verringerung der Abbrüche um 10 bzw. 20 % könnte bis zum Jahr 2030 ca. 80.000 bis 160.000 Fachkräfte hervorbringen. 4. Erwerbsbeteiligung von Menschen über 55 Jahren erhöhen Die Erwerbstätigenquote der 55- bis 64-Jährigen in Deutschland ist von 2009 bis 2014 deutlich gestiegen: von 56 % auf 66 %. Gleichzeitig wirkt die Einführung der Rente ab 63 diesem Trend entgegen und erfah rene Fachkräfte verlassen vorzeitig den Arbeitsmarkt. 490.000 zusätzliche Fachkräfte könnten dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, wenn Deutschland die gleiche Erwerbsbeteiligung älterer Menschen erreichen würde wie EU-Spitzenreiter Schweden. Bei einer Halbierung des Abstands zu Schweden wären es immer noch 245.000 Fachkräfte mehr. Auch die Erwerbstätigenquote der 65- bis 70-Jährigen hat sich in den letzten Jahren spürbar erhöht. Wenn sich bei dieser Personengruppe ebenfalls die Quote um weitere 10 bis 20 % steigern ließe, könnte der Arbeitsmarkt auf zusätzliche 40.000 bis 80.000 erfahrene ältere Fachkräfte zurückgreifen. 5. Erwerbsbeteiligung und Arbeitszeitvolumen von Frauen erhöhen Die Erwerbstätigenquote der Frauen in Deutschland ist in den letzten Jahren um mehr als vier Prozent punkte auf 70 % gestiegen. Ein Aufschließen zum EU-Spitzenreiter Schweden bis 2030 wäre gleichbe deutend mit 510.000 zusätzlichen Fachkräften. Eine Halbierung des Abstands zum schwedischen Niveau würde der Gewinnung von immerhin 255.000 Fachkräften entsprechen. Darüber hinaus könnte die Wochenarbeitszeit teilzeitbeschäftigter Frauen erhöht werden. Mit gut 19 Wo chenstunden liegt Deutschland hier weit hinter den EU-Spitzenwerten von fast 24 Wochenstunden. Eine vollständige Angleichung käme etwa 890.000 zusätzlichen Vollzeitäquivalenten gleich. Bei einer Halbie rung des Abstands würde immer noch ein Potenzial von rund 445.000 Fachkräften erreicht. 10
ZWISCHENBILANZ UND FORTSCHREIBUNG 6. Einwanderung von Fachkräften steuern Prognosen zu Migrationsbewegungen sind im Licht der jüngeren Entwicklung bei den Flüchtlingszahlen sehr viel schwieriger geworden. Dennoch wird der Wanderungssaldo voraussichtlich nicht bis zum Jahr 2030 auf dem aktuell hohen Niveau bleiben. Unter der Annahme, dass sich die Einwanderung bis 2030 mindestens in einer ähnlichen Größenordnung wie der Durchschnittswert von 2006 bis 2014 bewegt, können wir mit einer Nettomigration von knapp 200.000 Personen pro Jahr rechnen. Unter dieser An nahme wäre ein Gewinn von ca. 900.000 Fachkräften bis zum Jahr 2030 möglich, wenn man gleichzeitig in Rechnung stellt, dass es sich nicht bei allen Einwanderern um ausgebildete Fachkräfte handelt. Im Hinblick auf den Zeithorizont 2030 gehen wir ferner davon aus, dass die Mehrzahl der Einwanderer nach Deutschland weiterhin aus EU-Ländern kommen wird und dass sich unter ihnen etwa ein Viertel Fachkräfte befinden werden. Da aus Drittstaaten gezielt nur Fachkräfte angeworben werden, rechnen wir hier mit einer höheren Fachkräftequote von 40 %. Allerdings macht diese Personengruppe nur etwa ein Drittel der Nettomigration aus. Das so berechnete Potenzial könnte sich – angesichts der Ungewissheit über die zukünftige Entwicklung der Migration von Flüchtlingen – noch nach oben ausweiten. Eine genauere Prognose lässt die aktuelle Datenlage derzeit jedoch nicht zu. Würde die durchschnittliche jährliche Nettomigration bis 2030 allerdings wieder deutlich sinken, z. B. auf die Hälfte des historischen Werts des Zeitraums zwischen 2006 bis 2014 (100.000 Personen pro Jahr), entspräche das rund 450.000 daraus resultierenden Fachkräften bis zum Jahr 2030. 7. Arbeitszeit Vollzeitbeschäftigter erhöhen Die durchschnittliche Wochenarbeitszeit in Deutschland liegt im EU-Durchschnitt. Wenn es gelänge, mehr Menschen zu längeren Wochenarbeitszeiten zu motivieren, könnte damit ein weiterer Beitrag zur Fachkräftesicherung geleistet werden. Würde im Jahr 2030 jeder Vollzeitbeschäftigte durchschnittlich eine halbe Stunde pro Woche mehr arbeiten als heute, entspräche dies umgerechnet einer zusätzlichen Arbeitsleistung von rund 300.000 Fachkräften. Bei einer Stunde mehr pro Woche wären es sogar 600.000. 8. Aus- und Weiterbildung vorantreiben Seit 2009 konnte der Anteil der Geringqualifizierten an der Bevölkerungsgruppe der 25- bis 64-Jährigen um mehr als ein Zehntel auf 13 % gesenkt werden. Ließe sich diese Quote bis zum Jahr 2030 nochmals um 10 % bzw. 20 % reduzieren, käme dies einem Gewinn von 320.000 bis 640.000 zusätzlichen Fach kräften gleich. 9. Arbeitsmarkttransparenz erhöhen Ein transparenter, gut organisierter Arbeitsmarkt unterstützt das Matching, d. h. das Zusammenführen der zueinander passenden Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Die zeitliche Lücke bis zur Besetzung offener 11
SCHWERPUNKTHEFT FACHKRÄFTE FÜR DEUTSCHLAND Stellen und die Suchzeiten nach einem neuen Job verringern sich durch gute Vernetzung. Damit sinkt auch die Dauer von Phasen der Arbeitslosigkeit. Eine weitere Erhöhung der Arbeitsmarkttransparenz hat erhebliche positive Auswirkungen auf die Fachkräftesicherung. Quantifizieren lässt sich dieser Effekt jedoch nur schwer. 10. Steuer- und Transfersysteme weiterentwickeln Auch die Ausgestaltung des Steuer- und Transfersystems kann die Fachkräftesicherung begünstigen oder aber erschweren. Nach Unterbrechungen der Erwerbstätigkeit müssen eine zeitnahe Rückkehr ins Erwerbs leben erleichtert werden. Hierzu muss eine ausgewogene Aufteilung der familiären Betreuungsaufgaben gefördert und die Erziehungs- und Pflegeleistung angemessen honoriert werden. 12
ZWISCHENBILANZ UND FORTSCHREIBUNG Grafik 4 DIE POTENZIALE DER ZEHN HANDLUNGSFELDER IM ÜBERBLICK Handlungsfeld Potenzial bis 2030 in tausend VZÄ1 Min. Max. 1 Schulabgänge ohne Abschluss 75 150 2 Ausbildungsabbrüche 70 140 3 Studienabbrüche 80 160 4 Erwerbsbeteiligung Menschen 55 – 64 245 490 Erwerbsbeteiligung Menschen 65– 70 40 80 5 Erwerbsbeteiligung Frauen 255 510 Arbeitszeitvolumen Frauen in Teilzeit 445 890 6 Einwanderung von Fachkräften 450 900 7 Arbeitszeitvolumen Vollzeit 300 600 8 Qualifizierung/Aus- und Weiterbildung 320 640 9 Arbeitsmarkttransparenz Keine Quantifizierung 10 Steuer- und Transfersysteme Keine Quantifizierung 1 VZÄ = Vollzeitäquivalente. Rundungsabweichungen möglich. ANNAHME: Jede zusätzlich gewonnene Fachkraft aus HF 1– 3 und HF 6 entspricht jeweils 1 Vollzeitäquivalente QUELLE: Eigene Darstellung 13
SCHWERPUNKTHEFT FACHKRÄFTE FÜR DEUTSCHLAND 14
ZWISCHENBILANZ UND FORTSCHREIBUNG TEIL 2 IDEEN FÜR MEHR FACHKRÄFTE
SCHWERPUNKTHEFT FACHKRÄFTE FÜR DEUTSCHLAND 1. SCHULABGÄNGE OHNE ABSCHLUSS REDUZIEREN Den Schulabschluss schaffen Der Grundstein für eine Laufbahn als Fachkraft wird in der Schule gelegt. Jugendliche ohne Schulab schluss haben schlechte Perspektiven auf dem Ausbildungsmarkt. Nur etwa jeder fünfte junge Mensch, der ohne Abschluss von der Schule abgeht, findet danach eine Ausbildungsstelle. Eine Reduktion der Anzahl der Schulabgängerinnen und -abgänger ohne Abschluss ist daher ein wesentlicher Hebel zur Fachkräftesicherung. Der Anteil der Jugendlichen, die eine allgemeinbildende Schule in Deutschland ohne Abschluss verlassen, ist von 2009 bis 2013 zwar gesunken – auf etwa 6 %. Das entspricht einer Verringerung um ein Fünftel. Dennoch waren es auch im Jahr 2013 immer noch fast 50.000 Jugendliche, die ohne Abschluss von der Schule gingen. Grafik 5 BEIM ANTEIL DER SCHULABGÄNGE OHNE ABSCHLUSS BESTEHT WEITERHIN HANDLUNGSBEDARF IN ALLEN BUNDESLÄNDERN 7,6% 8,4% 4,9% 7,3% 4,9% 9,2% Deutschland 2014: 5,8 % 9,7% 7,7% 6,2 % 8,3% 7,2% 4,9% 5,6 % 5,3% 4,5% 5,0% Schulabgänge ohne Abschluss nach Bundesländern (2014) QUELLE: Statistisches Bundesamt, 2014 Besonders abbruchgefährdet sind Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund. Sie verlassen die Schule fast doppelt so häufig ohne Abschluss wie junge Menschen ohne Migrationshintergrund. Der Hauptgrund dafür ist allerdings nicht der Migrationshintergrund als solcher, sondern der sozioökono mische Hintergrund vieler Einwandererfamilien in Deutschland. Das Elternhaus spielt dabei eine wesent liche Rolle. Je besser die Bildung der Eltern, desto seltener geht ihr Kind erfolglos von der Schule ab. Dies gilt für alle Bevölkerungsgruppen. Sollte es gelingen, ab 2020 die Anzahl der Schulabbrecher um 20 % zu vermindern, würde dies bis 2030 etwa 75.000 jungen Menschen den Weg in eine Laufbahn als Fachkraft ebnen. Bei einer 40 %igen Redu zierung wären es sogar über 150.000 junge potenzielle Fachkräfte. 16
ZWISCHENBILANZ UND FORTSCHREIBUNG Um dies zu erreichen, muss bereits in der (Vor-)Schulzeit angesetzt werden. Ein besonderes Augenmerk ist dabei auf Gruppen zu legen, die besonders gefährdet sind. Eltern müssen frühzeitig für die Bildung ihrer Kinder sensibilisiert und kompetent in Bildungsfragen beraten werden. Das ESF4-Bundesprogramm „Elternchance II“ des Bundesfamilienministeriums verfolgt dieses Ziel. Kinder und Jugendliche mit Migra tionshintergrund müssen früher und intensiver sprachlich gefördert werden, um möglichst schnell zu ihren Mitschülerinnen und Mitschülern aufschließen zu können. Für junge Menschen mit Behinderung sind inklusive Unterstützungsleistungen an den Regelschulen erforderlich. Die Verantwortung dafür, dieses große Potenzial zu entwickeln, tragen bis zum Ende der Schulzeit vor allem die Bundesländer. Den Übergang von der Schule in den Beruf unterstützen Im Jahr 2014 befanden sich rund eine Viertelmillion Jugendliche im sogenannten Übergangsbereich – nicht mehr in der Schule, aber noch nicht in beruflicher Erstausbildung. Jeder fünfte junge Mensch in dieser Gruppe besitzt keinen Schulabschluss. Die Gründe für lange Übergangsphasen sind vielfältig. Sie reichen von schlechten Noten über fehlende Ausbildungsreife bis hin zu Benachteiligungen im sozialen Umfeld. Verschiedene Akteure unterstützen Jugendliche bei der beruflichen Erstorientierung. Die Berufsberatung der Bundesagentur für Arbeit bietet gezielte Beratung und individuelle Unterstützung für junge Menschen unabhängig von der Schulform an. Bei der beruflichen Erstausbildung helfen Berufseinstiegsbegleiter (BerEb) solchen Schülerinnen und Schülern, bei denen sich abzeichnet, dass sie Schwierigkeiten in der Ausbildung haben könnten, den Schulabschluss nicht schaffen und/oder dass der Übergang in Ausbil dung misslingt. Die Begleitung kann bis in das Ausbildungsverhältnis hineinreichen. Durch Berufsvorbe reitende Bildungsmaßnahmen (BvB) wird Ausbildungsfähigkeit hergestellt und sogar der nachträgliche Erwerb eines Hauptschulabschlusses ermöglicht. Um einen signifikanten Fortschritt beim Übergang von der Schule zum Beruf zu erreichen, bedarf es weiterer gemeinsamer Anstrengungen von Arbeitgeberverbänden, Gewerkschaften, Kammern, Bund und Ländern sowie der Bundesagentur für Arbeit. So verfolgt die „Allianz für Aus- und Weiterbildung“ das Ziel, die Akteure zu vernetzen und wirksame Maßnahmen zur Stärkung der betrieblichen Ausbildung zu entwickeln. Die Allianzpartner streben an, sowohl mehr leistungsstarke Jugendliche für die berufliche Bildung zu gewinnen als auch mehr Jugendlichen mit schlechteren Startchancen eine betriebliche Be rufsausbildung zu ermöglichen5. Jugendberufsagenturen In 218 Jugendberufsagenturen (Stand: Juli 2015) arbeiten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Jobcen tern, zugelassenen kommunalen Trägern, aus der Jugendhilfe und der Berufsberatung der Agenturen für Arbeit zusammen. Durch intensive Kooperation und aktive Einbindung weiterer Netzwerkpartner – insbe sondere der Schulen – werden behördliche Dienstleistungen rund um den Berufsstart für viele Jugendliche erheblich leichter zugänglich. So wird etwa in gemeinsamen Fallkonferenzen besprochen und entschie den, welche Hilfen aus welchen Rechtskreisen die Jugendlichen vorrangig benötigen. Dabei verfügen Jugendberufsagenturen über dezentrale Entscheidungs- und Gestaltungsbefugnisse. Die meisten Jugend berufsagenturen konzentrieren sich derzeit auf förderbedürftige Jugendliche. Die Kooperation in den Jugendberufsagenturen zeigt vor allem im präventiven Bereich Wirkung, wenn die Jugendlichen beim Übergang von der Schule zum Beruf abgestimmt betreut werden. Die Jugendberufsagenturen sollen zu Regeleinrichtungen für alle Jugendlichen entwickelt werden. 4 Europäischer Sozialfonds 5 Nähere Informationen sind zu finden unter www.bmwi.de > allianz-fuer-aus-und-weiterbildung-2015-2018 17
SCHWERPUNKTHEFT FACHKRÄFTE FÜR DEUTSCHLAND 2. AUSBILDUNGSABBRÜCHE REDUZIEREN Jedes Jahr werden in Deutschland etwa 150.000 Ausbildungsverträge vorzeitig gelöst. Jeder vierte neu abgeschlossene Vertrag ist betroffen. Eine Vertragslösung bedeutet dabei nicht gleich den endgültigen Aus bildungsabbruch: Etwa die Hälfte der betroffenen Jugendlichen beginnt zeitnah eine neue Ausbildung oder eine weiterführende Qualifizierung, z. B. an einer Hochschule. Ein Wechsel kann die sinnvolle Kor rektur einer Fehlentscheidung sein. Die andere Hälfte dieser jungen Menschen – das wären jährlich etwa 75.000 potenzielle Fachkräfte – verbleibt jedoch zunächst ohne Berufsabschluss. Ebenso wie von der vergleichsweise hohen Zahl der Schulabbrecher sind auch von diesem Problem alle Regionen in Deutsch land betroffen. Besonders im Handwerk ist die Herausforderung groß, wird doch jeder dritte Vertrag vor zeitig beendet. In Industrie und Handel ist es gut jeder fünfte Ausbildungsvertrag. Wenn es gelänge, die Abbruchquote um 10 % auf das Niveau von 2009 oder sogar um 20 % zu senken, könnten dem Arbeitsmarkt etwa 70.000 bis 140.000 ausgebildete junge Menschen zusätzlich zur Verfü gung stehen. Die beste Vorbeugung gegen Ausbildungsabbrüche sind klare Vorstellungen über die berufliche Wirklich keit. Einen realistischen Eindruck vom potenziellen Ausbildungsberuf können Schülerinnen und Schüler besonders gut durch Praktika erlangen. Wichtig ist deshalb der weitere Ausbau der Kooperationen zwi schen Schulen und Wirtschaft zur praxisbezogenen Berufsorientierung. Die Berufsberatung der Bundesagentur für Arbeit führt junge Menschen bereits in der Schulzeit an die Berufswahl heran und erarbeitet mit ihnen auf Wunsch individuelle Strategien zur Ausbildungs- bzw. Stu dienwahl. Mit einer breiten Präsenz in jedem Agenturbezirk sind die Berufsberaterinnen und Berufsberater die ersten Ansprechpartner allgemeinbildender Schulen, wenn es um den Übergang von der Schule in den Beruf geht. Außerdem wird in der Berufsberatung verstärkt auf gendergerechte Angebote geach tet: Mädchen und Jungen werden darin unterstützt, eine Berufswahl zu treffen, die zu ihren individuel len Fähigkeiten und Interessen passt und frei von Geschlechterklischees ist. Damit diese Beratung auch in Zukunft zeitgemäß, unkompliziert und individuell erfolgen kann, soll das bestehende Onlineangebot für junge Menschen nahtlos mit persönlichen Beratungsangeboten verzahnt werden. Online-Terminbuchung und Chatangebote sollen den Zugang zur Berufsberatung deutlich er leichtern. Entsprechende Konzepte werden aktuell innerhalb der Bundesagentur für Arbeit entwi ckelt. Nach Ausbildungsbeginn gilt es, die Rahmenbedingungen im Betrieb für beide Vertragspartner vorteilhaft zu gestalten und typischen Abbruchgründen entgegenzuwirken. Häufig sind Konflikte im Betrieb Auslöser für Ausbildungsabbrüche. Durch eine rechtzeitige Beratung der Auszubildenden und der Unternehmen ist es teilweise möglich, solche Konflikte zu vermeiden. Effektive Maßnahmen reichen dabei von regio nalen und lokalen Initiativen über verstärkte Coaching-Angebote bis hin zu regelmäßigen Schulungen für Ausbilderinnen und Ausbilder zu aktuellen Themen des Konfliktmanagements. Diese Initiativen von örtlichen Verbänden, Kammern und Innungen gilt es weiter auszubauen. Mangelnde Flexibilität der Arbeitszeiten im Ausbildungsbetrieb führt ebenfalls häufig zu Vertragslösungen. Flexible Teilzeitmodelle können eine Alternative für junge Menschen sein, deren persönliches Umfeld, z. B. nach einer Familiengründung, eine Vollzeitausbildung nicht zulässt. Um das Angebot von Teilzeit berufsausbildungen auszuweiten, ist eine noch engere Vernetzung und Abstimmung der regionalen Akteure – der Kammern, der Arbeitgeberverbände und der Berufsschulen – erforderlich. Unterstützung erfahren junge Erwachsene mit Familienverantwortung sowie Arbeitgeber durch das Ausbildungsstruktur programm JOBSTARTER des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.6 Oft sind es auch finanzielle Probleme, die zum Ausbildungsabbruch führen. Niedrig entlohnte Ausbil dungsberufe sind besonders stark betroffen. Durch geldwerte Unterstützung und intelligente organisato 6 Nähere Informationen finden sich im Internet unter www.jobstarter.de > Fachkräfte gewinnen > Junge Erwachsene mit Familienverantwortung. 18
ZWISCHENBILANZ UND FORTSCHREIBUNG Grafik 6 IN DEUTSCHLAND WIRD JEDER VIERTE AUSBILDUNGSVERTRAG VORZEITIG GELÖST 27,9% 28,8% 32,9% 23,7% 25,2% 33,9% Deutschland 2013: 25 % 32,7% 29,7 % 24,7% 27,8% 30,3% 23,1% 26,4% Vorzeitige Vertragslösungen als Anteil der im aktuellen 27,8% Jahr begonnenen Ausbildungsverträge nach Bundesländern im Jahr 2013 22,0% 21,2% QUELLE: Bundesinstitut für Berufsbildung (BiBB), Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2015; "Datenbank Auszubildende" des Bundesinstituts für Berufsbildung auf Basis der Daten der Berufsbildungsstatistik der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder (Erhebung zum 31. Dezember), Berichtsjahre 2010 bis 2013; Berechnungen des Bundesinstituts für Berufsbildung Grafik 7 DIE MEISTEN VERTRÄGE WERDEN NOCH INNERHALB DES ERSTEN AUSBILDUNGSJAHRES GELÖST Zuständig- Vorzeitige keitsbereich Vertragslösungen Davon gelöst Handwerk 34% 30 % 30 % 26 % 12 % 2 % Haus- wirtschaft 28 % 17% 35 % 29 % 15 % 4% Freie Berufe 26% 43 % 28 % 20 % 8% 2 % Land- 24% 28 % 31 % 28 % 10 % 3 % wirtschaft Industrie 22% 35 % 33 % 24 % 7% 1% und Handel Öffentlicher Dienst 6% 26 % 27 % 29 % 15 % 3% Insgesamt 25% 34 % 31 % 25 % 9% 2 % In der Probezeit Nach 13 bis 24 Monaten Nach mehr als 36 Monaten Nach 5 bis 12 Monaten Nach 25 bis 36 Monaten Vorzeitige Vertragslösungen nach Zuständigkeitsbereichen als Anteil der im aktuellen Jahr begonnenen Ausbildungsverträge und nach dem Zeitpunkt der Vertragslösung, Bundesgebiet im Jahr 2013 QUELLE: Bundesinstitut für Berufsbildung (BiBB) Berufsbildungsbericht Datenreport 2015, rundungsbedingte Abweichungen von 100 % möglich 19
SCHWERPUNKTHEFT FACHKRÄFTE FÜR DEUTSCHLAND rische Lösungen für Auszubildende, wie z. B. Zuschüsse für Fahrtkosten oder Unterbringung am Ausbil dungsort, können Unternehmen diesem Abbruchgrund entgegenwirken. Die Bundesagentur für Arbeit steht mit ihren Beratungsangeboten nicht nur jungen Menschen, sondern auch Arbeitgebern – besonders kleinen und mittleren Unternehmen – zur Seite. Unternehmen werden auch im Hinblick auf die Erwartungen der Jugendlichen an ihre Ausbildung und die Betriebe beraten. Darüber hinaus bietet die Bundesagentur für Arbeit Maßnahmen an, die das Ziel verfolgen, die Anzahl vorzeitiger Vertragslösungen zu senken. Darunter sind ausbildungsbegleitende Hilfen, die begleitete betriebliche Ausbildung für schwerbehinderte junge Menschen (bbA) und seit Mai 2015 die Assistierte Ausbildung (AsA). In der Erprobungsphase befindet sich zudem das Web-Diagnosetool PraeLab (Prä vention von Lehrabbrüchen). Um die Ausbildungs- und Beschäftigungschancen von Jugendlichen mit Handicaps und Schwerbehinderung zu verbessern, beteiligt sich die Bundesagentur für Arbeit an einer gemeinsamen Inklusionsinitiative für mehr betriebliche Ausbildung und Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen.7 Assistierte Ausbildung Die Assistierte Ausbildung (AsA) soll die Chancen von benachteiligten Jugendlichen auf eine betriebliche Ausbildung erhöhen und dabei helfen, diese auch erfolgreich abzuschließen. Mit der AsA werden sowohl die jungen Menschen als auch deren Ausbildungsbetriebe intensiv und kontinuierlich während der Ausbildung unterstützt. Die AsA kann zusätzlich eine bis zu sechs Monate dauernde ausbildungsvor bereitende Phase umfassen. PraeLab Die Bundesagentur für Arbeit erprobt derzeit das Web-Diagnosetool PraeLab (Prävention von Lehrab brüchen). Mit Hilfe eines internetbasierten Befragungs- und Auswertungstools wird Beratungsfachkräften der Bundesagentur für Arbeit und Lehrkräften an berufsbildenden Schulen ein Instrument an die Hand gegeben, das eine frühzeitige Identifizierung abbruchgefährdeter Jugendlicher ermöglicht und ihnen Interventionsmöglichkeiten bietet. Mit diesem Frühwarnsystem werden die jungen Menschen zu einem Zeitpunkt in der Ausbildung erreicht, an dem ein zeitnahes Beratungsangebot zur Abbruchprävention effektiv greifen kann. In Zusammenarbeit mit den Fachklassen aller Berufsschulen können so frühzeitig Unterstützungsmöglichkeiten aufgezeigt und in Beratungsgesprächen Lösungsansätze erarbeitet wer den. Begleitete betriebliche Ausbildung (bbA) Durch gezielte Förderung der betrieblichen Ausbildung von jungen Menschen mit Behinderung, die zwar besonderer Unterstützung bedürfen, jedoch nicht auf eine Einrichtung angewiesen sind, werden der praxisorientierte Start ins Berufsleben und eine dauerhafte Eingliederung in den ersten Arbeitsmarkt unter stützt. Ausbildungsbetriebe erhalten bei Bedarf Hilfestellungen, damit ein reibungsloser Ablauf und ein Erfolg der Ausbildung der Teilnehmenden gewährleistet werden können. 7 Diese Initiative wurde vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales, von den Spitzenverbänden der Wirtschaft, dem Deutschen Gewerkschaftsbund, der Bundesagentur für Arbeit, dem Deutschen Landkreistag, den in der Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrati onsämter und Hauptfürsorgestellen (BIH) zusammengeschlossenen Integrationsämtern der Länder, den Verbänden der Menschen mit Behinderungen und der Beauftragten der Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen ins Leben gerufen. 20
ZWISCHENBILANZ UND FORTSCHREIBUNG 3. STUDIENABBRÜCHE REDUZIEREN Noch immer verlassen jährlich ca. 100.000 Studierende deutsche Hochschulen ohne einen Abschluss. An Universitäten ist es jede/-r Dritte, an Fachhochschulen jede/-r Vierte. Bei den Studienabbruchquoten gibt es große Unterschiede zwischen Bachelor- und Masterstudiengängen sowie zwischen den Studien fächern. Besonders hohe Abbruchquoten weisen MINT-Studiengänge auf (Mathematik, Informatik, Natur wissenschaften, Technik). Dabei werden gerade in diesen Studiengängen dringend Fachkräfte benötigt. Seit 2009 ist der Anteil der Studienabbrecher weitgehend konstant geblieben. In diesem Handlungsfeld sind daher unbedingt weitere Anstrengungen erforderlich. Grafik 8 DAS RISIKO EINES STUDIENABBRUCHS IST IN MINT1-BACHELORSTUDIENGÄNGEN BESONDERS HOCH Studienabbruchquoten im Bachelorstudium Studienabbruchquoten im Bachelorstudium an Universitäten an Fachhochschulen Bachelor Bachelor 33% Fachhochschule insgesamt 23% Universität insgesamt Mathematik/ Mathematik/ Naturwissenschaften 34 % Naturwissenschaften 39% Ingenieur- Ingenieur- wissenschaften 31 % wissenschaften 36% Gesundheits- wissenschaften 28 % Sprach-/Kultur- wissenschaften/Sport 30% Sprach-/Kultur- wissenschaften/Sport 21 % Agrar-/Forst-/Ernäh- 30% Agrar-/Forst-/Ernäh- rungswissenschaften rungswissenschaften 18 % Rechts-/Wirtschafts-/ Rechts-/Wirtschafts-/ Sozialwissenschaften 27% Sozialwissenschaften 15 % 1 MINT = Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik Darstellung der Studienabbruchquoten nach Fächergruppen, Bezugsgruppe: Absolventen 2012 QUELLE: DZHW-Studienabbruchstudie, 2014 Auch die Gründe, die zum Studienabbruch führen, haben sich seit Jahren kaum verändert: Ein Drittel der Abbrüche ist leistungs- und prüfungsbedingt, ein weiteres Drittel beruht auf geringer Studienmotivation (z. B. infolge falscher Vorstellungen von den Studieninhalten) und auf dem Wunsch nach beruflicher Neu orientierung. Daneben werden finanzielle Probleme und ungünstige Studienbedingungen häufig als Beweggründe angeführt. Gelänge es, allein die Abbruchquote der Bachelorstudierenden bis zum Jahr 2030 um 10 bis 20 % zu reduzieren, ließen sich 80.000 bis 160.000 zusätzliche hochqualifizierte Fachkräfte gewinnen. Fehlentscheidungen im Vorfeld des Studiums können hauptsächlich durch bessere Informationsangebote vor Ort und bessere Vernetzung von Schulen, Hochschulen und Beratungsstellen vermieden werden. Dabei gilt es auch, die Möglichkeiten digitaler Informationskanäle besser zu nutzen. Vorhandene Informations medien für Studieninteressierte (etwa das „abi-Portal“ der Bundesagentur für Arbeit unter www.abi.de) sollten durch Angebote der Hochschulen ergänzt werden. Positive Beispiele für Informationsportale, die sich an die Zielgruppe der Studieninteressierten richten, sind der „Stud i finder“ aus Nordrhein-Westfalen8 (www.studifinder.de) und das „MINTSTUDIUM.HAMBURG“, das im September 2015 an den Start ging. 8 Gemeinsame Initiative der Hochschulen des Landes NRW mit dem Ministerium für Innovation, Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen 21
SCHWERPUNKTHEFT FACHKRÄFTE FÜR DEUTSCHLAND PORTAL MINTSTUDIUM.HAMBURG Mit dem Internetportal MINTSTUDIUM.HAMBURG hat die Initiative Naturwissenschaft und Technik (NAT) gemeinsam mit den Hamburger Hochschulen9 eine hochschulübergreifende Plattform entwickelt, die MINT-Studiengänge vorstellt und für ein Studium in der Hansestadt wirbt. Unterstützt wird MINTSTU DIUM.HAMBURG durch die Behörde für Wissenschaft, Forschung und Gleichstellung. Neben Informa tionen zu Studiengängen und Forschungsbereichen an den beteiligten Hochschulen stellt das Portal auch Studierende und Wissenschaftler vor und gibt Einblick in berufliche Perspektiven. Unter anderem befindet sich ein Onlinetest zum Überprüfen des eigenen Könnens im Angebot. Für diejenigen, die sich in einem Bereich vor Aufnahme des Studiums inhaltlich vorbereiten möchten, werden passende Onlinemodule zum Weiterarbeiten und Vertiefen zur Verfügung gestellt. Weitere Informationen finden sich unter mintstudium.hamburg/ Die Bundesagentur für Arbeit bietet zudem flächendeckend Berufsorientierung und -beratung für Abiturien tinnen und Abiturienten in den Schulen an. Studierende, die zweifeln oder abbrechen, werden über Alter nativen, etwa betriebliche oder schulische Ausbildung und duale Studiengänge, beraten – zum Teil direkt an der Hochschule. Sollte ein Studienabbruch sinnvoll oder unvermeidlich sein, kommt es darauf an, möglichst nahtlos Alter nativen mit dem Ziel eines erfolgreichen Berufseinstiegs zu entwickeln. Angesichts der Tatsache, dass es bereits heute in zahlreichen Berufen Engpässe gibt, die sich künftig noch verstärken dürften, könnte ins besondere der Übergang von Studienabbrechern in das duale Ausbildungssystem einen Beitrag zur Fachkräftesicherung leisten. In vielen Regionen haben die Kammern Modelle initiiert, die spezielle Qualifizierungsangebote für Studienabbrecher in dualen Ausbildungsberufen umfassen. Teilweise kann die Ausbildungsdauer verkürzt werden. Derartige Initiativen sollten weiter ausgebaut werden. Zudem bedarf es des Engagements von Ländern und Hochschulen, um bessere Voraussetzungen für eine höhere Studienerfolgsquote zu schaffen. Im Rahmen des Hochschulpakts sollen 2016 finanzielle Anreize für Hochschulen zur Steigerung der Erfolgsquote ihrer Studierenden eingeführt werden. Dies ist ein Schritt in die richtige Richtung. Weitere Anstrengungen sind erforderlich, insbesondere um den Hoch schulzugang für junge Menschen aus einkommensschwachen Bevölkerungsgruppen stärker zu fördern. Die finanzielle Ausstattung von Studierenden muss – unabhängig von den elterlichen Einkommensver hältnissen – auskömmlich sein, damit ein zielstrebiger und erfolgsorientierter Studienverlauf gewährleis tet wird. Auch Unternehmen könnten durch Stipendien während Praktikumsphasen den Fachkräftenach wuchs stärker fördern und frühzeitig für sich gewinnen. 4. ERWERBSBETEILIGUNG VON MENSCHEN ÜBER 55 JAHREN ERHÖHEN Die geburtenstarken Jahrgänge in Deutschland befinden sich im Übergang in die Altersgruppe der 55- bis 64-Jährigen. Zudem ist das effektive Renteneintrittsalter im Verlauf der vergangenen zehn Jahre gestiegen. Dies geschah vor allem als Folge der schrittweisen Abschaffung der Frühverrentung und der Sonderregelungen beim Arbeitslosengeld für ältere Arbeitskräfte und der stufenweisen Anhebung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre. Knapp zwei Drittel der 55- bis 64-Jährigen gingen im Jahr 2014 einer Erwerbstätigkeit nach. 2009 waren es nur 56 %. Die Erwerbstätigenquote der 55- bis 64-Jährigen in Deutschland liegt inzwischen über dem OECD-Durch schnitt. In der Europäischen Union erreicht Deutschland Platz 2 hinter Schweden und hat das nationale EU-Ziel10, bis zum Jahr 2020 eine Erwerbsbeteiligung von 60 % für Menschen im Alter von 55 bis unter 65 Jahren zu realisieren, vorzeitig erreicht. 9 Universität Hamburg, Technische Universität Hamburg-Harburg, Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg, HafenCity Universität Hamburg und Helmut-Schmidt-Universität. 10 Siehe auch BMAS (2011): „Fachkräftesicherung – Ziele und Maßnahmen der Bundesregierung“, S. 38. 22
ZWISCHENBILANZ UND FORTSCHREIBUNG Grafik 9 BEI DER ERWERBSBETEILIGUNG DER 55- BIS 64-JÄHRIGEN LIEGT DEUTSCHLAND IM EU-28-VERGLEICH AN ZWEITER STELLE Schweden 74,0 Deutschland 65,6 Estland 64,0 Dänemark 63,2 Großbritannien 61,0 Niederlande 59,9 Finnland 59,1 Lettland 56,4 Litauen 56,2 Tschechien 54,0 Irland 53,0 Bulgarien 50,0 Portugal 47,8 Frankreich 47,0 Zypern 46,9 Italien 46,2 Österreich 45,1 Slowakei 44,8 Spanien 44,3 Rumänien 43,1 Belgien 42,7 Luxemburg 42,5 Polen 42,5 Ungarn 41,7 Malta 37,7 Kroatien 36,2 Top 5 Slowenien 35,4 Top 6 –10 ø EU 28 Griechenland 34,0 ø 51,8 Erwerbstätigenquote der 55- bis 64-Jährigen im europäischen Vergleich im Jahr 2014 in % QUELLE: Eurostat, 2014 23
SCHWERPUNKTHEFT FACHKRÄFTE FÜR DEUTSCHLAND Hinter diesem erfreulichen Anstieg innerhalb von fünf Jahren stehen 1,2 Millionen zusätzliche arbeitende Menschen. 6,7 Millionen Personen im Alter von 55 bis unter 65 Jahren sind erwerbstätig – etwa ein Drittel von ihnen allerdings in Teilzeit. Wenn es gelänge, diesen eingeleiteten Trend fortzusetzen und ab 2020 die Erwerbstätigenquote der 55- bis 64-Jährigen in Deutschland auf das schwedische Niveau zu steigern, könnten bis 2030 etwa 490.000 weitere Fachkräfte gewonnen werden. Würde der Abstand halbiert, wären es immer noch 245.000 zu sätzliche Fachkräfte. Ein weiteres Potenzial liegt in einer Erhöhung der Erwerbsbeteiligung der 65- bis 70-Jährigen. Eine Stei gerung um 10 bis 20 % entspräche gut 40.000 bis 80.000 zusätzlichen Arbeitskräften. Um die Erwerbsbeteiligung Älterer weiter zu steigern, sind Reformen und Maßnahmen notwendig, mit denen das vorzeitige Ausscheiden älterer Fachkräfte aus den Unternehmen verringert und der Zugang für Ältere in den Arbeitsmarkt erleichtert wird. Von den Unternehmen ist hierfür eine alterssensible Personalpolitik vonnöten. Ein Hebel ist dabei das Schaffen altersgerechter Arbeitsbedingungen durch betriebliches Gesundheitsmanagement, adäquate Arbeitsplatzgestaltung sowie Flexibilität von Arbeitszeit und -ort. Daneben ist ein lebensphasenorientiertes Personalmatching wichtig. Damit dies gelingt, sollten Kammern, Innungen und Arbeitgeberverbände insbesondere kleinere und mitt lere Unternehmen dazu ermutigen, alterssensible Personalpolitik zu betreiben und ihre Qualifizierungs anstrengungen für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu intensivieren. Flankieren könnten sie dies durch spezifisch auf ältere Menschen zugeschnittene Lernmethoden. Die Bundesagentur für Arbeit wirbt mit ihrer Marketingkampagne „Das bringt mich weiter“ gezielt für die Weiterbildung und Qualifizie rung älterer Menschen (www.dasbringtmichweiter.de). Auch die Politik steht in der Pflicht, die Rahmenbedingungen für die Erwerbstätigkeit älterer Menschen zu verbessern. Das frühzeitige Ausscheiden von Älteren aus dem Berufsleben wird wesentlich durch Frühver rentungsregelungen befördert. Um eine höhere Erwerbstätigkeit im Alter zu unterstützen, sollten Anreize geschaffen werden, den Eintritt in den Ruhestand freiwillig hinauszuschieben. Erwerbstätigkeit sollte für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer finanziell attraktiv sein. Darüber hinaus sind Anreize für Unternehmen denkbar, die sich als besonders altersgerechte Arbeitgeber profilieren wollen. Zertifizie rungsmöglichkeiten für Betriebe (analog familienfreundlicher Betriebe, siehe Handlungsfeld 5) können dabei helfen. Um den (Wieder-)Einstieg Älterer in die Erwerbstätigkeit zu erleichtern, müssen zusätzliche Beschäfti gungsmöglichkeiten erschlossen werden. Erreichen lässt sich dies, wenn Unternehmen von den Vorzü gen älterer Beschäftigter – wie Berufserfahrung, soziale Kompetenz und langjährig gepflegte Netzwerke – überzeugt werden können. Dabei sind die Agenturen für Arbeit und die Jobcenter unterstützend tätig – durch ihr Beratungsangebot und bei Bedarf auch durch die finanzielle Förderung einer Weiterbildung. Zudem kann mit Hilfe von Eingliederungszuschüssen speziell für ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer deren vermutete oder tatsächliche geringere Produktivität in der Einarbeitungsphase ausgeglichen werden. Verbände und Kammern könnten diesen erwünschten Wandel noch stärker durch Informations kampagnen begleiten. 24
ZWISCHENBILANZ UND FORTSCHREIBUNG WeGebAU Die Bundesagentur für Arbeit unterstützt die Weiterbildung von Beschäftigten mit dem Programm „Weiter bildung Geringqualifizierter und beschäftigter älterer Arbeitnehmer in Unternehmen“ (WeGebAU). Geför dert werden Weiterbildungen, die im Rahmen des bestehenden Arbeitsverhältnisses unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts durchgeführt werden, wenn sie für den allgemeinen Arbeitsmarkt verwertbare Kennt nisse vermitteln und für die Weiterbildungsförderung zugelassen sind. Ausgenommen ist die Förderung von Qualifizierungen, zu denen der Arbeitgeber gesetzlich verpflichtet ist. Das Programm WeGebAU setzt sich aus drei Fördersäulen zusammen, die auf unterschiedliche Arbeit nehmergruppen zielen: • Säule 1: Qualifizierung von Beschäftigten in kleineren und mittleren Unternehmen (KMU) mit weniger als 250 Arbeitnehmern. Hier werden Lehrgangskosten gefördert, wenn die Weiterbildung außerhalb des Betriebs durchgeführt wird. • Säule 2: Abschlussbezogene Weiterbildung geringqualifizierter Beschäftigter: Gefördert werden Lehr gangskosten für Weiterbildungen Geringqualifizierter, die direkt zu einem anerkannten Berufsabschluss führen (Umschulung oder Vorbereitungskurse auf Externenprüfung); daneben werden auch Sozialver sicherungsbeiträge gefördert. • Säule 3: Abschlussorientierte berufsqualifizierende Ausbildung: Gefördert werden Teilqualifikationen für geringqualifizierte Beschäftigte, wenn sie mittelbar zu einem anerkannten Berufsabschluss führen. Neben einer Förderung der Lehrgangskosten und Zuschüssen zu den Sozialversicherungsbeiträgen können Betriebe auch einen Zuschuss zum Arbeitsentgelt erhalten. Die Agenturen für Arbeit unterstützen Betriebe bei der Feststellung des unternehmensspezifischen Weiter bildungsbedarfs und klären die grundsätzlichen Fördervoraussetzungen. Weitere Informationen sind zu finden unter www.arbeitsagentur.de > Unternehmen > Finanzielle Hilfen > Weiterbildung. 5. ERWERBSBETEILIGUNG UND ARBEITSZEITVOLUMEN VON FRAUEN ERHÖHEN Die Erwerbstätigenquote von Frauen in Deutschland steigt seit Jahren kontinuierlich. Im Jahr 2014 waren sie ben von zehn Frauen erwerbstätig – mit 17,8 Millionen waren dies etwa 400.000 Frauen mehr als fünf Jahre zuvor. Damit liegt Deutschland inzwischen über dem OECD-Durchschnitt und im EU-Vergleich auf Platz drei. Wenn es gelänge, in Deutschland bis zum Jahr 2030 das Niveau des EU-Spitzenreiters Schweden zu erreichen (73,1 %), könnten 510.000 Frauen zusätzlich für eine Erwerbstätigkeit gewonnen werden. Bei einer Halbierung des Abstands zum schwedischen Niveau würden immerhin 255.000 weibliche Arbeits kräfte hinzukommen. Um das Fachkräftepotenzial von Frauen noch stärker zu heben, sollten die Beschäftigungsverhältnisse möglichst qualifikationsadäquat sein und eine nachhaltige Existenzsicherung erlauben. Der bisher erzielte Anstieg der Erwerbsbeteiligung von Frauen ist in erster Linie auf eine Zunahme der Teilzeitarbeit – ein schließlich geringfügiger Beschäftigung – zurückzuführen. Nur etwa die Hälfte der berufstätigen Frauen arbeitet Vollzeit. Die Wochenarbeitszeit teilzeitbeschäftigter Frauen ist seit 2009 um eine Stunde gestie gen, jedoch liegt Deutschland immer noch eine Stunde unterhalb des EU-Durchschnitts. 3,3 Millionen Frauen sind zudem ausschließlich geringfügig beschäftigt. 25
SCHWERPUNKTHEFT FACHKRÄFTE FÜR DEUTSCHLAND Würde Deutschland die durchschnittliche Wochenarbeitszeit von Frauen der Top-5-EU-Ländergruppe erreichen, stünden bis 2030 zusätzlich 890.000 weibliche Fachkräfte (in Vollzeitäquivalenten) zur Verfügung. Eine Halbierung des Abstands führte bis zum Jahr 2030 immerhin zu 445.000 zusätzlichen weiblichen Fachkräften. Während sich bei Männern und Frauen ohne Familie die Erwerbsmuster nur wenig unterscheiden, führt die Familiengründung zu großen Unterschieden bei der Erwerbsbeteiligung und vor allem bei der Arbeits zeit. Frauen übernehmen nach wie vor den größeren Teil der Kinderbetreuung und der übrigen Familien arbeit. Daneben steigt mit der Anzahl der Pflegefälle auch die Zahl der Erwerbstätigen, die gleichzeitig Familienangehörige pflegen. Auch Pflegeaufgaben werden in der Mehrzahl von Frauen übernommen. Die Folgen sind der Verlust von weiblichen Fachkräften für den Arbeitsmarkt, deutliche Lohneinbußen beim Wiedereinstieg sowie negative Auswirkungen auf die Karriereentwicklung und die Rentenansprüche der betroffenen Frauen. Dabei würden viele Frauen ihre Erwerbstätigkeit gern wieder aufnehmen oder ausweiten, wenn sie diese besser an ihre aktuelle Lebenssituation mit den jeweiligen Familien- und Pflegephasen anpassen könnten. Eine Rückkehr in den Arbeitsmarkt oder die Ausdehnung der Arbeitszeit scheitert jedoch häufig an feh lender Unterstützung in der Wiedereinstiegsphase, an mangelnden Angeboten zur Kinderbetreuung und an Arbeitsplätzen, die nicht familien- und/oder pflegefreundlich sind. Besonders hart trifft dies Alleinerzie hende: Viele der 1,4 Millionen alleinerziehenden Mütter würden gern ihre Arbeitszeit ausweiten, aber nur 40 % von ihnen arbeiten in Vollzeit. Frauen, die den Wiedereinstieg in den Beruf schaffen oder ihre Arbeitszeit ausdehnen wollen, stellen deshalb eines der quantitativ und qualitativ bedeutendsten Potenziale zur Schließung der Fachkräftelücke in Deutschland dar. Sie werden von den Agenturen für Arbeit und den Jobcentern beraten und bei Bedarf durch Qualifizierungsangebote unterstützt. In zunehmendem Maße stehen dafür Online-Weiterbildungs module und Maßnahmen zur Verfügung, die orts- und zeitunabhängig genutzt werden können (z. B. Blended Learning im Rahmen des Programms Perspektive-Wiedereinstieg – PWE-online). Viele Unternehmen bemühen sich bereits, familien- und pflegekompatible Arbeitsbedingungen zu schaf fen, beispielsweise durch Angebote zur flexiblen Arbeitszeitgestaltung. Dennoch befürchtet ein Drittel der Männer berufliche Nachteile, wenn sie solche Angebote in Anspruch nehmen. Für Frauen spielt bei der Ent scheidung für oder gegen die (Wieder-)Aufnahme bzw. Ausweitung der Erwerbstätigkeit die Bereitschaft ihrer Männer, sie bei Familienarbeit und Pflege zu entlasten, eine wesentliche Rolle. Unternehmen können daher nicht allein durch familiengerechte Arbeitsbedingungen einen Beitrag leisten. Sie müssen zudem männliche Beschäftigte darin bestärken, dass sie ihre Vorstellungen über die Vereinbarkeit von Familie und Beruf verwirklichen können, ohne berufliche Nachteile befürchten oder hinnehmen zu müssen. Damit einher geht das Erfordernis, geeignete Führungsmodelle für das Arbeiten in Teilzeit oder über Distanz zu entwickeln und umzusetzen. Die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft11 empfehlen Betrieben und Hochschulen, sich durch das „audit beruf und familie“ bzw. „audit familiengerechte hoch schule“ als familienfreundliches Unternehmen zertifizieren zu lassen (www.beruf-und-familie.de). Adäquate Angebote zur Kinderbetreuung gehören zu den Faktoren, welche die Erwerbstätigkeit von Frauen am stärksten beeinflussen. Deutschland hat mit dem Rechtsanspruch auf einen Kinderbetreuungs platz für unter Dreijährige einen Schritt in die richtige Richtung getan. Aber es fehlt noch immer an flächen deckenden Kinderbetreuungsmöglichkeiten am Nachmittag und in Randzeiten. Hier stehen Bund, Länder und Kommunen in der Verantwortung, durch finanzielles Engagement und fundierte Konzepte verläss liche, qualitativ hochwertige und zugleich bezahlbare Lösungen zu schaffen. Aber auch Unternehmen können ihren Beitrag ausweiten, indem sie die Organisation und Finanzierung unterstützen oder eigene Angebote zur Kinderbetreuung bereitstellen. Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), Deutscher Industrie- 11 und Handelskammertag (DIHK) und Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH). 26
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